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Die Ordnung hat Urlaub genommen. Möglicherweise reist sie ins "Gasthaus zur Himmlischen Einkehr"? Oder sie hat sich in die interstellare Kommunikation mit einer Seitenspringerin verstrickt? Vielleicht versteckt sie sich aber auch zwischen Erdbeerleuchten und Novemberniesel? Oder es verlangt sie nach Pommes mit Sex ... Die Geschichten und Gedichte der sieben Autorinnen von S.C.H.R.E.I.B. Kraut aus Berlin laden dazu ein, es herauszufinden.
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Seitenzahl: 178
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Diese Geschichten und Gedichte entstanden während der letzten Jahre.
Wir – S.C.H.R.E.I.B. Kraut – das sind sieben Frauen, die sich monatlich treffen, um vor Ort und zwischendurch Texte zu schreiben, gemeinsam zu lesen und anderen vorzulesen.
Tanzend in den Sommer (Villanellen)
Frühling
Dorothee Rabe
Sommer
Grit Ellen Sellin
Herbst
Kerstin Zabel-Strzyz
Winter
Katrin Girgensohn
Pommes mit Sex
Sommeranfang
Katrin Girgensohn
Warten, Butter und Erdbeeren
Kerstin Zabel-Strzyz
Herbst
Ramona Jakob
Parallel-Gedicht
Grethe Herzog
Flüchtige Liebe
An der Liebesfront
Dorothee Rabe
Ansichten eines Globus
Grethe Herzog
Mondsilber
Ramona Jakob
Hochzeit
Kerstin Zabel-Strzyz
paar im bad
Kirsten Jenne
Weiß – Brautkleid bleibt Brautkleid
Grethe Herzog
Kaltes Nachwehen
Grit Ellen Sellin
Unter Klimaforschern
Dorothee Rabe
Septembersorgen
Katrin Girgensohn
Wie hingewürfelt
Alltag
Grethe Herzog
Willst du das
Kerstin Zabel-Strzyz
Barmherzigkeit
Grit Ellen Sellin
Labyrinth
Ramona Jakob
Rosi
Kerstin Zabel-Strzyz
Stein und Brett
Kirsten Jenne
Gasthaus Zur Himmlischen
Dorothee Rabe
Die Rotschopf - Ein Sonett
Grethe Herzog
Die Ordnung hat Urlaub
Kerstin Zabel-Strzyz
Die Party
Ramona Jakob
März
Grethe Herzog
Mopsalarm
Dorothee Rabe
Meine Zeit
Ramona Jakob
Für immer und ewig
Kerstin Zabel-Strzyz
Seitenspringerin gesucht
Stellenbeschreibung: „Seitenspringerin gesucht“
Kerstin Zabel-Strzyz
Die Seitenspringerin
Kerstin Zabel-Strzyz
Stellenausschreibung „Haushalterin gesucht“
Katrin Girgensohn
Die Haushalterin
Dorothee Rabe
Der Haushalter
Grethe Herzog
Stellenanzeige: „Chefkoch/Chefköchin gesucht“
Grethe Herzog
Die Chefköchin
Katrin Girgensohn
Aus dem Weg
Kirsten Jenne
Micky Maus
Katrin Girgensohn
Fahrstuhltraumata
Grit Ellen Sellin
Die Ferse schlupft
Interstellare Meldungen
Grethe Herzog
Meine Ferse schlupft
Ramona Jakob
Schuhe schnüren
Grethe Herzog
Öse & Senkel (Verschränkte Anaphern)
Katrin Girgensohn und Grethe Herzog
Schuhe schnüren
Grethe Herzog
Meine neuen Schuhe
Kerstin Zabel-Strzyz
Laufen
Ramona Jakob
Nur eine Schachtel?
Grit Ellen Sellin
Liegt was in der Luft?
Grethe Herzog
Lupinen
Ramona Jakob
Lübz – eine Hommage
Grethe Herzog
Innehalten
Deutsche Rouladen
Katrin Girgensohn
Das Leben - eine Wartezeit?
