DIE ONEDIN-LINIE: FÜNFTER BAND - DIE WEISSEN SCHIFFE - Cyril Abraham - E-Book

DIE ONEDIN-LINIE: FÜNFTER BAND - DIE WEISSEN SCHIFFE E-Book

Cyril Abraham

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Beschreibung

Der rasende Ehrgeiz von Kapitän James Onedin gilt einem neuen Projekt: In einer günstig gelegenen Bucht an der brasilianischen Küste, in die ihn ein Hurrikan verschlagen hat, will er einen Stützpunkt für den Überseehandel anlegen. Aber ein unbekannter Konkurrent durchkreuzt seinen Plan...

 

Cyril Abraham (* 22. September 1915; † 30. Juli 1979) war ein englischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Die BBC-Serie Die Onedin-Linie - von der ARD in den Jahren 1971 bis 1980 ausgestrahlt - gilt als sein bekanntestes Werk. Weitere Berühmtheit erlangte er durch seine Mitwirkung als Autor an der legendären TV-Serie Mit Schirm, Charme und Melone.

Die weißen Schiffe spielt in der rauen Welt der Seefahrt: Spannend und lebendig verwoben mit der Familiensaga der Onedins erzählt Cyril Abraham von den letzten Tagen der ruhmreichen Frachtsegler, welche auf den Weltmeeren kreuzten, ehe das neue Zeitalter der dampfbetriebenen Stahlriesen begann.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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CYRIL ABRAHAM

 

 

Die Onedin-Linie

Fünfter Band: Die weißen Schiffe

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE WEISSEN SCHIFFE 

Erstes Kapitel: Die Bucht der Wilden 

Zweites Kapitel: Schulschiff Conway 

Drittes Kapitel: Miss Gaunt 

Viertes Kapitel: Daniel Fogartys Überraschung 

Fünftes Kapitel: Der geheimnisvolle Mr. Sinclair 

Sechstes Kapitel: Ein Irrsinnsplan 

Siebtes Kapitel: Spielschulden 

Achtes Kapitel: Ein geselliger Abend 

Neuntes Kapitel: Folgenschwere Absichten 

Zehntes Kapitel: Schottland – ein Erlebnis! 

Elftes Kapitel: Romantik an Bord 

Zwölftes Kapitel: Um Haaresbreite 

 

 

Das Buch

 

Der rasende Ehrgeiz von Kapitän James Onedin gilt einem neuen Projekt: In einer günstig gelegenen Bucht an der brasilianischen Küste, in die ihn ein Hurrikan verschlagen hat, will er einen Stützpunkt für den Überseehandel anlegen. Aber ein unbekannter Konkurrent durchkreuzt seinen Plan...

 

Cyril Abraham (* 22. September 1915; † 30. Juli 1979) war ein englischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Die BBC-Serie Die Onedin-Linie - von der ARD in den Jahren 1971 bis 1980 ausgestrahlt - gilt als sein bekanntestes Werk. Weitere Berühmtheit erlangte er durch seine Mitwirkung als Autor an der legendären TV-Serie Mit Schirm, Charme und Melone.

Die weißen Schiffe spielt in der rauen Welt der Seefahrt: Spannend und lebendig verwoben mit der Familiensaga der Onedins erzählt Cyril Abraham von den letzten Tagen der ruhmreichen Frachtsegler, welche auf den Weltmeeren kreuzten, ehe das neue Zeitalter der dampfbetriebenen Stahlriesen begann.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers.

  DIE WEISSEN SCHIFFE

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel: Die Bucht der Wilden

 

 

Sie hatten, vor dem Südostpassat dahinlaufend, gute Fahrt gemacht. Die Sonne brannte vom Himmel und smaragdgrün schimmerte die See, als der Wind plötzlich umschlug, die Temperatur fühlbar absank und von Südwesten her ein Pampero heraufzog. Fast hätte er sie unvorbereitet getroffen, aber Baines erkannte die verräterischen Sturmböen, die sich als dunkle Linie vom Horizont her rasch näherten, und drehte bei. Als James an Deck erschien, hatte er bereits alle Segel bis auf die drei Untermarssegel und die Stagfock bergen lassen.

»Wir können uns auf allerhand gefasst machen«, sagte Baines. Er biss ein dickes Stück Kautabak ab, schob es sich in die Backe und wartete auf die erste schwere See.

James klemmte sich eine Zigarre zwischen die Zähne, strich ein Zündholz an und hielt es schützend zwischen die vorgehaltenen Hände. Pampero, der Pampaswind«, stellte er fest, »der dauert nie lange.«

Das war vor drei Tagen gewesen, und während dieser Zeit hatte der Pampero sie wie ein wildes Tier, das um seine Beute betrogen worden ist, umkreist. Der Wind nahm Sturmstärke an und blies aus allen Richtungen, bis er sich schließlich für Südost entschied. Riesige Brecher donnerten an Bord, und die Decks waren bis an den Rand des Schanzkleids voll Wasser. Das Vormarssegel wurde aus den Lieks gerissen. Baines ließ den Besan kappen und steuerte weiter in den Wind.

