Die Messe verstehen in 15 Schritten - Andrea Schwarz - E-Book

Die Messe verstehen in 15 Schritten E-Book

Andrea Schwarz

0,0

Beschreibung

Wann kniet man, wann steht man auf und überhaupt: Was passiert denn da die ganze Zeit in der Messe? Immer mehr Menschen haben keine Ahnung, was in der Eucharistiefeier geschieht und vor allem wie sie sich verhalten sollten. Andrea Schwarz führt deshalb in 15 Schritten in diese Form des Gottesdienstes ein. Das Buch gibt leicht verständlich Auskunft über den Ablauf, aber auch über Kirchenraum, Personen und Glaubensinhalte. Eine fundierte Darstellung, spannend und lebendig geschrieben, die die nächste Messfeier ganz anders erleben lässt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 199

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Andrea Schwarz

Die Messe verstehen

in 15 Schritten

 

 

 

 

Durchgesehene und aktualisierte Neuausgabe 2019

 

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2007

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

 

Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand, Stefan Weigand

Umschlagmotiv: © MKucova/iStock/GettyImages

 

Wenn nicht anders angegeben, so sind die Bibeltexte entnommen aus:

 

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe

© 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

 

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

 

ISBN E-Book 978-3-451-81559-1

ISBN Print 978-3-451-37548-4

Zehn mögliche Gründe, dieses Buch nicht zu kaufen:

• Gottesdienste kenne ich aus meiner Kindheit – das reicht. • Kirche, Glaube, Gott – das ist doch altmodisch. Damit will ich mich nicht abgeben.• Das muss ich alles nicht wissen – und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass ich zu Jörg Pilawa eingeladen werde.• Was würde denn der Buchhändler denken, wenn ich so ein Buch kaufen würde?• Ich habe sowieso keine Zeit zum Lesen.• Was interessiert mich der Gottesdienst am Sonntag? Da hab ich Wichtigeres zu tun.• Das ist was für alte Leute.• Was soll denn das Ganze mit katholisch und evangelisch? Wir glauben eh alle an den gleichen Gott.• Beten kann ich auch im Wald.• Für das Geld geh ich lieber ins Kino.

Der einzige Grund, dieses Buch zu kaufen:

• Vielleicht hat Gottesdienst doch irgendwas mit Ihnen und dem Leben zu tun?

Vorbemerkung

Lieber Leser, liebe Leserin,

ja, es gibt sie noch … die katholische Kirche. Sogar mit steigender Tendenz. Auch wenn hier in Deutschland der Trend ein wenig rückläufig ist, so wächst sie doch in anderen Ländern der Erde – weltweit hat die Zahl ihrer Mitglieder laut offiziellen Quellen von 2008 bis 2018 um 11,4 Prozent auf 1,299 Milliarden Menschen zugenommen.

Einiges hat sich in den letzten Jahren getan: Papst Franziskus, seit 2013 im Amt, hat sich als Sympathieträger erwiesen und als Anwalt der Armen und Zukurzgekommenen. Die Enthüllungen in verschiedenen Ländern um sexuellen Missbrauch, auch in der Kirche, haben Fragen nach der Glaubwürdigkeit kirchlicher Vertreter aufgeworfen. In Deutschland führt der Mangel an Priestern zu immer größeren Pfarreiengemeinschaften und Pastoralverbünden – und zunehmend zur Leitung von Gemeinden und Gottesdiensten durch Laien, also »Nicht-Priestern«.

Auch wenn in Mitteleuropa die Zahlen der Gottesdienstteilnehmer*innen und der Priester, die einer Eucharistiefeier vorstehen können, kleiner werden: Immer noch ist die Prägung von Kultur, Kunst, Gesellschaft, Politik und vor allem der Menschen durch den christlichen Glauben spürbar – das zeigen auch die aktuellen Diskussionen zum Beispiel über Kreuze in öffentlichen Gebäuden oder den Bau von Moscheen, in denen man sich auf eine christliche Grundhaltung beruft.

