Die Outliner Auftakt zur dystopischen New-Adult Trilogie Romantik Spannung - Ino Rece - E-Book

Die Outliner Auftakt zur dystopischen New-Adult Trilogie Romantik Spannung E-Book

Ino Rece

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Beschreibung

Der Auftakt zur dystopischen New-Adult-Trilogie! Enas ist durch. Mit dem Thema Sex und allem anderen, was in seinem Leben bisher eine Rolle gespielt hatte. Okay, außer den Drogen, den Clubs am heimlichen Ende der Stadt und dem Training. Und Ainu. Nachdem er mitansehen musste, wie seine Kumpels bei einer ihrer gemeinsamen Abschleppaktionen ein Mädchen vergewaltigen, wird er zum Outliner und schließt sich einer Gruppe von Ausreißern an, die ihre eigene Outline, Schwachstelle und somit Hauptantrieb für all den Scheiß, den sie verzapfen, unter Kontrolle haben. Naja, meistens. Bis Makro sich an Ainu ranmacht und Enas erkennt, dass er es mit einem Psychopathen zu tun hat. Bis er erkennt, dass das mit '‘beste Freunde und den Rest habe ich abgehakt’ doch nicht so hinhaut. Bis er erkennt, dass er bis dahin in einer Welt gelebt hat, die mit der echten nichts zu tun hat. Mittellos, auf der Flucht vor der Garde und gefangen im Kampf ihrer Outlines zwischen Gier, Perfektion und Macht, begeben sich die Outliner auf eine Reise in das, wovor der Rest der Menschheit sich fürchtet. Die echteste Liebesgeschichte des Jahres.

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Seitenzahl: 490

Veröffentlichungsjahr: 2025

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“Die Jugend hatte zu rebellieren,

die Verbote schrieben die Form der Rebellion vor.”

(I. Cole)

Zur Autorin:

Eigentlich hatte ich nie vor, es zu tun.

Und eigentlich habe ich diese Geschichte geschrieben, um zu verarbeiten, was mir ansonsten vermutlich das Herz gebrochen hätte.

Als Kind habe ich ein paar Mal angefangen, diese Geschichte zu schreiben, in Kleinkind-Version natürlich. Vermutlich habe ich geübt. Für das hier, mit all dem nicht-mehr-ganz-so-Kleinkind-Kram (wartet’s ab, es wird mit jedem Band wilder). Das hier ist das, was das Leben für mich mit hineingemischt hat, damit ich bloß nicht auf die Idee komme, diese Geschichte nicht zu schreiben.

Wie gesagt, eigentlich hatte ich nie vor, es zu tun.

Meine FreundInnen haben es gelesen, den ersten, den zweiten, dann den dritten Band, die sich alle drei wie von selbst geschrieben haben und gesagt, ich muss.

Hier ist sie.

Für denjenigen, den sie liebt.

Sie hat sich nicht getraut.

Nun ist es zu spät,

Er verließ ihre Welt, bevor sie ihre Kopf-Outline durchschaut hatte.

Diese Geschichte ist für dich.

Über dieses Buch:

Der Auftakt zur dystopischen New-Adult-Trilogie

Enas ist durch. Mit dem Thema Sex und allem anderen, was in seinem Leben bisher eine Rolle gespielt hatte. Okay, außer den Drogen, den Clubs am heimlichen Ende der Stadt und dem Training.

Und Ainu.

Nachdem er mitansehen muss, wie seine Kumpels bei einer ihrer gemeinsamen Abschleppaktionen ein Mädchen vergewaltigen, wird er zum Outliner und schließt sich einer Gruppe von Ausreißern an, die ihre eigene Outline - Schwachstellle und somit Hauptantrieb für all den Scheiß, den sie verzapfen - unter Kontrolle haben.

Naja, meistens.

Bis Makro sich an Ainu ranmacht und Enas erkennt, dass er es mit einem Psychopathen zu tun hat. Bis er erkennt, dass das mit ‚‘beste Freunde und den Rest habe ich abgehakt’ doch nicht so hinhaut. Bis er erkennt, dass er bis dahin in einer Welt gelebt hat, die mit der echten nichts zu tun hat.

Mittellos, auf der Flucht vor der Garde und gefangen im Kampf ihrer Outlines zwischen Gier, Perfektion und Macht, begeben sich die Outliner auf eine Reise in eine Welt, vor der der Rest der Menschheit sich fürchtet.

Die echteste Liebesgeschichte des Jahres.

Die Outliner

Volume 1

von Ino Rece

Impressum

Ungekürzte Ausgabe 2025

© 2025 Y.K.

Originaltitel Die Outliner

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter:

Ino Rece

c/o Autorenglück #94481

Albert-Einstein-Str. 47

02977 Hoyerswerda

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Coverdesign: Ino Rece

Satz & Layout: Ino Rece

Herausgegeben von: Y.K.

Prolog

Sie weint.

Und er hört es.

In seinem Inneren verschiebt sich etwas, von dem er nicht gewusst hatte, dass er es in sich trägt.

Er sieht den Nebel, der um sie schwebt, die leeren Gesichter, ihr Lachen wie der Nachhall eines in sich zusammengefallenen Lebens.

Sie fleht um Hilfe.

In seinem Inneren klickt etwas ein, von dem er nicht gewusst hatte, dass er es in sich trägt.

Und die Wut kommt.

Doch dieses Mal fühlt sie sich anders an.

1.

Rückblickend konnte er nicht sagen, ob es davor einfacher gewesen war. Ob er sich zurückwünschte oder es ihm seinen menschlichen Arsch gerettet hatte.

Das erste Mal begegnete er ihr im Container Store auf der anderen Seite der Stadt, am Ende einer dieser Tage, die sich so zäh in die Länge zogen, als hätte es die Zeit darauf abgesehen, ihn zu ärgern. Sie konnte es sich leisten, denn wie würde er sich ihr jemals widersetzen können?

Sie war also wieder einmal dabei, ihm seine eigene Scheiße möglichst unbarmherzig um die Ohren zu hauen, als er aus den Augenwinkeln das Hellgrün sah. Es war spät und er hätte längst zu Hause sein sollen, wenn er es nicht darauf anlegen wollte. Zum Teufel also mit dem Hellgrün. Das Ding war, es war nicht einfach nur hellgrün. Sondern klar und hellgrün. Kaum eine Spur des grauen Nebels um ihren Kopf, ansonsten nichts, weder in der Mitte und auch nicht unten. ‘

What the...?, hatte er gedacht, ‘das ist nicht möglich! Wie...?’

Und sie wandte den Kopf, ihr Blick schnellte zu seinem Penis unter karierten Boxershorts und Jeans, es war ihr Hoodie, hellgrün, ihre Augen weiteten sich, als würde auch sie denken, das könne doch nicht sein, so warm unter den auf das blecherne Dach trommelnden Regentropfen bohrten sie sich in ihn hinein, nicht durch ihn hindurch, nicht an ihn vorbei, nicht sich selbst im Spiegelbild seiner Linse betrachtend, nein, in sein Inneres hinein, das, von dem er nicht wusste, was es war.

Sie sah ihn.

Und er sah sie.

Sie sahen einander.

Wie einander lecken, einander die Fresse polieren oder einander die Haare schneiden.

Ihre würde er nicht anrühren.

Stattdessen hatte er sich neben sie an den Getränkeautomaten gestellt, die Hände hinter dem Rücken gesichert, um keinen Fehler zu begehen. Ja, er hatte seine Regeln, seit drei Monaten, fast auf den Tag genau. Und er hielt sich daran, in allen Bereichen, sowohl den Taten als auch den Gedanken. Taten waren seit dieser einen verfluchten Nacht keine Schwierigkeit, am liebsten hätte er ihnen allen das Genick gebrochen und sich und die Welt für immer und ewig darum erleichtert. Bei den Gedanken allerdings, da wurde es kompliziert.

Er hatte da seine Methoden entwickelt.

Sie funktionierten manchmal.

Zum Glück würden ihn die Abschlussprüfungen ablenken. Wenn er an die Szenen mit seinem Vater im vergangenen Jahr dachte, lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Wie gesagt, er würde es nicht darauf anlegen.

“Kannst du dich nicht entscheiden?”, hatte er gefragt, sobald er in gebührendem Sicherheitsabstand in ihre Zone eingetreten war. Mit rasendem Herzen und zwischen den Ohren rauschendem Blut ließ es sich schwer denken. Und nein, es lag nicht an dem Regentropfen auf ihrem Nacken und auch nicht daran, dass sie aussah, wie sie aussah. Hübsche Mädchen hingen ihn zum Hals heraus, aus der Hose und den Augenhöhlen, er hatte in seinem Leben genügend davon intus gehabt und sich selbst ausreichend intus begeben. Das sollte ihm also am Arsch vorbeigehen. Darum ging es hier nicht.

Antworten. Darum ging es.

Bis heute hatte er geglaubt, er sei der Einzige.

Das oder er sei verrückt geworden.

