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Pferde stehlen, nur zum Spaß! Was anfangs als harmlose Wette beginnt, wird schon bald zu einer ernsten Sache, und für Ennes zu einem echten Anliegen: Pferde zu retten! Niemand sonst scheint sehen zu wollen, wie mit vernachlässigten, kranken oder auch nur überflüssigen Geschöpfen umgegangen wird. Ennes jedoch ist nicht bereit, wegzusehen ...
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Seitenzahl: 1135
Veröffentlichungsjahr: 2018
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ist eine
nicht zu unterschätzende
Triebkraft
ebenso wie der Glaube daran
einzigartig zu sein
Großes bewirken zu können
und einen Weg zu gehen
den noch niemand zuvor
gegangen ist ...
Fine Flemming
Teil: Die Suche nach dem Paradies
Kapitel: Der letzte Sommer
Kapitel: Nur eine Wette
Kapitel: Wahre Tierliebe
Kapitel: Erlebnisse, die verändern
Kapitel: Ein unerwarteter Fund
Kapitel: Allein unterwegs
Kapitel: Hansis Vermächtnis
Kapitel: Zuidlaren
Kapitel: Einmal ist keinmal
Kapitel: Ein ziemlich guter Plan
Kapitel: Verbündete
Teil: Das handgemachte Paradies
Kapitel: Ein paralleles Leben
Kapitel: Falsche Fährten
Kapitel: Ruhe vor dem Sturm
Kapitel: Flüchtiges Glück
Kapitel: Mitwisser
Kapitel: Veränderte Bedingungen
Kapitel: Wenn es enger wird
Kapitel: Nichts läuft ohne Geld
Kapitel: Wenn es nicht mehr aufzuhalten ist
Kapitel: Das zweite Paradies
Kapitel: Wenn alles zusammen kommt
Kapitel: Der Verrat
Kapitel: Ein letzter Versuch
Kapitel: Das Ende
Kapitel: Wiedergutmachung
Kapitel: Eine Zeit danach
Im NEO war es übervoll.
Die pralle Mittagssonne drückte durch die großen Glasscheiben des Cafés, und der Strom der Touristen, die sich da draußen auf dem Bürgersteig vorbeischoben, schien einfach nicht abreißen zu wollen.
Dieser Sommer war schwül und viel zu warm.
Ennes hatte Kopfschmerzen und schlechte Laune. Der Geräuschpegel der vielen Gäste, ihre Gespräche und das Geschirrklappern formten sich zu einer unangenehmen Dauerbeschallung. Sie wünschte sich weit weg von hier und fragte sich gleichzeitig, wieso die Leute bei solch einem Wetter ausgerechnet nach Worpswede kommen und ins Café gehen mussten. An beinahe jedem anderen Ort wäre Ennes jetzt lieber gewesen als ausgerechnet hier.
Die anderen ließen sich vermutlich gerade die Sonne auf den Bauch scheinen und planten derweil schon den nächsten gemeinsamen Abend ...
Bei dieser Clique war eigentlich alles möglich, und manchmal wusste Ennes selbst nicht recht, ob sie über deren Einfälle lachen oder weinen sollte. Aber wenigstens hatte sie in ihnen ein paar Gleichaltrige gefunden, die ebenso wie sie gerade irgendwie in diesem seltsamen Zwischenstadium hingen - zwischen Schule und Ausbildung, dem relativ unbeschwerten Dasein als Heranwachsende und dem ‘Ernst des Lebens’ also, wie man so schön sagte.
Erst vorgestern hatte besagte Clique bei Samo's Vater die Kühe von der Weide getrieben, einfach so, aus einer Laune heraus, und die ganze Nacht über kichernd in den Büschen gelegen.
Den Bauern dabei zuzusehen, wie sie die aufgeregten Rinder von der Straße zu treiben suchten, hatte natürlich einen gewissen Unterhaltungswert ...
Was sollte man auch sonst in dieser gottverlassenen, ländlichen Gegend tun, um sich die Zeit zu vertreiben? Der Gruppe war beinahe jedes Mittel der Ablenkung recht.
Die nächste, erreichbare Stadt lag von hier aus 1,5 Stunden, die nächste Disco auch noch eine halbe Stunde Busfahrt entfernt, und nachts kam man im Grunde überhaupt nicht mehr weg.
Man musste sich also schon etwas einfallen lassen, um Spaß zu haben ...
'Hey, Tisch 13 wollte zweimal Buchweizentorte und zwei Kaffee, was ist damit?', rief ihre gut aussehende Kollegin jetzt mit professionell aufgelegter Leichtigkeit herüber. Ennes konnte trotzdem die darunterliegende Spannung in Jelinas Stimme wahrnehmen. Also setzte sie ihr missmutiges ‘Ihr-könnt-michalle-mal’- Gesicht auf und machte sich widerwillig daran, den Kuchen auf die Teller zu befördern.
In diesem Café hatte alles seine ganz spezielle, sorgfältig zu beachtende Ordnung. Ihre Chefin hatte ihr diese unumstößlichen, unbedingt einzuhaltenden Regeln gleich von Anfang an eingetrichtert: der Becher Kaffee musste mit der Untertasse auf ein Spitzenpapier drapiert und kunstvoll von zwei eingepackten Keksen, sowie von zwei Zuckertütchen mit dem Emblem des Cafés NEO und einem Löffel eingerahmt sein, der sich immer an einer bestimmten Stelle auf der rechten Seite zu befinden hatte, genau im 45-Grad-Winkel zum Becher.
Wie konnte man nur solchen Lappalien solch eine große Bedeutung beimessen!
Diese eigenartige Welt der peinlichst besorgten, beruflichen Ausübung verstand Ennes nicht, und eigentlich wollte sie so etwas Absurdes auch gar nicht verstehen. Nichts erschien ihr unwichtiger zu sein, als das Servieren eines Kaffees...
Mit finsterem Blick vermerkte sie das Fauchen der großen Profi-Maschine, die das gewünschte Heißgetränk jetzt dramatisch aufbrühte, um es anschließend in die bereitgestellten Becher zu spucken.
Die dahinter befindliche Spiegelwand warf ihr ein verzerrtes Bild ihrer Selbst zurück: Ennes, fast zwanzig Jahre, mit glatten, tiefschwarzen, langen Haaren und einem bleichen, rundlichkindlichen Gesicht, etwas zu klein, etwas zu pummelig. Der abweisende Blick ihrer graublauen Augen immerhin warnte jeden davor, sie niedlich zu finden oder gar übertrieben freundlich anzusprechen.
Hinter der Theke fühlte sie sich am sichersten. Den Kontakt zum Publikum überließ sie lieber anderen. Ennes hatte keine Lust auf diesen sinnlosen Smalltalk, den man als Bedienung zu führen hatte. Das lag ihr überhaupt nicht.
Auch heute trug sie ausschließlich schwarze Klamotten, so wie immer. Doch das fiel nicht weiter auf, da die große Schürze vom NEO mit ihrem alles bestimmenden, dunklen Cappuccinobraun ihren Körper sowieso ganz überdeckte.
Die zahlreichen Piercings hatte sie für den Job vorsorglich aus Nase und Lippe entfernt. Ennes mochte es nicht, wenn die Leute sie anstarrten. In Bremerhaven war sie damit nicht weiter aufgefallen, aber hier gehörte sie zu denen, die anscheinend mit ihrem Äußeren als Randgruppe vermerkt und beurteilt wurden.
Klar, hier lebten ja auch nur Landeier. Die waren anscheinend alle noch nicht weit rumgekommen ...
Immerhin hielt Ennes nun schon die zweite Woche in diesem Café aus. Ihr war natürlich auch klar, dass der alberne, geringfügig bezahlte Job das Einzige war, womit sie nur etwas Zeit gewann und den Sommer somit um ein Geringes zu verlängern vermochte, um all die anstehenden, unangenehmen Entscheidungen eine Weile auf Abstand zu halten...
Ihre Kollegin Jelina kam jetzt zu ihr hinter die Theke. Der süßliche Duft ihres Parfüms wehte aufdringlich in Ennes’ empfindliche Nase.
'Frau Wellbrück meinte, auf den Milchkaffee gehört mehr Schaum. Und sie hat uns das hier mitgebracht’, teilte sie ihr mit einem verschwörerischen Augenaufschlag mit, und präsentierte eine kleine Schachtel.
Ennes bedachte sie mit einem scheuen Blick.
Jelina hatte ihre nussbraunen Haare heute kunstvoll hochgesteckt, die Augen perfekt geschminkt, und sie trug immer solch aufwendig gestaltete Spitzenblusen.
Sie war im Grunde nur um einige Jahre älter als sie, bewegte sich jedoch mit ungleich mehr Leichtigkeit in dieser absurden Arbeitswelt. Im Gegensatz zu den anderen scherte Jelina sich außerdem überhaupt nicht um den abweisenden Ausdruck auf Ennes’ Gesicht, der alle anderen automatisch auf Abstand gehen ließ.
'Schablonen für den Kakao, Herzchen, Blümchen und so’, zeigte Jelina ihr ungefragt den Inhalt des Schächtelchens. Sie kicherten. Ennes verzog das Gesicht. 'Die Chefin macht aber auch jeden Scheiß mit, oder?'
'Immer an der Verbesserung arbeiten, und mindestens so gut sein wie die anderen', zitierte Jelina und erhob den Zeigefinger mit komisch verzogenem Gesicht. Sie konnte die Inhaberin des NEO wirklich hervorragend nachmachen.
Ennes schmunzelte verlegen.
‘Du hast echt schöne Haare’, fand Jelina und zupfte in einer unerwartet vertraulichen Geste an Ennes’ langen Strähnen. ‘Mit etwas mehr Volumen vielleicht und in Stufen geschnitten ...’
