Die Nachtcreme der Nofretete - Josef Reich - E-Book

Die Nachtcreme der Nofretete E-Book

Josef Reich

0,0

Beschreibung

Ein Ägyptologe findet bei seiner Arbeit einen Papyrus aus der Zeit der Nofretete. Er übersetzt den Text und stellt fest, dass es ein Rezept für eine Schönheitscreme ist. Mit seinem alten Schulfreund, ein promovierter Chemiker, reaktiviert er die Rezeptur und testet sie. Danach bringen sie mit weiteren Personen, darunter ein Fondmanager, die Creme auf den Markt. Die Creme hat einen durchschlagenden Erfolg, so dass im Hochpreissegment der internationalen Kosmetikkonzernen der Umsatz spürbar zurückgeht. ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 385

Veröffentlichungsjahr: 2013

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Josef Reich

Die Nachtcreme der Nofretete

 

 

 

Dieses eBook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Ägypten vor 3388 Jahren

Impressum

Ägypten vor 3388 Jahren

Als Tuschratta, der König des westasiatischen Reiches Mitanni, seine Tochter Taduchepa, zu diesem Zeitpunkt hieß sie noch nicht Nofretete, nach Ägypten zum Heiraten schickte, war sie gerade mal fünfzehn Jahre alt. Ihr zukünftiger Gemahl sollte der alternde Pharao Amenophis III. werden. Der König von Mitanni ließ sich nicht lumpen, als er seine Tochter nilaufwärts mit einer großen Flotte in den Hafen der Ehe zu seinem zukünftigen Schwiegersohn bringen ließ. Allein der persönliche Hofstaat, den Tuschratta seiner Tochter mit nach Ägypten auf den Weg gab, bestand aus dreihundert Dienstboten, darunter zwei Großammen, zehn Leibpagen, dreißig Zofen, dreißig Diener und hundert Dienerinnen. Als Gegenleistung erwartete Tuschratta von seinem neuen Schwiegersohn eine Menge Gold, die vorher schon auf diplomatischem Weg ausgehandelt worden war. In ihrer Reisebegleitung befand sich auch ihr Leibarzt und Hofapotheker Pirizzi und dessen Sohn Tunipiwiri, der bei seinem Vater in die Lehre ging und die Künste des Heilens erlernen wollte.

Obwohl Taduchepa bei ihrer Ankunft in Luxor noch sehr jung war, war ihre einzigartige Schönheit bereits legendär. Von ihrer Schönheit war ihr Leibarzt und Hofapotheker Pirizzi so sehr angetan, dass ihn der Gedanke grauste, Taduchepas Schönheit könnte einmal das Opfer des natürlichen Verwelkungsprozesses werden.

Noch am Hofe von König Tuschratta fasste er deshalb den Entschluss, einen Balsam zu erfinden, mit dem die Schönheit von Taduchepa konstant erhalten werden konnte. Deshalb experimentierte er seit Jahren im Geheimen und hoffte, in der neuen Umgebung mit den besten Einbalsamierern in Kontakt zu kommen, um von deren mehrtausendjährigen Erfahrungen im Entwickeln von Konservierungsstoffen zur Herstellung seines Schönheitsbalsams zu profitieren.

Als die Barken am Kai von Luxor fest vertäut waren und Taduchepa auf der Marmortreppe ihrem Zukünftigen entgegen schritt, brach es Pirizzi fast das Herz, als er in Augenschein nehmen konnte, mit wem seine angebetete Schönheit verheiratet werden sollte.

Der künftige Ehemann von Taduchepa, Amenophis III., erwartete seine Braut auf einer erhöhten Terrasse mit seinem gesamten Hofstaat.

Auch Taduchepa musste dreimal schlucken, als sie ihren Bräutigam sah, konnte aber ihren ersten Eindruck geschickt verbergen.

Ihr künftiger Ehemann war dreimal so alt wie sie, war fett und unförmig, außerdem sah er sehr ungesund aus. Pirizzi schwor sich bei diesem Anblick, für Taduchepa einen Schönheitsbalsam zu entwickeln, der sie für dieses Opfer, das sie zu erbringen hatte, entschädigen würde. Nach der Ankunft und Begrüßung ging es in einer von der neugierigen Öffentlichkeit begleiteten Prozession zum königlichen Palast.

Die Bewohner von Luxor waren von der Schönheit Taduchepas so angetan, dass sie von dieser Stunde an von ihnen nur noch Nofretete genannt wurde.

Die Schönheit hatte von da an einen neuen Namen, der ihrem Aussehen auch gerecht wurde. Nach der Hochzeit begann für Nofretete das normale Hofleben. Sie war froh, dass ihr Gatte wegen seiner gesundheitlichen Probleme die ehelichen Pflichten nicht in vollem Ausmaß wahrnehmen konnte, außerdem war da noch ein riesiger Harem, der von Amenophis auch noch bedient werden musste.

Während sich des Pharaos Aussehen und Gesundheitszustand zusehends verschlechterte, er wurde immer fetter, sein Schädel wurde kahl, aus seinen Kiefern verschwanden Zähne und sein Mund wurde immer mehr übersät mit Alveolar-Abszessen, bewunderte das Volk die außerordentliche Schönheit der jungen Nofretete.Sie war zierlich und schlank, hatte ein zartes Gesicht mit Mandelaugen und einer vornehmen Blässe. Stets trug Nofretete ein hauchdünnes, wallendes weißes Gewand, das ihre zarten Rundungen mehr betonte als verhüllte. Pirizzi, der Arzt Nofretetes, unterstützte die Ärzte des Pharaos und tat sein Bestes für die Gesundheit des Königs. Aber auch er konnte nicht verhindern, dass Amenophis III. im Alter von fünfundvierzig Jahren starb und Nofretete als siebzehnjährige Witwe zurückließ.

Nach der Grablegung des Pharaos widmete sich Pirizzi wieder verstärkt seinen Experimenten. Er fieberte dem Tag entgegen, an dem er Nofretete persönlich den Schönheitsbalsam überreichen würde.

Inzwischen hatte er beruflichen Kontakt mit dem königlichen Obereinbalsamierer Hapu aufgenommen. Hapu war ein wahrer Meister seines Fachs, denn seit Jahrhunderten beschäftigten sich seine männlichen Vorfahren mit nichts anderem als mit der Herstellung von Mumien.

Von Hapu wurde Pirizzi in den Gebrauch und die Fermentation der Ingredienzien eingeweiht, die zur Herstellung des Mumienbalsams notwendig waren.

In seinem Sohn Tunipiwiri hatte Pirizzi einen guten Mitarbeiter, der unter anderem die Aufgabe hatte, jedes Experiment akribisch zu dokumentieren.

Während Pirizzi darauf bedacht war, von seinem ägyptischen Kollegen jede nur erdenkliche fachliche Information zu erhalten, war er aber andererseits ebenso bedacht, über seine Arbeit keine Silbe weiterzugeben.

Mit seinem Sohn bewohnte er in der Nähe des königlichen Palastes eine große Villa mit einem hervorragend ausgestatteten Labor, da er ja auch für die Herstellung der persönlichen Gebrauchskosmetik der Nofretete zuständig war.

Pirizzi machte seine Arbeit so geheim, dass er sogar die Anwendungstests an sich selbst vornahm.

Pirizzis Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Obereinbalsamierer Hapu zeigte auch bald seine Früchte. Pirizzi bemerkte auf seinem linken Handrücken, den er als Testfläche benutzte, eine Veränderung.

Auf seinem Handrücken war deutlich zu erkennen, wie sich die Haut an dieser Stelle verjüngte. Sie wurde straffer, ebenmäßiger und die Faltenstruktur begann sich zu verfeinern. Pirizzi wollte sichergehen und führte eine Reihenuntersuchung durch, indem er seinen behandelten Handrücken mit dem Handrücken junger Sklavinnen verglich.

