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Dass etwas so Einfaches wie die tägliche Ernährung bei einer so gefährlichen Krankheit wie Krebs wichtig sein kann, klingt zunächst überraschend. Und doch kann eine veränderte Ernährungsweise eine wichtige Ergänzung zu den konventionellen Therapien darstellen. Dr. Johannes Coy hat eine Entdeckung gemacht, die für alle, die dem Krebs den Kampf angesagt haben, einen Meilenstein darstellt. Während seiner langjährigen Forschungstätigkeit hat er das Gen TKTL1 und den damit verbundenen Vergärungsstoffwechsels entdeckt. Er leitet aus seinen revolutionären Forschungsergebnissen eine spezielle Ernährungsform ab, die aggressive Krebszellen aushungert. Eine wichtige Rolle spielen hierbei eine kohlenhydratreduzierte Ernährung sowie spezielle Öle und Fette. Auf welchen Erkenntnissen dieses neue Ernährungsprinzip genau beruht, warum es die Krebszellen angreift und wie Sie die Ernährung im Alltag mit den zahlreichen Rezepten leicht umsetzen können, erläutert Ihnen dieses Buch.
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Seitenzahl: 349
Veröffentlichungsjahr: 2011
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Wie für viele andere Menschen war auch für mich Ernährung lange Zeit nur ein Mittel zum Zweck. Dabei habe ich mich an zwei einfache Regeln gehalten: Ich habe gegessen, weil ich Hunger hatte, und ich habe das gegessen, was mir schmeckte. Obwohl ich durch mein Studium der Biologie umfangreiches Fachwissen zu Genetik und Biochemie des Menschen erworben hatte, zeigte dies keine Konsequenzen für meine Ernährungsweise.
Das änderte sich erst, als ich im Zuge meiner Arbeit am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg das TKTL1-Gen entdeckte. Dieses bis dahin unbekannte Gen sollte nicht nur einen gewaltigen Fortschritt in der Krebstherapie darstellen; endlich hatten viele verzweifelte Krebspatienten die Möglichkeit, selbst aktiv gegen ihre Krankheit vorzugehen. Und das allein dadurch, indem sie ihre Essgewohnheiten bewusst umstellten und den Kohlenhydratanteil in ihrer Nahrung reduzierten.
Die Ernährung stellt eine hochkomplexe Interaktion zwischen der Biochemie und Genetik des Menschen sowie den einzelnen Nahrungsbestandteilen dar: Mit jedem Bissen führen Sie Ihrem Körper eine bunte Mischung aus vielen Tausenden bis Millionen verschiedenen Molekülen zu. Mithilfe seiner Enzyme versucht Ihr Organismus dann, diese in solche Moleküle um- und abzubauen, die er zum Leben benötigt. Die für die Verdauung und den Stoffwechsel notwendigen Enzyme und Regulationsmechanismen sind in Form von Informationseinheiten in unserer DNA gespeichert. Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass Ihre Gene täglich mit einer Vielzahl von Molekülen bombardiert werden – wobei Sie immer nur hoffen können, dass diese auch zu Ihren Genen passen.
Doch obwohl die Moleküle der Nahrung durch Prozesse verarbeitet werden, die den Regeln der Biochemie und der Genetik unterliegen, spielen beide im Bereich der Ernährungswissenschaften bisher nur eine untergeordnete Rolle. Aus diesem Grund wurden zahlreiche Regeln für eine gesunde Ernährung aufgestellt, die weder wissenschaftlich abgesichert sind noch im realen Leben die erwünschte Wirkung zeigen. Erst die Entdeckung des TKTL1-Gens und eines damit verbundenen, bisher unbekannten Stoffwechselweges hat eine wissenschaftliche Basis geschaffen, die hilft, die Wechselwirkung zwischen der Nahrung und der Biochemie sowie der Genetik des Menschen zu verstehen.
Ausgehend davon lässt sich eine einfache Antwort auf die aktuellen drängenden medizinischen Probleme unserer Gesellschaft ableiten: Der Mensch in der modernen Industriegesellschaft muss wieder zu einer Ernährungs- und Lebensweise zurückkehren, die an seine Biochemie und Genetik angepasst ist. Denn nur wenn wir uns »artgerecht« ernähren und sich dazu – wie es die Natur einmal vorgesehen hatte – Phasen der Bewegung und Entspannung abwechseln, können wir Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Alzheimer und natürlich auch Krebs besiegen.
Übernehmen Sie selbst die Verantwortung für Ihre Gesundheit; ich wünsche Ihnen dabei alles Gute und viel Erfolg!
Johannes F. Coy
NEUE WEGE DER THERAPIE
⇒ Wie aggressive Krebszellen entstehen und was sie von gutartigen Tumorzellen im Körper unterscheidet.
⇒ Die Entdeckung des TKTL1-Stoffwechsels der Krebszelle.
⇒ Wer weiß, wie der Stoffwechsel der Krebszelle funktioniert, kann sie regelrecht »aushungern«.
Die Diagnose Krebs trifft viele wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Hilflos stehen die Betroffenen plötzlich einer nüchternen Gerätemedizin gegenüber, die sie nicht verstehen und der sie sich doch ausliefern sollen. In der Regel werden Sie zwar von Ihrem Arzt über die weiteren medizinischen Schritte aufgeklärt, ansonsten aber mit der schockierenden Diagnose weitestgehend allein gelassen. Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Möglichkeit, wie Sie selbst Ihre Therapie aktiv unterstützen könnten. Stellen Sie Sich vor, es gäbe ein Buch, das Ihnen nicht nur die grundlegenden Erkenntnisse zum Thema Krebs vermittelt, sondern gleichzeitig detaillierte Ratschläge und ein fertig ausgearbeitetes Ernährungskonzept bieten würde, mit deren Hilfe Sie Ihren ganz persönlichen Kampf gegen Ihre Krebserkrankung führen und Ihre Heilungsaussichten deutlich verbessern könnten. Sie brauchen nun nicht mehr länger nach diesem Buch Ausschau zu halten, denn Sie halten es bereits in Ihren Händen. Die wirksamste Waffe im Kampf gegen den Krebs heißt Wissen. Genauso wichtig ist es, zu lernen, diese Waffe effektiv einzusetzen. Auf den folgenden Seiten erfahren Sie ndaher alles über die komplexen Vorgänge im Innersten Ihres Körpers. Sie werden die Mechanismen verstehen lernen, die zur Entstehung und Verbreitung von Krebszellen führen. Wenn Sie ursächlich begreifen, was in Ihrem Körper geschieht, können Sie die Empfehlungen in diesem Ratgeber besser verstehen und umsetzen. Sobald Sie erkennen, welche immense Bedeutung die Ernährung für Ihre Gesundheit hat, werden Sie nicht nur gegen den Krebs aktiv, Sie fühlen sich auch bereits nach ein paar Tagen vitaler und gesünder. Und dabei müssen Sie weder hungern noch auf Genuss verzichten.
Unser Körper lebt und existiert, indem er sich ununterbrochen erneuert und regeneriert. Verbrauchte, geschädigte Zellen werden auf diese Weise durch frische, funktionstüchtige ersetzt, was dem natürlichen Alterungsprozess entgegenwirkt – pures Anti-Aging.
