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Rudolf Steiners "Die Philosophie der Freiheit" ist ein tiefgründiges philosophisches Werk, das die Grundlagen freier Willensbildung und die Beziehung des Individuums zur Welt untersucht. In einem klaren und präzisen literarischen Stil entwirft Steiner eine Dialektik zwischen empirischer Wissenschaft und spiritueller Erkenntnis. Sein Ansatz, der stark von der Anthroposophie geprägt ist, stellt die traditionelle Philosophie in Frage und lädt den Leser dazu ein, die Prinzipien der Freiheit in einem neuen Licht zu betrachten. Die Arbeit entfaltet sich im Kontext der philosophischen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts, wobei Steiner sowohl Aufklärungsdenken als auch die Idealismus-Debatten der Zeit integriert. Rudolf Steiner (1861-1925) war ein österreichischer Philosoph, Esoteriker und Begründer der Anthroposophie, einer weltanschaulichen Bewegung, die auf dem Prinzip der spirituellen Wissenschaft basiert. Durch seine umfassende Bildung in Naturwissenschaften und Philosophie war er in der Lage, die komplexen Fragen des menschlichen Bewusstseins und der spirituellen Entwicklung zu erforschen. Steiners eigene Erfahrungen und Überzeugungen, besonders hinsichtlich der Notwendigkeit eines freien Individuums in einer materialistischen Welt, fließen maßgeblich in die Ausarbeitung dieses Werkes ein. "Die Philosophie der Freiheit" ist für alle Leser geeignet, die sich mit der Frage der menschlichen Autonomie und dem wirklichen Verständnis von Freiheit auseinandersetzen möchten. Das Buch ist nicht nur eine intellektuelle Herausforderung, sondern bietet auch praktische Einsichten für das tägliche Leben. Es regt dazu an, das eigene Bewusstsein zu reflektieren und zu hinterfragen, und ist somit ein unverzichtbarer Beitrag zur philosophischen Literatur. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Zwischen der erfahrbaren Gesetzmäßigkeit der Natur und dem inneren Anspruch auf selbstbestimmtes Handeln spannt sich bei Rudolf Steiner ein Denkraum auf, in dem Die Philosophie der Freiheit die Möglichkeit echter Autonomie durch die bewusste Tätigkeit des Denkens erprobt und begründet, indem sie die Erfahrung des Erkennens zum Schauplatz macht, die Grenzen kausaler Erklärungen gegenüber der Initiative des Ichs auslotet, Verantwortung nicht als fremdes Gebot, sondern als Einsichtsfähigkeit versteht und so die Frage stellt, ob der Mensch, der sein Denken durchsichtig macht, seine Handlungen aus Intuition und Urteilskraft hervorzubringen vermag, ohne die Verbindlichkeit der Welt zu leugnen und ob Freiheit mehr ist als ein Gefühl, nämlich eine begründete Gewissheit im Vollzug.
Das Werk ist ein philosophischer Grundlagentext an der Schnittstelle von Erkenntnistheorie und Ethik. Es erschien 1894; in die Ideenwelt des späten 19. Jahrhunderts eingebettet, antwortet es auf Debatten um wissenschaftliche Methode, Psychologie und Willensfreiheit. Der Schauplatz ist keine äußere Handlungsebene, sondern die innere Erfahrung des Denkens und des moralischen Entschlusses. Steiner richtet den Blick auf das, was im Bewusstsein geschieht, wenn wir wahrnehmen, begrifflich ordnen und entscheiden. Damit verortet sich das Buch zugleich in der Tradition kritischer Selbstprüfung der Vernunft und in einem modernen Interesse an methodischer Strenge, das den Anspruch auf Freiheit prüfbar machen will.
Zu Beginn setzt Steiner bei alltäglicher Erfahrung des Erkennens an und fragt, wie Wahrnehmung und Begriff zusammenfinden. Ohne vorausgesetzte Autoritäten entfaltet er eine nüchterne, zugleich engagierte Stimme, die Leserinnen und Leser zum Mitvollzug einlädt. Stilistisch überwiegt eine präzise Argumentation, die Schritt für Schritt Begriffe klärt und Annahmen sichtbar macht; der Ton ist ernst, sachlich und explorativ, gelegentlich mit didaktischer Geduld. Wer das Buch liest, erlebt weniger eine Belehrung als ein begleitetes Denken, das das eigene Beobachten schärft und unerwartete Klarheit im scheinbar Vertrauten stiftet, ohne jemals in esoterische Abkürzungen oder bloße Behauptungen auszuweichen.
Im Zentrum stehen das Verhältnis von Wahrnehmung und Denken, die Aktivität des Begriffsbildens, die Identität des Ichs im Akt des Erkennens und die Frage, wie moralische Intuition Handlungen leitet. Freiheit erscheint nicht als Abwesenheit von Ursachen, sondern als Fähigkeit, Gründe zu durchschauen und schöpferisch zu werden. Damit verknüpft sind Themen wie Verantwortung, Individualität, Gewissen, soziale Koexistenz und die Möglichkeit objektiver Geltung im persönlichen Urteil. Das Buch zeigt, wie innere Klarheit praktische Orientierung gewinnt, und sucht eine Ethik, die ohne äußere Gebote auskommt und dennoch Allgemeinheit beansprucht, weil sie in der Struktur des Denkens selbst gründet.