Und in der Tat, es stimmte tatsächlich. Er, Pirizzi, der in einem Alter war, in dem sich die Zeichen der Vergänglichkeit zeigten, konnte wirklich feststellen,dass sich seine behandelte Haut auf seinem Handrücken in einer Rückwärtsbewegung befand.

Pirizzi war mit sich zufrieden, denn er war auf dem richtigen Weg. Zumindest hatte er die Gewissheit, bei seinem Balsam die richtigen Zutaten zu verwenden. Es konnte also seiner Meinung nach nur an der Fermentierung liegen, um eine noch bessere Wirkung zu erzielen.

Pirizzi experimentierte weiter, aber es wollte sich kein weiterer Fortschritt einstellen.

Inzwischen hatte er sich eine Testperson zugelegt, die ihm ständig zu Diensten war, so dass er seine Balsamproben ständig auf Fortschritte untersuchen konnte. Die Testperson war eine alte erblindete Bettlerin namens Ti, auf die er auf einem seiner Spaziergänge durch die Stadt aufmerksam geworden war.

Was ihm an ihr so gefiel, war das total verrunzelte Gesicht der Alten. In ihr sah er die optimale Testperson. Zum Erstaunen seiner Diener und Dienerinnen, aber auch zum Erstaunen seines Sohns, quartierte er die alte Blinde in einem der Nebengebäude seiner Villa ein. Seine Hausangestellten wunderten sich noch mehr, als er ihnen befahl, die Alte zu waschen und neu einzukleiden.

Die Dienerinnen taten, was ihnen von Pirizzi auftragen wurde.

Die Alte wusste nicht, wie ihr geschah, sie hatte plötzlich ein angenehmes Zuhause und zudem genügend zum Essen. Sie konnte sich ihre neuesten Lebensumstände nicht erklären, noch weniger konnte sie es sich erklären, dass jeden Abend, bevor es dunkel wurde, ihr neuer Herr zu ihr in ihre Einraumwohnung trat und ihr Gesicht mit einer öligen Substanz einrieb.

Nach dieser Prozedur durfte sie zu den anderen Mitgliedern des Gesindes keinen Kontakt mehr aufnehmen.

Auch an jedem Morgen nach der Prozedur war Pirizzi der Erste, mit dem sie Kontakt hatte. Erst als Pirizzi die Genehmigung erteilte, durfte sie mit den anderen sprechen. Das Einzige, was der Gesindeschar auffiel, war die unübersehbare Tatsache, dass die Alte jetzt viel besser aussah als vor ihrer Einquartierung bei Pirizzi.

Pirizzi war mit der Erfindung seines Balsams so sehr beschäftigt, dass er auch regelmäßig nachts davon träumte. Eines Nachts, es war eine klare Vollmondnacht, war er gerade wieder im Traum damit beschäftigt, einen neuen Fermentierungsversuch zu entwickeln, da erschien ihm eine Gestalt und sagte ihm, dass bei seinem Sud noch eine wichtige Zutat fehlt: Silicea.

Als Arzt war Pirizzi zwar Realist und den irdischen Dingen zugetan, trotzdem war er den Göttern sehr ergeben und deutete den Traum als göttliche Erleuchtung. Bei seinem nächsten Experiment benutzte er als weiteren Zusatz Silicea.

Nach dem nächsten Fermentierungsprozess mit Silicea stand fest: Die Götter hatten Recht gehabt. Pirizzi trug wie die ganze Zeit auch die neue Textur höchstpersönlich auf das Gesicht seiner blinden Mitarbeiterin auf.

Am nächsten Morgen, als er das Ergebnis überprüfte, ließ ihn das, was er sah, spontan ein Dankgebet sprechen. Jahrelang hatte er experimentiert und sich das mögliche Ergebnis auch vorgestellt, aber das, was er jetzt erlebte, war jenseits aller Vorstellungskraft gewesen: Das runzlige Gesicht der Alten war glatt und wie aufgepolstert, keine Spur mehr von einem Fältchen.

Vor ihm saß eine Frau in einem alten Körper, aber mit dem Gesicht eines Mädchens.

Pirizzi erklärte den Wohnbereich der alten Frau mit dem jungen Gesicht zum Sperrbezirk, niemand aus der Dienerschaft, auch nicht sein Sohn, durfte zu ihr. Alles, was die Frau an diesem Tag zum Leben brauchte, wurde ihr von Pirizzi persönlich in ihren Wohnraum gebracht. Er besuchte sie in regelmäßigen Abständen, um die Wirkung seines Balsams beobachten und dokumentieren zu können.

Gegen Nachmittag bemerkte Pirizzi ein Nachlassen der Wirkung des Balsams. Um die Wirkungsweise seines Balsams präziser beobachten zu können, ließ Pirizzi die Frau in sein Labor umquartieren und sorgte dafür, dass in den folgenden sieben Tagen niemand in Kontakt zu ihr trat. Jeden Abend, kurz vor Sonnenuntergang balsamierte er ihr Gesicht ein und wachte an ihrem Lager, um das Einsetzen der Wirkung zu beobachten.

Nach sieben Tagen konnte er mit Gewissheit sagen, dass es fast drei Stunden dauerte bis sein Balsam begann, die Gesichtshaut zu verwandeln. Die Wirkung hielt an die zehn Stunden an und klang dann langsam wieder aus.

Pirizzi wollte auf Nummer sicher gehen und suchte sich eine weitere Testperson, deren Gesicht von der Natur vorbereitet war. Er musste nicht lange suchen, da es genügend Blinde mit runzliger Haut in der Stadt gab. Abermals führte er seinen Test durch, diesmal mit zwei Frauen und über die zeitliche Distanz von zwölf Tagen.

Dann stand fest: Der Balsam wirkte.

Pirizzi war glücklich. Nun war es an der Zeit, seinen neuen Schönheitsbalsam seiner geliebten Herrin Nofretete zum Geschenk zu machen.

Aber zunächst kam es anders. Der Pharao, Amenophis III., starb.

Pirizzi wusste, dass in den nächsten neunzig Tagen, in denen der Leichnam für die Grablegung vorbereitet wurde, nicht der richtige Zeitpunkt war, den Kontakt mit der siebzehnjährigen Witwe aufzunehmen.

Das Hofprotokoll hätte ihm auch dafür keine Gelegenheit gegeben.

Nofretete trug Trauer.

Ihr Kleid war ein in zahlreichen Falten lose herabhängender weißer Sack. Außerdem stellte sie als Zeichen des Kummers die täglichen Waschungen ein und streute sich Erde aufs Haupt.

Die Zeit der Trauer verging und Ägypten brauchte einen neuen Pharao.

Der neue Pharao hieß Amenophis IV., der spätere Echnaton, Sohn von Amenophis III.

Dieser war bei seinem Regierungsantritt zwölf Jahre alt. Nofretete heiratete den vierten Amenophis und wurde Königin von Ägypten.

Für Pirizzi war jetzt die Zeit gekommen, seiner hochverehrten Königin den Wunderbalsam zu überreichen. Es gelang Pirizzi, über den Zeremonienmeister Umuhamko bei Nofretete eine Audienz zu erwirken.

Nofretete wollte sich die langweilige Zeit beim Modellstehen für eine neue Plastik von ihr etwas verkürzen und befahl Pirizzi in das Atelier von Oberbildhauer Thutmosis, der gerade an einem neuen Kunstwerk von ihr arbeitete.

Thutmosis war wie Pirizzi ein glühender Verehrer der schönen Königin. Nofretete ihrerseits liebte es, von dieser in Ägypten überragenden Künstlerpersönlichkeit als Kunstwerk dargestellt zu werden.