Grit Ellen Sellin
Tätererbe
Grethe Herzog
Klaras Bilder
Ramona Jakob
Der Sturm
Kirsten Jenne
Über S.C.H.R.E.I.B. Kraut
Dorothee Rabe
Fern ist der Frühling, noch lang ist es hin…
Sehnsucht im Winter, wir malen uns aus:
Visionen von Kirschblüten, Wärme und Licht!
Betongrau der Himmel, monatelang,
eine Kerze blakt schwach auf dem Fensterbrett.
Fern ist der Frühling, noch lang ist es hin…
Noch klirrt im Februar Frost durch die Nacht
Wann kommt der Frühling – kommt er denn je…?
Visionen von Flieder, Kirschblüten und Licht!
Aber dann: eine Amsel am Morgen, noch leise und fern,
eine Botin des Frühsommers, rufend im Traum,
Fern ist der Frühling, noch lang ist es hin…
Wir hoffen, wir sehnen, wir geben nicht auf,
Wir trotzen dem Märzwind, sind müde und krank -
Visionen von Kirschblüten, Wärme und Licht!
Geduldsprobe, noch immer, der ganze April -
Und endlich, oh du, oh erlösender Mai: gibst Sonne und Blüten
und Spargel und Grün…
Nicht fern ist der Frühling, jetzt ist es soweit:
Kaskaden von Kirschblüten, Flieder und Licht…
Grit Ellen Sellin
Tanzend in den Sommer hinein
Und mein Tag hat unzählige Stunden
Endlich ist die Dunkelheit verschwunden.
Geschenke liegen auf den Wegen,
Eines für dich, für mich, für uns und
Du, ich tanzen in den Sommer hinein.
Mein Fächer verteilt die Wolkenschwaden
Regen kommt aus deinem Handgelenk
Und endlich ist die Dunkelheit verschwunden.
Ich bin Fee, Zauberin, du Erdgöttin,
wir erfinden die Rollen, wie sie passen und
tanzen in den Sommer hinein.
Wer kann dich und mich aufhalten,
so stark, kraftvoll, zu zweit leuchtend
und endlich ist die Dunkelheit verschwunden.
Ich nehme dich mit, uns alle,
vergeben, vergessen ist alle Schuld, nur Leichtigkeit
und wir tanzen in den Sommer hinein und
endlich ist die Dunkelheit verschwunden.
Kerstin Zabel-Strzyz
Es ist Herbst
Blätter folgen der Erdanziehung
Die Konfektionsgröße nimmt schichtweise zu
Der Wind drückt von der Seite
Schultern ziehen zu den Ohren
Es ist Herbst
Hände verstecken sich in den Taschen
Finger umschmeicheln die Kastanie
Die Konfektionsgröße nimmt schichtweise zu
Die Nase dreht sich zur Sonne
Augen schließen sich
Es ist Herbst
Vögel geben ihr Abschiedskonzert
Der Rücken sucht die Heizung
Die Konfektionsgröße nimmt schichtweise zu
Bettschwere und Ofensehnsucht
Verstopfte Nase und Kürbissuppe mit Ingwer
Es ist Herbst
Die Konfektionsgröße nimmt schichtweise zu
Katrin Girgensohn
Zwischen den Jahren dehnt sich die Zeit
Vom Weihnachtsbaum rieseln leise die Nadeln
Heiser umschwärmen die Krähen das Haus
In Heizungsluft dümpelt träge Lametta
Das Kratzen im Hals nimmt nicht ab und nicht zu
Zwischen den Jahren dehnt sich die Zeit
Biomüll vereint Printen und Gänsehaut
Der Wahnsinn flackert bunt in Nachbars Fenster
Heiser umschwärmen die Krähen das Haus
Gondel für Gondel schwindet das Riesenrad
Und statisch geladen fliegen die Haare
Zwischen den Jahren dehnt sich die Zeit
Im Dämmer krachen die ersten Raketen
Das Fernsehn warnt blutig vor Polenböllern
Heiser umschwärmen die Krähen das Haus
Vom Weihnachtsbaum rieseln leise die Nadeln
Das Kratzen im Hals nimmt nicht ab und nicht zu
Zwischen den Jahren dehnt sich die Zeit
Heiser umschwärmen die Krähen das Haus
Katrin Girgensohn
Ich will Pommes mit Sex!
