Die Rose von Tannenberg - Larissa Anton - E-Book

Die Rose von Tannenberg E-Book

Larissa Anton

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Beschreibung

Burg Tannenberg im 13. Jahrhundert: Als seine Frau Anna dem Tode nahe ist, gelobt Ritter Konrad, auf Kreuzzug zu gehen, wenn sie wieder gesund würde. Seine Gebete werden erhört, doch Konrad kommt nie im Heiligen Land an. Piraten entern sein Schiff und verkaufen ihn in die Sklaverei. Dort muss er am Hof des Emirs von Alaya einem "Heiden" dienen, ohne Hoffnung, je wieder nach Hause zu kommen. Als Anna davon erfährt, will sie alles riskieren, um ihren Geliebten zu retten. Als Mann verkleidet, ihre Harfe im Gepäck, macht sie sich auf dem Weg ins Reich der Sarazenen, überzeugt, dass dort das leibhaftige Böse auf sie wartet. Doch schon unterwegs begegnet sie mehr Gefahren, als sie erwarten konnte, und ihr wird schnell klar, dass es mehr als ein Wunder braucht, um ihr Ziel zu erreichen.

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Larissa Anton wurde 1971 in Darmstadt geboren. Bereits Ende der 1. Klasse schrieb sie ihr erstes kleines Büchlein und illustrierte es selbst. .Nach ihrem Abitur studierte sie in Frankfurt katholische Theologie, Germanistik und Anglistik für Grundschullehramt und arbeitet seit 1996 in diesem Beruf. In ihrer Freizeit befasst sie sich viel mit Märchen und Sagen.

2004 erschien ihr erster Roman "Genoveva" basierend auf der Genoveva-Legende, damals noch unter dem Namen "Larissa Akbay". Danach schrieb sie zwanzig Drehbücher über Odenwälder Sagen, welche sie auch selbst verfilmte.

2024 kehrt Larissa Anton wieder zu den Ursprüngen ihrer schriftstellerischen Tätigkeit zurück und erweckt eine weitere, fast vergessene Sage zu neuem Leben.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Nachwort

Danksagung

Die Ursage – Konrad von Tannenberg

Vorwort

Mein Roman basiert auf der Bergsträßer Sage "Konrad von Tannenberg", die ich schon als Jugendliche in einem Sagenbuch entdeckte. Schon damals war ich von der Geschichte begeistert. Endlich war nicht der Mann der Held, der die "Jungfrau in Not" rettete, sondern alles war umgekehrt.

Ich konnte gar nicht glauben, dass so gut wie niemand diese außergewöhnliche Geschichte kannte; deshalb beschloss ich 2001, ausgehend von dem Sagentext, einen Roman zu schreiben. Für die erste Fassung brauchte ich nur sieben Tage. Das Buch drängte sich förmlich aus mir heraus.

Zu dieser Zeit las ich auch viele sogenannte "Mittelalterromane", wo dann oft die weibliche Hauptfigur zur Ritterin mutiert, christliche Religion kaum eine Rolle spielt und alle schon immer total tolerant waren, (die Bösewichte einmal abgesehen). Dies waren für mich eher Fantasyromane, die mit dem realen Mittelalter wenig bis nichts zu tun hatten.

Auch wenn es sich inhaltlich um eine klassische Rittersage handelt, wollte ich in meinem Roman etwas näher an der Lebenswelt und den Weltanschauungen des 'echten' Mittelalters bleiben. Solche Bücher gibt es nicht allzu häufig; deshalb bitte ich meine Leser offen an dieses Buch heranzugehen, und den Weg der Hauptfiguren mit all ihren Entwicklungen, bis zum Ende zu gehen.

Nur so viel vorab: Der mittelalterliche Mensch war katholisch und sehr religiös. Gelübde und heilige Eide waren für einen ehrenhaften Ritter absolut bindend.

Die Trennung der Geschlechter war mit Rechten und Pflichten genau geregelt. Anhänger anderer Religionen galten für die Kirche als 'Heiden' oder 'Ungläubige'. Abweichungen von gesellschaftlichen, religiösen oder sexuellen Vorgaben wurden streng bestraft. In der Regel wurden diese aber kaum in Frage gestellt.

Die männliche Hauptfigur Conrad von Tannenberg ist übrigens historisch belegt (Conrad II. von Bickenbach). Allerdings hieß seine Frau nicht Annelse, sondern Guda/Jutta von Münzenberg-Falken stein. Wahr ist auch, dass sie die Kirche und das Kloster bei Jugenheim stifteten (1263/64) und zeitweise auf Burg Tannenberg bei Seeheim ansässig waren.

