Die Piratin - Aylward Edward Dingle - E-Book

Die Piratin E-Book

Aylward Edward Dingle

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Beschreibung

Nach dem Buch The Female Pirate von Aylward Edward Dingle, erschienen im Jahre 1918. Aufregend schön, mutig und furchtlos, selbstverliebt, voller Verachtung für ihr Umfeld, das sie als ihre Sultana verehrt. Trotz all ihrem Reichtum sehnt sie sich nach einer edleren Welt, ohne den Abschaum um sie herum. Ob brutale Bestie, Intrigantin oder verführerisches Weib, sie nimmt sich, was sie will, und dabei fällt manch ein Mann nicht nur ihrem Charme zum Opfer.

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Seitenzahl: 293

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Kapitel

Die Höhle der schrecklichen Dinge

Dolores bekommt ihr Diadem

Der Hain der Geheimnisse

Das Piraten-Fressgelage

Milo sichtet ein Segel

Die Gesellschaft auf der Jacht

Der Angriff auf die Feu Follet

Dolores lässt Gerechtigkeit walten

Die Sultana entscheidet einige Dinge

Wie ein Schilfrohr, geschüttelt vom Wind der Leidenschaft

Pascherette enthüllt ihre Absichten

Sancho bezahlt seine Rechnung

Dolores bringt die Feu Follet ins Wasser

Das Ende des Gelben Rufe

Die Feuer des Fleisches

Perase betritt die Höhle des Aladdin

Der Test mit dem Schatz

Pascherette intrigiert wieder

Während der Sieg in der Schwebe hängt

Dolores verlangt eine Entscheidung

Der schlummernde Wilde in ihnen

Die Flucht der Feu Folett

Stumpy jagt das Magazin in die Luft

Milo geht über den Jordan

Der Tribut der Götter

Die Höhle der schrecklichen Dinge

Eine große Unruhe brodelte über Berg und Wald, während die blaue Karibik so ruhig und strahlend erschien, als würde sie von einer größeren Macht an der Leine gehalten als der, welche ihre täglichen Gezeiten bestimmt.

Die Menschen bewegten sich oder standen unter den Bäumen an den Klippen in einer Haltung höchster Ehrfurcht, aber auch wachsenden Unbehagens – je nach ihrer Wesensart. Unter ihnen waren Spanier und Briten, Kreolen und Mulatten, Kariben und Oktoronen [zu einem Achtel schwarzer Hautfarbe]. Dazu kohlrabenschwarze Farbige, die gegenüber all den anderen in der Überzahl waren – und besonders auf diesen lastete diese tiefe Ehrfurcht, die bedrückend war.

Etwas abseits, verfolgt von Hunderten verstohlen blickenden Augen, bewegte sich Dolores, die Tochter vom Roten Jabez, vor den mächtigen Felsenportalen der 'Höhle der schrecklichen Dinge' hin und her, wie eine prächtige Tigerin, die von Feinden umzingelt ist.

Hinter diesen Portalen lag der Rote Jabez im Sterben, der Sultan der Piraten, der über Leben und Tod der bunt zusammengewürfelten Gemeinschaft entschied. Er kämpfte mit dem grimmigen Totengespenst, dem er stets weitaus bereitwilliger eine ganze Reihe von Menschen ausgeliefert hatte, als jetzt seine eigene, blutbefleckte Seele.

Der Rote Jabez starb einen ebenso harten Tod, wie sein ganzes grässliches Leben gewesen war.

Niemand der heutigen Bewohner außer dem Roten Jabez selbst und Milo, dem abessinischen Sklaven mit der Herkulesfigur, war jemals durch diese Felsentore gegangen. Seine Tochter Dolores, die nächste in der Reihe, wusste genauso wenig wie einer ihrer einfachsten Sklaven, was hinter dem großen Felsbrocken lag, der das Tor bildete und den nur Milo bewegen konnte.

Sie wusste aber wie alle anderen, dass die große Kammer des Roten Jabez ein riesiges Geheimnis hütete; sie ahnte wie die anderen, dass sie Reichtümer jenseits aller Träume verbarg, und tief in ihrer Seele hoffte sie, dass diese unantastbare Kammer für sie die Mittel zu ihrer eigenen Befreiung von ihrem jetzigen Leben enthielt, aber von dieser Hoffnung wusste niemand außer ihr selbst.

Obwohl die Weißen sie 'Königin' nannten, während ihr die Schwarzen mit Furcht und Unterwürfigkeit den Namen 'Sultana' gaben, und obwohl ihre Macht nur der des Roten Jabez nachstand, kaum geringer als die seine, nagte ein Krebsgeschwür am Herzen von Dolores. Es war das Krebsgeschwür des Zweifels, dass ihre Macht nur eine armselige Macht war und ihre Freiheit nur eine Freiheit in einem Käfig.

Irgendwo jenseits des großen Ozeans, der sich vor ihren Augen erstreckte, lag eine Welt, von der sie nichts wusste; doch seit ihrer frühesten Kindheit hatte ihr scharfer Verstand gesagt, dass die Seide, mit der sie bekleidet war, die Juwelen, die ihren Dolchgriff schmückten, und die Schiffe, welche diese erbeuteten Dinge bei sich hatten, aus weit entfernten Ländern gekommen sein mussten, die begehrenswerter waren als das kastanienbraune Land von Jamaika.

Mehr noch, ihre Ohren, die an das Flüstern oder Tosen des Meeres und das Seufzen oder Kreischen der Winde gewöhnt waren, trugen ihr jetzt das Gemurmel von Männern zu, die lange an der kurzen Leine gehalten wurden und nun nach dem Tod ihres Anführers die Verwirklichung ihrer eigenen wilden Träume von Reichtum und Freiheit sahen.

