Die Promijägerin - Gabriella Engelmann - E-Book

Die Promijägerin E-Book

Gabriella Engelmann

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Beschreibung

Turbulente Promi-Jagd auf Mallorca: Gleich zehn der seltenen Exemplare muss Marie Teufel in der herzerfrischend witzigen und romantischen Komödie von Bestseller-Autorin Gabriella Engelmann davon überzeugen, ein Buch zu schreiben.     14 Tage – mehr Zeit bekommt Lektorin Marie Teufel nicht, um ihren Job zu retten: Entweder gelingt es ihr während dieser Gnadenfrist, gleich zehn Promis die Unterschrift für einen Buch-Vertrag abzuluchsen, oder sie ist gefeuert! Dummerweise hat Marie nämlich den Bestseller-Autor Miguel Vargas so verärgert, dass er die Zusammenarbeit mit ihrem Verlag kündigen will. Ihre erste Aufgabe ist es nun, den launischen Miguel umzustimmen. Doch der hat sich wütend auf seine Finca auf Mallorca zurückgezogen. Unterstützt von ihrer besten Freundin Annalena, nimmt Marie ihr Herz in beide Hände und reist Miguel nach. Schließlich müssten sich auf der traumhaft schönen Balearen-Insel auch noch ein paar Promis mehr finden lassen, oder nicht?   Ihr zweites turbulentes Abenteuer in Sachen Liebe erlebt die liebenswert-tollpatschige Marie Teufel in Gabriella Engelmanns romantischer Komödie »Jagdsaison für Märchenprinzen«.

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Gabriella Engelmann

Die Promijägerin

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Über dieses Buch

Turbulente Promi-Jagd auf Mallorca: Gleich zehn der seltenen Exemplare muss Marie Teufel in der herzerfrischend witzigen und romantischen Komödie von Bestseller-Autorin Gabriella Engelmann davon überzeugen, ein Buch zu schreiben.  

 

14 Tage – mehr Zeit bekommt Lektorin Marie Teufel nicht, um ihren Job zu retten: Entweder gelingt es ihr während dieser Gnadenfrist, gleich zehn Promis die Unterschrift für einen Buch-Vertrag abzuluchsen, oder sie ist gefeuert!

Dummerweise hat Marie nämlich den Bestseller-Autor Miguel Vargas so verärgert, dass er die Zusammenarbeit mit ihrem Verlag kündigen will. Ihre erste Aufgabe ist es nun, den launischen Miguel umzustimmen. Doch der hat sich wütend auf seine Finca auf Mallorca zurückgezogen. Unterstützt von ihrer besten Freundin Annalena, nimmt Marie ihr Herz in beide Hände und reist Miguel nach. Schließlich müssten sich auf der traumhaft schönen Balearen-Insel auch noch ein paar Promis mehr finden lassen, oder nicht?

 

Ihr zweites turbulentes Abenteuer in Sachen Liebe erlebt die liebenswert-tollpatschige Marie Teufel in Gabriella Engelmanns romantischer Komödie »Jagdsaison für Märchenprinzen«.

Inhaltsübersicht

Hauptteil

Danksagung

DIE FAHRKARTEN, BITTE!«, schallt es unsanft an mein Ohr, und ich schrecke aus meinem Albtraum hoch, in dem mir Herr Bader gerade die Kündigung überreicht.

Ich heiße Marie Teufel, bin dreiunddreißig Jahre alt und als Lektorin auf der Suche nach dem ultimativen Promi-Bestseller. Ich habe gerade die grauenvollste Nacht meines Lebens hinter mir und befinde mich auf dem Weg von Berlin nach Hamburg zum Verlag, in dem ich arbeite. In dem ich NOCH arbeite.

»Die Fahrkarten, bitte!«, tönt es wieder, nur diesmal etwas eindringlicher und nachdrücklicher. Schlaftrunken wühle ich in meiner Tasche nach dem Portemonnaie. Warum muss ich auch immer diese Monsterteile mit mir rumschleppen? Kann ich nicht zu dem Typ Frau gehören, der seine gesamten Utensilien in einem kleinen, schnuckeligen Täschchen verstaut, das man sich lässig unter die Achsel klemmt? Aber leider brauche ich Platz für meine Kosmetika, Kaugummis, die sich gerne mal mit der Abdeckung meines Handys paaren, für Filofax, Handcreme, Schokolade und das Buch, das ich gerade lese. Und normalerweise auch mein Portemonnaie. Doch das fehlt plötzlich, was insofern blöd ist, als ich darin meine Fahrkarte aufbewahre. Ich kann das hämische Grinsen meiner männlichen Mitreisenden förmlich spüren. Alles handtaschenlose Jungs, die ihren Geldbeutel in der Anzugtasche tragen und derlei Probleme nicht kennen. Ich schenke dem Schaffner, der bereits ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tritt, das strahlendste Lächeln, zu dem ich zu dieser Uhrzeit fähig bin, und reiche ihm artig meinen Fahrschein, nachdem ich das blöde Ding endlich gefunden habe.

»Frollein, det ist aber zweiter Klasse, und Se sind hier in der ersten. Da müssen Se noch nachzahlen!«

O nein, das nicht auch noch! Bin ich jetzt tatsächlich in der ersten Klasse gelandet? Deshalb auch die vielen Anzüge. Hätte ich mir ja gleich denken können. »Okay, Sie kriegen Ihr Geld!«, sage ich großzügig, denn jetzt weiß ich ja, wo das Portemonnaie ist.

Noch zwei Stunden bis Hamburg. So komfortabel, wie es die Bahn beschreibt, ist der Sitz allerdings nicht, und wenn ich bedenke, dass das hier die erste Klasse sein soll … Ich mag gar nicht daran denken, wie viele Milben wohl in diesem Augenblick in meinem Haupthaar Samba tanzen! Ich stütze meinen Kopf auf meinen rechten Arm und rede mir ein, dass dies die ideale Schlafposition sein könnte. Denn ich brauche dringend noch etwas Schlaf, wenn ich für das vor mir liegende Gespräch mit meinem Chef gewappnet sein will. Den Arm stütze ich auf die Fensterbank, wobei dieses Glück nicht von langer Dauer ist. In jeder Kurve kracht mein Arm nach unten und mit ihm mein Kopf. Ich will nach Hause, jammere ich vor mich hin und denke seufzend an mein wunderschönes, gemütliches Bett. Und an meine kleine Wohnung in Hamburg-Eppendorf, die vermutlich in nächster Zeit mein Refugium sein wird, jetzt, wo ich bald arbeitslos bin.

Eigentlich kann ich die Miete für sie zwar jetzt schon kaum aufbringen, aber die Hauptsache ist ja, man wohnt schick. Muss ja keiner wissen, dass die »Wohnung« nur aus einem Zimmer besteht. Man muss sich einfach nur gut überlegen, wo man Dinge aufbewahrt und wen man zu sich nach Hause einlädt. Für Resultate von Shopping-Exzessen und Männer über 1,80 Meter ist da nun mal leider kein Platz.

Doch um nichts in der Welt möchte ich meinen Balkon und den Delikatessenladen um die Ecke missen. Dort trifft man neben den üblichen Reichen und Schönen auch ab und zu mal einen Promi (und das ist nahezu lebensnotwendig für meinen Job!). Zum Beispiel ehemalige Sportmoderatoren, die jetzt mit täglichen Talkshows ganz groß rauskommen, in denen sie ehemalige Sportmoderatoren interviewen, die wiederum mit wöchentlichen Talkshows groß rauskommen. Letztere haben wahlweise einen lukrativen Werbevertrag mit einem Getränkehersteller oder einem Mobilfunkanbieter, worüber sie dann in der Sendung hemmungslos plaudern können.

Oder der braun gebrannte Schauspieler, der trotz seiner vermutlich fast sechzig Jahre immer noch gut in Schuss ist, was mit Sicherheit an seiner gesunden Ernährung liegt, wie ich mit einem kurzen Blick auf den Inhalt seines Einkaufswagens feststelle. Dort tummeln sich in trauter Eintracht eine Ananas, Kiwis, Kombucha-Saft, den ich mir wegen des hohen Preises höchstens zu Weihnachten gönne, sowie diverse links- und rechtsdrehende Joghurtsorten, die eine intakte Darmflora und damit ewiges Leben versprechen. Vielleicht ist das Ganze aber auch nicht für ihn, sondern die Monatsration für die ausgemergelte Blondine, die an seinem Arm hängt und gerade versucht, ihre Absatzhöhe von zwanzig Zentimetern unter Kontrolle zu bringen. Am Zeitschriftenregal an der Kasse wirft sie einen sehnsüchtigen Blick auf die aktuelle Ausgabe der Fit for Fun.

War klar, dass sie so etwas liest. Energisch und demonstrativ werfe ich einen Spiegel in meinen Wagen. Den werde ich zwar vielleicht nicht lesen, aber ich fühle mich jetzt besser.

