Die Nacht der Acht - Philip Le Roy - E-Book

Die Nacht der Acht E-Book

Philip Le Roy

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Beschreibung

Acht Jugendliche, ein Haus und eine Nacht, die zum Horrortrip wird! Es ist Samstagabend und Quentin lädt zum Trinken und Feiern in die schicke Villa seiner Eltern ein. Abgeschieden in den Bergen gelegen, ist sie der perfekte Ort des heutigen Mottos: Wer sich erschreckt, muss trinken! Doch aus Spaß wird schnell bitterer Ernst. Die ersten blutigen Finger bringen die Gruppe noch zum Lachen, es wird ordentlich getrickst. Als der Geist einer tot geglaubten Mitschülerin auftaucht und die Telefonleitung plötzlich gekappt ist, läuft der Abend aus dem Ruder. Die Acht sind auf sich allein gestellt. Und alle stellen sich dieselbe Frage: Wer steckt hinter den mysteriösen Vorfällen? Die Nacht will kein Ende nehmen, als schließlich eine nach dem anderen verschwindet ... Als dann auch noch einer nach dem anderen verschwindet, scheint keiner mehr dem Horror zu entkommen. Gruselig-spannender Horrorthriller, der bis zur letzten Seite atemlos macht!

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Philip Le Roy: Die Nacht der Acht

Acht Jugendliche, ein Haus und eine Nacht, die zum Horrortrip wird!

Es ist Samstagabend und Quentin lädt zum Trinken und Feiern in die schicke Villa seiner Eltern ein. Abgeschieden in den Bergen gelegen, ist sie der perfekte Ort des heutigen Mottos: Wer sich erschreckt, muss trinken!

Doch aus Spaß wird schnell bitterer Ernst. Die ersten blutigen Finger bringen die Gruppe noch zum Lachen, es wird ordentlich getrickst. Als der Geist einer tot geglaubten Mitschülerin auftaucht und die Telefonleitung plötzlich gekappt ist, läuft der Abend aus dem Ruder. Die Acht sind auf sich allein gestellt. Und alle stellen sich dieselbe Frage: Wer steckt hinter den mysteriösen Vorfällen? Die Nacht will kein Ende nehmen ...

Als dann auch noch einer nach dem anderen verschwindet, scheint keiner mehr dem Horror zu entkommen.

Gruselig-spannender Horrorthriller, der bis zur letzten Seite atemlos macht!

Wohin soll es gehen?

  Buch lesen

  Viten

  Wort und Personenerklärungen

 

Für meine Töchter,

die mit Horrorfilmen groß geworden sind

Andersartigkeit als Chance?

PROLOG

Wie können acht Jugendliche an einem einzigen Abend verschwinden? Diese Frage ging den Polizisten, die das leere Haus durchsuchten, nicht aus dem Kopf.

Kommandant Sevrant betrachtete das beeindruckende Gebäude, eine alte Schäferei, die abseits des Col de Vence lag und kürzlich zu einem Architektenhaus umgebaut worden war. Nur der Garten, eine umlaufende Steinmauer und der Pool waren noch nicht fertig. Für das Becken war bereits eine Grube von sechs mal zwölf Metern ausgehoben worden. Sevrants Männer hatten die Planen zurückgeschlagen, Werkzeuge und Baumaterialien durchwühlt und in den Schlammpfützen gestochert, die sich nach dem starken Regen der letzten Nacht gebildet hatten. Ohne Erfolg. Nun waren sie in den Wald ausgeschwärmt.

Die acht Gymnasiasten hatten sich gestern zum ersten Mal in dieser luxuriösen Villa getroffen, die der Familie von einem der Freunde gehörte.

Am Samstag gegen achtzehn Uhr waren sie von ihren Eltern hergebracht worden und am nächsten Morgen sollten sie wieder abgeholt werden. Doch gegen elf Uhr am Sonntag hatte die Mutter eines der Mädchen das Haus verlassen vorgefunden und sofort die Polizei alarmiert.

Die Spürhunde zogen an ihren Leinen und bellten in Richtung Wald. Es hatte wieder zu regnen begonnen, was die Suche erschweren würde.

Die ersten Hinweise, die sie in der Villa gefunden hatten, waren seltsam und beunruhigend zugleich: Einschüsse von Schrotkugeln, Steine und Bauschutt auf den Fußböden, Blutspuren, Glasscherben, umgeworfene Möbel, verschüttetes Salz … Die Türen zur Garage und zum Keller waren mit Holzbrettern vernagelt. Die Jugendlichen schienen sich gegen eine von außen kommende Bedrohung verteidigt zu haben.

Ein Mörder? Wo waren dann die Leichen?

Entführer? Aber wie schaffte man es, acht Personen gleichzeitig zu kidnappen?

In der Ferne ertönten Hundegebell und mehrere Pfiffe, kurz darauf begann das Funkgerät des Kommandanten zu rauschen.

»Die Hunde haben eine Spur, Kommandant!«, rief Brigadier Dolfi in den Apparat.

»Wo sind Sie?«

Keine Antwort.

»Wo sind Sie, Brigadier?«

»… Teufelsplateau! … Krrrchhh …«

Eine Funkstörung unterbrach das Gespräch.