Ihr aber sagten all diese Dinge mehr, sie sagten ihr, dass die große, fremde Welt jenseits der Meereslinie am Horizont etwas für sie war, wonach sie streben musste – mehr als nach der 'Ehre', die Anführerin für den Abschaum zu sein, der sie Königin oder Sultana nannte.

Sie schritt hin und her, ein ungeheuer geschmeidiges, leuchtendes Wesen von blendender Schönheit und Leidenschaft. Jede ihrer Bewegungen geschah mit Anmut, einer Anmut, wie es sich für eine königliche Frau gehört, die sich ihrer geistigen und körperlichen Vollkommenheit bewusst ist.

Ihr Haar umgab ihr Gesicht und ihre Schultern in einer schimmernden, kräuselnden Wolke, durch die ihre nackten Arme und ihr Ausschnitt lugten, wie von der Göttin der Schönheit gestohlen. Ihre Tunika aus gesteppter chinesischer Seide hing von einer Schulter an einem Riemen, der aus dem Band mit dem Stern von Persien gefertigt und an diesem befestigt war.

Ihre starke, schlanke Taille war von einer schweren goldenen Kordel umschlungen, die einen langen, dünnen Dolch, der kein Spielzeug war, in einer juwelenbesetzten Scheide hielt. Der Saum ihres einzigartigen Gewandes war mit goldenen Pailletten besetzt, welche die Bewegung ihrer leicht muskulösen Knie nachzeichneten. Ihre Füße waren durch Sandalen aus rotem Leder vor Dornen und Muscheln geschützt.

Je mehr Zeit verging, ohne dass ein Zeichen aus der Höhle kam, desto schwieriger wurde es für Dolores, ihre Ungeduld zu zügeln. Die um sie herum verstreuten Männer waren nicht aus ihrem Holz geschnitzt; sie spürten, dass die bevorstehende Krise schwer auf ihnen lastete, und Weiße wie Schwarze rückten zusammen, um den Trost der gegenseitigen Nähe zu suchen.

Von Zeit zu Zeit sprach ein härter gesottener Geist seine Gedanken laut aus, doch immer mit einem unsicheren Blick in die Richtung von Dolores. Sie hatten allen Grund dorthin zu blicken, denn jeder hatte die Strafen der Königin kennengelernt, die nur selten zu Milde neigte; viele von ihnen hatten auch ihre furchterregende Fähigkeit erlebt, ein Urteil persönlich zu vollstrecken.

Unter ihnen gab es keinen, der nicht wusste, dass sie in Dolores eine Frau als Königin besaßen, die keinem Mann in ihrem Können nachstand. Ihr Messer war schnell, ihr rundes Handgelenk stark, ihre flammenden violett-schwarzen Augen hatten einen so sicheren Blick, wie bei jedem anderen unter ihnen.

Keiner der Männer konnte jemals den aufsässigen Sklaven vergessen, den sie mit ihren eigenen Händen verprügelt hatte, jede Hilfe verschmähend, bis der Unglückliche sich losriss und schreiend zur Klippe floh, um sich kopfüber in die von Haien verseuchte See zu stürzen.

Und ebenso wenig konnten sie vergessen, wie sie ihm unerschrocken nachgesprungen war und den furchtbaren Kampf danach, um ihn wieder herauszuholen, und natürlich auch nicht ihre Vollendung der unterbrochenen Bestrafung, nachdem sie ihn zurückgezerrt hatte.

Doch selbst im Angesicht dieser Erinnerungen erwiesen sich die Belastungen und die Spannungen als zu groß. Ein großer, kräftiger Spanier, mit schweren Ohrringen, gut aussehend und von herber, brutaler Schönheit, schickte einen flammenden Schwur in die schwüle Luft und rief wütend aus:

»Verflucht sei das Spiel dieses Mädchens! Müssen Männer hier wie geprügelte Köter herumstehen, bis ein Sklave uns gestattet, einzutreten? Kommt! Wer folgt mir durch diese Tür? Ich will wissen, was sich hinter diesem Mummenschanz verbirgt und es herausfinden, wenn ich dem alten Jabez im Sterben den Hals abwürge.«

Der Mann trat zwei Schritte vor, blickte Dolores trotzig an und wartete darauf, dass die Männer ihm folgten. Ein unruhiges Schlurfen der Füße war für einen Moment die einzige Antwort, die er bekam; dann blickten seine Augen mit abkühlendem Eifer auf Dolores.

Für einen kurzen Moment, nachdem er aufgehört hatte zu sprechen, stand das Mädchen wie eine prächtige Statue da, bis auf das Glitzern ihrer Augen und ein leichtes Zittern ihrer Glieder.

Es schien so, als erwarte sie eine Reaktion. Dann entspannte sich ihr Gesicht zu einem verächtlichen Lächeln, und ihre purpurnen Lippen öffneten sich, um ihre ebenmäßigen, glänzenden Zähne zu enthüllen. Es kam ein schallendes kleines Lachen von ihr, wie das Klirren von Stahlgliedern, und mit einer einzigen gleitenden Bewegung, die kein Ausweichen zuließ, fegte sie bis auf zwei Fuß an den nun verängstigten Schurken heran.

»Ja! Dieser Lump hier, der 'Gelbe Rufe', würde einem Sterbenden die Worte herauswürgen!«, rief sie. »Nichts, was lebt und auf zwei Beinen stehen kann, muss so einen wie ihn fürchten. Schweig, du sklavischer Hund«, keuchte sie dann, streckte eine glänzende Hand aus und packte ihn an einem Ohrring.