»Blondi«, wie ich das holde Wesen im Geiste nenne, ist der Ausflug in die Welt der neuesten Fitnesstrends und Ernährungstipps jedoch nicht gegönnt, denn der Mime flötet unüberhörbar: »Schnäuzelchen, kommst du? Ich habe noch einen Interviewtermin.« INTERVIEWTERMIN! Klar, dass sich alle nach ihm umdrehen. Auch ich habe sofort begonnen, mein Fernsehsündenregister zu checken, um herauszufinden, wer er ist und ob sich ein Autogramm lohnen könnte. Traumschiff? Pilcher? Samt und Seide?, grüble ich, während Schnäuzelchen sich vom Regal losreißt, um ihren Helden aus dem Sparmarkt zu eskortieren. Ich vermute stark, dass sie die Lektüre sowieso nicht gebraucht hätte, denn Frauen wie sie werden mit Sicherheit schon mit Kalorientabelle im Kopf geboren und beschweren sich bereits im zarten Babyalter über den hohen Fettanteil in der Muttermilch.

Dann bin ich an der Reihe und staple meine Einkäufe auf das Fließband. Beschämt sehe ich noch einmal alles aufgereiht, was ich in den kommenden Tagen zu essen gedenke: Entenleberpastete, Krabbensalat, Cashewnüsse, rosig schimmernder Lachs, Milka-Schokolade »Erdnuss-Krokant« und ein schöner, schwerer Rotwein. »Von nix kommt nix«, denke ich, als die Kassiererin fragt: »Eine oder zwei Tüten?«, während sie etwas Papier um meine in Öl schwimmenden Antipasti wickelt.

»Nee danke, eine wird wohl reichen, ist ja nicht so viel«, stammle ich und versuche, alles in eine Tüte zu quetschen. Warum nur habe ich das Gefühl, dass mich alle Leute anstarren? Gut, ich bin nicht Blondi, die mir bestimmt innerhalb einer Sekunde den Glyx-Index dieser kleinen Schweinereien nennen könnte, aber ich esse nun mal gerne, und das sieht man vermutlich. Kein Grund, mich auszugrenzen.

***

»Darf es etwas aus dem Speisewagen sein?«, dringt eine energische Stimme an mein Ohr. Nur schwer werde ich wieder wach nach diesen Fantastereien über meinen Lieblingsladen, in dem ich vermutlich bald nicht mehr werde einkaufen können. Mein Magen knurrt. Das morgendliche Croissant ist längst verdaut, und mein Inneres schreit nach mehr. Ich will gerade etwas von »Toast mit Lachs und weich gekochtem Ei« sagen, da erhebt sich mahnend Blondi vor meinem inneren Auge und schüttelt den Kopf.

»Nein danke, nichts zu essen, aber ein stilles Wasser hätte ich gerne«, höre ich mich daraufhin zu meiner eigenen Verwunderung sagen. Ja, auch ich habe Fit for Fun,Shape, und wie sie alle heißen, gelesen, in der Hoffnung, durch deren bloße Lektüre mühelos schlank und cellulitefrei zu werden. Und dort liest man ja immer viel über das Allheilmittel Wasser. Zwei bis drei Liter pro Tag sind das absolute Minimum, um nicht zu dehydrieren, zu verschrumpeln wie eine alte Rosine und demzufolge keinen Mann mehr abzubekommen. Vier bis fünf Liter sind eindeutig besser, es darf dann in Ausnahmefällen auch mal Kräutertee sein oder – wenn es ganz hoch hergeht – auch Apfelsaftschorle.

»Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Hamburg-Dammtor. Bitte steigen Sie in Fahrtrichtung rechts aus.«

»Dammtor!«, schrecke ich aus meinem Sitz hoch, hangle meinen Koffer aus der Gepäckablage und stürze aus dem Zug. Mein Wasser sollen die Jungs vom Mitropa-Team trinken. Kann ja nicht schaden, bei der trockenen Luft hier.

Im Taxi überprüfe ich rasch mein Aussehen: verschmierte Wimperntusche, abgekauter Lippenstift, fleckiges Make-up und der deutliche Abdruck eines Knopfes mitten auf der Wange. Muss daran liegen, dass ich zuletzt meinen Jeansmantel als Kopfkissen benutzt habe.

Einige Kilometer und diverse kosmetische Korrekturen später biegt das Taxi in die Kiesauffahrt zum Verlag Bader & Köllisch ein. Eine wunderschöne Stadtvilla mit Alsterblick, zumindest wenn man Bader oder Köllisch heißt. Mit den Büros der Lektorinnen, liebevoll die Besenkammern genannt, verhält es sich dagegen ähnlich wie mit meiner Wohnung: Hauptsache, die Adresse stimmt!

»Morgen«, flöte ich munter der Empfangsdame zu, die nicht antwortet und so tut, als wäre sie beschäftigt.

»Dann nicht«, denke ich und nehme Kurs auf mein Büro. Dort türmen sich Bücher, Aktenordner, Korrespondenzablage, und ganz hinten entdecke ich einen kleinen dunklen Lockenkopf. Der gehört Annalena Kluge, meiner besten Freundin und Kollegin. Sie scheint gerade etwas zu suchen und taucht aus den Tiefen des Papierkorbes auf, als sie meine Schritte hört.

»Hallo, da bist du ja endlich. Du sollst sofort zum Chef kommen.«

»Hat das nicht noch einen Moment Zeit, ich muss dir so viel erzählen«, antworte ich und angle nach ihrem Latte macchiato, dessen Duft verführerisch meine Nase kitzelt.

»Nein, hat es nicht, sonst würde ich es dir ja nicht sagen«, zischt Annalena und schiebt mich zur Tür hinaus in Richtung Chefbüro.

Auf dem Flur kommt mir Herr Bader bereits entgegen: »Wo zum Teufel bleiben Sie denn so lange, Frau Teufel?«, brüllt er so laut, dass alle Kollegen sofort ihre Arbeit unterbrechen und interessiert die Köpfe heben. Hat echt Wortwitz, der Mann, denke ich. »Ich bin gerade aus Berlin von meinem Treffen mit Miguel Vargas zurückgekommen, und ich finde, dass ich dafür eigentlich recht pünktlich bin …«, wage ich einen Versuch, mich zu verteidigen. Immerhin ist es erst 9.30 Uhr, so früh bin ich sonst fast nie hier.

»Halten Sie keine langen Reden, kommen Sie rein und erklären Sie mir, weshalb heute Morgen, um sieben Uhr, mein Handy klingelt und ich einen wutschnaubenden Miguel Vargas am Telefon habe, der die Zusammenarbeit mit dem Verlag beenden will.«

»Miguel Vargas? Auf Ihrem Handy? Um diese Uhrzeit?«, frage ich tumb, während ich zögernd sein Büro betrete und versuche, mit diesem Fragemanöver Zeit zu schinden. Es ist so weit! Ich bin in der Höhle des Löwen. Und ich habe tatsächlich keine Chance. Ängstlich setze ich mich auf die äußerste Kante des Besucherstuhls und wappne mich innerlich gegen die nächste Attacke. Das Gesicht meines Gegenübers hat bereits einen ungesunden Rotton angenommen, und ich sehe seine Halsschlagader pochen.

»Sie wissen genau, weshalb, Frau Teufel. Bringen Sie das sofort wieder in Ordnung, oder Sie sind gefeuert. Haben Sie verstanden? GEFEUERT. Wissen Sie, was das in der heutigen Zeit heißt?«

Klar weiß ich das, ich lese ja manchmal wirklich den Spiegel und hatte in der Bahn genug Zeit, darüber nachzudenken. Im Klartext würde das bedeuten, meine Wohnung in Eppendorf aufzugeben, um nach Barmbek oder schlimmer noch nach Norderstedt zu ziehen und anstelle des Feinkostladens auf Penny oder miniMAL angewiesen zu sein. Und Klamottenkäufe bei H & M hätten auf einmal keinen Kultcharakter mehr, sondern wären pure Notwendigkeit.

»Finden Sie nicht, dass Sie jetzt ein wenig übertreiben, Herr Bader?«, versuche ich, mich zu verteidigen, während mir bereits die Tränen des Selbstmitleides in die Augen schießen. »Zu mir war Miguel Vargas gestern Abend sehr nett, von daher kann ich mir gar nicht so recht erklären, was ihn derart verärgert haben kann.« Na ja, etwas gelogen, aber was soll’s!

Anstelle des leichten Rottones von eben nimmt das Gesicht von Herrn Bader nun ein tiefes Tomatenrot an.

»Nun tun Sie mal nicht so unschuldig, Frau Teufel. Sie wissen ganz genau, wovon ich spreche. Können Sie mir sagen, weshalb wir Sie eigentlich als Lektorin für unsere Promibücher eingesetzt haben? (Ja, ich erinnere mich dumpf und dunkel. Das war, weil ich dank meines unwiderstehlichen Charmes und meiner fundierten Kenntnisse aus Gala und Bunte geradezu prädestiniert bin für diesen Job. Von meinem Kommunikationstalent einmal ganz zu schweigen.) Sie haben gleich Ihren ersten Auftrag in den Sand gesetzt und das Vertrauen, das Herr Köllisch und ich in Sie gesetzt haben, schwer enttäuscht! (Okay, gegenüber Christoph Köllisch ist mir die ganze Sache in der Tat äußerst unangenehm!) Nun gehen Sie mir aus den Augen. Los, raus!«, tobt Herr Bader weiter, und ich befolge schleunigst seine Anweisung, bleibe auf dem Weg hinaus an einer vorstehenden Tischkante hängen und ratsche mir die Strumpfhose auf. Auch das noch! Nein, dies ist wahrlich nicht mein Tag.

