Die POPkörner (3). Eine Bühne für Billie - Stefanie Taschinski - E-Book

Die POPkörner (3). Eine Bühne für Billie E-Book

Stefanie Taschinski

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Beschreibung

Das ist die Chance ihres Lebens! Billie hat die Popkörner bei der Europäischen Popakademie in München angemeldet. Trotzdem scheinen die anderen Bandmitglieder wenig begeistert und Rosa hat sowieso nur noch David im Kopf. Billie kann das überhaupt nicht verstehen. Dann will plötzlich auch noch ihr Papa mit nach München kommen. Das kann ja nur peinlich werden. Doch die vier Freundinnen erwarten auf ihrer ersten Bandreise noch ganz andere Überraschungen.

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Stefanie Taschinski

Die POPkörner

Eine Bühne für Billie

Weitere Bücher von Stefanie Taschinski im Arena Verlag:

Die POPkörner. Ein Stern für Lou (Band 1) Die POPkörner. Ein Feuerwerk für Motte (Band 2)

Die kleine Dame (Band 1) Die kleine Dame und der rote Prinz (Band 2) Die kleine Dame auf Salafari (Band 3) Die kleine Dame feiert Weihnachten (Band 4)

Stefanie Taschinski, geboren 1969, studierte Geschichte, Soziologie und Drehbuch. Die Kinderbuchautorin lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Hamburg. Ihre ersten Bücher, die Abenteuer der »kleinen Dame«, wurden von den Lesern und in der Presse mit großer Begeisterung aufgenommen. »Die POPkörner. Eine Bühne für Billie« ist der abschließende Band der erfolgreichen Mädchenreihe von Stefanie Taschinski.

 

Für Elisabeth, Katharina und Paula

»Wir bleiben wach, bis die Wolken wieder lila sind.«

(Marteria)

1. Auflage 2014 ©2014 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Einband und Vignetten: Silke Schmidt ISBN 978-3-401-80265-7

www.popkörner.de

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1. Song

Das Universum liegt daneben

Als Billie die Haustür hinter sich zuzog, schien ihr die Sonne ins Gesicht. Für Anfang Oktober war es ein ungewöhnlich warmer Nachmittag. Im Vorgarten des Pfarrhauses leuchteten die weißen und lilafarbenen Strahlenastern und zwischen den Latten des Zauns spannen die Spinnen ihre Netze, als wollte dieser Sommer niemals enden. Doch für all dies hatte Billie nicht einen Blick. Sie zitterte vor Wut. Es war ein Zittern, das ihren ganzen Körper – von den Füßen bis zu ihren wilden roten Locken – erfasste. Spätsommer! Kurzärmlige T-Shirts! Eis in der Waffel!, dachte Billie, während sie ihr Rad schnappte und die Gartenpforte aufriss. Wer brauchte das schon? Wo blieben die wilden Herbststürme und der erste Frost? Wie konnte ihr der Himmel nur so blau ins Gesicht lachen, wenn das Universum ihr solch einen Streich spielte?

»AUSTRALIEN!«, presste sie zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor, als sie zehn Minuten später vor der Jacobivilla scharf abbremste. »Ausgerechnet Australien!« Wer hatte denn hier eine Band? Wer probte mindestens zweimal pro Woche? Wer hatte sich die Finger wund geschrubbt, um aus dieser ollen, verrotteten Schrottgarage der Blums einen Probenraum für die Stars von morgen zu machen? SIE und die Popkörner! Und nicht ihre Schwester! Wer schrieb eigene Songs? Wer dachte sich abgefahrene Star-Porträts aus? Wer stand kurz vor dem Durchbruch? Billie pfefferte ihr Rad gegen die Hauswand. Wie konnte das Universum nur so blind sein? Wieso wurden nicht die Popkörner nach Australien eingeladen, sondern ausgerechnet Hannis lahme Chorschnecken?

Eine fröhliche Stimme riss Billie aus ihren Gedanken.

»Sie kommt!«, rief Lou, die ihr über die Auffahrt neben der Villa entgegenkam. »Die Bandprobe kann beginnen. Ich muss euch allerdings eine Sache gestehen …« Plötzlich fielen Lou Billies zusammengepresste Lippen und die roten Flecken auf ihren Wangen auf. »Alles in Ordnung?«

»Du meinst, abgesehen davon, dass ich mich wie ein platt gefahrener Regenwurm fühle?« fragte Billie mit einem schiefen Grinsen.

