Die Münchner Fetisch-Fabrik - Larissa Herrmann - E-Book

Die Münchner Fetisch-Fabrik E-Book

Larissa Herrmann

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Beschreibung

Die schüchterne Laura hat nach langer Suche endlich eine WG in München gefunden. Ihre Mitbewohnerin Veronika lebt vollkommen über ihre Verhältnisse. So kommt es, dass die junge Frau früh in Zahlungsnot gerät. Laura muss ihr aushelfen. Doch durch einen Zufall kommt Vroni auf eine Idee: Sie produziert zusammen mit ihrer neuen Mitbewohnerin Fetischvideos und verkauft diese im Internet. Die treue, aber unsichere Laura soll dabei als Model herhalten. Widerwillig nimmt Laura das Angebot an. Schon bald bekommt Laura ein Problem: Ein One-Night-Stand will sie mit ihrem schrägen Hobby erpressen. Doch auch der junge Mann hat einige Leichen im Keller.

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Seitenzahl: 222

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 1

Keuchend trug Joachim die letzte Kiste von unserem kleinen Polo in mein neues WG-Zimmer. Er schmiss sie auf den Boden, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sagte schnippisch zu mir: „So Schwesterchen. Ab jetzt musst du alleine klarkommen.“

„Keine Sorge“, antwortete ich, „ich bin mir sicher, dass ich auch ohne dich super zurechtkomme.

Joachim lachte und holte sein Papier und Tabak heraus. Er nahm eine Fingerspitze Tabak und rollte sie in das Papier ein. Vorsichtig schaute er zu mir hoch. Ich stand verunsichert neben dem Bett und beobachtete meinen Bruder, wie er eine fertig gerollte Zigarette in seinen Mund steckte. Er packte sein Papier und das Päckchen mit dem Tabak in die Innentasche seiner Jacke zurück.

„Willst du etwa in meinem neuen Zimmer rauchen?“, fragte ich ihn verunsichert.

Joachim lachte und fingerte in seiner anderen Jackentasche, um sein Feuerzeug herauszuziehen.

„Nein, nein, nein.“, schimpfte ich und versuchte ihm das Feuerzeug aus der Hand zu nehmen, „das hast du schonmal in meinem Zimmer gemacht und Mama dachte, ich fange jetzt auch noch an zu rauchen. Ich will nicht, dass meine neue Mitbewohnerin gleich ein schlechtes Bild von mir hat.“

Joachim schubste mich auf mein Bett und lachte mehr.

„Versuchst du etwa, mich mit Gewalt aufzuhalten? – Keine Sorge, Schwesterchen, ich kann mich noch beherrschen.“

Er steckte das Feuerzeug zurück in seine Jackentasche und schob sich die Zigarette hinters Ohr. Ich wusste, dass er nur Spaß machte, aber ich wusste auch, wie unberechenbar mein großer Bruder sein konnte. Einmal hat er mir aus dem Publikum während eines Volleyballspiels eine leere Plastikwasserflasche gegen den Kopf geworfen. Der Schiedsrichter ließ das Spiel ohne Wiederholung weiterlaufen. Natürlich kam in diesem Moment der Ball zu mir und ich versaute die Annahme. Meine Teamkolleginnen waren sauer. Immerhin ging es um was. Mit finsteren Minen starrten sie auf die Zuschauertribüne, während Joachims lautes Lachen durch die ganze Halle drang.

„Mach dir nichts draus, mein Bruder ist auch ein Trottel“, sagte eine Kameradin und schlug mir auf die linke Pobacke.

Eigentlich hatte ich jeden Grund, um meinen Bruder zu hassen. Aber irgendwie wusste ich, dass er mich insgeheim liebte. Nicht jeder Bruder kommt zu allen Spielen seiner nervigen kleinen Schwester und feuert sie an... oder wirft mit einer Wasserflasche nach ihr. Er gehörte zu den Menschen, die ihre Gefühle aber auch nicht gerne zeigten. Natürlich hatte er mich lieb, er würde es aber niemals zugeben.

