Die Rückkehr des Venezianers - Mordermittlungen in Mailand - Enzo Canistro - E-Book

Die Rückkehr des Venezianers - Mordermittlungen in Mailand E-Book

Enzo Canistro

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Beschreibung

Es geht um eine mysteriöse Mordserie in Mailand. Der Kommissar Emilio versucht diese gemeinsam mit seinem Partner Massimo aufzudecken. Aufgrund seiner Herkunft wird Emilio selbst Opfer von Alltagsrassismus. Während der Recherchen gerät das Ermittlerduo immer weiter in die tiefen Intrigen, die in der Unterwelt gesponnen wurden. Darunter leidet zunehmend ihre Freundschaft. Liebe, Verrat und Verschwörungen in den eigenen Reihen bringen die beiden selbst in Gefahr.

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Seitenzahl: 346

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Die Rückkehr des Venezianers

Das Vermächtnis I

Enzo Canistro

© 2022 Enzo Canistro

ISBN Softcover: 978-3-347-65920-9

ISBN Hardcover: 978-3-347-65926-1

ISBN E-Book: 978-3-347-65927-8

ISBN Großschrift: 978-3-347-65928-5

Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:

tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Covergestaltung: Buchcoverdesign.de / Chris Gilcher – https://buchcoverdesign.de

Unter Verwendung von folgendem Bildmaterial: Adobe Stock ID 325842981, Adobe Stock ID 218087403, Adobe Stock ID 436950114 und freepik.com

Enzo Canistro wurde 1986 in der Region Hannover geboren und studierte BWL und Wirtschaftspsychologie. Das Schreiben entdeckte er relativ spät für sich. Gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter lebt er im Norden Deutschlands.

Ein guter Espresso am Morgen lässt ihn in einen Tag voller verrückter und kreativer Ideen starten.

Seine Zeit verbringt er am liebsten mit seiner Familie, sowie gutem Essen und viel Humor.

Der Autor freut sich immer von seinen Lesern auf Instagram zu hören.

Vorwort

Die folgende Geschichte und alle Charaktere sowie die Vorkommnisse sind allesamt frei erfunden. Jegliche Verbindungen zu realen Personen sind rein zufällig. Es werden Themen wie Alltagsrassismus, Diskriminierung, organisierte Kriminalität, körperliche und sexuelle Gewalt betrachtet.

Von allem distanziere ich mich.

Niemand sollte Gewalt in jeglicher Form ausgesetzt sein. Ebenso halte ich nichts von Rassismus oder Diskriminierung. Wir sollten offen gegenüber Menschen, Kulturen etc. sein. Niemand sollte aufgrund eines Makels, seiner Nationalität, Hautfarbe oder Religion ausgegrenzt werden.

Wir sind alle Menschen. Wir fühlen gleich, weinen gleich und bluten gleich.

Das Anderssein macht uns einzigartig und wunderbar.

Danksagung

Ein großes Dankeschön geht an alle meine Liebsten, die mich dazu ermutigt haben nicht aufzuhören und weiter zu schreiben. Die an mich geglaubt und mich unterstützt haben.

Danke an meine Schwiegermutter, die der ganzen Geschichte einen roten Faden gegeben hat.

Meiner Schwägerin bin ich ebenfalls sehr dankbar. Deine Tipps und Hinweise haben das Buch mehr als abgerundet.

Zu guter Letzt möchte ich mich ganz besonders bei meiner lieben Frau bedanken, dass sie sich meinen ganzen Quatsch immer angehört hat. Du bist mein großer Rückhalt und ohne dich wäre das hier niemals möglich gewesen.

Die Wunderpfanne

Es ist ein sommerlicher Mittwochmorgen in Mailand, die Fensterscheiben vibrieren im Minutentakt durch die vorbeifahrenden Züge und obwohl sie geschlossen sind, kann ich hören, wie sich der Straßenverkehr durch den üblichen Schichtwechsel in den Fabriken verdichtet. Die maroden Rahmen haben auch schon ihre besten Zeiten hinter sich.

Apropos Zeit, seit einer geschlagenen Viertelstunde schaue ich auf die Uhr und warte darauf, dass ich endlich aufstehen kann.

Glücklicherweise habe ich einen Beruf, der mir sogar Spaß macht und der niemals aussterben wird. Nur leider nehme ich das, was ich täglich zu sehen bekomme, mit nach Hause.

Mordermittlungen nehmen halt nie ein Ende. Es beschäftigt mich dermaßen, dass ich gezwungen bin, Tabletten einzunehmen, um überhaupt zur Ruhe zu kommen. Nur langsam helfen diese auch nicht mehr, um mich in den Schlaf zu wiegen, geschweige denn gegen meine Alpträume. Die unruhigen Nächte und meine Sorgen, die ich Tag ein Tag aus mit mir herumschleppe, zeichnen mein Gesicht in Form von Augenringen. Sie fühlen sich an, als ob sie bis zur Kniescheibe gehen, so müde bin ich.

Wäre ich ein Baum, könnte man an den Augenringen mein Alter ablesen. Ich hatte tatsächlich schon mit dem Gedanken gespielt, sie zu überschminken, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto abstruser wurde es. Den Plan habe ich schlussendlich ad acta gelegt, da mein Ermittlungspartner eine ausschlaggebende Rolle einnimmt. Ich weiß genau, dass das für ihn ein gefundenes Fressen wäre und er mich wochenlang damit aufziehen würde.

Auf zusätzliche Belastung kann ich aktuell gut verzichten, immerhin hat er sich bereits an meine Visage gewöhnt. Zu den dunklen Schatten in meinem Gesicht gesellen sich meine schmerzenden Augen und mein Kopf, der bald vor lauter Schlafmangel platzt. Das ist wirklich die übelste Foltermethode, die ich mir hier selbst zufüge.

06:09 Uhr! Gleich ist es soweit! Mit einem starren Blick fixiere ich den Wecker, sodass alles drum herum verschwimmt und ich nur darauf warte, dass dieser endlich losgeht.

Währenddessen liegt meine wunderschöne Freundin in meinem Arm. Der Duft von Silvanas Haar erinnert mich an frühere, unbeschwerte Zeiten und lässt mich zumindest für einen kleinen Atemzug alles vergessen. Er gibt mir ein altes Gefühl von Geborgenheit zurück. Nie hätte ich es mir erträumen können, jemanden so nah an mich ran zu lassen und doch hat sie es irgendwie geschafft, mich tief in meinem Herzen zu berühren.