Doch da hatte sie gestanden, offensichtlich Lebewesen und warmblütig und hatte sich trotzdem kein Getränk gekauft. Ob deswegen, weil sie sich tatsächlich nicht hatte entscheiden können, oder weil sein Auftauchen sie ebenso aus der Bahn geworfen hatte wie ihres ihn, würde er hoffentlich Samstag herausfinden. Diesen Samstag.

Bis zu dem er sich erneut mit der Zeit herumschlagen musste, durch das Wissen um ihre Existenz und den in der Zeitlinie festgenagelten Punkt um das Mannigfache potenziert. Nicht wegen Mann in mannigfach und so, sondern wegen massiv penetrant stabil markant. Verstörend mannigfach.

Die Stimme des unmännlichen I-Profs klang also noch blecherner als er es als Robot ohnehin war, sein Inhalt stabil fremd und monoton.

Das Gegenteil seines eigenen momentanen Gemütszustandes.

So viel zum Beginn.

Nun drosseln wir das Tempo ein wenig. Die Zeit braucht ihre Zeit. Hier also begann ihre Geschichte.

Freitagabend lief er eine extra große Runde und ging beim Training danach weit über seine Grenzen, in der Hoffnung so fertig zu sein, dass er schnell einschlafen konnte. Doch als sich das, wogegen er sich mit aller Kraft wehrte, wieder in sein System geschlichen hatte, folgte er dem Drang nach der Art Intensität, die ihn vergessen ließ, für ein paar Stunden. Mit Tunnelblick schlich er aus dem Haus und fuhr in den Stadtteil, in dem er seinen Kumpels in Anführungsstrichen und Mädels in Klammern nicht begegnen würde, so weit konnte er noch entscheiden. Er schoss sich weg und kam erst am nächsten Morgen wieder da an, wo sein Körper hing. In der dunklen Ecke eines Clubs, inmitten all der Fremden, von denen niemand den anderen so ansah, wie Ainu ihn angesehen hatte.

Mit ihren mandelförmigen Augen, so verschiedenfarbig, als hätte sie sich auch hier nicht entscheiden können, das eine braun, haselnussbraun von den unzählbaren Facetten abgesehen, dunkler als ihre Haut, doch heller als ihre Haare, das andere funkelnd grün, grüner als seine und doch ähnlich.

Ainu.

Er erhob sich taumelnd und hangelte sich an den Hindernissen im Weg nach draußen, an die kühle, nach Verwesung stinkende Luft. Und er erinnerte sich, warum er sein Rennrad damals grün angesprüht hatte. So fand er es selbst in diesem Zustand.

Auch dieses Mal wusste er im Nachhinein nicht mehr, wie er es nach Hause geschafft hatte. Vermutlich dank der Widerstandsmelder der I-Cars, vermutlich auch dank der Screens, die die Menschen überhaupt erst davon abhielten, sich an einem Samstagmorgen in eines dieser Fahrzeuge zu setzen.

Glücklicherweise war auch auf die Schlafpillen seiner Eltern Verlass. Unbemerkt schlich er nach oben, durch den kühlen Fahrtwind wieder ein wenig geklärt. Im Badezimmer angekommen, musterte er sein Spiegelbild mit den Schrammen im Gesicht, von denen er keine Ahnung hatte, wie er sich diese zugezogen hatte, die braunen, schweißverklebten Locken, die dunklen Ringen unter den olivfarbenen Augen und die aufgesprungenen Lippen. Den leeren Blick.

Und den rötlich wabernden Nebel um seinen Unterleib.

Sie hatte ebenso wenig darüber gewusst wie er.

“Siehst du es auch?”, hatte er gefragt und sie hatte genickt. “Weißt du, was es ist?”, hatte er gefragt, sein Herz hatte ihm bis in den Kehlkopf gehämmert. Sie hatte den Kopf geschüttelt.

So viel zu den Antworten.

“Scheiße”, murmelte er und wandte sich angewidert vom Spiegel ab. Nach einem Blick auf die Uhrzeit entschied er, sich noch ein wenig hinzulegen, bevor er sich auf den Weg zu ihr machte. In diesem Zustand wollte er ihr definitiv nicht unter die Augen treten.

Spätestens dann hätte er verkackt.

Spätestens dann würde sie erkennen, dass er es nicht wert war, so von ihr angesehen zu werden.

Er torkelte in sein Schlafzimmer, stellte den Wecker und ließ sich in sein Bett fallen, noch immer durchwühlt von den erfolglosen Schlafversuchen des Vorabends, eine halbe Ewigkeit her.

Doch sobald er die Augen schloss, waren sie wieder da, um ihn heimzusuchen, die immergleichen Bilder seines Alptraumes. Kurz darauf fand er sich mit beiden Händen auf den Oberschenkeln abgestützt mitten im Zimmer stehend, schweißgebadet gegen den Impuls ankämpfend, zu dem Invalido in seiner Schublade zu greifen.

Denn da war Ainu.

Er würde es nicht schaffen, sie zu sehen.

Und wenn er nicht auftauchte, würde er sie enttäuschen.

Ihre sich rötenden Wangen streiften seine Hirnzellen, die Art, wie sie ihre Lippen aufeinander gepresst hatte, so weich hatten sie ausgehen, dass er sie hatte in die Hand nehmen wollen.

Es hätte gegen alle Regeln verstoßen.

Ein Ruck ging durch seinen Körper und wie ferngesteuert lief er zurück ins Bad, schlüpfte aus der nach Rauch und Schweiß stinkenden Kleidung und stieg unter die Dusche. Sobald der eisig kalte Wasserstrahl seinen verhärteten Körper traf, keuchte er erleichtert auf, schloss die Augen und rief sich ihr Gesicht ins Gedächtnis. Es hatte gezeigt, was in ihr passierte.

Was sie fühlte.

Dasssie fühlte.

Und für den Moment verdrängte es den Rest, egal wie laut und grell es geschrillt hatte. Es wurde ruhig in seinem Kopf.

Solange das Wasser kalt war.

Irgendwie kam das heiße Wasser, er konnte nicht mehr sagen, ob er es angestellt hatte oder die Komfortregelung seiner Eltern, und es kroch wieder in ihn hinein. Die eben noch verspürte Klarheit vernebelte sich und er griff in seinen Schritt.

Ablenkung, wenn auch nur für wenige Minuten.

Mit geschlossenen Augen begann er, zu masturbieren, sie sah ihn an.

Und er erinnerte sich.

An diese eine Nacht.

Tabu.

Mit dem Thema war er durch.

Vor allem bei ihr.

Sie sah ihn weiter an.

Also verschaffte er seiner Faust übergangsweise einen anderen Job und wusch sich ruppig die Haare, die sie niemals berühren würde, und den erschöpften Körper, der sich von ihr fernhalten würde.

Und als er kurz darauf erneut in den Spiegel sah, verspürte er zumindest nicht mehr den kaum kontrollierbaren Drang, sein Angesicht zu zerschmettern. Er putzte sich die Zähne, zog sich ein frisches Shirt und seinen Lieblingshoodie über. Und schlüpfte in dieselbe Jeans, die er an dem Tag getragen hatte, als er sie kennengelernt hatte.

Der Tag an dem ich sie kennengelernt habe?

What the fuck?

Genervt vor sich hin brummend schlich er hinunter in die Küche, die Kälte der Fließen über die nackte Fußsohle in sich aufsaugend, auf der Suche nach irgendetwas Essbarem.

Nicht die in den gläsernen Regalen nebeneinander aufgereihten Pillendosen oder Fertiggerichte seiner Eltern, sortiert nach Wochentagen, mit Namen markiert und durchnummeriert. Nein, er hatte aus seinen Fehlern gelernt und einen Notfall-Stock in dem hintersten Küchenschrank gelagert. Und da die meisten Lebensmittel kein Ablaufdatum hatten, sahen auch die Banos dort noch immer so aus, als kämen sie frisch aus dem Labor.

Einen Ballen davon packte er in seinen Rucksack, schlüpfte in seine Sneaker, die, wie auch immer, im Laufe der Nacht wieder dreckig geworden waren und geräuschlos aus dem Gemach seiner Urheber. Während der Fahrt schälte er eine der gelben Stangen nach der anderen, verspeiste sie in jeweils zwei Bissen und warf die Schale im Vorbeisausen in hohem Bogen in einen der Müllcontainer am Straßenrand.

Der Fahrtwind tat den Rest und als er kaum eine Stunde später das schäbige Gebäude erreichte, in dem Ainu lebte, fühlte er sich fast wieder wie jemand, den sie ansehen würde.

Vorsichtshalber sicherte er sein teures Rennrad an der klapprigen Code-Box, obwohl er aus Erfahrung wusste, dass jeder, der es darauf angelegt hatte, sich problemlos daran bedienen könnte. Mit dem untrüglichen Gefühl, von allen Seiten beobachtet zu werden, beschleunigte er seine Schritte, den Blick bereits von weitem auf die besagte Klingel fixiert.

Pressen also.

Okay.