»Und? War es sehr schlimm?«, fragt Annalena mitleidig, als ich nach einem kurzen Zwischenstopp auf der Toilette wieder in unserem Büro auftauche.

»Nein, überhaupt nicht. Herr Bader ist nur stinksauer und hat mir mit Kündigung gedroht, wenn ich Vargas nicht wieder zur Zusammenarbeit mit uns bewegen kann«, schniefe ich in ein Stück Toilettenpapier, das als Tempoersatz herhalten muss. »Er hat mir einen Vortrag darüber gehalten, dass er enttäuscht von mir ist und dass ich versagt habe. Aber Miguel umzustimmen, das schaffe ich nie und nimmer. Und wo soll ich dann einen neuen Job hernehmen?«, schluchze ich weiter vor mich hin, während es mich am ganzen Körper schüttelt.

»Schsch, das wird alles wieder gut«, versucht Annalena, mich zu trösten, und nimmt mich in die Arme. Sie duftet ganz wundervoll nach Vanille, und ich könnte es mir für den Rest meines Lebens in ihrer Armbeuge gemütlich machen. »Willst du ein Taschentuch?«, fragt sie, während ich ihre weiße Bluse nass tropfe und mit Wimperntusche verschmiere. »Oder soll ich dich lieber krankmelden? Du hast ja sicher kaum geschlafen. Fahr nach Hause, leg dich hin. Ich regle das hier schon. Du wirst sehen, heute Abend sieht die Welt schon ganz anders aus. Und wenn es dir besser geht, können wir doch noch zu ›Paulino‹ gehen, und du erzählst mir alles. Was hältst du davon?«

Was ich davon halte? Meine Annalena. Meine süße, beste Freundin!

»Ja, so machen wir das«, flüstere ich in das Taschentuch, das Annalena mir in die Hand gedrückt hat und das mittlerweile nur noch in Fragmenten vorhanden ist, setze mir die Sonnenbrille auf die Nase und schleiche so unauffällig wie möglich wieder aus dem Verlag.

***

Einige Stunden später sitze ich dann auch schon bei meinem Lieblings-Szene-Italiener an der Alster und schlürfe einen Scoropino. Dieses Getränk ist zwar bereits eine komplette Mahlzeit für sich, aber an Tagen wie diesen kann man nun mal keine Rücksicht auf seine Figur nehmen. Ich ignoriere Blondi, die mir die Kalorien des darin enthaltenen Limonensorbets und der Sahne vorrechnet, und werfe einen Blick auf die anwesenden Gäste. Das ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Wie immer sind alle unheimlich schick, unheimlich busy und unheimlich gut gelaunt.

Annalena kommt wie immer zu spät, und so habe ich jede Menge Zeit, meine Umgebung genauer unter die Lupe zu nehmen und Gesprächen zu lauschen. Von Werbern über Medienleuten bis hin zu Promis ist hier alles vertreten, was in Hamburg Rang und Namen hat. Von der Bar prostet mir ein gut aussehender Typ zu, der ganz offensichtlich Gefallen an mir gefunden hat. Wie schmeichelhaft! Vielleicht wird das ja doch noch ein guter Tag, denke ich, nur um festzustellen, dass er die Dame hinter mir meint, die sich gerade an meinem Tisch vorbeischiebt und auf ihn zustürzt. Auch gut, schließlich bin ich ja hergekommen, um mich mit meiner besten Freundin zu treffen, und nicht, um auf Männerfang zu gehen.

Am Nachbartisch sitzt eine Familie mit zwei Kindern. Bei »Paulino« ein eher ungewöhnlicher Anblick. Die Mutter, Modell Blankenese, mit Pferdeschwanz und Perlenkettchen, schneidet ihrer Tochter im Kinderstühlchen gerade Carpaccio (!!!) in mundgerechte Stückchen, während Sohnemann eifrig am Simsen ist. Der Vater ist vertieft in die Lektüre seiner Financial Times und hat seinen Communicator griffbereit. Seine Frau erzählt ihm gerade von diesem »himmlischen Schnäppchenangebot«, einer Eigentumswohnung mit Elbblick, aber das Gesagte verhallt ungehört.

Ich selbst schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Familie doch bald nach Hause gehen möge, da Annalena Kinder hasst. Babys findet sie niedlich und schwärmt unverständlicherweise für diese Kinderfotos von Anne Geddes, auf denen die lieben Kleinen in Blumentöpfen sitzen und lustige Hütchen tragen oder gerade einen Blumenkohl umarmen. Sobald diese Kinder aber das zarte Alter von einem Jahr überschritten haben, nicht mehr friedlich schlummernd im Kinderwagen liegen, sondern es wagen, laut zu atmen, ereilt Annalena die absolute Krise. Aus diesem Grund vermeiden wir Cafés und Restaurants mit größerer Kinderdichte oder treffen uns dort allenfalls nach 21 Uhr, in der Hoffnung, dass die lieben Kleinen dann schon sicher in ihren Bettchen verstaut sind.

»Tut mir leid, meine Süße, ich bin zu spät«, flötet Annalena und stürzt sich sofort auf meinen Scoropino. »Du ahnst gar nicht, was mir passiert ist.« Nein, ich ahne es nicht, und ich will es auch gar nicht wissen, denn dies ist MEIN Abend mit MEINER Geschichte, denke ich und versuche dennoch, einen interessierten Gesichtsausdruck aufzusetzen, denn schließlich sind Annalena und ich schon seit zwanzig Jahren befreundet. Und schon prasselt die Geschichte ohne Punkt und Komma auf mich ein. Es handelt sich dabei um einen Beauty-Unfall erster Güte. Annalena, dunkelhaarig und von Natur aus mit reichlich Beinbehaarung gesegnet, ist permanent dabei, die neuesten Methoden der Enthaarungstechnologie zu studieren und zu erproben. Jedes Jahr im Frühsommer beginnt das Drama von Neuem. Einschlägige Zeitschriften wie Elle oder Petra geben ihren aufmerksamen Leserinnen eine Übersicht über die neuesten Enthaarungsmethoden sowie deren Vor- und Nachteile.

In diesem Jahr hatte Annalena offensichtlich beschlossen, ihrem Problem auf eher natürlichem Wege zu begegnen, und sich für die Wachsmethode entschieden. Um bei »Paulino« im Mini eine gute Figur zu machen, war sie nach dem Büro zunächst noch schnell in die Wanne gestiegen, wodurch die Haut schön weich werden sollte. Eine gute Voraussetzung, um im Anschluss, beim Herausreißen, weniger Schmerzen zu verspüren. Vorschriftsmäßig hatte sich Annalena also die ersten Wachsplättchen auf die Schienbeine gelegt und war eisern entschlossen, sie mit einem kräftigen Ruck abzuziehen, damit der Schmerz nur von kurzer Dauer sein sollte.

»Tja, und dann passierte gar nichts«, erzählt Annalena aufgeregt und leckt sich den letzten Tropfen Scoropino aus dem Mundwinkel. »Das Wachs hat es sich auf meinen warmen Beinen gemütlich gemacht und sich offensichtlich entschlossen, dort zu bleiben. Es ging nicht mehr ab. Kannst du dir vorstellen, wie man sich da fühlt?«

Ja, ich kann, denn auch ich habe in dieser Hinsicht schon einiges erlebt.

»Ich habe die absolute Krise bekommen! Dann habe ich versucht, mich zu beruhigen, habe mir eine Nagelfeile geschnappt und wollte das Ganze Schicht für Schicht abkratzen. Hat auch nichts gebracht. Und es wurde immer später, und ich wusste ja, dass es dir nicht gut geht und du hier auf mich wartest.«

»Na ja, jetzt bist du ja hier«, sage ich und tätschle ihr freundschaftlich das Knie. »Und was hast du dann gemacht? Willst du mir sagen, dass du unter deinem Rock noch Wachsreste kleben hast?«

»Nein, keine Sorge. Nachdem ich es mit Nagellackentferner versucht habe und das auch nichts gebracht hat, ist mir die rettende Idee gekommen.«

»Du hast den Notarzt geholt?«, frage ich besorgt, da Annalena eine ausgemachte Hypochonderin ist und den Samstagabend gerne mal in der Notaufnahme eines Krankenhauses verbringt.

