Die missbrauchten Liebesbriefe - Gottfried Keller - E-Book + Hörbuch

Die missbrauchten Liebesbriefe E-Book und Hörbuch

Gottfried Keller

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Gottfried Keller (19.07.1819–15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen. Null Papier Verlag

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Sprecher:Joachim Speidel

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Gottfried Keller

Die missbrauchten Liebesbriefe

Novelle

Gottfried Keller

Die missbrauchten Liebesbriefe

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-962812-87-4

null-papier.de/557

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Die miss­brauch­ten Lie­bes­brie­fe

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Die missbrauchten Liebesbriefe

Vik­tor Stör­te­ler, von den Seld­wy­lern nur Vig­gi Stör­te­ler ge­nannt, leb­te in be­hag­li­chen und or­dent­li­chen Um­stän­den, da er ein ein­träg­li­ches Spe­di­ti­ons- und Wa­ren­ge­schäft be­trieb und ein hüb­sches, ge­sun­des und gut­mü­ti­ges Weib­chen be­saß. Die­ses hat­te ihm au­ßer der sehr an­ge­neh­men Per­son ein ziem­li­ches Ver­mö­gen ge­bracht, wel­ches Grit­li von aus­wärts zu­ge­fal­len war, und sie leb­te zu­tu­lich und still bei ih­rem Man­ne. Ihr Geld aber war ihm sehr för­der­lich zur Aus­brei­tung sei­ner Ge­schäf­te, wel­chen er mit Fleiß und Um­sicht ob­lag, dass sie treff­lich ge­die­hen. Hie­bei schütz­te ihn eine Ei­gen­schaft, wel­che, sonst nicht lan­des­üb­lich, ihm einst­wei­len wohl zu­stat­ten kam. Er hat­te sei­ne Lehr­zeit und ei­ni­ge Jah­re dar­über näm­lich in ei­ner grö­ße­ren Stadt be­stan­den und war dort Mit­glied ei­nes Verei­nes jun­ger Comp­toiris­ten ge­we­sen, wel­cher sich wis­sen­schaft­li­che und äs­the­ti­sche Aus­bil­dung zur Auf­ga­be ge­stellt hat­te. Da die jun­gen Leu­te ganz sich selbst über­las­sen wa­ren, so über­nah­men sie sich und mach­ten al­ler­hand Dumm­hei­ten. Sie la­sen die schwers­ten Bü­cher und führ­ten eine ver­wor­re­ne Un­ter­hal­tung dar­über; sie spiel­ten auf ih­rem Thea­ter den Faust und den Wal­len­stein, den Ham­let, den Lear und den Na­than; sie mach­ten schwie­ri­ge Kon­zer­te und la­sen sich schreck­ba­re Auf­sät­ze vor, kurz, es gab nichts, an das sie sich nicht wag­ten.

