Die Rache - Klaus-Peter Wolf - E-Book

Die Rache E-Book

Klaus-Peter Wolf

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Beschreibung

Der Urlaub an der Nordsee wird für Jan Silber zum Albtraum: Er wird Opfer einer brutalen Entführung. Schnell wird ihm klar, dass es die Kidnapper gar nicht auf ihn, sondern auf seinen reichen Freund Tim abgesehen hatten. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Kann Jan befreit werden, bevor die Entführer ihren folgenschweren Irrtum bemerken? Während Kommissar Lohmann im Dunkeln tappt, verschlägt es Jans Freunde bei ihren Nachforschungen zu einem dramatischen Finale nach Norderney. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 182

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Klaus-Peter Wolf

Die Rache

Treffpunkt Tatort

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Inhalt

Dies ist ein Roman. [...]+ + + kapitel 001 + + ++ + + kapitel 002 + + ++ + + kapitel 003 + + ++ + + kapitel 004 + + ++ + + kapitel 005 + + ++ + + kapitel 006 + + ++ + + kapitel 007 + + ++ + + kapitel 008 + + ++ + + kapitel 009 + + ++ + + kapitel 010 + + ++ + + kapitel 011 + + ++ + + kapitel 012 + + ++ + + kapitel 013 + + ++ + + kapitel 014 + + ++ + + kapitel 015 + + ++ + + kapitel 016 + + ++ + + kapitel 017 + + ++ + + kapitel 018 + + ++ + + kapitel 019 + + ++ + + kapitel 020 + + ++ + + kapitel 021 + + ++ + + kapitel 022 + + ++ + + kapitel 023 + + ++ + + kapitel 024 + + ++ + + kapitel 025 + + ++ + + kapitel 026 + + ++ + + kapitel 027 + + ++ + + kapitel 028 + + ++ + + kapitel 029 + + ++ + + kapitel 030 + + ++ + + kapitel 031 + + ++ + + kapitel 032 + + ++ + + kapitel 033 + + ++ + + kapitel 034 + + ++ + + kapitel 035 + + ++ + + kapitel 036 + + ++ + + kapitel 037 + + ++ + + kapitel 038 + + ++ + + kapitel 039 + + ++ + + kapitel 040 + + ++ + + kapitel 041 + + ++ + + kapitel 042 + + ++ + + kapitel 043 + + ++ + + kapitel 044 + + +

Dies ist ein Roman. Er spielt zum großen Teil auf Norderney. Die Insel liegt vor meiner Haustür, ich selbst wohne in der schönen Stadt Norden. Einige Schauplätze habe ich erfunden, doch die meisten der beschriebenen Örtlichkeiten gibt es wirklich. Die Buchhandlungen Hasbargen, das Hotel Reichshof, und mit der Fähre Frisia V fahre ich immer wieder nach Norderney, um auf der Insel zu entspannen. Die handelnden Figuren dagegen entstammen alle meiner Fantasie. Ähnlichkeiten mit lebenden Figuren wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

 

Klaus-Peter Wolf

+ + + kapitel 001 + + +

Sie hatten sich die Entführung leichter vorgestellt. Alles wurde auf dieser dämlichen Insel so kompliziert und dauernd schlich ein Zimmerkellner über den Flur.

Qualle hing schlaff im Sessel und starrte durch das Fenster aufs Meer. Er hätte noch stundenlang so sitzen können. Die heranrollenden Wellen hatten eine magische, einschläfernde Wirkung auf ihn. Es war, als würde er das Meer in sich selbst spüren.

»Also, mir dauert das alles zu lange. Ich gehe jetzt da rein, haue diesem Tim Sommerfeld eins auf die Birne, und fertig«, sagte der, den sie Tiger nannten und dem immer alles nicht schnell genug ging. Er war hager, hatte ein längliches Gesicht und viel zu große Füße. Er spielte mit einer schwarzen Baumwollsocke, die er prallvoll mit Sand gefüllt hatte. Das war eine gute Waffe. Damit konnte er jeden Gegner fällen. Ein Schlag auf den Kopf damit machte keine großen Wunden, schickte aber jeden ins Traumland. Später ließ sich die Waffe mühelos beseitigen. Er hob die Socke auf und ließ sie in seine geöffnete Handfläche klatschen.