Unser Körper gleicht einer überdimensionalen Baustelle, auf der rund um die Uhr geprüft, abgerissen und wieder aufgebaut wird. Während Sie gemütlich auf dem Sofa liegen und sich vielleicht bei einem Glas Rotwein und neinem interessanten Buch entspannen, erbringt Ihr Körper Höchstleistung. Ohne Unterlass regenerieren sich die zahlreichen Körperzellen in unserem Organismus und halten Sie jung und gesund. Je nach Beanspruchung und Aufgabe erneuern sich dabei bestimmte Zellen ständig, andere dagegen nur sehr langsam (>).
Info
So jung sind Ihre Zellen >
Die Zellen der Leber reproduzieren sich so häufig, dass sich unser größtes Entgiftungsorgan theoretisch innerhalb eines Jahres 17-mal neu aufbaut. Daher regeneriert die Leber nach einer operativen Teilentfernung schnell wieder.Fingernägel wachsen ein Leben lang; sie brauchen in der Regel rund ein halbes Jahr, um von der Wurzel bis zur Spitze zu wachsen.Die für die Immunabwehr lebensnotwendigen weißen Blutkörperchen (Leukozyten) haben sogar nur eine Lebensdauer von wenigen Tagen, da sie im »Einsatz« für die Gesundheit in großer Zahl zugrunde gehen.Im Gegensatz zu all diesen Zellen erneuern sich die des Herzens nur in sehr geringem Maße (bei 25-Jährigen sind es ca. 1 Prozent, bei 75-Jährigen nur 0,45 Prozent pro Jahr). Gehirn- und Nervenzellen wachsen nicht nach.Diese Möglichkeit der Zellerneuerung hilft Ihrem Organismus dabei, »verbrauchte« oder verletzte Zellen zu ersetzen und sich so immer wieder zu erneuern. In jeder Sekunde baut der menschliche Körper etwa zwischen 10 und 50 Millionen Körperzellen ab und ersetzt sie durch neugebildete Zellen. Während sich einige Bereiche kaum erneuern, teilen sich andere Areale rund um die Uhr. Bis zum Ende unseres Lebens haben wir uns praktisch mehrere Male selbst komplett auf- und umgebaut. Nur ganz wenige Zellen begleiten uns ein Leben lang, zum Beispiel die Keimzellen, die für die Bildung von Samen- und Eizellen entscheidend sind und so die nächste Generation Mensch möglich machen.
Die Teilung einer Zelle verläuft stets nach demselben Prinzip. Unabhängig von ihrer spezifischen Aufgabe im Körper, teilt sich daher beispielsweise eine Haarwurzelzelle auf die gleiche Weise wie eine Skelettmuskelzelle oder eine Leberzelle.
Für die Zellteilung müssen zunächst sämtliche Zellstrukturen und -inhalte, inklusive der Kern-DNA (Trägerin der Erbinformation) verdoppelt und anschließend auf die beiden aus der Ausgangszelle entstehenden Tochterzellen aufgeteilt werden. So unglaublich es klingt: Ihr gesamter genetischer Bauplan ist auf dieser winzig kleinen DNA gespeichert, die in Form einer Doppelhelix (Gen-Faden) organisiert ist. Da all diese Daten überhaupt erst Ihr Überleben ermöglichen, sind sie als Sicherheitskopie auf einem zweiten DNA-Strang gespeichert. Tritt auf einem der beiden Stränge ein Fehler auf, kann die fehlerfreie Kopie dieses Defizit in der Regel ausgleichen. So gesehen ist die Doppelhelix das Buch Ihres Lebens. In ihm sind alle notwendigen Informationen gespeichert – bis in die kleinsten Details, etwa die Farbe Ihrer Augen oder die Form Ihrer Nase.
Der Gen-Faden besteht aus vier Bausteinen; sie werden mit je einem Buchstaben abgekürzt: Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. In Form dieses Vierbuchstaben-Alphabets sind in der Doppelhelix drei Milliarden Buchstaben in einer ganz bestimmten Reihenfolge miteinander verknüpft und codiert. Die Reihenfolge dieser Buchstaben enthält die gesamte für das Leben notwendige Information. Die wichtigste Informationsuntereinheit ist hierbei das Gen. Es stellt in der Regel die Bauanleitung für den Körperbaustein Eiweiß dar. Obwohl bei jeder Zellteilung sorgsam darauf geachtet wird, dass sich beim Kopieren dieser langen Buchstabenfolgen kein Fehler einschleicht, kann es beim Ablesen des Buchstabencodes doch zu fehlerhaften Duplikaten kommen.
Kopierfehler mit Folgen
Diese Ablesefehler in der DNA-Kopie werden als Mutation bezeichnet. Dabei kann bereits eine einzige Änderung unter den drei Milliarden Buchstaben unserer DNA zu schweren Schäden in einer Zelle oder gar zu deren Tod führen. Tritt ein solcher Fehler bei der Bildung von Samen- oder Eizellen auf, die nach der Befruchtung einen Embryo ausbilden, kommt das Kind unter Umständen mit einer schweren Behinderung zur Welt. Kommt es dagegen bei der Teilung einer »normalen« Körperzelle zu einem Kopierfehler, so betrifft die Mutation nur die daraus entstehenden Tochterzellen.
BEISPIEL
Ein einzelner falsch kopierter Buchstabe kann den Sinn eines ganzen Satzes ändern oder zunichte machen. So verliert etwa der folgende Satz dur ch die Änderung des Buchstabens »i« zu »x« in dem Wort stillt seinen Sinn: »Die Mutter stillt ihr Kind« gegen »Die Mutter stxllt ihr Kind«. Ein scheinbar winziger Fehler kann also große Folgen haben.
Kommt es bei einer Zelle während der Teilung zu einer Mutation in denjenigen Genabschnitten, die speziell für die Wachstumskontrolle der Zelle verantwortlich sind, entsteht durch den Kopierfehler eine unkontrolliert wachsende Tumorzelle. Diese Mutation kommt auch im gesunden Organismus relativ häufig vor. Zudem gibt es aber eine Reihe von externen Faktoren, wie beispielsweise Strahlung, Viren oder Zigarettenrauch, die die Bildung der ungebremst wachsenden Zellen noch zusätzlich auslösen (>).
So dramatisch das auch klingen mag: In der Regel ist unser Körper auf diese Art der Mutationen gut vorbereitet. Mithilfe spezieller Mechanismen sorgt die Zelle dafür, dass sie das Wachstum einstellt, sobald sie die Nachbarzelle berührt. Diesen Prozess bezeichnet man als Kontaktinhibition.
BEISPIEL
Stellen Sie sich vor, Sie stürzen mit dem Fahrrad und schürfen sich die Haut am Knie ab. Für die rasche Wundheilung ist es natürlich sinnvoll, dass die abgeschürfte, verletzte Haut neu gebildet wird. In einem solchen Fall »meldet« die Zelle am Knie, dass ihre Nachbarzelle plötzlich fehlt. Sie erhält daraufhin den Befehl: Teil dich und verschließe die Lücke so schnell wie möglich wieder! Die Zelle teilt sich daraufhin und bildet neues, gesundes Gewebe – ein Prozess, der so lange andauert, bis das verletzte Gewebe vollständig ersetzt ist und die Hautzellen wieder direkten Kontakt miteinander haben.
So entsteht eine Tumorzelle
Verschiedene Umweltfaktoren begünstigen die Bildung von Turmorzellen. Das bedeutet aber nicht, dass Sie wirklich Krebs haben.