Charakteristisch ist die methodische Selbstbeobachtung: Steiner untersucht das Denken nicht als Objekt unter Objekten, sondern im Vollzug, und orientiert sich dabei an der Strenge naturwissenschaftlicher Verfahren, ohne deren Gegenstandsbereich zu verwechseln. Diese Bewegung verlangt Konzentration, Geduld und begriffliche Genauigkeit. Der Text baut seine Schritte so auf, dass Einsicht aus dem Nachvollzug erwächst, nicht aus Autoritätsargumenten. Dadurch entsteht eine ungewöhnliche Nähe zwischen Leseprozess und Gedankengang: Wer liest, führt mit, prüft, ordnet. Das Buch bietet keine rezeptartige Anleitung, sondern eine Schule der Aufmerksamkeit, die Freiheit als Praxis des klaren Sehens verstehbar macht.
Für heutige Leserinnen und Leser bleibt das Werk relevant, weil es eine Sprache für Autonomie in komplexen Lebenslagen bereitstellt. In einer Zeit algorithmischer Vorauswahl, informationsgetriebener Routinen und sozialer Beschleunigung zeigt es, wie Urteilskraft jenseits von Reflexen und Rollenbildern kultiviert werden kann. Es macht Mut, Verantwortung nicht als Last von außen, sondern als innere Kompetenz zu begreifen, und deutet Freiheit als schöpferische Beziehung zur Welt. Gerade dort, wo moralische Konflikte nicht durch Regeln entschieden werden, sondern durch situative Einsicht, liefert der Text Kriterien, um Klarheit zu gewinnen, ohne in Relativismus oder dogmatische Setzungen zu fallen.
Wer Die Philosophie der Freiheit heute aufschlägt, findet ein konzentriertes, voraussetzungssensibles Denken, das sich unabhängig von Steiners späteren Projekten lesen lässt und den eigenen Blick schult. Empfehlenswert ist eine langsame Lektüre, die zentrale Unterscheidungen – etwa zwischen Wahrnehmung, Begriff und Denken – im eigenen Erleben erprobt. So wird das Buch zum Werkstattraum, in dem persönliche Überzeugungen transparent und überprüfbar werden. Es bietet dabei weder Trostformeln noch Provokationen um ihrer selbst willen, sondern eine Einladung, die geistige Selbstständigkeit zu üben, aus der verantwortliches Handeln hervorgeht, und so Freiheit nicht nur zu fordern, sondern zu verstehen.
Die Philosophie der Freiheit (1894; revidierte Ausgabe 1918) ist Rudolf Steiners Versuch, die Möglichkeit menschlicher Freiheit durch eine Untersuchung des Erkennens und Handelns zu begründen. Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Erkenntnistheorie der Freiheit und Wirklichkeit der Freiheit. Steiner geht methodisch von der Analyse des Denkens als eines unmittelbar erlebbaren Vorgangs aus und fragt, unter welchen Bedingungen Wissen und freiheitliches Handeln möglich sind. Die Argumentation verläuft vom Verhältnis von Wahrnehmung und Begriff über den Status des Denkens bis hin zu Moral, Motivation und sozialer Verantwortlichkeit. Leitend ist die Suche nach einem Standpunkt jenseits von Subjektivismus und Dogmatismus.
Am Anfang steht die Einsicht, dass das eigene Denken beobachtet werden kann. Während Wahrnehmungen durch leibliche Organisation vermittelt sind, tritt das Denken als durchsichtiges, in sich nachvollziehbares Tun auf. Steiner nutzt diese Selbstbeobachtung, um die Gültigkeit von Gedanken nicht psychologisch, sondern sachlich zu prüfen. Er richtet sich gegen dualistische Trennungen von Geist und Natur, die beide Seiten unverbunden lassen. Stattdessen strebt er einen monistischen Standpunkt an, in dem Denken als reale Tätigkeit die Kluft zwischen Subjekt und Objekt überbrückt. Damit wird das Denken nicht bloßes Abbilden, sondern aktives Erschließen dessen, was in den Dingen begrifflich angelegt ist.
Auf dieser Basis entfaltet Steiner seine Erkenntnistheorie. Wahrnehmungen liefern einzelne Gegebenheiten, bleiben jedoch unvollständig. Erst durch die Vereinigung mit Begriffen entsteht Erkenntnis. Begriffe werden nicht aus der Sinnlichkeit herausgelesen, sondern im Denken erfasst und mit dem Wahrgenommenen verbunden. So entsteht ein Weltzusammenhang, der nicht subjektiv konstruiert, sondern im Denken einsichtig begründet ist. Zugleich kritisiert Steiner sowohl naiven Realismus, der Wahrnehmtes für vollständig hält, als auch radikalen Konstruktivismus, der Objektivität aufgibt. Erkenntnis ist demnach die Tätigkeit, durch die der Mensch die getrennten Hälften – Wahrnehmung und Begriff – zusammenführt und dadurch zu einer erfahrungs- und begriffsgeleiteten Weltauffassung gelangt.