Lou legte ihr den Arm um die Schulter. »Was ist denn los?«

Billie wollte ihrem Frust gerade Luft machen, als sie es sich überlegte. »Erzähl ich später.« Sie wollte den anderen nicht die Bandprobe vermiesen. Und außerdem fühlte Billie, dass es gegen das Feuer, das in ihrem Bauch tobte, nur eine Medizin gab: eine richtig fetzige Popkörner-Probe!

Eine knappe Viertelstunde später waren alle vier Popkörner im Probenraum versammelt und spielten sich ein. Billie musterte die anderen aus dem Augenwinkel: Rosa saß mal wieder mit total abwesendem Gesichtsausdruck hinterm Schlagzeug. Nein, dachte Billie, man brauchte wirklich keine hellseherischen Kräfte, um zu wissen, von wem Rosa gerade träumte. Natürlich von ihrem Sweetie-David. Die zwei waren jetzt sage-und-schreibe vier Monate zusammen!

Billie blickte zu Motte rüber, die auf dem Boden neben ihrem Keyboard hockte. Was wühlte die so verzweifelt in ihrer Tasche? Wahrscheinlich suchte Motte mal wieder den Choreografieplan, den Billie für die Popkörner ausgearbeitet hatte. Seit der Trennung ihrer Eltern im Sommer war Motte ziemlich neben der Spur und vergaß andauernd irgendwas. Billies Blick wanderte weiter zu Lou. Das Hippiemädchen kritzelte mal wieder in ihrem Traumtagebuch rum. Nach der neuen Choreografie sah es jedenfalls auch nicht aus.

Na ja. Billie holte tief Luft, nahm ihren Mikroständer und stellte ihn an die Wand. »Popkörner, heute wollen wir zum ersten Mal unsere neue Tanz-Choreografie üben!«

Kein Popkorn rührte sich vom Fleck. Rosa wickelte verträumt eine ihrer rausgewachsenen blau-blonden Haarsträhnen um den Finger. Motte kippelte mit ihrem Hocker und Lou starrte auf das fliegende Klavier, das Rosa vor ein paar Monaten an die Wand des Probenraums gepinselt hatte, als hätte sie es noch nie gesehen.

»Motte!«, sagte Billie ungeduldig und stemmte eine Hand in die Seite. »Für die erste Schrittkombi stehst du rechts neben mir.«

Motte machte ihre Tasche zu und kam hoch.

Nun sah Billie auffordernd zu Rosa und Lou. »Und ihr zwei seid auf meiner linken Seite.«

Zögernd kamen die drei auf ihre Plätze.

Billie strich sich eine Locke aus der Stirn. »Soll ich euch die Grundposition noch mal zeigen?« Ohne die Antwort der anderen abzuwarten, hob sie den linken Arm leicht angewinkelt, neigte ihr Gesicht nach unten und schob die rechte Hüfte vor. »Rosa, du musst den linken Arm nehmen, nicht den rechten!«, korrigierte sie Rosas Haltung.

»Ich bin doch sowieso am Schlagzeug«, stöhnte Rosa.

»Wer sagt das? Ich finde, es kommt viel besser, wenn wir alle vier tanzen«, widersprach Billie.

»Und wer spielt dann?«

»Das haben wir doch alles längst besprochen«, sagte Billie. »Für unsere Tanznummer kommt die Musik vom Band.« Sie drückte die Playtaste des CD-Spielers und die ersten Takte von Vergiss nicht klangen durch den Raum.

Lou flüsterte Motte zu: »Hast du die Schritte geübt?«

Motte schüttelte den Kopf. »Ich hab Billies Zettel letztes Wochenende bei meiner Mutter vergessen.«

Billie war ein paar Meter vorgetreten, damit die anderen sie besser sehen konnten. Ich weiß, worüber du nicht reden magst. Und ich weiß, worüber du lachst. Ich weiß, dass du manchmal an dir verzagst und einsam, einsam über Geheimnisse wachst. Dieser Song übte so einen Sog auf Billie aus, dass sie erst nach der zweiten Strophe merkte, dass die anderen gar nicht mehr mittanzten!