»So markiere ich Köter, die ihre Nahrung bei den Toten suchen«, rief sie, und bei diesen Worten schnellte das Messer in der Hand von Dolores nach oben, und an Rufes Wange leuchtete ein karmesinrotes Kreuz, das sie ihm eingeritzt hatte, während die Angst vor dem Tod in seine Augen sprang.

»Nun geh!«, sagte sie herrisch und schob ihn weg. »Niemand soll vergessen, dass der Rote Jabez, solange noch Leben in ihm ist, euer Schicksal als Pfand hält. Und wenn er geht, dann werdet ihr mit seinem Geist rechnen müssen!«

Rufe taumelte davon, halb ungläubig, dass seine Strafe nicht der Tod war. Seine Gefährten führten ihn weg, wobei mancher einen besorgten Blick auf die Verursacherin seines Unglücks warf, und ein tiefes, mürrisches Gemurmel ging durch die Menge.

Dolores nahm ihren einsamen Gang wieder auf, ohne einen weiteren Gedanken an den widerspenstigen Burschen zu verschwenden, dem sie so schnell und wirksam einen Dämpfer verpasst hatte. Ihre Augen waren stets auf den großen Felsenbrocken gerichtet; ihre Gedanken drehten sich um einen vagen, geheimnisvollen Instinkt, der ihr zuflüsterte, dass mit ihrem ersten Eintritt in diese finstere Höhle der Mantel des grimmigen alten Roten Jabez auf sie fallen würde, und mit ihm eine Macht, um die sie ein Zar beneiden könnte!

Ja, in der Tat die Macht eines Zaren, aber nicht nur mit all den Sorgen eines Zaren, sondern noch viel mehr, denn ein Zar hatte nie über solch scheußliche Untertanen wie diese geherrscht.

Eine plötzliche Stille senkte sich über den Ort. Das Gemurmel verstummte, als wären die Zungen erstarrt. Rufe, dessen Kopf nun in Bandagen gehüllt war, starrte auf den großen Felsbrocken mit einem unentschlossenen Ausdruck in seinen glühenden Augen, einem Ausdruck, der zwischen widerwilliger Unterwerfung, wiedererwachter Gier und aufkeimender Hoffnung schwankte.

Dolores stand regungslos da, gebieterisch in jeder Hinsicht und mit jedem ihrer Gesichtszüge. Ihre schweren Wimpern verdeckten den Eifer in ihren Augen, und ihre roten Lippen waren in königlicher Gleichgültigkeit geschwungen.

Der große Felsbrocken rollte zur Seite. Langsam, aber mit der stetigen Regelmäßigkeit eines Mühlrads, wurde dieser massive Stein nach oben gedrückt und zur Seite gerollt, bis er schließlich auf einem Sims ruhte, perfekt ausbalanciert und bereit, schon bei leichter Berührung eines Fingers wieder zu fallen.

In der Öffnung erschien die Gestalt des Mannes, der die Höhle geöffnet hatte: Milo, der abessinische Riese, Wächter des Felsbrockens, Hüter der 'Höhle der schrecklichen Dinge', wachsam gegenüber den Gierigen und Schrecken der Stärksten, füllte den Eingang mit seiner kolossalen Gestalt aus. Er blickte mit einer ruhigen Würde hinaus, welche die Weißen vor Hass erschaudern ließ.

Langsam, mit stattlicher Anmut, schritt der Riese voran, bis er vor Dolores stand, und in seinen kohlschwarzen Augen leuchtete das Licht grenzenloser Hingabe. Er kniete nieder, küsste die Pailletten am Saum ihrer Tunika, dann presste er beide Hände an die Stirn und senkte sein Gesicht zu ihren Füßen auf die Erde.

»Steh auf, Milo«, sagte Dolores sanft. Als sie sprach, bekam sie kaum Luft wegen des Schmerzes, der in ihr war. Sie wusste, weshalb der Sklave gekommen war; jeder Mann in dieser Gemeinschaft von Piraten, Strandräubern, entlaufenen Sklaven und Sträflingen wusste es ebenso gut wie sie. Alle hatten auf diesen Moment gewartet und wussten, wenn er kam, würde das Geheimnis der Höhle, zumindest für einen unter ihnen, bald kein Geheimnis mehr sein.

Alle wussten, dass dieses Treffen das Ableben des alten Piraten bedeutete, der sie zusammengebracht, mit Blut und eiserner Hand beherrscht und zu einer Huldigung gezwungen hatte, die keiner von ihnen seinem Schöpfer erwiesen hätte.

»Meine Sultana, es ist Zeit«, sagte Milo, stand auf und wartete. Mehr brauchte er nicht zu sagen.

»Führt mich nun zu meinem Vater«, antwortete das Mädchen und ging mit sicherem Schritt und entschlossenem Gesicht hinter dem Riesen her, ohne auf das erneute Schlurfen und Zusammenrotten ihrer Leute zu achten, auch nicht auf den Gelben Rufe, der sich wieder vor den anderen erhob und sie in grimmigen Tönen anstachelte.

Dolores trat durch das große, in den Fels gehauene Tor, und trotz ihres starken Herzens und ihres stählernen Willens zitterte sie in jeder Faser. Am Ende des finsteren Ganges, dessen rubinrote Lampen die Düsternis nur noch verstärkten und ihm einen infernalischen Glanz verliehen, lag die große Kammer, die nur der Anführer betreten durfte.

Was würde sie dort finden? Ihren Vater, ja, und sterbend! Sonst wäre diese Versammlung nie einberufen worden.