Die Esmeralda bockte und stampfte; sie schleuderte sich riesige Wassermähnen über den Kopf und kämpfte zornig gegen den schweren Seegang an. Aus Rache riss das Meer die Kombüsentür und die Lukendeckel auf dem Achterdeck weg, drückte die Rettungsboote an Steuerbord ein und überschwemmte achtern die Messe und die Offiziersunterkünfte. Dem Mannschaftslogis erging es nicht besser; Matratzen und Bettzeug wurden völlig durchnässt, und das übrige Zeug schwamm in dem schäumenden eiskalten Wasser herum. An Bord gab es nicht einen einzigen trockenen Faden mehr, an warmes Essen war überhaupt nicht zu denken. Dann wurde zu allem Unglück noch festgestellt, dass Salzwasser in die Trinkwassertanks eingedrungen war.

Der Sturm ließ nicht nach und trieb die Esmeralda mit unerbittlichem Druck auf die brasilianische Küste zu.

Kurz vor Mittag brach einmal kurz die Sonne durch, sodass James und Baines zum ersten Mal seit drei Tagen ihre Position bestimmen konnten. In dem winzigen Kartenraum breiteten sie die Seekarte aus und versuchten, sich über ihre Lage klarzuwerden.

»Wenn dies so weitergeht«, sagte Baines, »sitzen wir bald auf Grund.«

Sie waren vom Rio de la Plata mit einer Ladung Getreide vor der Küste nach Norden gelaufen, um in Santos noch eine Zuladung Kaffee zu übernehmen.

Im Augenblick befanden sie sich hundertvierzig Seemeilen südlich von Santos und etwa neunzig Seemeilen nördlich von Paranagua, dem kleinen Hafen, der ihnen als Zuflucht hätte dienen können. Dazwischen lagen nur Wildnis, Felsenklippen, Sandbänke und Sümpfe.

»Unwirtliche Gegend«, meinte Baines. »Höchst unwirtlich.«

James blätterte in dem Seehandbuch. »Nichts«, sagte er gereizt und stellte den Band wieder auf das Regal.

»Hier ist auch nichts zu erwarten«, sagte Baines. »Ich meine, außer ein paar Fischerdörfern und Indianern mit Pfeil und Bogen ist der ganze Küstenstreifen völlig menschenleer.«

James runzelte die Stirn. »Fischerdörfer? Das bedeutet Süßwasser.«

Baines brummte: »Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun, als auf Wassersuche zu gehen.«

James erklärte geduldig: »Süßwasser gibt es in Flüssen, und die fließen ins Meer.«

Baines schüttelte den Kopf. »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Aber die meisten sind bloß verschlammte Bäche mit Sandbänken und so flach wie ein Suppenlöffel.«

»Wir haben keine andere Wahl«, sagte James gereizt. »Entweder wir finden eine Bucht, oder wir laufen während der Dunkelheit auf Grund.«

»Hell ist es nur noch etwa sechs Stunden«, gab Baines zu bedenken.

»Dann fangen wir am besten gleich damit an«, sagte James. »Los, gehen Sie auf den anderen Bug, Captain Baines.«

Alles war besser, als untätig auf das Unvermeidliche zu warten. So hatten sie wenigstens das Gefühl, ihr Schicksal wieder in die eigene Hand genommen zu haben.

Die Rahen wurden gebrasst, und die Esmeralda nahm Kurs auf die Küste. Nach etwa einer Stunde, während der Sturm unablässig in der Takelage heulte, sichteten sie einen schmalen Küstenstreifen, hinter dem sich hohe Felsen wie eine Festung auftürmten. Davor schäumte die Brandung und schleuderte tosend weiße Gischtwolken hoch in die Luft.

»Sehr unwirtlich«, meinte Baines trocken. Er legte das Ruder um, brasste die Rahen hart an, und die Esmeralda begann sich von der Küste zu entfernen.

Während sie unter dauerndem Halsen langsam in nördlicher Richtung vorankamen, suchten sie den Küstenstreifen nach Lücken in der donnernden Brandung ab. Es war wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel; mit jeder Kursänderung verloren sie an Boden; der schwere Seegang, der orkanartige Sturm und die allmählich kleiner werdende Segelfläche wirkten sich dahin aus, dass die Esmeralda immer dichter an die wilde, ungebändigte Küste geriet.

Nach fünf Stunden eines kräftezehrenden, betäubenden Ringens hatten sie jede Hoffnung so gut wie verloren. Das Land lag jetzt kaum noch fünf Seemeilen auf Backbordseite, und es war zweifelhaft, ob sie noch genügend Seeraum für ein weiteres Wendemanöver haben würden.

»Setzen Sie sie auf Strand«, sagte James. Dies war jetzt der einzig mögliche Entschluss. Gemeinsam betrachteten sie die donnernde Brandung. In diesem brüllenden Strudel konnte kein Leben bestehen. Jeder Mensch würde zerschmettert werden, bevor er trockenes Land betreten konnte. »Wir verlassen das Schiff in dem Augenblick, wo es aufläuft«, fügte er hinzu.

»Ich halte noch ein letztes Mal Ausschau«, sagte Baines. Er schlang sich das Teleskop über die Schulter und kletterte wie ein riesiger, plumper Affe in die Wanten.

James schob die Hände in die Taschen und sah ihm nach. Dies war also das Ende, dachte er. Das Ende seiner Träume... Er empfand weder Angst noch Bitterkeit. Es war nur unendlich traurig, dass das Leben so kurz sein sollte, wo doch noch so viel zu tun blieb. Die Zeit war viel zu schnell vergangen. Anne schien erst gestern gestorben zu sein, und dennoch war seine Tochter Charlotte schon fast erwachsen.