INFO
Wichtige krebsauslösende Faktoren>
Die Entstehung einer Krebszelle wird begünstigt von:
krebsauslösenden Chemikalien (wie z. B. bestimmte Farben, Weichmacher und Pestizide)radioaktiver Strahlungelektromagnetischen Wellen (z. B. Radarstrahlen)erhöhter UV- Strahlenbelastungbestimmten Viren und Bakterien (z. B. Papilloma-Viren, Helicobacter pylori)schimmligen Lebensmitteln (Aflatoxine)krebsauslösenden Substanzen in Lebensmitteln (Nitrosamine)ZigarettenrauchDNA-MutationenDie fehlerhafte Kopie zerstört sich selbst >
Bei Tumorzellen ist diese »gesunde« Abstimmung von Wachstum, Teilung und Auflösung innerhalb des Zellverbandes außer Kraft gesetzt. Weil bei der Verdopplung der Zelle genau dieser Kontrollschalter in seiner Funktion beschädigt wurde, können die regulierenden Signale von der Zelle weder erkannt noch ausgeführt werden. Aus diesem Grund hat unser Organismus eine weitere Sicherung vorgesehen: eine Art Selbstzerstörungsprogramm für Zellen, die aus dem Ruder laufen und ungebremst wachsen. Dieses Selbstzerstörungsprogramm wird als programmierter Zelltod oder Apoptose bezeichnet.
In der Regel ist das Problem mit dem Tod der Zelle gelöst. Betrifft die Mutation jedoch ausgerechnet diejenigen Gene, die die Apoptose steuern (zum Beispiel das p53-Gen), werden diese inaktiviert. Die mutierte Zelle wird im wahrsten Sinne des Wortes unsterblich, weil das Selbstzerstörungsprogramm nicht mehr ausgelöst werden kann.
Die durch Mutationen ausgelöste Inaktivierung der Wachstumskontrolle und des Selbstzerstörungsprogramms bringt mit sich, dass die betroffenen Zellen unkontrolliert wachsen und es zu einer Gewebewucherung kommt. So ein Zellhaufen wird als gutartiger Tumor bezeichnet: Er teilt sich zwar ungebremst, verdrängt seine gesunden Nachbarzellen aber nur, indem er sie quasi zur Seite schiebt.
Erst wenn die Tumorzellen die Fähigkeit gewinnen, das sie umgebende, gesunde Gewebe aktiv aufzulösen und in dieses hinein zu wachsen, wird aus der relativ harmlosen Ansammlung von Tumorzellen ein bösartiges Krebsgeschwür. Der Tumor ist dann invasiv. Diese »Umwandlung« bringt zudem oft mit sich, dass sich die Tumorzellen weit über den Ort der Entstehung hinaus im Körper ausbreiten. Diesen Prozess bezeichnet man als Streuung oder Metastasierung. Erst wenn dieser gefährliche Zustand der Invasivität und Streuung erreicht ist, spricht man von einem bösartigen (malignen) Tumor oder auch von Krebs.
Die sechs universellen Kennzeichen von Krebs
Um den Begriff Krebs zu vereinheitlichen, legten Wissenschaftler folgende sechs Kriterien fest. Erst wenn sie alle erfüllt sind, spricht man von einer Krebszelle:
Unabhängigkeit von äußeren WachstumssignalenUnempfindlichkeit gegenüber wachstumshemmenden SignalenBlockade des programmierten Zelltodsandauernde Neubildung von Blutgefäßenunbegrenzte TeilungsfähigkeitGewebeinvasion und MetastasierungWichtig
Tumor oder Krebs
Nur bösartige Tumoren werden als Krebsgeschwür oder Krebs bezeichnet. Verdrängend wachsende Tumoren sind gutartig und werden nicht Krebs genannt. Allerdings lässt sich von außen nicht einfach so erkennen, ob es sich bei einer Gewebewucherung um einen gutartigen oder bösartigen Tumor handelt. Dazu bedarf es der genauen Untersuchung einer Gewebeprobe. Aus diesem Grund wird operativ entferntes Gewebe, bei dem ein Verdacht auf Krebs besteht, systematisch untersucht. Anhand dessen kann das Gewebe genau klassifiziert werden.
Das Immunsystem im Kampf gegen innere Feinde
Von uns unbemerkt, entstehen Tag für Tag bis zu einige Hundert Zellen in unserem Körper, die Mutationen aufweisen, die zu unkontrolliertem Wachstum führen. Doch deswegen hat trotzdem nicht jeder Mensch Krebs. Denn obwohl sich im Körper ständig Tumor- oder Krebszellen bilden, stehen diese erst einmal einem mächtigen Gegenspieler gegenüber: dem körpereigenen Immunsystem, das die entarteten Zellen rasch aufspürt und sofort unschädlich macht.
Damit das Immunsystem die entarteten Körperzellen effektiv vernichten kann, muss es die Zellen also als »Feind« identifizieren. Und tatsächlich verraten sich die Tumor- und Krebszellen durch bestimmte Strukturen auf der Oberfläche ihrer Zellmembran. Weil sie jedoch aus körpereigenen Zellen entstanden sind und diesen noch immer sehr ähnlich sind, ist es für das Immunsystem extrem schwierig, die speziellen, entarteten Zellen zu erkennen und anzugreifen. Trotzdem schafft es ein schlagkräftiges Immunsystem, uns tagtäglich gegen das Wachstum mutierter Zellen zu unterstützen. Doch manche Krebszellen können das Immunsystem täuschen und sich mit einem »Schutzschild« gegen dessen Angriff wehren.
Besteht der Verdacht auf eine Krebserkrankung, lässt sich in vielen Fällen bei einem minimalinvasiven Eingriff (Operation mit kleinstmöglicher Verletzung von Haut und Weichteilen) eine kleine Gewebeprobe entnehmen. Dieses Verfahren wird zum Beispiel bei der Biopsie verdächtiger Knoten in der Brust oder bei Verdacht auf Prostatakrebs angewandt. Stellt der Pathologe durch die Analyse der entnommenen Gewebeprobe fest, dass es sich um einen Tumor oder Krebsgewebe handelt, wird die Gewebewucherung in der Regel chirurgisch entfernt. Ergänzend wird der Krebspatient mithilfe einer Chemo- und/oder Strahlentherapie behandelt, um auch noch diejenigen Tumor- oder Krebszellen abzutöten, die bei der Operation nicht entfernt wurden oder werden konnten.
Je früher, desto besser
Generell lässt sich sagen: Je früher ein entarteter Zellhaufen erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Dies trifft insbesondere auf die Vorstufen von Darmtumoren zu (sogenannte Adenome); sie sind in der Regel gutartige Tumoren. Durch die Anwendung von Krebsfrüherkennungstests und/oder einer Darmspiegelung lassen sich diese Krebsvorstufen meist gut erkennen und mit einem kleinen Eingriff (minimalinvasiv) entfernen. In den allermeisten Fällen bedeutet dies eine Heilung des Patienten. Nutzen Sie daher unbedingt regelmäßig die von den Krankenkassen angebotenen Krebsvorsorgeuntersuchungen.
Leider lassen sich aber auch damit nicht sämtliche Vorstufen oder kleine Zellhaufen entdecken. Daher wird es auch in Zukunft immer wichtiger werden, bessere Krebsfrüherkennungstests zu entwickeln, die einerseits möglichst früh entartete Zellverbände aufspüren und andererseits den Therapieverlauf überprüfen. Eine Reihe neuer Testmethoden, wie zum Beispiel der EDIM-TKTL1-Bluttest (>), werden sicher schon in naher Zukunft das bereits bestehende Spektrum der Vorsorgeuntersuchungen in einem noch größeren Umfang erweitern. Sie werden dabei helfen, entartete Zellverbände oder Krebsgeschwüre schnell aufzuspüren und zu lokalisieren.