Viel ist in Bewegung, gesellschaftliche und religiöse Landschaften verändern sich …

… aber immer noch wird tagtäglich in Zehntausenden von Gemeinden weltweit die heilige Messe gefeiert, im Kölner Dom genauso wie in einer Wellblechhütte in Sambia. Und das seit fast zweitausend Jahren …

Das allein könnte ein Grund sein – finde ich jedenfalls – sich ein wenig näher damit zu befassen. Was ist das eigentlich genau – und was feiern die Katholiken da? Denn wenn etwas so lange Zeit überlebt hat, könnte es ja doch irgendwie interessant sein und etwas mit den Menschen zu tun haben …

Deshalb lade ich Sie mit diesem Buch zu einer Entdeckungstour durch die heilige Messe ein. Und bevor ich falsch verstanden werde: Nein, mein Ziel ist nicht, dass Sie anschließend begeistert jeden Sonntag an einer heiligen Messe teilnehmen. Ich möchte, dass Sie eine Ahnung davon bekommen, was diese Feier der Eucharistie für uns Katholiken bedeutet und warum sie uns wichtig ist.

Deshalb ist dieses Buch auch für »Anfänger« geschrieben. Bücher für »Fortgeschrittene« gibt es zu diesem Thema genug – Bücher für »Anfänger« wenige. Ich habe mich bemüht, das katholische Verständnis der Eucharistiefeier den Menschen nahezubringen, die damit noch nie oder nur wenig zu tun hatten.

Aber eine Warnung will ich noch aussprechen, bevor Sie weiterblättern: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Seelsorger*innen oder Priester. Denn Gottesdienst und heilige Messe haben wirklich etwas mit dem Leben zu tun, mit unserem Leben als Menschen, mit meinem Leben – und eigentlich auch mit Ihrem …

Dieses Buch erschien erstmals 2007 und war dann einige Jahre vergriffen. Aber immer wieder wurde beim Verlag und bei mir danach gefragt. Ich bin dem Verlag Herder sehr dankbar, dass er sich bereit erklärt hat, eine Neuauflage zu veröffentlichen – und so hat es sich angeboten, das Manuskript gleichzeitig behutsam auf einen »aktuellen Stand« zu bringen, denn (zum Glück?) hat sich in den letzten Jahren ja doch das eine oder andere verändert.

Was gleich bleibt, ist die Einladung dazu, etwas mehr von dem zu verstehen, was wir Katholiken da eigentlich feiern und machen und tun. Und zu Einladungen kann man »Ja« oder »Nein« sagen … aber ich wollte Sie wenigstens eingeladen haben.

Andrea Schwarz

PS: Und ich danke immer noch Ingrid, Hermann und Tim, Uli und Rainer und vor allem Angelo, die vor über zehn Jahren mitgeholfen haben, dass das Buch so wurde, wie es jetzt, leicht überarbeitet, vor Ihnen liegt.

Gut – Sie sind also neugierig und interessiert und wollen ein bisschen mehr wissen über den katholischen Gottesdienst. Herzlich willkommen!

Manchen mögen einige Sachinformationen schon reichen, um sich vielleicht beim nächsten Gottesdienst anlässlich der Trauung eines Freundes ein wenig sicherer zu fühlen. Andere wollen mehr darüber wissen, was wir Katholiken mit dieser Feier verbinden und was sie uns bedeutet. Und wieder andere mögen einen Gottesdienst erlebt haben, sind irgendwie davon angesprochen worden und wollen jetzt mehr über den Ablauf und das, »was man da macht«, erfahren.

Aus diesem Grund besteht das Buch aus mehreren Teilen. Und je nachdem, was Sie wissen möchten, fangen Sie einfach dort an, wo es Sie interessiert.