Werd mit Mayo dich im Wiesengrund vernaschen.
Im Sommer bist du mir mein liebster Prollmops.
Die Pappeln wedeln uns Applaus.
Werd mir dein Knusperstäbchen einverleiben.
Ich will Pommes mit Sex.
Ameisen unter Picknickdecken
Warten auf den Abtransport der durchgeschwitzten Reste.
Im Sommer bist du mir mein liebster Prollmops.
Wir gurgeln Sommerhefeweizen
Und schnüffeln wilde Wiesendüfte auf der Haut.
Ich will Pommes mit Sex.
Salz hängt im Gewirr der Achselhaare.
Ich fresse dich, bin deine Sau am Trog.
Im Sommer bist du mir mein liebster Prollmops.
Und wenn am Abend dann ein lauer Wind weht
Durchbrechen wir Gehölz und in den See.
Ich will Pommes mit Sex.
Im Sommer bist du mir mein liebster Prollmops.
Kerstin Zabel-Strzyz
Und schon wieder warten auf Regen
sobald der Sommer richtig loslegt
und die Butter auf dem Tisch zerfließt
Die Augen fallen zu
vom Nichtstun
Die Erdbeeren leuchten rot
Die Haut weit machen für die Wärme
bis die Sonne sie ganz umfängt
Und schon wieder warten auf Regen
Und die Sonne brennt
Das Gras ganz welk
Die Augen fallen zu
Wenn der Klee blüht
Und das Gras trocken steht
Und die Butter auf dem Tisch zerfließt
Der Kater träge im Schatten
Die Wäsche trocknet sofort
Die Erdbeeren leuchten rot
Wenn alle Hautschichten durchwärmt
Alle Schweißporen geöffnet sind
Und schon wieder warten auf Regen
Zum Essen gibt´s Eis
Die Getränke leeren sich
Die Augen fallen zu
Und das schlechte Gewissen
verdorrt und ausgetrocknet
und die Butter auf dem Tisch zerfließt
Jeder Schritt wird zu viel
Das Haus verdunkelt
Die Erdbeeren leuchten rot
sich noch einmal auf der Wiese umdrehen
noch einen Moment den Ameisen zuschauen
Und schon wieder warten auf Regen
Und die Butter auf dem Tisch zerfließt
Das kühle Nass am Abend
aus dem Rasensprenger
Die Augen fallen zu
Die Erdbeeren leuchten rot
Ramona Jakob
Spürst du, das Licht wird weißer
Komm, lass uns Vögeln im Wald
zusehn
beim Picken der Beeren,
die purpurrot leuchten auf altem Moos
und lass uns dem Grillenzirp lauschen im Abendnebel
die Altweiberspinne
webt uns ein feines Segel
wir fliegen mit den Störchen
in südlichere Zeiten
Komm lass uns Vögeln im Wald
zusehn
wie sie sich die Augen aushacken
mit wildem Geschrei und die Federn fetzen
und die ganzen Beeren wegfressen
und wie sich die Grille verhaspelt in
ihrem schrägen Gesang voll falscher Versprechungen
die Spinne webt auch nur klebrige Fäden
die uns die Augen verkleistern
verdammt siehst du
wie gierig das Eichhörnchen nach Nüssen jagt
und sie verschachert und
am Ende weiß es selbst nicht mehr wo
weil die Schweine alles aufgewühlt haben
den ganzen schönen Waldboden ratz fatz durchgegraben
dass kein Blatt mehr auf dem anderen bleibt
Wird Zeit dass mal jemand Ordnung schafft
und den Wald fegt,
Komm lass uns Vögeln im Wald
auflauern und ihnen den Hals umdrehen
damit ihr Geschrei aufhört,
wir bauen ihnen einen Fresspalast
in dem sie nach Herzenslust picken können
bis sie sich überfressen haben in ihrem Rausch
und dann packen wir sie
und reißen ihnen die Federn aus
verkleben sie mit Spinnenfäden
zu einem Flügelkleid
wir schwingen uns auf,
drehn unsere Kreise und dann -
ziehn wir übers Meer,
den letzten Störchen hinterher
Komm, lass uns ein paar Beeren suchen
und ächzendes Holz, das noch brennt,
wenn mondene Winde die Tage kürzen
und weiße Laken sich auf Felder legen
dann lass uns Vögeln im Schnee
zusehn
aus ihrem Federkleid fallen kristallene Tropfen
wir sammeln sie ein und legen sie Störchen ins Nest
die zurückkehren zum Brüten
irgendwann.
