Die Pfründner - Ferdinand von Saar - E-Book

Die Pfründner E-Book

Ferdinand von Saar

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Die Pfründer von Ferdinand von Saar wurde 1906 zum ersten Mal veröffentlicht. Es handelt sich um eine der unbekannteren Erzählungen.

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Die Pfründner

Die PfründnerAnmerkungen zu dieser AusgabeImpressum

Die Pfründner

I

Es war im Vorfrühling. Einige außergewöhnlich schöne und warme Tage hatten in dem Garten des Versorgungshauses für Ortsarme den Rasen zum Grünen und an den Bäumen und Gesträuchen die Knospen zum Schwellen gebracht, ja an dem vernachlässigten Aprikosenspalier längs der Feuermauer des anstoßenden Hauses waren schon weiße Blüten zum Vorschein gekommen. Aber ein plötzlicher Wetterumschlag war erfolgt, und nach starken Regengüssen begann ein rauher Nordwest von der nahen Türkenschanze herüberzufegen. So war denn der Garten, wo sich alte bresthafte Leute schon gehend oder sitzend gesonnt hatten, wieder winterlich verödet. Nur der Pfründner Karl Schirmer betrat ihn noch nach der kärglichen Mahlzeit, die er in einer benachbarten kleinen Gastwirtschaft einzunehmen pflegte. Er wandelte dann trotz der feuchten Kälte, die sehr empfindlich in seinen von mehrfachen Übeln angegriffenen Körper eindrang, auf den verlassenen Pfaden umher. Denn er fühlte sich da unten doch wohler als oben im Hause, wo ihm die Stubengenossen sein jämmerliches Dasein nur noch mehr verbitterten.

So war er auch jetzt wieder, die Schöße des abgetragenen Oberrockes fester an den Leib haltend, in seinem einsamen Rundgang begriffen, als er plötzlich auf entfernterer Bank eine weibliche Gestalt sitzen sah, die vom Kopf bis über die Hüften hinab in ein altes wollenes Tuch gewickelt war. Da er sie nicht kannte, so wollte er, ohne sie weiter zu beachten, an ihr vorübergehen. Als er aber doch näher hinblickte, schien ihm das schmale blasse Antlitz, das aus der Umhüllung halb zum Vorschein kam, nicht ganz fremd zu sein. Er blieb stehen und betrachtete das Weib forschend. Auch sie sah ihn mit sanften blauen Augen an.

»Ich sollt' Sie kennen«, sagte er.

»Freilich kennen S'mich, Herr Schirmer. Und ich hab' Sie auch gleich kennt. Schon von weitem an Ihrem Gang.«

»Jesus!« rief er aus. »Sie sind ja – –«

»Die Rosi bin ich, die bei Ihnen im Dienst war.«

»Mein Gott, die Rosi! Ja,ja, das ist das alte liebe G'sicht –«

»Alt ist's freilich worden – und ich auch.«

»Na, wir sind's alle zwei worden. Aber was machen S'denn da, Frau – Frau –«

»Weigel«, ergänzte sie.

»Richtig! Warten S'auf jemand, Frau Weigel?«

»Warten? Ich bin ja da in der Versorgung.«

»In der Versorgung? Ich hab' Sie aber noch nie g'seh'n.«

»Ich war im Spital. Fünf Monat'. Aber sein denn Sie auch –?«

»Freilich«, erwiderte er mit bitterem Lächeln. »Seit'm neuen Jahr bin ich da.«

»Mein Gott, Herr Schirmer wie sein S'denn nur so weit – G'hört hab' ich wohl schon lang,daß 's lhnen schlecht geht- –«

»Aber so schlecht, hätten S' Ihnen doch nicht denkt. Na, da wär' viel drüber z' reden.«

»Sie waren halt immer z' gut, Herr Schirmer. Viel z'gut –«

»Ah was, z'gut!« unterbrach er sie. »Dumm bin ich mein Lebtag g'wesen – und schwach. Drum bin ich auch z'grund gangen.«

»Und die Frau«, fragte sie zögernd, »ist die g'storben?«

»Die lebt. Und ganz lustig auch noch – bei ihrem alten Liebhaber in Grinzing. Aber wie ist's denn mit Ihnen? Sie haben ja damals eine ganz gute Partie g'macht. Ihr Mann war ja Werkführer in der Parkettenfabrik.«

»Ja, das war er. Und es ist uns die erste Zeit ganz gut gangen. Aber da ist der Teufel in ihn g'fahren. Er hat ein eigenes G'schäft anfangen wollen – in Favoriten. Aber es hat sich gar nicht rentiert, und wir sind mehr und mehr herunterkommen. Und da hat er z' trinken ang'fangen bis das Letzte vertrunken war, so daß ich nach sein' Tod im Elend z'ruckblieben bin.«

»Also Witwe. Haben S' Kinder?«

»Keine. Um eins bin ich kommen. Seit der Zeit bin ich auch nimmer recht g'sund g'wesen. Hab' mir daher auch nix verdienen können. Nach allem Möglichen hab' ich g'riffen. Z'letzt bin ich ins Bedienen gangen. Aber ich hab's nicht leisten können und hab' froh sein müssen, daß s' mich als Zuständige da aufg'nommen haben.«

Er betrachtete sie teilnehmend. Die Sonne warf eben jetzt aus grauen Wolken heraus einen leuchtenden, wärmenden Strahl über den Garten.