Ob wir im Lauf unseres Lebens an Krebs erkranken oder nicht, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Meist ist es die Kombination aus einzelnen Krebs begünstigenden Umständen, die sich summieren und schließlich zum Ausbruch der Krankheit führen. Zu diesen Faktoren gehören vererbte Gendefekte, Vireninfektionen, Vergiftungen durch Chemikalien oder DNA schädigende Strahlung – und nicht zuletzt auch eine ungesunde Lebensweise. Immer öfter jedoch sind auch Menschen von dieser heimtückischen Krankheit betroffen, die sich scheinbar gesund ernähren, regelmäßig Sport treiben, Normalgewicht haben und weder rauchen noch trinken. Wie lässt sich die massive Zunahme der Krebserkrankungen erklären?
In den seltensten Fällen findet sich eine monokausale Erklärung für das Auftreten eines Krebsgeschwürs wie bei einem vererbten Gendefekt (>). Doch auch wenn verschiedene Gründe zum Auftreten von Krebszellen führen und noch nicht alle Ursachen erforscht sind, so kristallisiert sich doch immer mehr heraus, dass es einen entscheidenden Faktor gibt, der bei der Entstehung und Verbreitung von Krebszellen eine weitaus wichtigere Rolle spielt als bisher angenommen: der Stoffwechsel der Krebszelle und der direkte Einfluss unserer Ernährung auf das Krebswachstum.
Info
Bei Verdacht Brust ab? >
Das hohe Brustkrebsrisiko bei Frauen mit einem vererbten Defekt in den Genen BRCA1 oder BRCA2 führte in den USA zu der äußerst fragwürdigen Situation, dass Frauen sich aufgrund einer BRCA-Mutation präventiv ihre Brüste abnehmen ließen. Sogar jungen Mädchen wurde noch vor Eintritt in die Pubertät zu diesem Eingriff geraten. Tatsache ist: Solche Mutationen stellen zwar durchaus ein erhöhtes Risiko für Krebs dar (Prädisposition). Dennoch führt dies nicht zwangsläufig zu einer Krebserkrankung. Das bedeutet, dass nicht jeder Mensch, der diese Genmutation trägt, auch tatsächlich Krebs bekommt (unvollständige Penetranz der Genmutation). Die Wahrscheinlichkeit für eine Krebserkrankung ist jedoch bei einem vererbten Gendefekt deutlich höher als bei Personen ohne diese Mutation. Die Betroffenen sollten daher früher und öfter Vorsorgeuntersuchungen und Krebsfrüherkennungstests durchführen lassen.
Der kleinste gemeinsame Nenner
Die bisher geltende Lehrmeinung geht davon aus, dass es keinen kleinsten gemeinsamen Nenner gibt, auf den sich alle bösartigen Krebszellen bringen lassen. Vielmehr stelle jede Krebszelle – je nach Entstehungsort, Art der Krebszelle und Lokalisation – eine eigene Form dar und benötige daher auch eine eigene Therapie. Nun jedoch liegt der Beweis vor, dass nicht Art oder Lokalisierung der Krebszelle eine entscheidende Rolle für ihre Bösartigkeit spielt, sondern die Art ihres Stoffwechsels. Eine »normale« Zelle verbrennt zur Energiegewinnung Glukose. Die Krebszelle benutzt dagegen einen anderen Weg, um ihre Energieversorgung zu sichern und sich im Körper auszubreiten. Sie vergärt die Glukose und erzeugt dadurch Milchsäure.
Diejenigen entarteten Zellen, die immer mal wieder im Körper entstehen, teilen sich zwar immer weiter, sie zerstören aber nicht aktiv ihr Umfeld. Stellt der Verband aus entarteten Zellen jedoch seinen Stoffwechsel um, dann wird er schnell zum »Raubtier«, das gnadenlos in das benachbarte Gewebe einfällt und es zerstört, um Platz für sich zu schaffen. Dieser Mechanismus, bei dem der Stoffwechsel der Zelle von Verbrennung auf Vergärung umschaltet, ist bei allen aggressiven Krebszellen identisch.
Bisher wurde diesem veränderten Stoffwechsel in Krebszellen wenig Beachtung geschenkt. Erst jetzt kristallisiert sich zunehmend heraus, dass genau dieser Aspekt den entscheidenden Durchbruch in der Krebstherapie bringen kann.
Im weiteren Verlauf des Buches möchten wir Sie auf eine Entdeckungsreise mitnehmen. Erfahren Sie, dass es im menschlichen Körper eine bisher unbekannte Form der Vergärung gibt, die entscheidenden Einfluss auf die Bildung aggressiver Krebsarten hat. Begleiten Sie uns bei der Entdeckung des TKTL1-Stoffwechsels der Krebszelle (>).
TKTL1 ist die Abkürzung für Transketolase-like-1, also ein Transketolase-ähnliches Gen beziehungsweise Protein. Transketolasen sind Enzyme, die in allen Lebewesen vorkommen und den Umbau von Zucker ermöglichen. So kann der Körper zum Beispiel aus Glukose einen Zucker (Desoxyribose) herstellen, der Bestandteil der DNA ist.
Transketolasen stellen evolutionär gesehen eine der ältesten Enzyme überhaupt dar und kommen in allen Lebewesen vor, die auf der Erde leben – in Menschen, Tieren und Pflanzen ebenso wie in Bakterien und Hefen.
Inzwischen haben renommierte wissenschaftliche Einrichtungen die Bedeutung des TKTL1-Gens für die Entstehung von aggressiven Krebszellen bestätigt und in ihre Forschungen integriert. Gerade der Aspekt der Aktivierung der Zuckervergärung über den TKTL1-Stoffwechsel wurde durch neueste Studien nationaler und internationaler Forschergruppen belegt, bei der das Vorhandensein des TKTL1-Proteins in Tumoren und Krebsgeschwüren überprüft wurde (>). Bei der Auswertung der Ergebnisse wurden sowohl die Anzahl der Tumorzellen, die TKTL1-positiv waren, berücksichtigt als auch die Konzentration (Expression) von TKTL1 in den Tumorzellen.
Neue Diagnoseverfahren >
Der Nachweis der TKTL1-Vergärung bietet bisher nicht mögliche diagnostische und therapeutische Optionen. Unabhängig von der vermuteten oder nachgewiesenen Tumor- beziehungsweise Krebsart lässt sich nun mit einem Test feststellen, ob das TKTL1-Gen in den Tumor- oder Krebszellen angeschaltet wurde.
Der sogenannte EDIM-TKTL1-Bluttest ist ein auf der Durchflusszytometrie basierendes Verfahren; es nutzt das körpereigene Immunsystem, um von den Makrophagen (körpereigene Fresszellen) aufgenommene tumorspezifische Strukturen nachzuweisen. Die mit dem Testverfahren ermittelten, aktivierten Makrophagen haben die Aufgabe, in Tumorgewebe einzuwandern und Tumorzellen »aufzufressen«. Dabei nehmen sie tumorspezifische Strukturen auf, die dann wiederum mit dem durchgeführten Bluttest nachgewiesen werden (>). Bei einem positiven Testergebnis – also dem Nachweis von vergärenden, TKTL1-positiven Krebszellen – sollten Sie darauf bestehen, dass dieses Ergebnis bei der Therapieempfehlung berücksichtigt wird.
Die Kosten für die Arbeitsschritte des EDIM-TKTL1-Bluttests werden bei Krebspatienten in einigen Fällen von den Kassen erstattet.