Aber wenn Sie nicht nur an kurzen, lexikonartigen Erklärungen zu einzelnen Elementen der heiligen Messe interessiert sind, würde ich Ihnen schon empfehlen, den Weg Schritt für Schritt mitzugehen, zu dem ich Sie in diesem Buch einlade. Denn eine Kirche ist für Sie möglicherweise ein eher ungewohnter Raum – und in einem Raum, der einem fremd ist, auch noch etwas »Ungewohntes« zu erleben, nicht zu wissen, was man wann tut und wie man sich am besten verhält – das ist des Fremden nun wirklich zu viel.

Deswegen möchte ich Sie in einem ersten Teil einladen, sich zuallererst mit dem Raum vertraut zu machen, in dem wir Gottesdienst feiern. Wer einen Raum kennt, bewegt sich sicherer darin. Und wer sicherer ist, kann wiederum eher seine Aufmerksamkeit auf »Abläufe« richten. Dann gibt es ein paar grundlegende Dinge, denen Sie in katholischen Gottesdiensten begegnen werden. Und auch hier gilt: Wenn ich darum im Vorfeld weiß, irritiert es mich nicht mehr, wenn ich es erlebe. Deshalb der zweite Teil, in dem all das erklärt wird, was und wer Ihnen in einem katholischen Gottesdienst begegnen wird.

Mit den Vorinformationen sind Sie eigentlich hervorragend ausgestattet, einmal bei einer heiligen Messe dabei zu sein: Gehen wir doch einfach miteinander hinein! Der dritte Teil stellt Ihnen die Elemente der heiligen Messe vor und will ein »roter Faden« durch das Geschehen des Gottesdienstes sein.

Natürlich bleiben einige Einzelfragen offen: Was bedeutet uns Katholiken das Geschehen in der Messe – und warum eigentlich nicht mit den Evangelischen zusammen? Darauf versucht der vierte Teil einzugehen.

Und natürlich gibt es noch ein paar Gedanken, Empfehlungen, Hinweise, wie es denn weitergehen könnte – das ist dann Teil fünf.

Damit ergibt sich jetzt ganz einfach folgendes Inhaltsverzeichnis:

Inhalt

Vorbemerkung

Teil 1: Wo?

1 Eine Kirche wahrnehmen – dem Heiligen einen Ort geben

2 Einfach mal hineingehen – mich im Heiligen wahrnehmen

3 Was Sie in einer katholischen Kirche finden werden

Teil 2: Was und wer?

4 Was Sie in katholischen Gottesdiensten erleben werden

5 Manches hat sich auch geändert – vom Lateinischen und der Liturgiereform

6 Wem Sie in einem katholischen Gottesdienst begegnen werden

Teil 3: Wie?

7 Vor dem ersten Mal – praktische Hinweise

8 Die »Programmübersicht«

9 Der Ablauf der heiligen Messe

Teil 4: Wozu und warum?

10 Von der heilenden Kraft der Verwandlung – was Katholiken glauben

11 Warum man die heilige Messe nicht alleine feiern kann und Gebeten im Wald doch etwas fehlt

12 Und warum nicht mit den Evangelischen zusammen?

Teil 5: Und jetzt?

13 Wie es weitergehen könnte …

14 Wer oder was könnte weiterhelfen?

15 Geheimnis des Glaubens – von der Schönheit der Liturgie – eine Liebeserklärung

Interessante Links

Quellennachweise

Über die Autorin

Teil 1: Wo?

1 Eine Kirche wahrnehmen – dem Heiligen einen Ort geben

Kirchengebäude sind oft so selbstverständlich in unserem Stadtbild integriert, dass wir sie manchmal gar nicht mehr wahrnehmen. Sie gehören dazu – aber man denkt nicht mehr über sie nach. Zugegeben – der Kölner Dom ist eine der wenigen Ausnahmen. Man kommt aus der U-Bahn und vor einem erhebt sich ein Kirchenbau, der einem fast den Atem nimmt. Man steigt nichts ahnend aus dem Zug, schlendert ein wenig umher, weil der Anschlusszug Verspätung hat, und fast automatisch wird der Blick in die Höhe gezogen.