Im zweiten Teil verlagert sich der Fokus auf das Handeln. Steiner unterscheidet zwischen Antrieben wie Trieben, Gewohnheiten, sozialen Geboten und Ideen, die als Motive wirken können. Freiheit entsteht dort, wo der Handelnde nicht von äußeren Reizen oder unreflektierten Dispositionen bestimmt wird, sondern sich von selbst erfassten Einsichten leiten lässt. Zentral ist die moralische Intuition: das unmittelbare Erkennen eines konkreten moralischen Inhalts im Denken. Dabei tritt die Frage in den Vordergrund, wie ein Individuum aus solchen Intuitionen handlungswirksame Motive bildet, ohne bloßer Vollstrecker fremder Normen zu sein oder in Beliebigkeit zu verfallen.
Anschließend erläutert Steiner moralische Imagination und moralische Technik. Mit moralischer Imagination ist die schöpferische Fähigkeit gemeint, aus intuitiv erfassten moralischen Inhalten konkrete Handlungsentwürfe für jeweilige Situationen zu entwickeln. Moralische Technik bezeichnet die Kompetenz, diese Entwürfe sachgerecht umzusetzen. Freiheit zeigt sich demnach praktisch in der originellen, situationsangemessenen Verbindung von Einsicht und Durchführung. Dabei bleiben Gefühle und Neigungen bedeutsam, erhalten jedoch ihren Platz als Begleiter, nicht als Letztbegründung des Handelns. Das Ergebnis ist ein ethischer Individualismus: Normativ ist nicht das abstrakte Gesetz von außen, sondern die in Verantwortung gestaltete Idee, die das Individuum als seine erkennt.
Steiner diskutiert Bedingungen und Grenzen solcher Freiheit. Sie ist kein angeborener Besitz, sondern eine zu erarbeitende Fähigkeit, die Bewusstseinsdisziplin, Selbstkritik und Erfahrung voraussetzt. Gesellschaftliche Institutionen, Erziehung und Kultur können sie fördern oder behindern. Gegen Determinismus und Zufallsmetaphysik betont Steiner, dass Freiheit weder gesetzlose Laune noch bloße Notwendigkeit bedeutet, sondern die bewusste Aneignung der Motive, die man als wahr erkannt hat. Damit verbindet er Individualität mit sozialer Verträglichkeit: Frei ist, wer aus Einsicht handelt und zugleich die Wirklichkeit der anderen und der Situation ernst nimmt. Die praktische Bewährung zeigt sich im konkreten Umgang mit Lebenslagen.
Zusammenfassend verfolgt Die Philosophie der Freiheit das Programm, Erkenntnis und Ethik aus einer Analyse des lebendigen Denkens neu zu begründen. Der argumentativ zentrale Ertrag besteht in der These, dass Freiheit möglich ist, sofern das Individuum seine Handlungen aus selbst gewonnenen Intuitionen verantwortet und kreativ verwirklicht. Das Werk gilt als Schlüsseltext im frühen Schaffen Steiners und wird häufig als Ausgangspunkt für sein späteres Denken gelesen. Unabhängig von weltanschaulichen Bindungen lädt es dazu ein, Freiheit nicht als abstrakte Idee, sondern als prüf- und kultivierbare Praxis zu begreifen, die Erkenntnis, Selbstbildung und gesellschaftliche Rücksichtnahme vereint.
Das Werk erschien 1894 in Berlin beim Verlag Emil Felber. Verfasst wurde es während Steiners Weimarer Jahren (1890–1897), als er am Goethe- und Schiller-Archiv die naturwissenschaftlichen Schriften Goethes betreute. Zuvor hatte Steiner an der Technischen Hochschule in Wien studiert und wurde 1891 an der Universität Rostock mit einer erkenntnistheoretischen Arbeit („Wahrheit und Wissenschaft“) promoviert. Die Infrastruktur des Deutschen Kaiserreichs – Archive, Universitäten, Verlage und gelehrte Gesellschaften – prägte seine Arbeitsweise. Zwischen Weimar, Rostock und Berlin bewegte er sich in einem Milieu, das philologisch exakte Textarbeit, naturwissenschaftliche Methodendiskussion und philosophische Systembildung institutionell förderte.
Philosophisch stand die Zeit unter dem Eindruck der erneuerten Kant-Rezeption. Die Marburger Schule (u. a. Hermann Cohen, Paul Natorp) und die südwestdeutsche Richtung (Wilhelm Windelband, Heinrich Rickert) prägten Debatten um Geltung, Methode und Wissenschaftsideale. Steiner hatte bereits 1886 eine „Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung“ veröffentlicht und 1892 seine Rostocker Dissertation gedruckt, die thematisch auf Die Philosophie der Freiheit zulief. Der Diskurs kreiste um die Frage, ob Erkenntnis psychologisch oder normativ-logisch zu begründen sei; parallel wirkten Spätidealismus und lebensphilosophische Ansätze fort. In dieses Feld ordnet sich das 1894 erschienene Buch als zeitgenössischer Beitrag ein.
Das späte 19. Jahrhundert war durch den Aufstieg der Naturwissenschaften geprägt. Darwins Evolutionstheorie war in den deutschsprachigen Ländern breit rezipiert, und Ernst Haeckel propagierte einen monistischen Naturalismus. Ernst Machs „Analyse der Empfindungen“ (1886) und Wilhelm Wundts psychologisches Labor in Leipzig (seit 1879) standen für methodische Neuorientierungen. In dieser Umgebung wurden Freiheit, Kausalität und Bewusstsein intensiv diskutiert. Der Untertitel der Erstausgabe – „Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode“ – signalisiert Anschluss an diese Debatten: Steiner übertrug Beobachtungs- und Wissenschaftsbegriffe auf innere Erlebnisse. Damit berührte das Buch zeitgenössische Kontroversen um Determinismus, Bewusstsein und Verantwortlichkeit.