Dietmar der Setzer war ein Ritter, Spruchdichter und fahrender Sänger des 13. Jahrhunderts, dessen Miniatur sich im "Codex Manesse" findet.

Auch Fürst Turabi hat ein historisches Vorbild: Sultan Alaeddin Keykubat, der im 13. Jahrhundert von seiner Festung in Alanya die Geschicke des Seldschukenreiches lenkte und es zu großer Blüte führte.

Kapitel 1

Wild tobte der Wind um die Türme von Burg Tannenberg. Er stöhnte und heulte wie ein verwundetes Tier, und mit seiner wütenden Kraft erzwang er sich den Weg noch durch die kleinsten Ritzen der verrammelten Fenster.

Conrad fror, doch nichts auf dieser Welt hätte ihn dazu gebracht, jetzt an den Kamin in der Halle zurückzukehren und dort einen heißen Würzwein zu trinken. Stattdessen wanderte er weiter vor der Tür der Kemenate auf und ab, immer wieder zusammen-zuckend, wenn ein weiterer schrecklicher Schrei zu ihm herausdrang.

So ging es nun schon seit heute Morgen, und Conrad hatte nie geahnt, welch qualvolle und vor allem langwierige Anstrengung es kostete, einem neuen Leben auf diese Welt zu helfen. Fortan würde er seiner jungen Frau mit noch mehr Respekt und Bewunderung begegnen, die sich nunmehr seit zwölf Stunden im Kindbett quälte, um ihm endlich den heiß ersehnten Erben zu schenken.

Conrad hatte wahrlich lange auf diesen Augenblick gewartet: Fast fünf Jahre waren seit seiner Vermählung mit Anna vergangen, und erst im letzten Sommer hatten sich endlich die ersten Anzeichen für die Erfüllung ihres Herzenswunsches gezeigt.

Wie selig war Anna gewesen, als ihr der Arzt die frohe Nachricht verkündete. Fast wäre sie die Treppe hinuntergestürzt, so eilig hatte sie es, ihr Glück mit ihrem Mann zu teilen. Seit diesem Tag erstrahlte ein neues, fast überirdisches Licht in ihren Augen, und Conrad wurde nun erst wirklich bewusst, wie sehr seine Gemahlin unter ihrer Unfruchtbarkeit gelitten hatte.

"Ich will dir so gern eine gute Frau sein", hatte sie ihm oft unter Tränen versichert, wenn sie wieder von Zweifeln und Schuldgefühlen überwältigt wurde. In solchen Stunden war Anna sicher, dass Conrad es bitter bereute, sie geheiratet zu haben. Und wenn er sie dann liebevoll in die Arme schloss und zu trösten versuchte, ließ sie sich auch dadurch kaum beruhigen.

Für sie war seine Fürsorge nur ein Zeichen seiner Herzensgüte, die er als Ritter allen Schwachen und Hilfsbedürftigen entgegenbrachte. So war es ihm nicht immer leicht gefallen, sie von seiner Liebe zu überzeugen, zumal ihre Ehe nicht durch gegenseitige Neigung sondern einen Vertrag ihrer Väter zustande gekommen war.

Conrad erinnerte sich noch genau an den Morgen, als ihn sein Vater von der Starkenburg hatte holen lassen, wo der junge Tannenberger seit drei Jahren seinen Knappendienst versah. Der Junge war nicht begeistert gewesen, dass er vorzeitig aus dem Dienst seines Ritters genommen wurde. Herr Friedhelm von Starkenberg hatte seinem Schützling viele Freiheiten gewährt, ganz im Gegensatz zu Conrads Vater, der in seinem Haus mit eiserner Hand regierte.

Heinrich von Tannenberg erwartete seinen Sohn mit breitem Lächeln und erklärte ihm ohne Umschweife, dass er mit Graf Philipp von Falkenstein Conrads baldige Vermählung mit dessen einziger Tochter vereinbart habe. Die Verbindung mit einer reich begüterten Alleinerbin war für den verschuldeten Ritter ein wahrer Glücksgriff, und Heinrich konnte sich nicht genug preisen, dass er für seinen Sohn eine solch glänzende Partie ausgehandelt hatte.

"Ist sie wenigstens schön?", fragte Conrad, da ihm angesichts des beschlossenen Handels nicht viel mehr zu sagen blieb.

"Eine Burg im Taunus und zweihundert Hufen Land machen jedes Mädchen hübsch", lachte sein Vater, "vom Glanz der Schillinge ganz zu schweigen. Und in dieser Hinsicht ist sie sogar eine wahre Schönheit!"