Mit einem schrillen Ton klingelt der Wecker, der mit einer ruckartigen Bewegung von mir ausgeschaltet wird, in der Hoffnung, Silvana nicht geweckt zu haben, um den Moment noch etwas genießen zu können.

Da schaut sie mich bereits verträumt an, kuschelt sich an meine Brust und sagt:

„Emilio, mein Schatz, kannst du aufstehen und uns einen Kaffee machen?“

Da mir eh schon so viele Gedanken durch den Kopf schwirren, was der Tag heute so bringen wird, kann ich mir wenigstens auf dem Weg in die Küche die Falten aus dem Gesicht ziehen.

Mit einer noch etwas trüben Sicht äußere ich „Na klar, kommt sofort, noch irgendwelche Wünsche?“

Erfreut über meine Nachfrage legt sie noch einen drauf.

„Ach Emilio, mein Schatz, wenn du so fragst, kannst du uns noch Croissants besorgen? Aber nicht die von dem Bäcker hier um die Ecke, sondern von dem Bäcker in der Via Roma. Da schmecken die einfach besser.“

Nickend erwidere ich „Bekommst du, aber erst bekomme ich einen Kuss.“

Sie grinst mich frech an und antwortet „Naja, die von dem Bäcker hier vorne um die Ecke reichen auch.“

Mit großen Augen und verdutzt über diese Antwort reagiere ich lächelnd mit einem „Du kleines Monster.“ Danach rolle ich mich aus dem Bett und schlurfe in Richtung Tür.

Auf dem Weg in den Flur übersehe ich die Ecke der Kommode. Der kleine Zeh freut sich sehr über diese unerwartete Begegnung, lässt mich vor lauter Freude aufschreien und auf dem anderen Bein wieder ins Schlafzimmer hüpfen. Mit schmerzverzerrter Miene bitte ich Silvana, den Kaffee vorzubereiten.

Sichtlich amüsiert erwidert sie „Komm du erstmal vom Bäcker zurück.“

Schnell ziehe ich meine Lieblingsjeans und meinen AC Mai- land-Hoodie an. Danach hüpfe ich ins Bad, mache mich fertig um dann humpelnd meinen Weg zum Bäcker anzutreten.

Als ich aus der Haustür rausgehe, scheint mir die Sonne in mein Gesicht und ich spüre, wie Glücksendorphine freigesetzt werden. Schöner könnte ich mir den Morgen nicht vorstellen, okay, ausgenommen von meiner ungewollten Begegnung mit der Kommode.

Ich sollte viel häufiger die kleinen Momente im Leben schätzen lernen, da ich ja tagtäglich sehe, wie schnell und vor allem grausam das Leben enden kann.

Ein Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene reißt mich aus den Gedanken, als es an mir vorbei die Straße hinabrast.

Der Wagen war so schnell unterwegs, dass die Gesichter der Polizeibeamten nicht mehr von mir wahrgenommen werden konnten. Zu gerne hätte ich gewusst, wer von meinen Kollegen im Einsatz ist und wohin sie gerufen wurden. Ich erwische mich auch immer wieder dabei, dass ich selbst in meiner Freizeit nicht aufhören kann zu arbeiten und alles analysieren muss.

Keine Sekunde später sprudeln wieder so viele Dinge durch meinen Kopf, dass ich die Straßenkreuzungen und Ampeln nur so überfliege. Der rege Verkehr und die wild gestikulierenden Menschen, in Kombination mit der frischen Luft, holen mich noch humpelndes Etwas schnell in den grauen Alltag zurück.

Immer wieder kommt mir die Frage in den Kopf, wie der nächste Fall aussehen wird, in der Hoffnung, dass es nicht so eine schreckliche Geschichte wird, wie bei den Kollegen vor zwei Wochen.

Der Täter wurde bisher nicht gefasst. Was wohl in den Köpfen solcher Individuen vorgeht?

Die Kollegen haben leider nicht viel berichtet. Sie sagten nur, es war grauenhaft anzusehen. Einer der ermittelnden Beamten leidet seither an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das muss schon was heißen, denn die Kollegen sind bereits seit 20 Jahren im Dienst und haben so einiges gesehen und miterlebt.

Der vor Ort gewesene Forensiker Vito hatte mir etwas anvertraut, was mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht. Er erzählte mir, dass dort vier enthauptete Körper aufgefunden wurden.

Einige wiesen weitere tiefe Schnittverletzungen im Bereich des Torsos auf und einem Mann wurde der Arm mitsamt der 9mm Beretta in der Hand abgetrennt. Die Hand mit der Pistole lag unweit des Torsos. Wo der restliche Arm abgeblieben ist, ist noch unklar. Die Köpfe der Opfer sind bisher auch nicht aufgefunden worden, ebenso wenig die Tatwaffe. Hat der Täter den Arm und die Köpfe als Trophäen mitgenommen? Das wäre schon wirklich sehr krank. Anhand der Schnitte geht Vito von einem Schwert aus. Wie ein orkanartiger Sturm hat sich der Lebenssaft der Opfer im Raum verteilt, erzählte er mir.

So erschreckend es klingt, so sehr fasziniert es mich zugleich.

Noch ein paar Meter bis zum Bäcker, dann habe ich es endlich geschafft. Ist schon wirklich nicht einfach mit so einem beeinträchtigten Fuß zu gehen, aber die Freude, die süße Verkäuferin Valentina zu sehen, lässt mich den Schmerz vergessen. Soweit ich weiß, arbeitet sie immer Mittwochmorgens.

Die Zeit bis hierher ist tatsächlich wie im Flug vergangen. Sofort sticht mir ins Auge, dass Valentina jeden eintretenden Gast freundlich begrüßt. Mich strahlt sie allerdings förmlich an, so dass es mir sogar etwas unangenehm ist. Während ich warte, dass ich an der Reihe bin, habe ich genügend Möglichkeiten, sie zu beobachten.

Ihr süßes Lächeln und die Grübchen, die sie dabei hat, sind schon wirklich verzaubernd. Dazu noch ihre kleine Stubsnase und die perfekt sitzenden, geflochtenen Haare. Ich mustere sie weiter und bemerke nicht, dass ich schon dran bin.

Hups, ihr Blick verrät, dass sie mich ertappt hat. Ganz offensichtlich ist Valentina aber auch von mir angetan, da sie versucht mir schöne Augen zu machen und den Kopf etwas zur Seite neigt, während wir uns unterhalten.