»Hey, was ist? Habt ihr etwa nicht geübt?« Billie tanzte zwei Schritte nach vorn und streckte ihren Arm in die Mitte. »Alle Hände in die Mitte und dann …«

Da läutete hinten am Schlagzeug Rosas Handy und spielte 99 Luftballons von Nena. Hast du etwas Zeit für mich? Dann singe ich ein Lied für dich.

Mit zwei Schritten war Rosa am Schlagzeug und griff nach ihrem Handy.

»Hallo! Du willst doch jetzt nicht rangehen?«, maulte Motte.

»Ausschalten!«, rief Billie.

Aber da hatte Rosa ihr Sternchenhandy bereits am Ohr. »Hallo, David«, flötete sie. »Nein! Nein du störst überhaupt nicht!«

Billie verschränkte die Arme vor der Brust. »Hallo, natürlich stört der!«

Doch Rosa schwebte an ihr vorbei und ließ sich auf das knautschige gelbe Ledersofa fallen. »Na klar, möchte ich morgen mit dir ins Kino gehen!« Sie warf Lou, Motte und Billie einen überglücklichen Blick zu. Billie schnappte nach Luft. »Das geht so nicht! Sie kann nicht während unser Probe telefonieren!« Sie wandte sich zu Lou und Motte. »Ich beantrage absolutes Handyverbot! Oder wie seht ihr das?«

Um Mottes Mund zuckte es. »Sonst bist du es doch immer, die am Handy rumhängt.«

»Nicht während der Probe!«

Auf dem Sofa klimperte Rosa aufgeregt mit den Augenlidern.

Lou zog Motte und Billie in Richtung Tür. »Lassen wir sie fünf Minuten in Ruhe. Draußen ist es heute sowieso viel schöner.«

Motte und Lou ließen sich auf die Treppe sinken, die außen am Kutscherhaus zu der Wohnung der Blums hochführte. Billie tigerte vor ihnen auf und ab. »Echt!«, grummelte sie. »Ich dachte, wir üben die Choreografie ein und dann können wir endlich unser eigenes Video ins Netz stellen!«

Motte holte den grünen Stein aus ihrer Hosentasche, den Grandmère ihr geschenkt hatte. »Du bist doch bloß eifersüchtig, weil Rosa einen Freund hat und du nicht.«

Billie blieb stehen. »Als wenn ich auf diesen Schlongi eifersüchtig wäre!« Sie schüttelte den Kopf. »Was mich nervt, ist, dass außer mir offenbar niemand hier unsere Band richtig ernst nimmt.«

»Jetzt übertreibst du aber«, widersprach Motte.

»Die Popkörner sind uns supersupersuperwichtig«, beteuerte Lou. »Was meinst du, weshalb ich einen Bleistift nach dem anderen abkaue, nur um endlich ein neues Lied für uns zu schreiben.«

Billie zuckte die Schultern. »Und warum hat dann keine von euch meine Choreografie geübt? Glaubt ihr echt, es reicht, wie Tiefkühlzombies auf der Bühne zu stehen und ein bisschen rumzufiepsen? Die Leute wollen eine Show!«

Motte drehte den Stein in ihrer Hand. »Nur falls du es vergessen hast, Billie. Wir drei spielen alle ein Instrument. Wie soll Rosa denn bitte mit ihrem Schlagzeug über die Bühne rocken oder ich mit meinem Keyboard?«

Billies Augen wurden schmal. Klar schoss Motte wieder ihre Giftpfeile ab, dachte sie und stellte einen Fuß auf die unterste Stufe der Treppe. »Denkt doch mal an Selena Gomez, Katy Perry oder Pink. Die haben alle mehr drauf, als nur den richtigen Beat zu treffen oder ein bisschen rumzuklimpern.«

Motte stand auf. »Schade nur, dass deine Lieblingsstars alle keine Band sind, sondern Solistinnen!«

Billie stöhnte auf. »Darum geht es doch nicht!!! Ich …«

In diesem Moment kam eine strahlende Rosa aus dem Probenraum. »Bin fertig.«

»Na, herzlichen Glühstrumpf!«, schnippte Billie. »Wir haben übrigens abgestimmt, dass Handys während der Probe verboten sind!«

»Oh, tut mir leid. Ich stell’s lautlos.« Rosa fummelte ihr Handy aus der Tasche. »War nur wegen der Kinokarten.«

»Danke, will ich gar nicht wissen!«, trällerte Billie.