Grethe Herzog
Wie alles anfängt mit zittrigem Bauch
vor Ungewissheit
spiegelndem Schein vom Dach nach später Spätsommersonne
Blätter, Winde, uns stürmisch winkender Herbst!
Du wie ich
halten wir Hof in grob profilierten Wanderschuhen.
Wie alles weitergeht mit stolpernden Herzen
vor Hoffnung
blankem Salz auf dem Dach nach ewig ewigem Schnee
Hagel, Stürme, uns freundlich gesonnener März!
Ein jeder
trägt seinen Mut unter zerschossenem Schirm.
[Jan Koneffke]
Wie alles aufhört mit stockendem Herz
vor Schmerz
gleißendem Licht unterm Dach nach düster dürstenden Schatten
Gischt, Salz, uns gewohnt geschenkter Lenze!
Der Eine wie die Andere
hütet seine Liebe in verschwiegenen Worten.
[nach Jan Koneffke: „Wie alles weitergeht…“ In: Halt!
Paradiesischer Sektor, Rom 1995]
Dorothee Rabe
Kampf der Geschlechter“, der liebe Gott schüttelte ratlos den Kopf, „dass sie das immer noch umtreibt! Ich hatte ja gehofft, sie würden mit der Zeit etwas vernünftiger werden, aber nein, es muss immer noch der Kampf der Geschlechter sein…„ Er zupfte sich den Bart und ging ein paar Schritte in seiner kleinen Dachstube auf und ab. „Das klingt so nach Boxring, nach Nudelholz und Ehekrieg – na ja, ich gebe zu, so etwas gibt es zweifellos immer noch häufig bei dieser Spezies, auf deren Erschaffung ich damals so stolz gewesen bin! Was hab ich mir nicht Mühe gegeben, zwei Wesen zu schaffen, die verschieden sind! Ich habe den Tag geschaffen und die Nacht, Sonne und Mond, die Erde und das Meer, und dann, gewissermaßen als einen End- und Höhepunkt meines schöpferischen Waltens: Mann und Frau! Beziehungsweise Frau und Mann.“
Der liebe Gott schenkte sich noch ein Tässchen grünen Tee ein und setzte sich wieder in seinen Schaukelstuhl. Ich dachte mir gegen Ende dieser unvergesslichen Woche damals: Bastelst du dir noch was Hübsches, damit die schöne Erde ein bisschen belebt werde, damit ich was zum Amüsieren habe, damit was los ist in den lieblichen Gefilden da unten, denn hier oben ist es ja nun mal verdammt langweilig.“ Er seufzte leise und griff wieder zu seinem langen schwarzen Fernrohr, mit dem er sich täglich auf der Erde umsah. Was er nun schon seit Jahrhunderten zu sehen bekam, ließ ihn immer wieder an seinem letzten Schöpfungsakt zweifeln: nichts als Mord und Totschlag da unten, so hatte er das doch nicht gemeint mit der Belebung der Erde! Vor ein paar hunderttausend Jahren hatte er nach einer schlaflosen Nacht beschlossen, diesen schöpferischen Irrtum wieder rückgängig zu machen, er hatte Sintfluten, Erdbeben, Eiszeiten über die Erde geschickt, es hatte alles nichts genützt, diese Menschen waren widerstandsfähiger als erwartet und in ihrem Überlebenswillen wohl nur den Ratten und Kakerlaken vergleichbar. Dann hatte er begabte junge Männer in seinem speziellen Auftrag auf die Erde geschickt, Frieden zu stiften, aber weder Jesus, noch Mohammed noch all die anderen hatten etwas ausrichten können.