Das ist mir bei den Kunden vor mir nicht aufgefallen. Keine noch so kleine Expression entgeht meinem geschulten Auge. Ihre unbewussten Körpersignale mögen winzig sein, besitzen aber eine immense Aussagekraft. Ganz auffällig ist, dass sie über alles lacht, was ich von mir gebe, an meinem Mund klebt und jede Bewegung meiner Lippen förmlich aufsaugt. In einer gewissen Art und Weise gelingt es ihr, mich in ihren Bann zu ziehen. Ich witzle ein wenig mit der kleinen Bäckerin bevor ich höflich frage „Was bekommst du für die Croissants?“ Zwinkernd erwidert sie „Die gehen aufs Haus, wenn du mit mir einen Kaffee trinken gehst.“

Da ist das Ablenkungsmanöver, um nicht weiter zu flirten, scheinbar fehlgeschlagen. Sichtlich überrumpelt von diesem Angebot versuche ich ihr die Situation zu erklären „Ich kann nicht mit dir Kaffee trinken gehen, was soll denn meine Freundin darüber denken?“

Eben strahlte die junge, betörende Valentina noch und wirkte so glücklich und von einem Moment auf den anderen haben die Augen ihr Funkeln verloren.

Sie wiegelt mit einer Handbewegung ab und begründet, dass es rein freundschaftlich wäre, gemeinsam einen Kaffee trinken zu gehen, da ich nicht ihr Typ Mann bin. Schließlich stimmt sie mir zu, dass es meiner Freundin gegenüber unfair wäre.

Es beruhigt mich, dass sie meine Situation versteht und nicht gekränkt ist. Als ich nach der Tüte greifen will, zieht sie diese vom Tresen und bittet mich mit einem leicht strengen Ton um die 4,80 Euro. Schnell schmeiße ich ihr einen 5 Euro-Schein auf die Theke, um dann fluchtartig den Laden zu verlassen.

So fluchtartig, wie man eben humpelnd fliehen kann.

Auf dem Rückweg geht mir das Gespräch mit Valentina nicht mehr aus dem Kopf. Freundschaftlich Kaffee trinken. Gibt es denn Freundschaften zwischen Mann und Frau, überlege ich. Sie hat schließlich gesagt, ich bin nicht ihr Typ. Ihre Körpersprache sagte aber etwas völlig Anderes.

Plötzlich flutscht während des Gehens mein linker Schuh, woraufhin ich bemerke, dass ich in einen riesigen Hundehaufen getreten bin.

Welcher Hund macht solche Haufen? Dieser Hund muss mindestens so groß gewesen sein wie ein Pferd.

Um den Dreck von dem Schuh zu bekommen, schleife ich den Fuß hinterher. Mittlerweile komme ich mir selbst schon ein wenig komisch vor.

Genervt davon, wie der Tag begonnen hat, hoffe ich, dass er sich nicht so weiter fortsetzt und noch eine positive Wendung nimmt.

Ein altes Sprichwort sagt doch, in Scheiße treten bringt Glück.

Warten wir ab, ob etwas Wahres dran ist.

Zuhause angekommen liegt, noch bevor ich die Wohnungstür aufgeschlossen habe, der feine Duft von frisch gekochtem Kaffee in der Luft.

Ich eile hinein, um das köstliche schwarze Gold vor dem Hitzetod zu retten.

Während ich ihn vom Herd nehmen möchte, klingelt es an der Tür. Schnellen Schrittes geht Silvana, die zuvor noch im Badezimmer war, hin, um diese zu öffnen. „Schatz, komm schnell her.“, ruft sie.

Flink wie ein altes, angefahrenes Wiesel bewege ich mich in Richtung Tür und höre bereits Geschluchze und Geweine.

„Was ist denn los?“, frage ich.

Silvana erwidert „Keine Ahnung, irgendwas ist mit dem kleinen Bacary.“

Mit ihren dicken, aufgequollenen Augen schaut uns unsere Nachbarin Alischa an und sagt „Bitte helft mir, es ist sonst niemand hier.“

Mit den angeschwollenen Augen erinnert sie mich an ein Haustier, das ich mal hatte.

Der kleine Moby, ich liebte diesen süßen Kardinalfisch. Er war der schönste Fisch im gesamten Tierladen. Mein kleiner Weggefährte litt an der seltenen Glotzaugenkrankheit, aber genau das machte ihn so liebenswert. Ich nahm ihn mit und schenkte ihm ein Zuhause. Scheinbar habe ich eine Anziehungskraft für besondere Wesen, stelle ich fest, als mich die Realität wieder zurückholt.

„Na klar helfen wir. Wo ist der Kleine?“, frage ich.

„Silvana, machst du den Kaffee für uns fertig?“, kommandiere ich.

„Ja, ja ist gut. Kümmere dich um den Kleinen.“, antwortet sie.

Unauffällig folge ich der Nachbarin. Mir fällt auf, dass sie einen komischen Gang hat und die Schultern leicht nach vorne gezogen sind. Das ist mir vorher nie bei ihr aufgefallen.

Sie machte immer einen smarten und selbstbewussten Eindruck. Nun wirkt Alischa eher, als ob sie sich verstecken möchte. Scheinbar geht es ihr wie mir und sie hat kein Auge zugetan oder es steckt etwas völlig Anderes dahinter.

Vielleicht habe ich langsam einen Knacks von meinem Job. Ich sollte damit aufhören, alles und jeden zu analysieren.

Hoffentlich ist Alischa nach dem tragischen Unfall ihres Mannes in der Textilfabrik nicht mit der Situation als Alleinerziehende überfordert. Laut der Sachverständigen war es selbstverschuldet.

Mir kommen da einige Zweifel hoch, da es mir unerklärlich ist, wie man in eine Mangel geraten kann. Solche Maschinen haben doch extra Sicherheitsvorkehrungen. Angeblich ist eine Hand in die Mangel gekommen und er wurde daraufhin reingezogen. Jede Hilfe kam zu spät. Seine Identifizierung konnte nur noch mittels einer DNA-Probe erfolgen.

In ihrer Wohnung angekommen fällt auf, dass es dunkel und unaufgeräumt ist. Die Luft riecht alt und muffig, als wäre hier seit Wochen nicht mehr gelüftet worden.

„Da vorne rechts ist sein Zimmer, sag mir Bescheid, wenn du etwas brauchst.“

„Ähh, kommst du nicht mit rein?“, antworte ich überrascht.

„Nein, aber wenn du möchtest, kannst du mir im Schlafzimmer helfen.“, sagt Alischa und streicht mir dabei über den Arm, während sie mit der anderen Hand ihre Bluse etwas öffnet.

Völlig verstört über dieses Angebot, siegt die Neugier über den Zustand des kleinen Bacary.