Drei Tage vor der Hochzeit sah Conrad seine Braut zum ersten Mal. Sie wurde in einem feierlichen Zug auf die Burg geleitet, begleitet von ihren Eltern, Hofdamen und zwanzig bewaffneten Reitern. Conrads Vater stand im Burghof und versuchte seinen Ärger zu verbergen, weil man seinen Sohn noch überall hatte suchen müssen, um die ersehnten Gäste zu begrüßen.

Aber was sollte man sagen? Conrad war gerade sechzehn und in einem Alter, in dem seine Gedanken um alles Mögliche außer ums Heiraten kreisten. Im Waffenspiel mit seinen Gefährten hatte er die Zeit vergessen, und war erst im letzten Augenblick von seinem Leibdiener gefunden worden.

Als Conrad schließlich verschwitzt und mit zerzausten Haaren herbeigerannt kam, war es für seinen Vater zu spät, ihn noch zu tadeln, denn gerade erreichte der Brautzug das obere Burgtor. So beschränkte sich Heinrich darauf, seinem Sohn einen vernichtenden Blick zuzuwerfen und trat gleich darauf mit strahlendem Lächeln den Ankömmlingen entgegen.

Auch Conrads Augen weiteten sich entzückt. Der Grund war allerdings nicht seine Braut, sondern die zwei herrlichen Pferde, die ihm sein Schwiegervater mitgebracht hatte, feurige, langbeinige Renner, die offensichtlich aus südlichen Ländern stammten. Als Graf Philipp ihm dann noch ein kostbares Schwert als Geschenk überreichte, versank der Jüngling ganz im Anblick der herrlichen Waffe und vergaß darüber fast, seine zukünftige Frau zu begrüßen.

Als man jedoch die dreizehnjährige Anna Elisabeth zu ihm führte und sie mit züchtig gesenktem Blick vor ihm knickste, erinnerte er sich wieder an seine Manieren. Er musterte das zierliche Geschöpf zu seinen Füßen nun doch genauer.

Sie war sehr schlank, mit schmalen Hüften und einem noch kaum sichtbaren Busen. Auf ihren schwarzen Locken, die teilweise geflochten, teilweise offen über ihren Rücken flossen, trug sie einen Kranz weißer Rosen.

'Sie ist ja noch ein Kind,' dachte Conrad, während er sich gleichfalls verbeugte, 'aber immerhin ein sehr hübsches!'

Anna richtete sich wieder auf. Dabei hob sie die Lider und schaute ihn mit unverblümter Neugier aus großen, blauen Augen an. Conrad, erstaunt über solch keckes Verhalten, das einer wohlerzogenen Jungfrau so gar nicht anstand, musste unwillkürlich lächeln. Sie lächelte zurück, und zeigte damit, dass ihr der stattliche, junge Bursche mit den kastanienbraunen Haaren ebenfalls gefiel.

Conrad kam zu dem Schluss, dass eine Ehe mit diesem Mädchen vielleicht nicht das Schlimmste war, was ihm hätte passieren können. Von Liebe auf den ersten Blick zu sprechen, wäre sicher übertrieben gewesen, aber der Jüngling sah seiner Vermählung nun doch mit einer gewissen Spannung und Erwartungsfreude entgegen.

Die Trauung wurde für den Pfingstsonntag festgesetzt. Seine letzte Nacht als Unvermählter verbrachte Conrad frisch gebadet in der Kapelle, weil er, um heiraten zu können, zuerst die Schwertleite empfangen musste. Dies war eine angenehme Begleiterscheinung seiner frühen Eheschließung, denn die meisten Ritter erhielten ihre Weihe erst mit einundzwanzig.

Im Pfingsthochamt wurde ihm schließlich 'Annelse', wie ihre Eltern sie nannten, feierlich angetraut, und obwohl er sich damals in erster Linie über seine Schwertleite gefreut hatte, stand ihm jetzt - fünf Jahre später - von diesem Tag nur noch ein Bild vor Augen: Anna in ihrem Hochzeitskleid aus elfenbein-farbener Seide, bestickt mit roten Rosen. Auf dem Kopf trug sie wieder einen Kranz ihrer Lieblings-blumen, und ihr zarter Hals wurde von einer Kette aus Gold und Rubinen geschmückt. Von dem Augenblick, als sie ihre Hand in die seine legte, war sie mit jedem Tag mehr zu einem untrennbaren Teil seines Lebens geworden.

Ihr heiteres, warmherziges Wesen, ihre Klugheit und ihre große Seelenstärke machten es Anna leicht, sein Herz zu gewinnen. Bereits nach einem Monat fiel es dem jungen Ritter schwer, sich an ein Leben ohne seine 'Rose' zu erinnern. Es war, als sei er erst jetzt ein vollständiger Mensch geworden, ohne vorher gewusst zu haben, was ihm so schmerzlich fehlte. Nach dem frühen Tod seiner Mutter hatte keine andere Frau sein Leben geprägt. Doch nun gab es dieses Mädchen.

