Die Ordnung hat Urlaub - Katrin Girgensohn - E-Book

Die Ordnung hat Urlaub E-Book

Katrin Girgensohn

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Beschreibung

Die Ordnung hat Urlaub genommen. Möglicherweise reist sie ins "Gasthaus zur Himmlischen Einkehr"? Oder sie hat sich in die interstellare Kommunikation mit einer Seitenspringerin verstrickt? Vielleicht versteckt sie sich aber auch zwischen Erdbeerleuchten und Novemberniesel? Oder es verlangt sie nach Pommes mit Sex ... Die Geschichten und Gedichte der sieben Autorinnen von S.C.H.R.E.I.B. Kraut aus Berlin laden dazu ein, es herauszufinden.

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Diese Geschichten und Gedichte entstanden während der letzten Jahre.

Wir – S.C.H.R.E.I.B. Kraut – das sind sieben Frauen, die sich monatlich treffen, um vor Ort und zwischendurch Texte zu schreiben, gemeinsam zu lesen und anderen vorzulesen.

Inhalt

Tanzend in den Sommer (Villanellen)

Frühling

Dorothee Rabe

Sommer

Grit Ellen Sellin

Herbst

Kerstin Zabel-Strzyz

Winter

Katrin Girgensohn

Pommes mit Sex

Sommeranfang

Katrin Girgensohn

Warten, Butter und Erdbeeren

Kerstin Zabel-Strzyz

Herbst

Ramona Jakob

Parallel-Gedicht

Grethe Herzog

Flüchtige Liebe

An der Liebesfront

Dorothee Rabe

Ansichten eines Globus

Grethe Herzog

Mondsilber

Ramona Jakob

Hochzeit

Kerstin Zabel-Strzyz

paar im bad

Kirsten Jenne

Weiß – Brautkleid bleibt Brautkleid

Grethe Herzog

Kaltes Nachwehen

Grit Ellen Sellin

Unter Klimaforschern

Dorothee Rabe

Septembersorgen

Katrin Girgensohn

Wie hingewürfelt

Alltag

Grethe Herzog

Willst du das

Kerstin Zabel-Strzyz

Barmherzigkeit

Grit Ellen Sellin

Labyrinth

Ramona Jakob

Rosi

Kerstin Zabel-Strzyz

Stein und Brett

Kirsten Jenne

Gasthaus Zur Himmlischen

Dorothee Rabe

Die Rotschopf - Ein Sonett

Grethe Herzog

Die Ordnung hat Urlaub

Kerstin Zabel-Strzyz

Die Party

Ramona Jakob

März

Grethe Herzog

Mopsalarm

Dorothee Rabe

Meine Zeit

Ramona Jakob

Für immer und ewig

Kerstin Zabel-Strzyz

Seitenspringerin gesucht

Stellenbeschreibung: „Seitenspringerin gesucht“

Kerstin Zabel-Strzyz

Die Seitenspringerin

Kerstin Zabel-Strzyz

Stellenausschreibung „Haushalterin gesucht“

Katrin Girgensohn

Die Haushalterin

Dorothee Rabe

Der Haushalter

Grethe Herzog

Stellenanzeige: „Chefkoch/Chefköchin gesucht“

Grethe Herzog

Die Chefköchin

Katrin Girgensohn

Aus dem Weg

Kirsten Jenne

Micky Maus

Katrin Girgensohn

Fahrstuhltraumata

Grit Ellen Sellin

Die Ferse schlupft

Interstellare Meldungen

Grethe Herzog

Meine Ferse schlupft

Ramona Jakob

Schuhe schnüren

Grethe Herzog

Öse & Senkel (Verschränkte Anaphern)

Katrin Girgensohn und Grethe Herzog

Schuhe schnüren

Grethe Herzog

Meine neuen Schuhe

Kerstin Zabel-Strzyz

Laufen

Ramona Jakob

Nur eine Schachtel?

Grit Ellen Sellin

Liegt was in der Luft?