‘Lass mal’, wehrte Ennes ab, deren Gesicht sich augenblicklich verschloss. ‘Ich finde es gut so, wie es ist.’
Jelina lächelte nachsichtig und griff nach der fertig angerichteten Bestellung, um sie auf das Tablett zu befördern.
In diesem Moment klingelte das Telefon.
Sie tauschten einen fragenden Blick, als Jelina auch schon nach dem Hörer griff. Eigentlich rief auf diesem Telefon so gut wie nie jemand an, und wenn, dann war es die Chefin.
Das Gesicht ihrer Kollegin veränderte sich jedoch nun schlagartig. 'Deine Mutter ist dran’, erklärte sie alarmiert und hielt Ennes den Hörer hin. ‘Sie sagt, es sei ein Notfall!'
Ennes fuhr unmittelbar der Schreck in die Glieder.
Sie hielt unmittelbar die Luft an, als sie ranging.
‘Ja?’
'Ennes, du hörst mir jetzt ganz genau zu!', erscholl die grimmige Stimme ihrer Mutter barsch am Ohr. Ennes atmete aus. Gott sei Dank, ihr ging es anscheinend also gut..
'Ein Kollege meldete eben, dass bei Viehspecken ein junger Mann kopfüber von der Brücke hängt’, so informierte Katharina Grotheer ihre Tochter mit vor Ärger erhobenem Tonfall. ‘Er kann sich offensichtlich nicht selbst aus dieser Lage befreien. Wenn du irgendetwas mit diesem Unsinn zu tun hast, dann kümmerst du dich auf der Stelle darum! Ich will in einer Viertelstunde von dir den Anruf, dass du das Problem gelöst hast, sonst sind meine Kollegen vor Ort. Länger kann ich sie nicht davon abhalten.'
Ein deutliches Knacken in der Leitung beendete das Gespräch.
Ennes stand da, wie vom Donner gerührt.
In ihrem Kopf arbeitete es.
'Was ist?', fragte Jelina besorgt.
'Ich, ehm, ich fürchte, ich muss eben kurz weg. Kannst du so lange die Stellung halten?'
Die perfekt geschminkten, geschwungenen Augenbrauen schnellten nach oben. 'Jetzt?? Aber für wie lange denn?'
'Eine Stunde ...’, vermutete Ennes zögernd. ‘Ich erklär es dir später.'
Jelina ließ ihren Blick über das volle Café wandern, sie schien alles andere als begeistert.
Ennes befreite sich mit einer hastigen Bewegung von der braunen Caféschürze und erinnerte sich im selben Moment daran, dass sie ja mit dem Bus gekommen war, weil ihr Fahrrad einen Platten hatte. Wenn sie in einer Viertelstunde bei der besagten Brücke sein wollte, brauchte sie unbedingt ein Auto.
'Kann ich deinen Wagen haben?'
Jelina setzte eine abweisende Miene auf. 'Nee du, der ist gerade erst repariert worden ...'
'Du hast was gut bei mir', drängelte Ennes. 'Ich übernehme deine nächste Wochenendschicht oder was immer du willst!'
Sie blickte Jelina flehend an.
Ihre Kollegin seufzte endlich, wühlte genervt in ihrer Handtasche und fand den Schlüssel. 'Gut, hier. Aber mach, dass ich das nicht bereue. Und über die Schichtverteilung denke ich nach.' Sie hob warnend den Finger.
Doch das Letzte hörte Ennes schon nicht mehr, denn sie sprintete bereits los. Fluchend fuhr sie den gelben Twingo aus der Parklücke, wäre fast in einen der ankommenden Wagen gerasselt, wendete, gab Gas.
Viel zu lange schien es ihr zu dauern, bis sie aus dem Gewühl in Worpswede heraus kam und endlich Fahrt aufnehmen konnte.
Viehspecken war eine ganze Ecke von Worpswede entfernt.
Das zeitliche Ultimatum war eigentlich kaum zu schaffen.
Die flache Landschaft aus Feldern und Wiesen breitete sich vor ihr aus, dass Ennes unmittelbar das Gefühl hatte, durchatmen zu können. Die Heerscharen von Insekten flirrten über den Wiesen rechts und links der Straße.
Sie mochte diese platte Landschaft und den weiten Blick in die Ferne. Die Höfe standen hier verstreut und weit auseinander.
Sie musste die Schnellstraße entlang, durch Hüttenbusch hindurch und kurz vor Ostersode abbiegen, dann die Landstraße vorbei an der Ostersoder Mühle bis zu dem abseits gelegenen, gutbürgerlichen Gasthof, der sich direkt neben der Brücke in einer geschwungenen Kurve befand.
Das rote Ziegelsteingebäude des alten Gasthofes lag ruhig und ohne irgendeine Auffälligkeit an der Straße. Auf den ersten Blick wirkte hier alles normal ...
Sie brachte den Twingo direkt am Brückengeländer zum Stehen und schaltete das Warnblinklicht ein.
Ennes lehnte sich über die Brüstung und versuchte etwas zu erkennen. Unter ihr spiegelte die glatte Wasserfläche der Hamme den Himmel mit einzelnen Wolken, und davor ihre eigene Silhouette am Geländer wider.
Von unten vernahm sie jetzt ein Stöhnen.
'Hey!', rief Ennes. 'Samo, bist du das?’
So etwas Ähnliches wie ein Grunzen drang zu ihr herauf.
Ennes lehnte sich noch weiter vor, und dann sah sie ihn: Samo, der kopfüber an der Brücke herabhing, mit den Füßen an ein Seil gebunden!
'Samo! Zum Teufel, was machst du da?', rief sie.
Dann bewegte sich das Wasser auf einmal, zog Kreise, und von unten ertönte nun noch eine andere Stimme: 'Hallo da oben, wir können leider auch nicht viel machen. Die Feuerwehr haben wir schon gerufen.'
Ein Paddelboot tauchte unter der Brücke auf, und das freundlich-besorgte Gesicht eines älteren Mannes, der da zusammen mit seiner Frau in einem Kanu saß, blickte zu ihr auf.
'Wir reden dem jungen Mann schon die ganze Zeit über gut zu', erklärte er sichtlich mitgenommen.
'So lange können wir aber nicht warten', gab Ennes eilig zurück, und fand nun auch den Knoten an einem der Metallpfosten des Geländes. Aber Samo war ein Schwergewicht. Es war absolut unmöglich für sie, ihn allein hochzuziehen.
In diesem Moment bog einer dieser großen Trecker um die Kurve. Sie sprang auf die Straße und winkte. Der Fahrer drosselte die Geschwindigkeit und hielt endlich neben ihr an.
Ennes trat hoffnungsvoll an das Führerhaus.
'Haben Sie eine Seilwinde, ein Seil, irgendetwas, um jemanden hochzuziehen?', fragte sie atemlos gegen das laute Dröhnen des Motorengeräuschs.
'Wieso das denn?' Ein wettergegerbtes Bauerngesicht neigte sich ihr von oben entgegen, dahinter tauchte dasselbe Gesicht in etwas jüngerer Ausführung auf. Es waren vermutlich Vater und Sohn.
'Da hängt jemand an der Brücke. Ich glaube, er müsste schnell hochgezogen werden’, so erklärte sie drängend.
Der ältere der beiden stieg aus und ließ sich von ihr ans Brückengeländer führen.
'Oha', bestätigte er ihre Einschätzung. 'Das sieht aber nich so gut aus.' Er nickte dem jüngeren, sich das mal anzusehen.
‘Das schaffen wir doch so', entschied der Sohn großspurig.
Gemeinsam packten sie das Seil und zogen daran. Ihre Köpfe wurden rot, die Muskeln an den Armen traten hervor und langsam, sehr, sehr langsam bewegte sich Samos Körper, kopfüber, so wie er eben hing, zu ihnen nach oben.
'Halt durch!', rief sie ihm zu.
'Hmpf', machte Samo.
Endlich tauchten seine Füße neben dem Geländer auf.
Der Sohn umfasste Samo’s Knöchel und es gelang, den übergewichtigen Kerl über die Brüstung zu ziehen. Ennes packte mit an.
Samo’s Gesicht war rot angelaufen. Er sah gar nicht gut aus.
Sie befreiten ihn von dem Seil und setzten ihn mit dem Rücken gegen das Geländer. Samo japste. Offensichtlich hatte er in kopfüber nicht besonders gut Luft bekommen.
'Ist denn alles ok mit ihm?', rief es von unten.
'Ja', rief Ennes gestresst zurück. 'Alles in Ordnung danke!'
Samo sah sie mit einem komischen Blick an. 'Gewonnen!', japste er. ‘Fette Aktion, jetzt bin ich der Held.’
'Du bist ein solcher Idiot', schimpfte Ennes sofort los. 'Wenn ich nun zu spät gekommen wäre? Du hättest dich umbringen können, du Idiot!'
'Wieso, der Strick war ja nicht um meinen Hals', spottete ihr Kumpel offenbar amüsiert über die Aufregung. 'Hast du wenigstens nen Foto gemacht?'
Die beiden Bauer saßen erschöpft und kopfschüttelnd gegen das Geländer gelehnt neben Samo auf dem Boden.
'Wie heißt du, Junge?', wollte jetzt der alte Bauer wissen.
'Tietjen', stellte sich Samo vor und reichte selbstbewusst seine rechte Pranke. 'Dankeschön fürs Hochziehen.'
Der Bauer musterte den dicklichen jungen Mann mit den rötlichen, krausen Haaren und dem runden Gesicht nun eingehender.
'Ach, der Sohn vom Klaus Tietjen? Na. Er sagte schon, in diesem Sommer hättest du Flausen im Kopf. Warst du nicht auch der mit den Kühen?'