»Nein, die kommen ja nicht mehr, wenn sie meine Nummer im Display sehen«, kichert Annalena sichtlich angeheitert von meinem Drink. »Nee, meine Rettung war der Föhn. Ich habe ihn einfach eine halbe Stunde auf meine Beine gehalten, da wurde das Ganze wieder schön flüssig, und ich konnte alles abspülen. Allerdings musste ich mir dann doch noch die Beine rasieren, sonst wäre ich sicher pünktlich gewesen.«

»Da bin ich aber erleichtert, ich dachte schon, du hättest es mit der Löschpapierbügelmethode probiert und wolltest mir jetzt mitteilen, dass wir statt des Abendessens noch einen Termin für eine rasche Hauttransplantation haben«, grummle ich und versuche unauffällig, einen Blick auf die Speisekarte zu werfen. Der Duft von Salbei und Trüffelöl steigt mir in die Nase, und wenn es erst einmal so weit ist, fällt es mir sehr schwer, mich auf ein Gespräch zu konzentrieren.

»Dann können wir ja jetzt bestellen. Weißt du schon, was du willst?«

Und dann essen wir. Leckere Antipasti, gefolgt von fantastischer Pasta, gekrönt von einem leckeren Dessert. Vergessen meine Pleite mit Miguel Vargas, auch Bader & Köllisch rückt in den Hintergrund. Jetzt gibt es nur noch das »Paulino«, Annalena, einen Grappa und mich. Ich habe eigentlich keine Lust, diesen Abend durch einen Bericht über meine Berlin-Pleite zu verderben, und liefere daher meiner neugierigen Freundin lediglich eine Kurzfassung, mit der Bitte, das Thema nicht weiter zu vertiefen. Zumindest nicht an diesem Abend.

»Na, Ihnen scheint es ja gut zu gehen«, dringt jäh die Stimme der Realität an mein Ohr, während Annalena und ich gerade beginnen, einen Italien-Urlaub zu planen. Portofino und Capri, Ischia und Venedig. Weit weg von zickigen Autoren und der Verlagswelt …

Die Stimme, die uns brutal aus unseren Träumen reißt, gehört Herrn Köllisch, dem anderen Teil von Bader & Köllisch, wenn auch dem netteren. Christoph Köllisch ist ehemaliger Cheflektor und seit zwei Jahren Verlagspartner und damit ebenfalls mein Vorgesetzter. Da er oft im Ausland unterwegs ist, ist er ein eher seltener Gast in unserer Villa an der Alster. Auch jetzt habe ich ihn eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Genauer gesagt nicht mehr, seit er mir die Betreuung unserer Promibücher angeboten hat.

»Muss ja«, höre ich mich sagen und könnte mich gleichzeitig dafür ohrfeigen. »Muss ja« ist ein Ausdruck, den ich mindestens ebenso verabscheue wie das obligatorische »Mahlzeit« mittags in der Kantine. Ich könnte mich vor Scham verkriechen.

»Na, dann wünsche ich Ihnen beiden noch einen schönen Abend«, erwidert er und nimmt an der Bar Platz. Er ist in Begleitung von Carlotta Rivera, einer attraktiven Schwarzhaarigen, die ihn anhimmelt und ihre weißen Zähne blitzen lässt. Von Kollegen weiß ich, dass die beiden schon seit Längerem zusammen sind und sich auf einer unserer Buchpremieren in einer Galerie kennengelernt haben. Sie ist Kunstkritikerin und reist ebenfalls viel durch die Weltgeschichte. Spricht mehrere Sprachen fließend, hat eine Mannequin-Figur und fährt Porsche. Ein schlimmer Affront für jemanden wie mich, der noch nicht einmal einen Führerschein besitzt. In diesem Moment fällt ihr eine entzückende Locke ins Gesicht, die mein Chef ihr liebevoll hinter das Ohr streicht. Idylle pur. Wie ich diesen Frauentyp hasse. Man fühlt sich bei ihrem Anblick automatisch klein, dick, langweilig und falsch gekleidet.

Bei dem Anblick der beiden muss ich unwillkürlich seufzen. Christoph Köllisch ist ein äußerst attraktiver Mann, und ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich an ihn denke. Natürlich nur ganz kurz und in einem rein fachlichen Zusammenhang, versteht sich! Ich kann schließlich nichts dafür, dass er sich nachts manchmal heimlich in meine Träume schleicht wie Mister Sandman persönlich …

»Guck da nicht so auffällig hin«, reißt Annalena mich unsanft aus meinen Betrachtungen. »Du tust ja gerade so, als hättest du den Typen noch nie gesehen. Das ist super auffällig, was du da machst. Lass uns lieber gehen, ich bin müde und will ins Bett«, gähnt sie, und auch ich finde, dass dieser Tag lang und ereignisreich genug war.

***

Zurück in meiner Wohnung schenke ich mir noch ein Glas Rotwein ein und lege mich damit auf die Couch. Meine Katze Sissi, benannt nach Kaiserin Elisabeth, die ich sehr verehre, streicht mir maunzend um die Beine und will spielen. Ich habe dazu aber keine Lust und hänge lieber meinen Gedanken nach.

Gestern Abend um diese Zeit saß ich mit Miguel Vargas in einem Restaurant. Wir hatten ein Menü bestellt, und alles hatte so weit gut begonnen. Beim Aperitif plauderten wir über dies und das, über seine Finca auf Mallorca und das Leben in ewiger Sonne. Lästerten ein wenig über die Literaturszene und ließen die Leipziger Buchmesse Revue passieren, auf der wir uns zum ersten Mal begegnet waren. Miguel las dort aus seinem aktuellen Buch, einem literarischen Liebesroman. Die sanfte, melancholische Stimme passt so gar nicht zu diesem eher herben, machohaften Typ, der zu gelegentlichen Wutausbrüchen neigt. Doch vielleicht ist es gerade diese Kombination, die ihn für seine – vorwiegend weiblichen Leser – unwiderstehlich macht und seine Bücher zu Bestsellern werden lässt. Das Buch mit dem Titel Jene Tage ist sein erster Roman in unserem Verlag, den seine Agentin für ihn nach einer Auseinandersetzung mit seinem alten Hausverlag gefunden hat. Herr Bader hatte ihr hoch und heilig versprechen müssen, dem Autor höchste Aufmerksamkeit und Rundumbetreuung zukommen zu lassen, denn dies war Miguel Vargas weitaus wichtiger als üppige Honorare, die er finanziell sowieso nicht nötig hat. Schließlich ist Miguel ein berühmter Maler und Bildhauer, ein Star der europäischen Kunstszene. Mit seinen vierundsechzig Jahren hat der Sohn eines spanischen Vaters und einer deutschen Mutter ein aufregendes Leben mit Stationen in den großen Metropolen der Welt hinter sich. Erst vor wenigen Jahren zog er sich auf seine Finca auf Mallorca zurück, um sich endlich auch seiner Passion für das Schreiben angemessen widmen zu können.

Bevor ich mich auf den Weg nach Leipzig gemacht hatte, war ich tagelang damit beschäftigt gewesen, mir ein Bild von ihm zu machen. Ich recherchierte stundenlang im Internet, sah mir jede Menge Fernsehauftritte und Talkshows an und las alle seine Bücher. Aufgeregt machte ich mich auf den Weg zur Messe. Schließlich war Miguel ein Liebling der Kunstszene und der Medien, ein Frauenschwarm und Individualist, ein Exzentriker und Enfant terrible, ein geheimnisvoller Eremit auf seiner mallorquinischen Finca, ein Preisträger des »Prix de livre«, DES internationalen Buchpreises überhaupt!

Miguel Vargas gab sich jedoch, entgegen meinen Erwartungen, bei allen Veranstaltungen sehr charmant und höflich, bedankte sich artig für jede Aufmerksamkeit und erfüllte mit scheinbar endloser Geduld die Signier- und Autogrammwünsche der weiblichen Fans, die um den Messestand herumschlichen. Ich amüsierte mich köstlich beim Aufschnappen einiger Gesprächsfetzen und bemerkte sehr wohl, wie sich die jeweiligen Damen ins Zeug legten, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich genoss es, an seiner Seite durch die Messehallen zu schreiten, ihn ins Hotel zu bringen, ihn wieder abzuholen und zur Lesung zu fahren. Endlich war ICH einmal diejenige, die beneidet wurde.

Nach der letzten Lesung in Leipzig feierten wir mit den Verlagskollegen bis in die frühen Morgenstunden. Ein durchaus positiver Auftakt also für den Trip nach Berlin, wohin ich ihn ebenfalls begleitete. »Miguel«, wie ich ihn ab sofort nennen sollte, küsste mich zur Begrüßung auf beide Wangen und machte es sich im Zugabteil gemütlich. Und kaum hatte ich uns Getränke aus dem Speisewagen geholt, war er auch schon eingeschlafen. Ein Zustand, der bis Berlin-Zoo anhalten sollte, wo ich ihn dann wohl oder übel wecken musste. Während er schlief, hatte ich Gelegenheit, mir zu überlegen, wie ich es schaffen könnte, ihn an diesem Abend so einzulullen, dass er uns den Zuschlag für seine Memoiren geben würde. Denn dies war meine eigentliche Mission: Miguel Vargas hatte schon seit Jahren immer wieder Angebote von den renommiertesten Verlagshäusern bekommen, seine Erinnerungen zu Papier zu bringen. Doch bislang ohne Erfolg. Und nun hatte es sich mein Chef in den Kopf gesetzt, diesen offensichtlichen Jackpot zu knacken.

