Die Magie der Herzen - Kim Leopold - E-Book

Die Magie der Herzen E-Book

Kim Leopold

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Beschreibung

"Während die Hexe Ichtaca auf den Tag ihrer Opferung wartete, musste sie lernen, dass alles im Leben seinen Preis hat und es nur die Frage ist, ob man ihn bezahlen möchte ..." Die gleiche Lektion bekommt auch Alex erteilt, während er seinen irrsinnigen Plan in die Tat umsetzen möchte, Louisa zu retten. Doch nicht überall stößt er damit auf Begeisterung. Während Mikael und Farrah sich näherkommen, erweist Hayet ihm am Palast der Träume einen Freundschaftsdienst und will sein Herz in Sicherheit bringen. Aber schnell muss Mikael feststellen, dass sich die Vergangenheit manchmal rächt ... Kim Leopold hat eine magische Welt mit düsteren Geheimnissen, nahenden Gefahren und einem Hauch prickelnder Romantik erschaffen, bei dem Fantasy-Lover voll auf ihre Kosten kommen. Die Magie der Herzen – Band 11. der Urban Fantasy Serie Black Heart!

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Black Heart 11

Die Magie der Herzen

 

 

Kim Leopold

 

[was bisher geschah]

 

1448 - Nachdem die Hexe Ichtaca ihren Vater von seiner tödlichen Krankheit geheilt hat, holt man sie in den Tempel, wo sie bald einem Gott geopfert werden soll. Ihre große Liebe Nanauatzin kann nichts dagegen ausrichten.

 

2018 - Auf der Suche nach seinem Herzen wird Mikael durch einen Zauber aus dem Palast verbannt - kurz bevor er sein Herz in die Hand nehmen konnte. Mit ihm sind auch alle anderen Gestaltwandler aus dem Palast geflogen, so dass er sich mit Willem, Melvin und Yanis auf den Weg macht, bei seiner alten Freundin Farrah Unterschlupf zu suchen.

 

Farrah arbeitet für den König der Rebellen – der, wie sich herausstellt, Mikael ist - und ist im Auftrag für ihn in Russland unterwegs, wo sie eine Gruppe Gestaltwandler aus den Fängen von Jegor Stanislav befreien möchte. Ihre Mission schlägt fehl, denn Stanislav ist ein Black Heart und klaut ihr zeitweise ihre Magie. Ernüchtert kehrt sie nach Italien zurück, wo sie Mikael und seine Freunde empfängt.

 

Währenddessen kämpft Alex mit den Nebenwirkungen von Ivans Zauber und beginnt, an seinem Verstand zu zweifeln, weil er immer wieder Flashbacks mit Louisa hat und Dinge sieht, die nicht real sein können. Bald stellen er und sein Bruder Ivan jedoch fest, dass Louisa tatsächlich noch irgendwo zu sein scheint, und sie beschließen, ihre Leiche zu stehlen, damit sie bei der Beerdigungszeremonie nicht verbrannt wird.

 

[prolog]

Ichtaca

Mechtatitlan, 1448

 

Die kleinen Rundungen unter meinen Fingerspitzen fühlen sich glatt an, nicht mehr so rau wie noch vor ein paar Monden. Sie sind mir vertraut geworden. Fast wie Gefährten in diesen einsamen Nächten, in denen ich um mein Leben bange.

Manchmal zähle ich sie, manchmal streichle ich einfach drüber, manchmal – in den Nächten, in denen ich sehr wütend bin – schlage ich zu und wasche mein Blut am nächsten Morgen von den Steinen.

Ich bete zu allen Göttern, dass sie mich erlösen mögen, flehe die Meister an, die mir regelmäßig Wasser und Essen bringen, weine, schreie, wüte in meiner einsamen Zelle herum, doch niemand scheint mich zu hören.

Niemand außer Nanauatzin, der gewissenhaft wie die Sonne jeden Tag an meiner Tür auftaucht und versucht, mit mir zu reden.