Inzwischen hatte Joachim mein Zimmer verlassen und stand mit seiner angezündeten Zigarette vor der Haustür. Wenigstens habe ich ein paar Minuten Ruhe, dachte ich mir und öffnete einen Umzugskarton. In diesem Karton lag ein liebevoll gestaltetes Buch. Eine Feder war auf das Cover geklebt und ein Mannschaftsfoto von meinen Mädels und mir schmückte das Zentrum. Alle meine Freunde waren im Volleyballverein. Jetzt habe ich sie alle zurückgelassen. Mein Herz wurde schwer, während ich daran dachte, dass ich sie nicht mehr so regelmäßig werde sehen können. Aber ich wusste, dass ich sie trotzdem hin und wieder besuchen würde, wenn mein Studium mir nicht zu viel abverlangte. Oder Semesterferien – Ja, Semesterferien sind gut und lang. In den Semesterferien hat man genug Zeit, um seine alten Freunde in der Heimat zu besuchen. Ich beobachtete, wie mir eine Träne über die linke Wange lief. Prompt schaute ich nach oben. Hoffentlich hat Joachim das nicht mitbekommen.

Ich spähte aus dem Fenster. Mein Bruder stand zusammen mit meiner neuen Mitbewohnerin vor der Haustür und rauchte. Es musste schon mindestens seine zweite Zigarette sein. Ich beobachtete, wie er erneut ein Lachen auf den Lippen trug. Mein Bruder lachte dauernd und zu den unmöglichsten Zeiten. Meine Mitbewohnerin schien das auch bemerkt zu haben. Augenrollend schenkte sie ihm ein falsches Grinsen. Sie schmiss ihre Zigarette auf den Boden, trat sie aus und ging zurück ins Haus. Ich hörte wenige Minuten später, wie die Wohnungstür aufgerissen wurde. Meine Mitbewohnerin betrat die Wohnung. Nur zwei Schritte hinter ihr folgte mein Bruder.

Meine Mitbewohnerin steuerte auf mich zu und reichte mir die Hand.

„Hi, Kleines. Ich bin Veronika, aber meine Freunde nennen mich Vroni.“

„Hallo Vroni“, entgegnete ich.

„Habe ich gesagt, dass wir Freunde sind?“, grinste sie.

Verlegen schaute ich auf den Boden. Vroni lachte.

„Wir können Freunde werden.“ Sie lehnte sich vor und flüsterte mir zu: „Außer, du bist so wie dein Bruder. Dann ist das eher unwahrscheinlich.“

Ich konnte mir ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Was hatte Joachim jetzt wieder angestellt? Wollte er sich an meine Mitbewohnerin ranschmeißen? – Ich war mir sicher, das wollte er. Oh mein Gott. Ich traute mich gar nicht, mir auszumalen, was er gemacht hatte. Ob er von seiner aktiven Karriere als Fußballer erzählte oder was Schlimmeres. Er erzählte jeder Frau, die er kennenlernte, immer sofort von seiner vermeintlichen Sportlerkarriere. Oder ist er gleich in die Vollen gegangen und erzählte ihr von seiner erfolgreichen Reise durch sämtliche Betten in Dresden? – Eines muss man meinem Bruder aber neidlos lassen: Er schafft es immer, peinliche Situationen zu überspielen. Es interessiert ihn nicht, was andere Leute von ihm denken. Diese Denke habe ich leider nicht vererbt gekriegt. Ich zerbreche mir dauernd den Kopf darüber, was andere von mir halten.

Habe ich die richtigen Klamotten an? Sehe ich vielleicht zu „leicht“ aus? Liegen meine Haare richtig? War es klug, an dieser Stelle zu lachen? Habe ich sie oder ihn mit dieser Aussage beleidigt? Bla bla bla... Mein Kopf ist eine riesige Festplatte, die sich dauernd über meine Wirkung Gedanken macht. Ist Festplatte dafür die richtige Metapher? – Keine Ahnung

„Keine Sorge. Ich bin nicht wie mein Bruder. Ich bin im Prinzip das genaue Gegenteil.“

„Das genaue Gegenteil klingt gut.“, sagte Vroni. „Wenn du genau wie dein Bruder wärst, würde ich mich nicht mit dir abgeben wollen.“

„Das hast du jetzt aber ganz schön laut gesagt.“, sprach Joachim verwundert.

„Natürlich. Ich will ja auch, dass du weißt, was Sache ist.“

Ich schüttelte den Kopf und ging auf Joachim zu.