„Ich bin gleich wieder hier, Alischa.“, reagiere ich und nehme kopfschüttelnd ihre Hand von meinem Arm.

Was ist nur in sie gefahren?

Als würde ich jetzt mit ihr ins Schlafzimmer gehen. So schlecht kann es ihrem Jungen dann ja nicht gehen.

Was mich wohl dort in dem Zimmer gleich erwarten wird? Ich gehe mit gemischten Gefühlen an die ganze Sache ran. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Langsam und ganz leise öffne ich die Tür, nach einem kurzen Stück knarrt sie. Mein Herz rast und Adrenalin schießt durch meinen gesamten Körper, während ich versuche ruhig zu atmen und Herr meiner Sinne zu bleiben.

Im Zimmer liegt der Kleine zum Glück, wie erwartet, in seinem Bett und schläft. Langsam nähere ich mich Schritt für Schritt seinem Bett und durchleuchte mit Adleraugen den Raum nach Ungewöhnlichem.

Plötzlich knallt eine Tür zu.

Oh mein Gott, was ist hier los? War das Alischa? Ist sie jetzt sauer auf mich und knallt deswegen die Tür zu? Wartet sie nun wirklich im Schlafzimmer auf mich?

Am liebsten würde ich mich tot stellen wie ein Opossum.

Das ruhige Atmen fällt schwer und vor Aufregung läuft der Schweiß von meiner Stirn. Der Kleine öffnet seine verdrehten Augen und stammelt irgendwas vor sich hin.

„Hey Kleiner, was ist los? Tut dir was weh?“

Dabei überprüfe ich seinen Puls am Hals. Es ist verdammt heiß in diesem Zimmer und trotzdem hat Bacary Schüttelfrost. Der Duft seines kalten Schweißes steht förmlich im Raum.

Mit schwacher Stimme kommt aus ihm „Ich, ich fühl mich nicht gut. Mir tut alles weh. Bitte bestrafen Sie mich nicht. Meine Mama hat extra meine Seele reinigen lassen und gesagt, es wird alles gut.“

Er winselt ganz leise und Tränen kullern ihm die Wangen runter.

„Keine Sorge, keiner wird dich bestrafen!“

Währenddessen schweift mein Blick nochmals durchs Zimmer und ich entdecke etwas Merkwürdiges auf der Kommode. Das Ganze weckt mein Interesse, weswegen ich es mir doch genauer ansehe.

Es steht eine Holzschale darauf, die scheinbar mit Blut und irgendwelchen Kräutern gefüllt ist. Ein weißes Pulver liegt ebenfalls dort.

Könnte alles Mögliche sein. Daneben liegen Knochen und ein kleines Stück Fleisch mit einem dunklen Hautfetzen daran. Was war hier nur los?

„Muss ich jetzt sterben? Ich habe nur versucht, meine Mama stolz zu machen.“

Weitere Tränen laufen dem kleinen Bacary dabei über die Wangen. Für einen Moment stockt mir der Atem. Ich verspüre einen Kloß im Hals, weil mir langsam einiges klar wird, was hier los gewesen sein muss. Vorsichtig schaue ich mir Bacary genauer an und bemerke eine suppende Wunde am Brustkorb. Ich kann nicht genau erkennen, was er hat. Er ist jedenfalls nicht fachmännisch zusammengeflickt worden.

Wer tut einem Jungen so etwas an?

Das alles ist erst einmal zweitrangig, am wichtigsten ist nun der kleine Bacary, der weiter kämpfen muss. Er ist immer so ein fröhlicher Junge.

„Alles wird gut, Kleiner. Du hast nur ein bisschen Fieber. Schlaf ein wenig. Ich hol dir einen feuchten Lappen, dann wirst du wieder ganz schnell fit. Ruh dich aus, ich schaue mal nach deiner Mama.“, sichere ich ihm zu und verlasse zügig das Zimmer.

Es ist verdächtig leise in der Wohnung und von Alischa ist keine Spur zu sehen. Dann ist sie vorhin aus der Wohnung raus, aber wo ist sie hin?

Der Kleine muss ins Krankenhaus und das ziemlich bald. Von ihrem Haustelefon setze ich einen Notruf ab und erbitte um Hilfe der Rettungskräfte und um Verstärkung der Polizei, weil ich Schlimmeres vermute.

So langsam macht sich Panik in mir breit und ich stürme aus der Wohnung von Alischa in meine. Wenn sie zu Silvana gerannt ist und ihr weiß macht, ich wollte mit ihr ins Bett, dann habe ich weit größere Probleme als der kleine Bacary.

Die Tür steht offen und die Espressokanne, die noch immer auf dem Herd steht, ist zu hören, weswegen ich bedächtig in die Küche gehe.

Silvana wollte sich doch längst um den Kaffee gekümmert haben. Mein Bauchgefühl scheint mich nicht getäuscht zu haben – sie ist hier. Ein Kribbeln wandert mir vor Aufregung über die Haut. Bevor ich in die Küche trete, schüttele ich mich und atme noch einmal tief durch.

In so einem Moment wünschte ich, ich hätte meine Dienstwaffe hier.

Vor dem Bild, das sich mir darbietet, schrecke ich zurück. Wie ein Geistesblitz schießen mir die Erinnerungen meiner Polizeiausbildung durch den Kopf. Schnell beruhige ich mich, um die Situation zu deeskalieren.

„Silvana, warum hält dir Alischa ein Messer an die Kehle? Hast du wieder was über ihr Kleid gesagt?“

Alischa guckt etwas irritiert, schreit und weint dabei. „Halt die Klappe! Eben wolltest du mir noch an die Wäsche gehen, du mieses Schwein. Dafür mach ich euch beide fertig.“

Dabei zeigt Alischa mit dem Messer auf mich und hält Silvana mit einem festen Griff um den Hals bei sich. „Ein Schwein? Ich bin gar nicht so dick. Na gut, ein paar Kilo weniger könnten es sein, aber ein Schwein!? Eher ein Ferkel.“, erwidere ich.

Perplex über meine Reaktion scheint sie wie eingefroren zu wirken.

Unterdessen widme ich mich endlich der Espressokanne und nehme sie vom Herd, dabei fahre ich fort „Du willst uns beide fertigmachen? Meinst du, zwei zum Sterben Verurteilte interessiert es, ob sie heute oder morgen das Zeitliche segnet?“

Sie streckt mir erneut das Messer entgegen, während ich zwei Tassen aus dem Schrank hole und den Espresso einschenke. Ich kann Alischa förmlich ansehen, dass sie nicht mit so einer Reaktion gerechnet hat.