Es kam, wie es kommen musste. Timing ist ja bekanntlich alles, und meines war im entscheidenden Moment denkbar schlecht. Die Lesung in Berlin war erwartungsgemäß ein Riesenerfolg, doch leider war Miguel dabei immer so umlagert, dass sich keine Gelegenheit ergab, das heikle Thema anzusprechen. Blieb noch das gemeinsame Abendessen. Meine letzte Chance. Doch weder über der Vorspeise noch beim Hauptgang fand ich den richtigen Aufhänger. Kaum waren die Teller abgeräumt worden, setzte ich daher zum Angriff an. Da ich aber wegen der fortgeschrittenen Uhrzeit von 22.30 Uhr nicht mehr allzu viel Zeit für mein Anliegen hatte, fiel ich dummerweise gleich mit der Tür ins Haus. Miguel hatte bereits mehrere Male auffällig gegähnt und schien sichtlich erschöpft. Vielleicht war er aber nur genervt von den kleinen Anekdoten, die ich von mir gab, um meine Nervosität zu überspielen. Und dann stellte ich die verhängnisvolle Frage. Daraufhin folgte ein langer, lauter und wütender Redeschwall, in dem es vor allem darum ging, dass ich mich auf meine eigentliche Arbeit, nämlich das Lektorieren seines Romans, konzentrieren solle, anstatt mich in Dinge einzumischen, von denen ich nichts verstünde. Im Übrigen scheine sich der Verlag, und ich mich insbesondere, wenig von den anderen geldgierigen Menschen zu unterscheiden, die immer wieder seinen Weg kreuzen würden. Agenten, Verleger und Lektoren seien doch alle gleich und hätten nur eins im Sinn: Geld.

Na ja, so ist das halt, wenn man keines hat, dachte ich und setzte zu einer Rechtfertigung an, doch da verlangte Miguel bereits in scharfem Ton die Rechnung.

»Aber wir haben doch das Dessert noch gar nicht gegessen«, wagte ich einen kleinen Protest, denn auf die Profiteroles in Schokoladensauce hatte ich mich schon den ganzen Tag gefreut.

»Ich möchte ins Hotel, und Sie verkneifen sich das Dessert sowieso besser, wenn ich das mal so sagen darf«, blaffte er mich an, während der Kellner unsere Mäntel brachte. Scham und Schande. Sämtliche Gäste starrten mich an, und mir blieb nichts anderes übrig, als mit hochrotem Kopf aus dem Restaurant zu stolzieren. Und da stand ich dann, mitten in Berlin, mitten in der Nacht, zitternd vor Kälte und Wut. Gedemütigt und ohne mein Ziel erreicht zu haben. Meine Gedanken galten in diesem Augenblick meiner Figur und meinen Chefs. Exakt in dieser Reihenfolge!

SO hatte ich mir meinen Job nicht vorgestellt, als er mir vor meiner Abreise von Christoph Köllisch angeboten worden war, dachte ich, während ich bibbernd auf der Straße stand und auf mein Taxi wartete. Und dabei hatte doch alles so nett angefangen. 

***

»Kann ich Sie bitte einmal unter vier Augen sprechen, Frau Teufel?«, hatte Christoph Köllisch mich völlig ohne Vorwarnung gefragt und war extra deshalb in mein Büro gekommen. Ich hatte mich unheimlich erschrocken, weil Herr Köllisch nur extrem selten in unserer Besenkammer auftaucht. Verwundert folgte ich ihm wie ein braves Lämmchen in sein Büro. Dieser Raum verdient es wirklich, Büro genannt zu werden. Zwei Panoramafenster, die einen unverstellten Blick auf die Alster freigeben. Ich liebe diesen Ausblick. Segelboote schaukeln im Wind, Vögel ziehen ihre Kreise am blauen Himmel, und am Horizont erscheint wie ein Silberstrahl der Kondensstreifen eines Flugzeuges. Das Büro ist geschmackvoll eingerichtet, dunkler Sisalteppich erstreckt sich von einem Ende des Raumes zum anderen, auf dem Schreibtisch steht ein großer Strauß weißer Callas, sicher ein Geschenk von Carlotta. Die einzige Wand, die nicht von Bücherregalen verstellt ist, wird durch ein Bild meines Lieblingsmalers Modigliani geschmückt – ein wunderschönes Frauenporträt. Beeindruckt versuchte ich, auch alle weiteren Details in mich aufzunehmen. Ein kleiner Elefant aus Elfenbein, eine Buddha-Statuette aus grünem Jade, ein geschmackvoller Montblanc-Füller, alles sehr gediegen und elegant.

»Weshalb ich Sie sprechen wollte, Frau Teufel«, drang Christoph Köllischs Stimme an mein Ohr und riss mich aus meinen Betrachtungen, während ich auf dem Besucherstuhl Platz nahm. »Wie Sie sicher wissen, ist es derzeit um die Verlagsbranche nicht sehr gut bestellt, sodass auch wir bei Bader & Köllisch neue Wege gehen müssen. Nicht, dass wir Grund hätten, uns Sorgen zu machen, aber wir werden die kommenden Wochen darauf verwenden müssen, um uns über unsere Programmausrichtung für die nächste Zeit klar zu werden. Derzeit bestehen – und das bleibt bitte unter uns (ich nickte heftig und bekräftigend) – Überlegungen, programmatisch gesehen neue Felder zu erschließen. Wir denken dabei ganz konkret daran, unsere Schiene mit Promibüchern weiter auszubauen (wieder heftiges und zustimmendes Nicken meinerseits). Sie wissen selbst, wie gut die Titel gelaufen sind, die Sie zusammen mit Frau Kluge konzipiert und entsprechend im Fernsehen vermarktet haben (noch heftigeres Nicken meinerseits, schließlich bin ich stolz auf die Arbeit, die ich geleistet habe). Mit Freude haben Herr Bader und ich festgestellt, dass Sie offensichtlich ein Händchen für Prominente haben und immer am Puls der Zeit sind (kein Wunder, wo ich doch immer die Gala und die Bunte lese, dachte ich und nickte wieder fleißig weiter, nur eine Frage der Zeit, bis mein Kopf herunterfallen würde). Bislang haben sich diese Projekte ja eher zufällig ergeben, aber das ist genau das, was wir in Zukunft ändern möchten. Wir möchten nichts mehr dem Zufall überlassen und diesen Bereich professionalisieren. Mit einer Person an unserer Seite, die dieses Segment für uns aufbaut (nun fing ich auch noch an, mit den Füßen zu wippen, und mein Herz begann zu pochen). Kurzum, Frau Teufel: Wir brauchen Sie, und ich möchte Sie fragen, ob Sie sich das vorstellen könnten. Haben Sie Lust dazu?«

Ob ich Lust dazu hatte? Ich fühlte mich gerade wie eine Braut, die mit ihrem Chef vor dem Altar steht und vom Personalvorstand gefragt wird: Wollen Sie, Marie Teufel, diesen Ihnen angetrauten Job annehmen, ihn lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet? Ich hauche zart errötend »Ja« und verlange eine fette Gehaltserhöhung, lüfte den Schleier und küsse Christoph Köllisch.

»Frau Teufel, Sie sagen ja gar nichts. Ist Ihnen nicht gut?«, fragte mein Vorgesetzter, offensichtlich besorgt, und reichte mir geistesgegenwärtig ein Glas Wasser.

»Nein, nein, schon okay«, stammelte ich, während ich versuchte, mein Fußwippen unter Kontrolle zu bringen und schleunigst meinen Tagtraum zu verscheuchen. »Es ist nur, nun, ich würde das sehr, sehr gerne machen, und ich denke auch, dass ich dafür geeignet bin.«

»Fein, das freut mich, dann sind wir uns ja einig«, antwortete Christoph Köllisch, und ich war bemüht, meine Freude nicht zu sehr zu zeigen. Schließlich ist ein gewisses Maß an Coolness immer förderlich bei Gehaltsverhandlungen. Ach ja – apropos Gehalt: DAZU hatte Herr Köllisch sich noch gar nicht geäußert …

»Und was Ihre Gehaltserhöhung betrifft (toll, der Mann denkt mit), so werde ich während Ihres Aufenthaltes in Berlin einen Vorschlag von der Personalabteilung anfertigen lassen. Den können wir dann gemeinsam durchgehen, wenn Sie wieder da sind. Ich hoffe, die Personalabteilung beeilt sich! (DAS hoffe ich allerdings auch!) Also dann, liebe Frau Teufel, viel Erfolg in Berlin!«

Mit diesen Worten war ich entlassen. Wenige Minuten später fand ich mich in Annalenas Armen wieder und weinte. Nur ausnahmsweise mal nicht aus Verzweiflung, sondern aus Freude. Erst gestern fand ich hier alles noch öde und eingefahren, und aus heiterem Himmel bekam ich so ein sensationelles Angebot und eine Gehaltserhöhung. GEHALTSERHÖHUNG. Ich wusste ja kaum, wie man das Wort schreibt. Hatte mein Chef eigentlich die genaue Summe gesagt, und wenn, wie viel war es? Egal – in Windeseile malte ich mir aus, was ich mir von dem vielen Geld alles würde leisten können. Endlich einen Friseurbesuch bei Starfigaro Marlies Möller, die tolle Joop!-Tasche, die ich neulich gesehen hatte, ein Sheba-Dauerabonnement für Sissi und einen Bauch-weg-Trainer. Oder vielleicht eine neue Wohnung? Ein Auto? Einen Bulgari-Ring? Einen Trip nach Cannes zu den Filmfestspielen?