Ein letzter Atemcheck in der Hand, um sicherzustellen, dass er nicht mehr allzu sehr nach Liquidato stank und er presste.

Stille.

Ein erneuter Atemcheck und das Aufkriechen des Zweifels, sie hätte es sich natürlich anders überlegt, weil er... nein, lieber, der Gedanke, dass nicht öffnete, weil sie gerade duschte und ihn nicht hören konnte ... als es in der Leitung knackte.

“Hallo?”, erklang ihre Stimme durch das Hintergrundrauschen.

“Hey! Ich bin‘s!”

Stille.

“Eh, Enas!”

Fehlte noch das Wer?

Natürlich. Er hätte nicht herkommen sollen.

2.

“Hey! Ich komme runter, der Türöffner funktioniert nicht!”

Dann war es wieder still in der Leitung und er hatte genügend Zeit, um nach der brustkorberweiternden Erleichterung ihres Wiedererkennens noch nervöser zu werden. Sich vergeblich einzureden, dass es ihm am Arsch vorbeiging, dass er vermutlich schon besser ausgesehen hatte als heute. Ausgerechnet heute.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte er von drinnen Geräusche, die klangen, als würde jemand die Stufen herunterspringen. Die Tür wurde aufgerissen und sie stand vor ihm, außer Atem und mit bebenden Nasenflügeln.

Ainu.

Zeitstillstand.

Fuck. Sie war noch anziehender, als er sie in Erinnerung hatte.

Und er so ein mieser Idiot.

“Hi!”, murmelte er und strubbelte sich durch die vom Fahrtwind ohnehin strubbeligen Haare.

Während ihre Haare ihr weich ins Gesicht fielen. Frisch gewaschen wahrscheinlich. Er wollte sie anfassen.

Die Haare.

Die er, wie alles andere an ihr, unter dem kaum sichtbaren Nebel viel zu gut erkennen konnte.

Sie lächelte. Bis in ihre Augen. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass dies möglich war.

Und zögerte. “Alles okay?”, fragte sie und ihm wurde heiß bis in die Ohrläppchen. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass dies möglich war.

“So offensichtlich?”, fragte er und versuchte räuspernd, seinen belegten Hals zu klären.

“Was denn?”

Fuck. “Dass ich nicht ganz fit bin?”

Wahrscheinlich hatte sie gar nicht deswegen gefragt. Wahrscheinlich hatte sein verfluchtes schlechtes Gewissen ihn nur dazu verleitet, zu vermuten, dass sie alles, was er jemals und vor allem letzte Nacht getan hatte, wusste.

Sie hob die Augenbrauen, warmbraun, und ohne zu wissen, woran er dies erkannte, vermittelte ihr Ausdruck eine Besorgtheit, von der er nicht gewusst hatte, dass sie derart aufwühlend sein konnte.

“Was hast du?” Wieder Blick auf seinen Penis. Hoffentlich bewegte der sich nicht auch.

Und nein, er verstand es nicht falsch. Er verstand genau richtig.

“Eh, nichts. Ich hab nur nicht viel geschlafen gestern Nacht.”

Keine Sekunde.

“Warum nicht?”

“Eh, ich war aus.” Hoffentlich hörte sie hier auf zu fragen.

Sie nickte und ließ ihn nicht aus den Augen.

“Aber... bist du nüchtern? Weil wenn nicht, dann verschieben wir das lieber!”

Krass.

Das kannte er noch nicht.

Sie war zu klar, um sich in unklarem Zustand mit ihm abgeben zu wollen.

Kurz überlegte er, wie ehrlich er sein wollte. Weil verschieben würde er nur schwer ertragen. Die gesamte vergangene Wochenzeitlinie hatte sich genau auf diesen einen Punkt hier und jetzt geballt.

Und natürlich hatte er es vermasselt.

“Mittlerweile bin ich wieder nüchtern ... genug... denke ich. Aber... also, wie du möchtest. Wir können auch verschieben. Auch wenn ... also... wie du möchtest!”, eierte er herum und stöhnte resigniert in seinen Kehlkopf hinein anstatt in sie.

Nüchtern klang das nicht.

Wieder zögerte sie und ihm wurde flau im Magen. Ob wegen der unangenehmen Konfrontation oder dem Rest der Substanzen im Blut, machte in diesem Moment keinen Unterschied. Offensichtlich war er in den vergangenen Monaten ein echtes Weichei geworden.

“Ich hab mir eigentlich geschworen, mich von Menschen fernzuhalten, die nicht so ganz da sind”, sagte sie so total nüchtern. “Das ist mir sonst zu risky. Also nicht, dass du...!” Sie verzog den Mund, auf den er natürlich nicht schaute. Sie war der Hammer.

Trotz der Scham und Reue, die sich mittlerweile in jeder seiner Zellen breitgemacht hatte, musste er grinsen.

“Okay. Das ist... super. Also, scheiße für mich momentan, aber... ich hatte eigentlich dasselbe entschieden.”

Sagte er nach einer Nacht, von der er sich nur noch an die erste halbe Stunde erinnern konnte.

“Also, ich krieg’s noch nicht immer hin, aber...!” Er verstummte, es machte keinen Sinn, herumzulabern. “Es tut mir leid. Ich hab’s vermasselt!” Mit gesenktem Kopf wandte er sich ab. “Dann... also, ich geb dir meine Nummer, dann kannst du ja schauen, ob du dich meldest oder ...!”

Sie antwortete nicht.

“Das nächste Mal bin ich sauber, versprochen!” Obwohl er kein nächstes Mal verdient hatte.

Wohin auch sonst, senkten sich ihre Augen auf seinen Penis, seine Eier, nein, lieber Lendenbereich, Schritt, Vorderseite, das klang weniger ... risky hatte sie gesagt.

“Nein, bleib. Ich sehe, dass du klar genug bist.”

Dieses Mal folgte er ihrem Blick auf seine untere Vorderseite, ebenso indiskret wie sie es getan hatte. Sein Nebel war kaum sichtbar, keine Bewegung zumindest darin, ganz anders als im Spiegel gestern und heute Morgen.

“Das erkennst du daran?”, fragte er verwirrt und etwas in ihm rastete ein.

“Ja. Möchtest du mit hochkommen? Ich hab’ noch was zu tun.“

„Eh, ja, klar!”, krächzte er.

Glücklicherweise stürmte sie ohne weitere Denkpause ins Treppenhaus, während er ihr noch einen Moment hinterherstarrte, ungläubig, dass sie ihm eine weitere Chance gab. Und er hoffte, dass sie wusste, was sie tat. Denn er wusste es immer noch nicht. Oder nicht mehr. Spätestens seitdem sie vorhin vor ihm aufgetaucht war.

In leider sehr gutsitzender Jeans und verwaschenem T-Shirt sprintete sie die Treppen vor ihm hoch. Die Art, wie sie sich bewegte, machte ihn benommen und mit einem Mal wusste er, was ihn seit ihrem ersten Treffen daran so berührt hatte.

Bei den anderen hatte jede Bewegung wie ein Programm gewirkt. Wie eingeübt. Egal wobei. Beim Laufen, beim Tanzen, beim Sex.

Ainu dagegen bewegte sich, als wäre ihr Körper frei von all diesen Programmen. Besser konnte er es nicht erklären. Und wahrscheinlich machte es nicht einmal das Sinn.

Scheiß Substanzen, dachte er.

Seine Augen machten sich selbstständig und glitten über ihre Rückseite zu ihrem Po. Krass war der hübsch.

Nein, fuck.

Bevor sie kurz darauf vor einer der grauen Türen stehenblieb und sich atemlos zu ihm umdrehte, schaffte er es gerade noch, sich leise knurrend abzuwenden und die notwendigen Anpassungen in seiner Jeans vorzunehmen, damit sie seine Reaktion auf den Regelverstoß nicht sah. Verfluchter Körper, das war ihm schon eine Weile nicht mehr passiert, seit dieser einen Nacht sprang er grundsätzlich auf nichts mehr an, glücklicherweise, okay, er hatte es seitdem auch nicht wirklich darauf angelegt, aber das würde er bei ihr auch nicht, definitiv nicht, sowieso.

Scheiß Substanzen, dachte er.

Ihre Wangen waren von einem sanften Rosa überzogen und er musste wegsehen, instinktiv einen Schritt von ihr abweichend, sein Nebel hatte sich rötlich verdichtet.

Sie würde es sehen.

Doch anstatt ihn wegzuschicken, wie sie es von Anfang an hätte tun sollen, stieß sie die angelehnte Tür zu ihrem Zuhause auf und schlüpfte hinein. Als wäre es das Allernatürlichste der Welt.

Und anstatt zu verschwinden, wie er es von Anfang an hätte tun sollen, trat er ein in ihre Welt, die erste, die er sich auch von innen ansehen wollte.

Sobald er die Wohnung betrat, schlug ihm ein Geruch entgegen, wie seit Jahrzehnten abgestandenes Menschsein.

Dies hier konnte unmöglich ihre Welt sein.