Die vielen Kirchen in unseren Städten und Dörfern führen oft ein nicht ganz so spektakuläres Dasein, und doch könnte ihre wichtigste Aufgabe vielleicht gerade darin bestehen, dass sie einfach da sind, dass da ein »Raum« ist − und sie einen entsprechenden Raum einnehmen. Eine kleine romanische Kirche mit ihren klaren Formen oder ein großer gotischer Dom haben es da manchmal leichter als eine Betonkirche aus den Fünfzigerjahren – und doch: Die Idee ist bei allen Kirchen gleich. Man will dem »Heiligen« einen Ort geben, mitten im Leben der Menschen. Und das werden Sie in allen Religionen, in allen Kulturen und zu allen Zeiten quer über die ganze Erde finden – »Räume für das Heilige«. Menschen haben schon immer Tempel für das »Heilige« in ihrem Leben gebaut. Jede Zeit, jede Kultur sucht ihren eigenen Ausdruck dafür – manches verstehen wir heute nicht mehr, gefällt uns nicht so arg – und doch soll etwas zum Ausdruck gebracht werden.

Suchen Sie sich für diesen ersten Schritt eine katholische Kirche in Ihrer Nähe – egal, ob alt oder neu, ob romanisch oder »Beton-Art« der Fünfzigerjahre. Es geht im Moment nicht um »künstlerisch wertvoll«, sondern um die Idee. Und nehmen Sie sich eine halbe Stunde Zeit.

Ach so – Sie sind unsicher, ob diese Kirche katholisch oder evangelisch ist, an der Sie jeden Tag vorbeilaufen (ganz zu schweigen von altkatholischen, freikirchlichen und sonstigen Varianten – aber das ist schon eher die Lektion für Fortgeschrittene …)? Für diesen Fall ein ganz praktischer Tipp: Suchen Sie den dazugehörigen Schaukasten, der mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwo steht oder hängt und zu dieser Kirche dazugehört. Aus den dort in der Regel ausgehängten Informationen können Sie meistens erkennen, zu welcher Konfession diese Kirche gehört. Spätestens wenn Sie auf das Wort »Abendmahlsfeier« stoßen, wissen Sie, dass es eine evangelische Kirche ist, beim Wort »heilige Messe« oder »Eucharistiefeier« sind Sie bei einer katholischen Kirche gelandet. Warum das so ist, erkläre ich Ihnen gerne später (S. 81/82) – nehmen Sie es im Moment einfach als untrügliches Erkennungszeichen.

Also, Sie haben eine katholische Kirche gefunden, und Sie haben eine halbe Stunde Zeit. Es mag sein, dass Sie an dieser Kirche schon Hunderte Male vorbeigegangen sind, ohne sie bewusst wahrzunehmen. Bleiben Sie heute einmal im größtmöglichen Abstand vor dieser Kirche stehen und schauen Sie sie einfach an. Um diese Kirche herum dürfte wahrscheinlich das Alltagsleben pulsieren – Menschen gehen vorbei, Jugendliche sitzen vielleicht auf den Stufen, rauchen, trinken. Eventuell ist ein Skateboard-Fahrer auf dem Vorplatz zugange – und da kommt jemand und schimpft ihn weg. Vielleicht ist es aber auch eine kleine Dorfkirche an Ihrem Ferienort, wo Sie zufällig dieses Buch lesen – und da ist diese Kirche und ein Kirchhof, vielleicht mit alten Gräbern, ein Ort, der eine gewisse Ruhe ausstrahlt. Kirchen können sehr verschieden sein – ihnen gemeinsam ist, dass sie eine Idee zum Ausdruck bringen wollen.