»Annalena, das müssen wir feiern! Ich lade dich zu einem Wellness-Wochenende ein, da lassen wir uns mal richtig verwöhnen«, schwadronierte ich und war verzückt über meine Selbstlosigkeit. Ich sah uns schon im Geiste in einem Heubad liegen, mit einer Ewig-jung-Maske im Gesicht und einem knackigen Masseur, der NUR für uns da war. Auch Annalena ließ ihren Fantasien umgehend freien Lauf, und wir beschlossen, uns so bald wie möglich Prospekte von Wellnesshotels zu besorgen.

»Wie gut, dass ich nun wieder hier bin und mich in mein eigenes Bett legen kann«, denke ich nach meinem kleinen Ausflug in die Vergangenheit, während ich mir das Pyjamaoberteil über den Kopf ziehe. Dabei fällt mein Blick unweigerlich auf meinen Bauch. Jemand hat mal zu mir gesagt, ich sei ein eher barocker Typ. Nicht sehr schmeichelhaft, aber momentan leider allzu wahr. Blondi hat umgehend auf meiner Bettkante Platz genommen und präsentiert mir die kulinarische Gesamtsumme des heutigen Tages: Croissant, Latte macchiato, Vitello tonnato, Pasta mit Trüffeln in Sahnesauce und Mousse au chocolat. Ein Kaloriensuper-GAU. »Ab sofort gibt’s nur noch Obst und Salat«, nehme ich mir vor und sinke endlich in einen tiefen Schlaf.

***

Der nächste Morgen ist hart. Es regnet, ich weiß nicht, was ich anziehen soll, weil ich es mal wieder nicht geschafft habe, zu waschen, und weil ich in den Rest der Sachen einfach nicht mehr reinpasse. Und natürlich habe ich auch nicht eingekauft, womit das geplante Obstfrühstück schon mal flachfällt und ich mich an einen Toast mit Erdnussbutter halten muss. Macht schon am frühen Morgen circa 500 Kalorien, die Hälfte der Brigitte-Diät-Tagesration. Während ich mich schlecht gelaunt im Spiegel mustere und auch Sissi mich scheinbar kritisch beäugt, beschließe ich, den Dingen ins Auge zu sehen und mein Leben wieder in Ordnung zu bringen. Ich mache mir im Geiste eine Liste mit Vorsätzen, während ich versuche, meine störrischen roten Locken zu einem Pferdeschwanz zu knoten:

einkaufen

zum Friseur gehen

Katzenfutter für Sissi besorgen (vielleicht guckt sie nur deshalb so böse, weil sie seit Tagen nur Trockenfutter bekommen hat?)

mit Joggen anfangen

meine Mutter besuchen

abnehmen

meinen Führerschein machen

Italienisch lernen

Miguel versöhnlich stimmen

 

Mich beschleicht das ungute Gefühl, dass i) die eigentliche Priorität hat, denn wenn mir dies nicht gelingt, fehlt schlicht und einfach das nötige Kleingeld für die Punkte a) bis h). Dies hat mir Herr Bader ja unmissverständlich klargemacht. Okay, also tief einatmen, Bauch rein, Brust raus und ab ins Büro. Und nur nicht daran denken, dass meine unselige Pleite sicher schon die Runde unter den Kollegen gemacht hat.

***

Völlig durchnässt, weil ich meinen Regenschirm mal wieder irgendwo habe stehen lassen, betrete ich das Büro. Annalena ist noch nicht da, und so habe ich Gelegenheit, ungestört zu überlegen, welche Strategie ich anwenden soll, um Miguel versöhnlich zu stimmen. Anrufen? Es ist acht Uhr morgens, und Ferngespräche nach Mallorca sind teuer. Außerdem gibt es nichts, was ich mehr hasse, als zu telefonieren. Zu Hause muss jeder erst einmal auf meinen Anrufbeantworter sprechen, damit ich Zeit habe zu entscheiden, ob ich das Telefonat entgegennehmen will oder nicht. Ich entscheide mich also für den schriftlichen Weg und beginne, ein Fax zu entwerfen, das zur Erhaltung meines Arbeitsplatzes und der Sicherung des Futters für Sissi beitragen soll. Im ersten Moment weiß ich allerdings gar nicht so recht, wie ich anfangen soll. Von diesem Fax hängt vielleicht meine gesamte berufliche Zukunft ab! Ich merke, wie meine Hand zu zittern und mein Herz zu rasen beginnt. Aber ich muss mich ja auch noch nicht festlegen. Vielleicht versuche ich es ja einfach mal mit einem Probelauf, korrigieren kann ich dann ja immer noch. Ich tippe munter drauflos …

»Sehr geehrter Herr Vargas,

wie mir zu Ohren gekommen ist, sind Sie mit meiner Vorgehensweise Ihre Memoiren betreffend nicht einverstanden …«

Nein, so geht das nicht, das klingt viel zu förmlich und gestelzt. Und »wie mir zu Ohren gekommen ist« geht schon gleich fünfmal nicht. Also noch einmal:

»Lieber Herr Vargas«

Oder soll ich lieber »Senor« schreiben? Wäre ja eigentlich die korrektere Anrede. Aber das Problem dabei ist, dass ich die Taste für das wellenförmige Zeichen, das eigentlich auf das »n« gehört (und dessen Bezeichnung mir dummerweise gerade entfallen ist), nicht auf meinem Computer finden kann. Aber Señor hin, Herr her, eigentlich darf ich ihn ja seit Leipzig »Miguel« nennen. Ich weiß zwar nicht, ob das nach unserem Berlin-Trip auch noch gilt, aber davon lasse ich mich nicht irritieren. Schnell noch einen Schluck Tee, der durchblutet das Gehirn. So, jetzt aber los, sonst sitze ich morgen noch hier. Und dann haue ich in die Tasten, was das Zeug hält:

»Lieber Miguel,

 

Herr Bader hat mich davon unterrichtet, dass Sie unseren Abend in Berlin nicht besonders erfreulich fanden und es aus diesem Grund vorziehen würden, nicht mehr mit mir beziehungsweise dem Verlag zusammenzuarbeiten.

Sicher können Sie sich vorstellen, dass ich darüber sehr erschrocken bin und dass dies keineswegs in meinem Interesse liegen kann.

Es ist selbstverständlich nicht meine Absicht gewesen, Sie zu verärgern. Sie wissen doch, wie sehr ich mich über unser gemeinsames Projekt gefreut habe, und es gibt für mich kaum einen wundervolleren Roman als Jene Tage.

Sie haben den Lesern in aller Welt so viel zu sagen, und das meines Erachtens nicht nur im Bereich des Fiktionalen. Ein Mann wie Sie, begabt und reich an Erfahrungen, hat so viel zu erzählen. Und was läge da näher, als seine Memoiren zu schreiben? Viele Erinnerungen verblassen schließlich im Laufe eines langen Lebens und werden dadurch wieder lebendig, dass man sich intensiv mit ihnen beschäftigt. Außerdem hat gerade IHRE Generation Dinge erlebt, die sowohl in geschichtlicher Hinsicht als auch in künstlerischer von unschätzbarem Wert für die Nachwelt sind. Denken Sie daran, wie vielen potenziellen Lesern Sie womöglich noch über Generationen hinweg eine Freude machen würden.

Bitte verzeihen Sie, dass ich Ihnen das Gefühl gegeben habe, zu wenig an Ihrem aktuellen Buch interessiert zu sein und stattdessen nur noch Ihre Autobiografie im Sinn zu haben. Dies ist selbstverständlich nicht der Fall. Es ist nur so, dass man als Lektorin natürlich immer schon das kommende Programm im Blick haben muss – und da sind dann wohl die sprichwörtlichen Pferde mit mir durchgegangen.

Ich hoffe, dass Sie mir Gelegenheit geben, meinen Überfall in Berlin wiedergutzumachen, und würde mich sehr, sehr freuen, wieder von Ihnen zu hören.

 

Mit herzlichen und hoffnungsvollen Grüßen, Marie Teufel«

Brrr, wie schleimig. Ich ekle mich vor mir selbst. Aber andererseits: Was soll ich tun? Ich kann ja schlecht dasitzen, die Hände in den Schoß legen und zusehen, wie sich die Warteschlange der Bewerberinnen bis auf den Bootssteg bei »Paulino« erstreckt. Denn dass MEIN Job zahllose arbeitslose Lektorinnen reizen könnte, die sich derzeit monatlich zum Arbeitsamt schleppen, ist völlig klar.