»Brigadier, hören Sie mich?«

»Krrrchhh …dammt! Was ist das? … Krrrchhh …«

»Brigadier, sprechen Sie deutlicher!«

»Krrrchhh … sollten sich das besser selbst ansehen … Krrrchhh … Ich hole Sie ab.«

Jean-Paul Sevrant ging dem Brigadier durch den Regen entgegen.

Um zu verstehen, was die Polizisten erwartete, muss man die Vorgeschichte kennen. Und diese kann nur eine einzige Person erzählen, nämlich diejenige, die die folgenden Seiten geschrieben hat.

ERSTER TEIL

DIE ACHT

1.

»Die Acht« wurde eine Gruppe von Zwölftklässlern genannt, die den künstlerischen Zweig am Lycée Matisse in Vence besuchten. Die Schule galt in diesem Bereich als die beste der Gegend. Es war keine typische Clique. »Die Acht« waren exzentrisch und gehörten zu den begabtesten Schülern ihres Jahrgangs. Die Coolen, sagten diejenigen, die sie beneideten. Idiotische Wichtigtuer, sagten die, denen sie auf die Nerven gingen. Selbst die Lehrer waren manchmal überfordert von den ungewöhnlichen Ideen der acht Schüler. Die Gruppe hatte keinen Anführer. Jeder Einzelne war auf seinem Gebiet brillant und alle lehnten jegliche Hierarchie untereinander ab. Die Mädchen hießen Camille, Marie, Léa und Mathilde. Die Namen der Jungen waren Quentin, Maxime, Mehdi und Julien.

Camille war schön, blond und reich. Sie verdrehte allen Jungs der Schule und selbst manchen Lehrern den Kopf. Ihr Taschengeld gab sie für Klamotten, Schuhe, Taschen, Schmuck und Tanzstunden aus. Tanzen war ihre Leidenschaft, auch wenn sie wusste, dass sie wegen ihres großen Busens keine Karriere als Ballerina machen würde. Dank ihrer Eltern, mit denen sie sämtliche Museen der Welt besucht hatte, war sie sehr gebildet. Da sie nicht die neue Sylvie Guillem* werden konnte, wollte sie in die Fußstapfen von Coco Chanel treten.

Marie, Brille, lange Locken, war überdurchschnittlich intelligent. Am liebsten las sie Fantasy-Klassiker oder schaute sich alte Filme an. Sie trug nur schwarz-weiße Klamotten, als wäre sie dem Universum von Orson Welles oder Charlie Chaplin entsprungen. Ihre dritte Leidenschaft war die Fotografie, weshalb sie immer ihre Kamera dabeihatte. Ihr Traum war es, später mal die Spezialeffekte für Kinofilme zu machen.

Léa, rothaarig, blass und mit großen, hellen Augen, war extrem sensibel, voller Zweifel, aber auch sehr mutig, so wie Shakespeares Figur Hamlet, ihr Idol. Als Bildhauerin hatte sie einen ausgeprägten Tastsinn. Sie war mit Quentin zusammen, einem Jungen aus der Clique, was das Gleichgewicht der Gruppe aber nicht weiter störte.

Mathilde war die Durchgeknallteste der Acht. Silberfarbene Haare, verrückte Tattoos, Vintage-Klamotten mit Gothic-Touch, große Klappe, extrovertiert. Sie kannte weder Tabus noch Grenzen und sammelte, wie sie es ausdrückte, Eroberungen wie andere Leute Briefmarken. Sie trank und rauchte – und zwar nicht nur Tabak.

Quentin hatte Geld ohne Ende. Seine Eltern waren bekannte Architekten und hatten die Schäferei der Familie in eine Villa verwandelt, die es ohne Probleme auf die Titelseite von Schöner Wohnen schaffen würde. Ihr Sohn sollte später ihr Nachfolger werden. Er trug gerne löchrige Jeans und verwaschene Sweatshirts, ein Bobo-Look mit Grunge-Tendenzen, der Léa und vor allem Camille zur Verzweiflung trieb. Camille bezeichnete Quentin deshalb sogar als »Mode-Terroristen«. Er hatte einen eigenen Youtube-Kanal, auf dem er sich in der »zeitgenössischen Kunst der Komik« versuchte. Für seine mündliche Prüfung am Ende des Schuljahres arbeitete er an einem Kunstwerk, das die Leute zum Lachen bringen sollte.

Maxime nahm nichts ernst. Abgesehen von der Kunst, seiner Gitarre und dem Essen. Er war der Dicke in der Clique. Außerdem spielte er gerne Poker. Sein Ziel war es, vom Poker leben zu können, damit er seine Kunst ohne finanziellen Druck ausüben konnte.

Mehdi war der Gutaussehende, ein Aufreißer und Spötter, der schon mit einigen Mädchen geschlafen hatte, aber mit keiner der Acht. Er war ein echtes Verkaufstalent und konnte einem die Zeichnung seiner vierjährigen Nichte als Kunstwerk unterjubeln. Abgesehen vom weiblichen Geschlecht begeisterte er sich für Videospiele. Später wollte er Auktionator oder Kurator werden – es sei denn, Hideo Kojima* holte ihn eines Tages in sein Produktionsstudio.

Julien, das achte Mitglied der Clique, war ein talentierter Zeichner. Seine Lieblingsmotive waren schöne Jünglinge und muskelbepackte Helden. Julien stand auf Jungs. Er versteckte es nicht, um die Schwulenhasser zu ärgern, aber er bekannte sich auch nicht offen dazu. Als Abschlussarbeit wollte er einen Comic mit einem schwulen Superhelden präsentieren.