„Ich denke, du kannst mich jetzt echt alleine lassen, bevor du noch mehr Mist machst. Ich komme schon klar. Das bin ich immer.“

„Wie wäre es“, räusperte er sich, „mit einem kleinen ‚Dankeschön! Toll, dass du mich und meinen Krempel extra in meine neue WG gefahren hast‘?“

Ich lachte. Irgendwie war das süß. Ich mochte meinen großen Bruder, aber genau wie er war ich irgendwie nicht in der Lage, meine Gefühle ihm gegenüber auszudrücken. Wortlos öffnete ich meine Arme und ging weiter auf ihn zu.

„Danke, großer Bruder.“

Er öffnete seine Arme ebenfalls und gab mir eine große und liebevolle Umarmung. Wir brauchten keine Worte, denn ich wusste genau, dass er mich liebte. Er war trotz seiner Ecken und Kanten ein echt toller Bruder. Ich wusste nicht, was ich ohne ihn machen solle. Wahrscheinlich hätte ich meinen Umzug komplett selbst machen müssen. Auch wenn ich nicht ganz so viele Sachen hatte, wäre das keine leichte Herausforderung gewesen. Vermutlich hätte ich eine Umzugsfirma beauftragen müssen.

Bei dem Weg nach draußen warf Joachim mir schnippisch Luftküsse zu. Ich lächelte und schaute ihm hinterher, wie er die Wohnungstür schloss. Ich rannte ans Fenster und wartete gespannt, wie die Haustür aufging. „Das erste, was er machen wird, ist sich eine neue Zigarette zu drehen“, dachte ich.

Ich lag falsch. Die Zigarette war bereits gedreht. Er zündete sie sich nur noch an und lehnte sich an unser keines Auto. Es ist schon verrückt, dass meine ganzen Sachen in diesen kleinen Polo gepasst haben. Mein ganzes Leben passt also in ein kleines Auto. Im Vergleich zu anderen Mädels in meinem Alter lebe ich wohl ziemlich minimalistisch.

Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer wandern. Drei unausgepackte Umzugskartons standen auf dem Boden. Zwei hatte ich bereits auf die rechte Seite meines Bettes gelegt und jeweils zur Hälfte ausgeräumt. Die Wände waren leer und trostlos. Mein Zimmer war zum Teil rosa und zum Teil weiß gestrichen. Ich persönlich stehe eher auf blau oder rot. Aber als angehende Psychologin wusste ich, dass rote Farbe auch aggressiv machen konnte.

Kapitel 2

„Ey, Kleine!“, rief es aus der Küche. „Komm ma‘ her.“

Ich bewegte mich in Richtung Tür und schaute noch einmal zurück aus dem Fenster. Mit vorsichtigen Schritten schlich ich in die Küche. Vroni hatte am Tisch platzgenommen und kaute auf einem Kaugummi herum. Sie griff nach einer Chipstüte, die neben ihr auf der Eckbank lag.

„Willste‘?“, fragte sie freundlich, aber auch irgendwie bestimmend.

„Nein danke. Das ist irgendwie nicht so meins.“, antwortete ich und setzte mich auf den Stuhl, der Vroni gegenüber stand.

Sie rollte die Augen und fingerte an dem oberen Ende der Chipstüte herum. Ihre langen schwarzen Haare streiften den Tisch. Ich fragte mich, wie sie mit ihren langen Fingernägeln die Tüte überhaupt aufbekommen wollte. Gefühlt dauerte es eine Ewigkeit, bis die Tüte endlich nachgab.

„Was isst ‘n du so?“, fragte sie ohne mich dabei anzusehen.

„Obst, Gemüse... sowas halt.“

„Du verarscht mich doch! Keine Chips? Keine Snacks? Woher kommen denn die Kalorien für deinen Sport? – Ich sage dir, ohne Chips wäre ich lange nicht so muskulös. Ich trainiere. Ich trainiere viel.“

Sie langte mit ihrer rechten Hand in die Tüte und holte zwei große Kartoffelchips heraus. Ohne zu zögern stecke sie sich beide in den Mund und kaute mit offenem Mund. Das Kaugummi war da auch noch drin.

„Sicher, dass du nicht willst?“

Ich schüttelte den Kopf und beobachtete, wie ihre Hand erneut in die Tüte wanderte.