Deshalb war Thutmosis ständig damit beschäftigt, von Nofretete eine neue Skizze, eine Skulptur oder eine Modellbüste anzufertigen.

Thutmosis war hingerissen von der Schönheit seiner Königin, nicht nur als Künstler, sondern auch als Mann, sah er doch Nofretete öfter als jeder andere – er stellte sie nackt dar, machte Abgüsse ihrer Kopf- und Halspartien.

Thutmosis verliebte sich in die Königin und die Phantasie des Künstlers entwarf erotische Visionen.

Als Pirizzi das Atelier betrat, saß Nofretete auf einem hölzernen Hocker und trug ihr Lieblingskleid: ein hauchdünnes, weißes wallendes Gewand, das ihre Rundungen mehr betonte als verhüllte, wodurch Thutmosis veranlasst wurde, genauestens Maß zu nehmen.

Das große Dekolleté von Nofretetes Gewand wurde von einem breiten Halskragen eingerahmt, der mit Gold und Halbedelsteinen besetzt war und einem Kranz aus Blütenblättern des blauen Lotus und Früchten des Perseabaums nachgebildet war.

So hatte Pirizzi seine Angebetete noch nie gesehen, sein Kreislauf trug schwer an der Last dieses wunderschönen Anblicks.

Etwas abseits stand eine Dienerin, die geduldig darauf zu warten schien, von ihrer Königin einen Befehl zu erhalten. Thutmosis war konzentriert bei der Arbeit und machte den Eindruck, als würde ihn die Anwesenheit von Pirizzi nicht stören.

Der Zeremonienmeister trat vor Nofretete und wartete auf ein Zeichen von ihr.

Sie ließ ihn nicht lange warten, gab ein Zeichen und er durfte reden.

Als er Nofretete mitteilte, mit was Pirizzi, den sie ja bisher nur als Arzt und Apotheker in Erinnerung hatte, seiner Herrin aufwartete, ging ein freudiges Lächeln über ihr Gesicht.

Sie winkte Pirizzi heran.

Pirizzi näherte sich ihr, hielt aber den vom Protokoll vorgeschriebenen Abstand ein.

Alles Weitere übernahm nun der Zeremonienmeister. Er nahm aus der Hand von Pirizzi die goldenen Tiegel mit dem Balsam und überreichte ihn der Königin.

Die Königin nahm den Deckel des Tiegels ab und roch an dem Inhalt. Offensichtlich war sie zufrieden. Dann blickte sie fragend auf Pirizzi, der dies als Zeichen betrachtete, seiner Königin die Anwendung zu erklären.

Nofretete winkte ihre Dienerin heran, übergab ihr den Tiegel. Dann brachte der Zeremonienmeister Pirizzi wieder hinaus.

Thutmosis hatte die ganze Zeit in höchster Konzentration weitergearbeitet, doch seinen Ohren war kein einziges Wort entgangen. Er wusste, wie die Königin zu den schönen Dingen dieser Welt stand, besonders zu Kunstwerken, die er von Nofretete in Vergangenheit kreiert hatte. Bislang war er sich sicher, dass es weit und breit niemanden gab, der der Schönheit der Königin und ihrem Narzissmus mehr dienen konnte als er. Instinktiv wurde ihm aber in den letztenMinuten die Gefahr bewusst, die von dem Arzt und Apotheker ausgehen könnte, falls der neue Balsam wirklich das halten sollte, was von ihm versprochen worden war.

Die Königin könnte, so befürchtete Thutmosis, ihre Aufmerksamkeit von ihm abwenden und in Zukunft mehr den Arzt bevorzugen. Ein Gefühl der Eifersucht begann sich in Thutmosis auszubreiten, mehr und mehr nahm es sein Denken in Beschlag, doch er ließ sich nichts anmerken.

Nofretete richtete sich nach den Empfehlungen von Pirizzi und ließ sich von ihrer für die Kosmetik zuständigen Dienerin vor dem Schlafengehen das Gesicht mit dem Balsam behandeln. Sie wurde dafür belohnt.

Für die Königin begann der nächste Tag wie immer früh morgens kurz vor Sonnenaufgang. Nofretete erwachte vom Duft frischer Myrrhe und von den Klängen einer Damenkapelle. Eine Dienerin, die den Augenblick abzupassen hatte, in dem Nofretete die Augen öffnete, zog sofort das segeltuchartige Leinentuch vor dem Fenster des riesigen Schlafgemachs beiseite, um die ersten goldenen Strahlen der Sonne hereinzulassen.

Nofretete schlief allein. Nofretete schlief nackt.

Ihr Bett war aus kostbarem Ebenholz, verziert mit kunstvollen Einlegearbeiten aus Metall und Halbedelsteinen.

Die Matratze aus Ziegenhaar war mit feinem, weißem Leinentuch überzogen. Ein weiteres Leinentuch diente der Königin als Zudecke.

Im Nebenraum des Schlafraumes wartete eine Schar Dienerinnen mit goldenen Krügen, gefüllt mit Wasser und duftenden Essenzen, um Nofretete bei ihrem morgendlichen Bad zu assistieren.

An diesem Morgen kam es anders als sonst.

Wie immer stieg sie frisch wie Tau und wunderschön aus ihrem Bett aus, doch der Balsam hatte in der Nacht seine Wirkung als Schönheitskatalysator entfaltet.

Nofretete merkte es an den Blicken ihrer Dienerinnen, die sie ansahen, als wäre sie die neugeborene und schönste Tochter des Aton, denn die Schönheit ihrer Herrin hatte in der Nacht eine Steigerung ins Unbeschreibliche erfahren. Bevor Nofretete ins Bad stieg, überzeugte sie sich selbst von dem Wunder, das Pirizzis Balsam an ihr vollbracht hatte. Atemlos und berauscht betrachtete sich Nofretete in den eilends herbeigebrachten Spiegeln.

Das Geschehen der Nacht verbreitete sich in Windeseile im ganzen Palast und auch nach außen.

Nofretete, die an diesem Morgen nach dem Frühstück einen Termin mit Thutmosis vereinbart hatte, sagte diesen ab. Stattdessen schickte sie nach Pirizzi, der schnell vom Zeremonienmeister herbeigeholt wurde.

Nofretete erwartete Pirizzi in ihren Privatgemächern, doch sie war nicht allein.

Bei ihr war Thotnofer, der königliche Schreiber. Er saß an einem Tischlein aus Ebenholz, vor sich Schreibzeug und Papyrus.

Pirizzi warf einen verstohlenen Blick auf die höher sitzende Königin am Ende des Raumes.

Bei den Göttern, fand er, war diese Frau schön, etwas Vergleichbares hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Seine Phantasie wäre auch nicht in Lage gewesen, sich eine Frau mit dieser Strahlkraft vorzustellen.

Der Zeremonienmeister eröffnete Pirizzi den Sachverhalt.

Die Königin sei der Ansicht, so der Zeremonienmeister, dass das Rezept des neuen Balsams königliches Eigentum sei, da ja Pirizzi immerhin in ihren Diensten stand und auch von ihr bezahlt werde.

Pirizzi wusste, was jetzt auf ihn zukommen würde. Der Zeremonienmeister Umuhamko forderte Pirizzi auf, dem Schreiber Thotnofer die Einzelheiten der Balsamherstellung, die Zutaten, deren Mengen und den Verlauf der erforderlichen Fermentation mitzuteilen.

Thotnofer notierte die Angaben auf das Papyrus. Dann las er Pirizzi die Angaben noch einmal vor und ließ sie sich durch Kopfnicken bestätigen. Als Umuhamko fertig war, fiel Pirizzi ein, dass er vergessen hatte, die Zugabe Silicea zu nennen. Er wollte auf seine Vergesslichkeit aufmerksam machen, überlegte es sich aber noch einmal anders, weil er den Zorn des Zeremonienmeisters fürchtete.