2.

»Hey Leute, in drei Wochen schmeiß ich ’ne Party am Col de Vence!«, rief Quentin.

Er verkündete die Einladung, als würde es sich um das Event des Jahres handeln. Seine Freunde standen in der von Palmen gesäumten Allee, die zum Eingang des Lycée Matisse führte, und unterhielten sich.

»Ist euer Haus fertig?«, fragte Camille.

»Der Garten muss noch angelegt werden und der Pool auch. Aber drinnen ist alles tipptopp. Wir haben schon die ersten Sachen rübergebracht. Meine Eltern fahren demnächst nach Italien. Sie haben nichts dagegen, dass wir bei uns feiern, wenn sie weg sind.«

»Yes!«, rief Maxime. »Ich bring was zu essen mit, meine Gitarre und ein Kartenspiel.«

»Bloß kein Poker«, wandte Camille ein. »Du weißt doch, dass ich das nicht mag.«

»Also spielen wir wieder Beerpong?«

»Wenn das heißt, dass wir trinken, rauchen und Spaß haben, bin ich dabei«, sagte Mathilde.

»Sind wir auch eingeladen?«, fragte Margot, angelockt von den lauten Stimmen.

Quentin schüttelte den Kopf. »Geschlossene Gesellschaft, wie immer.«

»Du könntest den Kreis doch erweitern«, schlug Margot vor. »Wie wärs mit ’ner Einweihungsparty?«

»Lad doch gleich die ganze Klasse ein, wenn du schon dabei bist!«

»Und die Lehrer«, witzelte Maxime.

»Wir könnten doch wirklich mal was anderes machen«, sagte Léa.

»Willst du ernsthaft die Lehrer einladen?«

»Nein, aber wir müssen uns auch nicht zwangsläufig jedes Mal besaufen und albern rumgackern.«

»Klingt so, als hättest du schon eine wahnsinnig originelle Idee«, sagte Quentin.

»Aber du musst sie uns gut verkaufen«, forderte Mehdi.

»Also, was ist jetzt, lädst du uns ein oder nicht?«, wollte Margot wissen.

»Vergiss es!« Quentin schüttelte den Kopf.

»Weißt du, warum wir dich nicht in den Kreis der Acht aufnehmen können?«, mischte sich Julien ein.

Er lag auf der niedrigen Mauer und blickte in die Palmenblätter, zwischen denen die Strahlen der Frühlingssonne hindurchschienen. Auf seine Frage folgte ein kurzes Schweigen, weil sie die Antwort bereits enthielt.

»Fick dich!«, schnauzte Margot.

»Solche Worte aus dem Mund einer jungen Dame, wie schockierend!«, bemerkte Julien völlig unbeeindruckt.

Margot zuckte mit den Schultern und ging mit ihren Freundinnen weiter. Dabei rempelte sie Clément an, einen Einzelgänger, dessen Schüchternheit in krassem Gegensatz zu seiner Körpergröße und seinen breiten Schultern stand. Sein Spitzname war Big Loser.

»Habt ihr nicht auch genug von unseren Spaßabenden?«, fragte Léa.

»Was ist los?«, erkundigte sich Quentin. »Machst du dir immer noch Gedanken wegen Manons Selbstmord?«

»Ich kann einfach nicht vergessen, dass sie noch vor Kurzem im Unterricht neben mir saß. Und ich hab nichts gemerkt.«

»Wir können ja Big Loser einladen«, schlug Maxime vor. »Mit dem haben wir garantiert keinen Spaß.«

Clément ignorierte die spitze Bemerkung und setzte sich unauffällig neben Julien auf die Mauer. Insgeheim hoffte er, eines Tages in die Gruppe aufgenommen zu werden. Clément gehörte zu denen, die die Acht beneideten. Weil sie zur Elite gehörten – und weil er in Camille verliebt war. Was alle wussten, außer Camille vielleicht.

»Ein Abend, an dem wir keinen Spaß haben«, fasste Mehdi zusammen. »Spitzenidee, Léa!«

»Wie wärs mit einer Horrornacht?«, schlug Quentin vor, um seiner Freundin den Rücken zu stärken. »Dann lautet die Spielregel nicht ›Wer lacht, trinkt‹, sondern ›Wer Angst hat, trinkt‹.«

»Für solche Sätze kriegst du in der Prüfung aber keine Punkte«, bemerkte Mathilde, während sie sich eine Zigarette drehte.

»Wo wir gerade von Prüfungen reden, da kommt unsere Intelligenzbestie.«

Marie rannte auf sie zu, mit umgehängter Tasche und einem Buch in der Hand. Ihr vom Laufen rotes Gesicht hob sich von ihren schwarz-weißen Klamotten ab.

»Hey, heute mal in Farbe, Charlie Chaplin?«, spottete Kevin.

Sein Kumpel Alex prustete los. Die beiden Idioten hingen jeden Morgen vor der Schule rum, bis es klingelte. Marie warf ihnen im Vorbeigehen einen verächtlichen Blick zu.

»Hey, Rima, mal wieder spät dran?«, begrüßte sie Maxime.