Der Flur war eng, mehrere Türen gingen von ihm ab, allesamt geschlossen außer zwei, die fehlten, als hätte jemand sie gewaltvoll entfernt, jeder Hohlraum dazwischen mit Kram zugestellt, in die Ecken geworfen oder übereinandergestapelt, von dem nichts irgendeinen Nutzen oder Wert zu haben schien, außer der Tatsache, dass es irgendwann einmal etwas gekostet hatte, nicht viel, aber genug, um es nicht einfach in die nächste stinkende Tonne zu werfen.

Er schielte zu Ainu. Sie schien verunsichert und irgendwie kleiner, als sie es eben noch gewesen war.

„Soll ich hier warten?“, flüsterte er.

„Nein, schon okay. Komm mit!“ Sie lief voraus und führte ihn in die Küche, auch hier alles eng und nach mangelnder Bewegung stinkend. Im Hintergrund warb eine monotone Stimme aus einem kleinen Screen für irgendein Produkt, das sich für das weitere Lebensglück als unverzichtbar darstellte. Der Kontrast der fröhlichen Stimme der Werberin und der Stimmung im Raum hätte Enas in jeder anderen Situation zum Lachen gebracht.

Am Herd stand eine kleine, rundliche Frau mit den streng nach hinten gebundenen Haaren einer Messerklinge und ebenso kalten, grauen Augen. Der fast schwarze Nebel um ihren Oberkörper begann, sich in dem Moment auszubreiten, in dem Enas den Raum betrat.

„Großmutter, das ist Enas“, sagte Ainu, ihre Stimme war leise und sein Arm berührte Ainu an der Schulter, als er der Gastgeberin seine Hand entgegenstreckte, obwohl er sonst alles andere als guterzogen war. „Guten Tag!“

Seine Stimme klang kratzig und er ärgerte sich über die Unsicherheit, die in ihr mitschwang.

„Was will er hier?“, zischte die Messerklinge durch den Luftstau.

Die Kälte in der Frage ließ seine Hand zügig wieder in der Jeanstasche verschwinden.

„Er... er holt mich ab und wir wollen etwas unternehmen.“

Ainus Wangen färbten sich rosa und Enas trat instinktiv einen Schritt näher an sie heran. Der Mund der alten Frau formte sich zu einem schmalen Spalt.

„Ich weiß, was er will.“

„Nein, Oma, er...“

Mit einer zackigen Handbewegung wischte sie Ainus Widerrede beiseite und wandte sich, ohne Enas eines einzigen Blickes gewürdigt zu haben, wieder dem Spülbecken zu.

„Mach, was du willst mit ihr, aber mach es schnell, damit sie sich wieder konzentrieren kann!“

Nur an Ainus gekrümmter Haltung erkannte er, dass er sich nicht verhört hatte. Glücklicherweise war er zumindest in diesem Bereich geübt genug, um zu wissen, dass ein Kampf nur zustande kam, wenn es einen Gegner gab.

„Was hast du hier noch zu erledigen?“ Okay, vielleicht hatte er sich ein wenig tiefer zu Ainu gebeugt als unbedingt notwendig. Doch das hatte wirklich nichts damit zu tun, dass er in den Kampf der Alten mit eingestiegen war. Die konnte ihn mal.

“Das Bad putzen!”

In ihren Augen glitzerte es, als stünde sie kurz vor dem Weinen und ohne darüber nachzudenken, griff er nach ihrer Hand und zog sie aus der Küche. Sie war klein.

„Genau wie ihre gestörte Mutter! Lässt sich von irgendeinem Dahergelaufenen schwängern und dreht durch!“, kam es aus der Küche, die leider keine Tür hatte, die er ihr gegen die Stirn schmettern konnte.

Um erst einmal einen möglichst großen Sicherheitsabstand zur Küche herzustellen, zog er Ainu den Flur entlang bis zur letzten offenstehenden Tür. Offenbar handelte es sich dabei um das Wohnzimmer, mit schweren Gardinen abgedunkelt. Aus einem Screen an der hintersten Wand drangen laute, gegeneinander diskutierende Stimmen. Der muffige Geruch war hier noch intensiver als im vorderen Teil der Wohnung und Enas wurde kotzübel.

„Wo ist das Bad?“, fragte er leise und bemerkte erstaunt, dass der Nebel um ihren Kopf kantiger geworden war. Sie deutete auf die angelehnte Tür neben sich, ihre Augen flackerten an ihm vorbei.

Es tat weh.

„Du kannst im Wohnzimmer auf mich warten.”

Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und was auch immer es war, dass sich in seiner Brust regte, er würde es köpfen. So wie die alte Bitterkeit in der Küche, sollte sie auf die Idee kommen, ihnen zu folgen.

Er wartete noch einen Moment, um sicherzugehen, dass die Fremde, ja, sagte er sich, genau, die Fremde dahinter in Sicherheit war.

Doch als wäre nie etwas geschehen, plänkelte die Sales-Stimme in der Küche weiter vor sich hin, als wäre sie nie dagewesen, blieb die Tür verschlossen, als hätte er nie darüber nachgedacht, sich zu ihr ins Badezimmer zu setzen, trat er in den Raum, den sie ihm zugewiesen hatte.

Dort hockte ein Mann. Auf einem der klobigen Sessel. Eingefallenes Gesicht, dichter roter Nebel um seine Lenden, bewegungslos wie eine Leiche. Um solch einen großen Mann zu übersehen, egal wie bewegungslos er dort saß, musste Enas ziemlich neben der Spur gewesen sein. Die Substanzen, sagte er sich. Und trat wieder auf den Flur. Und lugte ins Badezimmer.

Ainu kniete vornübergebeugt über einer schäbig aussehenden Toilette und schrubbte mit Plastikhandschuhen und Schwamm ihr Inneres. Sie hatte ihr Haar zu einem losen Zopf gebunden und starrte düster in die Schüssel, deren Gestank er bis in den Flur riechen konnte. Es war das erste Mal, dass er einen Menschen diese Arbeit verrichten sah. Bei ihm zuhause erledigte ein I-Bot alle anfallenden Hausarbeiten und nie wäre er auf die Idee gekommen, dass es anderswo anders sein könnte. Ihn überkam eine Welle von Zärtlichkeit, ein Gefühl, das er bis vor ein paar Monaten nur als Wort aus Filmen gekannt hatte, ein Gefühl, dass ein Vater an den Tag legte, wenn er zum ersten Mal sein verletzliches Neugeborenes in den Händen hielt, ein Gefühl, dass sie empfand, wenn er zum ersten Mal vor ihr weinte, Szenen, die er bis vor ein paar Monaten, diesen Monaten, in denen sich alles verändert hatte, vorgespult hatte. Zu abstrakt, fast schon nervig waren sie ihm erschienen.

Mit der Hand am Türrahmen abgestützt, um seinen Stand zu stabilisieren, räusperte er sich, um es zu löschen, dieses Gefühl, scheiß Substanzen, dachte er, und trotzdem hätte er sie gerne noch eine Weile unbemerkt beobachtet.

Sie zuckte zusammen, ihre Wangen gerötet und ihr Nebel wieder klarer. Er wollte sie vom Boden hochziehen und auf seiner Schulter hier heraustragen. Was auch immer da an Substanzen noch in seinem Blut mitfloss, er musste es schleunigst loswerden.

„Dein Großvater?” Er deutete mit dem Kopf in dessen Richtung.

„Ja, aber das ist okay. Er bekommt nicht mehr viel mit.“

„Brauchst du hier Hilfe?“

„Nein, danke, ich brauche nicht lange.“

„Dann warte ich lieber hier“, sagte er und sie blinzelte. „Oder... stört dich das?“

„Nein, schon okay”, log sie und blinzelte erneut.

“Okay, dann Wohnzimmer. Bis gleich!”

Was wäre so falsch am Stören?

Aufgrund seiner offensichtlich mangelnden Zurechnungsfähigkeit entschied er sich, sehr weit im Hintergrund zu blieben, damit der versteinerte alte Mann nicht doch etwas mitbekam. Das Letzte, was er brauchte, war noch jemand, der ihm deutlich machte, dass er im Leben von Ainu nichts zu suchen hatte. Es war ein paar Wochen her, dass er sich geprügelt hatte. Heute wäre kein guter Tag dafür.

Hinter der Tür an die Wand gelehnt und mit einiger Mühe, seine Augen in dem stickigen Zimmer offenzuhalten, fiel sein Blick auf das niedrige, schmale Bettgestell hinter ihm. Eine graue dünne Decke, darauf ein ordentlich gefalteter Stapel Klamotten, Jeans, hellgrüner Pullover, ein paar Slips, schmal geschnitten, wenig Stoff. Ainus Schlafplatz.

Und es kam ihm hoch, die Galle gemischt mit den Substanzen, die Fantasie gemischt mit pumpendem Blut, diese Ecke war das Allerletzte, doch hier schlief sie, in einem dieser zarten Stoffe, nein, sie gehörte nicht hierher, sondern in ein großes Bett, mit fetten Kissen und einer warmen, weichen Decke, wie das, in dem er lag, sie gehörte in Seines.