EDIM-TKTl1-Bluttest >
Mit dem Testverfahren werden Makrophagen auf erhöhte Konzentrationen von TKTL1-Antigen untersucht. Ein positiver Befund ist ein Hinweis auf die Energiegewinnung durch Vergärung und somit auf aggressive Krebszellen und ein erhöhtes Metastasenrisiko.
Die Aktivierung der TKTL1-Vergärung konnte bisher bei allen getesteten Krebsarten festgestellt werden. Es stellt daher ein generelles Phänomen bei Krebs dar – und damit den bisher vergeblich gesuchten gemeinsamen Nenner unterschiedlicher Krebsarten.
Blasentumoren
Bei dieser Tumorart konnte bewiesen werden, dass die Anwesenheit und Konzentration des TKTL1-Proteins sowohl in einer Wechselbeziehung (Korrelation) zur Invasivität der Tumoren als auch zum Tod der Krebspatienten steht. Je mehr Tumorzellen das TKTL1-Protein aufwiesen und je höher die Konzentration an TKTL1 in den Tumorzellen war, desto schneller verstarben die Betroffenen.
Darmkrebs
Bei Darmkrebspatienten korrelierten Anwesenheit und Konzentration des TKTL1-Proteins ebenfalls mit der Invasivität der Tumoren. Auch hier verstarben Patienten, bei denen viel TKTL1 in den Tumoren nachgewiesen wurde, deutlich schneller als solche, die wenig oder überhaupt kein TKTL1 aufwiesen.
Eierstock- und Gebärmutterhalskrebs
Untersuchungen an Patientinnen mit Eierstockkrebs oder Gebärmutterhalskrebs ergaben, dass die TKTL1-Expression bei diesen Krebsarten zudem in einem deutlichen Zusammenhang zur Metastasenbildung steht.
Kehlkopfkrebs
Auch bei Kehlkopfkrebspatienten ging die TKTL1-Expression mit dem Auftreten von Metastasen einher.
Nasen-Rachen-Karzinome und Schilddrüsenkarzinome
Bei diesen beiden Krebsarten konnte ebenfalls der Nachweis erbracht werden, dass die TKTL1-Expression mit dem Auftreten von Metastasen in Lymphknoten zusammenhängt.
Nierenkrebs
Bei Nierenkrebs korrelierte die TKTL1-Expression mit dem Fortschreiten der Krebserkrankung und der Bildung von Metastasen. Zudem gelang es, eine Gruppe von TKTL1-positiven Nierentumoren zu identifizieren, die zwar mit gängigen diagnostischen Verfahren als Tumoren mit guter Prognose eingeschätzt wurden, entgegen dieser Einschätzung jedoch höchst aggressive Krebsgeschwüre darstellten, an denen die betroffenen Patienten innerhalb kurzer Zeit verstarben. Diese aggressiven, bösartigen Tumoren wurden mit den bisher zur Verfügung stehenden Diagnoseverfahren schlichtweg übersehen und können nun durch den Nachweis von TKTL1 endlich identifiziert werden.
Hirntumoren
Es konnte nachgewiesen werden, dass relativ gutartige Hirntumoren (Astrozytome) keine oder nur eine geringe Expression des TKTL1-Proteins aufwiesen, während aggressive Hirntumoren (Glioblastome) eine sehr hohe TKTL1-Expression zeigten.
Krebs bei Kindern
Untersuchungen an Tumoren zeigten, dass die Umschaltung auf die TKTL1-Vergärung nicht nur bei Erwachsenen von großer Bedeutung ist, sondern auch bei krebskranken Kindern. So wurde bei sogenannten Nephroblastomen (den am häufigsten auftretenden bösartigen kindlichen Nierentumoren; Wilms-Tumoren) die TKTL1-Expression spezifisch in der Gruppe der aggressiven und chemoresistenten Tumoren nachgewiesen.
Interview: Dr. rer. nat. Johannes F. Coy über seine Entdeckung, den TKTL1-Stoffwechsel der Krebszelle >
Dr. Johannes F. Coy, Entdecker des TKTL1-Gens, spricht über seine Forschungsergebnisse.
Was hat Sie dazu gebracht, sich als promovierter Biologe mit Schwerpunkt Molekulargenetik und Biochemie so intensiv mit dem Thema Krebs zu beschäftigen?
Seit über 80 Jahren sucht man intensiv nach Ursachen und Therapien für Krebs. Doch trotz einiger Erfolge bleibt die Forschung die Antwort auf diese Fragen weitestgehend schuldig. Da Krebs nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen ist und viel Leid und Schmerz verursacht, ließ mich dieses Thema nie los. Im ausgehenden 20. Jahrhundert setzte man große Hoffnungen auf das humane Genomprojekt. Durch die Bestimmung der vollständigen Sequenz des menschlichen Genoms (Erbgut) und aller darin verschlüsselter Gene sollten endlich die Ursachen für Erkrankungen, insbesondere die Ursachen für »Zivilisationskrankheiten« aufgedeckt werden. Man hoffte, neue, erfolgreiche Therapien gegen diese Krankheiten entwickeln zu können. Und tatsächlich gelang es mithilfe eines großen finanziellen und technologischen Aufwands auch, die Sequenz des menschlichen Genoms aufzuklären. Doch die Hoffnungen, die in dieses Projekt gesetzt wurden, erfüllten sich in den Augen vieler Forscher nicht.
Welches Ziel verfolgte die Genomforschung am Deutschen Krebsforschungszentrum?
Als ich 1990 meine Tätigkeit am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg aufnahm, steckte die Genomforschung noch in den Kinderschuhen. Unsere Forschergruppe konzentrierte sich zum Beispiel auf einen speziellen Abschnitt des X-Chromosoms (Xq28). So ein Chromosom müssen Sie sich als ganz langen Faden vorstellen, der aus den vier Buchstaben A, G, T und C besteht. Im Falle des X-Chromosoms ein Faden mit 240 Millionen Buchstaben. Mit einer »Schere« (Restriktionsenzym) wurde dieser Faden in viele kleine Stücke unterteilt. Ich entwickelte damals eine neue Methode, die die Ähnlichkeit der Gensequenzen innerhalb der Säugetiere (Konservierung) ausnutzte. Ich habe bei der Hausschlachtung eines Metzgers verschiedene Gewebeproben eines Schweins entnommen und diese dann mittels einer bestimmten Technik mit den menschlichen DNA-Stücken verglichen. Mithilfe dieser Technik konnte ich ein DNA-Stück identifizieren, von dem ich vermutete, dass es ein Gen beinhaltete; eine Forschergruppe aus England, die mit uns zusammenarbeitete, bestimmte dann die komplette Sequenz dieses DNA-Stücks. Mithilfe von Computeranalysen konnten wir feststellen, dass in der ausgewählten DNA-Sequenz Ähnlichkeiten zu dem Transketolase-Gen (TKT) vorhanden waren. Das TKT-Gen im Menschen war erst wenige Jahre zuvor entdeckt worden. Es bildet ein Eiweiß – das Transketolase-Enzym –, das in der Lage ist, Zucker um- und abzubauen. Diese Transketolase-Enzymreaktionen sind so wichtig, dass alle Lebensformen auf unserer Erde sie benötigen – Bakterien und Hefen genauso wie pflanzliche und tierische Zellen. Das Transketolase-Enzym führt unter anderem eine enzymatische Reaktion durch, bei der Glukose in einen Zucker umgewandelt wird, der wiederum als Teil der DNA-Buchstaben benötigt wird. Das von mir entdeckte Gen nannte ich wegen seiner Ähnlichkeiten zu bereits bekannten Transketolase-Genen Transketolase-ähnliches-1 (Transketolase-like-1) – kurz TKTL1.