»Ich bin fix und fertig!«, keuchte Marie. »Zwischen meinem Bett und der Schule musste ich mich mit pöbelnden Verkehrsrowdys, zu spät kommenden Bussen und übel riechenden Menschen der Arbeiterklasse herumärgern …« Sie atmete einmal tief durch, bevor sie extra laut hinzufügte: »Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, treffe ich auch noch auf diese beiden zukünftigen Arbeitslosen, deren einziger Nutzen darin besteht, uns daran zu erinnern, wie erbärmlich das Leben ist.«

»Hast du uns gerade zukünftige Arbeitslose genannt?«, wollte Kevin wissen.

»Wäre durchaus möglich, so dämlich, wie ihr aus der Wäsche guckt.«

Drohend kamen Kevin und Alex näher.

Mehdi ging auf sie zu und übernahm die Verhandlung.

»Immer mit der Ruhe, Jungs, okay?«

»Dann soll sie sich entschuldigen.«

»Wofür?«, fragte Marie.

»Für das, was du gesagt hast.«

»Was hab ich denn gesagt?«

»Ich hab nicht alles verstanden, aber es war nicht cool.«

»Marie war spät dran und etwas gestresst, vergesst es einfach«, sagte Mehdi.

Leider schien das nicht ihre Absicht zu sein.

»Ich hab keinen Bock mehr auf eure ewigen Klugscheißereien!« Anklagend zeigte Kevin auf Marie. »Du und die anderen Kunst-Fuzzis, ihr kommt euch wohl besonders toll vor!«

»Und was gedenkst du, dagegen zu unternehmen?« Mehdi klang wie ein Verkäufer, der versucht, sich in seine Kunden hineinzuversetzen.

»Euch einen Denkzettel zu verpassen!«

»Genau!«, bestätigte Alex, der aussah, als würde er mehr Zeit im Fitnessstudio als in der Schule verbringen.

Mehdi zuckte mit den Schultern. »Tu dir keinen Zwang an.«

Camille, Léa, Mathilde, Quentin und Maxime bauten sich hinter Mehdi und Marie auf. Clément, der alle um einen Kopf überragte, trat dazwischen.

»Verpisst euch!«, befahl er Kevin und Alex.

Kevin starrte auf die geballten Fäuste von Big Loser und wich zurück.

Im selben Moment ertönte die Klingel am Ende der Allee.

»Gerettet durch den Gong!«, verkündete Mehdi.

»Freut euch nicht zu früh, irgendwann kriegen wir euch!«

»Genau, und dann kannst du weiter Phrasen dreschen.« Marie schnaubte verächtlich.

Kevin und Alex warfen ihr finstere Blicke zu, bevor sie sich unter die anderen Schüler mischten, die langsam ins Gebäude strömten. Kevin drehte sich noch einmal um und fuhr sich mit dem Daumen über die Kehle.

»Idioten!«, schimpfte Marie.

»Pass trotzdem auf, was du sagst«, meinte Mehdi.

»Du warst wirklich eine große Hilfe!« Kopfschüttelnd sah Léa zu Julien, der immer noch auf der Mauer lag. »Vielen Dank auch.«

»Wobei hätte ich euch denn helfen sollen? Ihr habt doch schon alle eure Muskeln spielen lassen. Außerdem ist ja nichts Schlimmes passiert. Sie hatten Schiss vor Big Loser. Also reg dich nicht auf.«

»Danke für deine Hilfe«, sagte Marie zu Clément.

»Keine Ursache.«

»Wir müssen los«, drängte Camille.

»Was haben wir in der ersten Stunde?«, fragte Marie.

»Design«, antwortete Clément.

Als sie zum Tor gingen, trottete Big Loser neben ihnen her.

»Der Typ tut mir irgendwie leid«, flüsterte Léa.

»Wer? Kevin?« Quentin grinste.

»Nein, Clément, Blödmann!«

»Clément Blödmann?«

»Ha, ha«, machte Léa.

Big Loser wich ihnen nicht von der Seite.

»Er steht auf Camille«, stellte Mathilde fest.

»Die halbe Schule steht auf Camille«, sagte Mehdi.

Clément lief knallrot an, als sein Blick Camilles begegnete.

»Der Penner wird doch glatt rot!« Mehdi prustete los.

»Lass ihn in Ruhe«, sagte Camille.

»Er ist es doch, der uns nicht in Ruhe lässt.«

»Warum nehmen wir ihn nicht in unsere Gruppe auf?«, schlug Mathilde vor.

»Echt jetzt?« Clément war sofort Feuer und Flamme.

»Und was wird aus den Acht?«, fragte Quentin.

»Wir könnten den Namen ändern«, meinte Marie.

»Heißen wir dann die Neun?« Julien zog die Augenbrauen hoch.

»Das geht nicht«, erwiderte Léa. »Aus Respekt gegenüber Manon.«

»Was hat die damit zu tun?«

»Manon hätte auch gern zu uns gehört.«

»Wie kommst du denn darauf?« Quentin machte ein überraschtes Gesicht. »Sie hat uns doch immer komplett ignoriert.«

»Weil sie sich nicht getraut hat, uns anzusprechen. Manchmal frage ich mich sogar, ob ihre Einsamkeit nicht der Auslöser für ihre Depressionen war.«

»Jetzt sag nur noch, sie hat sich unseretwegen umgebracht!«

»Nein, aber unsere Gleichgültigkeit war sicher einer der Gründe.«

Julien drehte sich um und sah Clément direkt ins Gesicht. »Hör mal, du willst dich nicht zufällig unseretwegen umbringen, oder?«

»Was?«

»Idiot!« Léa sah Julien kopfschüttelnd an.