Grethe Herzog

Lupinen

Ramona Jakob

Lübz – eine Hommage

Grethe Herzog

Innehalten

Deutsche Rouladen

Katrin Girgensohn

Das Leben - eine Wartezeit?

Grit Ellen Sellin

Tätererbe

Grethe Herzog

Klaras Bilder

Ramona Jakob

Der Sturm

Kirsten Jenne

Über S.C.H.R.E.I.B. Kraut

Tanzend in den Sommer (Villanellen)

Frühling

Dorothee Rabe

Fern ist der Frühling, noch lang ist es hin…

Sehnsucht im Winter, wir malen uns aus:

Visionen von Kirschblüten, Wärme und Licht!

Betongrau der Himmel, monatelang,

eine Kerze blakt schwach auf dem Fensterbrett.

Fern ist der Frühling, noch lang ist es hin…

Noch klirrt im Februar Frost durch die Nacht

Wann kommt der Frühling – kommt er denn je…?

Visionen von Flieder, Kirschblüten und Licht!

Aber dann: eine Amsel am Morgen, noch leise und fern,

eine Botin des Frühsommers, rufend im Traum,

Fern ist der Frühling, noch lang ist es hin…

Wir hoffen, wir sehnen, wir geben nicht auf,

Wir trotzen dem Märzwind, sind müde und krank -

Visionen von Kirschblüten, Wärme und Licht!

Geduldsprobe, noch immer, der ganze April -

Und endlich, oh du, oh erlösender Mai: gibst Sonne und Blüten

und Spargel und Grün…

Nicht fern ist der Frühling, jetzt ist es soweit:

Kaskaden von Kirschblüten, Flieder und Licht…

Sommer

Grit Ellen Sellin

Tanzend in den Sommer hinein

Und mein Tag hat unzählige Stunden

Endlich ist die Dunkelheit verschwunden.

Geschenke liegen auf den Wegen,

Eines für dich, für mich, für uns und

Du, ich tanzen in den Sommer hinein.

Mein Fächer verteilt die Wolkenschwaden

Regen kommt aus deinem Handgelenk

Und endlich ist die Dunkelheit verschwunden.

Ich bin Fee, Zauberin, du Erdgöttin,

wir erfinden die Rollen, wie sie passen und

tanzen in den Sommer hinein.

Wer kann dich und mich aufhalten,

so stark, kraftvoll, zu zweit leuchtend

und endlich ist die Dunkelheit verschwunden.

Ich nehme dich mit, uns alle,

vergeben, vergessen ist alle Schuld, nur Leichtigkeit

und wir tanzen in den Sommer hinein und

endlich ist die Dunkelheit verschwunden.