TKTL1 ist also eine absolute Neuentdeckung?
Ja. Als erster Mensch ein bisher unbekanntes Gen zu entdecken und zu entschlüsseln, das gleicht dem Gefühl, das die Entdecker eines neuen Kontinents oder zumindest einer neuen Insel empfunden haben müssen. Ich kann mich daher auch noch gut daran erinnern, wie ich mich fühlte, als deutlich wurde, dass ich ein bisher unbekanntes Gen entdeckt hatte. Es dauerte leider allerdings gar nicht lange, bis meine Euphorie von einer schlechten Nachricht zunichte gemacht wurde: Die englische Forschergruppe erklärte kurze Zeit später, dass das gerade von mir entdeckte TKTL1-Gen überhaupt kein funktionsfähiges Gen darstelle, da das Gen einen gravierenden Fehler aufweise.
Ein herber Rückschlag?
Nicht wirklich. Ich konnte durch Experimente nämlich nachweisen, dass dieser Fehler zwar in der Tat vorhanden war, dass er aber geschickt überbrückt wurde. Ich möchte dies in einem Bild erklären: Bisher bekannte Transketolase-Gene lassen sich mit Bauanleitungen für vierrädrige Autos vergleichen. Bei dem von mir entdeckten Transketolase-ähnlichen Gen (TKTL1) war ein Rad so verändert, dass es nicht mehr rollen konnte. Auf den ersten Blick musste man daher annehmen, dass das Auto damit gar nicht fahren könne. Ich konnte allerdings zeigen, dass das Rad zwar kaputt war, dass es aber auch gar nicht mehr benötigt wurde. Zum Verständnis: Normalerweise haben Autos vier Räder. Wenn ich bei einem normalen Auto das rechte vordere Rad abmontiere, kann es nicht mehr fahren, weil die Karosserie auf der Straße aufliegt. Setze ich das funktionsfähige linke Vorderrad allerdings in die Mitte des Autos, fährt es wie ein Dreirad. Die Veränderung im TKTL1-Gen hatte damit meiner Meinung nach das Gen (oder wie im Beispiel das Auto) nicht inaktiviert, sondern nur verändert.
Damit war das TKTL1-Gen anerkannt?
Leider nein. Obwohl ich 1996 meine Forschungsergebnisse publizierte und dabei auch darauf hinwies, dass das TKTL1-Gen zwar ein verändertes Transketolase-Gen ist, es aber dennoch voll funktionsfähig sein könnte, interessierte sich niemand für diese Ergebnisse.
Was führte Sie dazu, trotzdem weiter am TKTL1-Gen zu forschen?
Nach fünf weiteren Jahren Forschung im DKFZ wechselte ich 2001 zu einer kleinen Biotechfirma in Heidelberg. Dieses Unternehmen arbeitete gerade daran, einen Test zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Meine Aufgabe bestand darin, weitere Gene zu identifizieren, die für eine Früherkennung von anderen Krebsarten geeignet wären. Neben meiner eigentlichen Forschungsarbeit habe ich dabei auch bei »meinen« bereits entdeckten Genen untersucht, ob sie im Hinblick auf Krebs auch eine Rolle spielen. Dabei stellte ich fest, dass bei einem Teil der von mir untersuchten Krebsgewebe das TKTL1-Gen aktiviert war. Als klar war, dass die Aktivierung bei allen untersuchten Krebsarten auftrat, meldete die Firma ein Patent auf das TKTL1-Gen an.
Der erste Schritt zum Erfolg?
Zunächst ja. Doch als nach eineinhalb Jahren die Entscheidung anstand, das Patent weiter zu verfolgen, stoppte die Firma die Forschungen am TKTL1-Gen. Gleichzeitig teilte man mir mit, dass die Patente zum Schutz des TKTL1-Gens aufgegeben werden. Gesetzlich stand mir das Recht zu, die Patentanmeldung weiterzuführen. Ich sah mich dadurch vor eine wichtige Entscheidung gestellt: Sollte ich das Patent verfallen lassen? Oder sollte ich die hohen Kosten selbst aufbringen und die Patentanmeldung aus eigener Kasse fortführen?
Eine schwere Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen. Wie haben Sie sich entschieden?
Mir war klar, dass ich die TKTL1-Patentanmeldung zwar übernehmen, aber nicht lange fortführen konnte. Der Finanzbedarf für die Aufrechterhaltung einer internationalen Patentanmeldung ist immens. Doch trotz der hohen Kosten habe ich mich schließlich dazu entschlossen, die TKTL1-Patentanmeldung zu übernehmen. Ich kann mich noch ganz genau an den Moment erinnern, als ich das Einschreiben an das Europäische Patentamt in München weggeschickt habe. Parallel habe ich auch noch die Basispatentanmeldung zum TKTL1-Gen, welches das DKFZ nicht mehr weiterführen wollte, und ein weiteres DKFZ-Patent (DNaseX-Patent) übernommen. Die Weiterführung dieser drei Patentfamilien bedeutete so hohe Kosten, dass mich oft Zweifel übermannten, ob es nicht ein riesengroßer Fehler war, mein mühsam erspartes Geld in eine solch waghalsige Idee zu investieren. Ich wusste ja zu diesem Zeitpunkt nicht, ob das TKTL1-Gen überhaupt ein funktionsfähiges Gen darstellte.
Wie konnten Sie sich letzendlich aus dieser recht schwierigen Lage befreien?
2004 konnte ich eine mittelständische Firma, die Diagnostika im Bereich Lebens- und Futtermittel und Serologie entwickelt und vertreibt, überzeugen, auch im Bereich der Tumordiagnostik aktiv zu werden und an meinen Projekten zu forschen. Gleichzeitig wurde ich als Mitarbeiter in diesem neu geschaffenen Bereich eingestellt. Aufgrund der Firmenausrichtung sowie der Forschungs- und Entwicklungsprojekte war es natürlich nicht möglich, Krebsforschung in der Form zu betreiben, wie ich es bisher gewohnt war. Mir blieb nur, in Zusammenarbeit mit anderen Laboratorien weitere Experimente und Studien anzuregen und die Tests innerhalb der Firma voranzubringen. Mithilfe eines Klinikums gelang es dann, den von mir inzwischen etablierten Antikörper zum Nachweis des TKTL1-Proteins zu testen. Endlich hatte ich den Beweis, den ich brauchte. Diesen Moment werde ich mein Lebtag nicht vergessen: Ich hatte Gänsehaut und Freudentränen schossen mir in die Augen. Freitagnachmittag um 13.30 Uhr blieb für mich einen Moment lang die Zeit stehen.
Der Beweis der Existenz des TKTL1-Gens ist das eine. Konnten Sie jetzt auch seine Funktion enträtseln?