Die Blondine mit dem bauchfreien T-Shirt und der hautengen Jeans fingerte an dem Piercing in ihrem Nabel herum. Der blaue Glasstein darin fing Sonnenstrahlen auf, die durchs Fenster fielen, und glitzerte wie ein echter Diamant.

»Ich habe ihm zwei Schlaftabletten in die Cola getan. Er wird sowieso gleich einpennen«, versprach sie.

Tiger schüttelte den Kopf. »Zwei Schlaftabletten? Das ist viel zu wenig, Susie. Der Typ ist überhaupt nicht müde, sondern blubbert seit Stunden wie ein Glas Sprudelwasser.«

»Ich kann ihm noch zwei Tabletten einflößen. Der isst doch so gerne Pralinen. Ich drück einfach in jede eine halbe Tablette«, schlug sie vor.

Tiger verzog den Mund. »So viel Zeit haben wir nicht!«

»Warum nicht? Wieso stehen wir denn plötzlich unter Zeitdruck?«, fragte Susie. »Die Fähren sind hier nicht abhängig von Ebbe und Flut. Die fahren pünktlich jede Stunde. Die haben hier eine ausgebaggerte Fahrrinne. Wir sind hier schließlich nicht auf Juist, sondern auf Norderney.«

Tiger verzog den Mund. Er hob den Zeigefinger und dirigierte damit den Takt seiner Worte. »Es geht nicht um die Fähre. Wir müssen ihn möglichst schnell aus diesem Nobelschuppen herausbringen. Oder willst du von jedem Touristen später wiedererkannt werden?«

Tiger zeigte auf die Sonne, die schon recht tief stand. Die Wolken am Horizont färbten sich über dem Meer rot.

»Sobald die Sonne untergegangen ist, bringen wir ihn hier raus. Dann schläft er. Klar?«, bestimmte Tiger.

»Wie du meinst«, sagte Susie sauer. Sie mochte es nicht, von Tiger belehrt zu werden. Sie glaubte, viel intelligenter zu sein als er. Aber er glänzte gern mit Bildung. Er hatte ein lexikalisches Wissen. Dauernd lernte er etwas auswendig. Spitzengeschwindigkeiten von Autos. Einwohnerzahlen von Großstädten. Und natürlich konnte er alle ostfriesischen Inseln von Westen nach Osten in der richtigen Reihenfolge aufzählen.

»Wenn du ihn einfach umhaust, wie sollen wir ihn dann unbemerkt an der Rezeption vorbeibringen?«, fragte sie.

»Im Rollstuhl«, grinste Tiger. »Und du bist seine Pflegerin. Mit einem kurzen Schlag auf die Rübe ist er genauso ohnmächtig wie mit deinen Schlaftabletten.«

Susie hasste Gewalt. Aber sie sah ein, dass sie die Entführung jetzt durchziehen mussten. Sie zerbrach eine Schlaftablette in zwei Hälften und drückte sie durch die Schokolade in die Pralinen.

»Der frisst mir aus der Hand«, prophezeite sie mit einem Seitenblick auf Qualle, der bisher noch gar nichts gesagt hatte.

Qualle galt als Werkzeug. Kaum jemand wusste, dass er davon träumte, später einmal Kriminalschriftsteller zu werden. Er hatte eine Menge Fantasie. Meist kreiste sie um Verbrechen. Er war sich noch nicht ganz sicher, ob er nicht vielleicht besser Verbrecher werden sollte statt Schriftsteller. Ein Autor brauchte einen Verlag. Ein Verbrecher ein Opfer. Und beide eine gute Idee.

Qualle wurde auch »der große Schweiger« genannt. Er war zwei Köpfe kleiner als Tiger, aber fast doppelt so schwer. Auf seiner Stirn blühte ein dicker Pickel – kurz vor dem Platzen.