Steiners Weimarer Tätigkeit am Goethe- und Schiller-Archiv verband ihn eng mit der Tradition der Goetheschen Naturforschung. Er edierte dort Goethes naturwissenschaftliche Schriften und verfasste Einleitungen, in denen Beobachtung, Anschauung und begriffliche Bildung miteinander verschränkt wurden. Bereits 1886 hatte er die „Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung“ vorgelegt. Diese philologisch-naturwissenschaftliche Schulung beeinflusste die methodische Anlage seines 1894 publizierten Buchs, das bewusste Innenerlebnisse mit einer an Naturforschung orientierten Exaktheit zu erfassen beanspruchte. Der Bezug auf Goethe bot einen anerkannten, im Archiv gepflegten Referenzrahmen, der Steiners Versuch, Erkenntnis- und Freiheitsfragen systematisch auszuleuchten, institutionell und hermeneutisch legitimierte.
Um 1890 formierten sich im deutschsprachigen Raum vielfältige kultur- und gesellschaftspolitische Diskurse. Fin-de-siècle-Milieus in Wien und Berlin diskutierten Individualität, Moral und Moderne; literarischer Naturalismus und Zeitschriftenkultur verbreiteten programmatische Auseinandersetzungen. 1896 wurde das Bürgerliche Gesetzbuch verabschiedet (in Kraft ab 1900) und kodifizierte private Autonomie in neuer Dichte. Zugleich setzte nach Aufhebung der Sozialistengesetze 1890 eine breitere Organisations- und Debattenkultur ein. Vor diesem Hintergrund erhielt die Frage nach persönlicher Verantwortlichkeit und Handlungsfreiheit gegenüber natur-, rechts- und sozialwissenschaftlichen Bestimmungsgründen besonderes Gewicht, ein Kontext, in dem Steiners 1894 erschienenes Buch seine Problemstellungen ansiedelte, ohne politische Programmatik zu vertreten.
Zeitgleich profilierte sich die Methodendebatte zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Wilhelm Dilthey hatte 1883 die Eigenständigkeit verstehender Verfahren betont; Wilhelm Windelband unterschied 1894 in seinem Rektoratsvortrag „Geschichte und Naturwissenschaft“ idiographische und nomothetische Erkenntnisweisen. Rickert präzisierte dies weiter. Diese Diskussionen rahmten Überlegungen zur inneren Erfahrung, zu Willensakten und zu normativen Geltungsansprüchen. Zugleich gewann die experimentelle Psychologie mit Laborstudien zu Aufmerksamkeit und Willenshemmung an Sichtbarkeit. Steiners Ansatz, innere Vorgänge systematisch zu beschreiben und dabei methodische Strenge einzufordern, korrespondierte zeitlich mit dieser Debatte und machte das Werk für Leser interessant, die nach einer philosophisch verantworteten Begründung individueller Handlungsfähigkeit innerhalb eines wissenschaftsgeprägten Zeitalters suchten.
Die Veröffentlichung von 1894 blieb nicht die letzte Gestalt. Steiner versah das Buch in späteren Auflagen mit Vorreden und Zusätzen; besonders die Ausgabe von 1918 dokumentiert eine Überarbeitung und rückblickende Einordnung. Inhaltlich gehört das Werk zu seinem frühphilosophischen Schaffen vor seiner organisatorischen Tätigkeit in der Theosophischen Gesellschaft, deren deutscher Sektion er ab 1902 vorstand, und vor der Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft 1913. In Vorreden betonte er den Zusammenhang mit seinen erkenntnistheoretischen Arbeiten. Dadurch blieb die Schrift anschlussfähig für Leser, die seinen späteren kulturpraktischen Initiativen eine frühe philosophische Grundlegung gegenüberstellen wollten.
Als Kommentar zur Epoche markiert Die Philosophie der Freiheit einen Versuch, Individualität unter Bedingungen beschleunigter Wissenschaftsentwicklung und gesellschaftlicher Umbrüche begrifflich zu sichern. Es verbindet Goethe-orientierte Beobachtungsdisziplin mit zeitgenössischen Debatten über Geltung, Methode und Selbstbestimmung und positioniert sich zwischen Naturalismus, Neukantianismus und Geisteswissenschaften. So spiegelte das Buch zentrale Spannungen des späten 19. Jahrhunderts: das Bedürfnis nach wissenschaftlicher Strenge und das Ringen um persönliche Verantwortlichkeit. Indem es Freiheit nicht gegen, sondern im Rahmen methodischer Klarheit thematisierte, wurde es zu einem historisch verorteten Beitrag jener Moderne, die Erkenntnis, Handeln und Kultur systematisch in Beziehung setzte.