Das war der nächste schwierige Schritt. Nächtelang las ich Arbeiten zum Thema Transketolase und Krebs. Die Literatur war zu dem damaligen Zeitpunkt spärlich. Es war aber bekannt, dass die Hemmung der Transketolase (durch Oxythiamin) auch das Tumorwachstum in einem Mausmodell hemmte. Man schrieb diese Wirkung der Transketolase zu und folgerte, dass nur das bekannte Transketolase-Enzym (TKT) eine wichtige Funktion für das Tumorwachstum einnähme. In Folge dessen begannen mehrere Pharmafirmen, ein Medikament zur Hemmung des TKT-Enzyms zu entwickeln – ohne Erfolg. Scheinbar hatte keiner getestet, ob das TKT-Gen tatsächlich der »böse Bube« war. Meine Untersuchungen belegten dagegen, dass in Tumoren ausschließlich das TKTL1-Gen angeschaltet wurde; weder das seit Langem bekannte »normale« TKT-Gen noch das TKTL2-Gen (eine Art eineiiger Zwillingsbruder des TKTL1-Gens) waren in Tumoren stärker aktiv als im vergleichbaren gesunden Gewebe. Deshalb war ich mir absolut sicher, dass das TKTL1-Gen als einzige Transketolase von Bedeutung für das Wachstum von Tumoren ist.
Und vorher war dies niemandem klar?
Erstaunlicherweise glaubten weder andere Forscher noch die Pharmafirmen an die Existenz eines funktionsfähigen TKTL1-Gens. Hinzu kam, dass sich die Spezialisierung in der Forschung immer weiter ausdehnt; kaum jemand hat noch den Überblick und vermag seine eigenen Ergebnisse in ein Gesamtbild einzuordnen. Es gibt immer mehr Detailwissen, aber die Zusammenhänge versteht kaum noch jemand. Bis auf das TKTL1-Gen waren bereits alle Puzzleteile vorhanden. Das entscheidende Verbindungsstück (missing link) fehlte jedoch. Erst mit dem TKTL1 baute ich das gesamte Puzzle zusammen. Bei meinen Studien stieß ich dabei auf einen Übersichtsartikel von 1998, der darauf hinwies, dass es noch immer Unklarheiten in Bezug auf Transketolasen und der damit verbundenen Stoffwechselwege gäbe. Neugierig geworden studierte ich weitere Literatur zu diesem Thema. Dabei erkannte ich: Seit mehr als 50 Jahren werden weltweit in allen gängigen Lehrbüchern bestimmte Reaktionsgleichungen als Fakt präsentiert, obwohl Forschungen bereits 1954 ergaben, dass darüber hinaus noch weitere Reaktionen ablaufen, die sich unserer Kenntnis entziehen. Ich frage mich, wie man die Interaktion von Nahrung und menschlichem Stoffwechsel richtig verstehen soll, wenn die Lehrbasis nicht korrekt ist.
Das ist ja unglaublich, dass das bisher keiner weiter verfolgt hat.
Ich war auch mehr als erstaunt über diesen Umstand. Meine Literaturrecherche zu Transketolasen empfand ich inzwischen so spannend und fesselnd wie einen Hitchcock-Krimi. Das nächste wichtige Puzzleteil, auf das ich bei meiner Suche nach der Transketolase-Wahrheit gestoßen bin, war die Publikation einer ungarischen Forschergruppe, die sich mit dem Vitamin- C-Stoffwechsel befasste. Sie zeigten in dieser auf den ersten Blick unbedeutenden Arbeit fast nebenbei, dass Oxythiamin die Milchsäureproduktion in Krebszellen hemmte. Da Oxythiamin auch ein Hemmstoff der Transketolase ist, bedeutete dies meiner Meinung, dass Transketolasen maßgeblich an der Bildung von Milchsäure in Krebszellen beteiligt sind. Es musste also neben der bekannten Milchsäurevergärung auch eine Milchsäureproduktion mithilfe von Transketolasen geben.
Statt selbst zu forschen haben Sie also im Wesentlichen »alte« Ergebnisse neu interpretiert?
Ich hatte ja keine andere Möglichkeit. Mein Handwerkszeug bestand aus einem Schreibtisch, einem Laptop mit Internetzugang und Zeit zum Denken. Aktiv forschen konnte ich nicht, dazu fehlten Mittel und Ausstattung. Aber vielleicht war das auch gut so. Vielleicht führte gerade das Erkennen von Querverbindungen und das »Denken« neuer, unbekannter Pfade zum Ziel.
Als sich vor vielen Millionen Jahren Leben auf der Erde entwickelte, herrschten ganz andere Bedingungen als heute. Die Atmosphäre war noch nicht mit Sauerstoff angereichert und ließ daher kein Leben in der Form zu, wie wir es heute kennen. Die einzige zur Verfügung stehende Energiequelle waren chemische Verbindungen; mit ihrer Hilfe konnten Mikroorganismen Energie freisetzen. Diese Art der sauerstoffunabhängigen Energiegewinnung bezeichnet man als Vergärung. In ökologischen Nischen, wie heißen, schwefelhaltigen Quellen, nutzen auch heute noch Mikroorganismen diese Art der Energiegewinnung. Und auch Pflanzen können bei einem Sauerstoffmangel auf diesen Stoffwechselprozess zurückgreifen.
Schließlich gelang es ersten Bakterien mithilfe der Photosynthese, die im Sonnenlicht enthaltene Energie zu nutzen und Wasser zu spalten. Der dabei gebildete Wasserstoff wurde in Form von Zuckermolekülen gespeichert und als Energiequelle verwendet. Bei der Wasserspaltung entstand neben dem genutzten Wasserstoff das »Abfallprodukt« Sauerstoff. Die urzeitlichen Bakterien produzierten mit der Zeit so viel davon, dass sich zunächst die Meere, schließlich aber auch die Atmosphäre mit diesem Gas anreicherte. Erst jetzt konnten sich Mikroorganismen und letztendlich auch größere Lebewesen entwickeln, die in der Nahrung gespeicherte Energie mithilfe von Sauerstoff nutzen: Der Wasserstoff wird vom Kohlenstoff getrennt und in einer Art körpereigener Brennstoffzelle, den Mitochondrien, zu Wasser oxidiert. Dabei wird die in Form von Kohlenwasserstoffverbindungen gespeicherte Energie wieder freigesetzt und es werden die Abfallprodukte Wasser und Kohlendioxid gebildet. Diesen Prozess der Energiegewinnung bezeichnet man als Verbrennung.
Eine Zeit lang existierten vergärende und verbrennende Mikroorganismen nebeneinander her. Im Laufe der Zeit jedoch verschmolzen die beiden unterschiedlichen Lebensformen. Es bildete sich eine Mischform aus einer vergärenden Urzelle (Archaea) und einem verbrennenden Bakterium (Mitochondrium). Die Urzelle der höheren Lebewesen war entstanden. Noch heute trägt jede einzelne Zelle des menschlichen Organismus diese »geschluckten« Urbakterien in sich – und damit auch gleichzeitig beide Möglichkeiten der Energieversorgung:
die sauerstoffabhängige (aerobe) Energiefreisetzung durch Verbrennung in den Mitochondrien (siehe Kasten).sowie die sauerstoffunabhängige (anaerobe) Energiefreisetzung durch Vergärung und Bildung von Milchsäure.Info
Mitochondrien: unsere Kraftwerke >
Die Hauptenergielieferanten der meisten Zelltypen unseres Körpers sind die Mitochondrien. Sie funktionieren im Prinzip wie kleine Brennstoffzellen: Indem sie Wasserstoff mithilfe von Sauerstoff zu Wasser verbrennen, setzen sie Energie frei. Die Verbrennung ist eine äußert effektive Form der Energiefreisetzung, weil sie die Brennstoffe vollständig verstoffwechselt und damit den größtmöglichen Energiegewinn erzielen kann. Daher wird der überwiegende Teil der Energie, die für die Aufrechterhaltung unserer lebensnotwendigen Körperfunktionen benötigt wird, auf diese effiziente Art freigesetzt.