Fuck. Regelverstoß.

Okay, sie allein.

Er irgendwo anders. Auf dem Boden daneben.

Oder hier. In ihrem.

Fair.

Vielleicht könnte er sich einen Moment hineinlegen.

Es würde nach ihr riechen.

Offenbar kickten die restlichen Substanzen nun so richtig rein.

Es war, als hätte die Vorfreude und die körperliche Betätigung während der Fahrt hierher ihm den nötigen Kick gegeben, um keine Scheiße zu bauen.

Natürlich hielt er sich von ihrem Bett fern.

Und am besten auch von ihr.

Er sollte gehen.

Jetzt.

Jetzt.

Ihr Gesicht erschien im Türrahmen, sie machte ihm ein Zeichen und er huschte mit pochenden Schläfen zu ihr auf den Flur, die Hände unauffällig vor seine Erektion geschoben. Darin war er gut.

Wenigstens etwas.

„Fertig?“, flüsterte er, um so zu tun, als könne er gerade klar denken.

Mit dem Handrücken wischte sie sich über die feinen Schweißperlen auf der Stirn und er dachte, vielleicht könnte er das übernehmen. Nicht das Kloputzen. Das mit der Hand auf ihrer feuchten Haut. Darin war er auch gut.

Sie nickte und, als wäre es nie anders gewesen, umschloss er ihre Hand ein weiteres Mal mit seiner. Und als wäre es nie anders gewesen, ließ sie es zu.

Nur noch das hier. Dann würde er gehen.

Scheiß Substanzen.

Als sie an der Küche vorbeistürmten, um dieses Drecksloch von Zuhause endlich hinter sich zu lassen, verhinderte er den Zugriff der Großmutter auf Ainu mit seinem Körper. Und er dachte bei sich, dass er auch dies übernehmen könnte. Den Zugriff von allem verhindern, was nicht gut für sie war.

Scheiß Substanzen.

Was auch immer das hier war, diese Anwandlungen waren mehr als seltsam.

Im unteren Stockwerk angekommen, schlüpften sie im Stehen in ihre Sneaker und rannten, die letzten Stufen überspringend, nach draußen, in die, im Vergleich zu alldem dort oben, beinahe organsäubernde Luft.

Und dort stand sie, bei Tageslicht vor ihm, es war dunkel gewesen bei ihrem ersten Treffen, doch nun stand sie da, in all ihren Farben und er musste wegsehen, um es auszuhalten. Ihr Anblick blieb, floss weiter in seinen Gedächtnisspeicher und dieses Mal mochte er, dass er einen hatte.

“Wohin?”, fragte er, weiterhin mit gesenktem Kopf, weil ihm all die Orte, an denen er sich außerhalb seines Schlafzimmers sonst aufhielt, heute eher unangemessen erschienen. Sie hingegen würde all die schönen Flecken dieser Großstadt kennen. Dort, wo dasselbe Tageslicht ihr seine heute so abgefuckten Partyfarben zeigen würde.

Hoffentlich verankerte sie das nicht auch in ihrem Speicher.

Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie auch sie den Kopf senkte und ihr eine Haarsträhne über die zuckenden Wimpern fiel. Seine Hand hob sich wie von selbst, um sie beiseitezuschieben, hinter ihr Ohr mit dem weichen Ohrläppchen, nicht, dass er es je berührt hätte, vielleicht würde er dabei ihre Wange streifen, aus Versehen und ... what the fuck?

Er zuckte zurück, das war eigentlich so gar nicht seine Art, und wandte sich ruckartig seinem Rennrad zu, damit sie nicht sah, wie sein Körper reagierte. In den Boxers und schlimmer noch, da, wo sie es sehen konnte. In seinem Gesicht. What the fuck, wurde er etwa rot? Er?? So fühlte sich das an? Warum, wozu war so etwas gut, was sollte das?

Bei ihr fand er es wunderschön.

Sich selbst würde er gerne das Genick brechen.

“Ist mir egal!”, murmelte sie, ein wenig irritiert, vielleicht hatte sie es bemerkt.

Er brauchte einen Moment, um einzuordnen, was ihr egal war, seine körperlichen Reaktionen, seine Hand an ihrem Ohrläppchen oder... eindeutig die Substanzen, das weitere Vorgehen.

War ihr egal.

Vielleicht war dies eine ihrer Eigenheiten. Bei ihrem ersten Treffen war sie ebenso unentschlossen gewesen.

“Lass uns was zu Trinken holen und dann irgendwo hin, wo es schöner ist als hier!” Ihm war es nicht egal.

“Okay. Ich hab da einen Ort!” Und für kurzen einen Moment hatten ihre Augen etwas von der stechenden Traurigkeit verloren, die ihm in dem Moment, in dem ihre Blicke sich das erste Mal begegnet waren, eine Gänsehaut über den Nacken gejagt hatte.

“Ich hab ein Fahrrad. Du kannst auf meiner Stange mitfahren.” Ah, fuck.

Nicht die Stange.

Also schon, wenn sie wollte, könnte sie auf ihm sitzen. Dem Fahrrad. Nicht der Stange.

“Nein danke!”, sagte sie anständig. Gut, sie ließ sich also nicht so leicht anmachen. Nicht dass er sie angemacht hätte, aber woher wusste sie das schon? Nein danke war gut.

Er war noch nie zuvor abgeblitzt.

“Warte!”, sagte sie und ohne ein weiteres Wort verschwand sie im Gebäude. Er würde warten. Solange sie wollte.

What ‘warten solange sie wollte’ the fuck?

Leise vor sich hin fluchend, wandte er sich seiner glücklicherweise nicht gestohlenen Rennmaschine zu, als er die Tür keine zwei Minuten später wieder ins Schloss fallen hörte.

Er wandte sich um und dort stand sie. Breit grinsend. Mit ihrer eigenen Rennmaschine. Uralt, die rote Farbe an mehreren Stellen abgesplittert und rostig.

“Krass!”, murmelte er. “Das ist auch kein I-Bike, oder?”

Sein Körper reagierte, denn sie schüttelte den Kopf. Genickbrechend süß.

Fuck.

“Wo hast du das her?”

“Ich hab es vor ein paar Jahren im Keller gefunden. Oma sagt, es gehörte meiner Ma!”

“Ist ziemlich kompliziert, es auf Beinbetrieb umzubauen!” Er wusste, wovon er sprach. Mehrere Wochen schweißtreibende Arbeit hatte es ihn gekostet, um das surrende motorbetriebene Fahrzeug in ein Sportgerät umzubauen. Als einziger Richtpunkt hatte ihm ein altes im Net gefundenes Foto gedient, welches er heruntergeladen hatte, bevor es wenige Minuten später vom Netguard gelöscht worden war. Wie auch die Anleitung zum Umbau, die er nach der Fertigstellung trotzig hochgeladen hatte.

Die Frage war also, ob das Ding an Ainus Hand tatsächlich umgebaut war. Oder ein Original.

Ainu schwang sich auf ihren eigenen schmalen Sitz, denn sie brauchte seine Stange nicht. Und während sie nebeneinander durch die Straßen heizten, machte sich ein ihm bis dahin unbekanntes Gefühl in ihm breit, ein Gefühl, das weit über die der Wut, der Geilheit oder des Hungers hinausging, von seiner Brust kroch es in seine Kehle, in die Arme hinein bis in die Fingerspitzen, den Nacken bis in den Scheitel, ein Gefühl, von dem er nicht wusste, wie er jemals darauf klarkommen sollte, ein wenig, wie die Sekunde vor dem Orgasmus, und es hielt an.

Es hielt an, als sie ihre Hand ausstreckte, um neben ihm abzubiegen und es hielt an, als sie neben ihm, vor demselben CS, in dem sie sich vor ein paar Tagen das erste Mal begegnet waren, zum Halt kam. Und es hielt an, als sie lächelte, bis in die geweiteten Pupillen hinein. Und es hielt an, während sie ihre Räder sicherten und in den fast menschenleeren Container. Nebeneinander.

Ja, dieses Mal versteckte er sich nicht mit weichen Knien minutenlang hinter einem der Regale, bevor er sich dazu durchringen konnte, zu prüfen, ob sie nur eine nebellose Einbildung war oder echt.

Sie war echt. Hatte er geprüft.

Krass, was sich innerhalb kürzester Zeit alles ändern konnte.

Grelles Licht und leise elektronische Musik empfingen sie. Er griff nach einem der kühlen, drahtigen Körbe und lief neben ihr denselben Regalgang entlang wie letzte Woche. Und es hielt an, sogar der Korbhenkel in seiner Innenhand erschien ihm mit einem Mal ergonomisch.

Sluzards mit Geel klang krass und er nahm mit fragendem Seitenblick ein paar Packungen aus dem Regal. Sie reagierte nicht erkennbar, also scannte er sie ins Handgelenk und ließ ihr am Getränkeautomaten natürlich den Vortritt.