„Wie lange wohnst du denn schon in München?“, frage ich und starrte dabei etwas verlegen auf die Chipstüte.

Veronika hielt ihre linke Hand vor sich und zählte die Finger ab. Sie hob ihre Hand hoch und zeigte vier.

„Vier Jahre. Hab erst was anderes studiert. War erst so auf der Medienschiene, war dann aber nicht so gut in den Projekten. Ich bin eher der Typ, um trockene Arbeiten zu schreiben, eher weniger der Typ für Designprojekte und so ein Zeug. Das bedeutet aber nicht, dass ich am Designen keinen Spaß habe. Im Gegenteil. Ich liebe es zu Zeichen. Logos entwerfe ich auch gerne. Aber diese komischen Vorgaben in der Uni: Zeichne das, damit das passieren kann. – Voll öde! Ich will meine eigene Kreativität ausleben. – Wie ist ‘n das bei dir?“

„Ich studiere in einer Woche Psychologie.“, antwortete ich. „Haben wir darüber nicht bei der Vorstellung gesprochen?“

„Kann sein. Sowas Unwichtiges merke ich mir nicht.“

Ich brachte ein verlegenes und gequältes Lachen heraus.

„Was war ‘n das?“, fragte Vroni mit einem fragenden Gesichtsausdruck.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Alter. Das kann nicht gesund sein.“, sagte sie und griff erneut beherzt in die Chipstüte.

Verlegen schaute ich auf den Boden. Ich sah unter dem Küchentisch Veronikas Sportschuhe hervorragen. Solche Schuhe hatte ich auch. Ich glaubte aber, dass ich sie bei meiner Mutter vergessen hatte. Wer weiß, was Joachim mit ihnen anstellte. Wahrscheinlich verkaufte er sie als Fetischobjekt nach Japan. Etwas Derartiges hatte er zwar bisher nicht gemacht, es war ihm aber durchaus zuzutrauen.

Vroni trat mich gegen das Schienbein.

„Ey, starr nicht meine Schuhe an und antworte auf meine Frage. Was machst ‘n so in deiner Freizeit?“

Ich schüttelte mich ein wenig und antwortete dann: „Ich spiele Volleyball und lese viel. Am liebsten Liebesromane.“

„Oh Gott! Ich wohne mit Mutter Theresa zusammen.“

Vronis Augen rollten erneut in der Gegend herum bis sie bei der Chipstüte stehen lieben. Sie griff hinein und holte drei heraus. Dabei fiel ihr einer auf den weißen Hoodie.

„Was machst du denn so?“, fragte ich um der unangenehmen Stille auszuweichen.

Veronika griff mit ihren langen Fingernägeln nach dem Kartoffelchip, der ihr auf die Brust gefallen war. Sie schaute ihn sich an, drehte ihn ein, zweimal und stecke ihn sich anschließend in den Mund.

„YouTube!“, antwortete sie mit vollem Mund. „Ich mache Videos... Schminktipps und so ein Zeug. Lifestyle halt!“

„Das ist eine gute Nische.“, sagte ich. „Das kann ja recht viel Geld abwerfen. Verdienst du denn damit Geld?“

Vroni lachte herablassend.

„Geld verdienen! Von wegen!“

Verunsichert schaute ich wieder auf ihre Schuhe. Sie überschlug ihre Beine und kreiselte mit dem rechten Fußgelenk. Sie trug eine blaue Jeans mit einem langen Loch über dem rechten Knie. Durch dieses Loch konnte man ihre gebräunte Haut erkennen. Sie musste ins Solarium gegangen sein. Anders konnte ich mir diese gleichmäßige Bräune nicht erklären. Vroni war allgemein eine sehr schöne Frau. Die Jungs mussten ihr massenweise zu Füßen liegen. Ich fragte mich, ob sie einen Freund hatte.

„Ey. Hast du ‚nen Freund?“, klang es plötzlich.

Ich schreckte auf und sah, dass Veronika mich mit einem erwartungsvollen Blick anschaute. Ich schüttelte den Kopf. Vroni begann zu lachen.

„Das wird großartig. Zwei Singles in einer Wohnung!“

Mit dieser Aussage hatte ich meine Antwort.