Motte stand von der Treppe auf. »Können wir jetzt weiterproben?«

2. Song

Ein guter letzter Platz

Doch gerade als sie die Tür zum Probenraum zumachen wollten, hörten die Mädchen ein herzzerreißendes Schluchzen. »Meihein lieber Aste…!« Der Rest des Wortes ging in einem erneuten Schluchzer unter.

Motte drehte sich um und rannte wieder aus der Garage. »Was ist da los?«, rief sie.

Im nächsten Moment kamen Till und Ole, Mottes jüngere Zwillingsbrüder, mit Anton, Lous kleinem Bruder, aus dem Garten hinter dem Kutscherhaus.

Till und Anton hatten Ole in ihre Mitte genommen. Ole, der nur noch sein Unterhemd trug, presste weinend ein kleines Bündel vor seine Brust.

Motte beugte sich zu ihrem Bruder. »Hey Zwerg, hast du dir wehgetan?«

Ole schüttelte schluchzend den Kopf und hielt das T-Shirt-Bündel hoch.

»Es ist Asterix«, erklärte Till anstelle seines Bruders.

Anton sah zu Lou. »Er ist tot, Lusi. Ganz tot.«

Sachte schob Motte das T-Shirt ein Stückchen auseinander. Ein kleiner brauner Meerschweinchenkopf kam zum Vorschein. Die Augen waren starr und Billie sah, dass das Maul offen stand.

»Er, er lag in seinem Häuschen«, stieß Ole hervor. »Gestern ging es ihm noch gut!«

Billie seufzte innerlich. Diese Probe konnte sie vergessen. Motte und Lou wollten sich jetzt sicher um ihre Brüder und das tote Meerschweinchen kümmern. Dieser Tag war einfach ein Totalausfall!

Lou hatte ihren Arm um Anton gelegt. »Wir gehen hoch zu Pa und fragen ihn, ob … ob er uns helfen kann, ein Grab für Asterix auszuheben.«

Billie sah zu Rosa und Motte. »Dann machen wir mit der Probe nächste Woche weiter?«

Motte schien etwas zu überlegen. »Wie findest du es«, sagte sie leise zu ihrem Bruder, »wenn wir für Asterix noch ein Abschiedslied singen?«

Ole schniefte. »Was für ein Lied?«

Motte legte ihm tröstend den Arm um die Schulter. »Ein richtig schönes Meerschweinchenlied.« Sie sah zu Rosa und Billie. »Ihr macht doch mit?«

Billie runzelte die Stirn. »Du meinst, bei einer Meerschweinchenbeerdigung?«

Herr Blum, Lous Vater, hatte das Grab unter dem Jasminstrauch ausgehoben, der im hinteren Teil des riesigen Gartens stand.

Till und Anton hockten neben Ole, der vorsichtig den Schuhkarton in das Loch stellte.

»Ich, ich hab noch was für ihn«, schniefte Ole und zog mit seinen erdverschmierten Fingern ein gelbes Auto aus seiner Hosentasche. »Das ist mein schnellstes.« Er legte es neben den Karton in das Loch.

Nun beugte sich Till vor. »Ich geb ihm noch ein bisschen Heu, falls er auf seiner Reise Hunger bekommt.«

»Und Löbenzahn«, nuschelte Anton, legte eine Handvoll Blätter dazu und presste dann wieder ganz schnell Kirk, seinen Strickkäfer, an die Brust.

Billie musste schlucken. Sie stand zwischen Rosa und Lou. Eigentlich hatte sie gar nicht bleiben wollen. Es war schließlich nicht ihr Haustier, das beerdigt wurde. Aber dann hatte Lou sie gebeten, ihr bei dem Song zu helfen, den sie für Asterix singen wollten. Und während Motte und Rosa mit den Jungs aus dem Schuhkarton einen Sarg bastelten, hatte sie gemeinsam mit Lou das Abschiedslied geschrieben.