Entschlossen und ernst erzähle ich weiter „Das hast du wohl nicht gewusst, oder? Silvana hat eine seltene Herzinsuffizienz und ich einen Hirntumor. Der ist so groß wie eine Orange. Also egal, was du vorhast, es kann nicht schlimmer sein als das, was uns erwartet.“

Ich muss irgendwie weiter Zeit schinden, bis die Verstärkung da ist. In solchen Momenten bleibt die Uhr auch einfach stehen und ich kann nur hoffen, dass ich Schlimmeres verhindern kann. Die beiden nähern sich mir, während ich genüsslich an der Tasse nippe.

„Denkt ihr, das ist ein Spiel!? Ich mache Hackfleisch aus euch!“, schreit mir Alischa entgegen.

Ihr Blick ist wirr und sie fuchtelt wild mit dem Messer hin und her. Man kann ihr buchstäblich ansehen, dass sie nicht bei klarem Verstand ist.

Um Alischa noch konfuser zu machen, werfe ich energisch und bestimmend ein „Na dann, tu dir keinen Zwang an. Fang am besten gleich mit dieser Ziege an. Wollte schon immer mal sehen, wie man so ein Tier zerlegt.“

Silvana schaut total entgeistert und schreit mir entgegen „Emilio, ist das jetzt wirklich dein Ernst? Was bist du bloß für ein Stinkbolzen?“

Der Griff um Silvanas Hals lockert sich.

Alischa faucht „Ihr Männer seid doch alle gleich. Benutzt uns nur. Mit dir fange ich an und sie kann dabei zugucken. Mit uns Frauen kann man das ja machen! Wenn ihr uns nicht mehr braucht, schmeißt ihr uns einfach weg, wie Müll!“

Mit einem gekonnten Griff von hinten an Silvanas Kragen dreht Alischa meine Perle wie eine Flamenco-Tänzerin um und schubst sie zur Seite, weshalb sie unglücklich gegen den Schrank fällt. Blut läuft über den Boden. In diesem Augenblick greife ich zur Espressokanne und schütte ihr den Rest des mittlerweile lauwarmen Kaffees ins Gesicht.

Alischa erschrickt kurz und als sie realisiert, dass der Kaffee nicht heiß ist, schaut sie mich noch wütender an und will mit dem Messer auf mich losgehen.

Verängstigt greife ich zur Pfanne, die noch auf der anderen Herdplatte steht, und hole einmal kräftig aus.

Benommen geht Alischa zwar zu Boden, will aber selbst von dort aus noch auf mich losgehen.

Dieses kleine Miststück ist ganz schön zäh, obwohl ich ihr ordentlich eine übergebügelt habe. Vielleicht sollte ich anfangen Gewichte zu stemmen, um beim nächsten Mal mit mehr Bumms zuschlagen zu können.

Glücklicherweise ist ihr das Messer aus der Hand gefallen und es gelingt mir, sie mit einem Hebelgriff zu überwältigen. Geistesgegenwärtig fessele ich diese verrückte Braut mit einer Kochschürze, bevor sie wieder auf dumme Gedanken kommt.

Gerade wirkte Alischa wie ein tollwütiger Hund und nun sieht sie so friedlich aus. Was ist eben bloß passiert, dass sie von einem auf den anderen Moment versucht, uns beide zu tranchieren? Sie kann doch nicht so mordlüstern werden, nur, weil ich nicht mit ins Schlafzimmer gekommen bin?

Mein Schatz Silvana zittert am ganzen Körper, weint völlig losgelöst während das Blut ihrer Platzwunde vermischt mit ihren Tränen ihre Wange hinunterläuft.

Ich nehme sie in den Arm und sage lobend „Schatz, du warst richtig tapfer eben. Ich habe gerade ziemlich komisches Zeug von mir gegeben.“

Sie dreht sich zu mir und ergänzt „Ja, das hast du. Ich dachte, ich bedeute dir was und dann wirfst du mich quasi vor einen fahrenden Bus.“

Wie komme ich nun aus dieser Nummer wieder raus? Während ich Silvanas Wunde versorge, starte ich verzweifelt gegenzuhalten und argumentiere „Valentina, mein Engel, das ist wie beim Fußball, rechts angetäuscht und links vorbei. Mehr habe ich damit nicht bewirken wollen.“

„Valentina? Wer ist denn nun Valentina?“, schreit sie und wirft mir unglaublich viele Dinge an den Kopf.

Ich wusste gar nicht, dass wir so viel Geschirr besitzen.

Dabei wollte ich sie doch nur beruhigen und nun ist es eine Grundsatzdiskussion. Wir können von Glück reden, dass die Situation eben noch einmal gut gegangen ist.

Und was bin ich bloß für ein Trottel? Da nenne ich im Stress meine Freundin einfach beim falschen Namen, wie kann mir das passieren? Wieso schwirrt Valentina da noch drin rum? Beschäftigt mich das Gespräch mit ihr vorhin doch mehr als ich zugeben mag? Und wie lange dauert das denn bis die Polizei da ist? Langsam reißt mir der Geduldsfaden.

„Silvana, jetzt hör endlich auf! Anstatt mich nur runter zu machen, wegen dem, was ich gesagt habe, wie wäre es mit einem einfachen Danke!?“, poltere ich los.

Daraufhin reagiert sie noch gereizter und kontert „Danke? Du spinnst total! Ich wäre eben fast gestorben…“

In dem Moment, und das nach einer gefühlten Ewigkeit, hört man Polizeisirenen. Endlich sind die Brüder in Blau da. Mit erhobener Hand gehe ich zur Haustür und sage nur zu ihr „Das klären wir nachher!“

Schwerbewaffnete Kollegen und mein Partner Massimo stürmen in meine offene Wohnung. Vermutlich hat mein Partner sie direkt hierher gelotst oder sie haben Silvana meckern hören.

In der Küche angekommen entdeckt Massimo sofort Alischa auf dem Boden. Er schaut zu den Kollegen rüber und befiehlt „Einpacken und Abmarsch.“

Danach dreht er sich zu mir und witzelt „Tedesco, da komme ich dich einen Morgen nicht zur Arbeit abholen und du lässt es gleich krachen.“

Als Alischa abgeführt wird, hat sie deutliche Blessuren von eben davongetragen.

„Tedesco, was hast du mit der denn gemacht? Draufgehauen wie auf eine Piñata?“, schmunzelt Massimo.

Diesen Spitznamen hasse ich und Massimo dazu, weil er einfach verdammt gutaussehend ist und ihm gefühlt alle zu Füßen liegen.