Manchmal bringt er mir Blumen von draußen mit, manchmal ein frisch gebackenes Brot. Und manchmal, so wie heute, bringt er mir Schmuck mit.

Schmuck, den ich nur einmal anfasse, um ihn anschließend wütend in die Ecke meines Gefängnisses zu schmettern. Ich kann immer noch nicht glauben, dass er mich nach all den Monden, in denen wir ein Paar waren, nicht vor diesem Schicksal bewahrt hat, als er die Möglichkeit dazu hatte.

»Ich liebe dich, Taca. Ich hol dich hier raus, ich verspreche es dir.« Seine Worte sind immer die gleichen. Die, die mir zu Beginn noch Hoffnung gemacht haben, nun aber immer mehr zu einem leeren Versprechen verkommen.

Ich bin so wütend. Auf ihn, auf mich, auf diese Meister und Priester, die mich einfach hier einsperren können. Auf meinen Vater, weil er nichts unternommen hat. Auf meine Mutter, weil sie nicht mehr da war, um mich zu beschützen.

Wenn ich könnte, würde ich die Welt in Stücke reißen. Aber ich kann nicht, denn die Mauern, die mich einsperren, haben mir das Leuchten genommen.

 

 

Eine leise Singstimme weckt mich aus dem Schlaf. Ich richte mich mit knackenden Knochen auf. Von den Nächten auf der harten Pritsche schmerzt mir der Rücken, durch die nur dünne, durchlöcherte Decke sind meine Glieder morgens immer so kalt, dass ich eine Weile brauche, um sie aufzuwärmen.

Auch heute tue ich mich schwer damit, aufzustehen. Ich wickle mir die Decke um die Schultern und krabble hinüber zu den Holzstäben, die gleichzeitig der Eingang zu meinem Gefängnis sind. Ich umschließe einen der Stäbe und erschrecke, weil meine Finger so dünn und schmutzig aussehen.

Draußen ist es dunkel. Ich befinde mich im Inneren des Tempels, an so viel kann ich mich noch erinnern, aber wo genau ich bin, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass das Licht hier nicht von oben hineinfällt, sondern von den Seiten. Und das auch nur an manchen Tagen.

Aber heute erhellt der Schimmer einer Kerze die rauen Steinwände und erweckt die Malereien darauf zum Leben. Die Singstimme dazu sorgt dafür, dass sich mir die Haare auf den Armen aufstellen.

Eine Gestalt betritt die Halle, die an mein Gefängnis angrenzt. Sie trägt einen dunklen Umhang, das Einzige, was ich von ihr sehe, ist ihre geschmückte Hand, die den Kerzenhalter trägt. Die Person singt leise vor sich her, und je näher sie kommt, umso weniger schaurig erscheint mir ihre Melodie.

Dennoch traue ich mich kaum zu atmen.

Sie bleibt an einem Tisch mitten im Raum stehen und stellt den Kerzenhalter ab, bevor sie die Kapuze ihres Umhangs zurückschlägt. Helles, fast weißes Haar ergießt sich in sanften Wellen über ihre Schultern. Sie legt den Umhang ab, unter dem sie bis auf ein paar Schmuckstücke nichts trägt.

Mir stockt der Atem, weil diese Frau so wunderschön ist. So helle Haut und helles Haar, wie sie hat, kann sie unmöglich ein Mensch sein. Vielleicht ist sie eine Göttin. Vielleicht hat sie meine Bitten erhört und ist hier, um mich zu erlösen.

Ich beobachte sie dabei, wie sie anmutig auf die Knie geht und den Oberkörper vorbeugt. Sie streckt die Arme weit nach vorn und legt ihre Stirn auf dem Boden ab. Ihr Singsang nimmt zu keiner Zeit ab.

Ich glaube, sie betet. Auch wenn mir ihre Position sonderbar vorkommt. So habe ich noch nie gebetet.

Während ich sie beobachte, überkommt mich eine seltsame Ruhe. Ich denke nicht mal im Traum darüber nach, sie bei ihrem Gebet zu stören. Sie zu bitten, mich zu befreien. Nein, dafür bin ich viel zu gefesselt von ihr.