Deshalb: Nehmen Sie einmal bewusst wahr, dass es da, mitten im Leben, einen eigenen Ort für das »Heilige« gibt. Dass es Menschen gab und gibt, die sehr bewusst einen Raum für ihren Gott bauen. Dass inmitten all der Wohnhäuser und Geschäftsräume und Bauernhöfe ein Gebäude steht, das keinem anderen Zweck dient, als Gott zu gehören. Da gibt es eine Art von Tempel mitten im 21. Jahrhundert. Da werden uralte Kirchen mit viel Geld erhalten – und, allerdings eher selten, Kirchen in neuen Wohngebieten erbaut. Da gibt es den Luxus, Hunderte von Quadratmetern wertvollen Raum, eventuell mitten in der Innenstadt, nicht zu verkaufen, sondern Gott zu geben. Und wofür? Für ein paar Gottesdienste mit einer Anzahl von Menschen, die durchaus noch zählbar ist?

Die spinnen, die Christen. Der Kosten-Nutzen-Faktor einer Kirche ergibt ein Ergebnis, das jedem Betriebswirtschaftler die Haare zu Berge stehen lässt.

Ja, ich kann ein solches Denken verstehen. Aber spinnen wir wirklich? Könnte es nicht vielleicht doch wichtig sein, einen Raum in unserem Leben für das Heilige zu reservieren? Für das, was dem Menschen eine Würde gibt und seiner Sehnsucht einen Ort?

Ich glaube, jeder von uns kennt das eigentlich gut, dass sich manche Dinge einem herkömmlichen Kosten-Nutzen-Denken vollkommen entziehen. Eine brennende Kerze hat heute eigentlich keinen großen Nutzwert mehr; in der Regel kann man einfach einen Lichtschalter drücken und es wird hell. Und doch: Wenn es dunkel wird, zünden viele Menschen Kerzen an – »nur« weil es eben schön ist, weil es Stimmung verbreitet. Man verschenkt einen Strauß Blumen, obwohl man weiß, dass er in einer Woche verwelkt – einfach als Zeichen. Und jemand, der frisch verliebt ist, der setzt jegliches Denken in diese Richtung sowieso außer Kraft.

Menschen, die Kirchen gebaut haben, waren und sind Menschen, die in den Gott verliebt sind, an den wir glauben, und die dieser Liebe mit dem Bau Ausdruck verleihen wollen. Jedes Kirchengebäude ist deshalb zuerst einmal eine »Idee«. Wenn man von dieser Idee keine Notiz nimmt, dann werden wir auch eine Kirche nicht verstehen. Und erst recht nicht das, was dort gefeiert wird.

Es ist eine Idee, die zum Leben einladen will. Die Werbung verkauft uns genug, womit es sich nicht auf Dauer leben lässt. Eine Kirche aber will kein »Event« sein und auch kein Museum oder Theatersaal − auch wenn sie manchmal dazu gemacht oder als solches benutzt wird. Für uns Christen ist eine Kirche das »Haus Gottes unter den Menschen«.

Eine alte Geschichte erzählt es sinngemäß so: Handwerker, die am Bau einer Kathedrale mitarbeiteten wurden gefragt, was sie da machen. Der Erste gab Auskunft: Ich haue den Stein für eine Türschwelle. Ein anderer antwortete: Ich haue einen Stein für einen Pfeiler. Der Dritte aber sagte: Ich baue eine Kirche. − Es geht um eine Idee, die Ausdruck findet in vielen Details; aber die Details sind nicht die Idee.

Meine Empfehlung an Sie heißt: Schauen Sie sich diese Kirche heute nur aus der Entfernung an, gehen Sie nicht in diese Kirche hinein. Umkreisen Sie sie. Nehmen Sie sie einfach wahr, den Raum, den sie einnimmt, die Idee, der sie Ausdruck verleihen will. Ein abgegrenzter Raum, ein »heiliger Bezirk«. Und gönnen Sie sich diese halbe Stunde – keine Minute weniger!