Anna war seine Sonne bei Tag und sein Stern in der Nacht. Sie war für ihn Vertraute und Ratgeber, und darüber hinaus natürlich seine Geliebte! Er vergötterte ihren schlanken, zierlichen Leib und ihr liebliches Gesicht mit den samtweichen Wangen. Ihre leuchtend blauen Augen schienen all seine Bedürfnisse sofort zu erkennen, und sie erfüllte sie voll Freude, noch bevor er sie aussprechen konnte.

Allerdings schien gerade die Zartheit ihres Körpers es ihr schwer zu machen, die Erwartung nach kräftigen, gesunden Nachkommen zu erfüllen. Als die Monate vergingen, wurde Heinrich von Tannenberg zunehmend ungeduldig und bedrängte seine Schwiegertochter immer häufiger, weil er noch vor seinem Tod einen Enkel zu sehen wünschte.

Dieses Glück sollte ihm jedoch nicht beschieden sein. Er starb drei Jahre nach Conrads Hochzeit, nachdem er sich selbst dafür verflucht hatte, diesen 'faulen Apfel' in sein Haus geholt zu haben, der ihm von außen so reif und fruchtbar erschienen war. Was nützten alles Geld und alle Ländereien, die sie mitgebracht hatte, wenn sie nicht in der Familie blieben! Durch Annas Schuld würden sie schließlich irgendwelchen nichtsnutzigen Verwandten in den Schoß fallen, und das Geschlecht der Tannenberger würde erlöschen.

Conrad beobachtete, wie seine Gemahlin im Lauf der Jahre immer mehr von ihrer Fröhlichkeit verlor und wie ihr die Knie wund wurden vom vielen Beten. Sie machte Wallfahrten, Schenkungen an verschiedene Klöster und verteilte großzügig Almosen an die Armen. Doch alles war vergebens.

Ein vorbeiziehender Pilger ermunterte sie jedoch, nicht in ihren Gebeten nachzulassen. Gott würde sich ihrer Not nicht verschließen und ihr schließlich doch sein Erbarmen schenken, so wie er es auch bei Hanna, der Mutter des Propheten Samuel, getan hatte. Nach diesem Besuch schien Anna wieder ermutigt und voller Hoffnung. Auch bemerkte Conrad, dass sie fortan einen Anhänger aus blauem Mondstein neben ihrem Kreuz trug, den sie offensichtlich von dem alten Mann gekauft hatte. Er machte sich allerdings keine Gedanken darüber, und auch sie erwähnte es mit keinem Wort.

Endlich, im vergangenen Sommer, war Anna krank gewesen und während der Frühmesse ohnmächtig geworden. Der herbeigerufene Arzt hatte sie untersucht und ihnen schließlich die wunderbare, so lang ersehnte Nachricht verkündet. All die Jahre des Kummers und der enttäuschten Hoffnungen waren schlagartig vergessen. In ihrer großen Freude stifteten die Eheleute über dem Dorf Jugenheim ein neues Kloster, um Gott ihre Dankbarkeit zu erweisen.

In den nächsten Monaten konnten die beiden voll Stolz beobachten, wie sich Annas Leib immer mehr wölbte und ihre Brüste rund und fest wurden wie reife Früchte. Conrad sah mit Erleichterung, dass seine 'Rose' neu erblühte, als habe sie endlich das erhalten, was sie zum Leben brauchte.

Das laute Quietschen der Tür riss Conrad zurück in die Gegenwart. Aus dem Frauengemach stürmte eine Magd mit einer Schüssel und nahm sich nicht einmal die Zeit, ihn anzusehen.

"Wie steht es?", rief ihr der Ritter hinterher.

"Unverändert", murmelte sie hastig und war schon auf der Treppe verschwunden.

In der dämmrigen Kemenate quälte sich Anna nun schon seit sechzehn Stunden. Verzweifelt mühte sich ihr schmächtiger Körper, das lange gehütete Leben zur Welt zu bringen. Das rote Gesicht der Wehmutter beugte sich über sie und lächelte aufmunternd, doch Anna glaubte, eine gewisse Sorge in Margrets Augen zu erkennen.

"Es wird doch kommen?", keuchte die junge Frau verzweifelt.

"Natürlich kommt es!", versicherte Margret und streichelte ihr beruhigend die schweißnasse Hand. "Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich das Erstge-borene etwas Zeit lässt."