Hie­von brach­te Vig­gi Stör­te­ler die Lie­be für Bil­dung und Be­le­sen­heit nach Seld­wy­la zu­rück; ver­mö­ge die­ser Nei­gung aber fühl­te er sich zu gut, die Sit­ten und Ge­bräu­che sei­ner Mit­bür­ger zu tei­len; viel­mehr schaff­te er sich Bü­cher an, abon­nier­te in al­len Leih­bi­blio­the­ken und Le­se­zir­keln der Haupt­stadt, hielt sich die »Gar­ten­lau­be« und un­ter­schrieb auf al­les, was in Lie­fe­run­gen er­schi­en, da hier ein fort­lau­fen­des, schön ver­teil­tes Stu­di­um ge­bo­ten wur­de. Da­mit hielt er sich in sei­ner Häus­lich­keit und zu­gleich sei­ne Um­stän­de vor Scha­den be­wahrt. Wenn er sei­ne Ta­ges­ge­schäf­te mun­ter und vor­sich­tig durch­ge­führt, so zün­de­te er sei­ne Pfei­fe an, ver­län­ger­te die Nase und setz­te sich hin­ter sei­nen Le­se­stoff, in wel­chem er mit großer Ge­wandt­heit her­um­fuhr. Aber er ging noch wei­ter. Bald schrieb er ver­schie­de­ne Ab­hand­lun­gen, wel­che er sei­ner Gat­tin als »Essays« be­zeich­ne­te, und er sag­te öf­ter, er glau­be, er sei sei­ner An­la­ge nach ein Essayist. Als je­doch sei­ne Essays von den Zeit­schrif­ten, an wel­che er sie sand­te, nicht ab­ge­druckt wur­den, be­gann er No­vel­len zu schrei­ben, die er un­ter dem Na­men »Kurt vom Wal­de« nach al­len mög­li­chen Sonn­tags­blätt­chen in­stra­dier­te. Hier ging es ihm bes­ser, die Sa­chen er­schie­nen wirk­lich fei­er­lich un­ter dem herr­li­chen Schrift­stel­ler­na­men in den ver­schie­dens­ten Ge­gen­den des Deut­schen Rei­ches, und bald be­gann hier ein Ro­de­rich vom Tale, dort ein Hugo von der In­sel und wie­der dort ein Gän­se­rich von der Wie­se einen ste­chen­den Schmerz zu emp­fin­den über den neu­en Ein­dring­ling. Auch kon­kur­rier­te er heim­lich bei al­len aus­ge­schrie­be­nen Preis­no­vel­len und ver­mehr­te hie­durch nicht we­nig die an­ge­neh­me Be­wegt­heit sei­nes ein­ge­zo­ge­nen Le­bens. Neu­en Auf­schwung ge­wann er stets auf sei­nen kür­ze­ren oder län­ge­ren Ge­schäfts­rei­sen, wo er dann in den Gast­hö­fen man­chen Ge­sin­nungs­ver­wand­ten traf, mit dem sich ein ge­bil­de­tes Wort spre­chen ließ; auch der Be­such der be­freun­de­ten Re­dak­ti­ons­stüb­chen in den ver­schie­de­nen Pro­vin­zen ge­währ­te ne­ben den Han­dels­ge­schäf­ten eine ge­bil­de­te Er­ho­lung, ob­gleich die­se hie und da eine Fla­sche Wein kos­te­te.

Ein Haup­ter­leb­nis fei­er­te er ei­nes Ta­ges an der abend­li­chen Wirts­ta­fel in ei­ner mitt­le­ren deut­schen Stadt, an wel­cher nebst ei­ni­gen al­ten Stamm­gäs­ten des Or­tes meh­re­re jun­ge Rei­sen­de sa­ßen. Die wür­di­gen al­ten Her­ren mit wei­ßen Haa­ren führ­ten ein ge­mäch­li­ches Ge­spräch über al­ler­lei Schrei­be­rei, spra­chen von Cer­van­tes, von Ra­be­lais, Ster­ne und Jean Paul so­wie von Goe­the und Tieck und prie­sen den Reiz, wel­chen das Ver­fol­gen der Kom­po­si­ti­ons­ge­heim­nis­se und des Sti­les ge­wäh­re, ohne dass die Freu­de an dem Vor­ge­tra­ge­nen selbst be­ein­träch­tigt wer­de. Sie stell­ten ein­läss­li­che Ver­glei­chun­gen an und such­ten den ro­ten Fa­den, der durch all der­glei­chen hin­durch­ge­he; bald lach­ten sie ein­träch­tig über ir­gend­ei­ne Erin­ne­rung, bald er­freu­ten sie sich mit erns­tem Ge­sicht über eine neu ge­fun­de­ne Schön­heit, al­les ohne Geräusch und Er­hit­zung, und end­lich, nach­dem der eine sei­nen Tee aus­ge­trun­ken, der an­de­re sein Schöpp­chen ge­leert, klopf­ten sie die lan­gen Ton­pfei­fen aus und be­ga­ben sich auf et­was gich­ti­schen Fü­ßen zu ih­rer Nachtru­he. Nur ei­ner setz­te sich un­be­ach­tet in eine Ecke, um noch die Zei­tung zu le­sen und ein Glas Punsch zu trin­ken.