An der Art der Energiegewinnung hat sich bis heute kaum etwas geändert: Der Mensch nimmt die durch die Pflanzen gespeicherte Sonnenenergie in Form von Nahrung wieder auf und spaltet sie in ihre kleinsten Bestandteile. Diese verwendet der Organismus entweder sofort zur eigenen Energieversorgung oder lagert sie für später ein.
Rund um die Uhr laufen unzählige Stoffwechselaktivitäten im Körper ab. Denn damit die Zellen mithilfe der Mitochondrien ausreichend Energie freisetzten können, brauchen sie Sauerstoff – und zwar ununterbrochen. Aus diesem Grund müssen wir ständig ein- und ausatmen. Ohne Atemluft würde der Körper bereits nach wenigen Minuten zusammenbrechen und wie eine Flamme unter einem Glas ersticken. Doch auch wenn wir beschleunigt atmen und viel Sauerstoff in die Lungen pumpen (Hyperventilation), kann es im Körper zu einer kurzfristigen Sauerstoffunterversorgung kommen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn wir sehr schnell rennen und nicht ausreichend Sauerstoff in unsere Muskulatur gelangt. Die Muskeln benötigen dann einfach mehr Energie, als über die Verbrennung freigesetzt werden kann, Sauerstoff ist damit der begrenzende Faktor.
Turbogang für die Flucht
Über viele Jahrtausende jedoch mussten unsere Vorfahren genau mit dieser Situation fertig werden: Mussten sie zum Beispiel vor Tieren wegrennen oder kämpfen, waren sie in einer lebensbedrohenden Situation, bei der Sauerstoff nur begrenzt zur Verfügung stand. Diese Einschränkung wurde mit einem Trick zumindest teilweise überwunden: Sobald die Muskelzelle nicht genügend oder keinen Sauerstoff mehr zur Verfügung hatte und dadurch ihre Leistung beeinträchtigt wurde, schaltete sich das Notprogramm »Vergärung« ein. Diese sauerstoffunabhängige Energiegewinnung war sozusagen ein Turbogang, der zusätzliche Reserven bereitstellte. Sofort stand den Zellen neue Energie zur Verfügung und ließ die Muskeln weitere Höchstleistungen erbringen. Diese Dualität der Energiegewinnung haben sich unsere Zellen bis heute erhalten.
Aus der Forschung
Unterschied der Energiegewinnung in einer Tumorzelle und einer Krebszelle >
In gutartigen Tumorzellen (TKTL1-negative Tumorzellen) wird der Zucker aus der Nahrung verbrannt. In TKTL1-positiven Tumorzellen (= Krebszellen) ist die Verbrennung in den Mitochondrien abgeschaltet und die Vergärung über das TKTL1-Enzym angeschaltet. Durch die Vergärung stellt die Krebszelle aus Zucker Milchsäure her, die Angriffe des Immunsystems abwehrt und zugleich das umgebende Gewebe auflöst. Dadurch beginnen Krebszellen zu streuen.
Abfallprodukt Milchsäure
Beim Vergärungsprozess entsteht Milchsäure, die von der Muskelzelle über die Blutbahn in die Leber gelangt. Dort wird sie unter Energieaufwand wieder zu Glukose (Zucker) umgebaut, erneut dem Blutstrom zugeführt und schließlich zum Muskel zurücktransportiert. Solange die Flucht- oder Kampfsituation besteht, führt die Muskulatur diese Mischform aus Verbrennung und Vergärung der Glukose durch. Sobald die Muskeln zur Ruhe kommen und wieder ausreichend Sauerstoff zur Verfügung steht, wird die Vergärungsreaktion gestoppt. Die Zellen verbrennen die Energie dann wieder wie gewohnt. Die Folgen einer Muskelübersäuerung haben Sie übrigens sicher schon einmal am eigenen Leib gespürt: Wenn Sie im anaeroben Bereich trainieren (hohe Bewegungsfrequenz oder großer Krafteinsatz), löst die bei der Vergärung anfallende Milchsäure gemeinsam mit Mikroverletzungen der Muskelfasern den sogenannten Muskelkater aus.
In allen Situationen, in denen große Mengen an Kraft freigesetzt werden müssen, ist Glukose die ideale Energieform. Sie hat gegenüber Fett (dem anderen wichtigen Energieträger) den wesentlichen Vorteil, dass die Zelle die enthaltene Energie sowohl durch Verbrennung als auch durch Vergärung nutzen kann. Fettsäuren dagegen können nur verbrannt werden, wenn ausreichend Sauerstoff dafür vorhanden ist. Aus diesem Grund empfehlen Sportwissenschaftler, beim Ausdauertraining zur Gewichtsreduktion immer im aeroben Bereich zu trainieren, die Muskeln also stets ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen (langsames Tempo). Nur dann schmilzt das Fett.
Für unsere Vorfahren war es (über)lebenswichtig, beide Formen der Energiespeicher ständig aufzufüllen: mit Glukose für die schnelle Energieversorgung (vor allem in Notfällen) und mit Fett für eine langfristige.
Renommierte Wissenschaftler aus aller Welt stellten im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten immer wieder eine erhöhte Milchsäurekonzentration in der Umgebung von Krebszellen fest. Daraus folgerten sie schon früh, dass Krebszellen einen anderen Stoffwechsel durchführen als gesunde Zellen. Doch obwohl der deutsche Nobelpreisträger Otto Heinrich Warburg (1883–1970) bereits 1924 die Vergärung in Krebszellen beobachtete und als eigentliche Ursache für Krebs benannte, maß man dem bisher kaum Bedeutung zu.
Otto Heinrich Warburg, Gründer und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Zellphysiologie in Berlin (ab 1953 Max-Planck-Institut für Zellphysiologie) wurde 1931 für »die Entdeckung der Natur und der Funktion des Atmungsferments« mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Die nach ihm benannte Warburg-Hypothese wurde in jüngster Zeit immer wieder bestätigt: Warburg hatte entdeckt, dass Krebszellen Glukose nicht zu Wasser und Kohlendioxid verbrennen, sondern zu Milchsäure vergären, obwohl genug Sauerstoff für die normale Verbrennung vorhanden war. Daraus leitete er bereits 1924 die Hypothese ab, dass eine Störung in der Mitochondrien-Funktion und die Energiefreisetzung über Vergärung der eigentliche Grund dafür sei, dass im Körper Krebszellen entstehen.
Warburg zeigte auch, dass bestimmte gesunde Gewebe, wie die Zellen der Netzhaut und der Hoden, ebenfalls eine Vergärung von Glukose zu Milchsäure durchführen – selbst wenn genügend Sauerstoff zur Verfügung steht. Ein Beweis dafür, dass es auch im gesunden Gewebe zwei verschiedene Vergärungsstoffwechsel gibt.
Zurück zur Krebszelle. Die Vergärung in diesen entarteten Zellen unterscheidet sich grundlegend von der in Muskel- und Embryogewebe. Im Gegensatz zu diesen bevorzugt die Krebszelle – wie Netzhaut, Hoden und Nerven – nämlich auch bei ausreichend vorhandenem Sauerstoff die Vergärung zur Energiegewinnung; dadurch schützt sie sich vor gefährlichen Sauerstoffradikalen (ROS; reactive oxygen species). Die Vergärung verläuft zudem über einen anderen Stoffwechselweg als in Muskelgeweben; identisch ist nur das Endprodukt: Milchsäure.