Herbst

Kerstin Zabel-Strzyz

Es ist Herbst

Blätter folgen der Erdanziehung

Die Konfektionsgröße nimmt schichtweise zu

Der Wind drückt von der Seite

Schultern ziehen zu den Ohren

Es ist Herbst

Hände verstecken sich in den Taschen

Finger umschmeicheln die Kastanie

Die Konfektionsgröße nimmt schichtweise zu

Die Nase dreht sich zur Sonne

Augen schließen sich

Es ist Herbst

Vögel geben ihr Abschiedskonzert

Der Rücken sucht die Heizung

Die Konfektionsgröße nimmt schichtweise zu

Bettschwere und Ofensehnsucht

Verstopfte Nase und Kürbissuppe mit Ingwer

Es ist Herbst

Die Konfektionsgröße nimmt schichtweise zu

Winter

Katrin Girgensohn

Zwischen den Jahren dehnt sich die Zeit

Vom Weihnachtsbaum rieseln leise die Nadeln

Heiser umschwärmen die Krähen das Haus

In Heizungsluft dümpelt träge Lametta

Das Kratzen im Hals nimmt nicht ab und nicht zu

Zwischen den Jahren dehnt sich die Zeit

Biomüll vereint Printen und Gänsehaut

Der Wahnsinn flackert bunt in Nachbars Fenster

Heiser umschwärmen die Krähen das Haus

Gondel für Gondel schwindet das Riesenrad

Und statisch geladen fliegen die Haare

Zwischen den Jahren dehnt sich die Zeit

Im Dämmer krachen die ersten Raketen

Das Fernsehn warnt blutig vor Polenböllern

Heiser umschwärmen die Krähen das Haus

Vom Weihnachtsbaum rieseln leise die Nadeln

Das Kratzen im Hals nimmt nicht ab und nicht zu

Zwischen den Jahren dehnt sich die Zeit

Heiser umschwärmen die Krähen das Haus

Pommes mit Sex

Sommeranfang

Katrin Girgensohn

Ich will Pommes mit Sex!

Werd mit Mayo dich im Wiesengrund vernaschen.

Im Sommer bist du mir mein liebster Prollmops.

Die Pappeln wedeln uns Applaus.

Werd mir dein Knusperstäbchen einverleiben.

Ich will Pommes mit Sex.

Ameisen unter Picknickdecken

Warten auf den Abtransport der durchgeschwitzten Reste.

Im Sommer bist du mir mein liebster Prollmops.

Wir gurgeln Sommerhefeweizen

Und schnüffeln wilde Wiesendüfte auf der Haut.

Ich will Pommes mit Sex.

Salz hängt im Gewirr der Achselhaare.

Ich fresse dich, bin deine Sau am Trog.

Im Sommer bist du mir mein liebster Prollmops.

Und wenn am Abend dann ein lauer Wind weht

Durchbrechen wir Gehölz und in den See.

Ich will Pommes mit Sex.

Im Sommer bist du mir mein liebster Prollmops.