Schließlich verstummt ihr Gesang, und sie setzt sich auf. Die Augen hält sie geschlossen, die Arme ausgebreitet, als würde sie jeden Moment etwas empfangen. Und tatsächlich. Im nächsten Augenblick beginnt ein Leuchten mitten im Nirgendwo und fährt auf sie nieder. Es durchströmt ihre Brust, trifft ihr Herz und erfüllt ihren gesamten Körper.

Ich halte die Luft an, gespannt, was als nächstes geschieht, und leicht ängstlich, dass mich das Leuchten ebenfalls erfassen könnte. Dabei weiß ich doch instinktiv, dass davon keine Gefahr ausgeht.

Wenige Augenblicke, nachdem das Strahlen aufgehört hat, steht die Frau auf, um sich ihren Umhang wieder über die Schultern zu legen.

»Was war das?«, frage ich in die Stille hinein. Ich kann nicht anders. Ich muss es wissen.

Die Frau wendet sich zu mir und scheint keinesfalls überrascht, mich hier zu sehen. Vielmehr wirkt es fast so, als wüsste sie genau, wer ich bin und was ich hier mache.

»Ich verrate es dir, wenn du mir etwas von dir gibst«, erwidert die Frau und kommt näher heran.

»Was denn? Ich besitze fast nichts.« Ich denke drüber nach, was ich ihr von den wenigen Dingen in meiner Zelle anbieten könnte. »Ich habe ein paar trockene Blumen und ein paar Schmuckstücke, die mir ein Freund geschenkt hat.«

»Ich liebe Schmuck.« Die Frau lächelt und kniet sich an mein Türgitter, während ich nach einem der Armbänder suche, das mir Nanauatzin mitgebracht hat. Ich reiche es ihr durch das Gitter. Sie nimmt es mit spitzen Fingern entgegen und legt es sofort an.

»Magica«, sagt sie schließlich. »Du weißt, was das ist. Du hast es in dir.«

Magie? Zauberei? Ich? Ich schüttle den Kopf.

»Ich bin mir sicher, dass auch in dir das Leuchten steckt, mein Kind.« Ihre langen Haare fallen zu beiden Seiten herab, ihre Haut ist von Nahem ebenso makellos wie von Weitem. Ihre veilchenblauen Augen mustern mich interessiert.

»Das Leuchten ... ja. Aber Zauberei?«

»Bist du nicht die, von der man sagt, dass sie ihren Vater geheilt habe?« Sie hebt amüsiert eine Braue.

Ich weiß nicht, was die richtige Antwort darauf ist. Wenn ich die Wahrheit sage, falle ich dann womöglich auf einen Streich hinein? Gestehe ich damit womöglich die Tat, die meinen sicheren Tod bedeutet?

»Reich mir deine Hände«, sagt die Frau, die meinen Zwiespalt bemerkt hat. Sie streckt ihre Finger aus. Ehrfürchtig betrachte ich ihre Ringe und Armreifen genauer. Sie sieht aus, als käme sie aus reichem Haus.

»Trau dich. Ich beiße dich schon nicht.«

Zögernd strecke ich meine Hände durch die Gitterstäbe und lege sie auf ihre offenen Handflächen. Sie umschließt meine Finger. Sofort durchströmt mich ein warmes Gefühl. Ein Gefühl nach Familie, nach Zusammengehörigkeit und Liebe. Nach der Antwort auf all meine Fragen.

»Wie ist das möglich?«, flüstere ich ehrfürchtig.

Die Frau zieht ihre Hände zurück. Auf ihren Lippen liegt immer noch ein Lächeln. »Magica«, wispert sie, bevor sie aufsteht, die Kapuze über ihren Kopf streicht und den Raum mitsamt ihres Kerzenleuchters verlässt.

Ich blicke ihr hinterher, so lange, bis das Kerzenlicht längst erloschen ist und ich wieder in der Dunkelheit sitze, die in den letzten Tagen zu meinem Freund geworden ist.