Er dachte an Elmer, den er auf See bestattet hatte. An die untröstliche Isabel. Daniel Fogarty – dieser Dorn in seinem Fleisch; wo der wohl jetzt lebte? Als Schafzüchter in Australien, soviel er wusste. Er dachte an Bruder Robert, den Geizkragen und Pfennigfuchser; aber dessen neumodisches Kaufhaus ging offenbar ausgezeichnet. Er dachte an alte Schlachten. An seinen Erzfeind Callon, der längst unter der Erde lag. An den eisernen Jack Frazer, dessen massige Gestalt alt und gebrechlich geworden war. An Emma, Fogartys verlassene Frau, die gespenstisch in dem leeren Haus herumwanderte.

Und er dachte an das Schifffahrtsimperium, das er hatte schaffen wollen. Zunächst nur eine kleine Gesellschaft, die Onedin Line Limited, eine Privatfirma, die er ursprünglich mit Aktien im Wert von je hundert Pfund finanziert hatte – fünfzehn Prozent gehörten Isabel und fünfzehn Robert. Die Gesellschaft saß wie eine gefräßige Spinne im Zentrum eines verschlungenen Gespinstes von Tochterfirmen. Er fragte sich, wieviel er wohl wert war. Eine Million? Schlecht zu schätzen. Er hatte nie sein Vermögen nach Pfund, Schilling und Pence gezählt. Geld war für ihn eine Ware, die arbeiten musste. Wenn Anne ihm nur einen kräftigen Sohn geschenkt hätte, um seinen Namen fortzuführen, statt einer kleinen Tochter, die bestimmt eines Tages das Opfer irgendeines Glücksritters werden würde, dem es nur auf die Onedin-Linie ankam, und alle seine Träume würden sich dann in Schall und Rauch auflösen.

James wurde durch einen Ruf aus dem Mast aus seinen Gedanken gerissen. Baines, der sich mit den Füßen einen festen Halt auf der Quersaling verschafft und einen Arm um den schwankenden Mast gelegt hatte, schrie etwas herunter und wies mit dem freien Arm nach draußen.

Der Wind trug seine Worte in die tobende See hinaus. James folgte der Richtung des ausgestreckten Arms, stieg in die Besanwanten hinauf, hakte einen Arm um die Pardune und richtete das Fernglas auf den Küstenstreifen. Zunächst sah er nichts als die durchgehende Brandung, soweit das Auge reichte. Dann erkannte er undeutlich etwas, das entfernt wie ein Höckerwal aussah. Er kniff die Augen zusammen, wischte die Wassertropfen vom Fernglas ab und schaute wieder angestrengt ans Ufer hinüber. Die höckerartige Gestalt löste sich in einen Schwall dunklen Wassers auf, auf dessen beiden Seiten die Brecher der Brandung auf geheimnisvolle Weise zurücktraten. Das konnte nur eines bedeuten: eine tiefe Wasserrinne. James kletterte aufs Achterdeck zurück.

Baines war auch schon da. »Der Eingang zu einer Bucht!«, rief er aus. »Gerade so breit, dass man hinüberspucken kann, aber das muss genügen, verdammt noch mal!«

James nickte zustimmend. »Fallen Sie ab und setzen Sie alle Segel. Es ist unsere einzige Chance.«

Baines nahm das Megaphon in die Hand. »Alle Mann an Deck! Alle Mann an Deck! Segel setzen! Erst den Klüwer!«

Der Klüwer kam rasselnd hoch, er flatterte und blähte sich im Wind. Das Schiff steuerte leewärts, die Stagsegel knatterten.

»Großsegel setzen!«

Die Rahen am Großmast flogen unter dem Druck des Windes herum, während die Backbordwache sich verbissen ins Zeug legte, die Brassen in Lee einzuholen.

Die Mannschaft oben auf den schwankenden Rahen warf die Beschlagzeisinge ab. Die Leinwand schlug um sich wie ein wildes Tier und blähte sich im Wind, während die Wache an Deck – knietief in eisigem Wasser stehend – mit letzter Anstrengung die Schoten dichtholte. Das gewaltige Segel füllte sich, und die Esmeralda schoss vorwärts.

Erschöpft setzten sie das Focksegel und suchten, als das Schiff Kurs auf die Küste nahm, größtmöglichen Schutz vor der tobenden See und dem Orkan.

Die Esmeralda krängte und legte sich auf die Seite, während die Reling in Lee von grünem Wasser überspült wurde. Das Schiff lief vor dem Wind, bis die Uferlinie nur noch eine Seemeile entfernt war und das Donnern der Brandung wie eine Kanonade herüberdrang.

Steile Felsformationen stiegen drohend vor ihnen auf. Zwischen zwei riesigen zerfurchten Felsblöcken schoss die kochende See hindurch und schleuderte Gischtwolken hoch in die Luft.

»Jetzt oder nie«, sagte James. »Bringen Sie sie herum.«

Baines legte das Ruder um. Die Männer hängten sich, der Erschöpfung nahe, noch einmal an die Brassen, der Bug kam herum, die Rahen wurden vierkant gebrasst, und die Esmeralda nahm direkt Kurs auf den schäumenden Strudel.