»Was soll die Frage?« Clément runzelte verwirrt die Stirn.

»Er ist ganz blass geworden«, bemerkte Mathilde.

»Von Blutrot zu Schneeweiß«, bestätigte Quentin.

»Tut mir leid, Alter«, entschuldigte sich Julien. »Wie’s aussieht, sind wir heute alle mit dem falschen Fuß aufgestanden.«

»Was ist denn jetzt mit der Party am Col de Vence?«, kam Quentin wieder zum eigentlichen Thema zurück.

»Ich hab euch vorhin zugehört«, sagte Clément. »Coole Idee, sich gegenseitig Angst einzujagen. Wenn ihr wollt, kann ich euch ein paar Tipps geben.«

»Wieso? Bist du Grusel-Experte?«

»Ich liebe Horrorfilme.«

»Welcher ist dein Lieblingsfilm?«

»Äh … Der Exorzist.«

»Wie originell!«

»Der Exorzist ist doch voll öde.« Maxime schnaubte verächtlich.

Marie verdrehte die Augen. »Du tust immer so, als hätte es vor deiner Geburt keinen einzigen guten Film gegeben.«

»Die Kraft Jesu bezwingt dich! Die Kraft Jesu bezwingt dich!« Maxime ahmte Pater Merrin nach, der im Film das Mädchen Regan exorzieren soll.

»Hört auf, ihn zu verarschen«, schimpfte Camille.

»Seht euch das an! Kaum übernimmt Camille seine Verteidigung, wird Big Loser schon wieder rot.« Quentin grinste.

»Cam hat recht«, sagte Léa. »Das ist nicht witzig.«

»Ich hab noch mehr Lieblingsfilme«, fuhr Clément eifrig fort. »The Nameless, Ring, REC, Das Omen, Shutter, The Thing, Das Waisenhaus, Orphan, Freaks, Hügel der blutigen Augen und Rosso – Farbe des Todes …«

Sie starrten ihn an, als hätte er soeben eine Stepptanz-Nummer aufgeführt.

»Welche Fassung von Hügel der blutigen Augen?«, fragte Mathilde.

»Die von Alexandre Aja. Sie ist viel besser als das Original von Wes Craven.«

Mathilde nickte. »Seh ich genauso.«

»Ich weiß nicht, ob ihr es mitbekommen habt, aber wir haben jetzt Unterricht und das Tor ist zu«, bemerkte Marie.

Quentin sah zu Léa, die ihm aufmunternd zunickte.

»Also gut.« Quentin seufzte resigniert. »Du bist eingeladen, Big Loser. Aber das heißt noch lange nicht, dass du zu unserer Clique gehörst, klar?«

3.

Die nächsten drei Wochen schienen langsamer zu vergehen als sonst. Mit jedem Tag stieg die Vorfreude auf ein sensationelles, noch nie da gewesenes Wochenende am Col de Vence. Clément und die acht Freunde waren fieberhaft damit beschäftigt, in aller Heimlichkeit etwas Gruseliges vorzubereiten. Das wiederum lenkte sie von ihrem Abschlussprojekt ab, das für die zwölfte Klasse des Kunstzweigs am Ende des Schuljahres anstand.

Es war April und der Tag der mündlichen Prüfung, an dem jeder ein eigenes Werk präsentieren sollte, rückte näher. Der verantwortliche Lehrer war ein glühender Verehrer von Abraham Poincheval, einem zeitgenössischen französischen Performance-Künstler, der mit Erfahrungen auf engstem Raum experimentiert. Poincheval hatte acht Tage im Inneren eines riesigen Felsblocks verbracht, um auszuprobieren, wie es sich anfühlte zu versteinern. Außerdem hatte er sich dreizehn Tage in den Bauch eines ausgestopften Bären gelegt, weil er im völligen Einklang mit dem Tier sein wollte.

Die intensive Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst hatte großen Einfluss auf die Werke der Schülerinnen und Schüler, die sich dieses Jahr mit dem Thema »Andersartigkeit als Chance?« befassen sollten. Einige hielten ihre Projekte lieber geheim. Aber es war bekannt, dass Camille ein Hochzeitskleid aus Toilettenpapier anfertigte.

Quentins Kunstwerk sollte die Leute zum Lachen bringen, obwohl seine Eltern versucht hatten, ihn zu einem Architekturprojekt zu überreden.

Maxime äußerte sich nur sehr vage zu seiner Präsentation. Wenn er gefragt wurde, verriet er lediglich den Titel seines Werks: »Fressen, Flush und Funk.«

Auch Mehdi wusste, wie man die Leute neugierig machte: »Ich bereite etwas vor, womit niemand rechnet, nicht mal ich selbst. Aber eins kann ich versprechen: Es wird der absolute Hammer!« Daraufhin wollten alle mehr wissen.

Julien widmete sich seinem Comic, in dem es um einen Superhelden ging, der in Superman verliebt war. Wer schon einen Blick auf seine Arbeit hatte werfen dürfen, war beeindruckt von der Feinheit der Zeichnungen.

Clément wollte sich direkt von Abraham Poincheval inspirieren lassen, um Pluspunkte bei ihrem Lehrer zu sammeln. Ihm fehlte nur noch eine originelle Idee, worin er sich einschließen lassen könnte.