„Was ist es bloß, was hab ich nur falsch gemacht?“ fragte er sich wieder und wieder. „Liegt es an den Männern mit ihren Muskeln, sind es die Frauen mit ihren intriganten Mundwerken, oder sind die Hormone an allem schuld? Liegt die Wurzel allen Übels vielleicht gerade in der Verschiedenheit von Mann und Frau, von Frau und Mann? Müssen sie deshalb so viel Krieg machen?“ Der liebe Gott geriet über Fragen wie diesen immer wieder ins Grübeln, und er kam einfach nicht auf den Fehler, den er gemacht hatte. Sähe das Leben auf der Erde denn anders aus, so fragte er sich, wenn er nur Frauen oder nur Männer geschaffen hätte? Er zweifelte daran. Vielleicht waren Mann und Frau ja von Grund auf defizitär und man musste diese beiden Ausprägungen der Spezies Mensch so hinnehmen wie sie eben in all ihrer Problematik waren. Sollten sie sich doch so lange bekriegen, bis sie selbst auf bessere Ideen kamen! Der liebe Gott dachte wehmütig an die Grundidee, die er bei der Erschaffung dieser beiden Erdenwesen gehabt hatte: Er hatte an Spannung, Spiel und die vielfältigen Kräfte der Anziehung und Abstoßung gedacht und er hatte darauf zu achten versucht, nicht nur Unterschiede, sondern durchaus auch Gemeinsamkeiten zu schaffen: So waren Hirn, Herz und Seele doch immerhin bei beiden Sorten vorhanden – hätte er denn ahnen können, dass der Geschlechterunterschied, der für die Erzeugung von Nachkommen nun mal praktisch war, sich als derartig verhängnisvoll erweisen würde? Immerhin sorgte er ja tatsächlich für die gewünschte Anziehung, und der liebe Gott konnte sich ein selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen, wenn er sein Fernrohr durch die Schlaf- und Hotelzimmer, Wiesen, Dachböden und Wäschekammern der Erde schweifen ließ, denn was er dort sah und hörte, das tröstete ihn immer ein bisschen. „Jawoll“, dachte er dann trotzig, „diesen Trieb hab ich ihnen mitgegeben, aber doch nicht, damit sie sich auf ewig bekämpfen, sondern damit sie Freude aneinander haben! Klänge es nicht viel schöner, wenn die Menschen, das heißt: die Frauen und die Männer, einmal ganz selbstverständlich vom Spiel der Geschlechter sprechen könnten…?“
Der liebe Gott ließ sein Fernrohr sinken und beschloss, ins Bett zu gehen; er hatte sich schon wieder viel zu lange mit diesem schwierigen Thema geplagt. Während er sich in seine Daunendecke kuschelte, dachte er an all die klugen und sinnlichen Göttinnen, mit denen er im Laufe der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende zu tun gehabt hatte: So unterschiedlich sie in ihren Charakteren waren, sie alle hatten viel Sinn für das Leichte, Luftige, auch Flüchtige der Liebe gehabt. Über der komplizierten Frage, wie man den Menschen ihre Verbissenheit im Umgang mit Liebesdingen abgewöhnen könnte, schlief er schließlich ein.