»Arme Frau«, sagte er leise, während er sich mit halbem Leibe neben ihr auf die Bank niederließ. »Und im Spital waren S'?«

»Grad bin ich 'rauskommen.«

»Was hat Ihnen denn g'fehlt?«

»Ganz ein' eigene Krankheit. Auf der schwarzen Tafel über meinem Bett war's aufg'schrieben. Ich kann mir's nicht merken.«

»Haben S' Schmerzen g'habt?«

»Schmerzen just nicht. Aber fast am ganzen Leib war ich steif. Ich hab' schon nicht mehr gehn können. Das ist drin besser worden durch die vielen Bäder und das Massieren. Da haben s' mich auch wieder 'rausg'schickt. Aber die Arm' kann ich noch immer nicht recht bewegen, und die Händ' sind wie aus Holz. Schau'n S' nur her.« Sie zog unter dem Tuche eine aufgequollene, mißfarbige Hand hervor, deren Finger eigentümlich gekrümmt waren.

Er befühlte sie zaghaft. »Mein Gott, wirklich wie aus Holz«, sagte er. »Aber trösten S's Ihnen. Wenn die Füß' besser worden sind, können's die Händ' auch werden.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das hoff' ich nicht. Die Arzt' haben selber g'sagt, daß ich die Sach' nimmer ganz losbringen werd'. Und manchmal krieg' ich auch solche Zuständ'. Da schnürt's mir den Kopf und die Brust z'samm', daß ich jetzt und jetzt glaub', es ist meine letzte Stund'!«

Er seufzte tief auf. »Schrecklich! Die Krankheiten, die's auf der Welt gibt! Was ich alles hab', kann ich Ihnen gar nicht sagen.«

»Ja, sein S' denn nicht g'sund?«

»G'sund?! Ein Krüppel bin ich, ein elender Krüppel!«

Sie blickte ihn erstaunt an. Sein gut gefärbtes Gesicht, seine noch hellen, nur an den Lidern etwas entzündeten Augen schienen diesen Jammerruf Lügen zu strafen. »Aber anmerken tut man Ihnen nix«, sagte sie. »Sie hab'n sich fast gar nicht verändert seit damals. Grau – oder eigentlich weiß sind S' freilich worden.«

»Das ist's ja, was mein Elend noch ärger macht«, versetzte er. »Wenn mich einer so anschaut, glaubt er gar nicht, daß ich krank bin. Denn von den Martern, die ich ausz'steh'n hab', weiß er nichts. Umbracht haben s' mich freilich noch nicht. Aber auf ja und nein kann's kommen, daß man mich ins Spital 'neinschleppt und unters Messer liefert. In Gott'snamen! Denn da herin ist's so nicht mehr zum Aushalten.«

Sie blickte mit beistimmendem Kopfnicken vor sich hin. »Wo sind S' denn?« fragte sie dann. »Oben oder unten?«

»Oben«, sagte er mit bitterem Hohn. »Sie haben mir ja die Ehr' antan und mich ins Herrenzimmer geben. Aber ich wär' viel lieber unten bei die alten Schnapsbrüder.«

»Das glaub' ich. Denn da oben sind S' ja mit dem Weißeneder beisammen.«

»Ja, das ist einer! Möcht' wissen, wo der Kerl den Hochmut hernimmt. Er behandelt einen grad so, als wär' man sein Bedienter. Und die andern zwei, die noch im Zimmer sind, stoßen in sein Horn. Denn er ist nun einmal der Stubenvater, mit dem sich's keiner verderben will.«

»Unten bei die Weiber ist's auch nicht viel besser. Da führt die Professerstochter 's Regiment. Die ist der reine Satan. Auf mich hat sie's seit jeher abg'sehn g'habt.«

»Mich kann s' auch nicht leiden. Die alte Hex' möcht' haben, daß man ihr in einem fort Schönheiten sagt. Das bring' ich nicht übers Herz. Aber der Weißeneder halt's mit ihr. Man sollt's nicht glauben.«

»Er weiß schon, warum er's tut. Bei dem gibt's nix umsonst. Vor die zwei muß man sich in acht nehmen. Drum fürcht' ich mich auch jetzt, 'neinz'gehn, und hab' mich da im Garten niederg'setzt.«