Genervt von ihm sage ich „Massimo, schick noch die Sanitäter und die Forensik in die Wohnung nebenan. Die sollen sich um den Kleinen kümmern und alles sicherstellen, was sie finden. Er hat hohes Fieber und eine blutende Wunde an den Rippen. Auf der Kommode liegen merkwürdige Dinge.“

Ohne zu zögern zitiert Massimo zwei der herumstehenden Beamten in die Wohnung von Alischa, um sich dem Ganzen anzunehmen. Danach bleibt sein Blick an Silvana hängen. Sie wischt sich die Tränen von den Wangen, spricht mit überschwänglicher Stimme als wenn nichts gewesen wäre „Hi Massimo!“ und grinst ihn dabei an. Er zwinkert ihr nur lässig zu.

Es ist ja nicht so, dass ich danebenstehe und ihr eben das Leben gerettet habe.

„Ich muss mal an die frische Luft. Braucht ihr mich hier oder kann ich kurz raus, Mass?“, sage ich.

„Nein, geh ruhig Tedesco. Ich regle das hier.“, beruhigt mich Massimo.

Durch das ganze Adrenalin zittere ich noch am ganzen Körper.

„Massimo, hast du zufällig eine Zigarette?“, erbitte ich. Er wirft mir einen skeptischen Blick zu und erwidert ernst „Seit wann rauchst du?“

Schroff frage ich nach „Seit wann bist du ein verdammter Arzt? Habe ich ganz vergessen Dottore Massimo. Hast du nun eine gottverdammte Fluppe für mich?“

Er greift in seine Jackentasche und holt seine Schachtel raus. Mit zittrigen Händen greife ich nach einer Zigarette und dem Feuerzeug aus der Packung. Nach mehreren vergeblichen Versuchen bekomme ich sie endlich an.

Ein kurzes Nicken als Dank, währenddessen reiche ich Massimo das Feuerzeug und gehe in Richtung Tür.

Vorsichtshalber nehme ich meine Dienstmarke von der Kommode auf dem Flur mit, falls ich nicht nochmal in die Wohnung komme.

Vom Treppenhaus ist einer der Sanitäter zu hören.

„Der Kleine muss so schnell wie möglich ins Krankenhaus. Ein Wunder, dass er so lange durchgehalten hat.“ Ein Glück habe ich so schnell gehandelt und den Notruf abgesetzt, denke ich mir als ich die Treppe runtergehe.

Unten vorm Haus nehme ich einen tiefen Zug von der Zigarette und gehe auf die andere Straßenseite, um noch mehr Abstand zu dem Geschehen zu erhalten. Meine Lungen füllen sich mit Rauch, mein Kopf fängt langsam an sich zu drehen und ich bemerke, wie sich mein Körper durch das Nikotin entspannt.

Durch das Küchenfenster beobachte ich Silvana und Massimo, wie die beiden in der Küche stehen und einen Kaffee trinken. Ihre Augen funkeln und sie hängt an seinen perfekt geformten Lippen, wenn er seine Geschichten erzählt.

Mit meinem leeren Blick mustere ich die nahgelegene Umgebung und die gaffenden Bewohner der umliegenden Häuser, bis ich von einem Anwohner wieder in die Realität geholt werde, der wie ein wildgewordenes Tier eine Katze von seinem Auto verjagt.

So ein Unmensch, schießt mir durch den Kopf.

Sauer schnippe ich die Zigarette auf dem Weg zu diesem Tierfeind weg.

Testosteronstrotzend und noch voller Adrenalin greife ich den Mann verbal ruppig an.

„Kann man Ihnen helfen?“

Der junge Mann erschrickt und antwortet darauf patzig „Was willst du denn? Erst sitzt diese bescheuerte Katze auf meinem Auto und macht alles dreckig und nun quatscht mich noch so ein komischer Vogel an. Erschießen sollte man das Vieh. Da das nicht genug ist, machen die bescheuerten Bullen die Straße dicht, weswegen ich zu spät zur Arbeit komme!“

Dabei gestikuliert er wild und posaunt mit erhobener Stimme, scheinbar um möglichst viele Menschen auf sein Leid aufmerksam zu machen. Seine goldene Uhr blitzt dabei unter seinem Ärmel hervor.

Provokant stelle ich meinen Fuß auf der Motorhaube ab und grinse ihn frech an.

In dem Moment, in dem der Mann anfangen möchte, sich lauthals zu beschweren, werfe ich meine Dienstmarke auf die Motorhaube.

Der Mann verstummt kurzzeitig. Als ich dann einen Schritt auf ihn zugehe, spüre ich einen Arm, der von hinten meine Schulter festhält. Massimo hält mich zurück, geht an mir vorbei und stellt sich unmittelbar vor diesen arroganten Schnösel. Er schaut ihm direkt ins Gesicht ohne eine Miene zu verziehen, ehe er sagt „Sehe ich noch einmal, dass du auf ein hilfloses Tier losgehst, bekommst du es mit mir zu tun.“

Als die Mundwinkel dieses Katzenfreundes nur zucken, höre ich bloß wie Massimos flache Hand aufschlägt. So schnell konnte ich gar nicht gucken, wie Massimo ihm eine Ohrfeige verabreicht hat.

Sichtlich geschockt und vor sich hin stammelnd, schwillt seine Wange mit dem roten Handabdruck an und Massimo ergänzt „Solltest du nur daran denken uns anzuzeigen, vergiss nicht, wir sind Polizisten. Emilio, du hast doch auch gesehen, wie sich dieser nette Herr der Überprüfung seiner Daten widersetzt hat?!“, erläutert mein Partner.

Ich nicke und ergänze „Ja, na klar habe ich das.“

Massimo fixiert den Typen mit den Augen und sagt zu mir „Wir müssen los aufs Revier.“

Wir drehen uns beide um und gehen ganz gelassen, so als ob uns Nichts und Niemand etwas anhaben könnte. Ich werfe ihm meine Autoschlüssel rüber und bitte ihn zu fahren.

„Ich bin noch zu aufgewühlt.“

Die Fahrt zum Revier dauert länger durch den zähen Verkehr. Nach einigen Minuten sagt Massimo ganz beiläufig „Der Wagen liegt gut auf der Straße. Du solltest mich öfter fahren lassen. Sorry, dass ich heute so spät dran war und dich nicht abgeholt habe. Das war eine abgefahrene Nacht gestern. Du weißt doch noch von der Party von meiner Nachbarin, auf die ich gehen wollte. Ich war dort und es war eine normale Feier, aber im Laufe des Abends ist die völlig eskaliert. Also so richtig. Die Leute haben getanzt und ordentlich getrunken. Bis einige ihrer Freundinnen anfingen sich auszuziehen. In kürzester Zeit ist aus dieser normalen Party eine Beachparty mit leichtbekleideten Frauen und Männern geworden. Einige standen drum herum, so wie ich, und feierten und einige haben sich die Klamotten vom Leib gerissen und sind übereinander hergefallen.“

Widerwillig höre ich mir Massimos Geschichte an, vielleicht wird es ja noch interessant.