 

[1]

 

Alexander

Österreich, 2018

 

»Das ist eine beschissene Idee. Richtig beschissen.« Ivan fährt sich mit einer Hand durch das zerwühlte Haar und schließt die Augen. Sein Atemzug ist so laut, dass ich ihn auf der anderen Seite des Raumes kaum überhören kann. »Also gut, ich bin dabei.«

»Ich will dich nicht dazu drängen«, erwidere ich und lasse mich in seinen Lesesessel fallen. Mein Blick bleibt an den Überresten seines Bücherregals hängen, die wir nach Louisas Wutanfall nur notdürftig zur Seite geräumt haben. Warum sollten wir uns auch mehr Mühe geben? Gerade fühlt sich sowieso alles an wie das Ende. »Aber ich vertraue Adele. Wenn sie sagt, es besteht die Möglichkeit, dass Louisa da draußen irgendwo ist, dann ist das unsere beste Chance, sie zu finden.«

»Und ich werde so oder so sterben.« Ivan seufzt und blickt zur Tür. »Lotta wird das nicht gefallen. Mir gefällt es ja selbst nicht mal. Aber fuck, ich schulde dir das.«

Ich schüttle eilig den Kopf. »Du schuldest mir gar nichts. Du bist verrückt, wenn du das denkst.«

»Ich hab sie sterben lassen.« Sein Blick verdüstert sich, und ich denke an den schaurigen Moment zurück, in dem er mir gebeichtet hat, dass Louisa tot ist.

»Es war nicht deine Schuld.«

Ivan erwidert nichts. Das muss er auch gar nicht. Ich kenne ihn lange genug, um zu wissen, dass er sich dennoch Vorwürfe macht. Ein Teil von mir fragt sich, ob ich genau dieses Wissen ausnutze, in dem ich ihm diese Idee unterbreitet habe.

Der andere, viel größere Teil jedoch denkt, dass wir so das Beste aus einer verdammt beschissenen Situation machen können. Mit ein bisschen Glück kommen Ivan und Louisa beide zurück.

»Und du bist dir sicher, dass ich dort lande, wo Louisa ist?«

»Ich weiß es nicht«, antworte ich ehrlich. »Adele meint, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass alle Hexen und Hexer, die durch einen Fluch sterben, dort landen.«

»Aber wieso ist Louisa die Einzige, die noch herumspukt?«

Ich zucke zusammen, denn ich mag das Wort »spuken« im Zusammenhang mit Louisa überhaupt nicht. Sie hat mehr verdient. Nicht bloß so ein Wort, das man einfach so dahinsagt.

»Darauf hatte auch Adele keine richtige Antwort.« Ich bringe es nicht übers Herz, ihm die Wahrheit zu sagen. Ihm von ihrer Theorie zu erzählen, dass dort, wo auch immer Louisa ist, kein Geist lange überlebt. Keiner außer Louisas jedenfalls.

»Hm, mit ein bisschen Glück finden wir es bald heraus.« Ivan verzieht das Gesicht und krümmt sich. Er wird blass, stöhnt auf vor Schmerz. Ich schieße hoch und gehe zu ihm ans Bett, aber angesichts seiner Schmerzen bin ich hilflos. Ich kann nichts tun, damit es ihm besser geht. Bloß hier sitzen und für ihn da sein, wenn er mich braucht.

Der Krampf geht bald vorüber, und er lässt sich mit feuchter Stirn zurück in die Kissen fallen. Sein Blick ist düsterer als zuvor. Ich reiche ihm das Glas Wasser vom Nachttisch und schweige, weil es keine Worte gibt, die das hier irgendwie besser machen könnten.

»Ich kann den Zauber brechen, den Emma auf den Fluch gelegt hat«, meint er schließlich. »Dann geht es schneller. Aber vorher müssen wir noch ein paar Dinge klären.«

Ich schlucke, nicke.

Also ist es beschlossene Sache. Mein Bruder wird sterben, um Louisa zurückzuholen.