»Bist du so weit?«, fragte Motte ihren Bruder.

Ole wischte sich den Schnodder von der Nase. »Hm.«

Lou nahm ihre Gitarre hoch und Motte, Rosa und Billie stellten sich in einem Halbkreis um das Grab.

»Eins, zwei, drei«, zählte Motte leise ein. Dann begannen sie zu singen:

Bye-bye, mein kleiner Meerieboy,

dein Leben zwischen Gurke und Heu

war lustig, bunt und frei.

Heute sag ich dir bye-bye.

Heute sag ich dir bye-bye.

Bye-bye, mein kleiner Meerieboy,

Dein fröhliches Pfeifen, dein Schweinchenahoi,

war lustig, bunt und frei.

Heute sag ich dir bye-bye.

Heute sag ich dir bye-bye.

Denn auf deine Asterixweise

gehst du heut auf die große Reise.

Ich wink dir nach und sage leise:

Bye-bye, mein kleiner Meerieboy,

dein Leben zwischen Gurke und Heu

war lustig, bunt und frei.

Heute sag ich dir bye-bye.

Bye-bye …

3. Song

Ein Engel in meinem Haus

Billie wusste nicht, woher Lou diese Melodie schon wieder hatte, aber sie ging ihr die ganze Fahrt über nach Hause nicht aus dem Kopf. Sie schloss die Haustür auf. Vielleicht konnten sie aus diesem Lied ja noch etwas für ihren nächsten Auftritt machen.

Ein wenig seltsam fand Billie es schon, dass die Meerschweinchenbeerdigung sie aufgeheitert hatte. Aber genauso war es. Natürlich war es eine todtraurige Angelegenheit gewesen. Als Motte die erste Schaufel Erde auf den Schuhkarton geschippt hatte, musste Billie mehr als eine Träne wegblinzeln. Trotzdem, die feierliche Stimmung, der schöne Song und vor allem das Lob von Lous Vater im Anschluss hatten Billie sämtliche Ungerechtigkeiten des Universums vergessen lassen. Sollte Hanni nach Australien fliegen! Die Popkörner würden noch auf den Mond düsen und dort das erste interstellare Rockkonzert der Weltraumgeschichte geben!

Mit Schwung warf sie ihre Tasche auf die Bank, die neben der Eingangstür stand. »Hallo, ich bin wieder da!«, rief sie in die Stille des Hauses.

Sie sah auf ihre Armbanduhr. Halb sieben! Wo waren die anderen? Billie steckte den Kopf in die Küchentür. Leer. Sie sah ins Wohnzimmer. Niemand da. Durch die Tür zum Arbeitszimmer ihrer Mutter klang gedämpftes Lachen. Billie klopfte und machte auf. »Hi, ich bin wieder da.«

Ihre Mutter saß mit einer Frau in der Sitzecke am Fenster. Vor ihnen auf dem niedrigen Tisch stand die gläserne Kaffeekanne, rundherum stapelten sich Bücher und Papiere. Frau Sander lächelte ihrer Tochter zu. Sie hatte genauso leuchtend rote Haare wie Billie, nur dass sie ihre kurz trug und ihre Arme mit Sommersprossen übersät waren.

»Hallo, mein Schatz. Wir brauchen noch eine halbe Stunde.«

Billie musterte den Gast ihrer Mutter. Die Frau trug ein Kopftuch und schien türkischer Abstammung zu sein.

»Darf ich dir meine jüngere Tochter vorstellen?«, wandte Billies Mutter sich an sie. »Das ist Sybille – unser Popstar«, fügte sie mit einem absolut überflüssigen Augenzwinkern hinzu.

Dann wandte sich Frau Sander an Billie. »Und das ist Frau Bashi. Sie ist Professorin für islamische Theologie. Wir organisieren zusammen die christlich-muslimische Frauenwoche.«

Das klang ja mal wieder oberwichtig!

»Hallo, Sybille«, lächelte die Professorin sie an.

»Hey!« Billie wollte die Tür wieder zuziehen.