Am liebsten hätte Qualle sich die Hände gewaschen. Er fand dieses Haarspray auf den Fingern schrecklich. Aber Tiger hatte darauf bestanden. So wollte er »unnötige Fingerabdrücke« vermeiden. Schließlich konnten sie schlecht die ganze Zeit mit Handschuhen herumlaufen. Dadurch wäre selbst so ein Trottel wie dieser Tim Sommerfeld misstrauisch geworden.

Qualle kommunizierte meist über Blicke und Gesten. Jetzt zum Beispiel deutete er mit einer Handbewegung an, dass er Susies Plan dumm fand. Er stimmte für Tigers Idee.

»Lasst es mich versuchen!«, bat Susie. »Kommt, Leute. Es geht ganz schnell. Der Typ ist verknallt in mich. Der schöpft keinen Verdacht.«

Qualle sagte mit einem zornigen Blick: »Hauptsache, du bist nicht verknallt in ihn.«

Tiger sah auf seine Uhr: »Du hast höchstens eine Viertelstunde, Baby. Dann klatsche ich das Reiche-Leute-Jüngelchen weg.«

Susie mochte es nicht, wenn er sie Baby nannte, wusste aber, dass er sich gut dabei fühlte.

»Okay, Gerippe«, antwortete sie. »In einer Viertelstunde schlummert er tief und fest.«

»Ja«, grinste Tiger. »So oder so.« Er ließ wieder die mit feinem Norderney-Sand gefüllte Socke in seine Handfläche klatschen.

Susie sah es ihm an. Er freute sich darauf, Tim Sommerfeld wehzutun. Er hasste alles an ihm: Seine großspurige Art. Das dämliche Lächeln, mit dem er Susie anhimmelte. Sein reiches Elternhaus. Seine dunklen, krausen Haare, die immer so betont wild wirkten, als sei es unmöglich, sie zu kämmen.

Tiger beschloss, diesen Tim von jetzt an nicht mehr »Reiche-Leute-Jüngelchen« zu nennen, sondern »Zwerg«, denn Tim Sommerfeld reichte ihm nicht mal bis zu den Brustwarzen.

Susie war jetzt nebenan bei ihm. Tiger hörte ihr Lachen durch die Tür.

Seine Finger krampften sich um die Socke zusammen. Sand rieselte auf den Teppich.

+ + + kapitel 002 + + +

Die Villa Sommerfeld im Kölner Stadtteil Marienburg war seit Tagen auf das Fest vorbereitet worden. Im parkartigen Garten hatte Markus Sommerfeld zwei große Zelte aufbauen lassen. In einem sollten den Gästen Drinks gereicht werden, in dem anderen internationale Spezialitäten. Es gab Steaks, allerdings nicht nur vom Rind, sondern auch vom Schwertfisch, vom Blue Marlin und vom Thunfisch. Herr Sommerfeld liebte das Hochseeangeln. Deshalb gab es bei ihm vorzugsweise Fische, die ihm einen guten Anlass gaben, von seinen Angelausflügen im Indischen Ozean oder zwischen Key West und Kuba zu erzählen.

Er hatte zu seinem fünfundvierzigsten Geburtstag viele Geschäftsfreunde eingeladen. Tim wusste bei seinem Vater nie genau, wer ein Freund war und wer ein Geschäftsfreund. Er kannte nicht einmal den genauen Unterschied. War ein Geschäftsfreund mehr wert als ein Freund? Weil er eben nicht nur ein Freund war, sondern man auch Geschäfte mit ihm machte?

Andreas Cremer zum Beispiel. So wie Vater Sommerfeld und Cremer sich ansahen, waren sie Freunde, die zusammen durch dick und dünn gingen. Aber Andreas Cremer war auch der Rechtsanwalt der Familie. Herr Sommerfeld betonte gern, dass sein Freund Andreas der beste Anwalt Kölns sei, gemeinsam hätten sie noch nie verloren.