Dann war der Zeremonienmeister an der Reihe. Er verkündete Nofretetes Befehl, dass der Balsam einzig und allein nur für die Königin hergestellt werden dürfe. Zuwiderhandlungen hätten die Todesstrafe zur Folge.

Thotnofer notierte und las wieder vor. Die Königin nickte zustimmend und zufrieden, denn durch ihr Dekret war sie neben der Herrscherin über Ägypten auch die Herrscherin über die Schönheit geworden.

Weiter verfügte die Königin, dass sie sich Pirizzi gegenüber noch erkenntlich zeigen würde.

Dann wurde Pirizzi entlassen.

In Pirizzis Arbeitsleben gab es von diesem Tage an eine einschneidende Änderung: Seine Arbeit und sein Labor wurden täglich zweimal durch mehrere Kontrolleure, die dem Zeremonienmeister unterstanden, überprüft. Für Pirizzi war dies ein Zeichen, welche Bedeutung seine Erfindung für die Königin hatte. Außerdem war er sich auch der Gefahr bewusst, in die er sich bringen würde, sollte er sich nicht in Verschwiegenheit üben.

Pirizzi fand sich damit ab und hätte bis ans Ende seiner Tage als Leibarzt und Hofapotheker ein zufriedenes Leben führen können, wäre da nicht Thutmosis gewesen.

Thutmosis missfielen zwei Dinge: Erstens sah er sich im Zusammenhang mit Pirizzis Erfindung ins zweite Glied rücken, was die Gunst der Königin anging. Er war zwar hervorragender Künstler, der wie kein anderer in der Lage war, die Schönheit der Königin in Kalkstein, Marmor oder Gips authentisch nachzuahmen. Aber jetzt hatte ihm gegenüber Pirizzi den unbestreitbaren Vorteil, die ohnehin sagenhafte Schönheit der Königin noch schöner zu machen. Zweitens hatte er Zweifel daran, ob es ihm jemals gelingen würde, die neue Schönheit der Königin künstlerisch darzustellen. In Thutmosis Gedanken stiegen düstere Pläne auf. Er entschied sich für den radikalsten Plan: Pirizzi musste verschwinden und anschließend der Balsam-Papyrus.

Als Künstler in Staatsdiensten hatte es Thutmosis im Laufe der Zeit zu einem respektablen Reichtum gebracht, einhergehend mit dem damit verbundenen Ansehen und dem dazugehörigen Netzwerk an Beziehungen.

Thutmosis brütete drei Tage, dann war der Plan ausführungsreif.

Währenddessen ging Pirizzi wie gewohnt seiner Arbeit nach. Bis auf die Kontrollen von Staats wegen hatte sich nichts geändert. Als Wissenschaftler hatte er einen klar strukturierten Tagesablauf, von dem er nur ganz selten abwich, selbst für die Damen, denen er ab und zu einen bezahlten Besuch gewährte, hatten ihre festen Besuchszeiten. Dadurch war Pirizzi berechenbar, eine Tatsache, welche die Umsetzung von Thutmosis Plan erleichterte und das Leben von Pirizzi verkürzte.

Pirizzi begab sich jeden Abend um die gleiche Zeit zur Nachtruhe, so auch an dem Abend, der ihm zum Verhängnis werden sollte. Pirizzi schlief wie immer schnell ein und befand sich kurze Zeit später in der ersten Tiefschlafphase.

Die Helfershelfer von Thutmosis hatten also leichtes Spiel.

Pirizzi merkte zwar den Biss der Schlange, aber es blieb ihm keine Zeit mehr zu reagieren. Das Schlangengift lähmte zuerst seinen Atem und dann seinen Herzmuskel.

Die Nachricht vom plötzlichen Tod Pirizzis löste bei Nofretete Bestürzung aus, aber nicht weil sie um Pirizzis Leben trauerte, sondern weil sie sich Gedanken darüber machte, wer wohl künftig den Balsam herstellen würde. Den zweiten Teil seines Planes wollte Thutmosis ebenso elegant und lautlos umsetzen.

Im Laufe seiner Tätigkeit als Künstler, Architekt und Baumeister hatte Thutmosis bis zu diesem Tage eine fast unüberschaubare Zahl an Zeichnungen, Plänen und Skizzen angefertigt, die allesamt im Palastarchiv aufbewahrt wurden. Thutmosis hatte zu dem Archiv uneingeschränkten Zugang, wovon er auch seit Jahren regelmäßig Gebrauch machte. Deshalb wollte er bei einem seiner nächsten Besuche im Archiv das Original gegen eine von ihm persönlich angefertigten Fälschung austauschen.

Aber dazu kam es nicht.

Die Königin wollte sicherstellen, dass die Balsamproduktion auch in Zukunft gewährleistet ist und beauftragte den Sohn von Pirizzi, Tunipiwiri, gelehriger Schüler seines Vaters, mit der Herstellung des Balsams.

Unter Aufsicht der königlichen Palastwache begann Tunipiwiri mit der Herstellung des Balsams auf der Grundlage des im Palastarchiv gelagerten Papyrus.

Der von Tunipiwiri hergestellte Balsam zeigte zwar als Endprodukt eine gewisse Wirkung, aber er war weit davon entfernt, Nofretetes Schönheit zur absoluten Blüte zu führen.

Nofretete ließ noch weitere Experten sich an dem von Pirizzi hinterlassenen Rezept versuchen, darunter auch den Obereinbalsamierer Hapu, aber es wollte einfach nicht gelingen. Eine Zutat fehlte immer: Silicea.

3384 Jahre später

Die Tagesabläufe von Benni Butterfeld begannen sich im Laufe der Jahre mehr und mehr zu ritualisieren. Nach der Arbeit im Labor, im Hörsaal oder im Büro ging er in der Regel zum Einkaufen in den Supermarkt in der Nähe der Universität. Anschließend ging er nach Hause, um eine Kleinigkeit zu essen. Abends aß er nie sehr viel, weil er seine Hauptmahlzeit schon am Mittag in der Mensa zu sich genommen hatte.

Mit der Zeit hatte es sich so eingespielt, dass er mit dem Essen kurz vor sieben Uhr fertig war. Dann stellte er das benutzte Geschirr in den Geschirrspüler, schaltete danach den Fernseher an und wartete auf die Nachrichtensendung.

Neben der Sportschau waren die Nachrichten die einzige Serie, die ihn wirklich interessierte.

Nach den Nachrichten ging er täglich in den „Numerus Clausus“, eine urige Kneipe gleich um die Ecke. Der „Numerus Clausus“ war seine Stammkneipe.

Seinen originellen Namen hatte das Lokal vor fünfzehn Jahren bekommen. Namensgeber war damals der heutige Wirt Markus Venezius Aumüller, dessen Vater damals am Churpfälzischen Gymnasium Latein und Griechisch unterrichtete. Während sein altphilologischer Vater fachlich, nicht pädagogisch, als eine Koryphäe galt, machte Markus Venezius als Schüler nie mehr als er gerade musste, nicht selten machte er gar nichts.

Nach der Reifeprüfung wollte Markus Venezius seinen Wunsch verwirklichen und Jura studieren. Doch er scheiterte am Numerus Clausus, der damals an der juristischen Fakultät bei dreikommasieben lag.