Ich bin im Zwiespalt: Einerseits habe ich Angst um meinen Job (was soll nur aus Sissi werden, wenn sie gezwungen ist, ALDI-Katzenfutter zu essen. Das verzeiht sie mir nie! Da reagiert sie sicher wie diese Katze aus der Whiskas-Werbung, deren Herrchen versucht, sie mit billigem Futter von der Tankstelle zu beschummeln, indem er einfach das alte Etikett ablöst und das von Whiskas draufklebt. Aber sowohl diese Katze als auch Sissi haben ein Gespür für so etwas, die kann man nicht betrügen!).

Und andererseits platze ich vor Wut auf diesen selbstherrlichen Typen, würde ihm am liebsten einen Knigge schenken und ihn damit zum Mond jagen. Soll er es sich dort gemütlich machen und am besten nie wieder meinen Weg kreuzen. Es ist vielleicht verständlich, dass ihn mein Anliegen nicht sehr erfreut hat. Das ist aber noch lange kein Grund, sich derart gehen zu lassen, und vor allem nicht dafür, auf meiner Figur herumzuhacken. Unverschämtheit! Ob und welches Dessert und wie viel davon ich esse, entscheide ja wohl immer noch ich! Dass Miguel mit seiner Aussage dabei absolut recht hat, steht schließlich auf einem völlig anderen Blatt.

Bisher hatte ich nur mit Männern zu tun, die mir versichert haben, wie sehr sie es genießen, endlich mal mit einer Frau zu essen, die nicht nur angewidert ein kümmerliches Salatblatt von der einen Seite des Tellers zur anderen schiebt, die nicht den Wein ablehnt, sich den ganzen Abend an einem stillen Wasser festhält und alle fünf Minuten zur Toilette stürmt, um ihr Aussehen zu kontrollieren. Mit mir kann man stundenlang die Speisekarte studieren, immer neue Menüs zusammenstellen, über den passenden Wein philosophieren – eben einen netten Abend verleben. Nicht so mit Miguel Vargas. Alleine das hätte mich schon misstrauisch machen müssen: ein Mann, der das Restaurant vor dem Dessert verlässt! So etwas würde in Frankreich oder Italien nie passieren. Die Menschen dort leben für das Essen, sie zelebrieren es, sie sprechen Köche heilig und würden für ein gutes Glas Wein morden. Der Spanier an sich scheint hingegen zu den eher asketischen Exemplaren zu gehören. Menschen, die sich für den Stierkampf begeistern, ist auch sonst alles zuzutrauen. Das wird es sein. Machohaftes, genussunfähiges Volk! War nicht auch Picasso so einer? Sicher kennt Miguel Picasso oder einen seiner Nachfahren und hat sich durch ihn inspirieren lassen, gifte ich innerlich vor mich hin, während ich nach der Fax-Vorwahl für Mallorca fahnde. Der arme Chopin musste sich schließlich auch in der Kartause von Valldemossa totfrieren und hat sicher nichts Anständiges zu essen bekommen. Kein Wunder, dass er so jung verstorben ist.

***

»Mogggen«, tönt es dynamisch an mein Ohr, Annalena ist da. Strahlend und gut gelaunt, sichtlich ausgeruht und geradezu unverschämt schlank. Wie macht sie das nur? Schließlich haben wir gestern Abend beide gleich viel gegessen und waren beide gleich spät im Bett. Ihr Bauchnabel blitzt verführerisch unter einem kleinen T-Shirt hervor, das sie eigentlich nur in der Babyabteilung erstanden haben kann. Im Regal für sechs bis neun Monate. In der Hand der übliche Cappuccino mit einer Extraportion Sahne. Wie oft habe ich ihr schon gesagt, dass der echte, italienische nur mit geschäumter Milch gemacht wird. Alles andere ist ein grober Verstoß gegen die guten Sitten.

»Du ahnst gar nicht, was mir gestern noch passiert ist«, beginnt sie fröhlich draufloszuquatschen und merkt ganz offensichtlich nicht, dass ich gerade einen sehr schweren Schritt vor mir habe, nämlich das blöde Entschuldigungsfax nach Mallorca zu befördern. Ich will gar nicht wissen, was ihr schon wieder passiert ist. Ihr passiert nämlich andauernd irgendetwas, und jeder zweite Satz beginnt mit dieser Fragestellung. Und es ist mir auch absolut schleierhaft, was ihr in diesen wenigen Stunden zwischen unserer Verabschiedung bei »Paulino« und heute Morgen widerfahren sein könnte. Aber in wenigen Sekunden werde ich es ja wissen, also nicke ich ihr aufmunternd zu, während sie sich aus ihrem Mantel schält und dabei um ein Haar ihren Cappuccino auf mein Fax kippt.

»Ah, ein Fax an Mephisto persönlich«, ruft Annalena und wirft sich in eine dramatische Pose. Vor ihrer Zeit als PR-Referentin bei Bader & Köllisch war Annalena nämlich am Theater, der weitaus geeignetere Platz für sie, wie ich persönlich finde. Sie fischt mein Schreiben aus dem Faxgerät und deklamiert den Inhalt so laut, dass es alle hören können.

»Schon mal was von Briefgeheimnis gehört?«, knurre ich unwirsch, weil mir das Ganze peinlich ist.

»Sag mal, du entschuldigst dich doch nicht etwa bei diesem Idioten? Für dieses unhöfliche und beleidigende Benehmen? Würde ich ja nie im Leben machen«, tönt meine beste Freundin lauthals, und sie muss es ja wissen. Aber sie hat recht. Eigentlich wäre es ja Sache meines Chefs, sich bei Miguel zu entschuldigen, denn schließlich war das mit den Memoiren seine Idee, und ich hatte ihn gleich vorgewarnt, dass das nicht so einfach werden dürfte. Aber wenn ich meinen Arbeitsplatz in diesem Verlag behalten will, tue ich wohl besser daran, die Anweisungen meines Vorgesetzten zu befolgen und alles wieder »in Ordnung« zu bringen.

Am Samstag werde ich die Stellenangebote im Abendblatt wälzen und mich woanders bewerben. Am besten komme ich Herrn Bader zuvor und kündige, bevor er mich entlässt. Mich beruflich zu verändern, nehme ich mir ja sowieso immer wieder mal vor. Ein Vorsatz, der allerdings mindestens so oft zur Umsetzung kommt wie der des Hungerns und des Sporttreibens. Also nie. Das Lesen der Anzeigen alleine ginge ja noch, aber die Vorstellung, meine Unterlagen zusammentragen zu müssen, treibt mir sofort den Schweiß auf die Stirn.

Durch zahlreiche Umzüge sind alle meine Unterlagen auf viele unausgepackte Kartons verteilt, die irgendwo im Keller herumstehen. Auch das berühmte Bewerbungsfoto habe ich nicht griffbereit wie andere Menschen, die in diesen Dingen organisierter sind als ich. Aber um zum Fotografen zu gehen, müsste ich erst einmal zum Friseur, und abnehmen wäre sicher von Vorteil. In meinem jetzigen Zustand nimmt mich nämlich kein Arbeitgeber, der etwas auf sich hält. Außerdem bin ich im Moment mehr als schlecht gelaunt, das macht sich auf einem Bewerbungsfoto ja auch nicht so gut …

»Ich will dir gerade von der romantischsten Nacht erzählen, die ich je erlebt habe, und du machst ein Gesicht, als müsstest du gleich zum Arbeitsamt«, reißt meine Freundin mich aus meinen Überlegungen.

»Ja, genau, das muss ich auch sicher bald, wenn ich das hier nicht sofort nach Mallorca schicke«, antworte ich genervt. Leise tuckernd arbeitet sich mein Schreiben durch den Faxeinzug, um irgendwo am anderen Ende der Welt im Büro von Miguel wieder aufzutauchen. Das Gerät gibt per Piepston kund, dass mein Versuch, Abbitte zu leisten, sicher in Spanien gelandet ist. Vermutlich hat sich gerade eine Haushälterin namens Maria das Schreiben geschnappt und serviert es Miguel zusammen mit dem Morgentee und einer Rose auf dem Silbertablett direkt ans Bett. So stelle ich mir zumindest ein solches Finca-Leben im Luxus vor. Wie lange es wohl dauern wird, bis ich wieder von ihm höre? Was, wenn er nicht reagiert, sondern mich auflaufen lässt? Zutrauen würde ich es ihm ja …

Zum Glück habe ich nicht allzu lange Zeit, darüber nachzudenken, denn Annalena erinnert mich daran, dass wir Freitag in einer Woche einen unserer Autoren zu einem Talkshow-Termin in Bremen begleiten müssen. Auch das noch! Diesen Termin habe ich inmitten des ganzen Chaos völlig vergessen. Macht nichts, dafür wird es aber ganz sicher sehr lustig, denn zum einen mag ich den Autor sehr, zum anderen lerne ich bei dieser Gelegenheit endlich den Moderator der Sendung kennen, für den ich bereits seit Jahren schwärme.