„Ich zeig dir ma‘ was.“

Vroni sprang von der Eckbank auf. Sie würdigte mich keines Blickes und schritt in ihr Zimmer. Ich schaute ihr hinterher. Ich war mir nicht sicher, ob ich folgen sollte. Irgendwie sendete sie sehr widersprüchliche Signale. Mochte sie mich oder nicht? Zum damaligen Zeitpunkt konnte ich es nicht sagen. Es muss einen Grund geben, warum sie sich ausgerechnet für mich als Mitbewohnerin entschieden hatte. Sie hatte vermutlich mehrere tausend Bewerbungen und hunderte Besichtigungen. Wohnungen in München waren begehrt. Du konntest Millionär werden, auch wenn du nur einen kleinen Pappkarton hinter der Uni zu vermieten hattest. Leute zahlten jeden Preis, um in die bayrische Hauptstadt zu ziehen.

„Kommste‘ jetzt?“, rief Vroni aus ihrem Zimmer.

Ich stand vom Tisch auf und machte mich auf den Weg in Veronikas Zimmer. Ordentlich war etwas Anderes. Überall lagen Kleidungsstücke herum. Ob diese Stücke sauber waren oder nicht, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Sie sahen nicht dreckig aus, aber warum sollte man saubere Wäsche so lieblos in der Gegend herumwerfen?

„Achte einfach nicht auf den Mist. Mein Schrank ist zu klein. Sollte mir mal ‘nen neuen kaufen.“

„Gut, gut.“, sprach ich.

Mein Blick folgte Vronis rechtem Zeigefinger. Sie saß an ihrem Schreibtisch und hatte ihr Laptop geöffnet. Sie zeigte auf die YouTube Startseite. Mit einem schnellen Klick öffnete sich ihr Nutzerprofil.

„Zu wenig Aufrufe. Sage ich ja.“

Ich warf einen Blick auf ihre Statistik. Sie hatte über zweihundert Videos hochgeladen. Kaum ein Video hatte hundert Aufrufe. Ich griff nach der Maus und scrollte durch ihr Profil. Ich scrollte an Makeup Tutorials, „Follow me around“-Videos und dem ein oder anderen Fashionbeitrag vorbei. Bei einem Video blieb ich aber stehen. Zehntausend Aufrufe? – Was hatte dieses Video, was die anderen nicht hatten?

Mein Blick schweifte über die Thumbnail. Auf dem Vorschaubild sah ich Veronika in einer engen Nike Lauftigts und einem schwarzen Oberteil. Sie hielt ihren etwas großen Hintern in die Kamera und deutete auf ihn. „Sportoutfit Haul“ stand auf dem Titel.

„Dieses Video ist erfolgreicher als die meisten anderen. Weißt du, wie das kommen kann?“, fragte ich sie.

„Vermutlich...“, versuchte sie sich zu rechtfertigen, „haben die großen Konzerne, für die ich hier Werbung mache, für die Aufrufe gesorgt.“

Klang im ersten Moment nicht unwahrscheinlich. Doch ich hatte eine etwas plausiblere Idee:

„Kann es sein, dass diese Aufrufe von Männern stammen, die deinen Hintern sehen wollen?“

Vroni sah mich entsetzt an.

„Soll das heißen, ich mache mich mit diesem Video zum Sexobjekt?“

Verlegen versuchte ich meine Aussage zu korrigieren: „Nein, äh... natürlich nicht...“

Vroni lachte: „Schade. Das hätte ich gut gefunden. Natürlich habe ich daran aber auch schon gedacht. Ich bin ja nicht deppert.“

„Vielleicht solltest du mehr Videos in diese Richtung machen. Es kommt ein Bisschen darauf an, wer deine Zielgruppe sein soll.“

„Ich will, dass mein Kanal oft geklickt wird. Wer meine Zielgruppe ist, ist mir dabei vollkommen egal.“

Ich wendete mich von ihr ab und ging tiefer in ihren Raum hinein. Ihr Zimmer war größer als meins. In der Mitte stand ein großes Bett, in das locker auch drei Personen passten. Die große Matratze war schwarz bezogen, passend zu der dunklen Tapete. An der Wand hing ein Poster von irgendeinem Schönling, den ich zwar schonmal irgendwo gesehen hatte, ich aber nicht richtig zuordnen konnte. Unter dem Poster stand ein kleiner Schrank. Ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Lass mich weiterschlafen“ lag darauf. Mein Blick wanderte weiter nach links. Gegenüber vom Bett stand der große Kleiderschrank. Die Tür wölbte sich bereits nach außen. Er musste hoffnungslos überfüllt sein. Ich machte einen Schritt auf den Schrank zu. Vroni drehte sich zu mir um.