Nun aber ent­wi­ckel­te sich un­ter den jün­ge­ren Gäs­ten, wel­che bis­lang hor­chend da­ge­s­es­sen hat­ten, das Ge­spräch. Ei­ner fing an mit ei­ner spöt­ti­schen Be­mer­kung über die alt­vä­te­rische Un­ter­hal­tung die­ser Al­ten, wel­che ge­wiss vor vier­zig Jah­ren ein­mal die Schön­geis­ter die­ses Nes­tes ge­spielt hät­ten. Die­se Be­mer­kung wur­de leb­haft auf­ge­nom­men, und in­dem ein Wort das an­de­re gab, ent­wi­ckel­te sich aber­mals ein Ge­spräch bel­le­tris­ti­scher Na­tur, aber von ganz an­de­rer Art. Von den ver­jähr­ten Ge­gen­stän­den je­ner Al­ten wuss­ten sie nicht viel zu be­rich­ten als das und je­nes ver­grif­fe­ne Schlag­wort aus schlech­ten Li­terar­ge­schich­ten; da­ge­gen ent­wi­ckel­te sich die aus­ge­brei­tets­te und ge­naues­te Kennt­nis in den täg­lich auf­tau­chen­den Er­schei­nun­gen leich­te­rer Art und al­ler der Per­so­nen und Per­sön­chen, wel­che sich auf den tau­send grau­en Blät­tern stünd­lich un­ter wun­der­ba­ren Na­men her­um­tum­meln. Es zeig­te sich bald, dass dies nicht sol­che Igno­ran­ten von al­ten Ge­richts­rä­ten und Pri­vat­ge­lehr­ten, son­dern Leu­te vom Hand­werk wa­ren. Denn es dau­er­te nicht lan­ge, so hör­te man nur noch die Wor­te Ho­no­rar, Ver­le­ger, Cli­que, Ko­te­rie und was noch mehr den Zorn sol­chen Vol­kes reizt und sei­ne Fan­ta­sie be­schäf­tigt. Schon tön­te und schwirr­te es, als ob zwan­zig Per­so­nen sprä­chen, die tücki­schen Äug­lein blin­ker­ten, und eine all­ge­mei­ne glor­rei­che Er­ken­nung konn­te nicht län­ger aus­blei­ben. Da ent­larv­te sich die­ser als Gui­do von Strahl­heim, je­ner als Os­kar Nord­s­tern, ein drit­ter als Ku­ni­bert vom Mee­re. Da zö­ger­te auch Vig­gi nicht län­ger, der bis­her we­nig ge­spro­chen, und wuss­te es mit ei­ni­ger Schüch­tern­heit ein­zu­lei­ten, dass er als Kurt vom Wal­de er­kannt wur­de. Er war von al­len ge­kannt, so wie er eben­so alle kann­te, denn die­se Her­ren, wel­che ein gu­tes Buch jahr­zehn­te­lang un­ge­le­sen lie­ßen, ver­schlan­gen al­les, was von ih­res­glei­chen kam, auf der Stel­le, es in al­len Kaf­fee­bu­den zu­sam­men­su­chend, und zwar nicht aus Teil­nah­me, son­dern aus ei­ner son­der­ba­ren Wach­sam­keit.

»Sie sind Kurt vom Wal­de?« hieß es dröh­nend, »ha! will­kom­men!« Und nun wur­den meh­re­re Fla­schen ei­nes un­ech­ten wohl­fei­len und sau­ren Wei­nes be­stellt, der bil­ligs­te un­ter Sie­gel, der im Hau­se war, und es hob erst recht ein ener­gi­sches Le­ben an. Nun galt es zu zei­gen, dass man Haa­re auf den Zäh­nen habe! Alle Män­ner, die es zu ir­gend­ei­nem Er­fol­ge ge­bracht und in die­sem Au­gen­bli­cke Hun­der­te von Mei­len ent­fernt viel­leicht schon den Schlaf der Ge­rech­ten schlie­fen, wur­den auf das gründ­lichs­te de­mo­liert; je­der woll­te die ge­naues­ten Nach­rich­ten von ih­rem Tun und Las­sen ha­ben, kei­ne Schand­tat gab es, die ih­nen nicht zu­ge­schrie­ben wur­de, und der Re­frain bei je­dem war schließ­lich ein tro­cken sein sol­len­des: »Er ist üb­ri­gens Jude!« Worauf es im Chor eben­so tro­cken hieß: »Ja, er soll ein Jude sein!«

Vig­gi Stör­te­ler rieb sich ent­zückt die Hän­de und dach­te: Da bist du ein­mal vor die rech­te Müh­le ge­kom­men! Ein Schrift­stel­ler un­ter Schrift­stel­lern! Ei! was das für ge­rie­be­ne Geis­ter sind! Wel­ches Ver­ständ­nis und welch sitt­li­cher Zorn!