Falls Sie möchten, können Sie ja mal überlegen, ob es in Ihrem Leben »heilige Orte« gibt, Orte, mit denen Sie etwas verbinden, das Ihnen sehr wichtig ist? Orte, an denen Sie etwas Besonderes erlebt haben? Was hat diese Orte für Sie wichtig gemacht? Und wie gehen Sie damit um?

Und denken Sie dran: Sie haben eine halbe Stunde Zeit!

PS: Natürlich können Sie diesen Schritt ebenso mit einer evangelischen oder altkatholischen Kirche und auch mit einer Moschee oder der Trauerkapelle auf dem Friedhof machen – aber da die nächsten Schritte auf diesem aufbauen, wäre es schon gut, wenn es in diesem Fall eine katholische Kirche wäre.

Die Kirchen sind nicht nützlich

nicht praktisch,

verlangen nicht nach unmittelbarer Aktion

und erfordern keine schnelle Antwort.

Sie sind Räume ohne laute Geräusche,

ungezügelte Bewegungen oder

ungeduldige Gesten.

Sie sind stille Räume,

die meiste Zeit seltsam leer.

Sie sprechen eine andere Sprache

als die Welt um sie herum.

Sie möchten kein Museum sein.

Sie möchten uns einladen,

still zu sein,

zu sitzen oder zu knien,

aufmerksam zuhören

und mit unserem ganzen Wesen

auszuruhen.

Eine Stadt ohne

sorgsam gehütete leere Räume,

in denen die Stille,

aus der alle Worte erwachsen,

zu spüren ist,

die Stille, die zu Taten ermuntert,

eine solche Stadt ist in Gefahr,

ihren wahren Mittelpunkt zu verlieren.

Henri Nouwen

2 Einfach mal hineingehen – mich im Heiligen wahrnehmen

Für den zweiten Schritt brauchen Sie wiederum eine halbe Stunde Zeit – und eventuell ein kurzes Telefonat vorneweg.

Denn es gibt zwei Möglichkeiten, mit wichtigen »Ideen« umzugehen: Man kann andere dazu einladen – oder man meint, die »Ideen« schützen zu müssen.

Und demzufolge können Kirchen offen sein – oder verschlossen. Offen sind Kirchen in der Regel dann, wenn es sich um bedeutsame Kulturdenkmäler handelt; aber das trifft bei der kleinen Dorfkirche oder der »Beton-Art«-Kirche des 20. Jahrhunderts ja nicht unbedingt immer zu. Diese Kirchen sind dann offen, wenn sich der Pfarrer oder die Gemeinde dazu bewusst entschieden haben, weil sie möchten, dass dieser »heilige Raum« allen, die es möchten, auch tagsüber offen steht: Damit man ein Gebet sprechen, eine Kerze anzünden kann oder um sich aus dem Alltagstrubel einfach für ein paar Minuten in die Stille der Kirche zurückzuziehen.

Verschlossen sind Kirchen eher dann, wenn man Sorge hat, dass jemand diesen »heiligen Raum« nicht achtet, nicht ehrfürchtig damit umgeht. Vandalismus macht leider auch vor solchen Räumen nicht halt, und so mag es Umstände geben, die dazu geführt haben, dass sich eine Gemeinde mit Bedauern dazu entscheiden muss, eine Kirche verschlossen zu halten.

Deshalb lohnt sich vorneweg ein kurzer Anruf im Pfarrbüro, wie es denn bei der konkreten Kirche gehandhabt wird. Übrigens: Im Telefonbuch finden Sie die Nummern in der Regel unter »Kirchen, katholische« – bevor Sie lange he­rumsuchen. In größeren Orten, wo es mehrere Kirchen gibt, ist es hilfreich, wenn Sie den Namen der Kirche wissen, »St. Elisabeth« zum Beispiel oder »Maria Hilf«. Den finden Sie in der Regel wiederum auf dem Schaukasten an der Kirche. Natürlich können Sie auch im Internet auf die Suche gehen, fast alle Gemeinden (bzw. Pfarreigemeinschaften oder Gemeindeverbünde) haben heute eine Homepage. Auch dort lassen sich durchaus die Telefonnummer des Pfarrbüros und idealerweise sogar die Bürozeiten herausfinden.