„Nur zu!“, rief sie mir entgegen. „Wenn du willst, kannst du dir meinen Schrank ansehen. Vielleicht findest du ja die eine oder andere Inspiration. Ich habe deine wenigen Kisten gesehen. Du brauchst dringend neue Klamotten.“

Ich ging auf den Schrank zu und öffnete die Tür. Mein Blick wanderte von der oberen linken in die obere rechte Ecke. An der Stange in der Mitte baumelten zahllose Sommerkleider, T-Shirts, Pullover, Dessous und Röcke. Auf den Ablagen zu meiner Linken lagen Jeans, Stoffhosen und Strumpfhosen. Aus der oberen Ablage purzelte mir plötzlich ein komischer Anzug entgegen. Er hatte die Haptik einer Strumpfhose, jedoch sah er eher wie ein großer Strampelanzug aus. Ich hob den Anzug auf und faltete ihn in meinen Händen auseinander. Es war ein Ganzkörperanzug mit Leopardenmuster.

„Veronika, was ist denn das?“, fragte ich und hielt ihr den Anzug entgegen. Sie drehte sich um und grinste.

„Das nennt sich Morphsuit.“, sagte sie. „Ich habe ihn noch von einem Fotoshooting fürs Studium. Er fühlt sich herausragend weich an. Willst du ihn mal anziehen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nee, lass mal.“ Verzweifelt versuchte ich den Anzug wieder in den Schrank zu stopfen. Doch in diesem Moment stand Vroni bereits neben mir und zog den Anzug wieder aus dem Schrank hervor.

„Er fühlt sich fantastisch an. Wie eine zweite Haut. Probiere ihn mal an, er wird dir gefallen.“

Hilfesuchend schaute ich in ihre Augen. Ich hoffte, sie machte nur Spaß. Doch ihr Blick sah ernst aus. Ich musste zugeben, dass ich auch ein gewisses Interesse daran hatte, den Anzug einmal anzuhaben. Vor einiger Zeit hatte ich sogar von einer Art Speed Dating gehört, an dem man teilnahm, während man einen Morphsuit trug. Ich griff nach dem Anzug und legte ihn auf ihr Bett. Ich schlüpfte aus meinen Flipflops und begann, meine Füße in den Anzug zu stecken.

„Willst du den Anzug etwa über deiner Kleidung tragen?“, fragte Vroni ungläubig.

„Ja“, antwortete ich, „ich will deinen Anzug doch nicht schmutzig machen.“

Vroni schüttelte den Kopf. „Zieh deine Shorts und dein Top aus. Deinen BH und Schlüpfer kannst du anbehalten.“

Ohne groß zu überlegen, öffnete ich den Reißverschluss meiner Jeansshorts, zog meine Hose herunter und schlüpfte aus ihr heraus. Mit beiden Händen griff ich nach meinem Top. Vorsichtig zog ich es über meinen Kopf und schmiss es auf meine Hose, die am Boden lag. Ich setzte mich auf Veronikas Bett. Meine Beine glitten langsam durch die Beine des Anzugs. Es fühlte sich ein wenig so an, als würde ich eine Nylonstrumpfhose überstreifen. Ich stand auf und zog den Anzug hoch. Mit meinen Armen griff ich durch die Ärmel des Morphsuits und zog sie wie Handschuhe über meine Finger. Der Anzug war sehr bequem, musste ich zugeben. Vroni langte zu dem Reisverschluss und schloss den Anzug am Rücken. Den Kopfteil stülpte ich mir nicht über. Meine Hände glitten über das weiche Material und ich spürte, wie seidig und empfindlich meine Haut unter diesem Stoff zu sein schien. Neben dem Schrank stand ein Spiegel. Ich ging auf den Spiegel zu und betrachtete meinen Körper. Der Anzug bedeckte meinen ganzen Körper bis auf meinen Kopf. Meine Hände fuhren über meine Rippen und ich spürte das Gefühl, das Vroni eben noch meinte. Es war ein Gefühl der Leichtigkeit. Irgendwie fühlte ich mich nackt, aber nicht auf eine unangenehme oder schamvolle Weise. Mein Herz schlug etwas wilder, als ich mich im Spiegel betrachtete. Ich hatte plötzlich Gedanken, die ich in meinem ganzen Leben noch nie hatte: Ich war stolz auf meinen Körper. Ich war schlank und der Anzug passte sich perfekt an meine Form an. Kein Härchen war zu sehen, für das ich mich schämen musste. Mein Körper war perfekt und er hatte den perfekten Umfang.