Kurzerhand änderte Markus Venezius seine Lebensplanung und wurde Gastwirt. Er pachtete die damals heruntergekommene Kneipe zum „Scharfen Eck“ und machte ein niveauvolles und gutgehendes Szenelokal daraus. Dass die Kneipe einschlug und sich von Anfang an gut entwickelte, war nicht auf die besonderen gastronomischen Fähigkeiten von Markus Venezius zurückzuführen, sondern auf sein besonders glückliches Händchen bei der Auswahl des weiblichen Personals. Markus liebte Oberweiten in der gehobenen Körbchenklasse, und diese Oberweiten wurden zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell.

Es war ein Donnerstagabend und Benni Butterfeld saß diesmal später als sonst am Tresen des „Numerus Clausus“, weil dienstags und donnerstags sein Tagesverlauf eine andere Reihenfolge hatte. An diesen Abenden ging er nach Arbeit zuerst joggen und danach einkaufen, dadurch entfielen die Siebenuhrnachrichten. Seine Informationen zum Tagesgeschehen bezog er an diesen Tagen aus den Spätnachrichten.

Da saß er nun am Tresen und da sein Durst nach dem Joggen größer war als sonst, bestellte er gegen acht Uhr sein viertes Pils. Er trank nur Pils, weil er den herben Geschmack so mochte.

Die blonde Thekerin mit der nicht alltäglichen Oberweite stellte ihm das bestellte Pils auf den Filz, machte am Rand einen zusätzlichen Strich und sagte wie immer: „Wohl bekomms, Benni!“

Und Benni sagte dann wie immer: „Danke, Gisela“.

Wenn viele Gäste da waren, dann widmete sich Gisela gleich wieder dem Zapfhahn, wenn weniger Gäste da waren, dann hatte sie Zeit zu einem Gespräch, einer ihrer Lieblingsgesprächspartner war Benni, der horchte ihr wortlos zu und nickte in regelmäßigen Abständen.

Meistens redete Gisela über ihre Scheißarbeit, nicht über die Arbeit im „Numerus-Clausus“, sondern über ihre Haupttätigkeit als sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerin. Ihre Haupttätigkeit bestand darin, dass sie von morgens sieben Uhr bis nachmittags um vier Uhr in einer Elektrofabrik für einen Scheißlohn, wie sie immer zu sagen pflegte, Platinen lötete.

An diesem Abend waren viele Gäste da, deshalb ging sie gleich zurück zum Zapfhahn.

Benni war wieder mit seinem Pils allein an der Theke. Er schaute sich um, aber es war niemand da, mit dem er sich gerne unterhalten hätte. Also unterhielt er sich mit sich selbst, indem er nachdachte. Er dachte darüber nach, dass er sich sein Leben doch eigentlich ganz anders vorgestellt hatte.

Dabei fing alles so gut an.

Nach dem Abitur ging Benni Butterfeld zur Universität und studierte sein Lieblingsfach: Chemie.

Das Studium bereitete ihm keine Schwierigkeiten, er konnte es sogar von der amtlich festgelegten Regelstudienzeit mit einem sehr guten Diplom abschließen.

Da er bei den Professoren einen sehr guten Namen hatte, bot man ihm am Lehrstuhl für Chemie eine Assistentenstelle mit der Möglichkeit zur Promotion an.

Benni nahm an und promovierte über die historische Entwicklung der Verwendung pflanzlicher Substanzen bei der Herstellung von Kosmetika.

Die Qualität seiner Promotionsarbeit stand der seiner Diplomarbeit in nichts nach, so dass er unmittelbar nach dem Rigorosum eine Festanstellung als akademischer Rat am Institut für organische Chemie bekam. Seit dieser Zeit arbeitete er in der universitären Ausbildung für Nachwuchschemiker und tat Semester für Semester immer das Gleiche.

Da sein Gehalt relativ einträglich war und er die berechtigte Chance besaß, irgendwann einmal akademischer Direktor zu werden, entwickelte er keine großen Karriereambitionen. Er hatte auch keine Lust, in einem Labor eines Pharmakonzerns unter permanentem Stress ständig neue Erfindungen zu produzieren. Er hatte es lieber stressfrei und dafür nahm er die berufliche Eintönigkeit in Kauf.

Inzwischen war er jenseits der Dreißig angekommen und täglich verstärkte sich sein Eindruck, sein Berufsleben bestünde nur aus routinierter Langeweile.

Um nicht vollends der Langeweile anheim zu fallen, hatte er gelegentlich schon mal daran gedacht zu heiraten und sich wie viele seiner Bekannten häuslich niederzulassen.

Aber diese Gedanken ließ er schnell wieder fallen, weil er indirekt von seinen verheirateten Artgenossen mitbekam, dass man sich mit Frauen und allem, was damit zusammenhängt, nur Probleme aufhalst, die man vorher noch nicht hatte.

Dabei hatte er durchaus das Zeug dazu, mittels standesamtlicher Beglaubigung in eine andere Lohnsteuerklasse zu kommen. Er war schlank, 183 cm groß und blond. Experten hätten ihn auf einer Skala zwischen Brad Pitt und Kevin Costner eingeordnet. Sein Dresscode entsprach nicht seinem akademischen Stand, sondern eher dem eines Soziologiestudenten, nur eben sauberer, außerdem war er immer glattrasiert.

Aber jedes Mal, wenn er von verheirateten Kollegen und Sportfreunden beneidet wurde, weil er alle Freiheiten der Welt besaß und Herr seiner Zeit war, wusste er, dass seine Entscheidung, in Zukunft weiter sein Frühstück nur für sich allein zu machen, richtig war.

Da saß nun Benni Butterfeld an der Theke und dachte an den nächsten Tag, der ihm nichts weiter bringen würde, als Klausuren zu korrigieren und zu bewerten, möglicherweise verbunden mit dem ein oder anderen versteckten Hinweis einer Studentin, für eine bessere Punktezahl zu einem späteren Zeitpunkt eine Gegenleistung zu erbringen. Aber Benni war unbestechlich. Benni bestellte noch ein Pils, trank es aus und ging nach Hause.

Dort begann Benni, sich für die Bettruhe zu präparieren. Gerade hatte er die Zahnbürste an ihren Platz gelegt, da klingelte das Telefon. Wahrscheinlich, schätzte Benni, war es wieder die Telefonbox.

Er lag mit seiner Einschätzung richtig.

Nach der üblichen Vorankündigung durch eine sterile weibliche Stimme meldete sich schließlich eine dunkle Männerstimme: „Hallo Benni, hier spricht Kurt Dabakov, ruf' mich bitte mal zurück“. Dann sagte Kurt Dabakov die Nummer auf, unter der er zu erreichen war und legte auf.

Benni war überrascht, Kurt Dabakov?

Benni überlegte eine Weile, um die Zeit zu errechnen, die vergangen war, seit er seinen alten Schulfreund Kurt Dabakov nicht mehr gesehen hatte.

Ja, konnte das denn die Wahrheit sein, über fünfzehn Jahre waren inzwischen ins Land gegangen.

In der Schule waren Benni und Kurt unzertrennlich gewesen, dann kam das Abitur und danach trennten sich ihre Wege. Inzwischen hatte zwar ein Klassentreffen stattgefunden, aber Kurt war damals nicht erschienen und keiner wusste eigentlich, was mit Kurt los war.

Benni’s Gedanken gingen zurück. Kurt hatte zwar in der Schule andere Akzente als seine Mitschüler gesetzt, aber vielleicht war er gerade deshalb für eine Freundschaft interessant gewesen.

Kurt war zwar der schlechteste Sportler der Klasse gewesen, weil er Anstrengungen dieser Kategorie nicht ausstehen konnte, aber dafür war er ein Sprachgenie. Kurt hatte die alten Sprachen gewählt und entwickelte bei deren Studium gigantische linguistische Fähigkeiten. Da ihm Latein und Griechisch nicht genügten, beschäftigte er sich mit der ägyptischen Sprache und deren schriftlichen Umsetzung. Die ägyptische Sprache ließ ihn nicht mehr los. Zugunsten der ägyptischen Sprache gab er seinen lang gehegten Berufswunsch, Experte für griechische und lateinische Lyrik zu werden, auf. Nach dem Abitur zog es ihn an eine der altehrwürdigen Universitäten, an der das Fach Ägyptologie Tradition hatte. Und seit dieser Zeit hatten sie nichts mehr voneinander gehört.