"Aber ich kann nicht mehr!", schluchzte Anna. "Ich glaube, es reißt mich auseinander."

Die Hebamme flößte ihr noch etwas kalten Tee aus Schafgarbe und Melisse ein. Sonst konnte sie nichts tun, als die Gebärende weiter zu ermutigen. Annas aufgeschwollener Leib erbebte unter der nächsten Wehe. Sie krallte ihre Hände in die Armlehnen des Gebärstuhles und schrie erneut auf.

"Presst weiter, Herrin!", drängte Margret. "Es kann nicht mehr lange dauern."

Das jedoch glaubte Anna schon längst nicht mehr, denn diesen Satz hörte sie nun schon seit den Morgenstunden. Was hatten sie nicht alles mit ihr angestellt, um die Geburt zu beschleunigen? Immer wieder hatten sie sie durchs Zimmer geführt, bis sie fast zusammenbrach, hatten ihr lindernde Tränke verabreicht und ihren Bauch mit warmem Schweineschmalz massiert, doch nichts schien den so sehnlichst erwarteten Stammhalter zu bewegen, die dunkle Wärme ihres Schoßes zu verlassen.

Eine neue Wehe nahm Anna fast den Atem, und mühsam presste sie. Schreien und pressen - hatte es je etwas anderes gegeben? Sie konnte sich kaum mehr an ein Leben vor diesem Tag erinnern. Der Schmerz schien allgegenwärtig und füllte ihr ganzes Sein. War sie vielleicht schon gestorben und in die Hölle gestürzt, nachdem sie...?

Bestürzt blickte sie auf das Mondsteinamulett, das in blassem Blau zwischen ihren Brüsten schimmerte. Sie hatte Conrad nie erzählt, warum sie es gekauft hatte, und auch nicht ihrem Beichtvater. Jetzt aber riss sie es entsetzt von ihrem Hals und schleuderte es in den Kamin. Barbara, die noch verbliebene Magd, verstummte in ihren Gebeten, und schaute dem Schmuckstück verwundert nach, als es in den Flammen verschwand.

Trotz der drückenden Hitze, die in dem Raum herrschte, begann Anna zu zittern. Kalter Schweiß rann ihr in die Augen und mischte sich mit ihren Tränen.

"Oh, Gott! Bitte strafe mich nicht!", betete sie. "Ich weiß, ich habe gesündigt, aber bitte, nimm mir nicht mein Kind!"

"Spart Eure Kräfte", mahnte die Amme, während sie ihr mit einem kühlen Tuch die Stirn tupfte. "Bei der nächsten Wehe müsst Ihr noch einmal alles geben."

Die junge Frau sank weinend in den Stuhl zurück. Neben den unerträglichen Schmerzen ergriff sie nun auch eine wahre Todesangst, dass ihr fast die Sinne schwanden.

"Jetzt pressen!" Margrets Stimme schien plötzlich aus weiter Ferne zu kommen. "Ihr dürft jetzt nicht aufgeben! Da, ich kann schon das Köpfchen sehen."

Anna spürte tatsächlich einen großen Widerstand zwischen ihren Schenkeln. Sie fasste neue Hoffnung, dass all ihre Qual schließlich doch belohnt würde.

"Endlich, Liebster, kann ich dich glücklich machen", hauchte sie.

"Weiter, Herrin! Nur noch einmal!"

Die Hebamme ergriff ihre Hand und drückte sie fest. Anna sammelte alle verbliebenen Kräfte für die letzte Wehe. Sie holte tief Luft und biss die Zähne zusammen.

"Jetzt!", befahl Margret.

Anna schrie. Ihr Leib schien zu bersten. Sie fühlte, wie der Druck aus ihrem Körper wich und sich in einer heißen Flut aus ihrem Schoß ergoss.

"Heilige Jungfrau Maria!", keuchte die Magd entsetzt.

"Sei still!", knurrte Margret. "Hol mehr Tücher! Schnell!"

Barbara rannte mit einer Schale und Leinenbinden herbei, was Anna jedoch nur am Rande wahrnahm. Sie fühlte ihren Körper vom Druck befreit, und das konnte nur bedeuten, dass sie es letztendlich doch vollbracht hatte.

"Wo ist mein Kind?", stöhnte sie und versuchte, sich aufzurichten. Die Wehmutter hatte die Nabelschnur abgebunden und reinigte das schrumpelige, blutverschmierte Gesicht des Neugeborenen mit warmem Wasser. Trotz aller Schmerzen und Schwäche lachte Anna glücklich auf.

"Ist es ein Knabe? Ein Erbe für Tannenberg?"