Die nachlaufende See schoss in gewaltigen Wellenbergen durch die schmale Enge, die in die Bucht hineinführte. Das Schiff tanzte wie wahnsinnig und drohte, aus dem Ruder zu laufen. Es hob das Heck hoch über den Kamm jeder heranrollenden Woge und tauchte dann kopfüber in das nächste Wellental. Das Bugspriet brach; er hing einen Augenblick wie ein abgebrochener Zahn herunter und wurde dann vollends abgerissen, während die Fock in Fetzen davonflog. Das Deck war ein Hexenkessel schäumender Wassermassen, die unablässig an Luken und Aufbauten zerrten. Zwischen den beiden Felsbastionen steigerte sich das Toben des Sturms zu einem dämonisch anmutenden Heulton, und die rasende See trieb das Schiff wie ein willenloses Stück Strandgut vor sich her.

Die Besatzung klammerte sich an Stags und Wanten, sie lauschte gebannt dem Toben der Elemente und wartete angstvoll auf den Augenblick, wo das Schiff krachend auf ein Felsenriff auflaufen würde. Die beiden turmhohen Klippen glitten in einem schäumenden Gischtwirbel zu beiden Seiten vorbei. Dann öffnete sich plötzlich die Enge, das Schiff richtete sich auf, und sie fanden sich in einer breiten Bucht wieder.

»Lee-O!«, brüllte Baines und legte das Ruder um. Die Esmeralda drehte sich langsam in den Wind, die Segel erschlafften, und das Schiff begann, nach achtern zu driften.

»Fallen Backbordanker! Fallen Steuerbordanker!«, schrie Baines. Die Ketten rasselten durch die Klüsenrohre, die Esmeralda lehnte sich zurück, und zwanzig Minuten später lag sie im Windschatten des Landes sicher vor Anker.

»Her mit dem Rum!«, sagte James. »Ich glaube, wir haben ihn redlich verdient.«

Während der Smutje das starke Getränk in die Becher goss, ging James auf dem Achterdeck hin und her und versuchte, sich ein Bild von der Lage zu machen.

Die Einfahrt war ein Flaschenhals, durch den die vom Sturm gepeitschte See hereindrang. Die Bucht bog scharf nach Süden ab und glich einer auf der Seite liegenden Babyflasche. Vom offenen Meer durch Fels- und Sandbarrieren geschützt, lag sie eingebettet zwischen dichtbewaldeten Berghängen, die zu einem Hochplateau aufstiegen und ins Innere des Landes führten. Hier und da stieg Rauch von Holzfeuern in die Luft, der von dem Wind in lange blaue Schwaden zerrissen wurde. James nahm das Fernglas in die Hand und betrachtete den Küstenstreifen.

Er erkannte ein paar verstreute, dicht am Ufer liegende Dörfer, die aus einzelnen strohgedeckten Hütten bestanden. Einige primitive Kanus lagen auf dem Stand, außerhalb der Reichweite des Sogs der Brandung. Fischernetze waren zum Trocknen an Stangen aufgehängt, und eine Gruppe dunkelhäutiger Gestalten wanderte scheinbar ziellos herum, verhielt ab und zu und blickte gestikulierend zu dem seltsamen Eindringling in der Bucht hinüber.

»Heidnische Wilde«, sagte Baines. »Es ist bestimmt das erste Mal, dass sie ein seetüchtiges Schiff aus der Nähe zu sehen bekommen.«

»Wir haben nichts Böses mit ihnen im Sinn«, entgegnete James. »Wenn der Wind nachlässt, rudern wir an Land und statten ihnen einen Besuch ab.«

»Es sind Indianer, die mit Pfeil und Bogen schießen«, meinte Baines warnend. »Ich bezweifle, dass sie sich Fremden gegenüber freundlich zeigen werden.«

»Sie kennen den Tauschhandel«, sagte James zuversichtlich. »Jeder wiegt sich gern in dem Gedanken, etwas fast umsonst zu bekommen.«

Baines kratzte sich am Kopf. »Genauso ist es – die haben nämlich nichts zu bieten.«

»Frisches Wasser«, sagte James. Dann zeigte er auf einen Holzstapel. »Und ein neues Bugspriet.«

 

Über Nacht klarte das Wetter auf, und am nächsten Morgen stieg die Sonne über den Felsen empor und ergoss ihre Hitze in die rundum eingeschlossene Bucht. Die Luft war still und feucht, und die Esmeralda lag regungslos wie in einem Feuerteich.

Kein Kräuseln bewegte die Wasseroberfläche, und die Stille wurde nur durch die misstönenden Schreie von Vögeln und Brüllaffen in den fernen Wäldern unterbrochen. Schon jetzt verschwamm der Küstenstreifen durch die Hitze und schien wie ein in weiter Ferne liegendes Trugbild.