Tims Mutter Sonja und Tims Oma Hedwig waren Kunstliebhaberinnen. Sie konnten über Bilder endlose Gespräche führen. Sie besuchten Museen auf der ganzen Welt und sammelten Gemälde junger Künstler. Sie konnten sich für Farben begeistern und für Formen.

Tims Vater dagegen sah in einem Bild eine Kapitalanlage. Er kaufte und verkaufte Kunstwerke, Häuser, Oldtimer und manchmal ganze Schiffsladungen Öl oder Ananas. Er machte aus allem Geld. Wenn eine Firma pleiteging, kam Tims Papa, kaufte die alten Maschinen und verscherbelte sie für viel Geld an die Chinesen. Er witterte, wo es etwas zu verdienen gab. Für ihn war die ganze Welt so eine Art Spielcasino mit riesigen Gewinnchancen.

Meistens war er gut gelaunt. Nur heute, an seinem fünfundvierzigsten Geburtstag, nicht. Ausgerechnet jetzt war sein Sohn Tim nicht da. Sonst warf Tim ihm immer vor, dass er so selten zu Hause war. Wollte er seinem Vater heute alles heimzahlen?

Herr Sommerfeld atmete tief durch.

Hedwig Sommerfeld beruhigte ihren Sohn: »Tim besorgt bestimmt nur noch schnell ein Geschenk für dich. Er kommt sicher gleich. Er verpasst doch den Geburtstag seines Vaters nicht! Er ist ein guter Junge.«

Tims Mutter überprüfte die Gästeliste. 184 Personen standen darauf. Darunter einige Überraschungsgäste, von denen ihr Mann nichts wusste. Alte Klassenkameraden, sein alter Mathelehrer, sogar seine erste Jugendliebe hatte sie eingeladen. Damit stand sie als großzügige, weltgewandte Frau da, fand sie, die ohne jede Eifersucht ihrem Mann eine Freude machte. Sie wusste, dass er seine Anja schon dreißig Jahre nicht mehr gesehen hatte. In seiner Fantasie war sie immer noch das junge, schlanke Mädchen mit dem hellen Lachen und dem schelmischen Blick.

Frau Sommerfeld wusste, dass Anja inzwischen dreifache Mutter war. Sie lebte mit ihrem Mann, einem evangelischen Pastor, im Westerwald und war mächtig aus dem Leim gegangen. Sie brachte 110 Kilo auf die Waage, und ihr schelmischer Blick hatte einen Schatten von Traurigkeit bekommen, der manchmal überarbeiteten Menschen zu eigen ist.

Sonja Sommerfeld probierte jede Käsesorte, die zum Nachtisch gereicht werden sollte. Selber mochte sie besonders gern den aus einer kleinen Käserei in Appenzell.

An einem Tag wie diesem klingelte dauernd das Telefon. Gäste sagten ab, bedauerten, leider etwas später kommen zu müssen, oder fragten, ob es in Ordnung sei, wenn sie noch jemanden mitbrachten. Frau Sommerfeld behandelte sie alle mit vorzüglicher Hochachtung und Freundlichkeit. Sie flötete geradezu ins Telefon. Doch diesmal hatte sie in dem Moment, in dem es klingelte, eine Art düstere Vorahnung. Es war, als würde ihr Magen sich für einen Moment zusammenkrampfen. Ihr Mund war plötzlich trocken. Sie lächelte über sich selbst, hob ab und meldete sich betont fröhlich: »Ja, hier Sommerfeld!«

Zunächst war da nichts. Nur ein dumpfes Geräusch wie von einer defekten Maschine. Sonja Sommerfeld wollte schon wieder auflegen, da hörte sie jemanden atmen. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter.

»Wir haben Ihren Sohn. Keine Polizei, sonst stirbt er. Wir wollen fünfhunderttausend Euro Lösegeld. Wir melden uns wieder. Wenn Sie die Polizei einschalten, ist Tim tot. Klar?«

Sonja Sommerfeld stand steif, als sei sie gerade eingefroren worden.

»Ob Sie mich verstanden haben?!«, keifte die Stimme am anderen Ende.