Massimo erklärt ferner „Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte sein, dass deine kleine Nachbarin auch dort gewesen ist.“

Entgeistert schaue ich zu ihm rüber „Was hast du bitte auf einer Sexparty zu suchen?“

Aufbrausend antwortet Massimo „Heeey, ich brauche keine Sexpartys, um zum Schuss zu kommen. Also halt deine Fresse, du kleine Stinkmorchel. Ich wollte nur, dass du weißt, dass sie auch dort war. Die ist auch echt hart rangenommen worden von vier oder fünf Kerlen. Was war das eigentlich vorhin mit der Katze? Hast du nichts Besseres zu tun als den Leuten wegen einer dämlichen Katze auf den Sack zu gehen?“

Entnervt von der Situation schaue ich aus dem Fenster und erwidere nur „Vermutlich schon. Allerdings hasse ich ungehobelte Lackaffen. Jedes Tier hat Gefühle und sollte nicht wegen Nichts angefeindet werden.“

Die restliche Fahrt ins Büro schweigen wir uns an.

Dort angekommen wartet schon unser Vorgesetzter Capo Marone auf uns.

„Wunderbar, dass Sie beide es auch mal für sinnvoll erachten, sich hier blicken zu lassen. Sie sollten öfter herkommen, dann passiert Ihnen nicht so ein Desaster wie heute Morgen.“, resümiert der Capo.

Massimo greift mir auf die Sch2ulter und plaudert sichtlich amüsiert „Capo, Sie haben davon gehört? Haben Sie auch gehört, wie er die Kleine umgehauen hat? Bumm!“, dabei klatscht er in die Hände und fährt fort „Ausgeknockt mit einer Bratpfanne. Das hat er von mir. Die Pfanne hat nicht einmal eine Delle!“ und freut sich. „Capo, wenn ich dürfte, würde ich gerne Alischa befragen.“, bitte ich.

Capo Marone schüttelt den Kopf und entgegnet „Das muss leider warten. Der Kleinen haben Sie echt eine übergebügelt. Sie beide müssen erst einmal in die Via Martozzi, dort ist eine Tote aufgefunden worden. Sie sollen die Kollegen vor Ort unterstützen. Und sagen Sie meiner Frau nicht, wo Sie die Pfanne herhaben. Nicht, dass sie noch auf komische Gedanken kommt.“

Verzückt von der Tatsache, dass es ein weibliches Opfer ist, wirft mein Partner ein „Ich hoffe, sie ist nicht zu sehr entstellt! Ich hasse es, wenn sich Täter hemmungslos an hilflosen Frauen vergreifen. Dafür sind sie einfach zu begehrenswerte Geschöpfe.“

Zugegeben ist diese Aussage schon sehr zynisch. Trotz allem entlockt sie mir ein Lächeln.

Das ist Massimo wie er leibt und lebt.

Voller Vorfreude auf den Mordfall, schauen wir uns grinsend an. Dem Capo gefällt das nicht und er packt uns mit einem festen Griff an den Ohren.

„Sie werden sich benehmen, ist das klar!? Sie werden nur unterstützen und sich zurückhalten.“, donnert Capo Marone lauthals.

„Capo, wir benehmen uns, versprochen!“, versichern wir mit schmerzverzerrter Stimme.

Als der alte Griesgram uns loslässt, machen wir ein paar zügige Schritte, um uns von ihm zu entfernen und entgegnen nur „Capo, wir regeln das vor Ort. Machen Sie sich keine Sorgen.“

Sicherlich wird er uns Beine machen, sollten wir den Kollegen vor den Kopf stoßen.

Das wird von uns billigend in Kauf genommen, solange wir den Fall klären und einen Schurken weniger auf den Straßen von Mailand haben.

Es gibt einfach zu viele Halunken da draußen, die können wir nicht ungeschoren davonkommen lassen, nur, weil wir unsere Arbeit nicht richtig machen.

Unfall oder doch Mord

Am Unfallort eingetroffen, verhalten Massimo und ich uns vorerst unauffällig. Mit einem geschärften Blick schauen wir uns das Opfer und den Tatort an. Nichts entgeht unserem Spürsinn und jedes noch so kleine Indiz wird von uns wie von einem Schwamm aufgesaugt. Es ist wie ein großes Puzzle, was zusammengesetzt werden möchte.

Vom Opfer Allegra Como ist lediglich bekannt, dass sie 24 Jahre alt war und als Hostess und Model gearbeitet hat. Sie studierte seit Kurzem Mode und Kunst an der Universität. Erklärt, weshalb das junge Ding so viele Klamotten und Schuhe besaß.

In ihrem Schrank fällt mir allerdings auf, dass bei einem roten Paar High Heels der zweite Schuh fehlt.

Nebenbei hören wir den leitenden Beamten Dante mit den Kollegen plaudern, wie diese junge Frau als Unfall zu den Akten gelegt werden soll.

Daraufhin widerspricht Massimo ziemlich laut „Hey Tedesco, hol diese Armleuchter mal ab.“

Die ermittelnden Beamten schauen uns irritiert und gleichzeitig fragend an.

Ich nicke und fange an zu erzählen „Zugegeben, ihr seid keine Armleuchter, aber euch sind einige Sachen entgangen. Fakt ist, es ist niemand gewaltsam eingedrungen. Das bedeutet aber auch, dass Opfer und Täter sich kannten.“

Einer der Beamten widerspricht „Woher wollen Sie wissen, dass hier eine weitere Person war? Wir haben nichts gefunden, was darauf hindeutet. Die Nachbarn haben nichts gehört oder gesehen.“

Daraufhin ergänze ich „Die Wohnung sieht aus, als ob sie vor Kurzem aufgeräumt wurde. Welche Frau würde in so einem Aufzug die Wohnung putzen? Solltet ihr so eine kennen, würde ich sie gerne kennenlernen. Meine tut es jedenfalls nicht. Falls keiner von euch in den Mülleimer gesehen hat - dort ist eine leere Energy-Dose und auf der Spüle stehen zwei abgewaschene Gläser, was mich zum nächsten Punkt bringt. Anhand des Implantats an ihrem Oberarm können wir sehen, dass das Opfer Diabetes hatte. Energy-Drinks sollten solche Personen vermeiden. Ich vermute, dass ihr Besuch bereits die Nacht mit ihr verbrachte und sie heute Morgen scheinbar die falschen Worte wählte, was ihn aufgebracht hat. Fandet ihr es nicht komisch, dass die Frau nur ein leichtes Nachthemd anhat und ihre Unterwäsche bis zu den Knien runtergezogen ist?“

Die Beamten protestieren geschlossen gegen meine Aussage.