 

 

»Hey, Gabriel, hier ist Alex.« Ich blicke aus dem Fenster in den Innenhof, während ich telefoniere, und entdecke Adele und ihre Tochter, die auf der Suche nach einer Pflanze zu sein scheinen.

»Hey, was gibt’s?« Gabriel, unser neuer Koch, klingt entspannt, obwohl im Hintergrund Geschirr klappert. Wahrscheinlich bereiten sie schon alles für das Mittagessen vor.

»Kann ich dich mit einer Bitte überfallen?«, frage ich und fühle mich unwohl dabei, ihm noch mehr Arbeit aufzubürden, als er sowieso schon hat.

»Na klar.«

»Mein Bruder ist verdammt krank und würde so gerne zum Mittagessen noch einmal sein Lieblingsgericht von dir essen.«

»Woah, Alex, das hört sich aber ... nicht nur krank an.« Gabriel klingt schockiert. Obwohl wir kaum Kontakt haben, kann er sich Namen und Beziehungen wirklich gut merken. Es wundert mich immer wieder, dass Menschen wie er und Lotta so viel Anteil an unserem Leben nehmen. Aber für ihn sind wir wahrscheinlich einfach Kollegen. So drastisch ist der Unterschied schließlich auch nicht.

Ich seufze und bin genervt davon, dass ich keine anderen Worte gewählt habe, weil ich mich nun erklären muss. »Wir suchen noch nach einer Lösung«, murmle ich schließlich. »Aber es sieht nicht gut aus.«

»Shit.«

»Ja.«

Er schweigt einen Moment lang betroffen, bevor er schließlich nach Ivans Lieblingsrezept fragt und verspricht, es bis zum Mittagessen fertig zu haben. Ich bedanke mich bei ihm, kündige an, dass ich es abholen werde und lege auf. Mittlerweile sind Adele und ihre Tochter aus dem Innenhof verschwunden.

Das Gespräch mit Gabriel hat meine Gefühle aufgewühlt. Ich wünschte, der Angriff hätte uns nicht in diese ausweglose Situation gebracht. Ich wünschte, wir hätten eine andere Wahl. Warum leben wir in einer Welt voller Magie, wenn wir gegen den Tod sowieso nichts ausrichten können?

Gedankenverloren greife ich nach dem Kreuz an meinem Hals und umschließe es mit einer Faust. Ich beginne zu zweifeln. An meinem Glauben, dieser Welt, an mir.

Und ich hasse es.

Ich hasse, hasse, hasse es.

»Und? Macht er es?« Ivan kommt ins Wohnzimmer gehumpelt. Mittlerweile hat der Fluch seine Oberschenkel erreicht und erschwert ihm das Laufen. Dennoch hat er sich umgezogen und nimmt auf dem Sofa Platz.

»Du kennst doch Gabriel.« Ich lächle traurig. »Deine Gemüselasagne und die Schokoküchlein mit flüssigem Kern sind in ein paar Stündchen abholbereit.«

»Super!« Ivan reibt sich die Hände und bringt tatsächlich ein echtes Lächeln zustande, während ich beim Gedanken daran, dass ich gerade seine Henkersmahlzeit bestellt habe, am liebsten nur weinen würde.

»Also, Lotta ist noch eine Weile weg. Die Zeit sollten wir nutzen, um über ein paar Dinge zu sprechen«, meint Ivan und deutet mit einem Rucken seines Kinns auf den Sessel. Ich nehme zögerlich Platz.

Ich will dieses Gespräch nicht führen. Ich will nicht wissen, was er nach seinem Tod von mir erwartet. Was ich wissen muss, um unsere Familienangelegenheiten zu klären.

»Okay, schieß los«, sage ich dennoch, weil ich weiß, dass kein Weg daran vorbeiführt und es ihm wichtig ist, dieses Gespräch zu führen.