“Mach du!”, sagte sie, denn im Gegensatz zu ihr, wusste er genau, was er wollte.

“Du?”, fragte er, nachdem der Black Cocee leise rauschend in den Plastikbecher geflossen war und nun seine Hände wärmte.

“Nichts”, sagte sie und er fragte sich, ob auch das eine ihrer Eigenarten war. Sich erst nicht entscheiden können und dann gar nichts nehmen.

“Ich lad dich ein!”, sagte er, als könne sie es nicht selbst bezahlen. “Ich meine, wenn du willst, es ist kalt draußen und...!“ Der Ausdruck in ihrem Gesicht ließ ihn verstummen. Auf dem Weg nach draußen trank er einen Schluck und hielt ihr die Tasse hin, als hätte er nicht längst genug Scheiße angerichtet. Ihre Wangen färbten sich rosa und natürlich lehnte sie ab. Innerlich den Tag seiner Geburt verfluchend, trat er trotzdem und noch immer neben ihr, weil sie ihn aus unerklärlichen Gründen noch immer nicht weggeschickt hatte, aus dem neonbeleuchteten Raum an den wolkenverhangenen Himmel.

Und das Leben gab ihm den Rest. Dafür, dass sie es nicht tat.

“Was ist?“, fragte sie alarmiert, offenbar hatte er den Fluch laut ausgespuckt.

Mit einem Nicken deutete er auf eine dicht in ihren Nebel gehüllte Gruppe ein paar Meter weiter, laut wie immer. Leider konnte er ihr jedoch nicht mehr erklären, um wen es sich dabei handelte, denn Croquelle hatte bereits einen ihrer schrillen Schreie an die Umwelt entlassen und so die verzweifelte Hoffnung, sie würden unentdeckt an ihnen vorbeikommen, als Lüge enttarnt.

“Ino!”, Oskol hatte ihn ebenso gesichtet und kam mit schnellen Schritten auf ihn zugestampft. Croquelle stolzierte erhobenen Hauptes und mit dunklem Nebel um den Oberkörper hinter ihm her, gefolgt von drei Kerlen an ihrem Haken.

“Bleib hinter mir!”, raunte Enas Ainu zu, die von dem Ansturm der Gruppe sichtlich verunsichert wirkte. Erneut stach ihm der krasse Unterschied zwischen ihrer Präsenz und der der anderen ins Auge. Klarer Umriss, klare Augen, die mit dem arbeiteten, was tatsächlich passierte.

Nicht dem, was sie in der Spiegelung ihres eigenen Nebels zu sehen dachten. Es war, als würden sie von unterschiedlichen Planeten kommen. Nur dass er mittlerweile auf demselben wie Ainu lebte.

“Wixxer, was soll der Scheiß?”, dröhnte Oskol. “Warum meldest du dich nich’?”

“Ich hab euch gesagt, ich bin raus!”, sagte Enas und baute sich vor Ainu auf. Hoffentlich hörte sie auf ihn und hielt sich im Hintergrund, um die ganze Sache nicht noch komplizierter zu machen, als sie sich vermutlich entwickeln würde.

“Fick dich, du kannst nicht einfach verschwinden! Was denkst du, warum wir hier sind? Ha’m gehört, du trainierst neuerdings hier und ha’m uns jedacht, wir fang dich man ab!” Oskols breite Schultern zuckten.

Die von Enas ebenfalls und Ainu wich zurück.

“Ich bin nicht einfach verschwunden! Du weißt genau, warum ich weg bin, also tu nicht blöd rum!”

Zwei weitere stiernackige Typen traten in den Kreis und Enas ging in Stellung.

3.

“Oh, mein Bot, chillt, ihr Spacken!”, rief Croquelle und quetschte sich an Oskol vorbei so nah an Enas heran, dass ihr künstliches Parfum ihn zum Husten brachte.

“Und was ist mit mir? Ich hab dir doch nichts getan! Warum antwortest du nicht auf meine Texts?”, fragte sie und auch wenn ihre Stimme freundlich klang, wusste Enas es besser. Er hätte sie blockieren sollen. Sie schob sich an seiner Schulter vorbei und musterte Ainu.

„Wer ist die denn?“, fragte sie schneidend. “Ist das die Bitch, wegen der du keine Zeit mehr hast!”

“Hey!”, knurrte er warnend.

Doch Croquelle war noch nicht fertig. “Und wenn schon. Du hattest doch sonst kein Problem damit, mehrere gleichzeitig zu machen!”

Fuck. Das würde dem Bild, dass Ainu mittlerweile von ihm haben musste, den Rest geben.

“Mir ist das egal. Und Shell auch! Oder?”, rief sie und eines der Mädels, die an der Containerwand des Stores lehnte und auf ihren Screen starrte, hob den Kopf. “Was?”, fragte sie, niemand antwortete, des es spielte keine Rolle, also wandte sie sich wieder dem zu, was sie fesselte.

Leider konnte er sich nicht zu Ainu umdrehen und checken, wie es ihr mit alldem ging, denn Croquelle legte nun demonstrativ beide Arme um ihn. Leise stöhnend begann sie, an seinem Ohrläppchen zu knabbern und mit einem knappen Griff löste er ihre Arme von seinem Hals. Sie riss sich los und versuchte es erneut. Der Coceebecher schwappte über und verteilte sich über seiner Jeans und ihren nackten Beinen. Sie schrie auf und begann, mit beiden Händen auf ihn einzuschlagen. Mittlerweile ohnehin hellwach, zerknüllte er den Becher, warf ihn seitlich von sich und packte sie an den Handgelenken, um sie daran zu hindern, sich weiterhin an ihm zu schaffen zu machen. Mit jedem fehlgeschlagenen Versuch, ihn herumzukriegen, wurde sie hysterischer. Abgewiesen zu werden, war nicht ihr Ding. Das wusste Enas nicht erst seit ein paar Monaten.

Das hier war quasi der beschissenste Verlauf des ersten Tages, den er sich mit Ainu hätte vorstellen können.

Doch nicht. Es wurde noch beschissener. Das Leben hatte offenbar entschieden, heute endgültig mit seiner Vergangenheit abzurechnen.

„Heeeey!“ Oskol hatte Ainu entdeckt.

Und offenbar leider das Interesse an einer Prügelei mit Enas verloren. Dessen Interesse daran hingegen wuchs gerade gewaltig.

Er sicherte Croquelles mit einer Hand und stemmte die andere gegen die Oskols Brust, mittlerweile viel zu nah an Ainu dran.

„Willst du uns nicht vorstellen?“ Oskol leckte sich die dicken Lippen. Die anderen Kerle drängten sich neben ihn, ihre Blicke glasig, auch sie wollten ein Häppchen vom Drama.

“Lass es!”, knurrte Enas und wäre Oskol auch nur ansatzweise ansprechbar gewesen, hätte Enas Tonlage ihn eindeutig in seine Schranken gewiesen. Doch wie üblich, bekam er auch heute nichts von dem mit, was außerhalb seines eigenen Wollens passierte.

Und das galt Ainu.

Ein kurzer Seitenblick, um zu checken, ob sie dasselbe wollte - was Enas, sollte sie tatsächlich wollen, in einen prekären Zwiespalt gebracht hätte, denn sie hatte keine Ahnung, mit wem sie es zu tun hatte.

Sie wollte nicht.

Mit einer knappen Bewegung entfernte er Croquelle aus dem Kampfring und stieß Oskol von Ainu fort. Wild mit den Armen fuchtelnd stolperte der rückwärts, zu verdattert, um zu begreifen, dass sein neues Zielobjekt vorerst nicht verfügbar war.

„Verschwinde!“, flüsterte Enas Ainu im Vorbeigehen zu und baute sich breitbeinig vor Oskol auf, um ihm den Weg zu ihr zu versperren.

Der hatte sich wieder gefangen und stampfte vor Wut schnaubend auf ihn zu, die anderen Kerle hinter ihm her und Enas wusste, dass die Entscheidung gefallen war.

Mit Reden war nicht mehr viel. Zu oft hatte er miterlebt, wie solche Situationen ausarteten.

Oskol holte zum Schlag aus und Enas nutzte dessen unkoordinierte Wucht, trat beiseite und brachte ihn mit einem gezielten Stoß zum Sturz, ohne sich die Hände dreckig machen zu müssen. Krachend ging das Schwergewicht zu Boden, als bereits zwei der anderen Kerle auf Enas losgingen.

Er würde kaum gegen die ganze Bande gleichzeitig ankommen, es waren zu viele. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihm, dass Ainu hinter dem CS verschwunden war, weit genug, um flüchten zu können, sollten die Kerle es darauf angelegt haben, sich an ihr auszuleben.