Benni schaute auf die Uhr und überlegte. Dann fasste er den Entschluss, Kurt Dabakov erst am nächsten Tag anzurufen. Zwischen der Korrektur von zwei Klausuren wäre ein Gespräch mit Kurt ganz angenehm und abwechslungsreich.

Am nächsten Morgen begann Benni in seinem Büro mit der Korrektur der Klausuren.

Es war diesmal wie in den Semestern davor. Links vor ihm auf dem Schreibtisch lag der Stapel unkorrigierter Klausuren. Er nahm eine nach der anderen, korrigierte sie und legte sie nach rechts, wo der Stapel immer höher wurde.

Für einen Rückruf an Kurt hatte er sich die Zeit nach der sechsten Klausur vorgenommen. Benni ging immer nach der sechsten Klausur in die Mensa auf einen Kaffee und ein Käsebrötchen. Aber vorher wollte er Kurt anrufen.

Benni schaute auf die Uhr. Es war Punkt zehn. Er wählte die Nummer und wartete. Nach drei Klingelzeichen wurde am anderen Ende der Leitung der Hörer abgenommen und es meldete sich eine Männerstimme mit „Kurt Dabakov“.

„Ach, du bist schon wach“, scherzte Benni ins Telefon, „ich habe deine Nachricht erhalten Wo steckst du ?“ „ Du wirst es nicht glauben“, kam die Antwort, „aber ich bin hier in der Stadt. Ich halte heute Abend einen Vortrag beim Historischen Verein. Vielleicht wäre es möglich, dass wir uns vorher treffen können. Ich habe auch etwas dabei, was dich mit Sicherheit interessieren wird.“

„Okay“, sagte Benni, „ich freue mich darauf, dich wiederzusehen. Ich gespannt, was du mir zeigen willst. Wo sollen wir uns treffen?“

Kurt Dabakov überließ es Benni, den Ort des Treffens auszuwählen.

Benni schlug vor, das Treffen um fünf Uhr im „Numerus Clausus“ stattfinden zu lassen. Benni wusste, dass um diese Zeit noch nicht so viele Gäste da sein werden, so dass eine ungestörte Unterhaltung möglich sein würde.

Benni war schon eine Viertelstunde früher im „Numerus Clausus“ und hatte den nach seiner Meinung ruhigsten Tisch ausgesucht.

Pünktlich wie ein Maurer kam Kurt Dabakov um fünf Uhr zur Tür herein. Kurt blieb am Eingang stehen und blickte suchend durch den Gastraum. Hinter ihm fiel die automatische Tür ins Schloss.

Dann erblickten sie sich gleichzeitig.

Benni stand auf und kam Kurt auf halbem Weg entgegen.

Zur Überraschung der anderen Gäste umarmten sie sich in der Mitte des Raumes und klopften sich auf die Schultern wie zwei kleine Jungs, die soeben ein Tor geschossen hatten. Auch Gisela hinter dem Tresen war überrascht ob der herzlichen Begrüßung, so hatte sie Benni noch nie gesehen.

Beide gingen zum Tisch, den Benni ausgesucht hatte und setzten sich.

Aus lauter Neugier hatte es Gisela eilig, an den Tisch der beiden Männer zu kommen, um die Bestellung aufzunehmen. Benni bestellte ein Pils, Kurt bestellte ein Mineralwasser, weil er, wie er sagte, beim abendlichen Vortrag beim Historischen Verein einen klaren Kopf behalten wollte.

„Wer fängt an?“, fragte Benni.

„Du natürlich“, antwortete Kurt.

Dann begann Benni seinem alten Schulfreund seinen beruflichen und sonstigen Werdegang nach Beendigung der Schulzeit zu erzählen.

Dann war Kurt an der Reihe.

Kurt, so befand Benni, hatte sich gut gehalten. Seine Figur war drahtig geworden. Er sah gar nicht aus wie einer, der sich mit ägyptischer Sprache und Geschichte beschäftigte, eher wie ein smarter Weltreisender. Er war modisch gekleidet und erweckte nicht den Deut eines Anscheins, ein verknöcherter Gelehrter zu sein.

Kurt erzählte von seinem Studium der Ägyptologie und von seiner beruflichen Tätigkeit danach.

Im Gegensatz zu Benni war Kurt weder beamtet, noch war er irgendwo fest angestellt. Als renommierter Ägyptologe konnte er sich seine Arbeit selbst aussuchen und einteilen. Er arbeitete auf eigene Rechnung. Im wissenschaftlichen Betrieb hatte er es inzwischen international zu einer ansehnlichen Reputation gebracht. Als wissenschaftlicher Dienstleister und Fachbuchautor hatte er keine finanziellen Sorgen. Vorträge wie beim Historischen Verein hielt er nur aus Gefälligkeit, in der Hauptsache war er meistens als Experte für Museen auf der ganzen Welt unterwegs. Daneben veröffentlichte er sehr viel in Fachzeitschriften und zur Zeit, so teilte er seinem verblüfften Freund Benni mit, schreibe er an einem Standardwerk über die ägyptische Architektur am Beispiel des Aton-Tempels von Karnak.

„Schau Benni“, sagte er, „wenn irgendwo auf der Welt alte ägyptische Texte gefunden werden und die Experten beim Transkribieren Probleme haben, dann werde ich als Gutachter hinzu gezogen. Vor vier Wochen war ich zum Beispiel im Louvre und danach war ich im British Museum in London. Im Louvre ging es um eine Grabinschrift, die ich entziffert und datiert habe. Im British Museum habe ich einem Professor geholfen, Tonscherben zu ordnen, auf denen dann ein Liebeslied aus der Zeit des Neuen Reiches zwischen 1550-950 vor Christus sichtbar wurde.“

Kurt machte eine kurze Pause.

Benni nutzte Kurts Pause und sagte: „ So wie ich sehe, hast du deinen Traumberuf gefunden.“

Kurt nickte und lächelte.

„Weißt du“, fuhr er fort, „das Schöne an meiner Tätigkeit ist, dass ich Vergangenes wieder lebendig werden lassen kann. Und das ist eigentlich der Grund, weshalb ich dich treffen wollte.“

Benni schaute Kurt fragend an.

„Stell dir vor, Benni, in London erhielt ich einen Anruf aus dem Vatikan. Nicht vom Papst persönlich, aber von seinem obersten Bibliothekar. Der teilte mir mit, man habe bei Aufräumarbeiten eine bisher vergessene Kiste mit Papyrusrollen entdeckt. Die päpstliche Bibliothek bat mich, die Texte zu sichten und sie für eine Archivierung vorzubereiten. Ich flog umgehend nach Rom und habe mich der Texte angenommen. Es war für mich kein Problem, die aus der Zeit der Nofretete stammenden Texte zu entschlüsseln.“

Wieder machte Kurt eine Pause.

„Und jetzt kommts“, sagte er und machte wieder eine kleine Sprechpause, um die Sache für Benni etwas spannend zu machen, „ich glaube, ich bin dabei auf eine interessante Sache gestoßen, die dich mit Sicherheit auch interessieren wird.“

Benni schaute Kurt etwas irritiert an, er hatte wirklich nicht die blasseste Ahnung, was ihn an dem Text aus der Zeit der Nofretete interessieren sollte. Den Namen Nofretete hatte er schon mal gehört, wusste aber nicht, wohin er ihn verorten sollte. Möglicherweise war ihm der Name schon einmal in einem Kreuzworträtsel begegnet.