Zwei Wurzelfragen des menschlichen Seelenlebens sind es, nach denen hingeordnet ist alles, was durch dieses Buch besprochen werden soll. Die eine ist, ob es eine Möglichkeit gibt, die menschliche Wesenheit so anzuschauen, daß diese Anschauung sich als Stütze erweist für alles andere, was durch Erleben oder Wissenschaft an den Menschen herankommt, wovon er aber die Empfindung hat, es könne sich nicht selber stützen. Es könne von Zweifel und kritischem Urteil in den Bereich des Ungewissen getrieben werden. Die andere Frage ist die: Darf sich der Mensch als wollendes Wesen die Freiheit zuschreiben, oder ist diese Freiheit eine bloße Illusion, die in ihm entsteht, weil er die Fäden der Notwendigkeit nicht durchschaut, an denen sein Wollen ebenso hängt wie ein Naturgeschehen? Nicht ein künstliches Gedankengespinst ruft diese Frage hervor. Sie tritt ganz naturgemäß in einer bestimmten Verfassung der Seele vor diese hin. Und man kann fühlen, es ginge der Seele etwas ab von dem, was sie sein soll, wenn sie nicht vor die zwei Möglichkeiten: Freiheit oder Notwendigkeit des Wollens, einmal mit einem möglichst großen Frageernst sich gestellt sähe. In dieser Schrift soll gezeigt werden, daß die Seelenerlebnisse, welche der Mensch durch die zweite Frage erfahren muß, davon abhängen, welchen Gesichtspunkt er gegenüber der ersten einzunehmen vermag. Der Versuch wird gemacht, nachzuweisen, daß es eine Anschauung über die menschliche Wesenheit gibt, welche die übrige Erkenntnis stützen kann; und der weitere, darauf hinzudeuten, daß mit dieser Anschauung für die Idee der Freiheit des Willens eine volle Berechtigung gewonnen wird, wenn nur erst das Seelengebiet gefunden ist, auf dem das freie Wollen sich entfalten kann.
Die Anschauung, von der hier mit Bezug auf diese beiden Fragen die Rede ist, stellt sich als eine solche dar, welche, einmal gewonnen, ein Glied lebendigen Seelenlebens selbst werden kann. Es wird nicht eine theoretische Antwort gegeben, die man, einmal erworben, bloß als vom Gedächtnis bewahrte Überzeugung mit sich trägt. Für die Vorstellungsart, die diesem Buche zugrunde liegt, wäre eine solche Antwort nur eine scheinbare. Nicht eine solch fertige, abgeschlossene Antwort wird gegeben, sondern auf ein Erlebnisgebiet der Seele wird verwiesen, auf dem sich durch die innere Seelentätigkeit selbst in jedem Augenblicke, in dem der Mensch dessen bedarf, die Frage erneut lebendig beantwortet. Wer das Seelengebiet einmal gefunden hat, auf dem sich diese Fragen entwickeln, dem gibt eben die wirkliche Anschauung dieses Gebietes dasjenige, was er für diese beiden Lebensrätsel braucht, um mit dem Errungenen das rätselvolle Leben weiter in die Breiten und in die Tiefen zu wandeln, in die ihn zu wandeln Bedürfnis und Schicksal veranlassen. – Eine Erkenntnis, die durch ihr Eigenleben und durch die Verwandtschaft dieses Eigenlebens mit dem ganzen menschlichen Seelenleben ihre Berechtigung und Geltung erweist, scheint damit aufgezeigt zu sein.
So dachte ich über den Inhalt dieses Buches, als ich ihn vor fünfundzwanzig Jahren niederschrieb. Auch heute muß ich solche Sätze niederschreiben, wenn ich die Zielgedanken der Schrift kennzeichnen will. Ich habe mich bei der damaligen Niederschrift darauf beschränkt, nicht mehr zu sagen als dasjenige, was im engsten Sinne mit den gekennzeichneten beiden Wurzelfragen zusammenhängt. Wenn jemand verwundert darüber sein sollte, daß man in diesem Buche noch keinen Hinweis findet auf das Gebiet der geistigen Erfahrungswelt, das in späteren Schriften von mir zur Darstellung gekommen ist, so möge er bedenken, daß ich damals eben nicht eine Schilderung geistiger Forschungsergebnisse geben, sondern erst die Grundlage erbauen wollte, auf der solche Ergebnisse ruhen können. Diese «Philosophie der Freiheit» enthält keine solchen speziellen Ergebnisse, ebensowenig als sie spezielle naturwissenschaftliche Ergebnisse enthält; aber was sie enthält, wird derjenige nach meiner Meinung nicht entbehren können, der Sicherheit für solche Erkenntnisse anstrebt. Was in dem Buche gesagt ist, kann auch für manchen Menschen annehmbar sein, der aus irgend welchen ihm geltenden Gründen mit meinen geisteswissenschaftlichen Forschungsergebnissen nichts zu tun haben will. Demjenigen aber, der diese geisteswissenschaftlichen Ergebnisse als etwas betrachten kann, zu dem es ihn hinzieht, dem wird auch wichtig sein können, was hier versucht wurde. Es ist dies: nachzuweisen, wie eine unbefangene Betrachtung, die sich bloß über die beiden gekennzeichneten für alles Erkennen grundlegenden Fragen erstreckt, zu der Anschauung führt, daß der Mensch in einer wahrhaftigen Geistwelt drinnen lebt. In diesem Buche ist erstrebt, eine Erkenntnis des Geistgebietes vor dem Eintritte in die geistige Erfahrung zu rechtfertigen. Und diese Rechtfertigung ist so unternommen, daß man wohl nirgends bei diesen Ausführungen schon auf die später von mir geltend gemachten Erfahrungen hinzu-schielen braucht, um, was hier gesagt ist, annehmbar zu finden, wenn man auf die Art dieser Ausführungen selbst eingehen kann oder mag.