Der Tod musste nun bei ihm sein. Der alte wilde König der See hatte seinen Thron in vielen Kämpfen mit dem grimmigen Sensenmann verteidigt, weil er wusste, dass seine eigene Kraft siegen würde. Aber jetzt hatte er ihn endgültig zu sich gerufen, und Dolores suchte das Unbekannte mit einer Neugier, die ihre Angst besiegte.

Hinter ihr hallte ein schwerer Schlag an den felsigen Wänden wider, und das von außen kommende Licht wurde durch das Herabfallen des großen Steins abgeschnitten. Im nächsten Moment stand Milo neben ihr, nahm ihre Hand und führte sie über den jetzt kaum noch zu erkennenden Boden, bis sie vor einer massiven Tür stand.

Ihre Füße sanken in den Stapel schwerer Teppiche, ihre Nasenflügel bebten von den feinen Gerüchen scharfer Gewürze. Oberhalb dieser Tür warf eine große, juwelenbesetzte Laterne ein reiches, gelbes Licht auf die Türfüllungen, und das Mädchen keuchte unwillkürlich bei dem Anblick, der sich ihr bot.

Jede dieser Platten an der Tür bestand aus Schuppen, die sich wie bei einer Schlange überlappten. Sie waren aus grob gehämmertem Gold und Silber, reich ziseliert und dicht mit Edelsteinen besetzt. Sie wusste sofort, dass es sich einst um kostbare Gefäße gehandelt hatte, die einen Altar hätten schmücken sollen. Vielleicht wurden sie mit einem blutigen Säbel gespalten und in Platten zusammengepresst, um den grimmigen Humor eines schrecklichen alten Korsaren aus längst vergangenen Zeiten zu befriedigen.

»Tritt ein, meine Prinzessin!«, sagte Milo.

Ohne ein Geräusch war die massive Tür verschwunden. Sie schwebte hoch, in eine dunkle Nische an der Decke und zurück blieben glatte, stahlverkleidete Schlitze an den Seiten und am Boden, die den Glanz sorgfältiger Pflege widerspiegelten.

Dolores unterdrückte ihre Überraschung und ging auf die schweren Samtvorhänge zu, die ihr immer noch den Weg versperrten. Auch diese wurden ohne sichtbare Anstrengung beiseitegeschoben, und das Mädchen stand auf der Schwelle der geheimnisvollen Kammer.

Dolores bekommt ihr Diadem

In einem großen, überdachten Bett, das einem wertvollen indischen Beutegut entstammte, lag der Rote Jabez, regungslos wie ein steinernes Abbild. Deutlich konnte man seinen hochgewachsenen Körper sehen, der mit Seide und seltener Spitze bedeckt war.

In die Kissen, die seinen massigen Kopf stützten, war das Wappen eines Herzogshauses eingearbeitet worden. Sein gezeichnetes, hageres Gesicht war von einer großen Mähne leuchtend roten Haares umgeben und wurde davon fast bedeckt. Sein seidenes Hemd, das am Hals weit geöffnet war, enthüllte eine gewaltige Brust, deren Atemflut fast zum Stillstand gekommen war.

Nur in seinen Augen, die noch immer glühten, lag noch ein Hauch von Leben. Es war, als würde sich der Funke des Lebens zu einem letzten Aufflammen von ungeheurer Leuchtkraft verdichten.

Die grimmigen Augen bewegten sich schnell, als Dolores eintrat, und man hätte sagen können, dass sich für einen Augenblick ein Schimmer der Zärtlichkeit über das harte Funkeln in ihnen legte, doch er war so schnell verschwunden, wie er gekommen war.

Sein Blick ruhte jetzt fest auf dem verblüfft dreinschauenden Mädchen, denn diese Verblüffung hatte Dolores beim ersten Betreten des großen Raumes ergriffen. In ihren wildesten Träumen, die zuweilen fantastisch gewesen waren, hatte sie nie etwas gesehen, das auch nur annähernd mit der Szene vergleichbar gewesen wäre, die sich jetzt ihren Augen bot. Für einen Moment verschmolzen der Tod, der Rote Jabez und ihr Schicksal mit den fernen Visionen, und es nahm ihr jegliche Willenskraft.

Das große Bett stand in der Mitte einer riesigen Kammer in der Höhle. Seiten, Dach, Boden – jeder Zentimeter des felsigen Gesteins selbst zeugte von der Handarbeit Hunderter geschickter Handwerker, aber die Einrichtung, die Dolores in die Augen stach, ließ sie alles andere vergessen, was um sie herum war: Diwane und Stühle, Schränke und Tische versetzten sie in das Reich der Kaiser und Könige. Vasen aus China und Griechenland standen auf Ständern mit Einlegearbeiten. Ein großer Uhrenkasten aus Ebenholz und Elfenbein, in dem klangvoll ein altes Meisterwerk von einem berühmten Uhrmachern tickte, stand zwischen zwei prächtigen Gobelin-Wandteppichen.

Und um sie herum und über ihr erblickten die staunenden Augen von Dolores Kostbarkeiten der Malkunst, wie sie nur wenige Sammlungen aufweisen konnten. Die gesamte Decke war mit einer kolossalen 'Amazonenschlacht', wie auf einem Bild von Rubens, bedeckt; jede einzelne Figur war in verblüffender Deutlichkeit herausgearbeitet, voll von üppigem Leben und Aktion.

An den Wänden hingen riesige goldene Bilderrahmen, die das Beste von Tizian, Correggio und Giorgione, Raffael und Ribera enthielten.