Grethe Herzog
Ach, wie versonnen sie schaut, aber fern und abgewandt der Welt. Weh mir! Ihre Welt, bin doch ich!
Wie sehr wünschte ich mich unter ihre zarten Fingerkuppen.
Bitte, nur einen feinen Strich über meine Haut.
Oh, trübte nicht schon lange mir den Blick: der Staub!
Je länger und dicker er wird, desto mehr wirft er mich zurück. Ich bin ergraut.
Weh mir! Ich könnte sie entführen, in meine Welt, der einzigen, sie hin- und fortreißen. Schenkte sie mir doch nur einen Blick, heraus aus ihrer Innerlichkeit.
Sie denkt, sie könnte mir entkommen, weil ich hier stehe,
fest gezurrt in einem Korsett auf einem Sockel, sie sehe, beim Gehen, hin und her in ihren Pantöffelchen, immerfort. Aber nein!
In Wirklichkeit ist sie meine Gefangene. Denn ich bin die Welt, ihre Wirklichkeit, und sie nur…ein flüchtig Wesen.
Ramona Jakob
Wälzt sich der Mond prall über die Dächer, umgeben von einem regenbogenfarbenen Ring aus Wolken. Wenn der Mond einen Hof hat, sagt man, ändert sich’s Wetter.
Hat sich aufgehangen im Geäst einer einsamen Buche auf dem Felsen hoch über dem Fluss ist herabgestürzt und in tausend Splitter zerfallen. Es klirrte nur leise doch Blätter nahmen den Klang auf und mit in die Nacht. Flogen mit silbrigen Tönen gen Himmel drauf kamen die Scherben des Mondes als Regen zurück und legten sich über den Fluss den Wald und die Felder.
Frühnebel stieg auf und alles war klar so klar. Nebelschwaden überm Fluss tanzten den Elfenreigen, und meine Seele schwang mit über den glitzernden Wassern flogen Schwäne auf trugen alles mit sich fort.
Dann lag das Mondsilber auf dem Weg ich war seine Braut und nahm den Stein und den nächsten und den und sammelte alle auf. Stieg auf den Felsen vor mir die Landschaft die Weite und auch der Himmel so nah ich legte das Silber auf sandigen Boden begann zu suchen was zusammengehört und legte die Steine zum Mosaik. Das Bild was ich fand glich dem des Mondes doch waren falsche Teile darunter nicht alles passte es blieben Risse und außerdem glühte ein Mondsilber heiß und wollte sich nicht eingliedern lassen.
Ich steckte es ein und verhalf dem noch klapprigen Mond in die Wolken damit sie ihn zusammenhalten. Jetzt zieht er wieder seine Runde am Abend und leuchtet sieht aus wie immer und doch er ist anders denn zwischen dem hell weißen Licht schimmern schwarze Streifen wie Narben wie Ränder eines geklebten Spiegels.
Und graue Flecken sind da und selbst wenn wer nachträglich unten am Fluss einen echten Mondsilberstein findet er wird ihn nicht gegen den richtigen tauschen können denn er weiß nichts vom Sturz in die Buche und selbst wenn ist der Mond schon weit weit fort.
Ich stehe am Fenster und schau mir den Mond an, den schwarzweiß gefleckten, mal ist er nackt mal trägt er sein regengebogenes Kleid.
Und wenn der Mond einen Hof hat sagt man ändert sich’s Wetter ich ahne es könnte wieder passieren dass da eine einsame Buche im Weg steht ich schlag meine Hand auf darin liegt ein Mondsilberstein glühend und heiß.
Kerstin Zabel-Strzyz
Ich soll heiraten, das sagen alle, manche nur mit Blicken, mein Freund sehr direkt. Wir sind jetzt elf Jahre zusammen. „Wie lange willst du noch warten?“, fragt er. Bisher wusste ich gar nicht, dass ich darauf warte.