Warten, Butter und Erdbeeren

Kerstin Zabel-Strzyz

Und schon wieder warten auf Regen

sobald der Sommer richtig loslegt

und die Butter auf dem Tisch zerfließt

Die Augen fallen zu

vom Nichtstun

Die Erdbeeren leuchten rot

Die Haut weit machen für die Wärme

bis die Sonne sie ganz umfängt

Und schon wieder warten auf Regen

Und die Sonne brennt

Das Gras ganz welk

Die Augen fallen zu

Wenn der Klee blüht

Und das Gras trocken steht

Und die Butter auf dem Tisch zerfließt

Der Kater träge im Schatten

Die Wäsche trocknet sofort

Die Erdbeeren leuchten rot

Wenn alle Hautschichten durchwärmt

Alle Schweißporen geöffnet sind

Und schon wieder warten auf Regen

Zum Essen gibt´s Eis

Die Getränke leeren sich

Die Augen fallen zu

Und das schlechte Gewissen

verdorrt und ausgetrocknet

und die Butter auf dem Tisch zerfließt

Jeder Schritt wird zu viel

Das Haus verdunkelt

Die Erdbeeren leuchten rot

sich noch einmal auf der Wiese umdrehen

noch einen Moment den Ameisen zuschauen

Und schon wieder warten auf Regen

Und die Butter auf dem Tisch zerfließt

Das kühle Nass am Abend

aus dem Rasensprenger

Die Augen fallen zu

Die Erdbeeren leuchten rot

Herbst

Ramona Jakob

Spürst du, das Licht wird weißer

Komm, lass uns Vögeln im Wald

zusehn

beim Picken der Beeren,

die purpurrot leuchten auf altem Moos

und lass uns dem Grillenzirp lauschen im Abendnebel

die Altweiberspinne

webt uns ein feines Segel

wir fliegen mit den Störchen

in südlichere Zeiten

Komm lass uns Vögeln im Wald

zusehn

wie sie sich die Augen aushacken

mit wildem Geschrei und die Federn fetzen

und die ganzen Beeren wegfressen

und wie sich die Grille verhaspelt in

ihrem schrägen Gesang voll falscher Versprechungen

die Spinne webt auch nur klebrige Fäden

die uns die Augen verkleistern

verdammt siehst du

wie gierig das Eichhörnchen nach Nüssen jagt

und sie verschachert und

am Ende weiß es selbst nicht mehr wo

weil die Schweine alles aufgewühlt haben

den ganzen schönen Waldboden ratz fatz durchgegraben

dass kein Blatt mehr auf dem anderen bleibt

Wird Zeit dass mal jemand Ordnung schafft

und den Wald fegt,

Komm lass uns Vögeln im Wald

auflauern und ihnen den Hals umdrehen

damit ihr Geschrei aufhört,

wir bauen ihnen einen Fresspalast

in dem sie nach Herzenslust picken können

bis sie sich überfressen haben in ihrem Rausch

und dann packen wir sie

und reißen ihnen die Federn aus

verkleben sie mit Spinnenfäden

zu einem Flügelkleid

wir schwingen uns auf,

drehn unsere Kreise und dann -

ziehn wir übers Meer,

den letzten Störchen hinterher

Komm, lass uns ein paar Beeren suchen

und ächzendes Holz, das noch brennt,

wenn mondene Winde die Tage kürzen

und weiße Laken sich auf Felder legen

dann lass uns Vögeln im Schnee

zusehn

aus ihrem Federkleid fallen kristallene Tropfen

wir sammeln sie ein und legen sie Störchen ins Nest

die zurückkehren zum Brüten

irgendwann.

Parallel-Gedicht

Grethe Herzog

Wie alles anfängt mit zittrigem Bauch

vor Ungewissheit

spiegelndem Schein vom Dach nach später Spätsommersonne

Blätter, Winde, uns stürmisch winkender Herbst!

Du wie ich

halten wir Hof in grob profilierten Wanderschuhen.

Wie alles weitergeht mit stolpernden Herzen

vor Hoffnung

blankem Salz auf dem Dach nach ewig ewigem Schnee

Hagel, Stürme, uns freundlich gesonnener März!

Ein jeder

trägt seinen Mut unter zerschossenem Schirm.

[Jan Koneffke]

Wie alles aufhört mit stockendem Herz

vor Schmerz

gleißendem Licht unterm Dach nach düster dürstenden Schatten

Gischt, Salz, uns gewohnt geschenkter Lenze!

Der Eine wie die Andere

hütet seine Liebe in verschwiegenen Worten.

[nach Jan Koneffke: „Wie alles weitergeht…“ In: Halt!

Paradiesischer Sektor, Rom 1995]

Flüchtige Liebe

An der Liebesfront

Dorothee Rabe

Kampf der Geschlechter“, der liebe Gott schüttelte ratlos den Kopf, „dass sie das immer noch umtreibt! Ich hatte ja gehofft, sie würden mit der Zeit etwas vernünftiger werden, aber nein, es muss immer noch der Kampf der Geschlechter sein…„ Er zupfte sich den Bart und ging ein paar Schritte in seiner kleinen Dachstube auf und ab. „Das klingt so nach Boxring, nach Nudelholz und Ehekrieg – na ja, ich gebe zu, so etwas gibt es zweifellos immer noch häufig bei dieser Spezies, auf deren Erschaffung ich damals so stolz gewesen bin! Was hab ich mir nicht Mühe gegeben, zwei Wesen zu schaffen, die verschieden sind! Ich habe den Tag geschaffen und die Nacht, Sonne und Mond, die Erde und das Meer, und dann, gewissermaßen als einen End- und Höhepunkt meines schöpferischen Waltens: Mann und Frau! Beziehungsweise Frau und Mann.“