Überall blitzten Juwelen auf. Raffiniert platzierte Lampen, die selbst mit den rötesten Rubinen und den zartesten grünen Smaragden besetzt waren, durchfluteten die Wände und strahlten auf das Mobiliar mit einem sanften, aber forschenden Licht, das wohl sorgfältig berechnet worden war, um jene Dinge hervorzuheben, deren Schönheit nach Licht verlangte, aber das Auge trotzdem nicht ermüden sollte.

»Die Stunde ist gekommen, meine Sultana«, sagte Milo ängstlich.

Dolores löste sich von dem Bann und näherte sich dem großen Bett. Der Rote Jabez schloss die Augen, als sie sich über ihn beugte, und nur seine Lippen gaben jetzt noch ein Lebenszeichen von sich.

Das Mädchen, in der wildesten Einsamkeit aufgewachsen, ohne zähmende Familienbande, dessen Triebe und Gefühle nur die eines schönen Tieres waren, und das umso mehr, als sie zu dem Pöbel gehörte, der den sterbenden Mann Anführer nannte, starrte auf ihren furchtbaren Elternteil herab, ohne eine Spur von Bedauern.

In ihren Augen leuchtete vielmehr der Triumph eines Siegers, der im Begriff war, ein erobertes Königreich zu betreten. Aber der Rote Pirat sprach noch, und sie beugte ihr Ohr zu ihm hin, um seine Worte zu hören. Es bedurfte keines ärztlichen Wissens, um in seinem feuchten Gesicht alle Anzeichen eines bevorstehenden Zerfalls zu erkennen.

»Dolores, ich bin am Ende meines Weges«, flüsterte Jabez. Die Anstrengung raubte ihm fast den Atem. Er hielt inne, dann sammelte er all den gewaltigen Willen, der noch in seinen Körper steckte, und als die Kraft in ihm anschwoll, sagte er in kurzen Sätzen, was er zu sagen hatte, wobei er den flackernden Lebensfunken aufrechterhielt, um seine Worte herauszupressen.

»Geh nie von hier fort, Mädchen. Lass auch niemanden gehen. Die Welt hat mich und uns alle vergessen, aber das Gedächtnis ist zäh – es wird auf einen Wink hin wieder lebendig. An jeder Kehle, die hier mit heißem Leben pulsiert – ja, meine Tochter, sogar an deiner schönen Kehle – wurde schon vor Jahren Maß genommen. Ein Strick wartet auf jeden. Aber hier – «

»Ja, Vater?« Dolores zitterte bei der Unterbrechung, die Stille ließ sie frösteln. Der riesige Abessinier stand am Kopfende des Bettes und befeuchtete nun die Lippen des sterbenden Piraten mit Wein.

Der Rote Jabez zuckte krampfhaft zusammen, griff nach seiner Kehle und fuhr mit immer schwächer werdenden Stimme fort: »Hier war ich König; hier bist du jetzt die alleinige Königin; all diese Dinge, die du siehst, und vieles mehr, gehören dir. Leben und Tod liegen in deinen Händen, um es zu geben oder zu verweigern. Behalte die stählerne Hand, auch wenn du einen Handschuh trägst, Dolores. Du hast gelernt, Macht auszuüben. Mit der größeren Macht, die du nun aus dieser Kammer mitnimmst, und mit Milo, lass nichts und niemanden deine Ängste wecken. Bewahre diese Kammer, wie ich sie bewahrt habe; sie ist deine Stärke; wenn die Gefahr droht, dich niederzuschlagen, dann findest du hier – «

Die zitternde, flüsternde Stimme verstummte. Der alte Pirat lag starr da.

Dolores, die so viel und doch so wenig gehört hatte, lehnte über dem Bett in einer Ekstase des ungestillten Hungers nach mehr.

Milo stand daneben, eine prächtige Statue aus lebendiger Bronze, die Augen unentwegt auf das Gesicht seines Herrn gerichtet. Noch einmal bewegten sich die blauen Lippen.

Dolores stürzte mit gespanntem Ohr zu ihm hinunter, die Hände wie zur Fürbitte geballt.

»Milo, sag – «, flüsterte er, und mit diesen Worten erhob sich die Seele des Roten Jabez, um sich einem Gericht zu stellen, das schrecklicher war als jeder irdische Richter, dem sein Körper entgangen war. Und die große Uhr schlug ihr Totengeläut.

Dolores warf sich auf das Bett und tätschelte mit nervösen Fingern das tote Gesicht, aber ihre Augen waren trocken, keine kindliche Verzweiflung erhob sich in ihrer Brust, ihr Flehen galt dem Unmöglichen – die toten Lippen sollten sprechen – und als ihr die Bitte verweigert wurde, sprang sie in einem Anfall königlicher Wut von dem Sterbebett weg.

»Bei den Mächten des Bösen, er soll ohne Sarg daliegen, bis diese geheimnisvollen Lippen mir das Rätsel nennen, das sie nur halb erzählt haben«, rief sie und schritt mit erhobenen Armen und harten, glitzernden Augen zwischen Bett und Wand hin und her.

Plötzlich hielt sie in ihrem wilden Gang inne, drehte sich rasch um und erreichte das Bett mit demselben feinen, gleitenden Schwung, der sie vor den Gelben Rufe getragen hatte. Es war eine für sie charakteristische Bewegung – eine Mischung aus dem pfeilschnellen Gleiten eines Tigerhais und dem lautlosen Sprung seines Bruders aus dem Dschungel.

Milo erwachte aus seiner Niedergeschlagenheit und sprang mit beeindruckender Schnelligkeit von seinen Knien auf, aber er hatte noch nicht einmal den Fuß des Bettes umrundet, als die wilde Furie keuchend über dem Leichnam stand.