Als die neunundzwanzig Schüler der Kunstklasse am Freitag vor der Horrornacht ihre Sachen packten, waren sie in Gedanken schon beim bevorstehenden Wochenende. Und neun von ihnen noch etwas mehr als die anderen.

4.

Der große Audi hielt um kurz nach sechs vor der Schäferei, über der gerade ein heftiger Wolkenbruch niederging. Vorne und hinten öffneten sich die Türen und ein Regenschirm wurde aufgespannt. Camille, ihre Mutter und Julien, den sie mitgenommen hatten, suchten Schutz unter dem Schirm und rannten die Stufen zur Haustür hinauf. Der Regen trommelte so laut auf das Vordach, als wollte er Tote wecken. Quentin öffnete die Tür.

»Rein mit euch, schnell!«

Die Besucher betraten die Eingangshalle und tropften auf die weißen Fliesen.

»Hallo, Madame Souliol«, begrüßte Quentin Camilles Mutter, die ebenfalls mit hereingekommen war.

»Du hast deine Mutter eingeladen?« Maxime grinste Camille zu. Er war der erste Gast gewesen und hielt bereits ein Glas in der Hand.

»Mir ist nicht wohl dabei, euch in diesem Haus allein zu lassen«, gestand Estelle Souliol.

»Fang nicht wieder damit an, Mama«, stöhnte Camille, während sie im Spiegel ihr Make-up überprüfte.

»Es besteht kein Grund zur Sorge«, versicherte Quentin.

»Ihr seid hier völlig isoliert. Auf den letzten zwanzig Kilometern haben wir kein einziges Gebäude gesehen und die Straße war wie ausgestorben.«

»Was soll schon passieren? Im Haus sind wir in Sicherheit.«

»Seid ihr wenigstens telefonisch erreichbar? Hier draußen gibt es bestimmt kein Netz.«

»Mama, bitte!«

»Mein Vater hat einen Repeater installieren lassen.« Quentin zeigte auf eine weiße Dose neben der Tür. »Außerdem gibt es fast überall im Haus Überwachungskameras, die mit einer Alarmanlage verbunden sind.«

»Deine Eltern haben ein wunderschönes Zuhause aus dem alten Gemäuer gemacht.«

»Sie sind Architekten. Nachdem sie die Schäferei von meinen Großeltern geerbt hatten, haben sie viel verändert. Soll ich Sie rumführen?«

»Sehr gern!«

Camille seufzte, während Quentin mit der Hausführung begann.

Die ehemals 120 Quadratmeter große Schäferei war komplett renoviert, modernisiert und auf die doppelte Wohnfläche vergrößert worden. Sie hatte sich in eine Architektenvilla verwandelt, in der eine große Familie leben oder eine Gruppe feierfreudiger Jugendlicher am Samstagabend Party machen konnte. Der neue Grundriss und die vielen Glasflächen, die die Steinmauern auflockerten, sorgten für mehr Platz und Helligkeit. Die beiden ursprünglich voneinander getrennten Ebenen waren geöffnet, völlig neu gestaltet und durch eine zentrale Treppe miteinander verbunden worden. Das Erdgeschoss hatte sich in eine Art Loft verwandelt, in dem Küche, Esszimmer und Wohnzimmer ineinander übergingen. Es wirkte wie eine Kunstgalerie mit all den seltsamen Bildern, deren Bedeutung sich einem nicht sofort erschloss. Einige waren komplett schwarz oder weiß, auf anderen standen Fragen in weißer Schrift auf schwarzem Grund, zum Beispiel »Alles ist Kunst?« oder »Was soll das sein?«. Es gab merkwürdig geformte Skulpturen in leuchtenden, mal sanft und mal aggressiv wirkenden Farben. Zum Beispiel einen großen Apfel in Rosa, der angebissen auf einer orangefarbenen, kaktusförmigen Säule lag. Oberhalb des riesigen Raumes befand sich eine Galerie mit einem schmiedeeisernen Geländer, von der mehrere Zimmer abgingen. Der Wohnraum schien sich jenseits der großen Fenster in den Garten auszudehnen. Draußen war es vorzeitig dunkel geworden und das Unwetter sorgte für Weltuntergangsstimmung.

»Sind die Scheiben stabil?«, fragte Camilles Mutter beunruhigt.

Quentin nickte. »Sie sind sogar kugelsicher.«

Das Prasseln des Regens war so laut, als würde jemand Kies gegen die Fenster werfen. Die Planen, mit denen das Baumaterial neben der großen Grube abgedeckt war, flatterten im Wind, wie eine Horde Geister, die im Garten ihr Unwesen treiben.

»Der Pool ist noch nicht fertig«, erklärte Quentin. »Wir sind gerade bei den Erdarbeiten.«

Unter der Steintreppe, die in den ersten Stock führte, befand sich eine Holztür.

»Ein Schrank?«, fragte Camilles Mutter.