»Bereitet schon mal das Abendbrot vor«, rief ihre Mutter ihr hinterher. »Johanna kann dir helfen.«

»Okeydokey!«

Billie rannte die Treppe in den ersten Stock hoch. Ihr Zimmer lag auf der linken und Johannas auf der rechten Seite des Treppenabsatzes. Draußen an Hannis Tür klebte ein riesiges Engelposter. Hanni stand auf Engel. Ohne zu klopfen, stürmte Billie hinein. »Wir sollen Abendbrot machen!«

Johanna saß hinter ihrem aufgeräumten Schreibtisch und beugte sich über ihr Netbook.

»Oh yes!!! I’m really looking forward to our time in Australia!«, sagte sie zum Bildschirm.

»Mit wem skypst du?«, fragte Billie und trat hinter sie.

Auf dem Bildschirm war ein Mädchen mit mittellangen braunen Haaren zu sehen.

»Das ist Betty«, erklärte Johanna. »Meine Gastschwester in Sydney!« Zum Bildschirm sagte sie: »This is my little sister Billie.«

»Von wegen little!«, empörte sich Billie und richtete sich zu voller Größe auf. »Ich bin fast 13!«

»Hi Billie!« Die Australierin winkte ihr zu.

»Hi Betty«, knurrte Billie.

»Ach, so war das nicht gemeint«, sagte Johanna. »I mean, she is my younger sister.«

»Wie auch immer.« Billie drehte sich um. »Du musst deine Australienverbindung unterbrechen. Wir haben Abendbrotdienst.«

Hanni verabschiedete sich von Betty und folgte ihrer Schwester singend in die Küche. »May the Lord show his mercy upon you; may the light of his presence be your guide. May he guard you and uphold you. May his spirit be ever by your side …«

Billie konnte gut verstehen, weshalb der Chorleiter Hanni unbedingt mit nach Australien nehmen wollte. Sie hatte einfach eine fantastische Stimme! Während Hanni sich wie schwerelos zum hohen A emporschwang, stand Billie vor dem offenen Oberschrank und überlegte, wie viele Teller sie aufdecken sollte. »Weißt du, ob Mamas Gast mit uns isst?«

Hanni machte den Kühlschrank auf. »Keine Ahnung. Aber deck doch zur Sicherheit einfach für sie mit.«

»Na gut«, seufzte Billie. Am langen Esstisch der Familie Sander war für Gäste immer Platz und in neun von zehn Fällen fand Billie es spitze, wie locker und spontan ihre Eltern waren. Nur heute Abend hatte sie so viel zu erzählen, dass sie sich wünschte, nur zu viert zu essen.

»Frau Bashi ist nach Hause gegangen«, rief da ihre Mutter, die mit zwei Rieseneinkaufstüten in die Küche kam. »Die hatte ich noch im Auto vergessen«, sagte sie und stellte die Tüten auf dem Boden ab.

Billie nahm vier Teller und trug sie zum Tisch. »Ich hab heute einen neuen Song geschrieben«, fing sie fröhlich an zu erzählen.

Ihre Mutter packte etwas in die Tiefkühltruhe. »Ein neues Lied? Ich will alles hören.«

In diesem Moment kam Billies Vater den Flur hinunter. Billie spitzte die Ohren. Mit wem redete er da? Und warum brachte der Hirte – so nannte sie ihren Vater – den Besucher nicht zur Haustür, sondern in die Küche?

»Nein, Herr Ellerbrock, Sie machen uns wirklich eine Freude, wenn Sie mit uns essen!«

Oh nein! Nicht schon wieder!, schoss es Billie durch den Kopf.

Der alte Mann wandte sich schüchtern an Billies Mutter. »Frau Sander, ich möchte Ihnen keine Umstände machen«, sagte er und zog dabei seinen Kopf ein, als wäre er eine Schildkröte.

Billies Mutter schob einen Stuhl zurück. »Ich hoffe, Sie mögen Kürbislasagne.«

Die zwei Kerzenstummel, die ihre Mutter auf dem schwarzen Ständer angezündet hatte, flackerten, die Schildkröte wackelte ununterbrochen mit dem Kopf und der Hirte sprach das Tischgebet: »Gott, du gibst uns Speise zur rechten Zeit und sättigst uns mit Gutem. Geh auch weiter mit uns durch diesen Tag. Segne uns und schenke uns, was wir brauchen. Amen.« Lächelnd blickte er in die Runde. »Guten Appetit!«

Halleluja!, dachte Billie. Gut, dass mich die anderen jetzt nicht sehen! Sie griff nach dem Löffel, um sich aufzufüllen. »Heute ist das Meerschweinchen von Mottes Bruder gestorben und wir haben es alle zusammen beerdigt«, begann sie zu erzählen.