„Nun“, Kurt tat nun geheimnisvoll, „ich habe etwas entdeckt, das deinen wissenschaftlichen Ehrgeiz auf Hochtouren bringen wird.“

Benni wartete.

Kurts Stimme wurde jetzt leiser und sein Kopf neigte sich Benni zu.

„Ein Text auf einer der Papyrusrollen“, begann er langsam, „ist eindeutig ein Text, dessen Autor der Leibarzt oder der Apotheker der Nofretete war.“

„Ganz schön alt“, sagte Benni, dem dazu nicht mehr einfiel,„aber kläre mich doch erst einmal auf, wer diese Nofretete wirklich war.“

Kurt schaute Benni verwundert an, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass es Menschen gibt, die mit dem Namen Nofretete nichts anfangen können.

Die nächsten zehn Minuten nutzte Kurt, um Benni in einem Schnelldurchgang die Geschichte der Pharaonen näherzubringen. „Wie du siehst, der Text ist also schon sehr alt, aber das Über - raschende an dem Text ist nicht sein Alter, da gibt es noch eine Menge ältere, sondern sein Inhalt.“

Wieder machte Kurt eine Pause. Er hatte eine dünne Ledertasche mitgebracht, die er neben sich auf einen freien Stuhl gelegt hatte. Kurt nahm die Tasche, legte sie vor sich auf den Tisch und zog vorsichtig am Reißverschluss, so als wolle er nichts zerstören. Er entnahm der Tasche einen Bogen Papier und reichte ihn Benni.

„Ich habe den Text fotografiert und dann mit dem Computer ausgedruckt.“

Benni hatte jetzt die Kopie in der Hand und betrachtete die Schriftzeichen. „Um ehrlich zu sein“, sagte Benni, „das sieht zwar sehr interessant aus, aber es sagt mir nichts.“

„Aber das sagt dir was“, antwortete Kurt und entnahm der Tasche ein zweites Blatt, das er aber nicht sofort an Benni weiterreichte.

„Das ist die Überraschung“, begann Kurt wieder. Er schwieg eine Weile, räusperte sich kurz, aber hörbar, tippte mit dem Zeigefinger auf das Blatt und sah Benni an.

„Benni“, sagte er dann mit einem feierlichen Unterton in der Stimme,“ das ist zweifelsfrei die Niederschrift einer Rezeptur für eine Hautcreme.“

Benni sagte nur „hm“ und nickte erstaunt.

Er wartete darauf, was ihm Kurt weiter zu berichten hatte.

„Dass es sich eindeutig um die Rezeptur zur Herstellung einer Hautcreme handelt, die nur für die Nofretete hergestellt wurde“, erklärte Kurt weiter, „beweist der Prolog vor der eigentlichen Rezeptur. Da steht, dass das Heilmittel, das Wort Creme gab es bei den alten Ägyptern natürlich nicht, der Nofretete lange Zeit dazu dienen soll, eine jugendliche Haut zu bewahren.“

„Ja, ja, das war mir auch bekannt, dass die alten Ägypter so was Ähnliches herstellten wie Kosmetik, ich habe vor Jahren mal in einer Fachzeitschrift einen Aufsatz darüber gelesen“, sagte Benni.

„Sicher“, sagte Kurt, und machte wieder eine rhetorische Pause, „aber hier handelt es sich um ein absolut exklusives Mittel. Die Rezeptur war absolut geheim und durfte nur für die Nofretete hergestellt werden. Das beweist der Text, der wahrscheinlich von einem Hofbeamten geschrieben wurde. Der Text wurde mit Sicherheit für den Apotheker und seine Mitarbeiter als Arbeitsanweisung geschrieben.“

Kurt begann vorzulesen.

„Also hier steht genau die Menge der Substanzen, die zur Herstellung benötigt werden. Aber genauso interessant ist der Schlusssatz. Rate mal, was da steht, Benni?“

Benni hob die Schultern und unterstrich mit geöffneten Handflächen seine Ahnungslosigkeit.

„Hier steht“, sagte Kurt und seine Stimme wurde wieder feierlich“, dass es bei Todesstrafe verboten ist, das Geheimnis der Rezeptur weiterzugeben. Außerdem war es auch verboten, natürlich auch bei Todesstrafe, jemanden anderen von dem Heilmittel für die Haut zu geben.“

„Aha“, sagte Benni.

„Und jetzt pass bitte auf!“ fuhr Kurt fort, „jetzt kommen die Zutaten für die Substanz. Ich wollte es zuerst auch nicht glauben, aber ich ließ es mir von einem Biologen bestätigen, bei der ersten Zutat handelt es sich eindeutig um Brassica oleacara var sabellica.“ Benni dachte einen Moment nach, dann sagte er: „ Du meinst Grünkohl?“

„Ja, genau Grünkohl“, bestätigte Kurt seinen Freund Benni.

„Ich habe nachgeforscht, das Kraut stammt ursprünglich wirklich aus dem Mittelmeerraum und wurde als Sibellinischer Kohl von den Römern von Ägypten über Griechenland und später dann über die Alpen zu uns gebracht.“

Nun wuchs auch das Interesse und die Neugier bei Benni, denn als Chemiker war ihm bekannt, dass in der Kosmetikindustrie, in der Chemie die dominierende Rolle spielt, oft mit den Inhaltsstoffen des Grünkohls bei der Herstellung von Schönheitscremes gearbeitet wird.

„Tatsächlich“, sagte Benni erstaunt, „Grünkohl ist ein echter Radikalenfänger. Außer Vitamin B12 enthält Grünkohl sämtliche B-Vitamine, dazu enorme Mengen Biotin, das die Haut jung und die Haare vital erhält. Der Grünkohl ist voll mit den Zellschutzvitaminen A und C. Kurt, was du ausgegraben hat, ist wirklich erstaunlich.“

„Und ich bin erstaunt, was du so alles über den Grünkohl weißt“, sagte Kurt.

„Immerhin bin ich promovierter Chemiker auf dem Gebiet der organischen Chemie, es wäre ja schlimm, wenn ich mich da nicht auskennen würde“, konterte Benni.

„Aber es wird noch interessanter, “ deutete Kurt an, „die nächste Zutat hat ihren Ursprung eindeutig im Granatapfel.“

Benni wurde mit einem Male hellhörig.

„Du erinnerst dich doch noch an unseren Geschichtsunterricht und die Geschichte von Hera, Athene und Aphrodite?“ fragte er Kurt.

„Sicher, “ antwortete Kurt, „der Streit der Göttinnen, wer nun die Schönste sei, beendete der Trojaner Paris damit, dass er Aphrodite einen Granatapfel überreichte.“

„Du hast damals wirklich gut aufgepasst, “ komplimentierte Benni.

Und jetzt wurde Benni zum Experten.

„Der Granatapfel ist seit je her ein Symbol für Leben und Fruchtbarkeit, außerdem hat der Granatapfel eine Zellschutzwirkung. Seine Zellschutzwirkung übertrifft zum Beispiel Rotwein, Grüntee und Cranbarrysaft.“

„Du musst es ja wissen, Benni,“sagte der diesmal erstaunte Kurt, „wird in der Kosmetikherstellung der Granatapfel benutzt?“

„Ja sicher“, antwortete Benni, „in der Chemical News wird laufend darüber berichtet. Die beiden großen japanischen Kosmetikhersteller SASHAIDO und BONSAINO benutzen seit Jahren den Granatapfel für die Herstellung ihrer Cremes. Die Japaner züchten sogar in Chile auf eigenen Plantagen ihre eigenen Granatäpfel und entwickeln die Frucht weiter. Und wenn ich richtig gelesen habe, dann benutzt ein bekannter französischer Kosmetikhersteller, ich glaube, es ist WISHYASHY, einen Granatapfelextrakt als Grundsubstanz für die Herstellung eines Serums.“

„Dann waren ja die alten Ägypter ziemlich fortschrittlich, wenn sie wussten, welche Pflanzenextrakte sich gut für die Hautpflege eignen, “ stellte Kurt fest.