Der liebe Gott schenkte sich noch ein Tässchen grünen Tee ein und setzte sich wieder in seinen Schaukelstuhl. Ich dachte mir gegen Ende dieser unvergesslichen Woche damals: Bastelst du dir noch was Hübsches, damit die schöne Erde ein bisschen belebt werde, damit ich was zum Amüsieren habe, damit was los ist in den lieblichen Gefilden da unten, denn hier oben ist es ja nun mal verdammt langweilig.“ Er seufzte leise und griff wieder zu seinem langen schwarzen Fernrohr, mit dem er sich täglich auf der Erde umsah. Was er nun schon seit Jahrhunderten zu sehen bekam, ließ ihn immer wieder an seinem letzten Schöpfungsakt zweifeln: nichts als Mord und Totschlag da unten, so hatte er das doch nicht gemeint mit der Belebung der Erde! Vor ein paar hunderttausend Jahren hatte er nach einer schlaflosen Nacht beschlossen, diesen schöpferischen Irrtum wieder rückgängig zu machen, er hatte Sintfluten, Erdbeben, Eiszeiten über die Erde geschickt, es hatte alles nichts genützt, diese Menschen waren widerstandsfähiger als erwartet und in ihrem Überlebenswillen wohl nur den Ratten und Kakerlaken vergleichbar. Dann hatte er begabte junge Männer in seinem speziellen Auftrag auf die Erde geschickt, Frieden zu stiften, aber weder Jesus, noch Mohammed noch all die anderen hatten etwas ausrichten können.

„Was ist es bloß, was hab ich nur falsch gemacht?“ fragte er sich wieder und wieder. „Liegt es an den Männern mit ihren Muskeln, sind es die Frauen mit ihren intriganten Mundwerken, oder sind die Hormone an allem schuld? Liegt die Wurzel allen Übels vielleicht gerade in der Verschiedenheit von Mann und Frau, von Frau und Mann? Müssen sie deshalb so viel Krieg machen?“ Der liebe Gott geriet über Fragen wie diesen immer wieder ins Grübeln, und er kam einfach nicht auf den Fehler, den er gemacht hatte. Sähe das Leben auf der Erde denn anders aus, so fragte er sich, wenn er nur Frauen oder nur Männer geschaffen hätte? Er zweifelte daran. Vielleicht waren Mann und Frau ja von Grund auf defizitär und man musste diese beiden Ausprägungen der Spezies Mensch so hinnehmen wie sie eben in all ihrer Problematik waren. Sollten sie sich doch so lange bekriegen, bis sie selbst auf bessere Ideen kamen! Der liebe Gott dachte wehmütig an die Grundidee, die er bei der Erschaffung dieser beiden Erdenwesen gehabt hatte: Er hatte an Spannung, Spiel und die vielfältigen Kräfte der Anziehung und Abstoßung gedacht und er hatte darauf zu achten versucht, nicht nur Unterschiede, sondern durchaus auch Gemeinsamkeiten zu schaffen: So waren Hirn, Herz und Seele doch immerhin bei beiden Sorten vorhanden – hätte er denn ahnen können, dass der Geschlechterunterschied, der für die Erzeugung von Nachkommen nun mal praktisch war, sich als derartig verhängnisvoll erweisen würde? Immerhin sorgte er ja tatsächlich für die gewünschte Anziehung, und der liebe Gott konnte sich ein selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen, wenn er sein Fernrohr durch die Schlaf- und Hotelzimmer, Wiesen, Dachböden und Wäschekammern der Erde schweifen ließ, denn was er dort sah und hörte, das tröstete ihn immer ein bisschen. „Jawoll“, dachte er dann trotzig, „diesen Trieb hab ich ihnen mitgegeben, aber doch nicht, damit sie sich auf ewig bekämpfen, sondern damit sie Freude aneinander haben! Klänge es nicht viel schöner, wenn die Menschen, das heißt: die Frauen und die Männer, einmal ganz selbstverständlich vom Spiel der Geschlechter sprechen könnten…?“

Der liebe Gott ließ sein Fernrohr sinken und beschloss, ins Bett zu gehen; er hatte sich schon wieder viel zu lange mit diesem schwierigen Thema geplagt. Während er sich in seine Daunendecke kuschelte, dachte er an all die klugen und sinnlichen Göttinnen, mit denen er im Laufe der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende zu tun gehabt hatte: So unterschiedlich sie in ihren Charakteren waren, sie alle hatten viel Sinn für das Leichte, Luftige, auch Flüchtige der Liebe gehabt. Über der komplizierten Frage, wie man den Menschen ihre Verbissenheit im Umgang mit Liebesdingen abgewöhnen könnte, schlief er schließlich ein.