Mit einem Seitenkick wehrte er den Angriff von rechts ab, verpasste dem Nebenmann im selben Schwung einen Tritt gegen die Brust, während der Dritte ihm von hinten noch während des Drehkicks seinen Fuß zwischen die Beine rammte. Direkt darauf traf ihn ein seitlicher Fausthieb in die Magengegend und Enas ging in die Knie. Aus den Augenwinkeln sah er, wie zwei weitere Kerle auf ihn zutraten, einer davon mit zerbrochener Glasflasche in der Hand, von hinten hörte er das Klicken einer Klinge.

Fuck.

Hoffentlich bekam Ainu das hier nicht mit.

Er war ein Idiot.

Schade eigentlich. Er hatte gerade begonnen, eine Art Interesse am Leben zu empfinden.

Eine Sirene erklang. Und rettete ihm den Arsch.

“Polyt!”, brüllte einer der Angreifer und wie auf Kommando stoben sie auseinander und verschwanden innerhalb weniger Sekunden im Nichts.

Vor Schmerz humpelnd machte auch Enas sich aus dem Staub, suchte nach ihr, obwohl sie hoffentlich längst über alle Berge war. Und wenn sie nach all der Scheiße heute auch nur einen Funken Vernunft übrighatte, würde sie ihn nie wiedersehen wollen.

Den hatte sie offenbar nicht.

Er schluckte bewegt, als sie hinter dem CS hervortrat. Und ihm entgegenrannte, als würde sie mit ihm unter einer Decke stecken.

“Schnell!”, krächzte er, als sie bei den Fahrrädern aufeinandertrafen, und kurze Zeit später düsten sie nebeneinander vom Schauplatz des Kampfes und den immer näher rückenden Sirenen davon.

Erst als auch deren schriller Nachhall verklungen war, fuhr er in einer der Seitengassen an den Straßenrand. Sie hielt direkt neben ihm und einen Moment lang starrten sie sich schwer atmend an. Sie zitterte und er legte eine Hand an ihre Lenkstange, um sie zu stabilisieren. “Bist du okay?”, fragte er und sie nickte.

“Du?”

Anscheinend hatte sie doch mehr gesehen, als ihm lieb war. Gleichzeitig fuhr ihm das Du aus ihrem Mund bis ins Knochenmark.

Er hatte ein Problem.

“Ja!”, raunte er und checkte sicherheitshalber seine Rippen an der Stelle, den ihr Blick gestreift hatte. Und auch wenn er nichts dagegen gehabt hätte, sie das machen zu lassen, am Oberkörper natürlich, nicht an den hart getroffenen Eiern, wischte er das Kribbeln, das ihre Fürsorge in ihm auslöste, mit einem entschiedenen Ruck von sich.

“Wo ist dieser Ort, von dem du geredet hast?”, fragte er und hoffte, dass er in einem Stadtteil weit von diesem entfernt lag.

Ohne ein weiteres Wort setzte sie sich in Bewegung, der Nebel um ihren Kopf kantiger und dichter noch als nach dem Übergriff ihrer Großmutter.

“Ainu, sie sind fort!”, sagte er instinktiv, mehr ahnend, als wissend, dass diese Information etwas damit zu tun haben könnte.

Und als wolle sie es damit bestätigen, schloss sie einen Moment die Augen und atmete tief durch. Er lenkte sein Fahrrad näher an ihres heran, um eingreifen zu können, sollte sie einem Hindernis zu nahekommen. Doch sie schien genau zu wissen, was sie tat. Innerhalb eines Atemzugs löste sich der Nebel um sie herum auf und als sie die Augen öffnete, hatten sie wieder diesen Ausdruck, als gäbe es nichts auf der Welt, was sie vom Gegenteil überzeugen könnte. Von wegen unentschieden.

Sie erwiderte sein Lächeln und um ein Haar wäre er gegen eines der parkenden Cars gefahren, das wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war.

Sie flitzte vor und ja, er sah hin. Immer wieder drückte sie die Beine durch und stemmte sich in die Pedale, wenn sie in eine Seitengasse abbog. Er sah hin und musste sich mit all seiner Kraft dazu zwingen, wieder wegzusehen. Nur, um dann doch wieder hinzusehen. Und mit einem Mal erschienen ihm all die Prügeleien, in die er bereits verwickelt worden war, im Vergleich zu ihr vollkommen ungefährlich.

Denn es war wieder da, das Tier in ihm, das Tier, das seine Muskeln spannte, um die Beute zu ergreifen. Er hatte geglaubt, er hätte er erlegt. Damals vor drei Monaten. Doch offenbar hatte er es nur verletzt und nun war es zurück, wütend und so geladen, als wolle es die vergangenen Monate auf einen Schlag nachholen.

Es wollte und noch viel mehr.

Ihr den Weg abschneiden und sie in die nächste dunkle Ecke zerren. Sie reißen. Sie aufstöhnen hören, wenn er den Todesstoß vollzog und sie dann mit Haut und Haaren verschlingen.

Und sie hatte nicht die geringste Ahnung.

Wenn sie ihn auf diese Art ansah, mit dieser versteckten Neugier in diesen schönen Augen, als wolle auch sie mehr. Nur nicht körperlich. Nur mehr sehen.

Von ihm und allem anderen.

Und doch hatte er in denselben Augen auch die Angst gesehen. Die, mit der ihn alle Mädchen ansahen.

Denn sie wussten, er könnte, wenn er wollte.

Es bräuchte Zeit, um es ihr zu beweisen, dass er nicht würde.

Zeit, die er sich nie genommen hatte.

Weil er ein gefährliches Arschloch war.

Und genau hierfür gab es diese Regeln.

Tier abknallen, im Sumpf ertränken, Rückzug, Jagdtrieb an den Nagel hängen.

Vermutlich war es nur die Substanzmischung in seinem Blut und sobald er wieder sauber war, würde er es ein für alle Mal regeln.

Irgendwann bog sie von der Straße ab und auf einen kleinen, staubigen Trampelpfad, der an einer halb eingestürzten Scheune vorbeiführte. In der Ferne erkannte Enas ein paar hohe Gebäude mit riesigen Fenstern, ansonsten schien es hier nichts als leerstehende Lagerhallen und Parkplätze zu geben. Die Scheune wirkte vollkommen deplatziert und kaum war er ihr um die letzte Biegung gefolgt, bremste er so hart ab, dass er beinahe über die Lenkstange geflogen wäre.

„Wow!“, flüsterte er und Ainu lachte.

Dort stand ein Baum. Mit kahler Krone. Mitten auf einem brachliegenden Feld.

Ein echter Baum.

Glaubte er zumindest.

Er hatte noch nie einen gesehen.

Ainu wartete grinsend, bis er sich wieder eingekriegt hatte, und fuhr dann im Stehen vor, über die rissige Erde direkt auf den Baum zu. Dort angekommen, sprang sie vom Fahrrad und berührte diesen wie zur Begrüßung sanft mit den Fingerspitzen. Und gab dabei einen Laut von sich, für den er gerne verantwortlich wäre.

„Was ist das für ein Ort?“, fragte er mit kratziger Stimme, als wäre es das, was ihn beschäftigte und ließ sich, um die Schlussfolgerungen seines Tierkörpers zu verbergen, mit aufgestellten Beinen in sicherem Abstand zu ihr an die grobe Rinde sinken. Der Schmerz an seinem Oberkörper erleichterte ihn fast ein wenig und er hoffte, dass die Verletzung tief genug ging, um ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

„Ich hab’ mich vor ein paar Jahren verlaufen und bin hier gelandet.”

Sie musterte ihn von der Seite und er wich ihrem Blick aus. So nah, wie sie an ihm dran war, dazu diese Stille, würde ihr all das zeigen, was er sein Leben lang versteckt gehalten hatte.

“Ich hab vorhin die Polyt gerufen”, sagte sie.

“Oh!”, brummte er und kratzte sich am Hinterkopf. “Echt?”

“Ja, tut mir leid, ich hab das Messer gesehen und...!”

“Okay!”, sagte er, weil ihm erst einmal nichts Besseres einfiel.

Vermutlich hatte sie ihm das Leben gerettet.

Nachdem er ihres in Gefahr gebracht hatte.

Er war ein Arschloch. Von den ständigen Forderungen nach Mitspracherecht seines Penis ganz zu schweigen und ach ja, sie rettete ihm das Leben.

Um ihn herum waberte es bedrohlich, er sollte nicht hier sein, es war falsch. Und doch hatte sie ihn mit in ihre Welt genommen. Vielleicht war sie einfach zu verantwortungsbewusst, um schnell genug wieder zu verschwinden, zu guterzogen von dem alten Großmutterbiest. Wahrscheinlich hatte sie ihre Meinung längst geändert und war nur zu freundlich, um es ihm zu sagen.

“Ich wusste nicht, was ich sonst machen soll, ich wollte nicht...!”

“Nein!”, stieß er hervor. “Danke!“

Sie lächelte scheu und er musste wegsehen.

“Hätte er dich...?”

“Vielleicht!”, sagte er.

Ihre Augen weiteten sich und sie machte eine Bewegung, als wolle sie näher an ihn heranrutschen. Sein Puls beschleunigte sich und er wich zurück. Auf keinen Fall, nicht jetzt. Sie war zu sauber.