»Ja«, sagte Frau Sommerfeld trocken und flehte dann, kurz bevor das Gespräch abgebrochen wurde: »Bitte! Bitte tun Sie meinem Sohn nichts! Wir machen alles, was Sie wollen, aber … bitte tun Sie ihm nichts!«

Hedwig Sommerfeld sah ihre Schwiegertochter mit dem Telefon am Ohr beim Käse stehen. Sie ahnte, dass Sonja gleich umfallen würde. Sie wankte noch nicht, aber trotzdem erkannte Oma Hedwig, dass etwas nicht stimmte. Etwas Kraftloses ging von ihrer Schwiegertochter aus, als würde sie jeden Moment zerfließen wie Eis auf der Heizung.

Hedwig stürmte los. Für eine Frau in ihrem Alter war sie ungewöhnlich flink und gelenkig. Sie hielt sich mit langen Spaziergängen fit, ging Schwimmen und machte täglich ihre Yogaübungen. Na ja, fast täglich.

Sie ergriff ihre Schwiegertochter, bevor diese auf die Käseplatte stürzen konnte. Allerdings gelang es ihr nicht, das Gewicht lange zu halten. Dann fielen beide gemeinsam hin.

+ + + kapitel 003 + + +

Dem Personal gegenüber erwähnten sie nichts von dem Anruf. Frau Sommerfeld hätte einen Schwächeanfall erlitten. Jeder verstand das. War die gute Frau nicht fast sieben Monate lang mit ihrem Mann zwischen Schanghai, New York, London, Paris, Mailand und Barcelona hin und her gejettet? Hatte sie nicht schon bei ihrer Ankunft in Köln müde ausgesehen, irgendwie ausgelaugt?

Um die weitere Vorbereitung des Festes musste Familie Sommerfeld sich keine Sorgen machen. Vier Köche waren für den Abend engagiert worden, außerdem ein Dutzend Kellner.

Sie weihten nur Dr. Andreas Cremer ein. Er vermittelte in seinem weißen Maßanzug allen ein großes Maß an Sicherheit.

Sie zogen sich in die Bibliothek zurück. Alle hatten plötzlich Durst. Jeder brauchte ein Glas Wasser.

Sonja Sommerfeld wiederholte die Worte des Entführers sinngemäß zum vierten Mal.

Hedwig saß in dem großen Ohrensessel und nippte an ihrem Wasserglas.

»Es war eine Männerstimme. Jung, mit aggressivem Unterton. Er hat zweimal gesagt, wir sollten die Polizei aus dem Spiel lassen, sonst würden sie Tim umbringen.«

Andreas Cremer lockerte den Sitz seiner Krawatte. »Du sprichst immer in der Mehrzahl«, sagte er sachlich.

Frau Sommerfeld nickte. »Ja. Er hat zu mir gesagt: Wir haben Ihren Sohn. Wir melden uns wieder. Wir wollen Fünfhunderttausend.«

Markus Sommerfeld überlegte laut: »Möglicherweise will er nur, dass wir denken, er sei nicht alleine. Er glaubt vielleicht, er hätte dann mehr Macht über uns.«

»Jedenfalls rufen wir auf keinen Fall die Polizei!«, bestimmte Sonja Sommerfeld und sah gleichzeitig unsicher in die Gesichter der anderen.

»Ich kenne einen ehemaligen Kommissar. Günter Grün. Dem vertraue ich«, sagte Hedwig Sommerfeld, immer noch mit Zittern in der Stimme.

Andreas Cremer beugte sich vor. In der gleichen Haltung, die er jetzt einnahm, hielt er manchmal vor Gericht sein Plädoyer. Er strahlte Tatkraft aus und Wissen. Er wirkte auf eine beruhigende Art kompetent, zumindest auf seine Klienten, während er seine Prozessgegner so verunsicherte. Er wusste, dass ein großer Teil seiner Sprache Körpersprache war.

»Der Zeitpunkt ist nicht zufällig gewählt.«

Seine Worte hingen wie eine Bedrohung in der Bibliothek.