»Nein, dort geht es in den Keller. Wollen Sie einen Blick hineinwerfen?«

»Nicht nötig. Ich hatte schon immer Angst vor engen Räumen, ganz besonders vor Kellern. Leider habe ich diese Phobie an meine Tochter vererbt.«

»Gut zu wissen …«

»Warum?«

»Äh … weil wir Camille dann besser nicht zum Weinholen in den Keller schicken.«

»Ihr trinkt doch hoffentlich keinen Alkohol, oder?«

»Keine Sorge, wir sind ganz brav. Und wir setzen uns auch bestimmt nicht hinters Steuer. Möchten Sie das obere Stockwerk sehen?«

»Na gut, wenns nicht zu lange dauert.«

Im ersten Stock befanden sich mehrere Zimmer mit geschlossenen Türen und ein riesiges Bücherregal aus Teakholz, das die komplette Wand der Galerie einnahm.

»Die Schlafzimmer, das Arbeitszimmer, ein Fitnessraum und zwei Bäder.« Quentin klang wie ein Immobilienmakler, der allmählich die Lust verliert.

Camilles Mutter ließ den Blick über den großzügigen Wohnraum schweifen, mit all seinen Winkeln und Nischen, in denen ungewöhnliche Kunstwerke standen, ein gemütlicher und luxuriöser Rückzugsort mitten in dem draußen tobenden Sturm.

»Es gibt gar keine Fotos«, wunderte sie sich.

»Fotos?«

»Von dir und deiner Familie …«

»Die haben wir verloren.«

»Wie konnte das passieren?«

»Meine Eltern wollten den Umzug nutzen, um ordentlich auszumisten. Leider sind ein paar Kartons durcheinandergeraten und die Fotos sind auf der Mülldeponie gelandet.«

»Tatsächlich?«

»Ja. Im heutigen Digitalzeitalter kann einem das zum Glück nicht mehr passieren.«

»Reicht es endlich, Mama?« Camille, die zwischen Maxime und Julien stand, klang genervt. »Du willst das Haus schließlich nicht kaufen, oder?«

»Ich will nur wissen, wo ich meine Tochter hingebracht habe.«

»Bist du jetzt beruhigt?«

»Ihr bleibt hier, versprochen?«

»Wo sollen wir denn sonst hin?«

»Bei dem Wetter treiben wir uns bestimmt nicht draußen herum«, versicherte Julien.

Camilles Mutter gab ihrer Tochter einen Kuss und musterte die Haustür, die Quentin geöffnet hatte. Sie wurde ihm vom Wind fast aus der Hand gerissen.

»Panzertür«, erklärte er mit einem komplizenhaften Lächeln.

Madame Souliol lächelte zurück, trat auf die Außentreppe und öffnete ihren Regenschirm. Zwei Scheinwerfer erfassten sie. Ein großer Geländewagen mit Allradantrieb kam auf sie zu und sie wich im gleißenden Licht zurück. Der Wagen hielt und Marie, Mathilde und Léa stiegen aus, beladen mit Taschen. Sie liefen an Camilles Mutter vorbei, die den Mädchen zuwinkte, bevor sie sich in ihrem Audi vor dem Regen in Sicherheit brachte. Léas Vater, der die Scheibe heruntergelassen hatte, um zu grüßen, fuhr das Fenster schnell wieder hoch, damit sich sein Wagen nicht in ein Aquarium verwandelte.

Die Reifen des Audis drehten durch. Camille schickte ein Stoßgebet zum Himmel, damit ihre Mutter nicht im Matsch stecken blieb. Sie seufzte erleichtert, als der Audi mit gedrosselter Geschwindigkeit davonfuhr, gefolgt von dem Geländewagen, der eine Wolke Dieselgeruch zurückließ.

Léa umarmte ihre Freunde, als hätte sie sie monatelang nicht gesehen. Das war ihre sehr taktile Art der Begrüßung.

»Sind alle da?« Mathilde öffnete ihre Jacke, unter der ein T-Shirt der Hardrock-Band Crucified Barbara zum Vorschein kam.

»Ich will dein T-Shirt«, sagte Maxime.

»Ich hab nichts drunter.«

»Ich will dein T-Shirt!«

»Es fehlen nur noch Mehdi und Clément«, antwortete Quentin.

»Mehdi ist immer spät dran«, sagte Mathilde. »Aber Clément? Der träumt doch schon ewig davon, mit uns abzuhängen. Das ist, als würde ich zu spät zu einem Skunk-Anansie-Konzert kommen.«

»Ich will dein T-Shirt«, wiederholte Maxime.

»Du nervst!«

»Wie wollte Clément denn herkommen?«, fragte Léa. »Hat ihm jemand eine Mitfahrgelegenheit angeboten?«

»Ich hab ihm unsere Adresse gegeben«, sagte Quentin. »Das reicht doch, oder?«

»Wir hätten ihn mitnehmen können«, sagte Marie bedauernd.

»Ich weiß nicht mal, wo er wohnt«, gab Camille zu.

»Ist doch egal.« Quentin zuckte mit den Schultern. »Wenn er eine Mitfahrgelegenheit gebraucht hätte, hätte er sich schon gemeldet.«

»Der ist doch viel zu schüchtern.«

»Er kommt bestimmt mit Mehdi«, sagte Maxime.

»Wie wärs, wenn wir schon mal einen Schluck trinken, während wir auf die beiden warten?«, schlug Julien vor.

»Bin dabei«, sagte Quentin. »Aber lass es ruhig angehen. Heute Abend musst du jedes Mal trinken, wenn du Angst hast.«

»Funktionieren die Kameras wirklich?« Camille zupfte ihr Kleid zurecht.