Wie sollte er hier je wieder herausfinden? Aufstehen und gehen? Einfach so?

Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen, doch er hatte sich etwas geschworen. Jetzt oder nie. Jede Sekunde mit ihr riss ihn tiefer hinein. Wo hinein, wusste er nicht so genau. Doch es war definitiv ein Ort, an den er nicht hingehörte.

“Ainu... ich denke, ich hau ab!”

Entgeistert hob sie den Kopf. “Warum?”

“Ich... meine Welt ist echt anders als... du... und... ich will dich nicht nochmal in so eine Situation bringen! Und ich kann dir versprechen, das würde ich! Das hätte vorhin echt anders ausgehen können und das ist.... scheiße, ich gehe.”

Er stemmte sich in den Stand und sie sah blinzelnd zu ihm hoch.

“Nein...”, sagte sie leise. “Eigentlich will ich nicht, dass du gehst!”.

Er schluckte hart. “Ainu, ich hab gesehen, was für eine Angst du hattest und...!”

“Trotzdem!”, beharrte sie und ihre Wangen färbten sich in diesem warmen Hauch von Rot. Er mochte rot. “Ist es, weil ich die Polyt gerufen habe? Es tut mir leid, ich...!”

“Nein, quatsch, Ainu, danke, dass du mir..., dass du sie gerufen hast! Keine Ahnung was sonst passiert wäre! Und genau das ist es, du solltest so etwas nicht erleben, echt nicht, halte dich fern von solchen Kerlen! Und ich bin... also, ich war einer...!” Dieser verunsicherte Ausdruck in ihren Augen, dazu die aufeinandergepressten Lippen und er hatte verloren. Sie dachte, es sei ihre Schuld. Sie dachte, er wolle weg, weil sie etwas falsch gemacht hatte.

“Hey, vermutlich hast du mir das Leben gerettet, also, danke. Ich bin dir was schuldig.” Wenn sie also wollte, dass er blieb, würde er bleiben. Zu müde, um dagegen anzukämpfen. Zu müde von all den schlaflosen Nächten. Zu müde vom Leben. Zu müde von sich selbst. Das Letzte, was er in seinem Leben tun würde, war, ihr seine Schuldgefühle aufzuhalsen. Vielleicht war es ganz gut, dass er den Cocee verschüttet hatte.

Und in spätestens ein paar Stunden würde sie ihn von sich aus gehenlassen. Bis dahin würde er sich wieder unter Kontrolle haben.

“Ich bleibe, aber wir machen einen Deal”, sagte er heiser. Sie sah noch immer ein wenig verunsichert aus und er hatte Schwierigkeiten, sie nicht an sich zu ziehen, um sie zu trösten. Er war ein Idiot. ”Sollte es je wieder zu so eine Situation kommen, dann machst du dich aus dem Staub! Sofort! Egal, was passiert, ruf meinetwegen die Polyt, wenn du in Sicherheit bist, aber misch dich niemals ein! Okay?”

Sie schüttelte den Kopf. Ob aus Trotz oder weil sie noch immer nicht begriffen hatte, wie ernst die Sache war, wusste er nicht, dazu kannte er sie nicht gut genug.

“Hey, okay?”, wiederholte er eindringlich und setzte an, aufzustehen, irritiert durch ihr langes Zögern.

Und sie nickte blinzelnd. Nie zuvor hatte er einen Menschen so viel blinzeln sehen. Nie zuvor hatte er die Gefühle eines Menschen so deutlich in dessen Gesicht ablesen können. Es tat weh, so schön fand er es.

Und während er wieder an den Baum sank und seinen Blick in die Ferne schweifen ließ, fragte er sich, wie er sich in diese ausweglose Lage gebracht hatte.

“Wo hast du so kämpfen gelernt?”, fragte sie, nachdem jeder von ihnen eine Weile seinen eigenen Gedanken nachgehangen hatte. Ihre Augen huschten über seinen muskulösen Oberkörper, den man trotz des Pullovers gut erkennen konnte. Er unterdrückte ein Schmunzeln, als sie sich daran erinnerte, dass er sie noch immer sehen konnte und rot anlief. Yah, er mochte rot.

“Training. Daher kenne ich ein paar der Typen von vorhin!”, sagte er ausweichend.

“Und warum seid ihr nicht mehr befreundet?”

“Eh...!“ Brummend fuhr er sich mit der Hand über das erschöpfte Gesicht. Seine Rippe schmerzte, geprellt vermutlich, seine Eier ebenfalls.

Dann eben ein grober Überblick. “Es ist etwas passiert, okay? Wir waren dicht und es ist ausgeartet. Ich bin weg und danach...!” Oh, Mann. “Das war dann erstmal eine krasse Zeit und ich hab angefangen, diesen Nebel um alle herum und mich zu sehen und Dinge zu denken und zu fühlen, die ich nie zuvor gedacht oder gefühlt hab. Ich dachte eine Zeitlang... naja, ehrlich gesagt, bis du aufgetaucht bist, gedacht, ich drehe durch.“

“Wie lange ist das her?”

“Ein paar Monate. Drei.”

“Und... warst du gestern Nacht auch dicht?” Offenbar hatte sie das Talent, die unangenehmeren Teile verschiedener Gespräche miteinander zu verknüpfen.

“Eh.…!”

Sie nickte, bevor er eine anständige Antwort stammeln konnte.

“Deswegen warst du heute anders als an dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben!”

Neben ihm lag ein Stück Holz, das von der Rinde abgebröckelt sein musste. Er hob es auf und drehte es mit dem Daumen in seiner Handinnenfläche.

Der Tag, an dem wir uns kennengelernt haben.

Und er hob den Kopf in der Befürchtung, Enttäuschung darin zu lesen. Doch da war nichts dergleichen. Offen und mit demselben neugierigen Funkeln in den Augen wartete sie auf seine Antwort.

“Kann sein.”

Wenn sie nickte, fielen ihr jedes Mal ein paar Haarsträhnen ins Gesicht, schräg über die dichten Wimpern, die daraufhin begannen, leicht zu zucken. Sie schob sie nicht beiseite. Als würde sie darauf warten, dass er es tat.

“Bin ich jetzt immer noch anders?”

Der Tag, an dem wir uns kennengelernt haben, sagt sie und ich knall mich weg.

“Nein, jetzt nicht mehr. Seit der Sache vor dem CS.”

“Es tut mir leid”, sagte er und wunderte sich darüber, woher er diese Worte kannte. “Das nächste Mal lass ich es sein!”

Sie lächelte. “Das nächste Mal?”

Fuck.

“Also, nur wenn du willst, natürlich! Ich...”

“Ja ich will!”, sagte sie. “Ich war nur erleichtert, dass du nicht mehr denkst, du musst weg. Das ist... also, das kenne ich so nicht.”

Konnte er sich denken.

“Nur, wenn du das nächste Mal irgend etwas nimmst, dann sag Bescheid, dann ... will ich eher nicht!”, sagte sie leise und eine Ahnung von Erfahrungen, die sie vermutlich mit Kerlen, die etwas genommen hatten, gemacht hatte, stieg in ihm auf.

“Okay!”, sagte er und rutschte noch ein wenig weiter von ihr ab, vielleicht, um ihr deutlich zu machen, wie ernst er es meinte.

“Im Übrigen solltest du in Zukunft wirklich nicht mit jemandem, den du gerade mal seit einer Stunde kennst, an solch einen verlassenen Ort fahren.” Brummend fuhr er sich durch die wuscheligen Haare am Hinterkopf, wie naiv konnte man sein, was, wenn er noch immer ein Arschloch war? Okay, er hätte sie auch damals niemals ohne ihre Zustimmung angerührt, aber woher sollte sie das wissen?

“Aber dein Nebel ist klar!”

“Was hat der damit zu tun?”

“Alles, zumindest bei mir. Wenn meiner klar ist, weiß ich für gewöhnlich, was ich tue.”

Einen Moment lang starrte er sie wortlos an. Könnte stimmen. Rückblickend konnte er allerdings nicht garantieren, dass diese Beobachtung tatsächlich auch auf ihn zutraf, da er, wenn er so gar nicht mehr wusste, was er tat, den Nebel grundsätzlich weder an sich noch an den anderen sehen konnte.

“Obwohl du immer mehrere Freundinnen gleichzeitig hast?”, knallte sie ihm als Vertrauensbeweis entgegen, geschmeidig wie das Lächeln, das ihr nur halbwegs gelang.

“Sie waren nicht meine Freundinnen!”

“Sondern?”

Scheiße.

“Wir haben uns manchmal getroffen, bei... Bedarf!”

Ah, Fuck.

“Ah!”, wiederholte sie seinen Gedanken ohne das fuck natürlich und nickte wissend. Er wollte sich die eigene Nase brechen.

“Das war nie so mein Ding!”, sagte sie und knabberte an ihrer Unterlippe.

“Ja”, schluckte er, hatte er sich gedacht. Und zu gerne gewusst, was denn ihr Ding sei.