Ansichten eines Globus am Internationalen Frauentag

Grethe Herzog

Ach, wie versonnen sie schaut, aber fern und abgewandt der Welt. Weh mir! Ihre Welt, bin doch ich!

Wie sehr wünschte ich mich unter ihre zarten Fingerkuppen.

Bitte, nur einen feinen Strich über meine Haut.

Oh, trübte nicht schon lange mir den Blick: der Staub!

Je länger und dicker er wird, desto mehr wirft er mich zurück. Ich bin ergraut.

Weh mir! Ich könnte sie entführen, in meine Welt, der einzigen, sie hin- und fortreißen. Schenkte sie mir doch nur einen Blick, heraus aus ihrer Innerlichkeit.

Sie denkt, sie könnte mir entkommen, weil ich hier stehe,

fest gezurrt in einem Korsett auf einem Sockel, sie sehe, beim Gehen, hin und her in ihren Pantöffelchen, immerfort. Aber nein!

In Wirklichkeit ist sie meine Gefangene. Denn ich bin die Welt, ihre Wirklichkeit, und sie nur…ein flüchtig Wesen.

Mondsilber

Ramona Jakob

Wälzt sich der Mond prall über die Dächer, umgeben von einem regenbogenfarbenen Ring aus Wolken. Wenn der Mond einen Hof hat, sagt man, ändert sich’s Wetter.

Hat sich aufgehangen im Geäst einer einsamen Buche auf dem Felsen hoch über dem Fluss ist herabgestürzt und in tausend Splitter zerfallen. Es klirrte nur leise doch Blätter nahmen den Klang auf und mit in die Nacht. Flogen mit silbrigen Tönen gen Himmel drauf kamen die Scherben des Mondes als Regen zurück und legten sich über den Fluss den Wald und die Felder.

Frühnebel stieg auf und alles war klar so klar. Nebelschwaden überm Fluss tanzten den Elfenreigen, und meine Seele schwang mit über den glitzernden Wassern flogen Schwäne auf trugen alles mit sich fort.

Dann lag das Mondsilber auf dem Weg ich war seine Braut und nahm den Stein und den nächsten und den und sammelte alle auf. Stieg auf den Felsen vor mir die Landschaft die Weite und auch der Himmel so nah ich legte das Silber auf sandigen Boden begann zu suchen was zusammengehört und legte die Steine zum Mosaik. Das Bild was ich fand glich dem des Mondes doch waren falsche Teile darunter nicht alles passte es blieben Risse und außerdem glühte ein Mondsilber heiß und wollte sich nicht eingliedern lassen.

Ich steckte es ein und verhalf dem noch klapprigen Mond in die Wolken damit sie ihn zusammenhalten. Jetzt zieht er wieder seine Runde am Abend und leuchtet sieht aus wie immer und doch er ist anders denn zwischen dem hell weißen Licht schimmern schwarze Streifen wie Narben wie Ränder eines geklebten Spiegels.

Und graue Flecken sind da und selbst wenn wer nachträglich unten am Fluss einen echten Mondsilberstein findet er wird ihn nicht gegen den richtigen tauschen können denn er weiß nichts vom Sturz in die Buche und selbst wenn ist der Mond schon weit weit fort.

Ich stehe am Fenster und schau mir den Mond an, den schwarzweiß gefleckten, mal ist er nackt mal trägt er sein regengebogenes Kleid.

Und wenn der Mond einen Hof hat sagt man ändert sich’s Wetter ich ahne es könnte wieder passieren dass da eine einsame Buche im Weg steht ich schlag meine Hand auf darin liegt ein Mondsilberstein glühend und heiß.

Hochzeit

Kerstin Zabel-Strzyz

Ich soll heiraten, das sagen alle, manche nur mit Blicken, mein Freund sehr direkt. Wir sind jetzt elf Jahre zusammen. „Wie lange willst du noch warten?“, fragt er. Bisher wusste ich gar nicht, dass ich darauf warte.