Baines wischte sich das Gesicht mit einem roten Schnupftuch ab. »Kein Wunder, dass kein Schiff hier anläuft. Kein Luftzug und so heiß, dass man Kartoffeln braten könnte.«

James nickte zustimmend. »Lassen Sie die Männer ausruhen und geben Sie ihnen etwas Anständiges zu essen. Es wird gar nicht so einfach sein, hier wieder herauszukommen.«

»Eine gottverlassene Gegend«, sagte Baines. »Hier gibt es nichts, wovon Mensch oder Tier leben könnten.«

»Oh, das weiß ich nicht«, meinte James. Er wies auf ein halbes Dutzend Fischerboote, die dicht vor dem Ufer ihre Netze auslegten. »Irgendwie verschaffen sich die Leute ihren Lebensunterhalt.«

Baines zuckte mit den Achseln. »Sie leben von der Hand in den Mund. Wenn sie keine Fische fangen, müssen sie hungern.«

Er beugte sich über die Achterdeckreling und rief dem Steuermann, einem stämmigen jungen Mann, der wie ein Wikinger aussah, zu: »Mr. Murdoch, wir rudern kurz an Land. Passen Sie deshalb scharf auf, ob wir irgendein Zeichen geben.«

»Aye, aye, Sir«, antwortete Murdoch; er war hocherfreut, ein paar Stunden den wachsamen Augen von Eigner und Kapitän entrinnen zu können.

Baines warf einen Blick in die Takelage. »Und, Mr. Murdoch, hängen Sie die Leinwand auf, damit sie trocknet. Dann können die Mannschaften Putz- und Flickstunde machen. Sagen Sie dem Smutje, er soll doppelte Rationen ausgeben. Anordnung von Mr. Onedin.«

»Aye, aye, Sir«, antwortete Murdoch begeistert. Es versprach, ein durchaus ruhiger Tag zu werden.

Die Besatzung des Beiboots war bereit, die Fallreep heruntergelassen. James nahm seinen Platz auf dem Achtersitz ein, während Baines nach der Ruderpinne griff.

»Ablegen, steuerbord«, befahl Baines. «Backbord. Alle Mann geradeaus.«

Das aus Klinkern gebaute, achtruderige Boot entfernte sich vom Schiff und nahm Kurs auf das nächstgelegene Dorf. Rhythmisch tauchten die Riemen ins Wasser, die Ruderblätter blitzten in der Sonne auf, und die Esmeralda fiel langsam achtern zurück; ihr Spiegelbild tanzte im Widerschein der Wasseroberfläche.

Der Schiffszimmermann und sein Gehilfe dösten friedlich am Bug vor sich hin; die Ruderer legten sich kraftvoll in die Riemen und freuten sich darauf, am Ufer die Beine ausstrecken zu können. James schob sich den Sombrero ins Gesicht und lauschte dem Glucksen des Wassers, dem Knarren der Dollen und dem einschläfernden Platschen der Riemen, während das Ufer näher kam und schärfere Konturen annahm.

Die Fischer hatten, wie er feststellte, ihre Netze eingeholt und paddelten jetzt in wilder Eile dem Strand zu. Baines hatte recht, dachte er, es sind primitive Wilde, die von dem fremden Eindringling in Alarmstimmung versetzt worden sind.

Aber er beruhigte sich im Gedanken an die Tauschwaren, die auf den Bodenbrettern lagen, und die Pistole, die er im Halfter an der Hüfte trug.

Sie setzten das Boot an einer sandigen Stelle auf den Strand. Das Dorf war verlassen. Mehrere halbverfallene Hütten umstanden einen kleinen, offenen Platz. Aus Ton gefertigte Kochtöpfe dampften über glosenden Holzfeuern.

»Die Leute regen sich leicht auf«, sagte Baines. Er tauchte einen Finger in einen der Töpfe und probierte den Inhalt. »Verfault wie Brackwasser«, erklärte er angeekelt. »Schmeckt wie Fischleim.«

Hinter dem Dorf begann ein Wald aus hohen Bäumen, zwischen denen die Vegetation üppig wucherte. Riesenfarne hoben ihre Wedel über ein Gestrüpp aus Unterholz, in dem es nach Moder roch. Lianen überspannten die Dschungelpfade, über denen kreischende Affenvölker lebten.

Im Norden, dicht hinter den Hütten, plätscherte ein breiter, flacher Bach über Kiesel und Schiefersteine; er wand sich durch ein bebautes Gebiet, auf dem Mais, süße Kartoffeln und Pfefferpflanzen wuchsen.

»Frisches Wasser«, sagte James. »Wir werden mit den Leuten ins Geschäft kommen.« Er stellte das Bündel mit den Tauschwaren auf den Boden und begann, den Inhalt auszubreiten, während der Schiffszimmermann mit seiner Axt zu den nächstgelegenen Bäumen hinüberwanderte. Er wählte sich einen aus, hieb versuchsweise gegen die zähe Rinde und prüfte das Splintholz. Ein Schwirren war zu hören, und ein Pfeil fuhr dicht über seinem Kopf in den Baum.

Der Schiffszimmermann starrte entsetzt auf den noch zitternden Pfeil, drehte sich um und wollte zurückrennen.

»Langsam gehen – nicht laufen!«, rief James.

Baines schlenderte gemächlich an dem erbleichten Zimmermann vorbei bis zu dem Baum.

»Das war nur ein Warnschuss, mein Lieber«, sagte er munter. »Wenn sie aufs Ganze gegangen wären, hätten sie dich gespickt wie ein Stachelschwein.« Er trat an den Baumstamm, zog den Pfeil heraus und brachte ihn mit. »Hat eine Eisenspitze«, meinte er zu James. »Sie müssen also irgendeinen Kontakt mit der Zivilisation haben. Was machen wir jetzt?«

»Wir setzen uns hin und warten ab.«

Er entbreitete ein halbes Dutzend farbenfroher Decken und eine Kollektion von Äxten und Messern. Dann setzte er sich – Baines zu seiner Rechten, den noch immer zitternden Zimmermann zu seiner Linken und die Bootsmannschaft, die sich nervös umsah, daneben – mit untergeschlagenen Beinen wie ein Trödler auf dem Marktplatz hin und wartete geduldig, was geschehen würde.