In die­ser Nacht und bei die­sem Schwe­fel­wein ward nun, um der schlech­ten Welt vom Amte zu hel­fen und ein neu­es Mor­gen­rot her­bei­zu­füh­ren, die förm­li­che und fei­er­li­che Stif­tung ei­ner »neu­en Sturm- und Drang­pe­ri­ode« be­schlos­sen, und zwar mit plan­vol­ler Ab­sicht und Aus­füh­rung, um die­je­ni­ge Gä­rung künst­lich zu er­zeu­gen, aus wel­cher al­lein die Klas­si­ker der neu­en Zeit her­vor­ge­hen wür­den.

Als sie je­doch die­se ge­wal­ti­ge Ab­re­de ge­trof­fen, konn­ten sie nicht wei­ter, son­dern senk­ten als­bald ihre Häup­ter und muss­ten das La­ger su­chen; denn die­se Pro­phe­ten er­tru­gen nicht ein­mal gu­ten, ge­schwei­ge denn schlech­ten Wein und büß­ten jede klei­ne Aus­schrei­tung mit großer Ab­schwä­chung und Übel­keit.

Als sie ab­ge­zo­gen wa­ren, frag­te der alte Herr, wel­cher zu­rück­ge­blie­ben war und sich höch­lich an dem Trei­ben er­götzt hat­te, den Kell­ner, was das für Leu­te wä­ren? »Zwei da­von«, sag­te die­ser, »sind Ge­schäfts­rei­sen­de, ein Herr Stör­te­ler und ein Herr Hu­berl; der drit­te heißt Herr Stralau­er, doch nur den vier­ten kenn ich nä­her, der nennt sich Dr. Me­wes und hat sich ver­gan­ge­nen Win­ter ei­ni­ge Wo­chen hier auf­ge­hal­ten. Er gab im Tanz­saal beim Blau­en Hecht, wo ich da­mals war, Vor­le­sun­gen über deut­sche Li­te­ra­tur, wel­che er wört­lich ab­schrieb aus ei­nem Bu­che. Das­sel­be muss­te aus ir­gend­ei­ner Biblio­thek ge­stoh­len wor­den sein, dem Ein­ban­de nach zu ur­tei­len, und war ganz voll Eselsoh­ren, Tin­ten- und Öl­fle­cke. Au­ßer die­sem Bu­che be­saß er noch einen zer­zaus­ten Leit­fa­den zur fran­zö­si­schen Kon­ver­sa­ti­on und ein Kar­ten­spiel mit ob­szö­nen Bil­dern dar­in, wenn man es ge­gen das Licht hielt. Er pfleg­te je­nes Buch im Bett aus­zu­schrei­ben, um die Hei­zung zu spa­ren; da ver­schüt­te­te er schließ­lich das Tin­ten­fass über Stepp­de­cke und Lein­tuch, und als man ihm eine bil­li­ge Ent­schä­di­gung in die Rech­nung setz­te, droh­te er, den Blau­en Hecht in sei­nen Schrif­ten und ›Feuil­le­tons‹ in Ver­ruf zu brin­gen. Da er sonst al­ler­lei häss­li­che Ge­wohn­hei­ten an sich hat­te, wur­de er end­lich aus dem Hau­se ge­tan. Er schreibt üb­ri­gens un­ter dem Na­men Ku­ni­bert vom Mee­re al­ler­hand süß­li­che und nach­ge­ahm­te Sa­chen.«

»Was Teu­fel!« sag­te der Alte, »Ihr wisst ja wie ein Mann vom Hand­werk über die­se Din­ge zu re­den, Meis­ter Ge­org!« Der Kell­ner er­rö­te­te, stock­te ein we­nig und sag­te dann: »Ich will nur ge­ste­hen, dass ich selbst an­dert­halb Jah­re Schrift­stel­ler ge­we­sen bin!«