'Nee, das war ich nicht', wehrte Samo sofort großspurig ab, als gäbe es keinen abwegigeren Gedanken.
'Naja. Deine Freundin hat dann wohl alles im Griff', stellte der Sohn nun fest, der nur verständnislos den Kopf über Samo schütteln konnte. 'Lass uns weiter fahren, Papa.' 'Hm.'
Sie standen auf und klopften sich den Dreck von der Hose.
Fast zeitgleich mit ihrem Abgang kam nun allerdings auch schon die Polizei angefahren, dann die Feuerwehr, schön mit Blaulicht und Sirene, dem ganzen Programm ...
Ennes hätte sich am liebsten in irgendeinem Loch verkrochen.
'Weichei', wies Samo sie zurecht und grinste schon wieder amüsiert. 'Das ist doch der Hauptspaß, mal hier alles aufzumischen! Sonst passiert hier doch nix.'
Ennes schüttelte nur den Kopf. 'Und was sollte das Ganze?'
'Benny sagte, ich mache das nicht, mich an einer Brücke aufzuhängen’, beschwerte sich Samo mit empörtem Gesichtsausdruck. Er konnte sein weiches Gesicht in erstaunliche Falten legen, und dann sah er wirklich urkomisch aus. ‘Ich war echt stinkig’, ließ er sie wissen,‘und hab sie weggeschickt. Naja und dann ... auf dem Weg nach Hause kam ich ja eh hier vorbei.
Ich dachte, wenn ich’s gleich erledige, dann hab ich's hinter mir.'
'Du bist ein solcher Idiot', wiederholte Ennes genervt. 'Nach so einer Nacht! Hättest du nicht wenigstens damit warten können, bis du wieder nüchtern bist?'
Samo grinste. 'Dann hätt ich mich aber nicht mehr getraut.
Außerdem hab ich gar nicht vor, auch nur einen Tag in diesem Sommer nüchtern zu sein.'
Die Einsatzkräfte des Rettungswagens eilten nun auf die beiden zu. 'Wir haben Meldung, dass jemand von der Brücke hängt ...',
begann der eine.
'Ein Missverständnis', beeilte sich Ennes schnell zu erklären, sprang auf und wollte Samo aufhelfen. Doch der blieb einfach mit dramatischem Gesichtsausdruck sitzen. Offenbar wollte er die Zuwendung der Sanitäter nun auch voll auskosten, wo sie schon mal da waren.
Der eine Sanitäter setzte seinen Erste-Hilfe-Koffer ab und hockte sich vor Samo nieder, während der andere in sein Funkmikrofon sprach und die Zentrale von ihrer Ankunft unterrichtete.
'Ich werde Sie zur Sicherheit auf jeden Fall durchchecken’, erklärte der Erste nun mit professioneller Entschiedenheit.
‘Halten Sie mal still.'
Samo schwitzte und hatte noch immer einen hochroten Kopf.
Aber er war brav, ließ sich ansehen und den Blutdruck messen.
Offenbar fehlte ihm nichts, außer dass seine Knöchel schmerzten. Nun kam auch noch die Polizei hinzu.
Die Beamten musterten die beiden jungen Leute skeptisch.
'Sie sind also die Tochter von Katharina Grotheer?', wollte der eine sofort von Ennes wissen. Jetzt wurde es unangenehm ...
'Alles unter Kontrolle?', fragte der Beamte.
Ennes nickte verlegen.
'In Ordnung. Ihre Mutter bat uns, in diesem Falle ein Auge zu zu drücken und keine Meldung zu machen. Da offensichtlich keiner geschädigt worden ist, wollen wir auch mal nicht so sein. Aber das nächste Mal geht das nicht einfach mit einem Anruf zu regeln, verstanden?' 'Ja, verstanden’, kam es ihr mühsam über die Lippen. Sie senkte den Blick.
Sie hasste es, wenn Ordnungshüter wie der hier sie so durchdringend anstarrten.
Nun wandte der sich an Samo. 'Samuel Tietjen, hm?'
Samo durfte aufstehen.
'Ihm fehlt nichts. Aber er hat wohl getrunken', informierte der Sanitäter. Der Polizist verschränkte die Arme.
'Ich begnüge mich mit einer mündlichen Verwarnung, Herr Tietjen', ließ er Samo wissen. 'Aber ab sofort haben wir ein Auge auf Sie. Also. Lassen Sie sich von ihrer Freundin nach Hause bringen und treten Sie in Zukunft etwas kürzer. Für solchen Schabernack rücken wir ungern aus. Den Polizei- und Feuerwehreinsatz zahlen Sie aus eigener Tasche, damit das klar ist.' 'Jawoll Herr Wachtmeister', erwiderte Samo frech und salutierte.
Der Polizist schien verärgert, aber Ennes schob sich sofort vor ihren Kumpel. 'Tut mir leid. Er ist noch immer betrunken, fürchte ich', nahm sie ihn schnell in Schutz.
'Sorgen Sie dafür, dass er nichts mehr anstellt. Gruß an Ihre Mutter.' Polizei und Feuerwehr rückten ab.
Um sie herum standen mittlerweile neugierige Leute. Aus dem Gasthof und der nahen Schrebergartenkolonie waren einige zu Fuß gekommen, um zu sehen, weshalb die Behörde überhaupt angerückt war.
'Lass uns abhauen', drängte sie Samo hastig und hakte ihn unter. Er humpelte stark, als sie ihm nun zum Auto half, aber grinste dennoch dabei übers ganze Gesicht.
‘Gib zu, das war ein fetter Großeinsatz aus Feuerwehr und Polizei!’, fand er voller Stolz. ‘Das soll mir mal einer nachmachen!’
‘Ja toll’, kommentierte Ennes trocken. ‘Und das alles darfst du schön selbst bezahlen.’
‘Nö, das muss mein Pa machen’, nuschelte Samo ungerührt.
Er ließ sich von ihr in den gelben Twingo bugsieren, und Ennes war froh, als sie ihn endlich wieder in seiner Wohnung und dort aufs Sofa verfrachtet hatte. Sie rief Kimberly an, auch eine von ihrer Clique, mit der Bitte, später nach ihm zu sehen. Die reagierte erschrocken und versprach, gleich zu kommen. So konnte Ennes wenigstens endlich wieder guten Gewissens zu ihrer Arbeit zurückkehren ...
Es war neun Uhr abends und draußen noch hell, als Ennes endlich nach Hause zurückkam.
Das weiß getünchte Eckhaus am Ende der Meinershagener Straße, in dem sie eine Dachgeschosswohnung angemietet hatten, gehörte bereits zu Findorf. Es stand jedoch etwas für sich, mit einem kleinen Hof direkt an der Kreuzung zwischen Findorf und Nordsode, und von den Fenstern oben hatte man einen weiten, unverstellten Blick über die Weiden bis hinüber zum Pferdehof, wo Kimberly wohnte.
Es gab keine direkten Nachbarn, und die Vermieter waren selten da. Das waren zumindest schon einmal ganz passable Voraussetzungen dafür, um sich unbeobachtet und frei bewegen zu können - besser als in einem Mehrparteienhaus in der Stadt, so wie es in Bremerhaven gewesen war.
Ennes schloss die Eingangstür so leise auf, wie es nur irgend ging, in der Hoffnung, ihre Mutter würde wie so oft auf dem Sofa eingeschlafen sein und nicht bemerken, wie ihre Tochter hinein- und wieder hinausschlüpfte.
Aber heute wurde Ennes nicht gerade vom Glück verfolgt.
'Ennes!', rief es scharf aus der Küche.
'Ich muss gleich wieder weg, die anderen warten auf mich', rief Ennes eilig zurück und wollte gleich in ihr Zimmer.
'Die können warten. Wir werden jetzt zu Abend essen und uns ernsthaft unterhalten!'
Ihre Mutter erschien im Türrahmen. Sie war eine relativ kleine, kräftige Person, aber dennoch durchaus eine eindrucksvolle Erscheinung.
Sie schien noch nicht lange zu Hause zu sein, denn sie trug noch immer ihre Polizeiuniform. Ihre hellbraunen Haare waren streng zurückgekämmt und in einem knappen Pferdeschwanz zusammengehalten.
In diesem Moment wirkte sie hochoffiziell und Respekt einflößend, als sie entschlossen ankündigte: 'Wir essen jetzt zusammen, junge Dame, und dabei unterhalten wir uns!'
Ennes verdrehte genervt die Augen. 'Oh, bitte! Ich bin aus dem Alter raus, wo man sich Gardinenpredigten anhören sollte.'
'Wirklich? Verhältst du dich auch danach?'
Ennes seufzte. 'Essen will ich jetzt auch nichts.'
'Wie gesagt, siehe Aussage zuvor: essen, unterhalten!'
Ihre Mutter war keine Frau der umständlichen Rede. Bei ihr saßen die Worte und sie wiederholte sich nicht gern.
'Ok', gab Ennes nach, 'aber nur kurz.'
'Es dauert so lange, wie es eben dauert', stellte ihre Mutter streng fest. 'Deine feinen Freunde können warten. Und wenn du nicht schon zu alt dazu wärst, würde ich dir jetzt Hausarrest verpassen.'
'Ich bin längst volljährig', erinnerte ihre Tochter sie finster.
'Ich weiß. Auf irgendeinem Papier steht das wohl. Allein, mein keinesfalls beschränkter Verstand kann noch nicht begreifen, was diese Tatsache mit der Realität und mit dir zu tun haben soll. Hier.' Mit unmissverständlicher Geste drückte sie ihrer Tochter zwei Teller und Besteck in die Hand.
'Setzen wir uns.'