Insekten summten schläfrig vorbei. Ein großer blauer Schmetterling gaukelte heran und ließ sich auf einer Orchideenblüte nieder.

Plötzlich tauchte ein Mann aus dem Wald auf und begann, auf sie zuzugehen. Er hielt die Hände zum Zeichen des Friedens weit gespreizt.

Er war ein Graubart, ein von Alter gebeugtes, verhutzeltes Männlein. Unter der breiten Krempe des Sombreros lugte ein Nussknackergesicht hervor. Er trug einen verblichenen Umhang, der ihm bis zu den Knien reichte, und Wickelgamaschen an den Unterschenkeln.

Der Mann blieb ein paar Schritte vor ihnen stehen, nahm den Hut mit schwungvoller Gebärde vom Kopf und gab ein paar unverständliche Sätze von sich.

James, der kaum den Akzent der Leute an der englischen Südküste verstehen konnte, ganz zu schweigen von irgendeiner Fremdsprache, sah sich hilfesuchend nach Baines um. Des Kapitäns linguistische Fähigkeiten verblüfften ihn immer wieder. Der Mann konnte in mehr Zungen reden, als es im Turm von Babel gegeben hatte.

Baines schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nur Bahnhof.« Er betrachtete die Gamaschen des Mannes. »Er ist nach portugiesischer Art gekleidet. Ich glaube, er ist ein Mestize – ein Halbblut.«

Dann redete er den Alten langsam in sorgfältig artikuliertem Portugiesisch an.

Das zerfurchte Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Er antwortete stockend in derselben Sprache; dabei suchte er mehrfach nach einem Ausdruck, der ihm entfallen zu sein schien.

»Er sagt, er sei Dom Pedro Ramirez, und sein Chef möchte wissen, warum das große Schiff hier ist und was wir brauchen, denn sie seien nur ein armes Volk«, übersetzte Baines.

»Sagen Sie ihm«, erwiderte James, »dass uns der böse Sturm in die Bucht getrieben hat, dass wir in Frieden kommen und nichts Schlimmes im Schilde führen. Zum Zeichen unserer guten Absichten würden wir ihnen reiche Geschenke anbieten.«

Baines suchte eine Decke und ein Messer aus, übergab beides dem Abgesandten und begann eine Konversation, die wie der Austausch von Höflichkeitsfloskeln klang.

Dom Pedro nickte dankbar mit dem Kopf, drehte sich um und rief etwas in den Wald zurück.

In wenigen Augenblicken erschien der ganze Stamm auf der Bildfläche. Zuerst kamen die jungen Männer heraus, bewaffnet mit Fischspeeren und Pfeil und Bogen. Sie rückten in Zickzacklinie vor, schwangen ihre Waffen und schnitten wilde Grimassen, während hinter ihnen alte Männer, Frauen und Kinder folgten.

»Sie führen nichts Böses im Schilde«, erklärte Baines. »Wir müssen nur Ruhe bewahren. Ich habe so etwas schon oft erlebt, als ich Häfen an der Goldküste anlief. Sie wollen sich bloß Mut machen und zeigen, dass sie sich nicht fürchten.«

Die Kampflinie näherte sich bis auf einige wenige Meter. Dann ließen die Männer die Waffen sinken, blieben stehen und kratzten sich, verlegen grinsend, am Kopf, bis ein breitschultriger Mann, einen bunten Speer als Zeichen seiner Würde in der Hand, aus der Masse hervortrat und in gutturalem Ton auf Ramirez einredete.

Der Graubart, der sich offenbar wegen der Bedeutung, die ihm plötzlich zuteil geworden war, sehr geschmeichelt fühlte, übersetzte langsam.

»Dieser Bursche ist der Häuptling«, sagte Baines. »Soweit ich verstehen konnte, heißt er Anzuelo. Er will wissen, warum so reiche Leute wie wir, die ein so großes Schiff besitzen, mit einem so armen Volk wie dem seinigen Handel treiben wollen.«

»Sagen Sie ihm, dass wir unsere Handelsgeschäfte erledigt haben und dass dies die einzigen Waren sind, die wir noch übrighaben, dass wir sie ihm aber als Zeichen unserer Freundschaft anbieten wollen. Als Gegengabe würden wir uns freuen, Wasser und einen Baum zu bekommen.«

Baines begann eine längere Rede, streute zur Vervollständigung einige blumenreiche Phrasen ein, worauf Anzuelo seinem Verbindungsmann einige erstaunte Fragen stellte.