»Ei der Tau­send!« rief der Alte, »und was habt Ihr denn ge­schrie­ben?«

»Das weiß ich kaum gründ­lich zu be­rich­ten«, fuhr je­ner fort, »ich war Auf­wär­ter in ei­nem Kaf­fee­haus, wo sich eine An­zahl Leu­te von der Gat­tung un­se­rer heu­ti­gen Gäs­te bei­na­he den gan­zen Tag auf­hielt. Das lag her­um, fla­nier­te, rä­so­nier­te, durch­stö­ber­te die Zei­tun­gen, är­ger­te sich über frem­des Glück, freu­te sich über frem­des Un­glück und lief ge­le­gent­lich nach Hau­se, um im größ­ten Leicht­sinn schnell ein Dut­zend Sei­ten zu schmie­ren; denn da man nichts ge­lernt hat­te, so be­saß man auch kei­nen Be­griff von ir­gend­ei­ner Verant­wort­lich­keit. Ich wur­de bald ein Ver­trau­ter die­ser Her­ren, ihr Le­ben schi­en mir mei­ner dienst­ba­ren Stel­lung weit vor­zu­zie­hen, und ich wur­de eben­falls ein Schrift­stel­ler. Auf mei­ner Schlaf­kam­mer ver­barg ich einen Pack zer­le­se­ne Num­mern von fran­zö­si­schen Zei­tun­gen, die ich in den ver­schie­de­nen Wirt­schaf­ten ge­sam­melt, wo ich frü­her ge­dient hat­te, ur­sprüng­lich, um mich dar­in ein we­nig in die Spra­che hin­ein­zu­buch­sta­bie­ren, wie es ei­nem jun­gen Kell­ner ge­ziemt. Aus die­sen ver­schol­le­nen Blät­tern über­setz­te ich einen Misch­masch von Ge­schicht­chen und Ge­schwätz al­ler Art, auch über Per­sön­lich­kei­ten, die ich nicht im min­des­ten kann­te. Aus Un­kennt­nis der deut­schen Spra­che be­hielt ich nicht nur öf­ter die fran­zö­si­sche Wort- und Satz­stel­lung, son­dern auch alle mög­li­chen Gal­li­zis­men bei, und die Sal­ba­de­rei­en, wel­che ich aus mei­nem ei­ge­nen Ge­hir­ne hin­zu­füg­te, schrieb ich dann eben­falls in die­sem Kau­der­welsch, wel­ches ich für echt schrift­stel­le­risch hielt. Als ich ein Buch Pa­pier auf sol­che Wei­se über­schmiert hat­te, an­ver­trau­te ich es als ein Ori­gi­nal­werk mei­nen Her­ren und Freun­den, und sie­he, sie nah­men es mit al­ler Auf­mun­te­rung ent­ge­gen und wuss­ten es so­gleich zum Druck zu be­för­dern. Es ist et­was Ei­gen­tüm­li­ches um die schlech­ten Skri­ben­ten. Ob­gleich sie die un­ver­träg­lichs­ten und ge­häs­sigs­ten Leu­te von der Welt sind, so ha­ben sie doch eine un­über­wind­li­che Nei­gung, sich zu­sam­men­zu­tun und ins Mas­sen­haf­te zu ver­meh­ren, ge­wis­ser­ma­ßen um so einen me­cha­ni­schen Druck nach der obe­ren Schicht aus­zuü­ben. Mein Büch­lein wur­de so­fort als das sehr zu be­ach­ten­de Erst­lings­werk ei­nes geist­rei­chen jun­gen Au­tors ver­kün­det, wel­cher deut­sche Schär­fe des Ur­teils mit fran­zö­si­scher Ele­ganz ver­bin­de, was wohl von des­sen mehr­jäh­ri­gem Auf­ent­halt in Pa­ris her­rüh­re. Ich war näm­lich in der Tat ein hal­b­es Jahr in die­ser Stadt bei ei­nem deut­schen Gast­wirt ge­we­sen. Da un­ter dem über­setz­ten Zeu­ge meh­re­re pi­kan­te, aber ver­ges­se­ne An­ek­do­ten wa­ren, so zir­ku­lier­ten die­se, un­ter An­füh­rung mei­nes Bu­ches, als­bald durch eine Men­ge von Blät­tern. Ich hat­te mich auf dem Ti­tel Ge­or­ge d’Esan, wel­ches eine Um­keh­rung mei­nes ehr­li­chen Na­mens, Ge­org Nase ist, ge­nannt. Nun hieß es über­all: Ge­or­ge De­san in sei­nem in­ter­essan­ten Buch er­zählt fol­gen­den Zug von dem oder von je­nem, und ich wur­de da­durch so auf­ge­bla­sen und keck, dass ich auf der be­tre­te­nen Bahn ohne wei­tern Auf­ent­halt fort­rann­te wie eine ab­ge­schos­se­ne Ka­no­nen­ku­gel.«