»Sprich!«, rief sie und schüttelte heftig die Bettdecke. Milo, dessen Gesicht vor Entsetzen rot anlief, nahm behutsam ihre Hand weg und stand dann mit gesenktem Kopf vor ihr, wobei sich seine schwellende Brust wild bewegte.

»Du Narr, lass mich los!«, schnappte sie und schlug dem Sklaven mit ihrer ganzen wilden Kraft auf die Wange.

Milos Gesicht wurde weiß für einen kurzen Augenblick, dann leuchtete die hündische Ergebenheit, die sein Herz erfüllte, in seinen Augen auf, und er kniete zu den Füßen des wütenden Mädchens, den Kopf zu Boden gesenkt.

Doch im nächsten Augenblick erhob er sich, legte ehrfürchtig eine Hand auf die zitternde Schulter von Dolores und blickte ihr tief in die Augen. Der unheimliche Hauch vulkanischer Kraft, den der Riese verströmte– vulkanisch, aber für den Moment ruhig – ließ sie erneut erschaudern.

Seine Lippen öffneten sich gerade, um zu sprechen, als sie sich über sein Benehmen ärgerte. Jetzt packte sie eine neue Wut wegen der Unverfrorenheit des Sklaven. Sie schlug seine Hand weg und holte ihren Dolch hervor.

»Stich zu, Sultana«, sagte Milo nur. Er zog den Gurt seiner Ledertunika zur Seite und entblößte sein Herz. »Stich zu, aber lasst dich zuerst von deinem Sklaven aus diesem Grab befreien.«

»Freilassen? Grab? Was ist das für ein Gerede?«, keuchte Dolores. Sie hielt ihren Dolch in die Höhe und ihre Lippen bebten.

»Ein Grab wird es sein, wenn dein Diener stirbt, Sultana«, antwortete Milo. »Niemand außer mir kann die große Tür öffnen.«

»Sie schließen?«, fuhr er fort. »Ja, jeder kann sie schließen. Komm, ich werde dich aus dieser schrecklichen Gegenwart herausführen; dann kannst du Milo am Tor zu seinem Herrn schicken, der ihn geliebt hat.«

Langsam ließ Dolores ihren Dolch wieder in die Scheide gleiten, und ihr Gesicht war vor Verwirrung verzogen. Ihr ganzes Leben lang hatte sich der riesige Sklave um sie gekümmert, ihre Schritte und ihren Schlaf bewacht, ihr die Dinge beigebracht, welche den ganzen turbulenten Haufen da draußen das Fürchten gelehrt hatten.

Doch rechtzeitig genug wurde ihr die rettende Gnade der Erinnerung zuteil. Sie reichte ihm ihre Hand und erlaubte ihm, sie auf sein Haupt zu legen, was immer sein bevorzugtes Ausdrucksmittel war, wenn sie als Kind auf einen Wutausbruch Reue folgen ließ, und in einem wesentlich sanfteren Ton bat sie ihn um eine Antwort auf das Rätsel, das man ihr hinterlassen hatte.

»Komm, Sultana«, sagte Milo und legte ihr erneut die Hand auf die Schulter, diesmal, ohne dass sie es ihm übel nahm. »Dein Vater, der Rote Anführer, hat viel von dem übrig gelassen, was noch erzählt werden muss. Ich werde dir alles erzählen, aber nicht jetzt. Geduld, Prinzessin«, flehte er, als er das warnende Glitzern in ihren Augen bemerkte.

»Hörst du denn nichts? Höre aufmerksam hin – nein, es kommt nicht von hier drinnen, sondern von draußen – neige dein Ohr zu diesem Wandteppich. Er hängt vor einem listigen Klangstein, durch den man die Stimmen auf den Klippen gut hören kann. Hör zu!«

Dolores lauschte, zunächst nur unwillig, denn sie hielt dies für eine List des Riesen, und der Groll war kurz davor, wieder in ihr aufzusteigen. Aber in einem Augenblick verschwand ihre Gleichgültigkeit, sie wurde wach, ihr Körper spannte sich an, ihre Glieder zitterten, das Glitzern einer Königin im gerechten Zorn erhellte ihre Augen, und sie hob – unnötigerweise – eine Hand, um den Sklaven zum Schweigen zu bringen.

»Hast du das schon mal gehört?«, fragte sie in einem lebhaften Flüsterton.

»Seit du eingetreten bist, Sultana. Es kann sich nur um eine Meuterei handeln, und doch wollte ich meinen alten Anführer in der Stunde seines Übergangs nicht mit diesem Problem belasten. Aber jetzt weiß ich, dass sich das alles zu Höhen aufgeschwungen hat, die rasches Handeln erfordern; deshalb habe ich dich darauf aufmerksam gemacht.«

»Es ist wieder dieser Schurke Rufe«, murmelte Dolores, die ihr Ohr noch immer an den Wandteppich presste.

Das Gemurmel von hundert Stimmen war deutlich zu hören, und über allem ertönte das hocherhobene Schreien desjenigen, der die anderen anstachelte. Zeitweise wurde das Gemurmel zu einem Heulen, und der triumphale Ton, der darin lag, ließ kaum einen Zweifel, um was es ging.

Das Mädchen, das sich der Notwendigkeit eines entschlossenen Handelns gegenübersah und sich dabei nicht mehr auf die Weisheit und die Macht des Roten Jabez verlassen konnte, trat mit klopfendem Herzen und geöffneten Lippen nach vorne, aber ohne jede Spur von Angst.

Ungewissheit bewegte sie – Ungewissheit über die Reichtümer der großen Kammer, deren Geheimnisse sich ihr kaum erschlossen hatten, bevor der Vorhang wieder fiel.

Ihr fester Wille entschied jetzt für sie: »Komm, führ mich hinaus, Milo«, befahl sie.