„Wie fühlt es sich an?“, fragte Vroni.

„Wie du gesagt hast.“, antwortete ich. „Irgendwie wie eine zweite Haut.“

„Warte mal. Du hast da noch ein paar Hubbel. Die mache ich dir eben weg.“

Vroni stürzte zu mir und versuchte die Falten, die der Anzug auf meinem Gesäß schlug, glattzubügeln. Dabei strichen ihre Hände sanft über mein Gesäß und zu meinem Rücken hinauf. Langsam wurde ich nervös. Ich spürte ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut, das immer unangenehmer wurde. Veronikas Hände strichen über meine Rippen und das Kribbeln wurde stärker. Ich konnte das Zucken nicht mehr zurückhalten und stieß einen krampfhaften Schrei aus.

„Was war das denn?“, grinste Vroni. „Ist meine neue Mitbewohnerin etwa kitzlig?“

Ich schüttelte den Kopf und versuchte verzweifelt meinen Körper aus ihren Fängen zu lösen. Doch sie gab nicht nach und bohrte ihre langen Fingernägel in meine Seiten. Ich hatte das Gefühl, als würde mich der Anzug noch kitzliger machen, als ich ohnehin schon war. Ich windete mich nach rechts und konnte zumindest eine Hand loswerden. Mit der verbleibenden linken Hand wanderte Vroni unter meine Achsel. Ich spürte einen plötzlichen Schwächeanfall und sank zu Boden. Mit der rechten Hand griff sie unter meine rechte Achsel und rieb ihre langen Fingernägel über meine hilflose und schwache Haut. Ich stieß ein krampfhaftes Lachen und ein „Bitte aufhören!“ aus. Für einen Moment ließ Vroni mich los und ich nutze die Chance und lief in mein Zimmer. Ich knallte die Tür und setzte mich auf den Boden direkt vor meinem Eingang.

„Sie mag mich.“, murmelte ich.

Ich streckte meine Beine aus und betrachtete den Anzug aus einer neuen Perspektive. Ich schaute auf meine glatten Beine, die unter dem Leopardenmuster jeden einzelnen Muskel zeigten. Meine rechte Hand fuhr mein Bein entlang. Ich traute es nicht zu Ende zu denken, aber ich war der Meinung, dass ich so einen Anzug häufiger tragen sollte. Vielleicht etwas schlichter. Blau oder Rot, aber in jedem Fall glänzend.

Kapitel 3

„Du schuldest mir was!“, sagte Vroni, als sie am Frühstückstisch saß.

„Ja, natürlich bekommst du den Anzug wieder. Darf ich im Austausch meine Jeansshorts und mein Top wiederhaben?“

„Dieses orangene Ding? Von mir aus. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ich das überhaupt noch in meinem Zimmer dulde.“

Das war ein eindeutiges Bashing gegen meinen Kleidungsstil. Ich räusperte mich und bewegte mich in Richtung Kühlschrank. Mit der linken Hand berührte ich den Griff und zog die Tür auf. Wirklich viel hatten wir nicht. Eine halbvolle Packung Milch stand im Inneren der Tür. Ich nahm sie heraus, hielt sie an mein Ohr und schüttelte sie in kreisenden Bewegungen. Es klang zum Glück nicht klumpig. Ich stellte das Tetra Pak auf den Tisch und griff nach einer Müslischüssel. Dabei wurde ich durchgehend von Vroni beobachtet.