»Aber zum Teu­fel!« sag­te jetzt der Alte, »was hat­tet Ihr denn nur für Schrei­be­stoff? Ihr konn­tet doch nicht im­mer von Eu­rem Pack al­ter Zei­tun­gen zeh­ren?«

»Nein! Ich hat­te eben kei­nen Stoff als so­zu­sa­gen das Schrei­ben selbst. In­dem ich Tin­te in die Fe­der nahm, schrieb ich über die­se Tin­te. Ich schrieb, kaum dass ich mich zum Schrift­stel­ler er­nannt sah, über die Wür­de, die Pf­lich­ten, Rech­te und Be­dürf­nis­se des Schrift­stel­ler­stan­des, über die Not­wen­dig­keit sei­nes Zu­sam­men­hal­tens ge­gen­über den an­dern Stän­den, ich schrieb über das Wort Schrift­stel­ler selbst, un­wis­send, dass es ein echt deut­sches und al­tes Wort ist, und trug auf des­sen Ab­schaf­fung an, in­dem ich an­de­re, wie ich mein­te, viel geist­rei­che­re und rich­ti­ge­re Be­nen­nun­gen aus­heck­te und zur Er­wä­gung vor­schlug, wie zum Bei­spiel Schrift­ner, Tin­te­rich, Schrift­mann, Buch­ner, Fe­der­künst­ler, Buch­meis­ter und so fort. Auch drang ich auf Ve­rei­ni­gung al­ler Schrei­ben­den, um die Ge­währ­leis­tung ei­nes schö­nen und si­chern Aus­kom­mens für je­den Teil­neh­mer zu er­zie­len, kurz, ich reg­te mit al­len die­sen Dumm­hei­ten einen er­heb­li­chen Staub auf und galt eine Zeit lang für einen Teu­fels­kerl un­ter den üb­ri­gen Schmier­pe­tern. Al­les und je­des be­zo­gen wir auf un­se­re Fra­ge und kehr­ten im­mer wie­der zu den ›In­ter­es­sen‹ der Schrift­stel­le­rei zu­rück. Ich schrieb, ob­gleich ich der un­be­le­sens­te Ge­sell von der Welt war, aus­schließ­lich nur über Schrift­stel­ler, ohne de­ren Cha­rak­ter aus ei­ge­ner An­schau­ung zu ken­nen, kom­po­nier­te ›ein Stünd­chen bei X.‹ oder ›ein Be­such bei N.‹ oder ›ei­ne Be­geg­nung mit P.‹ oder ›ei­nen Abend bei der Q.‹ und der­glei­chen mehr, was ich al­les mit un­säg­li­cher Na­se­weis­heit, Frech­heit und Kin­de­rei aus­stat­te­te. Über­dies be­trieb ich eine rüh­ri­ge In­dus­trie mit so­ge­nann­ten ›Mit­ge­teilts‹ nach al­len Ecken und En­den hin, in­dem ich al­ler­lei Neu­ig­keits­kram und Klatsch ver­brei­te­te. Wenn ge­ra­de nichts aus der Ge­gen­wart vor­han­den war, so über­setz­te ich die Se­sen­hei­mer Idyl­le wohl zum zwan­zigs­ten Male aus Goe­thes schö­ner Spra­che in mei­nen ge­mei­nen Jar­gon und sand­te sie als neue For­schung in ir­gend­ein Win­kel­blätt­chen. Auch zog ich aus be­kann­ten Au­to­ren sol­che Stel­len, über wel­che man in letz­ter Zeit we­nig ge­spro­chen hat­te, we­nigs­tens nicht mei­nes Wis­sens, und ließ sie mit ei­ni­gen al­ber­nen Be­mer­kun­gen als Ent­de­ckung her­um­ge­hen. Oder ich schrieb wohl aus ei­nem eben her­aus­ge­kom­me­nen Ban­de einen Brief, ein Ge­dicht aus und setz­te es als hand­schrift­li­che Mit­tei­lung in Um­lauf, und ich hat­te im­mer die Ge­nug­tu­ung, das Ding mun­ter durch die gan­ze Pres­se zir­ku­lie­ren zu se­hen. Ins­be­son­de­re ge­währ­te mir der Dich­ter Hei­ne die fet­tes­te Nah­rung; ich ge­dieh an sei­nem Kran­ken­bet­te förm­lich wie die Rübe im Mist­bee­te.«