Es gibt nichts, was dagegen spricht. Aber bei dem Gedanken läuft es mir kalt den Rücken runter, meine Libido macht sich davon und meine Haare ergrauen. Ich habe dennoch Ja gesagt – mit Bedingungen, klar. Ich werde mein Hochzeitskleid selber machen. Und da ich nur stricken kann - bisher allerdings nur Socken -, werde ich es stricken, in Weiß mit Schleier und Schleppe.

Sie halten mich für verrückt, lassen mir aber meinen Willen, weil ich endlich zugestimmt habe. Aber ich bin nicht verrückt. Ich habe mir Wolle bestellt, dünne, feine Wolle. Meine Schwiegermutter vermachte mir Strickmuster, in Heften, eine ganze Umzugskiste voll. Sie überreichte sie mir feierlich mit den Worten: „Da meine Liebe, nimm meinen wertvollsten Schatz. Ich habe alle Ratgeberhefte seit 1983 gesammelt. Dort wirst du das Richtige finden, ganz sicher. Ich helfe dir dabei, dann können wir auch gleich nach Rezepten für die Torten suchen.“

Wie viele Knäuel bestellt man da eigentlich? Ich entschied mich für hundertelf. Das klang vertrauenerweckend.

Ich stricke jeden Tag und nachts mache ich die Hälfte wieder auf. Es fällt keinem auf. Falls jemand nachfragt, so erzähle ich von Lochmustern und Maschenzahlen. Das schreckt irgendwann ab. Mein Freund darf das Kleid nicht vor der Hochzeit sehen. Ich werde auch Perlen mit hineinarbeiten, perlmuttschimmernd, in jeder einundzwanzigsten Reihe im Abstand von elf Maschen. Das Muster überlege ich mir jeden Tag neu und ändere es.

Ich bin Penelope, ich halte sie alle hin. Aber ich warte nicht auf einen Mann, der mich vor den Freiern rettet. Ich halte auch ihn hin.

Das Datum für die Hochzeit wird erst festgelegt, wenn das Kleid zur Hälfte fertig ist. Nach drei Monaten bin ich mit dem Vorderteil bis zur Taille gekommen. Es gefällt mir, es ist zarter als ich dachte. Meine Schwiegermutter ist beeindruckt, sie unterstützt mich jetzt sogar, wenn mein Freund ungeduldig wird.

Ich ertappe mich neuerdings dabei, wie ich nachts nur noch ein Viertel wieder aufmache. Es schmerzt fast in den Fingern. Dann streiche ich sanft über das Muster und lasse die Perlen an meinen Fingerkuppen entlang gleiten.

Ja, seit einer Woche ist das so, mit den Perlen fing es an. Heute habe ich nur noch eine Reihe aufgemacht und bin ins Bett gegangen. Mein Freund erwartete mich mit Kerzen und Rosenblüten.

Als alle Kerzen heruntergebrannt waren und die Luft sich von unserer Hitze wieder abgekühlt hatte, stand ich auf und strickte die Reihe wieder ran – und noch eine Masche mehr.

paar im bad

Kirsten Jenne

immer versucht er

die zahnpastatube

aufzurollen

obwohl das mit diesen

neumodischen

dingern gar nicht mehr

geht.

immer lässt sie

die haare im waschbecken

liegen

die grau geworden sind

und die sie

ohne brille gar nicht mehr

sieht.

ständig hängt er

seinen bademantel an den

losen haken

der höchstens noch

einen waschlappen oder

ein kleines handtuch

aushält.

ständig muss sie

unter der dusche

singen

und trifft dabei

keinen Ton

was sollen denn die Nachbarn

denken.

wenn ich schon sehe

wie er seine nasenhaare

verteilt

quer über den boden

im badezimmer

überall diese schwarzen

nadelspitzen.

wie sehr ich es hasse

wenn sie hinter mir

putzt

jedes mal die klobrille

abwischt

als wäre ich

giftig.