Denn auch unsere Pfarrbüros sind nicht rund um die Uhr persönlich besetzt. Aber zumindest sollte Sie eine nette Stimme auf dem Anrufbeantworter nach Ihrem Anliegen fragen. Und dann sprechen Sie es einfach auf Band und bitten um Rückruf. Normalerweise freut man sich in den Pfarrgemeinden über jeden, der danach fragt, ob die Kirche offen ist – und erklärt auch gerne, wie man an einen Schlüssel kommt, wenn die Kirche denn doch abgeschlossen sein sollte.

Aber diese Schwierigkeiten haben wir jetzt alle aus dem Weg geräumt – und Sie stehen vor der Kirche. Sie haben den Schlüssel oder wissen, welche Tür offen ist. Warten Sie noch einen Moment!

Bevor Sie in die Kirche hineingehen, halten Sie einfach noch mal inne. Nehmen Sie wahr, dass Sie von einem »Außen«, in dem die Welt regiert, in ein »Innen« eintreten, einen Bereich, der Gott gehört. Gehen Sie bewusst in diesen Raum hinein und nehmen Sie einfach wahr, was sich bei Ihnen in diesem Moment tut. Jede Tür steht für einen Übergang von einem in einen anderen Bereich – auch eine Kirchentür.

Und noch eine Bitte: Sie betreten einen Raum, der für manche Menschen »heilig« ist, etwas Besonderes. Sie müssen diese Überzeugung nicht unbedingt teilen – aber man geht sorgsam mit dem um, was anderen Menschen »heilig« ist. Sie stapfen ja auch nicht ungefragt im Vorgarten Ihres Nachbarn herum. Mit dem Eintritt in diese Kirche betreten Sie einen Raum, der anderen Menschen viel bedeutet. Und da ist es eigentlich selbstverständlich, dass man dem zumindest mit Achtung begegnet.

Diese Selbstverständlichkeit ist leider oft keine Selbstverständlichkeit mehr. Deswegen stehen manchmal in Kirchen, die von vielen Touristen besucht werden, im Eingangsbereich Schilder, die darum bitten, nicht zu rauchen, kein Eis mitzubringen, möglichst leise zu sein.

Aber solche Bitten gelten natürlich nicht nur in den »großen Kirchen«, sondern auch in den »kleinen«, eher unscheinbaren. Die Idee ist dieselbe: Es ist ein heiliger Raum.

Deshalb: Schalten Sie bitte auch Ihr Handy aus. In einem Raum, der Gott »gehört«, haben »Anrufe«, die nicht von Gott kommen, eigentlich keinen Platz.

Übrigens, nur so als Tipp: In geschlossenen Räumen nehmen Männer ihre Kopfbedeckung ab – Frauen dürfen sie aufbehalten. Das ist keine Erfindung der katholischen Kirche, sondern das ist ein sehr alter Brauch, der auch vom alten Freiherrn von Knigge schon empfohlen wird. Aber gelten tut das natürlich auch für eine Kirche …

Und aus anderen Kontexten kennen wir das ja auch. Wenn Sie zu einem Gespräch mit Ihrem Chef gebeten werden, gehen Sie auch nicht mit der brennenden Zigarette, dem Eis in der Hand oder in Shorts hin oder telefonieren gleichzeitig mit dem Handy.