Ihre Mutter folgte mit der Auflaufform und stellte diese mit Nachdruck auf den Tisch. 'Setzen', wiederholte sie warnend.
Ennes wusste, es machte keinen Sinn mit ihr zu diskutieren.
Was jetzt kam, war ohnehin unausweichlich.
Also seufzte sie und folgte gehorsam.
Der Nudelauflauf war von vorgestern. Er war mal wieder irgendwann zwischen den Polizeieinsätzen entstanden und wurde heute bereits zum zweiten Mal aufgewärmt.
Ennes kostete und verzog das Gesicht.
'Die Nudeln sind trocken', bemerkte sie, nur um irgendetwas Unverfängliches zu sagen. Natürlich war es wieder das Falsche.
Ihre Mutter ließ die Gabel sinken und musterte ihre Tochter mit mahnendem Blick. 'Du hättest gerne etwas Neues kochen können, meine Liebe. Ich glaube, dein Job in dem Café sollte dir das nötige Kleingeld dafür ebenso bescheren, wie auch die angemessene Zeit dafür lassen.'
Sie machte eine bedeutsame Pause und startete dann das Verhör: 'So, und nun zur Sache: wer war das, der da an der Brücke hing, Samuel Tietjen?'
Ennes kaute und versuchte etwas Zeit zu gewinnen.
Aber ihre Mutter hatte eine Art sie anzublicken, die ihr eine Idee davon vermittelte, wie sich wohl ein Verdächtiger bei einem Verhör fühlen musste, wenn er ihr gegenüber saß.
'Ja', gab Ennes zu.
'Ist er ok?', wollte ihre Mutter knapp wissen.
'Ich hatte Hilfe von zwei Bauern. Er hing wohl noch nicht so lange dort.'
Ihre Mutter ließ sich auf ihrem Stuhl zurückfallen und schüttelte den Kopf. 'Ich verstehe das nicht. Warum macht er das? Du weißt, ich kann deinen Freund gut leiden. Aber solche Aktionen verstehe ich einfach nicht.'
'Na, es war wieder eine von diesen Wetten ...'
'Das musst du mir nicht sagen', wehrte ihre Mutter ärgerlich ab.
'Und auch nicht, dass er sowas ohne diese Clique wohl kaum tun würde. Ihr kommt auf Ideen!'
Ennes seufzte. 'Ich fand es ja auch blöd.’
Doch ihre Mutter ließ sich nicht so leicht beschwichtigen.
Sie fuhr im strengen Tonfall fort: 'Er kann sich dabei bleibende Schäden zuziehen, Ennes. Es ist nicht gesund, kopfüber zu hängen. Und was, wenn er nicht so bald gefunden worden wäre? Von der Straße aus sieht das doch kein Mensch, wenn da jemand unter der Brücke hängt!'
'Ja, ich weiß. Hab ich ihm auch schon alles gesagt. Wirklich.'
Ihre Mutter musterte sie. Ihre ganze Haltung drückte abgrundtiefe Missbilligung und Unverständnis aus.
'Weißt du, als du gesagt hast, dass du etwas Zeit brauchst für dich, erst mal jobben und nicht gleich die nächste Ausbildung anfangen willst, da fand ich das keine schlechte Idee. Aber da war noch keine Rede von dieser Clique. Und da war auch noch keine Rede davon, dass wir fast alle zwei Tage von irgendwelchem Unsinn zu hören bekommen. Mittlerweile ziehe ich schon bei jeder Meldung, die in diese Richtung geht, den Kopf ein.'
Ennes blickte verlegen nach unten.
'Ennes, sieh mich an!', forderte ihre Mutter streng. 'Herrgott, du bist jetzt beinahe 20 Jahre alt! Du solltest besser darüber nachdenken, was aus dir werden könnte! Ich kann dich nicht ewig durchfüttern. Das geht nicht immer so weiter. So toll ist mein Gehalt nun wirklich nicht, verstehst du?'
'Jaaaa', erwiderte Ennes lang gedehnt. 'Ich verdiene doch schon dazu ...' 'Ein 400-Euro-Job. Das ist jetzt hoffentlich nicht der Plan für dein ganzes Leben, oder?'
'Nein, aber es ist jetzt Sommer’, maulte Ennes schlecht gelaunt.
‘Alle haben Ferien. Lass mich diesen Sommer doch einfach noch mit den Fragen in Ruhe. Bis zum Herbst lass ich mir was einfallen.'
‘Bis zum Herbst also?' Der Blick ihrer Mutter war mehr als skeptisch. 'Wann fängt denn der Herbst offiziell für meine Tochter an?' 'Na, September, oder Oktober so', erwiderte Ennes unwillig.
'Gut. Dann erinnere ich dich also im September, dass du mit Denken anfangen wolltest.'
Ennes schickte sich an, aufzustehen.
'Wir sind noch nicht fertig. Sitzenbleiben', befahl ihre Mutter.
'Was denn noch?', entgegnete Ennes ärgerlich.
Ihre Mutter beugte sich vor. Sie hatte graue, undurchdringliche Augen. Und mit denen konnte sie einen förmlich durchbohren, wenn sie das wollte.
'Weißt du, dass ich mittlerweile immer sofort unterrichtet werde, wenn irgendein Schabernack in der Gegend passiert? Weißt du, wie peinlich mir das ist? Der Blick von meiner Chefin ist bereits entsprechend.’ In einer ärgerlichen Geste strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. ‘Glaubst du im Ernst, ich werde die längst überfällige Beförderung erhalten, wenn meine Kollegen den Eindruck haben, dass ich nicht einmal meine eigene Tochter unter Kontrolle habe?'
Die Beförderung, natürlich. Die war schon so lange im Gespräch, und sie war im Falle ihrer Mutter auch schon mehr als überfällig.
Ennes hatte eigentlich nicht geglaubt, dass die Scherze und Wetten ihrer Freunde in irgendeiner Weise den beruflichen Werdegang ihrer Mutter in Frage stellen konnten.
'Das tut mir ehrlich leid', erwiderte sie zerknirscht.
Ihre Mutter musterte sie prüfend und erwiderte dann etwas sanfter. 'Gut. Das kaufe ich dir sogar ab. Du bist alt genug, Ennes, darum sag ich dir das jetzt nur noch dieses eine Mal in aller Deutlichkeit: ihr seid volljährig! Ihr alle könnt für diese Dinge ganz regulär angezeigt und vor Gericht gebracht werden.
Und dann bleibt das unwiderruflich in eurem Lebenslauf. Kein Ausbilder und kein Arbeitgeber steht darauf, junge Leute in seinen Betrieb zu nehmen, die nur Unsinn im Kopf haben.
Werdet endlich erwachsen!'
Ihr Diensthandy meldete sich. Sie zog es aus der Tasche und seufzte. 'Ja. Da muss ich wohl zurück in die Wache. Wir sind mal wieder ziemlich unterbesetzt.'
Sie erhoben sich, und Ennes wollte sich schon erleichtert abwenden, um in ihr Zimmer zu gehen, doch ihre Mutter kam um den Tisch und hielt sie mit festem Griff am Arm zurück.
'Ennes, verpank es nicht! Wir hatten uns auf einen Neubeginn geeinigt, wie du dich vielleicht erinnerst. Es sollte eben nicht sein, dass du Zimmerfrau wirst. Aber es gibt doch noch sehr viel mehr Möglichkeiten! Gegen ein wenig Spaß ist ja nichts einzuwenden. Dass die Leute hier ein großes Herz haben, das ist wirklich euer Glück. Aber ihr solltet euch nicht dauerhaft darauf verlassen. Beim nächsten Mal läuft alles mit offizieller Meldung, Anzeige und regulärem Strafvollzug. Mach das auch den anderen klar. Die Schonzeit ist vorbei.'
'Jaaaa....' Ennes blickte zur Seite. Sie hasste es, wenn sie so in die Enge getrieben wurde.
'Gut.' Ihre Mutter ließ sie los und stellte sich mit prüfendem Blick vor den Flurspiegel. 'Wie seh ich aus?' 'Ganz ok.'
Ennes sah auf, als ihre Mutter zur Tür hinaus wollte.
'Pass auf dich auf’, bat sie etwas unbeholfen zum Abschied.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht von Katharina Grotheer. 'Mach ich.'
Dann schlug die Tür zwischen ihnen zu.
Ennes hatte das unmittelbare Bedürfnis, ihr nachzusehen. Sie öffnete das Küchenfenster und beobachtete ihre Mutter dabei, wie sie unten im Hof in ihren dunkelblauen Golf stieg und davonfuhr.
Sie spürte unmittelbar dieses unangenehme, beklemmende Gefühl, welches sich immer ihrer bemächtigte, wenn sie zurückgelassen wurde. Es war etwas, was Ennes nicht wirklich greifen konnte, sie hatte keine Worte dafür. Aber seit sie sich erinnern konnte, hatte sie Angst um ihre Mutter, sobald diese das Haus verließ.
Sie waren hier auf dem Lande, an der Grenze zwischen dem Rotenburger, Cuxhavener und Worpsweder Landkreis.
Aber auch hier gab es Irre. Und auch hier gab es Betrunkene, die sich von einer kleinen Polizistin nichts sagen lassen wollten.
Nachdem ihre Mutter in Bremerhaven während ihres Streifendienstes von einem betrunkenen Kerl mit Messer angegriffen und gefährlich verletzt worden war, hatten sie gemeinsam beschlossen, einen Neuanfang zu starten ...
irgendwo auf dem Lande, wo es ruhiger wäre, wo es weniger Drogenprobleme gab, und wo die Polizeiarbeit weniger risikoreich wäre. Im Grunde war dies mehr so der letzte Anlass, welcher als Letzter zu einer ganzen Reihe von Gründen hinzukam, um diesen Schritt nun wirklich zu tun. Denn auch Ennes hatte versprechen müssen, sich ebenfalls um diesen Neuanfang zu bemühen.