Er ist Halbfranzose, nicht besonders groß, kompensiert diese kleine Unzulänglichkeit mit jeder Menge Intellekt und Charme und hat vermutlich die schönsten braunen Augen der Welt. Männer hassen ihn, weil er der Frauentyp par excellence ist. Sogar die kleinen Unregelmäßigkeiten seiner Zähne haben auf mich eine ungeheure Anziehungskraft. Mir ist völlig schleierhaft, wie seine Co-Moderatorin seit Jahren scheinbar völlig ruhig an seiner Seite sitzen und sich konzentrieren kann – ich wäre mit dieser Situation völlig überfordert. Die Aussicht auf einen netten Abend und darauf, Laurence de Chevalier persönlich kennenzulernen, versetzen mich prompt in Höchststimmung. Ich bin völlig unkonzentriert und ertappe mich immer wieder dabei, im Geiste den Inhalt meines Kleiderschrankes auf Tauglichkeit durchzugehen. Das kleine Schwarze? Zu übertrieben und momentan vermutlich zu eng. Meine heiß geliebte Jeans mit einem Neckholdertop? Vermutlich zu kalt, in diesen Studios zieht es wie Hechtsuppe. Ein geschäftsmäßiger mausgrauer Anzug? Passender Lektorinnen-Look, aber gähnend langweilig und furchtbar spießig. Mir fällt keine Lösung ein außer dem üblichen Allheilmittel: Last-Minute-Shopping. Auch wenn ich noch ein paar Tage Zeit habe, sicher ist sicher, und heute ist sowieso nichts mehr mit mir anzufangen … Sobald ich alles Wichtige erledigt und Annalena über meine Pläne in Kenntnis gesetzt habe, krame ich nach meiner Kreditkarte, die ich zu meinem eigenen Schutz in der Büroschublade aufbewahre, und stürme frohen Mutes in Richtung Ausgang. Miguel ist vorerst vergessen …

»Na, schon Feierabend?«, tönt es hinter mir, kurz bevor ich die Ausgangstür erreicht habe. Das fehlte gerade noch. Das ist sicher Herr Bader, der mich nach Miguel fragen will, denke ich und drehe mich schuldbewusst um. Dort steht jedoch unerwarteterweise Christoph Köllisch. Mist, erst der dümmliche Auftritt bei »Paulino«, und nun erwischt er mich auch noch am frühen Nachmittag bei der Flucht aus dem Büro.

»Nein, eigentlich nicht«, stammle ich vor mich hin, während mir plötzlich ganz furchtbar warm wird. Ob er eigentlich von diesem ganzen Debakel weiß?

»Marie, deine Unterlagen, die hast du im Kopierer vergessen«, höre ich plötzlich Annalenas rettende Stimme hinter mir. »Die brauchst du doch für deinen Termin.«

Mein Termin? Ach, die Süße, ich könnte sie küssen. Wie hat sie das nur wieder gemacht? »Ja genau. Mein Termin. Ich muss noch zur Managementagentur, die die Schauspielerin Valerie Nussbaum vertritt, bin aber morgen früh wieder da«, stammle ich vor mich hin und hoffe, dass Herr Köllisch meine Gesichtsfarbe einem stabilen Gesundheitszustand zuschreibt und nicht meiner Verlegenheit.

»Ja, dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg und danach einen schönen Abend«, lächelt mein Chef charmant und biegt in das Büro seines Partners.

»Ihnen auch«, murmle ich und mache, dass ich hinauskomme. Annalena schicke ich vom Taxi aus eine SMS, um mich bei ihr zu bedanken.

***

In der Innenstadt angekommen, stürze ich mich in mein persönliches Shoppingmekka H & M. Eigentlich nicht die richtige Marke, um erfolgreiche Talkshowmoderatoren zu beeindrucken, aber momentan alles, was ich mir leisten kann. Schon die Fahrt mit der Rolltreppe in den ersten Stock lässt mein Herz höherschlagen. Einerseits vor Begeisterung und andererseits vor Angst, eventuell nichts zu finden. Es ist 17 Uhr, noch drei Stunden bis Ladenschluss. Das sollte bei konzentrierter Vorgehensweise eigentlich zu schaffen sein.

Eine Stunde später schleppe ich völlig fertig ungefähr zehn verschiedene Outfits in Richtung Umkleidekabinen. Natürlich weiß ich, dass ich nur maximal fünf Teile mit hineinnehmen kann, aber ich beschließe, es darauf ankommen zu lassen. Schließlich habe ich meine Shopping-Assistentin Annalena heute nicht dabei, die mir normalerweise in solch schweren Stunden beisteht und mit unermüdlichem Eifer immer wieder neue Größen ein und desselben Kleidungsstückes heraussucht und in die Kabine bringt. Das Ritual ist jedes Mal dasselbe: Ich starte mit Kleidergröße 36, murmele was von »Man weiß ja nie, wie’s geschnitten ist«, und scheitere schon nach wenigen Sekunden. Der Stoff spannt und gibt verdächtige Geräusche von sich. Nächster Versuch also mit Größe 38, aber nur, weil die 36 diesmal »eigenartigerweise so schmal ist«. Doch auch die 38 will nicht so recht passen, und nun kommt der Moment, wo ich den Tatsachen ins Auge sehen muss: Größe 40 und kein bisschen weniger ist die Konfektionsgröße, die ich derzeit benötige und – wenn ich ehrlich bin – schon die letzten fünf Jahre trage. Ich weiß es, Annalena weiß es auch. Aber das macht eine gute Freundschaft aus: Sie spielt das Spiel mit, um mir eine gute Freundin zu sein.

Zu den Spielregeln gehört es ebenfalls, dass Annalena irgendwann besorgt ihre Stirn krauszieht und mich mit leiser Stimme fragt: »Sag mal, kann es sein, dass du gerade deine Tage hast? Dann ist man ja leicht mal ein bisschen aufgequollen, und nichts will so recht passen. Aber keine Sorge, Süße, spätestens übermorgen sieht die Welt wieder ganz anders aus, und du musst die Sachen zur Änderungsschneiderei bringen, um sie enger machen zu lassen.«

Darauf nicke ich stets dankbar, während ich versuche, mich aus der 38er-Hose zu befreien, ohne dabei den Reißverschluss kaputt zu machen. Keine Frage, dass es nie wirklich erforderlich ist, etwas von meinen Einkäufen zum Ändern zu bringen, es sei denn zum Weiten.

Aber heute bin ich, wie gesagt, alleine und habe keinerlei Lust, alle Sachen, die ich mir ausgesucht habe, in Etappen zu probieren und mich zwischendurch immer wieder anzuziehen. Mit dem breitesten Lächeln, zu dem ich fähig bin, während mir bereits die Schweißperlen auf der Nase stehen, steuere ich auf die kleine Aushilfsverkäuferin zu, die den Eingang zu den Umkleidekabinen bewacht. Dieses junge Ding, von dem ich mir gar nicht sicher bin, ob sie überhaupt schon alt genug ist, um jobben zu dürfen, entscheidet jetzt quasi über Leben und Tod. Und sie sieht dummerweise aus, als wäre ihr dies auch extrem bewusst.

Ein genervtes »Nur fünf Teile, steht doch da auf dem Schild«, lässt schon die Kandidatin vor mir zurückzucken und hektisch auswählen, wovon sie sich in diesem Augenblick auf gar keinen Fall trennen kann. Miss Umkleidekabine mustert das Szenario gelangweilt und lässt dabei eine gewaltige rosafarbene Kaugummiblase platzen. Passend übrigens zur Lippenstiftfarbe, wie ich beeindruckt feststelle. In diesem Alter habe ich noch nichts über die Geheimnisse von Kosmetik gewusst, habe Lederpatchworkröcke mit Häkelwesten getragen und war auch ansonsten nicht gerade der Feger. Die Mädels heutzutage sind da irgendwie anders. Gestylter, hübscher, größer, schlanker und vor allem viel selbstbewusster. Die wissen genau, was sie wollen, und dieses Exemplar hier will vor allem eins: mich daran hindern, mit meinen Bergen voll Klamotten die Kabine zu entern. Ich werde es auf die Mitleidstour versuchen und – sofern vorhanden – an ihre emotionale Intelligenz appellieren, nehme ich mir vor, und erzähle ihr ausführlich von meinem wichtigen Vorhaben und der Aussicht auf ein Rendezvous mit Laurence de Chevalier.

»Kenn ich nicht«, antwortet die Kleine ungerührt, eine Kreuzung aus Lolita und Maggie Thatcher. Hätte ich mir ja denken können, dass so eine die Sendung »Sichtweisen« nicht kennt und stattdessen lieber VIVA oder so etwas guckt.

Ich gebe mich geschlagen und wähle wie alle anderen vor mir die fünf Teile, von denen ich annehme, dass sie am ehesten passen können. Doch weit gefehlt. Unbarmherzig legt das kalte Neonlicht jede meiner körperlichen Unzulänglichkeiten bloß. Ich weiß ja, dass es derzeit nicht so gut um mich bestellt ist, aber dass es so schlimm ist, hätte ich nicht erwartet.