Vielleicht wäre das wirklich die einfachste Regel: Eine Kirche ist ein Ort Gottes. Gott aber steht für uns Christen über den Menschen. Und dann geht man eben so dahin, wie man auch zu seinem Chef gehen würde. Und auch, wenn Sie diesen Glauben nicht unbedingt teilen, wäre es schön, wenn Sie ihn respektieren.

Gehen Sie jetzt einfach einmal in diesen heiligen Raum hinein und lassen ihn auf sich wirken. Schauen Sie sich um, setzen Sie sich eventuell hin – und nehmen Sie einfach nur wahr. Was sehen Sie, was hören Sie? Was gibt es da alles? Sie müssen von all dem, was es da gibt, im Moment überhaupt nichts verstehen – nehmen Sie einfach nur wahr. Ein heiliger Raum …

Man erlebt sich in einem anderen Raum. Alles ist irgendwie größer und weiter – und manchmal auch höher, je nach Kirche. Wenn man sich in solch einen Raum hineinbegibt, hineinstellt, dann wird man irgendwie selbst »geweitet«. Man wird aus der Enge der eigenen 3-Zimmer-Wohnung mit hineingenommen in einen Raum, in dem man atmen, in dem man leben kann. Und dieses Erlebnis des Raumes ist eine erste Rückmeldung, was Christen mit ihrem Glauben verbinden – er macht frei. Er schenkt einen Raum, der es möglich macht, sich dem anderen zu öffnen.

Und jetzt möchte ich Sie nur noch dazu einladen, einfach ruhig zu werden und sich selbst in diesem Kirchenraum wahrzunehmen. Bleiben Sie irgendwo stehen und nehmen Sie den Raum in sich auf. Oder setzen Sie sich in eine Bank und lassen Sie die Atmosphäre auf sich wirken. Gehen Sie umher und schauen Sie, ob es einen Platz in dieser Kirche gibt, an dem Sie gerne ein wenig verweilen möchten.

Irgendwie – der Alltag scheint ein bisschen weiter weg zu sein, der Lärm da draußen ein wenig leiser, Stille umfängt Sie. Es kann guttun, ganz alleine ein paar Minuten in einer Kirche für sich zu haben. Es ist ein »anderer Raum«, ein Raum, der »anders« ist. Es ist ein Raum, der einen daran erinnern kann, was wirklich wichtig ist. Wenn ich mich daran erinnern ­lassen will …

Und spätestens jetzt wird klar, dass der Kölner Dom durchaus Vor-, aber auch Nachteile hat – es ist ein beeindruckender Kirchenbau, aber Stille im Kölner Dom zu erleben, dürfte eher schwierig sein.

Sie können fast nichts falsch machen, wenn Sie den Raum mit Respekt und Ehrfurcht wahrnehmen – und den Altarraum nicht betreten. In vielen Kirchen sind dort Alarmanlagen installiert, auf die entsprechende Schilder hinweisen. Und den Ärger, wenn Sie diese Hinweise nicht beachten, können Sie sich getrost sparen.

Der Mensch betrachtet Dome und Kathedralen seit Langem als Kunstwerke. Wandelt unter ihren Spitzbögen, bestaunt Monstranzen, das geschnitzte Gestühl, ihre Kunstschätze. Und all das aufmerksam, höflich, vielleicht begeistert. Aber dann weht das Leben mit seinen Traurigkeiten, den Erfahrungen und mit Hoffnungslosigkeit darüber hin. Und eines Tages beginnen wir, die Alten – greise Männer, armselige alte Weib­lein – zu beneiden, die zum Beten, um ein Nickerchen zu machen oder auch nur, um sich in Erinnerungen zu verlieren, im Halbdunkel der Kirche einkehren und keinerlei Ahnung haben von den Kunstwerken, vor denen sie knien. Für sie wurden diese Kirchen gebaut. Ihre Ahnungslosigkeit ist der wahre Sinn einer Kathedrale.

Sándor Márai

3 Was Sie in einer katholischen Kirche finden werden