Ihre Mutter im Krankenhaus besuchen zu müssen und zu begreifen, dass diese um ein Haar im Bruchteil eines Augenblicks für immer aus ihrem Leben gerissen worden sein könnte, hatte sie wachgerüttelt. Nein. Polizistin würde Ennes auf jeden Fall schon mal nicht werden.
Sie schüttelte die unangenehmen Gedanken ab und beeilte sich, um endlich zu den anderen zu kommen.
Alle anderen waren schon da.
Offenbar hatte gerade jemand einen Scherz gemacht, jedenfalls brüllte die Gruppe gerade lauthals vor Lachen, als Ennes herein kam.
Sie drückte sich in die Seite des riesigen, zerschlissenen Sofas, auf dem die Bande dicht beisammensaß, und ihre Ankunft wurde mit einem kaum merklichen Nicken zur Kenntnis genommen.
Die meisten der Clique waren etwas jünger als sie, so siebzehn und achtzehn Jahre, und befanden sich gerade auf der Schwelle zwischen Schulbildung und der Entscheidung, was sie aus ihrem Leben machen sollten. Sie alle teilten das gleiche Gefühl: als verbrächten sie zusammen den letzten Sommer in Freiheit.
Danach, so empfanden sie alle es, danach war das Leben für immer vorbei. Denn dann würde man seine ganze Kraft in irgendeiner Ausbildung verpulvern müssen und hätte keine Zeit mehr, um stundenlang mit der Clique abzuhängen, so wie jetzt.
Umso mehr waren sie bereit, aus diesem Sommer alles herauszuholen, was nur möglich war.
Benny und Nick, die Zwillinge, die man nie einzeln antraf, waren die Verrücktesten und Ausgelassensten dieser Clique und schienen sowieso ständig etwas auszuhecken. Mit ihrer blonden Naturburschen-Erscheinung fielen sie überall auf und erfreuten sich großer Beliebtheit, ganz besonders bei den Mädels.
Bastian, ein eigentlich schmaler und eher unscheinbarer Junge, mit zur Seite geföhnten, hellbraunen Haaren, erschien nie ohne die neuesten trendy Klamotten. Er schien nur sein optimales Styling und seine Freundin Denise im Kopf zu haben. Ennes fragte sich manchmal, wie der wirkliche Bastian wohl ohne dieses ganze modische Drumherum aussah.
Denise wiederum war ein typisches Mädchen Marke ‘Prinzessin’.
Sie probierte ständig neue Haarfarben aus, wirkte irgendwie immer frisch zurechtgemacht, und machte ständig allen klar - egal ob die es wissen wollten oder nicht - dass sie auf jeden Fall etwas Besseres für sich wollte, als das langweilige Leben auf dem Lande.
Ennes mochte sie nicht. Mit Denise konnte man kaum ein normales Wort wechseln.
Da kam Ennes schon besser mit Kimberly klar, einem ziemlich burschikosen, kräftigen Landmädchen aus dem unmittelbaren Nachbardorf Nordsode, ein richtiger Kumpeltyp mit knallrot gefärbtem Stoppelputz.
Und, naja, dann war da noch Samo...
Samo hielt diesen seltsamen Haufen irgendwie zusammen.
Er besaß diese friedliche, harmlose Art, die immer etwas Beruhigendes an sich hatte und dafür sorgte, dass sich die Gruppe gern bei ihm versammelte. Natürlich war es auch förderlich, dass er auf dem Hof seines Vaters eine eigene, kleine Wohnung besaß, wo er machen konnte, was er wollte. Das hatte er allen anderen voraus.
Wen störte es schon, dass diese Wohnung in einem umgebauten Schuppen und direkt neben dem Kuhstall lag.
Samo war bei allen beliebt.
Er war sozusagen der gutmütige, ruhende Pol, der jede Art von Missstimmung und Streitigkeit wieder ins Gleichgewicht brachte. Seine dickliche Erscheinung, das runde Gesicht und die rötlich-krausen Haare machten aus ihm eine knuffige Erscheinung, die einen unwillkürlich an einen gutmütigen Braunbär erinnerte. Ohne ihn hätte es diese Clique so vermutlich nicht gegeben.
Ennes selbst fühlte sich in dieser Gruppe als Außenseiterin.
Aber das war ja ohnehin eine Art Grundgefühl in ihrem Leben.
Sie passte nirgendwo wirklich hinein, so stellte sie wieder einmal still für sich fest. Das ständige Feiern und Streiche aushecken schien der ganze Lebensinhalt dieser Clique zu sein, und wirkte irgendwie befremdlich auf sie.
Sie fragte sich, warum sie überhaupt mit den anderen abhing.
Aber es mangelte ihr schlicht an einer Alternative. Im Grunde genommen war sie ja sowieso nur wegen Samo hier.
Samo mit dem weichen, gutmütigen Gesicht ...
Der hatte sie am Osterfeuer angesprochen, kurz, nachdem sie im Frühjahr von Bremerhaven aus hierhergezogen waren, und hatte sie anschließend gleich mit den anderen Mitgliedern seiner Clique bekannt gemacht.
Jetzt kam er gerade aus dem Nebenraum zu ihnen gehumpelt, gestützt auf die Schulter der rotschöpfigen Kimberly, und wurde mit begeisterten Rufen empfangen. Er bewegte sich wie ein betrübter Bär, der leider mit seinem Fuß in eine Bärenfalle getappt war.
Die anderen rückten, um ihm Platz zu machen, und klopften anerkennend auf seinen breiten Schultern herum. Und dann köpfte Benny auch schon die ersten Bierflaschen, reichte sie an die anderen weiter und stimmte das Siegerlied an.
'Olala, Samo der ist super, olala, Samo wunderbar!'
'Wer hat gewonnen?', brüllte Benny mit erhobener Stimme, blickte herausfordernd in die Runde und hob seine Flasche.
'Samooooo!', riefen alle begeistert.
'Ok', drängte Denise und warf ungeduldig ihre frisch blondierten, langen Haare zurück. 'Zeit für eine neue Wette, Leute!' 'Hallo, hallo, darf ich erst mal die ganze Geschichte hören?', bremste Basti sie aus und blickte Samo auffordernd an.
Die anderen lehnten sich nun ebenfalls vor und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Gewinner in ihrer Mitte.
'Ja genau', fand auch Kimberly mit grimmigem Gesichtsausdruck und griff nach einer der Chipstüten.
Samo richtete sich mit stolzgeschwellter Brust auf, und dann begann er: ausschweifend und mit zahlreichen Ausschmückungen versehen klang sein Bericht nun so, als habe er unter Einsatz seines Lebens, und mit mehreren Beinahe-Unfällen fast einen Absturz riskiert.
Er berichtete, wie eng ihm die Luft geworden sei, was alles er gedacht hätte, während er dort von der Brücke hing, dass er noch versucht habe ein Foto von sich zu machen, wie dabei sein Handy in die Hamme gefallen sei, und wie danach endlich dieses Paddelboot aufgetaucht war - und irgendwann auch Ennes.
'Hey, hey', warf Basti sofort warnend ein, 'das mit dem Handy lässt sich wohl schnell herausfinden. Wir tauchen danach, Samo.
Dann werden wir ja sehen!'
'Unsinn', sprang Kimberly sofort für ihn in die Bresche. 'Die Strömung ist viel zu stark an der Stelle. Da findest du doch schon lang nichts mehr!'
Benny wählte prompt Samo's Nummer, aber tatsächlich klingelte nichts in der Nähe. 'Kann er ja auch woanders verloren haben', gab Benny zu bedenken, der immer Wert darauf legte durchblicken zu lassen, dass er mehr Ahnung hatte als andere.
'Kann er', bestätigte sein Zwillingsbruder Nick und musterte Samo skeptisch.
'Gut, aber Polizei und Feuerwehreinsatz, das is schon was', warf Denise fairerweise ein.
'Haben wir mit den Kühen nicht erreicht', gab Basti nun widerstrebend anerkennend zu.
'Nee. Also, wer ist jetzt dran?', fragte Nick mit den Backen voller Chips. Alle blickten zu Ennes.
'Oh nein, wirklich', wehrte sie ab.
'Hey, so läuft das aber nicht, Pocahontas!', erklärte Benny mit strafendem Blick. 'Hier muss jeder mal ran. Auch deine langen schwarzen Haare schützen dich nicht davor.’
Denise kicherte albern und Benny gab die Gruppen-Parole raus: ‘Auf den Boden!'
Alle rutschen augenblicklich auf den Teppichboden und bildeten einen Kreis. Benny nahm die Schicksalsflasche in die Hand und legte sie in die Mitte. 'Wem gebührt die Ehre?', fragte er und schaute aufordernd in die Runde.
'Samooooooo!', kam es aus aller Munde.
Ennes seufzte.
'Bitte Samo', bat sie nun. 'Lass mich aus. Nimm Denise! Die hat doch auch schon länger nichts mehr gemacht.'
Denise lachte nur spöttisch, aber Samo bekam einen verschlagenen Blick, fixierte Ennes amüsiert, zwinkerte ihr zu und verkündete dann: 'Alle finden, du siehst aus wie eine Indianerin. Nun, dazu fällt mir doch glatt was Passendes ein: ich wette, dass du dich nicht traust, mit einem aus unserer Gruppe zusammen Pferde zu stehlen!'
'Was??'
Die anderen brachen begeistert in Lachen aus.
'Ja! Ja!', brüllte sogar der normalerweise eher einsilbige Nick begeistert. 'Ntschotschi soll Pferde stehlen!'