»Die Sache mit dem Wasser versteht er«, sagte Baines. »Aber er möchte wissen, warum wir einen Baum brauchen.«

Bevor er darauf antwortete, wandte sich James an den Schiffszimmermann. »Was ist deine Meinung, Chippy? War das Holz gesund?«

»Beste Parana-Fichte«, sagte der Zimmermann. »Könnte mir nichts Besseres wünschen.« Er wies mit dem Arm auf den Baumbestand. »Allein aus diesen Bäumen ließe sich eine ganze Flotte bauen.«

»Das werde ich mir merken, Mr. Andrews«, sagte James. Er stand auf. »Der Baum ist für einen Reservemast gedacht.«

Er nahm zwei Decken, zwei Äxte und ein Paar feststehende Messer hoch und legte sie Anzuelo in die Arme. »Sagen Sie ihm, dass diese Geschenke der eine Häuptling dem anderen macht und dass wir morgen zurückkommen werden, um Wasser und das Holz zu holen.«

Sie füllten einige Behälter mit Wasser aus dem Bach, der Zimmermann markierte einen Baum, den er sich sorgfältig ausgesucht hatte, und dann kehrten sie zum Boot zurück, während die Dorfbewohner über den Rest der Geschenke herfielen.

James, der auf der Achterbank saß, betrachtete nachdenklich die Bucht und die Berghänge, die zu dem Hochplateau hinaufführten. »Das würde ein gutes, natürliches Hafenbecken abgeben«, dachte er laut vor sich hin.

Baines, die Ruderpinne in der Hand, meinte missbilligend: »Sieht im Augenblick vielleicht so aus. Aber der Wind, der einen hereinbläst, bläst einen nicht wieder hinaus, und die Bucht liegt mitten im Bereich der Passatwinde. Außerdem führt sie im Hinterland nirgendwohin. »

»Alles führt irgendwohin«, sagte James und verfiel in brütendes Schweigen.

Nach Rückkehr zum Schiff gab er Befehl, er wolle nicht gestört werden, und schloss sich in seiner Kajüte ein, wo er den ganzen Nachmittag und bis tief in die Nacht arbeitete. Er studierte den Atlas, sah immer wieder in dem Schifffahrtshandbuch nach, überprüfte Statistiken über Niederschlagsmengen und vorherrschende Winde, frischte sein Gedächtnis über die wichtigsten Frachtarten auf, die von Santos aus nach Norden und vom Rio Grande do Sul nach Süden transportiert wurden.

Gegen Mitternacht verstaute er Bücher und Papiere und begab sich an Deck, um in Ruhe eine Zigarre zu rauchen.

Die Esmeralda schlief friedlich vor Anker. Geisterhaft hingen oben die Segel an den Masten, und darüber wölbte sich der sternenbesetzte Himmel. Die Berghänge am Land waren dunkle Schatten, in denen wie Glühwürmchen das heruntergebrannte Feuer der vielen Kochstellen glitzerte.

James zählte. Jede Kochstellenansammlung ergab ein Dorf, und jedes Dorf musste notwendigerweise seinen eigenen Nachschub an Süßwasser haben. Das ergab zwanzig Bäche, die ständig von dem Plateau herunterflossen; dieses wiederum ließ darauf schließen, dass sich oben ein größeres Gewässer befinden musste.

Er ging langsam auf und ab, zog noch einmal an der Zigarre und warf dann den Stummel weg. Das glühende Ende flog in hohem Bogen durch die Nacht und erlosch in dem ruhigen Wasser der Bucht. James gähnte und streckte sich. Morgen würde er landeinwärts vorstoßen und das Gebiet erkunden.

Eine Sternschnuppe huschte über den Himmel, ein goldener Funke, der zu kurzem Leben erglühte und dann in der Finsternis erstarb. Für einen abergläubischen Menschen hätte dies ein bestimmtes Vorzeichen sein können, aber James hatte schon Tausende gesehen und war nicht abergläubisch veranlagt.

Am nächsten Morgen stand er früh auf und nahm ein herzhaftes Frühstück ein. Er lauschte dem Quietschen der Taljen, als das zweite Beiboot zu Wasser gelassen wurde. Dann trank er noch eine Tasse heißen, starken Kaffees und begab sich auf Deck.

Es war bereits sehr warm und schwül. Nebelschwaden, die sich wie Seidengespinst drehten und wendeten, hingen über dem Wasser der Bucht. Die purpurn und golden schimmernden Berghänge stiegen vom Ufer in mehreren Absätzen zum Rande des Hochplateaus hinauf.

James lehnte sich gegen die Achterdecksreling und sah dem Treiben zu, das mittschiffs herrschte. Der Schiffszimmermann und sein Gehilfe ließen ihren Werkzeugkasten in eines der Boote hinunter, das bereits mit leeren Wasserkanistern beladen war. Die Wasserholer, die in Erwartung ihres Landganges frohe Gesichter machten, wurden von der an Bord zurückbleibenden Wache offenbar wegen dieser Expedition beneidet. Jeremiah Honest, der Bootsmann, kletterte als letzter in das Boot hinunter. Er setzte sich an die Ruderpinne, stieß ab, die Ruderer legten sich energisch in die Riemen, und das Boot entfernte sich von der Esmeralda, um wie ein fremdartiges Wasserinsekt im Nebel zu verschwinden.

»Alle bekommen der Reihe nach einmal Landgang, Captain Baines«, sagte James so laut, dass die Besatzung es hören konnte. »Die Mannschaften an Bord können sich damit beschäftigen, das Schiff auf Hochglanz zu bringen.« Baines nickte zustimmend und fand, dass Mr. Onedin heute Morgen ungewöhnlich gut gelaunt war. Er betete im Stillen, diese Stimmung möge anhalten, und wandte sich um, um einen nichts Böses ahnenden Matrosen anzufahren, der bei der Arbeit leise vor sich hin pfiff.