Dann richtete sie sich wie eine Königin auf und rückte ihren Dolch näher zu ihrer Hand hin: »Wir müssen diesen Pöbel abkühlen, bevor sich das Feuer weiter ausbreitet. Nimm eine Waffe, öffne die Tür und folge mir.«

»Das ist die Entscheidung, die einer Tochter meines alten Anführers würdig ist«, antwortete Milo, wobei sich sein großer Körper der Energie anpasste, die ihn durchströmte.

Ohne dass sie es wusste, hatte er Dolores nicht aus den Augen gelassen, während sie ihre Entscheidung traf; jetzt durchströmten und verklärten ihn Freude und Begeisterung. Er war nur ein Sklave, und doch sah er in diesem Augenblick wie ein Herrscher aus.

»Warte nur noch einen Augenblick«, sagte er und erreichte mit zwei riesigen Schritten eine massive Eichentruhe, an der schmiedeeiserne Scharniere befestigt waren. Er hob den Deckel ehrfürchtig an, nahm einen schlichten Goldreif heraus und kehrte zu Dolores zurück.

»Dein Vater befahl mir, das hier anzufertigen und aufzubewahren, bis du meine Sultana bist«, sagte er.

Er holte ein schweres, mattgoldenes Band heraus und legte es Dolores mit der höfischen Ehrerbietung, die eines geborenen Adligen würdig gewesen wäre, um die Stirn. Es passte perfekt – und das sollte es auch, denn die liebevollen Finger, die es angefertigt hatten, waren zu diesem Zweck viele Male um den schlafenden Kopf des Mädchens herumgeschlichen, und im Übrigen erlaubte es die weibliche Eitelkeit nicht, dass Dolores die Passform kritisieren würde.

Sie trat vor einen langen, goldgerahmten Spiegel, und ihr schönes Gesicht und ihre violetten Augen verdunkelten sich, angesichts des strahlenden Spiegelbilds, das ihr entgegenblickte.

»Es ist gut, Milo, ich danke dir«, sagte sie und lächelte.

»Lass und jetzt die Ratten vertreiben, die an meinen Mauern nagen«, fügte sie dann hinzu. »Führ uns schnell nach draußen.«

Milo betrat den Gang, hob die so kunstvoll beschlagene Tür an und ließ sie hinter sich herunterfallen. Er verschmähte es, eine Waffe zu tragen, aber Dolores war damit zufrieden, denn sie hatte gesehen, was diese riesigen Hände anrichten konnten.

Als sie sich dem großen Felsbrocken am Eingang näherten, schallten die Geräusche von draußen durch den Korridor, und der scharfe Nachhall, der sie in Abständen begleitete, kündete von einem Angriff auf dem Felsen mit Spießen, Brechstangen oder kleineren Steinen.

Milo bückte sich zur Unterseite des Felsbrockens, um seine Hände darunterlegen: »Bleib weg«, flüsterte er und spannte seine Arme. »Lass deinen Diener hinausgehen und dieses Geschrei zum Schweigen bringen – «

»Nein, mach schnell auf!«, unterbrach sie ihn herrisch. »Es steht dem Sklaven nicht zu, dem Herrscher voranzugehen. Bleib ruhig und öffne.«

Ihre Hand lag auf dem Dolch, ihr Kopf war stolz erhoben; jeder Zentimeter und jede Kontur ihrer Gestalt strahlte prächtige Stärke und Sicherheit aus. Milo hob den großen Stein an und lächelte selig. So hatte er sich in der Tat seine Sultana vorgestellt, wenn sie ihr Recht durchsetzen würde.

Er hob ich mit aller Macht an, und der große Brocken rollte weiter und weiter nach oben, bis er auf dem Felsvorsprung balancierte; aber Milo wusste, dass irgendeine Kraft am Werk war, die seine Mühen behinderte. Nie zuvor war es eine so schwere Aufgabe gewesen, dass sie ihm den Schweiß auf die Stirn trieb, und jetzt tropfte er aus jeder Pore.

Der Felsbrocken weigerte sich, ruhig zu liegen, ohne dass er seine Hand darauf hielt, und er wagte es nicht, sich zu erheben, um darüber hinwegzusehen, damit er nicht wieder herunterfiel und er von ihm erdrückt wurde. Er warf dabei Dolores, die ungeduldig darauf wartete, dass er ihr den Weg frei machte, einen bittenden Blick zu, und sie schritt an ihm vorbei nach draußen. Dort wurde sie von einem Gebrüll des Spottes begrüßt, das weit bis zum Meer hinunter hallte.

»Ruhig, ihr Hunde des Teufels!«, rief sie mit erhobener Hand.

Ein dröhnendes Gelächter antwortete ihr. Dann trat ein stämmiger Raufbold mit einem Auge und einer großen Narbe, die vom Kinn über die gebrochene Nase bis zu den Haarwurzeln reichte, mit einem selbstbewussten Grinsen vor und machte einen falschen Knicks. »Königin der Piraten, wir grüßen dich!«, sagte er. Dann hörte er auf, sich zu verstellen, und brachte einen dreisten Fluch auf sie aus.

»Komm, mein Mädchen«, rief er, »das Spiel ist zu Ende gespielt. Der alte Bock ist tot, und wir wollen ein paar von den hübschen Sachen, die er da drin versteckt hat. Du bist ein nettes Mädchen, das bestreite ich nicht, und wir werden dir nichts tun, wenn du uns nicht behinderst, aber wir spielen nicht mehr Könige und Königinnen. Komm jetzt. Der große Kerl soll uns hereinlassen, und sag nichts mehr dazu, denn wir werden unseren Spaß haben.«

Der Mob war immer näher gekommen, bis er sich nun so dicht vor Dolores um den Eingang drängte, dass sie den Atem der Anführer spürte. Mit großer Verwunderung stellte sie fest, dass der Gelbe Rufe nicht in der vordersten Reihe stand, aber sie hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn der Mob drängte weiter, bis sie gezwungen war, entweder einen Vorstoß zu wagen oder nachzugeben.