'Hört auf, Jungs', wehrte Ennes sich ärgerlich.
Sie hasste es, wenn sie das taten: ihr irgendwelche blöde Spitznamen zu geben, die sie allein auf ihre langen, schwarzen Haare reduzierten. 'Stehlen ist nicht witzig. Niemand sollte bei den Wetten zu Schaden kommen, das haben wir immer so gesagt!'
'Unsere Indianerin hat die Hosen voll', spottete Benny.
'Hosen voll, in der Tat!', bestätigte Nick und schenkte ihr einen hämischen Blick.
Samo hatte bereits die Flasche in der Hand, nahm Schwung und drehte sie.
'Die Wette gilt! Die Wette gilt!', riefen alle und schauten gebannt auf die sich drehende Flasche. Diese wirbelte herum, wurde langsamer, und schließlich kam der Hals knapp vor Kimberly zum Stehen.
'Hoho, eine Freundin zum Pferde stehlen!', kommentierte Benny geistreich. Ennes blickte ihre Freundin flehend an.
'Bitte, schlag die Wette aus, Kimberly! Ich lad dich auch zum Eis ein.'
'Ha, Tatbestand Bestechung!', warnte Basti lauthals und hob den Zeigefinger warnend wie ein Schulmeister, 'das geht gar nicht!
Egal, ob du aus Spanien, Frankreich, der Türkei oder sonstwoher stammst, es schützt dich nicht! Damit ist klar, du musst es tun, und du bekommst obendrein noch eine Verschärfung dazu!'
Ennes ignorierte ihn und wandte sich ein weiteres Mal hoffnungsvoll an Kimberly. 'Ein großes Eis?'
'Ja, eine Auflage, eine verschärfte Auflage!', forderte nun auch Denise. 'Sich drücken geht ja wohl gar nicht! Der Kuhkönig soll entscheiden!'
'Ja, genau, Basti entscheidet', pflichteten die anderen bei und blickten mit funkelnden Augen zu Bastian, der die Nacht davor die Kühe freigelassen, und damit seine Wette gewonnen hatte.
'Ok', entschied Basti nun wichtig, strich bedeutungsvoll seine gefönten Haare zur Seite und setzte ein strenges Gesicht auf.
'Du bekommst eine verschärfte Zweier-Auflage. Erstens: du musst es innerhalb von drei Tagen erledigen. Zweitens: du musst zwei Pferde stehlen!'
'Ihr habt doch alle einen Schatten! Ihr seid vollkommen bescheuert!' Ennes wurde wütend und sprang auf.
'So, sind wir das?', fragte Samo und blickte mit einem ungewohnt distanzierten Blick zu ihr auf.
Es war, als würde die Stimmung augenblicklich kippen.
Ennes spürte, dass sie etwas sagen sollte.
Alle blickten sie jetzt abwartend an.
Bislang hatte noch keiner aus dieser Clique gewagt, eine Wette auszuschlagen. Zu allem Überfluss schlug nun auch noch Kimberly mit entschlossener Miene ein: 'Die Wette gilt. Ich bin dabei!'
Die Spannung löste sich und Basti schlug ihr kumpelhaft auf den Rücken. 'Du schaffst das schon!', ermutigte er gönnerhaft.
'Ich hab da keine Zweifel mit Kimberly als alter Pferdefrau an deiner Seite! Aber ...' Er hob nun den Zeigefinger in Kimberly's Richtung, 'ausgeschlossen sind die Pferde von Eurem Hof, das wäre echt zu einfach!'
Kimberly verdrehte die Augen. Damit wurde offensichtlich, dass sie wohl genau daran gedacht hatte.
Samo zog Ennes jetzt nah zu sich.'Wenn du das hinkriegst, dann hätte ich fett Respekt vor dir!'
Ennes schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab.
'Ich lass heute Nacht die Disco aus,’ erklärte sie verstimmt. ‘Am Sonntag ist immer Hauptkampftag im Café.’
Die anderen sahen einander an. 'Sie muss sich ja auch drauf vorbereiten', stellte Benny spöttisch fest.
'Muss sie', bestätigte Nick.
'Eine Langweilerin weniger', fand Denise abfällig und machte eine wegwerfende Bewegung. ‘Wollen wir los?'
Basti grinste. 'Wenn du das sagst, haben wir meistens noch ne halbe Stunde. Hol dein Täschchen und geh ins Badezimmer, Denise, damit wir unsere Ruhe haben.'
Denise zog beleidigt ab. Basti lehnte sich vor und winkte den anderen, es ihm gleichzutun. Sie steckten die Köpfe zusammen.
'Schon gehört?', fragte er. 'Deutschland-sucht-den-Superstar’ kommt nach Hamburg! Nächstes Wochenende. Und Denise hat sich angemeldet.' 'Nein!!'
'Ihr hört es ja selbst', kommentierte Basti, als man in diesem Moment vernahm, wie Denise eine Melodie trällerte.
Ennes brauchte dringend frische Luft.
Sie schlüpfte durch die Tür nach draußen und lehnte sich dort gegen die steinerne Außenwand.
Es war eine laue Sommernacht, aber irgendwie drückend. Die Luft fühlte sich an, als würde es heute noch regnen.
Sie konnte die Bewegungen der Kühe im Dunkeln sehen, die in einigem Abstand mit ihren Köpfen durch das Gitter des Stalles nach den davor verteilten Heuhaufen angelten. Das Mahlen ihrer Zähne verbreitete eine friedliche und anheimelnde Atmosphäre.
Dann klappte die Tür hinter ihr.
Kimberly kam ebenfalls heraus und gesellte sich neben sie und suchte nach ihren Zigaretten.
‘So ein Mist, ich hab wirklich gedacht, wir kriegen das Ding am besten mit unseren eigenen Pferden hin’, so gestand sie Ennes, zündete sich eine an und streifte Ennes’ abweisende Haltung mit einem aufrichtig-bedauernden Blick.
'Ja. Super gelaufen', kommentierte Ennes trocken. 'Den Scheiß mache ich bestimmt nicht mit!'
Kimberly schien zu überlegen. 'Es geht doch nur um den Spaß', wandte sie ein. 'Sie wollen sehen, ob du mutig genug bist.'
Ennes sah sie zweifelnd an. 'Du würdest das machen?'
Kimberly zuckte mit den Schultern.
'Naja. Pferde brechen ja auch mal aus', stellte sie leichthin fest.
'Wir könnten hinterher sogar auf aufmerksame Zeugen machen, behaupten, wir hätten sie in den Feldern laufen sehen und dort eingefangen ... ’ Sie grinste zufrieden, als sie sich das vorstellte.
‘Den anderen beweisen wir mit Fotos, dass wir es waren. Es geht doch nur um die Aktion an sich, oder nicht?’
Die Geräusche auf dem Lande klangen so ganz anders als die, die Ennes aus Bremerhaven gewohnt war: wenig Verkehr, keine Maschinengeräusche aus dem nahen Hafen, kein Schiffshorn Hier erklang nur hin und wieder das Muhen einer Kuh, das Krähen eines zeitlich verwirrten Hahns, oder das seltsame hustende Geräusch von Rehböcken, an das Ennes sich erst einmal gewöhnen musste.
Schwärme von Mücken fielen sofort mit enervierend hohem Sirren über die Mädchen her, kaum dass sie Samo’s Wohnung verließen. Ennes war froh, als sie endlich auf dem Roller von Kimberly Platz nehmen konnten und den Plagegeistern im wohltuenden Fahrtwind entkamen.
In der Ferne rauschten irgendwelche Angeber in ihren getunten Autos vorbei, vermutlich auf dem Weg zu irgendeiner Disco. Das unnötig aggressive Hochziehen der Motoren scholl über die Felder und war bis weithin zu hören. Irgendwie war das ein absolut typisches Geräusch hier auf dem Lande, untrüglich und fest verbunden mit der Tatsache, dass jetzt Wochenende und damit für alle jungen Leute die Zeit für geselliges Feiern war.
Sie fuhren ziellos kleinere Feldstraßen ab.
Zu beiden Seiten stand der Mais, dunkel und hoch.
Ennes genoss die Fahrt. Sie hielt sich hinten am Gepäckträger fest und schloss immer mal wieder die Augen. Nacht und Dunkelheit, das war wie eine Zwischenwelt, die so ganz anders war als der Tag mit all seinen Anforderungen. Die Nacht gefiel Ennes eindeutig besser.
Die Höfe hier lagen alle weit zurück und im Dunklen. Nur der Lichtkegel ihres Scheinwerfers zuckte über die schmalen, durch den absackenden Moorboden wellig gewordenen Feldwege.
'Schau mal', riss Kimberly sie plötzlich aus ihren Gedanken und bremste ab.
Zwischen den hohen Maisfeldern hatte sich eine umzäunte Grasfläche aufgetan. Der Geruch von Pferden, unnachahmlich und unverwechselbar, stieg ihnen in die Nase.
'Da hinten sind garantiert welche', glaubte Kimberly, hob die Nase, schnüffelte und stieg ab. Nur widerwillig folgte Ennes ihrem Beispiel.
Es war eine vollkommen verrückte Idee. Aber sie wollte Kimberly den Spaß nicht verderben. Nachschauen war ja wohl erlaubt, und noch hatten sie ja nichts Illegales getan.
Sie kletterten im Dunklen durch den zerbrochenen Holzzaun. Er war schon ziemlich morsch und wurde anscheinend von niemandem gepflegt. Die nur notdürftig an den Pfosten festgemachte Elektrolitze hing zerrissen herunter und schien keinen Strom mehr zu führen. Ein Pony hätte hier leicht hindurch gekonnt.