Vor Erschöpfung verschwamm ihr alles vor den Augen. Nur undeutlich gewahrte sie, wie die Hebamme das Kind an den Füßen packte und ihm mit der Hand kräftig auf den Hintern schlug.

Auf einmal war es so still im Raum, dass man nur noch das Knistern des Kaminfeuers hörte. Margret versuchte es ein zweites Mal.

"Was ist los? Warum schreit er nicht?", hauchte die junge Mutter voll bangem Entsetzen. Die Hebamme wandte sich wortlos ab und trug den Säugling zum Tisch.

"Warum schreit er nicht?"

Anna fühlte sich plötzlich von aller Lebenskraft verlassen. Margret nahm Tücher und wickelte das Kind hinein, während Barbara versuchte, den heftigen Blutfluss zu stillen, der aus Annas Schoß flutete.

Die Wehmutter bemerkte mit Sorge, wie das Gesicht der jungen Frau immer blasser wurde. Betrübt schaute sie auf das Bündel in ihrem Arm herab, und zog im Schutze ihres Körpers ein Tuch über den ungewöhnlich großen Kopf. Sie hatte es eilig, den schlaffen Körper aus dem Zimmer zu schaffen, bevor die erschöpfte Wöchnerin seiner ansichtig werden konnte. Die Gewissheit einer Totgeburt konnte der Mutter den letzten Lebenswillen rauben.

"Es wird alles gut werden", sagte sie beschwichtigend. "Die Amme wird sich seiner annehmen."

Sie wandte sich zum Gehen.

"Möge Gott sich deiner unschuldigen Seele erbarmen und seine Engel dich hinaufgeleiten in sein Reich", murmelte sie, bevor sie die Tür öffnete, um dem völlig aufgelösten Vater entgegenzutreten.

Conrad hatte die plötzliche Stille nach Annas letztem Schrei mit wachsender Angst erfüllt. Nun sah er die alte Frau mit dem Leinenbündel vor sich.

"Was ist mit meinem Weib?", stammelte er, die schreckliche Wahrheit erfassend, und war schon auf dem Weg in die Kammer.

Die Stimme ihres Geliebten ließ Anna mühsam die Augen öffnen. Durch ihre aufsteigenden Tränen sah sie ihn matt und flehend an. Dann wandte sie das Gesicht voll Scham von ihm ab.

"Verzeih mir, mein Geliebter!", flüsterte sie. "Ich wollte dich nie enttäuschen."

Zitternd schlossen sich ihre Lider. Ihr Kopf sank herab und ihr Atem ging nur noch flach. Conrad stand wie vom Donner gerührt. Dann stürzte er zu ihr und hätte sie fast in seine Arme gerissen. Er wollte sie festhalten, dass der Tod nicht kommen und sie ihm nehmen könnte. Im letzten Moment hielt er sich jedoch zurück, denn noch größer war seine Angst, durch irgendeine falsche Bewegung ihr schwach flackerndes Lebenslicht auszulöschen.

So grub er nur verzweifelt die Hände in sein Haar und kämpfte mit den Tränen, die ihm die Kehle zuschnürten. Barbara, die etwas scheu auf der anderen Seite des Gebärstuhles stand, hatte den Ritter noch nie in solchem Jammer gesehen.

Er war immer ein guter Herr gewesen und sie verspürte das dringende Bedürfnis, ihm in seiner offensichtlichen Hilflosigkeit beizustehen. Deshalb trat sie behutsam auf ihn zu und sagte mitfühlend:

"Ihr solltet schnell einen Arzt holen, Herr. Und Pater Remigius!"

Kapitel 2

In den nächsten drei Tagen musste Conrad ohnmächtig zusehen, wie seine geliebte 'Rose' langsam dahinwelkte. Es war dem Arzt zwar gelungen, Annas Blutungen zu stillen, doch selbst die starke Medizin, die Conrad ihr eigenhändig verabreichte, brachte kein neues Licht in ihre stumpf gewordenen Augen.

Anna lag die meiste Zeit im Dämmerschlaf und ließ sich immer nur für kurze Zeit zu Bewusstsein bringen und widerwillig etwas Suppe einflößen. Ihre Seele schien sich bereits auf den Weg gemacht zu haben, ihrem Kind zu folgen, und nur ihr ausgezehrter Körper band sie noch mit dünnem Faden an die diesseitige Welt.

Ihr Gemahl verließ kaum mehr den Raum. Er wollte keinen Atemzug, keinen Herzschlag verpassen, der sie noch bei ihm hielt. Stundenlang saß er neben ihrem Bett, spielte auf ihrer Harfe und dichtete Lieder für sie, obwohl er nicht wusste, ob sie ihn überhaupt hörte.