»Du meinst«, fragte Tims Vater, »der Entführer weiß von meiner Geburtstagsparty?«

»Aber sicher. Vielleicht ist er sogar unter deinen Gästen.«

Herr Sommerfeld schüttelte sich. »Aber das sind alles alte Freunde. Geschäftspartner und …« Er schluckte. Die Worte von Andreas Cremer hatten ihn verunsichert. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass …«

Cremer hob die Schultern und senkte sie rasch wieder, gleichzeitig blähte er seine Wangen auf und blies dann ruckartig die Luft aus. Das sollte heißen: Ich will nichts behaupten, aber möglich ist es schon.

Dann sagte Andreas Cremer: »Jedenfalls würde ich nicht die Polizei rufen. Wenn der Täter oder ein Helfershelfer unter deinen Geburtstagsgästen ist, weiß er sofort, dass du dich nicht an die Abmachung gehalten hast.«

»Was schlägst du vor?«, fragte Tims Vater und kämpfte mit den Tränen.

»Ich würde die Party ganz normal feiern, als sei nichts geschehen.«

Markus Sommerfeld sah seinen Freund fassungslos an. Sonja stöhnte: »Das kann ich nicht!«

Hedwig rieb sich die Stirn. »Die Entführer fordern fünfhunderttausend Euro. Nun, das kann doch kein Problem sein. Wir geben ihnen das Geld, und fertig. Lieber fange ich ohne einen Cent wieder ganz von vorne an, als dass ich das Leben von meinem Enkelkind riskiere.«

Markus gab ihr sofort recht. »Das Geld ist kein Problem.«

Aber Andreas Cremer wiegte den Kopf hin und her, als sei er ihm zu schwer geworden. »Statistisch gesehen spielt es keine Rolle, ob ihr bezahlt oder nicht.«

»Was soll das heißen?«, fragte Oma Hedwig.

»Na ja …« Es fiel Andreas Cremer schwer, die Worte auszusprechen. »Viele Entführer bringen ihr Opfer sofort um und kassieren dann trotzdem das Lösegeld.«

Tims Mutter legte sich auf den Boden der Bibliothek und hob die Beine hoch. Sie stützte die Füße an einem Buchregal ab. Brockhaus Band 17 kippte nach hinten. Ihr Rock rutschte hoch, aber das bemerkte jetzt niemand.

»Mir wird wieder schlecht«, stöhnte sie.

»Wir müssen von den Entführern ein Lebenszeichen verlangen, wenn sie sich das nächste Mal melden!«, rief Markus Sommerfeld. »Und außerdem müssen wir ihnen unmissverständlich klarmachen, dass sie keinen Cent sehen, wenn Tim etwas passiert.«

»Soll ich nicht doch besser Herrn Grün anrufen?«, fragte Hedwig.

+ + + kapitel 004 + + +

Die ersten Gäste ließen nicht mehr lange auf sich warten. Markus Sommerfeld begrüßte sie mit einem künstlichen Lächeln. Einige hatte er seit zehn, andere seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen, und er fragte sich bei jedem Gast: Hat der etwas mit der Entführung meines Sohnes zu tun?

Tims Mutter spielte ganz die gute Gastgeberin, ihr leichtes Zittern und die Erschütterung, die einige ihr ansahen, erklärte sie mit einer Magenverstimmung, deshalb könnte sie auch leider nichts von dem wundervollen Büfett probieren. Sie war sich sicher, keinen Bissen herunterzubekommen.

Sie war blass und schmallippig, aber von einigen Geburtstagsgästen bekam sie trotzdem unverfroren Sätze über ihr gutes Aussehen zu hören und darüber, dass sie immer jünger werden würde. Sie wusste nicht, ob es hilflose Komplimente waren oder ob diese Menschen grundsätzlich nicht hinguckten und immer den gleichen Mist erzählten.