'Wieso bleiben die auf der Weide?', flüsterte Kimberly verwundert. 'Die könnten doch jederzeit durch den kaputten Zaun raus, wenn sie wollten. Vielleicht sind hier noch irgendwo andere Elektrodrähte gespannt. Pass also besser auf!'
In der Finsternis war kaum etwas zu erkennen.
Der Mond hatte sich hinter dichten Wolken verzogen, und sie setzten in dem flachen Gras vorsichtig Fuß vor Fuß, wie Zwei, die über dünnes Eis tasteten, ohne zu wissen, ob dieses sie tragen würde.
‘Vielleicht sind sie ja längst weg’, vermutete Ennes in der Hoffnung, Kimberly würde umdrehen und diese verflixte Wette vergessen.
‘Nachsehen sollten wir, wenn wir schon hier sind’, gab die jedoch ganz wie befürchtet zurück, und strebte weiter voran in die Dunkelheit. Ennes folgte widerwillig ihrer kräftigen Statur, die mit sicherem Schritt über das unebene Gelände voranstapfte.
Und dann sahen sie, wie sich etwas im Dunkeln vor ihnen bewegte.
Es waren drei Ponys, und sie waren angepflockt. Darum also blieben sie hier.
Zwei von ihnen lagen, nur eines von ihnen stand.
Genau in diesem Moment schlich sich das Licht des Mondes durch eine Lücke der noch immer tief hängenden Wolkendecke, und beschien damit unerwartet und unbarmherzig das ganze Elend vor ihnen: bei jedem der drei Ponys war in dem Radius, in dem sie sich bewegen konnten, das Gras um den Pflock herum bis auf die Wurzeln heruntergefressen. Die Tiere befanden sich nur noch auf der blanken, schwarzen Erde.
Sie sind viel zu dünn, dachte Ennes unwillkürlich.
Sie kannte sich nicht wirklich aus, aber Ponys sollten doch nicht nur klein, sondern auch kugelig sein, pummelig eben, so wie sich das gehörte für ein Pony.
Doch diese hier waren extrem abgemagert, und Kimberly machte sie noch auf etwas anderes aufmerksam.
'Die haben überhaupt kein Wasser hier. Jeder weiß, dass Pferde viel trinken müssen! Was ist denn das für ein Besitzer?'
Sie kniete sich neben einem der Tiere nieder. Es wirkte vollkommen teilnahmslos und zeigte keine Reaktion, als Kimberly es nun näher untersuchte. 'Komm mal her, Ennes.'
Ennes folgte nur zögernd. Was sie hier sah, verursachte ihr unmittelbar ein beklemmendes Gefühl.
'Siehst du das, es hat sich wund gescheuert ...'
Ennes rückte widerstrebend näher. Der Strick, mit dem das eine Pony angepflockt war, hatte sich tief in die Haut des Halses gerieben. Die Wunde war offen und voller Eiter.
Kimberly blickte zu Ennes auf. Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck, den Ennes so vorher noch nie bei ihr gesehen hatte.
'Ich gebe zu, ich habe diese Idee vom Pferdestehlen bis eben noch als Schnapsidee empfunden. Aber jetzt scheint es mir so, als täten wir den armen Viechern sogar nen Gefallen, wenn wir sie von hier wegholen!'
Ennes konnte den Anblick der Tiere kaum ertragen. Das Fell der drei starrte vor Dreck oder besser, von der schwarzen Erde, auf der sie sich befanden.
Die beiden liegenden Ponys hoben nur matt den Kopf. Sie schienen zu schwach, um überhaupt aufstehen zu können. Nur das dritte schien durch ihre Nähe etwas lebendig zu werden und stupste sie an, als würde es nach Futter fragen.
Ennes fand die Situation unerträglich. 'Können wir nicht erst mal etwas zu fressen und zu trinken holen, und versuchen heraus zu bekommen, wem sie gehören?', schlug sie vor und versuchte, das eine vorsichtig zu streicheln.
'Klar können wir das', entgegnete Kimberly. 'Aber danach kannst du die hier schonmal nicht mehr für deine Wette gebrauchen.
Wenn du erst rumfragst und sie danach verschwinden, suchen die Leute als Erstes bei dir!'
'Sehr witzig', erwiderte Ennes. 'In einer Zweizimmerwohnung?’
Sie fühlte sich unwohl und ratlos. Einfach wieder zu gehen und nichts zu tun erschien ihr aber auch nicht wirklich ok zu sein.
Tatsächlich hätte sie die drei Ponys am liebsten mitgenommen, um sie wenigstens erst einmal zu versorgen.
Und danach? Sollten sie die etwa dann einfach wieder hierher zurückbringen und anpflocken?
Als hätte Kimberly ihre Gedanken erraten, machte die nun einen Vorschlag: 'Wir haben nen Hänger auf dem Hof. Ich bin zwar noch nie mit einem Pferdehänger gefahren, aber ich denke, das lässt sich schon machen. Da kriegen wir die drei Ponys mit Leichtigkeit rein.'
'Super, Kimberly!’, regte sich Ennes auf. ‘Das merken deine Eltern natürlich gar nicht, wenn du den mitten in der Nacht holst. Und dann? Wo willst du sie hinbringen?’
Der Mond verschwand wieder hinter der nächsten Wolke und tauchte alles in eine unwirkliche Finsternis.
Nun konnten sie nur noch die vagen Umrisse der traurigen Wesen erkennen, ohne den Zustand sehen zu müssen, in dem sie sich befanden. Aber das machte die Sache keinesfalls besser.
Ennes hatte es gesehen. Und es ließ ihr keine Ruhe mehr.
'Lass uns gehen', bat sie.
Schweigend stolperten sie zurück.
Eines der Ponys wieherte leise hinter ihnen her. Es klang traurig und so, als würde es die beiden Mädchen zurückrufen wollen.
Ennes stolperte und fluchte.
'Scheiße', sagte auch Kimberly, als sie wieder auf der Straße ankamen. 'Das ist wirklich übel.’
Sie suchte in ihren Taschen und steckte sich mit fahrigen Bewegungen die nächste Zigarette an. 'Ich wünschte, ich hätte das nicht gesehen’, erklärte sie dann gleich nach dem ersten Zug. Ennes nickte bedrückt.
'Ja, das wünschte ich auch', pflichtete sie bei und grübelte.
'Wir sollten das Veterinäramt anrufen', schloss sie endlich. 'Die sind doch zuständig für sowas, oder nicht?'
'Ja, und überarbeitet sind die auch', gab Kimberly ungehalten zurück. 'Wir haben erst vor Kurzem einen Pferdehändler bei denen angezeigt, der seine Pferde so gut wie nicht füttert. Nach drei Wochen haben wir nochmal angerufen. Es war noch immer nichts passiert. Sie hätten zu wenig Leute, sagten sie, das ginge nicht so schnell. Für manche Tiere ist es dann aber zu spät ...'
In der Ferne rief eine Kuh. Ihr heiserner Schrei ließ sie die Verlorenheit dieser drei Wesen nur noch mehr fühlen.
Ennes glaubte die Augen der Ponys noch immer erwartungsvoll auf sich ruhen zu fühlen, und ihr lief unwillkürlich ein Schauer über den Rücken, als sie sich deren Zustand noch einmal vergegenwärtigte.
'Keine Ahnung, wie lange die das noch durchhalten können', setzte Kimberly nun auch noch einen oben drauf.
Sie konnten doch nicht einfach weggehen und nichts tun.
Irgendetwas mussten sie doch tun!
Ok', entschloss sich Ennes nun, 'lass uns wenigstens Futter und Wasser holen. Es ist nicht verboten, Tiere zu versorgen. Da kann uns doch wohl keiner was draus machen, oder?'
Sie kletterten auf den Roller und machten sich auf den Weg zum Hof von Kimberly’s Eltern.
Die Gebäude lagen in tiefer Dunkelheit. Alle außer ihnen beiden schienen bereits zu schlafen.
Kimberly ging zielstrebig in den Stall, fand den Lichtschalter, und mit einem ‘Klack’ wurde auf einmal alles in gleißend helles Licht getaucht. Um sie herum entstand auf einmal Bewegung, Schnauben ertönte von allen Seiten, Hufe scharrten.
'Hallo Dickies', begrüßte sie die Pferde und lief zielstrebig durch die Stallgasse.
Ennes sog den Duft der Pferde, von Stroh und Heu in sich auf und schritt erstaunt an den Türen der Boxen entlang.
Es waren so viele und verschiedene Pferde, die da über die Türen lugten: kräftig gebaute, gefleckte, aber auch ganz schwarze, sowie zwei große Warmblut-Pferde. Alle diese Tiere sahen um Längen besser aus als die Ponys, die sie noch soeben hatten sehen müssen.
Diese hier waren munter und hatten wache Augen, schnupperten neugierig über ihre Boxentüren, und einige bollerten jetzt dagegen, wohl in der Hoffnung, eine Sonderportion Futter zu bekommen. Ennes konnte sehen, dass es diesen hier an nichts fehlte. Stroh und Heu lag in den Boxen verteilt, und sie hatten automatische Tränken zur Verfügung.
In zwei leeren Boxen lagerte Heu und Stroh bis zur Decke, und in einer weiteren waren Schubkarren, Mistgabeln und anderes Gerät hineingestellt. Dort wühlte gerade Kimberly herum.
'Hier’, sie drückte Ennes jetzt einen leeren Wasserkanister in die Hand. 'Mach schonmal voll, ich such nen zweiten.'
Ennes stellte ihn unter den Wasserhahn und ließ den Kanister volllaufen. Dann fiel ihr Blick auf einen losen Haufen Heu.
Sie überlegte gerade, wo hinein sie das tun könnte. Doch Kimberly, die irgendwo weiter hinten etwas räumte, schien zu sehen, wonach sie Ausschau hielt.