„Das meinte ich nicht.“, sagte sie. „Den Anzug darfst du behalten. Ich glaube, du brauchst in Zukunft keine Mitbewohnerin mehr, die dich dazu zwingen muss, ihn zu tragen.“

Ich wollte es nicht zugeben, aber irgendwie hatte sie Recht. Ich konnte nicht sagen, ob es speziell dieser Ganzkörperanzug sein musste oder doch lieber einer in blau oder rot.

„Was meinst du denn dann?“, fragte ich nachdenklich.

„Weißte, München ist ja eine teure Stadt und Wohnungen sind Mangelware.“

Bis zu diesem Punkt konnte ich folgen.

„Du solltest mir dankbar sein, dass du mit mir zusammen in dieser Stadt wohnen darfst.“ Sie räusperte sich. „Aus diesem Grund solltest du mir ein paar Gefallen tun. Bin ja nicht die Wohlfahrt.“

Ich drehte mich in Richtung Küchenschrank um eine Packung Müsli zu holen. Dabei verzog ich mein Gesicht aus Angst, was Vroni als nächstes von mir verlangen würde. War es irgendwas Sexuelles? Da machte ich nicht mit. Das mit dem Anzug war mir schon eigenartig genug. Ich konnte auch nicht wirklich abschätzen, was Vroni von mir dachte. Auf der einen Seite stellte sie mich wie ein nerviges Muss dar, auf der anderen Seite unterstelle ich ihr, dass sie mich unter Umständen körperlich attraktiv fand. Ich fragte mich, ob sie lesbisch war. Ich wusste nur, dass ich es nicht war. In meinen wenigen sexuellen Fantasien trieb ich es ausschließlich mit Männern. In der echten Welt außerhalb meiner Fantasien hatte ich mit Männern aber weniger Glück. Ich hatte noch nie eine feste Beziehung. Wahrscheinlich lag das auch daran, dass ich nie abschätzen konnte, wenn ein Junge auf mich stand. Wenn sich dann doch ein Junge dazu ermutigte, mich anzusprechen, gab ich ihm aus Reflex einen Korb. Die meisten dieser Körbe bereue ich bis heute.

„Worum geht es?“, fragte ich. „Ist es was Sexuelles?“

Vroni lachte. Ihr Lachen klang anders als bisher. Ihr war es durchaus bewusst, dass das Prinzip „Sex gegen Wohnung“ in München keine Seltenheit war.

„Sehe ich etwa aus wie ein notgeiler Mitvierziger, der kleine Studentinnen vergewaltigt? – Ich bin hetero, keine Sorge, Kleines.“

Ich war erleichtert. Sie nannte ihre Sexualität mit einer Betonung, die mich etwas stocken ließ. Allerdings wusste ich aus Erfahrung das gesprochene Wort höher einzuschätzen als das, was unterbewusst mitschwang.

„Dann sag mir einfach unverblümt, was du möchtest.“

Ich lächelte ihr verlegen über die Schulter zu. Diese Direktheit kannte ich von mir gar nicht. Auf der anderen Seite wollte ich aber auch nicht weiter auf die Folter gespannt werden. Vroni lachte. Sie lachte allgemein ziemlich oft. Ich hoffte, dass mir das nicht irgendwann auf die Nerven ginge. Hätte er es nicht so versaut, hätte sie wahrscheinlich ziemlich gut mit Joachim zusammengepasst.

„Weißt du, was ich an dir komisch find‘?“ Sie spannte mich weiter auf die Folter.

„Du kommst doch aus Dresden. Also aus Sachsen. Diesem Flecken von Deutschland, da wo ’se so komisch redn‘. – Warum sprichst du denn nicht wie dieser Typ aus diesem YouTube Video ‚isch hab zweehundat Puls... bald‘?“

Mittlerweile hatte ich mich an den Tisch gesetzt und füllte eine Keramikschüssel mit Müsli.

„Meine Mutter kommt aus Hannover. Da gibt es keinen Dialekt. Mein Vater war der Sachse in der Beziehung. Seinetwegen ist meine Familie in einen Vorort von Dresden gezogen.“

„Aber müsstest du dann nicht von deinem Vater her so komisch redn‘?“, fragte Veronika frech.

„Ich kannte ihn kaum.“, antwortete ich.

„Ja, ja. Immer diese unzuverlässigen Leberwürste. Lassen eine Frau mit zwei Kindern im Stich