»Oh, wie traurig«, sagte Johanna.

»Ja, es war total traurig«, nickte Billie. »Aber wir haben uns für die Beerdigung einen Song ausgedacht und …«

»… füllst du bitte allen auf«, unterbrach ihr Vater sie.

»Das Lied heißt Bye-bye kleiner Meerieboy«, fuhr Billie unbeirrt fort. »Ich weiß, das klingt ein bisschen kindisch. Vielleicht finden wir auch noch einen anderen Titel, der …«

»Davon kannst du uns gerne nachher weiter erzählen«, schnitt Herr Sander ihr das Wort ab und blickte zu Johanna. »Wie weit seid ihr mit euren Vorbereitungen für die Chorreise?« Er wandte sich erklärend zu ihrem Gast. »Unsere Tochter ist nämlich mit ihrem Chor nach Australien eingeladen!«

»Wirklich?«, fragte die Schildkröte mit heiserer Stimme.

Billie würgte ihre Kürbislasagne herunter.

»Ist schon entschieden, ob ihr auch in Sydney auftreten werdet?«, hakte Billies Mutter nach.

»Ja, wir machen da bei einem großen Chorfestival mit. Betty hat es mir gerade erzählt«, erwiderte Hanni glücklich.

»Toll!«, sagte Herr Sander. »Richtig toll!«

»Und wie lange bleibt ihr in Australien?«, fragte Herr Ellerbrock, der seinen Schildkrötenkopf etwas aus dem Panzer geschoben hatte.

»Drei Wochen!«, antwortete Hanni mit strahlenden Augen. »Die ersten zwei Wochen geben wir rund um Sydney Konzerte und dann dürfen wir eine Woche Strandferien machen.«

»Die Eintrittsgelder kommen einer Flüchtlingsorganisation zugute«, erzählte Herr Sander.

So ging es das ganze Essen über weiter. Billie wartete darauf, dass sie endlich wieder an die Reihe kam. Aber schließlich waren alle Schüsseln leer, und als ihre Mutter mit der Ankündigung aufstand, sie müsse noch eine Beerdigung vorbereiten, war es mit Billies Geduld vorbei. Sie hatte keine Lust mehr, sich die Jubelhymnen auf Johanna und ihren Chor anzuhören.

»Kann ich von meinem Tag nicht mehr erzählen?«, fragte Billie trotzig.

Ihr Vater half der alten Schildkröte hoch. »Gleich, Billie. Gleich. Ich zeige Herrn Ellerbeck nur kurz die Wohnung für unser Winternotprogramm.«

Johanna sprang auf. »Ich komm mit, Paps.«

Ihr Vater wandte sich lächelnd an die Schildkröte. »Meine Tochter hilft bei dem Obdachlosenprojekt mit ihrer Jugendgruppe.« In der Tür drehte er sich noch einmal zu Billie um. »Und deckst du bitte den Tisch ab?«

»Klar, Aschenputtel macht das schon«, murmelte Billie vor sich hin. »Wir können schließlich nicht alle als Engel durch die Gegend schweben.«

Es war schon nach zehn, als ihre Zimmertür aufging. Billie schloss die Augen und presste sich die Kopfhörer gegen die Ohren. »You are a shooting star. I see a vision of ecstasy. When you hold me, I’m alive. We’re like diamonds in the sky.« Wer immer es war, der in ihr Zimmer kam, Billie wollte sie sich jetzt wirklich nicht mehr unterhalten. »Shine bright like a diamond. Shine bright like a diamond …«

Sie fühlte, wie jemand sich zu ihr aufs Bett setzte. War es Mama? Oder Papa? Billie blinzelte. Natürlich nicht! Neben ihr saß mit angewinkelten Beinen und sanftem Lächeln Johanna und strich eine Strähne ihrer langen blonden Haare zurück. »Du schläfst ja noch gar nicht, Billiejean.«

Seit Billie bei den Popkörnern mitmachte, hatte Hanni ihr diesen neuen Spitznamen gegeben.