‘Lass’, rief sie von hinten, ‘nicht von dem Haufen. Das Heu ist aussortiert worden, weil es schimmelig ist. Davon werden Pferde krank. Ich zeige dir gleich, welches wir nehmen ...’
Der große Hofhund kam nun schwanzwedelnd an. Er erkannte Kimberly, jaulte erfreut, beschnupperte Ennes interessiert und blieb bei ihnen.
'Jacky macht nix', informierte Kimberly sie. 'Wir können den kleinen Mofahänger von meinem Stiefvater nehmen. Da passt alles drauf.' Sie kam mit dem zweiten Kanister an, schnappte sich einen Eimer und zog einen Ballen Heu aus der entsprechenden Box auf die Stallgasse. Zusammen verfrachteten sie alles auf den Hänger und koppelten ihn an den Roller.
Ennes blickte immer wieder verunsichert zum Ausgang des Stalles. Das musste der Rest der Familie doch hören und nachsehen kommen! Sie begriff nicht recht, wie Kimberly diese nächtliche Aktion erklären wollte, ohne Ärger zu bekommen.
'Achwas', kommentierte die ihre Befürchtung und grinste nur breit. 'Die schauen nur vorne raus, wenn was ist. Wenn der Hund nicht bellt und die meinen Roller stehen sehen, gehen sie sofort wieder ins Bett.'
Sie fuhren zurück zu der Weide.
Mittlerweile hatte sich die Wolkendecke zurückgezogen, und das unerbittliche Mondlicht zeigte erneut die Szenerie in ihrer ganzen Grausigkeit.
Zunächst gaben sie den drei Ponys von dem Wasser. Die durstigen Tiere tranken gierig, in langen Zügen. Kimberly stoppte Ennes immer wieder.
'Nicht zu viel auf einmal. Das ist nicht gut, wenn sie länger nichts hatten. Die haben dann einfach kein Maß mehr, verstehst du.'
Jedes Pony bekam einen Haufen Heu. Sie verteilten das Mitgebrachte gerecht und ließen sich daneben nieder.
'Du willst bestimmt später was mit Pferden machen, oder?',
nahm Ennes neidvoll an.
'Ich? Um Gottes Willen, nein!', wehrte Kimberly entsetzt ab.
'Landwirtschaft vielleicht, aber keine Pferde. Ich krieg das doch tagtäglich mit. Du kannst überhaupt nicht mehr weg, kein Urlaub, keine richtige Freizeit mehr. Und davon zu leben, das ist verdammt schwer geworden. Die Preise sinken. Darum ist mein Stiefvater jetzt dazu übergegangen, ganz junge Pferde zu kaufen, die keine Papiere haben, sie ein bisschen aufzupäppeln, anzureiten und dann günstig weiter zu verkaufen. So hat er wenig Arbeit mit ihnen und kaum Verlust.'
Ennes war ziemlich erstaunt. 'Ich dachte immer, mit Pferden kann man richtig Geld verdienen.'
'War vielleicht mal so', gab Kimberly zu. 'Aber so ist das nicht mehr. Er überlegt sogar, die Zucht aufzugeben. Das ist wie mit den Kühen. Entweder musst du es im großen Stil machen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, oder aber du kannst froh sein, wenn du keinen Verlust machst. So als reines Hobby sicher ne schöne Sache, aber nicht, um davon zu leben ...'
Ennes horchte nachdenklich auf das Mahlen der Zähne.
'Ich würde sie am liebsten losmachen', dachte sie laut. 'Wenn sie frei wären, dann hätten sie immerhin eine größere Chance zu überleben, als wenn sie weiterhin hier angepflockt bleiben.'
'Stimmt', bestätigte Kimberly, und dann blickte sie Ennes herausfordernd an. 'Aber dann kannst du sie ja auch gleich mitnehmen. Nur so würdest du sicherstellen, dass es ihnen auf jeden Fall gut geht.'
Ennes schüttelte den Kopf. Konnte die denn wirklich nur an diese bescheuerte Wette denken, oder warum sagte sie so was?
'Hör mal, ganz unabhängig von dieser Wette ...', so begann ihre Freundin jetzt, 'aber gerade habe ich gedacht, dass man die drei Ponys sehr schön bei uns auf die kleine Wiese stellen könnte, die wir für die Stuten mit Fohlen bereitgehalten. Die ist hinter so 'nem Wäldchen und sehr abgelegen. Da ginge es ihnen gut.
Und da Harro die Wiese erst gestern kontrolliert hat, und die Fohlen schließlich noch nicht da sind, bin ich sicher, dass da so bald auch keiner gucken kommt.’
Sie schenkte Ennes einen bedeutsamen Blick. ‘Ist nur so ein Vorschlag ...'
Das hatte etwas Verlockendes, so musste Ennes zugeben.
Sie grübelte angestrengt.
Es war doch eigentlich nichts dabei, wenn sie die Drei nur für ein paar Tage mitnehmen würden, um sie auf diese Weide zu stellen. Man könnte sie ja jederzeit zurückbringen, sobald sie sich erholt hätten. Der Besitzer hatte die Ponys vielleicht nur vergessen, oder aber er war plötzlich krank geworden, und konnte sich darum nicht um sie kümmern?
Solche Fälle gab es doch. Oder die Tiere gehörten jemandem, der einen Unfall hatte und nun im Krankenhaus lag ...
In diesen Fällen würde sich der Besitzer sicher freuen, wenn sich jemand nun so unverhofft um ihre drei Lieblinge kümmerte ...
Die ersten Vögel begannen zu singen.
Erschrocken blickte Ennes auf die Uhr. Es war schon vier Uhr morgens!
Die ersten Amseln schmetterten ihr Lied, und ein hellgrauer Streifen erschien am Horizont über den Feldern.
'Mist, ich vergesse die Zeit', begriff sie erschrocken. 'Ich habe ja die Frühschicht von Jelina übernommen. Um acht muss ich im NEO sein.' 'Ui', kam es von Kimberly mitfühlend. 'Ich fahre dich.'
Schweigend fuhren sie zurück.
Das Erlebte hatte Ennes ziemlich mitgenommen.
Als sie abstieg und sich verabschiedete, fragte Kimberly:
'Und, denkst du drüber nach?'
'Ja', hörte Ennes sich selber sagen. 'Ich denke drüber nach.'
Kurz darauf schlich Ennes die Holztreppe hinauf und in die Wohnung. Alles war still.
Möglicherweise hatte ihre Mutter Nachtschicht, oder aber sie schlief jetzt tief und fest.
Ennes machte sich einen Kräutertee, der ihr mit seiner Wärme helfen sollte, wieder runterzukommen. Aber dennoch konnte sie anschließend nicht in den Schlaf finden.
Mit offenen Augen starrte sie an die Decke, hörte die Tür gehen, die Kaffeemaschine laufen, nach einer Weile das Auto starten und wegfahren. Und so lag sie, bis der Wecker klingelte ...
Den Tag über war es, als stünde sie nur noch neben sich. Was sie gesehen hatte, ließ sie einfach nicht mehr los ...
Ennes spürte, dass das etwas war, was sie nur ganz allein mit sich selbst ausmachen konnte.
Es war offensichtlich, dass jemand diese drei Ponys vergessen und zurückgelassen hatte. Wer wusste schon, wieso das so war.
Es war vielleicht nicht einmal wichtig. Aber es lag auf der Hand: sie wurden nicht richtig versorgt. Man hatte sie sich selbst überlassen.
War es da nicht eine gute Tat, sich um die Tiere zu kümmern?
Sie sah immer wieder diese Augen vor sich und den Blick, den das eine Pony ihr zugeworfen hatte. Und es war Ennes, als hörte sie es noch immer hinter ihnen herwiehern.
Den Klang dieses Wieherns konnte sie nicht mehr vergessen. Es hatte so verlassen und so unendlich traurig geklungen. Es brach Ennes das Herz.
Die Wette war ihr mittlerweile vollkommen egal.
Jetzt lagen die Dinge anders, jetzt wusste sie, dass es diese drei Ponys gab ...
Kurz vor Feierabend kam Kimberly ins NEO.
Sie wirkte gut gelaunt und erstaunlich aufgeräumt im Vergleich zu dem Zustand, in dem Ennes sich befand.
'Hey. Hier arbeitest du also’, schmetterte sie Ennes zur Begrüßung entgegen. ‘Gut, dass ich mir das mal anschaue. Krieg ich’n Kaffee?'
Ennes platzierte einen Becher in die Profi-Maschine und drückte auf den richtigen Knopf. Kimberly platzierte sich auf einen der Barhocker vor der Theke, sah sich um und staunte.
'Ganz schön modern hier. Ihr könnt euch über zu wenig Gäste wohl nicht beklagen?' 'Nein’, kam es knapp zurück.
'Ich glaube, ich würde auch gern etwas dazu verdienen. Sucht ihr vielleicht noch nach einer Aushilfe?'
Ennes hielt es einfach nicht länger aus. Es war niemand anders mehr da, und sie brauchte sich nicht länger zurückzuhalten.
'Kimberly, du brauchst mich nicht zu fragen, die Antwort ist: ja.
Lass es uns durchziehen!'
Der Rotschopf musste unwillkürlich grinsen. 'Hey, das beschäftigt dich aber, oder?'
'Ja', gab Ennes zu. 'Ich habe kein Auge zugetan. Konntest du etwa schlafen?'
Kimberly legte den Kopf schief. 'Ich sehe solche Sachen nicht zum ersten Mal. Vielleicht haut es mich deshalb nicht so um.
Aber ehrlich gesagt, ich hab auch überlegt dass wir da was machen müssten, so oder so.'
'Was heißt so oder so?'