So scheint mir denn dieses Buch auf der einen Seite eine von meinen eigentlich geisteswissenschaftlichen Schriften völlig abgesonderte Stellung einzunehmen; und auf der andern Seite doch auch aufs allerengste mit ihnen verbunden zu sein. Dies alles hat mich veranlaßt, jetzt, nach fünfundzwanzig Jahren, den Inhalt der Schrift im wesentlichen fast ganz unverändert wieder zu veröffentlichen. Nur längere Zusätze habe ich zu einer ganzen Reihe von Abschnitten gemacht. Die Erfahrungen, die ich über mißverständliche Auffassungen des von mir Gesagten gemacht habe, ließen mir solche ausführliche Erweiterungen nötig erscheinen. Geändert habe ich nur da, wo mir heute das ungeschickt gesagt schien, was ich vor einem Vierteljahrhundert habe sagen wollen. (Aus dem so Geänderten wird wohl nur ein Übelwollender sich veranlaßt finden zu sagen, ich habe meine Grundüberzeugung geändert.)
Das Buch ist schon seit vielen Jahren ausverkauft. Trotzdem, wie aus dem eben Gesagten hervorgeht, mir scheint, daß heute ebenso noch ausgesprochen werden soll, was ich vor fünfundzwanzig Jahren über die gekennzeichneten Fragen ausgesprochen habe, zögerte ich durch lange Zeit mit der Fertigstellung dieser Neuauflage. Ich fragte mich immer wieder, ob ich nicht müsse an dieser oder jener Stelle mich mit den zahlreichen seit dem Erscheinen der ersten Auflage zutage getretenen philosophischen Anschauungen auseinandersetzen. Dies in der mir wünschenswerten Weise zu tun, verhinderte mich die Inanspruchnahme durch meine rein geisteswissenschaftlichen Forschungen in der letzten Zeit. Allein ich habe mich nun nach möglichst gründlicher Umschau in der philosophischen Arbeit der Gegenwart davon überzeugt, daß, so verlockend eine solche Auseinandersetzung an sich wäre, sie für das, was durch mein Buch gesagt werden soll, nicht in dasselbe aufzunehmen ist. Was von dem in der «Philosophie der Freiheit» eingenommenen Gesichtspunkt aus über neuere philosophische Richtungen mir nötig schien, gesagt zu werden, findet man im zweiten Bande meiner «Rätsel der Philosophie».
April 1918 Rudolf Steiner
Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln ein geistig freies Wesen oder steht er unter dem Zwange einer rein naturgesetzlichen ehernen Notwendigkeit? Auf wenige Fragen ist so viel Scharfsinn gewendet worden als auf diese. Die Idee der Freiheit des menschlichen Willens hat warme Anhänger wie hartnäckige Gegner in reicher Zahl gefunden. Es gibt Menschen, die in ihrem sittlichen Pathos jeden für einen beschränkten Geist erklären, der eine so offenkundige Tatsache wie die Freiheit zu leugnen vermag. Ihnen stehen andere gegenüber, die darin den Gipfel der Unwissenschaftlichkeit erblicken, wenn jemand die Gesetzmäßigkeit der Natur auf dem Gebiete des menschlichen Handelns und Denkens unterbrochen glaubt. Ein und dasselbe Ding wird hier gleich oft für das kostbarste Gut der Menschheit wie für die ärgste Illusion erklärt. Unendliche Spitzfindigkeit wurde aufgewendet, um zu erklären, wie sich die menschliche Freiheit mit dem Wirken in der Natur, der doch auch der Mensch angehört, verträgt. Nicht geringer ist die Mühe, mit der von anderer Seite begreiflich zu machen gesucht wurde, wie eine solche Wahnidee hat entstehen können. Daß man es hier mit einer der wichtigsten Fragen des Lebens, der Religion, der Praxis und der Wissenschaft zu tun hat, das fühlt jeder, bei dem nicht das Gegenteil von Gründlichkeit der hervorstechendste Zug seines Charakters ist. Und es gehört zu den traurigen Zeichen der Oberflächlichkeit gegenwärtigen Denkens, daß ein Buch, das aus den Ergebnissen neuerer Naturforschung einen «neuen Glauben» prägen will (David Friedrich Strauß[1], Der alte und der neue Glaube), über diese Frage nichts enthält als die Worte: «Auf die Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens haben wir uns hiebei nicht einzulassen. Die vermeintlich indifferente Wahlfreiheit ist von jeder Philosophie, die des Namens wert war, immer als ein leeres Phantom erkannt worden; die sittliche Wertbestimmung der menschlichen Handlungen und Gesinnungen aber bleibt von jener Frage unberührt.» Nicht weil ich glaube, daß das Buch, in dem sie steht, eine besondere Bedeutung hat, führe ich diese Stelle hier an, sondern weil sie mir die Meinung auszusprechen scheint, bis zu der sich in der fraglichen Angelegenheit die Mehrzahl unserer denkenden Zeitgenossen aufzuschwingen vermag. Daß die Freiheit darin nicht bestehen könne, von zwei möglichen Handlungen ganz nach Belieben die eine oder die andere zu wählen, scheint heute jeder zu wissen, der darauf Anspruch macht, den wissenschaftlichenKinderschuhen entwachsen zu sein. Es ist immer, so behauptet man, ein ganz bestimmter Grund vorhanden, warum man von mehreren möglichen Handlungen gerade eine bestimmte zur Ausführung bringt.