Dabei vergrößerte die Musik nur seinen Schmerz, denn er musste immer daran denken, um wie viel besser Anna dieses Instrument beherrschte und wie sehr er ihre süße Stimme vermisste, die alle bezauberte, die sie vernahmen. Dennoch hörte er nicht auf zu spielen, immer in der bangen Hoffnung, die lieblichen Klänge würden ihre Seele erreichen und sie ins Leben zurücklocken.

Zweimal täglich kam der Arzt, und Conrad ließ alles herbeischaffen, was dieser verlangte. Nach einer Woche jedoch trat der Gelehrte scheu vor den Burgherrn und gestand, dass er am Ende seiner Kunst sei und all seine Mittel versagt hätten.

"Hier kann nur noch ein Wunder helfen", seufzte er. "Und das steht leider nicht in meiner Macht."

Conrad nickte stumm und ließ dem Mann seinen Lohn auszahlen. Nun blieb nur noch eins zu tun. Conrad hatte es die ganze Zeit hinausgeschoben, aus Angst, damit Annas Tod zu besiegeln und ihr zu zeigen, dass er sie aufgegeben hatte.

Als Pater Remigius kurz darauf das Frauengemach betrat, hatte die Kranke gerade die Augen geöffnet und starrte den Priester, der sie einstmals vermählt hatte, mit verschleiertem Blick an. Der alte Mann machte das Kreuzzeichen und lächelte ihr zu.

"Gott sei mit dir, meine Tochter", sprach er sanft. "Ich bin gekommen, um dir die letzten Sakramente zu spenden."

"Ihr müsst Euch irren, Vater!" widersprach Anna verwundert. "Ihr sollt doch heute meinen Sohn taufen! Er soll Conrad heißen, genau wie sein Vater."

Remigius musterte sie verwirrt und überlegte fieberhaft, was er darauf erwidern sollte. Hatte man ihr denn nicht gesagt, was mit ihrem Kind geschehen war? Oder hatte sie es durch ihre Krankheit einfach vergessen? Wie dem auch sei; auf keinen Fall wollte er die Sterbende unnötig aufregen.

Er trat behutsam an sie heran und sagte ausweichend: "Wenn du rein vor Gottes Altar treten willst, musst du zuerst deine Sünden bekennen und Buße tun. Bist du dazu bereit?"

"Oh ja", flüsterte Anna, "ich will büßen! Das ist das einzige, was mir noch bleibt."

Und plötzlich, völlig unvermittelt, brach ein Strom von Tränen aus ihren Augen. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und das Schluchzen erstickte ihre Worte, dass sie kaum zu verstehen waren.

"Vater, vergebt mir, denn ich habe gesündigt", weinte sie, am ganzen Körper zitternd. "Ich habe die schwerste aller Sünden begangen, das Schlimmste, was eine Frau nur tun kann! Ich habe mein Kind getötet, mein einziges Kind!"

Der Priester war einen Moment sprachlos. Dann aber besann er sich auf den Bericht der Hebamme, der zwar für einen tragischen, doch eindeutig natürlichen Tod des Säuglings sprach.

'Die Ärmste,' dachte er und betrachtete Anna mitfühlend, 'der Schmerz hat ihren Geist völlig verwirrt. Erst glaubt sie, ihr Sohn sei noch am Leben, und jetzt behauptet sie, seine Mörderin zu sein.'

Tröstend beugte er sich zu ihr nieder.

"Beruhige dich, meine Tochter. Du weißt ja gar nicht, was du da redest."

"Gott hat mich gestraft!", schluchzte die junge Frau. "Ich habe meinen Glauben verloren und an Gottes Güte gezweifelt, weil er meinen Leib nicht segnen wollte. Da bediente ich mich heidnischen Zaubers, um ein Kind zu empfangen. Aber Gott sah meinen Frevel, und nun bin ich auf ewig verdammt!"

Sie konnte kaum noch atmen und sank keuchend in die Kissen. Der Pater schüttelte ratlos den Kopf. Was er hier hörte, konnte wirklich nur die Ausgeburt eines kranken, völlig verstörten Geistes sein. Schließlich kannte er die Herrin von Tannenberg seit über fünf Jahren und hatte sie stets als ein Vorbild an Frömmigkeit, Güte und Tugend erlebt. Sie konnte doch keine Ketzerin sein!

'Das Fieber nimmt ihr mehr und mehr von ihrem Verstand', dachte er. 'Ich muss sie wieder zur Ruhe bringen, damit sie ihre Beichte vollenden und die Absolution empfangen kann.'