»Ja, meine Eltern haben sie hauptsächlich wegen der Kunstwerke installieren lassen.«

»Heißt das, wir werden die ganze Zeit gefilmt?«

»Genial, oder?«

»Das geht gar nicht!«

»War nur ein Witz. Sie sind ausgeschaltet.«

Julien sah nach draußen, wo der Sturm tobte. Ein Blitz erhellte den noch nicht fertig angelegten Garten.

»Wow!«

Einige Sekunden später grollte der Donner direkt über ihnen. Das Haus bebte.

»Erwischt!« Julien zeigte auf Camille. »Du hast Angst gehabt, also musst du trinken.«

Quentin brachte ihr ein Glas Wodka.

Camille prostete den anderen zu. »Hiermit erkläre ich die Horrornacht für eröffnet!«

Faustschläge hämmerten gegen die Tür.

Marie schrie auf.

Julien zuckte zusammen.

Camille ließ ihr Glas fallen, das zu ihren Füßen zerschellte.

5.

Mit der Flasche in der Hand öffnete Quentin die Tür. Mehdi stürmte herein wie ein Polizist vom SEK. Er rempelte Quentin an, der das Gleichgewicht verlor und sich an Léa festhielt, ohne den Wodka loszulassen.

»Mensch, Leute, habt ihr euch hier verbarrikadiert, oder was?«, meckerte Mehdi. Er war klitschnass. »Ich klopfe schon seit einer halben Ewigkeit!«

»Sorry, ich hatte den Riegel vorgelegt.« Quentin schloss die Tür. »Camilles Mutter hat uns mit ihrer Paranoia total Angst gemacht.«

»Jetzt übertreib mal nicht«, brummte Camille, während sie die Scherben aufsammelte.

»Habt ihr schon was getrunken?«, fragte Mehdi.

»Nein, warum?«

»Weil das die Regel ist: Wer Angst hat, trinkt!«

»Wir warten trotzdem, bis alle da sind.«

Mehdi zog seine Jacke aus und hängte sie an einen freien Haken.

»Wer fehlt denn noch?«

»Clément«, antwortete Quentin.

»Wolltet ihr nicht zusammen kommen?«, wunderte sich Maxime.

»Ich und Big Loser? Soll das ein Witz sein?«

»Vielleicht hat er den Weg nicht gefunden«, sagte Marie.

Quentin zuckte mit den Schultern. »Wenn er sich verfahren hat, kann er ja anrufen.«

»Oder er hat es sich im letzten Moment anders überlegt«, mutmaßte Marie weiter.

»Bestimmt nicht«, versicherte Léa. »Er träumt seit Anfang des Schuljahres von so einer Gelegenheit.«

»Ist der DJ auch noch nicht da?«, witzelte Mehdi.

»Stimmt, hier ist es viel zu still.«

Quentin ging zu seinem PC, der an eine Soundbar angeschlossen war, und entschied sich für Wake Me Up.

»In Gedenken an Avicii«, verkündete er.

Der schwedische DJ war mit achtundzwanzig Jahren gestorben.

Feeling my way through the darkness

Guided by a beating heart

I can’t tell when the journey will end

»Gute Wahl!« Maxime grinste. »Die Musik eines Toten zum Auftakt einer Horrornacht.«

»Ich hab massenweise Essen dabei«, verkündete Mehdi. »Der Pizzabote fährt bestimmt nicht so weit raus.«

»Und ich hab ein paar Horrorfilme mitgebracht«, sagte Marie. »Die machen zwar nicht satt, aber sie passen zum Thema des Abends.«

»Ich hab eine Playlist mit gruseligen Songs zusammengestellt«, sagte Quentin.

»Zum Beispiel?«

»Sachen von Fantômas oder Carpenter Brut …«

»Wenn das alles ist, womit ihr uns erschrecken wollt, gehen wir heute garantiert früh schlafen.« Mathilde grinste spöttisch.

»Wieso, hast du was Besseres?«

»Wenn ich es vorher verrate, klappt es nicht mit dem Jump-Scare.«

Unauffällig suchte Quentin auf seinem Computer Rosemary’s Baby von Fantômas heraus. Die Stimme eines kleinen Mädchens drang aus den Boxen. Es klang wie die Tonspur eines Horrorfilms:

La la la la la la la la la la …

Quentin grinste, als sich auf den Gesichtern seiner Freunde ein leichter Schrecken abzeichnete.

»Zum Totlachen!« Er prustete los. »Schade, dass ihr euch nicht sehen könnt. Auf zur Bar, ihr müsst alle was trinken!«

»Wir wollten doch auf Clément warten«, protestierte Camille.

»Tut mir leid für deinen Verehrer, aber es ist schon weit nach sechs.«

Mehdi ging in die Küche und begann, seine Tasche auszupacken.

»Schicke Küche«, stellte er fest. »Alles aus Edelstahl, fast wie in einem Restaurant.«

Er reihte die Frischhaltedosen auf, die seine Mutter gefüllt hatte. Taboulé, Fleischbällchen und orientalisches Gebäck.

»Arabische Mandelhörnchen!« Maxime fischte ein Hörnchen aus der Dose. »Du bist mein Held!«

»Warte gefälligst, bis es Nachtisch gibt, Fettkloß!«

»Die sind einfach zu gut. Vielleicht sollte ich deine Mutter heiraten.«

»Sprich nicht so respektlos über meine Mutter!« Mehdi war plötzlich ernst geworden.

»War nur ein Witz.«