Das scheint einleuchtend. Trotzdem richten sich bis zum heutigen Tage die Hauptangriffe der Freiheitsgegner nur gegen die Wahlfreiheit. Sagt doch Herbert Spencer[2], der in Ansichten lebt, die mit jedemTage an Verbreitung gewinnen (Die Prinzipien der Psychologie, von Herbert Spencer, deutsche Ausgabe von Dr. B. Vetter, Stuttgart 1882): «Daß aber jedermann auch nach Belieben begehren oder nicht begehren könne, was der eigentliche im Dogma vom freien Willen liegende Satz ist, das wird freilich ebensosehr durch die Analyse des Bewußtseins, als durch den Inhalt der vorhergehenden Kapitel (der Psychologie) verneint.» Von demselben Gesichtspunkte gehen auch andere aus, wenn sie den Begriff des freien Willens bekämpfen. Im Keime finden sich alle diesbezüglichen Ausführungen schon bei Spinoza. Was dieser klar und einfach gegen die Idee der Freiheit vorbrachte, das wurde seitdem unzählige Male wiederholt, nur eingehüllt zumeist in die spitzfindigsten theoretischen Lehren, so daß es schwer wird, den schlichten Gedankengang, auf den es allein ankommt, zu erkennen. Spinoza schreibt in einem Briefe vom Oktober oder November 1674: «Ich nenne nämlich die Sache frei, die aus der bloßen Notwendigkeit ihrer Natur besteht und handelt, und gezwungen nenne ich die, welche von etwas anderem zum Dasein und Wirken in genauer und fester Weise bestimmt wird. So besteht zum Beispiel Gott, obgleich notwendig, doch frei, weil er nur aus der Notwendigkeit seiner Natur allein besteht. Ebenso erkennt Gott sich selbst und alles andere frei, weil es aus der Notwendigkeit seiner Natur allein folgt, daß er alles erkennt. Sie sehen also, daß ich die Freiheit nicht in ein freies Beschließen, sondern in eine freie Notwendigkeit setze.»
«Doch wir wollen zu den erschaffenen Dingen herabsteigen, welche sämtlich von äußern Ursachen bestimmt werden, in fester und genauer Weise zu bestehen und zu wirken. Um dies deutlicher einzusehen, wollen wir uns eine ganz einfache Sache vorstellen. So erhält zum Beispiel ein Stein von einer äußeren, ihn stoßenden Ursache eine gewisse Menge von Bewegung, mit der er nachher, wenn der Stoß der äußern Ursache aufgehört hat, notwendig fortfährt, sich zu bewegen. Dieses Beharren des Steines in seiner Bewegung ist deshalb ein erzwungenes und kein notwendiges, weil es durch den Stoß einer äußern Ursache definiert werden muß. Was hier von dem Stein gilt, gilt von jeder andern einzelnen Sache, und mag sie noch so zusammengesetzt und zu vielem geeignet sein, nämlich, daß jede Sache notwendig von einer äußern Ursache bestimmt wird, in fester und genauer Weise zu bestehen und zu wirken.»
«Nehmen Sie nun, ich bitte, an, daß der Stein, während er sich bewegt, denkt und weiß, er bestrebe sich, soviel er kann, in dem Bewegen fortzufahren. Dieser Stein, der nur seines Strebens sich bewußt ist und keineswegs gleichgültig sich verhält, wird glauben, daß er ganz frei sei und daß er aus keinem andern Grunde in seiner Bewegung fort fahre, als weil er es wolle. Dies ist aber jene menschliche Freiheit, die alle zu besitzen behaupten und die nur darin besteht, daß die Menschen ihres Begehrens sich bewußt sind, aber die Ursachen, von denen sie bestimmt werden, nicht kennen. So glaubt das Kind, daß es die Milch frei begehre und der zornige Knabe, daß er frei die Rache verlange, und der Furchtsame die Flucht. Ferner glaubt der Betrunkene, daß er nach freiem Entschluß dies spreche, was er, wenn er nüchtern geworden, gern nicht gesprochen hätte; und da dieses Vorurteil allen Menschen angeboren ist, so kann man sich nicht leicht davon befreien. Denn wenn auch die Erfahrung genügend lehrt, daß die Menschen am wenigsten ihr Begehren mäßigen können und daß sie, von entgegengesetzten Leidenschaften bewegt, das Bessere einsehen und das Schlechtere tun, so halten sie sich doch für frei und zwar, weil sie manches weniger stark begehren und manches Begehren leicht durch die Erinnerung an anderes, dessen man sich oft entsinnt, gehemmt werden kann.»