Es gibt nichts, was dagegen spricht. Aber bei dem Gedanken läuft es mir kalt den Rücken runter, meine Libido macht sich davon und meine Haare ergrauen. Ich habe dennoch Ja gesagt – mit Bedingungen, klar. Ich werde mein Hochzeitskleid selber machen. Und da ich nur stricken kann - bisher allerdings nur Socken -, werde ich es stricken, in Weiß mit Schleier und Schleppe.
Sie halten mich für verrückt, lassen mir aber meinen Willen, weil ich endlich zugestimmt habe. Aber ich bin nicht verrückt. Ich habe mir Wolle bestellt, dünne, feine Wolle. Meine Schwiegermutter vermachte mir Strickmuster, in Heften, eine ganze Umzugskiste voll. Sie überreichte sie mir feierlich mit den Worten: „Da meine Liebe, nimm meinen wertvollsten Schatz. Ich habe alle Ratgeberhefte seit 1983 gesammelt. Dort wirst du das Richtige finden, ganz sicher. Ich helfe dir dabei, dann können wir auch gleich nach Rezepten für die Torten suchen.“
Wie viele Knäuel bestellt man da eigentlich? Ich entschied mich für hundertelf. Das klang vertrauenerweckend.
Ich stricke jeden Tag und nachts mache ich die Hälfte wieder auf. Es fällt keinem auf. Falls jemand nachfragt, so erzähle ich von Lochmustern und Maschenzahlen. Das schreckt irgendwann ab. Mein Freund darf das Kleid nicht vor der Hochzeit sehen. Ich werde auch Perlen mit hineinarbeiten, perlmuttschimmernd, in jeder einundzwanzigsten Reihe im Abstand von elf Maschen. Das Muster überlege ich mir jeden Tag neu und ändere es.
Ich bin Penelope, ich halte sie alle hin. Aber ich warte nicht auf einen Mann, der mich vor den Freiern rettet. Ich halte auch ihn hin.
Das Datum für die Hochzeit wird erst festgelegt, wenn das Kleid zur Hälfte fertig ist. Nach drei Monaten bin ich mit dem Vorderteil bis zur Taille gekommen. Es gefällt mir, es ist zarter als ich dachte. Meine Schwiegermutter ist beeindruckt, sie unterstützt mich jetzt sogar, wenn mein Freund ungeduldig wird.
Ich ertappe mich neuerdings dabei, wie ich nachts nur noch ein Viertel wieder aufmache. Es schmerzt fast in den Fingern. Dann streiche ich sanft über das Muster und lasse die Perlen an meinen Fingerkuppen entlang gleiten.
Ja, seit einer Woche ist das so, mit den Perlen fing es an. Heute habe ich nur noch eine Reihe aufgemacht und bin ins Bett gegangen. Mein Freund erwartete mich mit Kerzen und Rosenblüten.
Als alle Kerzen heruntergebrannt waren und die Luft sich von unserer Hitze wieder abgekühlt hatte, stand ich auf und strickte die Reihe wieder ran – und noch eine Masche mehr.
Kirsten Jenne
immer versucht er
die zahnpastatube
aufzurollen
obwohl das mit diesen
neumodischen
dingern gar nicht mehr
geht.
immer lässt sie
die haare im waschbecken
liegen
die grau geworden sind
und die sie
ohne brille gar nicht mehr
sieht.
ständig hängt er
seinen bademantel an den
losen haken
der höchstens noch
einen waschlappen oder
ein kleines handtuch
aushält.
ständig muss sie
unter der dusche
singen
und trifft dabei
keinen Ton
was sollen denn die Nachbarn
denken.
wenn ich schon sehe
wie er seine nasenhaare
verteilt
quer über den boden
im badezimmer
überall diese schwarzen
nadelspitzen.
wie sehr ich es hasse
wenn sie hinter mir
putzt
jedes mal die klobrille
abwischt
als wäre ich
giftig.