Ivan nickt langsam, nachdenklich, als würde er innerlich seine Gedanken sortieren. »Ich fang am besten mit meiner Position im Rat an«, meint er schließlich. »Eigentlich wollte ich in den kleinen Rat. Ich wollte schon immer Dinge verändern, aber das weißt du ja.«

Ich lache leise auf. Natürlich weiß ich das. Ivan, der Weltverbesserer. Das war er schon früher, und das wird er immer sein.

»Jedenfalls ging es mir im Rat nicht schnell genug voran, also habe ich ein paar Freunde zusammengetrommelt und eine ... Gruppe gegründet.« Er sieht mich ernst an. Zuerst will ich nicht begreifen, was er da sagt, aber sein Gesichtsausdruck lässt mir keine andere Wahl.

»Du hast ’ne Revolution gegründet?«, frage ich ungläubig.

Er zuckt mit den Schultern und grinst teuflisch. »Irgendwer muss ja mal was an diesen ollen Gesetzen ändern.«

»Ich glaub’s nicht.« Ich atme schwer aus und raufe mir die Haare. »Und ich dachte, ich wäre der Chaot von uns beiden.«

»Da muss ich dich leider enttäuschen, kleiner Bruder.«

Gott, es wird mir fehlen, dass er mich so nennt. Auch wenn ich es früher immer gehasst habe. »Jedenfalls würde ich mir wünschen, dass du ... du meine Angelegenheiten weiterführst. Ich meine, du hast allen Grund dazu. Du hast dich in eine Hexe verliebt, und wenn ich es schaffe und sie zurückbringe, dann wirst du sie verdammt nochmal dein ganzes Leben lang lieben. Und das nicht im Geheimen.«

Ich presse die Lippen aufeinander, halte mühsam die Tränen zurück. Er erwartet viel von mir. Viel Verantwortung für Dinge, mit denen ich mich kaum auskenne. Um die ich bislang einen Bogen gemacht habe. Aber er hat recht. Es geht uns alle was an.

»In Ordnung. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um deine Revolution fortzuführen«, verspreche ich ihm feierlich. Er nickt zufrieden.

»Lotta wird dir die Einzelheiten erzählen. Sie müsste mittlerweile einen guten Überblick haben.«

Ich mache mir innerlich eine Notiz, Lotta sobald wie möglich darauf anzusprechen, weil ich den Gedanken nicht ertrage, Ivan zu enttäuschen.

»Als nächstes Familienmitglied hast du nach meinem Tod Anspruch auf meinen Platz im Rat«, beginnt er den nächsten Punkt auf seiner scheinbar gut vorbereiteten Liste. »Ich will dich nicht dazu zwingen, aber …«

»Schon klar.« Ich winke ab. Die besten Möglichkeiten, einen politischen Umschwung zu erreichen, habe ich, wenn ich auch aktiv an der Politik mitwirke. »Du vergisst dabei bloß, dass niemand wissen darf, dass du tot bist. Sonst bekommst du eine Wächterbestattung, und wenn das passiert, kannst du nicht wieder zurückkommen.«

»Wir wissen nicht, ob es wirklich klappt«, gibt er zu bedenken. »Und wenn es nicht klappt, will ich, dass wir vorher über alles gesprochen haben.«

»Es wird klappen. Denk nicht mal annähernd darüber nach, dass irgendwas schiefgehen könnte.«

Ivans Blick wird weicher, trauriger. »Alex … ich weiß, dass du nicht bereit dafür bist. Das bin ich auch nicht. Ich hab mir mein Leben auch anders vorgestellt. Aber manchmal schlägt es Bahnen ein, die wir nicht vorhersehen können. Die wir nicht ändern können, sondern als unser Schicksal akzeptieren müssen.«

Seine Worte treiben mir die Tränen zurück in die Augen. »Ich will das nicht akzeptieren.«

Er klopft neben sich aufs Sofa, also stehe ich auf und gehe zu ihm, um ihn zu umarmen. »Ich auch nicht«, wispert er mit erstickter Stimme, und selbst seine Umarmung, die mir sonst so viel Trost spendet, hält nichts als Kummer für mich bereit.

---ENDE DER LESEPROBE---