Er fasste die Hand der jungen Frau, um ihre Aufmerksamkeit ganz auf sich zu lenken. Als sie ihm endlich in die Augen blickte, sagte er langsam und eindringlich: "Gott sieht deine Schuld, aber auch deine Reue. Er wird dir alles vergeben, wenn du dich vom Bösen abwendest und Buße tust. Bereust du deine Vergehen?"

"Ja", flüsterte sie. "Ich wünschte, die Hand wäre mir verdorrt, ehe ich diesen Stein berührte. Er war so blau wie der Himmel, aber er kam direkt aus der Hölle! Ich habe ihn weggeworfen, zurück ins ewige Feuer."

Sie brach ab und keuchte so heftig, als würde sie schon im nächsten Augenblick für immer die Augen schließen. Angesichts ihres Zustandes hatte Remigius keinerlei Bedürfnis, noch länger ihren Hirngespinsten nachzuspüren. Er legte ihr die Hand auf die schweißnasse Stirn und fühlte, wie ihr Körper bebte.

"Da du dich einsichtig und reumütig zeigst", fuhr er mit erhobener Stimme fort, "spreche ich dich frei von all deinen Sünden. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes."

"Amen", hauchte sie und nun glitzerten Tränen der Erleichterung in ihren Wimpern.

Der Pater schlug das Kreuz über sie und entzündete dann die vielen weißen Kerzen, die er zuvor um das Bett herum aufgestellt hatte. Sie sollten die Todgeweihte vor dem neuerlichen Angriff böser Geister schützen, damit sie völlig rein und ohne Schuld vor ihren Schöpfer treten konnte.

Normalerweise war es üblich, dem Sterbenden eine der Kerzen in die rechte Hand zu geben, aber Remigius erkannte, dass die Kräfte der jungen Frau dafür nicht mehr ausreichten. Daraufhin öffnete er die kleine Dose mit dem kostbaren Chrisam, um ihr die Letzte Ölung zu spenden.

"Aber meine Buße?", begehrte Anna auf. "Ihr habt mir keine Buße aufgegeben."

"Betet drei Ave Maria und drei Pater noster", entgegnete der Priester, "und..." Er zögerte kurz, "und versucht, am Leben zu bleiben!"

Er tauchte den Finger in das Heilige Öl und zeichnete ein Kreuz auf ihre Lippen. Dabei murmelte er halblaut die dazugehörigen Worte: "Ich salbe diese Lippen mit dem Heilmittel geweihten Öles; dank der Güte und des Erbarmens Gottes soll durch diese Salbung gereinigt werden, was du durch überflüssiges oder gar verbrecherisches Reden gesündigt hast."

In gleicher Weise salbte er ihr Augen, Ohren, Nase und Stirn sowie Hals, Brust, Hände und Füße. Anna hielt während der ganzen Zeremonie die Lider geschlossen, aber ihre Lippen bewegten sich in unaufhörlichem Gebet.

Zuletzt reichte Remigius ihr die heilige Kommunion und legte vorsichtig eine Hostie auf ihre Zunge, die sie mühsam kaute und schluckte. Während er ihr anschließend den kleinen Kelch an die Lippen setzte, musste er wieder an ihren bleichen, übernächtigten Ehemann denken, der schon selbst wie ein wandelnder Geist aussah.

Tiefes Mitleid ergriff ihn und er betete in stummer Inbrunst: "Gütiger Vater, bitte rette dieses Weib vor dem Tode, damit nicht auch der Mann zugrunde geht."

Als er jedoch der Frau den letzten Segen erteilte, erkannte er an ihrem Blick, dass sie mit dem Leben abgeschlossen hatte. Da flehte er noch inständiger, dass Gott doch noch ein Wunder geschehen ließe.

Die Kranke schien eingeschlafen zu sein, und der Pater verließ leise das Zimmer. Vor der Tür wartete der Burgherr bereits auf ihn. Der Ritter stellte keine Fragen, neigte nur in stummer Verzweiflung das Haupt und bekreuzigte sich.

In der Kemenate ruhte Anna ermattet, doch zum ersten Mal seit jenem Unglückstag entspannt in ihrem Bett. Nachdem sie die Sakramente empfangen und ihre Bußgebete gesprochen hatte, fühlte sie sich außergewöhnlich leicht und frei, und sah nun dem bevorstehenden Ende sogar mit einer gewissen Freude entgegen. Der Tod würde ihr endlich das schenken, was ihr in diesem Leben versagt geblieben war. Sie würde ihr Kind sehen und für immer mit ihm vereint sein. Konnte es eine größere Gnade geben?

Die Tür knarrte, aber sie mochte die Augen nicht öffnen. Sie wollte nur noch daliegen, bis ihre Seele entschwand und der Engel des Herrn sie davonführte.