»Hör mit der Pfeiferei auf, Jakes«, befahl er barsch. »Wenn wir jemanden brauchen, der Wind heranpfeifen soll, sagen wir dir Bescheid.« Er brummte noch etwas in den Bart und spuckte über die Reling. Zuviel Güte schadete der Moral.

Ein halbes Dutzend Kanus näherten sich vom Strand her und umschwärmten das Schiff wie eine Schule scheuer, aber neugieriger kleiner Fische.

»Es kommt mir keiner an Bord«, sagte James. »Die Kerle stehlen hier sonst alles, was nicht niet- und nagelfest ist.«

Er gab dem zweiten Steuermann, der die Beladung des anderen Bootes beaufsichtigte, ein Zeichen. »Mr. Parslow«, rief er vom Achterdeck herunter. »Haben Sie nicht erst vor kurzem Ihr Steuermannsexamen abgelegt?«

»Aye, Sir«, antwortete Parslow und dachte krampfhaft nach, ob er sich etwas zuschulden hatte kommen lassen.

James lächelte leutselig. »Dann dürfte der Auftrag, den ich für Sie habe, durchaus Ihren Fähigkeiten entsprechen. Ich will, dass Sie sich ein Handlot und einen Elmer mit Talg besorgen und die Bucht für mich ausloten. Achten Sie dabei besonders auf irgendwelche Untiefen. Nehmen Sie das Schiff als Ausgangspunkt, und arbeiten Sie bis dicht an das Ufer.«

»Aye, Sir«, antwortete Parslow, der über diesen Auftrag gar nicht glücklich war. Die Arbeit versprach mühselig und langwierig zu werden, und er wusste aus Erfahrung, dass Mr. Onedin auf Genauigkeit großen Wert legte. Gleichzeitig gelang es Parslow jedoch, ein erstauntes Gesicht zu machen. »Beide Boote sind aber im Einsatz, Sir«, meinte er zögernd.

»Dann lassen Sie sich etwas einfallen, Mr. Parslow«, sagte James brüsk.

»Was Mr. Onedin meint«, ergänzte Baines, »ist, dass Sie sich in Bewegung setzen und eines von diesen Kanus anheuern.«

Parslow machte sich auf den Weg. James hängte sich sein Fernglas um den Hals und nahm einen Beutel Proviant sowie eine Flasche Wasser mit. »Während meiner Abwesenheit können Sie mir einen Gefallen tun und eine Karte der Bucht anfertigen, Captain Baines.«

Baines beobachtete James, wie dieser über das Fallreep in das wartende Beiboot hinunterstieg. Er seufzte schwer: Es würde ein langer Tag werden.

 

Als James ans Ufer stapfte, hörte er bereits das rhythmische Dröhnen der Äxte und stellte mit Befriedigung fest, dass der Schiffszimmermann und sein Gehilfe schon dabei waren, eine hohe, gerade gewachsene Fichte zu fällen.

Einige Matrosen, die in dem Bach allerlei Ulk trieben, taten plötzlich ganz geschäftig und füllten Wasser in die Kanister. Herumlungernde Einheimische unterbrachen ihre Plaudereien für einen Augenblick, um der hochgewachsenen schlaksigen Gestalt des Fremden nachzuschauen, der zielstrebig durch ihr Dorf schritt.

Sie sahen ihn den gewundenen Pfad einschlagen, der durch den Wald ins Oberland führte, und kehrten dann zu der viel interessanteren Frage zurück, ob Maja von einem der Seeleute ein Stahlmesser als Geschenk für ihre Gunstbeweise annehmen solle oder nicht. Sie hatte anstandshalber mit ihrem Ehemann gesprochen, und dieser befand sich in einem Zustand quälender Unentschlossenheit: vielleicht sollte er zusätzlich zu dem Messer noch eine Axt verlangen.

Die Meinungen im Dorf waren geteilt: Diejenigen, die bereits Äxte und Messer besaßen, stellten sich auf die Seite derjenigen, die mit alten und wenig ansehnlichen Frauen verheiratet waren und den konservativen Standpunkt vertraten, eine solche Handlungsweise könne nur den Status quo gefährden und einen bedauerlichen Präzedenzfall schaffen.

Familienväter mit hübschen Frauen und Töchtern waren hingegen weitaus liberalerer Auffassung: Da die von weither gekommenen Fremden offenbar über einen unbegrenzten Vorrat an solchen Luxusgütern verfügten, könnten letzten Endes alle daran teilhaben. Wie die Sache auch ausgehen mochte dieses Problem würde für die nächsten Monate ein unerschöpfliches Gesprächsthema abgeben.

Der Pfad drang tief in den Wald ein, bevor er steil auf den ersten Bergrücken hinaufführte. Die Luft war heiß und feucht, die Mücken bildeten eine Plage, und die unter einem dicken Teppich aus Fichtennadeln versteckten Baumwurzeln boten für den Unachtsamen gefährliche Fallen, in denen man sich die Knöchel verstauchen konnte.

Rechts von James quakten monoton Frösche und übertönten beinahe das Plätschern eines irgendwo in der Nähe vorbeifließenden

Baches. Ein erschreckter Vogel mit leuchtendem Gefieder stieg empört zeternd auf und ließ sich auf einem höher gelegenen Ast nieder.