Weil hier eine klar und bestimmt ausgesprochene Ansicht vorliegt, wird es auch leicht, den Grundirrtum, der darin steckt, aufzudecken. So notwendig, wie der Stein auf einen Anstoß hin eine bestimmte Bewegung ausführt, ebenso notwendig soll der Mensch eine Handlung ausführen, wenn er durch irgendeinen Grund dazu getrieben wird. Nur weil der Mensch ein Bewußtsein von seiner Handlung hat, halte er sich für den freien Veranlasser derselben. Er übersehe dabei aber, daß eine Ursache ihn treibt, der er unbedingt folgen muß. Der Irrtum in diesem Gedankengange ist bald gefunden. Spinoza und alle, die denken wie er, übersehen, daß der Mensch nicht nur ein Bewußtsein von seiner Handlung hat, sondern es auch von den Ursachen haben kann, von denen er geleitet wird. Niemand wird es bestreiten, daß – das Kind unfrei ist, wenn es die Milch begehrt, daß der Betrunkene es ist, wenn er Dinge spricht, die er später bereut. Beide wissen nichts von den Ursachen, die in den Tiefen ihres Organismus tätig sind, und unter deren unwiderstehlichem Zwange sie stehen. Aber ist es berechtigt, Handlungen dieser Art in einen Topf zu werfen mit solchen, bei denen sich der Mensch nicht nur seines Handelns bewußt ist, sondern auch der Gründe, die ihn veranlassen? Sind die Handlungen der Menschen denn von einerlei Art? Darf die Tat des Kriegers auf dem Schlachtfelde, die des wissenschaftlichen Forschers im Laboratorium, des Staatsmannes in verwickelten diplomatischen Angelegenheiten wissenschaftlich auf gleiche Stufe gestellt werden mit der des Kindes, wenn es nach Milch begehrt? Wohl ist es wahr, daß man die Lösung einer Aufgabe da am besten versucht, wo die Sache am einfachsten ist. Aber oft schon hat der Mangel an Unterscheidungsvermögen endlose Verwirrung gebracht. Und ein tiefgreifender Unterschied ist es doch, ob ich weiß, warum ich etwas tue, oder ob das nicht der Fall ist. Zunächst scheint das eine ganz selbstverständliche Wahrheit zu sein. Und doch wird von den Gegnern der Freiheit nie danach gefragt, ob denn ein Beweggrund meines Handelns, den ich erkenne und durchschaue, für mich in gleichem Sinne einen Zwang bedeutet, wie der organische Prozeß, der das Kind veranlaßt, nach Milch zu schreien.
Eduard von Hartmann behauptet in seiner «Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins» (S. 451), das menschliche Wollen hänge von zwei Hauptfaktoren ab: von den Beweggründen und von dem Charakter. Betrachtet man die Menschen alle als gleich oder doch ihre Verschiedenheiten als unerheblich, so erscheint ihr Wollen als von außen bestimmt, nämlich durch die Umstände, die an sie herantreten. Erwägt man aber, daß verschiedene Menschen eine Vorstellung erst dann zum Beweggrund ihres Handelns machen, wenn ihr Charakter ein solcher ist, der durch die entsprechende Vorstellung zu einer Begehrung veranlaßt wird, so erscheint der Mensch von innen bestimmt und nicht von außen. Der Mensch glaubt nun, weil er, gemäß seinem Charakter, eine ihm von außen aufgedrängte Vorstellung erst zum Beweggrund machen muß: er sei frei, das heißt unabhängig von äußeren Beweggründen. Die Wahrheit aber ist, nach Eduard von Hartmann, daß: «Wenn aber auch wir selbst die Vorstellungen erst zu Motiven erheben, so tun wir dies doch nicht willkürlich, sondern nach der Notwendigkeit unserer charakterologischen Veranlagung, also nichts weniger als frei». Auch hier bleibt der Unterschied ohne alle Berücksichtigung, der besteht zwischen Beweggründen, die ich erst auf mich wirken lasse, nachdem ich sie mit meinem Bewußtsein durchdrungen habe, und solchen, denen ich folge, ohne daß ich ein klares Wissen von ihnen besitze.
Und dies führt unmittelbar auf den Standpunkt, von dem aus hier die Sache angesehen werden soll. Darf die Frage nach der Freiheit unseres Willens überhaupt einseitig für sich gestellt werden? Und wenn nicht: mit welcher andern muß sie notwendig verknüpft werden?
Ist ein Unterschied zwischen einem bewußten Beweggrund meines Handelns und einem unbewußten Antrieb, dann wird der erstere auch eine Handlung nach sich ziehen, die anders beurteilt werden muß als eine solche aus blindem – Drange. Die Frage nach diesem Unterschied wird also die erste sein. Und was sie ergibt, davon wird es erst abhängen, wie wir uns zu der eigentlichen Freiheitsfrage zu stellen haben.
Was heißt es, ein Wissen von den Gründen seines Handelns haben?[1q] Man hat diese Frage zu wenig berücksichtigt, weil man leider immer in zwei Teile zerrissen hat, was ein untrennbares Ganzes ist: den Menschen. Den Handelnden und den Erkennenden unterschied man, und leer ausgegangen ist dabei nur der, auf den es vor allen andern Dingen ankommt: der aus Erkenntnis Handelnde.
Man sagt: frei sei der Mensch, wenn er nur unter der Herrschaft seiner Vernunft stehe und nicht unter der der animalischen Begierden. Oder auch: Freiheit bedeute, sein Leben und Handeln nach Zwecken und Entschlüssen bestimmen zu können.