Ein kleiner Schock durchfuhr sie, als sie sich schnell umdrehte, um zu sehen, wie es Milo ging, und feststellte, dass er verschwunden war. Der Mob bemerkte es auch und stürzte sich mit hungrigen Gesichtern auf sie.

»Kommt schon, Jungs!«, riefen sie. »Milo ist hineingegangen, um die Beute für uns zu öffnen.«

Eine schmutzige Hand schnappte nach der Tunika des Mädchens, und im Nu war der Eingang von wild um sich schlagenden Gestalten verstopft.

Mit einem keuchenden Schrei der Wut schlug Dolores die kühne Hand beiseite, und mit einem Panthersprung war sie auf ihm. Eine schlanke, braune Hand, stark wie eine Stahlklaue, packte seine Kehle; die andere Hand ergriff einen glitzernden Dolch, der wie ein Pfeil des Schicksals in sein Herz stieß und ihn wie ein Holzscheit zu ihren Füßen fallen ließ.

Für einen kurzen Moment hielt die Menge inne, dann drängte sie mit heißerem Gebrüll wieder nach vorn, und Dolores fand sich in einem verzweifelten Kampf gegen die Männer wieder, die zu Wölfen wurden, die mit stählernen Waffen ausgestattet worden waren und nach ihrem Blut dürsteten, um sie für ihren Widerstand zahlen zu lassen.

Eine Zeit lang konnte sie sich durch schiere Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit mehr als behaupten; aber von allen Seiten, außer von hinten, angegriffen, fühlte sie schnell, wie ihre Glieder schwer und unbeholfen wurden, und ein Entermesser sang über ihrem gebeugten Kopf, als sie stolperte und ohne Schutz oder Ausweichmöglichkeit blieb.

Doch sofort wusste sie, dass es ihr weiterhin gestattet war, ihre Sporen zu verdienen, denn das drohende Messer wurde in der Luft von einer riesigen bloßen Hand aufgefangen, dem Griff seines Besitzers entrissen und mit der Spitze in die Brust des Angreifers zurückgestoßen.

Milos tiefe Stimme klang in ihrem Ohr: »Geh in den Gang hinein, Sultana, und zwar schnell. Pass auf die Leiche am Boden auf, aber bleibe nicht stehen. Innehalten heißt sterben!«

Sie spürte, wie sie hineingezogen wurde, der Kampf schien sich von ihr weg zu verlagern, und der Gang war nach dem Tumult draußen so still wie ein Kloster. Sie stolperte in dem schwachen roten Licht weiter, wobei sie gerade noch vermeiden konnte, über einen am Boden liegenden Körper zu stürzen, den sie nach einem kurzen Blick als Leiche erkannte. Dies war der Mann, der versucht hatte, das Felsentor auf Milo zurückzudrücken.

Dolores stieß den Körper mit dem Fuß weg und drehte sich abrupt um, wütend darüber, dass sie dem riesigen Sklaven erlaubt hatte, sie in Sicherheit zu wiegen, aber so schnell, wie sie sich umgedreht hatte, hielt sie inne, denn in der Öffnung am Ende des Ganges stand die riesige Gestalt von Milo, beide Hände erhoben, und zwischen ihnen hielt er ein Fass.

Zuerst wurde Dolores durch ein seltsames, knisterndes Geräusch verwirrt, dann erkannte sie eine kurze Lunte, die vom Fass herunterhing, und sie knisterte, während sie kürzer wurde und Funken um den gebeugten Kopf des Riesen herumschleuderte, bis die Spitze des Feuers bereit schien, im Spundloch zu verschwinden.

»Ein Schatz für euch Aasfresser!«, brüllte Milo. »Teilt ihn unter euch auf!«

Man hörte einen dumpfen Klang auf dem Felsen, als das Fass in die Menge hinausgeschleudert wurde. Im nächsten Augenblick bebte die Höhle unter einer gewaltigen Explosion, und einen Augenblick später hätte die Erde tot sein können, denn es war kein Ton mehr zu hören, doch einen Augenblick später ertönte die Welt draußen wieder, mit Schreien und Kreischen, Flüchen und Bitten, und Milo verbeugte sich tief vor seiner Herrin und sagte:

»Wenn meine Sultana es für richtig hält, ist es nun an der Zeit, diesem Abschaum der Erde zu zeigen, wer seine Herrscherin ist.«

»Warte, Milo«, antwortete Dolores, die bei seinem Anblick leicht erschauderte. Der Riese war blutüberströmt, denn in den Augenblicken, in denen er damit beschäftigt war, die Höllenmaschine hinauszuwerfen, hatten ein Dutzend Messer nach seinem Leben getrachtet.

»Verzeiht eurem Sklaven«, erwiderte er, als er die Bedeutung ihrer Worte erkannte. »Ich werde trotzdem so hinausgehen. Es wäre nicht gut, wenn diese Hunde denken, dass die von ihnen beigebrachten Wunden schmerzen können. Solche Kratzer sind nichts. Sie sind jetzt auch vollständig bezahlt.«

»Es ist gut. Führ uns wieder hinaus, guter Milo, und fürchte dich nicht um mich. Mit dir an meiner Seite bin ich gut gerüstet.«



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