Andreas Cremer behielt das Telefon bei sich. Sie hatten beschlossen, dass er mit den Entführern reden sollte. Als es klingelte, ging er nach dem dritten Ton ran und meldete sich: »Ja. Hier Sommerfeld.«

»Herr Sommerfeld?«

»Ja. Ich bin’s«, log Andreas Cremer. Er hielt sein Diktiergerät ans Telefon und nahm das gesamte Gespräch auf. Er ging nie ohne Diktiergerät aus dem Haus. Manchmal fielen ihm mitten in Kinofilmen, beim Abendessen oder während Gesprächen mit Freunden geniale Prozessstrategien ein. Dann ging er zur Toilette und sprach alles auf Band, um sich am nächsten Tag besser erinnern zu können.

Der Entführer redete weiter. Andreas Cremer folgerte also, dass er die Stimme von Tims Vater nicht gut genug kannte, um am Telefon zu merken, dass er mit einer anderen Person sprach.

»Wie lange brauchen Sie, um das Geld zu beschaffen?«

»Zwei – vielleicht drei Tage.«

»So lange?«

»Glauben Sie, ich habe das Geld unter dem Kopfkissen? Ich muss erst Vermögenswerte verkaufen. Aktien. Bilder. Das geht nicht so ruck, zuck. Aber bevor ich Ihnen Geld übergebe, will ich erst mit meinem Sohn sprechen. Hören Sie? Ich verlange ein Lebenszeichen. Wenn meinem Sohn etwas geschieht … wenn Sie ihm auch nur ein Haar krümmen, werde ich die Summe, die Sie gefordert haben, verdoppeln.«

»Verdoppeln?« Die Stimme des Entführers klang freudig verwirrt.

»Ja. Genau. Verdoppeln.«

»Und dann?«

»Dann setze ich sie auf Ihren Kopf aus. Und glauben Sie mir: Irgendjemand wird Sie verraten. Ein Freund. Eine Freundin. Ihre Mutter … Irgendeinem Menschen ist die Million lieber als Sie.«

»Ich habe Ihren Sohn – aber Sie drohen mir?«

»Nein. Ich sage Ihnen nur, was passiert, wenn Sie meinem Kind ein Haar krümmen. Sie können Ihre fünfhunderttausend Euro haben. Ich bringe sie Ihnen, wohin Sie wollen, aber wehe, ich bekomme meinen Sohn nicht heil zurück. Dann mache ich Sie fertig. Ich hoffe, das ist Ihnen klar! Und jetzt will ich ein Lebenszeichen. Lassen Sie mich mit ihm sprechen.«

Andreas Cremer bekam keine Antwort. Er hörte nur Atmen. Inzwischen standen Hedwig und Tims Mutter bei ihm. Hedwig versuchte das Zittern ihrer Lippen und Knie unter Kontrolle zu bekommen, aber es gelang ihr nicht. Jetzt ergriff das Zittern auch ihre Hände. Sie faltete sie zum Gebet.

»Was ist?«, fragte Andreas Cremer streng nach. »Haben Sie mich verstanden? Ich möchte mit Tim sprechen. Ich will wissen, ob Sie ihn gut behandeln und ob …«

»Sie werden Ihr verdammtes Lebenszeichen bekommen!«, schrie der Entführer. Dann brach das Gespräch ab.

Sofort spulte Andreas Cremer das Tonband zurück.

»Es ist eine junge Stimme. Er rollt das ›R‹ so typisch wie ein Franke. Aber er bemüht sich, Hochdeutsch zu sprechen. Er hat fast einen Ruhrgebietseinschlag. Vermutlich ein Franke, der die letzten Jahre zwischen Rhein und Weser verbracht hat. Kein Profi.«

»Woraus folgern Sie das?«, fragte Oma Hedwig. Sie zitterte so sehr, dass ihre Schwiegertochter sie in den Arm nehmen musste.

»Na, aus seiner Stimme.«

»Ich meine, dass er kein Profi ist.«

»Na ja, ein Berufsverbrecher hätte sich von mir nicht so verunsichern lassen, und außerdem hätte er nicht so lange mit mir gesprochen, aus Angst, dass wir eine Fangschaltung haben und seinen Standort orten.«