»Ich muss morgen erst zur Zweiten.«

»Ich soll dir von Paps sagen, dass er dich nicht abwürgen wollte. Es ist nur …«

»Er tut’s trotzdem, weil es ja auch viel spannender ist, über die großartige Australienreise seiner wunderbaren Tochter zu erzählen«, fuhr Billie aufbrausend fort. »Oder über sein oberwichtiges Obdachlosenprojekt!«

Hanni sah ihre Schwester erschrocken an. »Das stimmt doch gar nicht! Der Hund von Herrn Ellerbrock ist gerade gestorben und deshalb wollte Paps nicht, dass du weiter von der Meerschweinchenbeerdigung erzählst.«

Das brachte Billie für einen Moment aus dem Konzept.

»Das kann ich doch nicht wissen!«

»Paps wollte auch noch zu dir kommen, aber Herr Ellerbrock brauchte wohl noch etwas Zuspruch.«

Billie lehnte sich gegen die Wand. »Ist halt wie immer.«

»Es ist nicht immer so!«, betonte Hanni.

»Doch!«, sagte Billie mit rauer Stimme. »Warum kann nicht mal jemand anderes die Welt retten? Warum immer Mama und Papa?«

Ihre Schwester rückte ein Stück näher und begann, gedankenverloren an Billies Locken zu spielen. »Irgendjemand muss doch den Anfang machen.«

Billie drehte sich weg.

»Billiejean, wenn du mit nach Australien möchtest, rede ich noch mal mit Gregor. Er weiß, wie schön du singen kannst. Und wenn du mit mir die Stücke übst …«

Billie schüttelte den Kopf. »Sorry, aber eure Kirchenlieder sind nichts für mich! Ich will in buntem Licht über die Bühne tanzen. Ich will laute Musik, bis mir die Ohren dröhnen! Ich, ich bin kein Engel wie du!«

Billie fühlte, wie ihr eine blöde Träne über die Wange lief. Schnell wischte sie sie weg. Hanni sah es auch und zog sie an sich. »Ich bin deine Schwester«, sagte sie leise. »Und kein Engel.«

Billie schnaufte. »Du bist aber verdammt nah dran.«

4. Song

Komm, wir heben ab

Wir bleiben wach, bis die Wolken wieder lila sind! Wir bleiben wach, bis die Wolken wieder lila sind!« Billie fuhr sich mit dem Lipgloss über ihren Mund. Mit der richtigen Musik auf den Ohren ließ sich sogar noch dieser Freitagmorgen aushalten. Ein letztes Mal sah sie sich suchend nach Rosa um. Wo blieb sie nur? Seit sie und Rosa zusammen von der Grundschule auf die Lessingschule gewechselt waren, trafen sie sich jeden Morgen hier an der Kreuzung. Und meistens war Billie diejenige, die zu spät kam. Aber jetzt hatten sie wohl mal die Rollen getauscht, dachte Billie säuerlich. Schulterzuckend steckte sie das Lipgloss weg und ging los. Sie war sich ziemlich sicher, woran es lag, dass Rosa noch nicht da war. Auch wenn Rosa und David es vermieden, gemeinsam in der Schule anzukommen, wusste Billie, dass Davidboy Rosa morgens mit seinem Skateboard abholte. Die Pflaster an Rosas Knien und Ellenbogen sprachen Bände.

Während Billie die Straße überquerte, hielt auf der anderen Straßenseite der Bus und eine Woge Schüler schwappte auf den Fußweg. Eine leuchtend gelbe Mütze blitzte aus der Gruppe hervor. Nicht schon wieder Brille! Billie winkte ihrem Klassenkameraden kurz zu und tauchte dann schnell in dem Strom von Schülern ab, der auf das große Eingangsportal zusteuerte. Die Musik aus ihren Kopfhörern hüllte sie ein. »Guck da oben steht ein neuer Stern: Kannst du ihn sehen bei unserm Feuerwerk? Wir reißen uns von allen Fäden ab, lass sie schlafen – komm wir heben ab.«