„Ja, ja, “ sagte Benni, „die Biologen, die Chemiker und die Pharmakologen sind oft sehr erstaunt, wenn sie entdecken, mit welchen Mitteln die alten Kulturvölker erfolgreich hantiert haben. Es gibt inzwischen eine Reihe von Universitäten, die eigens Lehrstühle dafür eingerichtet haben, oft mit Drittmitteln aus der Kosmetikindustrie, um die alten Weisheiten wieder für uns zugängig zu machen.“

„Vielleicht sollten wir Sprachwissenschaftler auch mitforschen,“ meinte Kurt.

„Mit Sicherheit wäre das sehr sinnvoll, wie du ja selbst an deiner ägyptischen Apothekerrezeptur erkennen kannst, mein lieber Kurt. Hat dein ägyptischer Apotheker noch weitere Zutaten für sein Schönheitsmittel benutzt?“

Kurt nickte und fuhr weiter.

„Schon seit Jahrhunderten ist bekannt, welche Öle die Ägypter bei der Konservierung ihrer Mumien benutzten. Ein Öl stammt vom Bitterfenchel. Der Doldenblütler stammt übrigens auch aus dem Mittelmeerraum. Und genau diese Fenchelpflanze steht auch auf der Rezeptur des königlichen Apothekers.“

„Das überrascht mich jetzt nicht sehr, “ kam es von Benni, „Thymol, also das Öl aus der Fenchelpflanze, gilt in der Pharmakologie als Alternative zu synthetischen Antibiotika. Früher wurde es von Bauern benutzt, um Erkrankungen ihrer Tiere vorzubeugen, denn Thymol und andere Wirkstoffe im Fenchelöl können Bakterien und Pilze sehr effektiv abtöten. Kein Wunder, dass die Einbalsamierer in Ägypten Fenchelöl benutzt haben, um ihre Mumien haltbar zu machen.“

„Und jetzt habe ich noch zwei Überraschungen für dich, Benni, “ sagte Kurt, „du wirst es nicht glauben, aber in den Zeiten, als bei uns noch kulturell tiefste Dunkelheit herrschte, auch auf dem italienischen Stiefel, da benutzten die ägyptischen Ärzte schon Arzneien, die einfach so in der Natur vorkamen und nachweislich sehr wirksam waren. Die Ägypter behandelten Hautkrankheiten mit Weihrauch. Und auch diese Substanz steht auf der Rezeptur des Apothekers.“

„Jetzt, wo du es sagst, Kurt, da erinnere ich mich wieder. Als Student im sechsten Semester habe ich damals eine Vorlesung bei den Pharmazeuten belegt, bei der es um die Heilmittel alter Kulturvölker ging. Der Professor, sein Name fällt mir im Moment nicht ein, räumte damals den Ägyptern in seiner Vorlesung breiten Raum ein. Natürlich hat er auch über den Weihrauch als Heilmittel gesprochen.“

„So, und jetzt, lieber Benni“, Kurts Stimme war jetzt wirklich feierlich, „halte dich fest, jetzt kommt die eigentliche Überraschung. Rate mal, welche Substanz noch dabei ist?“

Benni dachte nach und sagte dann: „Kurt, ich bin total überfragt, ich kann es mir nicht vorstellen.“

„Kamelurin, schlichter, einfacher Kamelurin,“ sagte Kurt und musste dabei lachen, so laut, dass Gisela aufmerksam vom Tresen herüber schaute.

„Also darauf wäre ich wirklich nicht gekommen, “ gab Benni überrascht zur Antwort und musste auch lachen, „Kurt kannst du dir vorstellen, dass Frauen eine Creme verwenden würden, die mit Kamelurin hergestellt wird?“

„Also Benni, “ sagte Kurt etwas vorwurfsvoll, „wenn die Nofretete davon schöner wurde und dafür mit Sicherheit eigens Kamelhengste gezüchtet wurden, warum sollten das die Frauen heutzutage nicht tun? Man müsste ja auf der Verpackung nicht das Wort Kamelurin draufschreiben, man könnte den lateinischen Begriff dafür verwenden oder sogar einen erfinden, genau wie es die Kosmetikhersteller heute tun. Lies doch mal so eine Verpackungsbeilage, glaubst du irgendeine Frau versteht, was da eigentlich drin ist. Außerdem ist es den Frauen doch ganz egal, was da drin ist. Die Hauptsache ist doch, es macht schön.“

„Du hast dir ja schon viele Gedanken gemacht, Kurt, wie ich so feststellen kann.“

„Stimmt“, sagte Kurt mit fester Stimme, „Benni, ich bin hierher gekommen, um dich um etwas zu bitten.“

Damit hatte Benni nicht gerechnet.

Dann ließ Kurt die Katze aus dem Sack.

„Benni, wir sollten das Experiment wagen und versuchen, das Schönheitsmittel der Nofretete zu rekonstruieren.“

Benni nahm einen tiefen Schluck aus seinem Pilsglas, stellte das Glas wieder zurück, blies die Backen auf und sagte dann: „Kurt, Kurt, Kurt, wie stellst du dir das vor?“

„Das ist ganz einfach“, entgegnete Kurt, „ich habe die Partitur, du hast das Fachwissen und das Labor, besser kann es doch gar nicht sein.“

„Jetzt mal langsam, Kurt, so einfach ist das auch wieder nicht, ich kann zwar im Labor experimentieren, aber ich habe wirklich keine Zeit, um einen Geldgeber aufzutreiben. Zudem kann ich mir nicht vorstellen, dass es einen Geldgeber gibt, der für diese Experiment nur einen Euro ausgeben würde. Ich meine, ich persönlich würde die Aufgabe sehr reizvoll finden, aber es gibt da so gewisse Schwierigkeiten.“

„Am Geld soll es nicht liegen, Benni“, sagte Kurt zu Bennis Überraschung, „aber dafür ist auch schon gesorgt. Du kannst mir glauben, ich habe alles schon ausgeklügelt. Schau Benni, ich habe keine großen Möglichkeiten, Geld auszugeben. Auf der Bank liegt es nur herum, wir sollten was Gescheites damit anfangen. Hier, ich habe einen Scheck vorbereitet. Der Betrag dürfte für die Anschubfinanzierung ausreichen. Vor allem könntest du damit einen Assistenten mit dem Experiment beauftragen und ihn bezahlen.“

Kurt griff in die Innentasche seiner Jacke und holte einen bereits unterschriebenen Scheck hervor und legte ihn vor Benni auf den Tisch.

Der zögerte einen Moment, dann las er den Betrag.

„Kurt, Kurt, Kurt, “ sagte er nachdenklich, „normalerweise würde ich ein klares Nein dazu sagen, aber weil du es bist, sage ich okay, wir machen die Sache. Einen Vorteil sehe ich dabei. Wir werden uns nicht so schnell wieder aus den Augen verlieren. Aber wie stellst du dir das vor und wo fangen wir an?“

„Ich schlage vor, “ sagte Kurt, „du besorgst die Grundsubstanzen und beginnst mit dem Experimentieren, zwischendurch rufst du mich an und teilst mir den Stand der Entwicklung mit.“

„Na ja, “ meinte Benni, „die meisten Grundsubstanzen kann ich problemlos über den Fachhandel beziehen, aber wo erhalte ich Weihrauch und Kamelurin?“