„Das Opfer war auf Toilette, ist doch klar.“

Ich entgegne den Kollegen „Da würde ich mitgehen. Allerdings würde sie nicht mit dem Kopf von der Tür weg liegen, sondern zur Tür zeigend. Sie wollte scheinbar vor ihrem Peiniger ins Bad flüchten, woraufhin er sie gestoßen hat und sie mit dem Kopf gegen das Waschbecken fiel. Am Waschbecken ist ein kleiner Haarriss zu sehen.

Sie starb aber nicht sofort, das erkennt man an den Blutspuren, die sie im Gesicht hat. Sie lag minutenlang in ihrem eigenen Blut und kämpfte um ihr Leben, bis sie es verlor. Die Frau muss wie gelähmt gewesen sein und der Täter hat dann anschließend noch versucht, sich an ihr zu vergreifen, was die Spuren zwischen ihren Schenkeln erklären könnte.“

Kopfschüttelnd entgegnet einer der Beamten „Wo haben Sie Verletzungen im Intimbereich feststellen können und was, wenn es kein Mann war?“

Mit einer Taschenlampe leuchte ich den besagten Bereich aus.

„Dieser Gewaltausbruch bringt mich zu dem Punkt, dass es einen sehr emotionalen Auslöser gegeben haben muss. Opfer und Täter müssen sich entsprechend nahegestanden haben. Ob Mann oder Frau ist tatsächlich eine gute Frage. Welche Frau könnte so viel Kraft aufbringen, dass unser Opfer so zu Boden geht?

Ich empfehle, im Schlafzimmer nach benutzten Kondomen oder ähnlichem zu suchen. Es würde mich nicht verwundern, wenn sich der Täter ebenfalls Verletzungen im Intimbereich zugezogen hat. In ihrem Kleiderschrank ist mir aufgefallen, dass ein roter High Heel fehlt. Eventuell ist der Schuh wie ein Andenken mitgenommen worden.“

Der beißende Geruch von geronnenem Blut liegt in der Luft und bei Temperaturen um gut 20°C verlangsamt sich der Verwesungsprozess nicht. Ihr Körper hat sich nach dem Tod entleert, wodurch die Verletzungen im Intimbereich kaum sichtbar sind.

Der Todeszeitpunkt konnte noch nicht genau definiert werden, da die Kollegen keinen Rechtsmediziner angefordert haben. Den Merkmalen am Leichnam zu urteilen, ist Allegra gestern in der Früh ermordet worden. Ein schreckliches Bild, das sich einem darbietet. Dieser leblose, kalte, steife Körper einer jungen, attraktiven Frau mit weit aufgerissenen Augen. Ihr langes, dunkles und gelocktes Haar verdeckt zum Teil ihre perfekt geformten Gesichtszüge. Eine große, dicke Haarsträhne ist blutdurchtränkt, weshalb sie, wie ein großer dunkler Fächer, ihrem Gesicht etwas Verwegenes verleiht.

Das Nachthemd bietet tiefe Einblicke auf ihre kurvige Silhouette. Lange, endlos wirkende und trainierte Beine geben noch mehr Klarheit.

Dieser Statur nach, muss sie neben dem Studium unglaublich viel Zeit mit Sport und Ernährung verbracht haben.

Besessen von Erfolg, am eigenen Blut erstickt.

Welch Ironie des Schicksals.

Innerlich trauere ich um Allegra. Ein junges Ding, das ihr Leben noch vor sich hatte und nur versuchte ihre Träume zu verwirklichen.

Wer hat dir das bloß angetan? Könntest du doch nur sprechen.

Selbst wenn ich die Augen schließe oder wegschaue, wird dieses grausame Bild nie mehr aus meinem Gedächtnis zu löschen sein.

Dieser Beruf hinterlässt womöglich dauerhaft psychische Spuren, selbst wenn er Spaß macht. Mir stellt sich die Frage, ob ich so etwas jahrelang mitmachen kann und wie Massimo es schafft, solche Tatorte seit Jahren zu inspizieren?

Kurz darauf kommt ein Beamter mit einer Videokamera und einer leeren Kondomverpackung um die Ecke.

„Boss, das habe ich im Schlafzimmer gefunden. Weit und breit keine Spur von dem Tape und den gebrauchten Kondomen.“

Massimo schaut die Beamten an und spricht mit einem befehlenden Ton „Wenn ihr das Tape findet, findet ihr den Täter. Untersucht auch die Gläser und die Matratze nach DNA-Spuren. Durchsucht den Müll der nahegelegenen Tonnen im Umkreis von 50m. Meist befinden sich die Schlüssel, um ein Rätsel zu lösen, vor der Nase. Vielleicht hilft uns das weiter. So Tedesco, Fall vorerst abgeschlossen. Wir müssen weiter. Hier ist noch eine Menge zu tun. Wenn ihr Hilfe braucht, meldet euch.“, winkt er die Beamten ab.

Wieder im Auto sitzend frage ich Massimo, wo wir so schnell hinmüssen. Ich bemerke, dass es etwas Ernsteres sein muss, da sich seine Kiefermuskeln bei der Frage anspannen und er die Augenbrauen tief ins Gesicht zieht.

Ruhig und mit seiner tiefen Superheldenparodiestimme vertraut sich Massimo mir an.

„Ich habe eine SMS von meiner Nichte bekommen. Familiendrama. Mehr weiß ich auch nicht und das beunruhigt mich.“

Nach diesen Worten versinke ich die Fahrt über in Gedanken.

Von meiner Familie weiß ich nicht viel.

Mein Vater hat kurz nach meiner Geburt meine Mama und mich sitzen lassen. Von ihm weiß ich nur, dass er für die Regierung gearbeitet hatte. War auch nur in einem regionalen Amt tätig. Einige Monate nachdem er uns verlassen hat, kam er tragisch bei einem Autounfall ums Leben.

Meine Ma hat schließlich versucht, uns alleine über die Runden zu bringen, wurde aber kurz nach der Trennung drogensüchtig und ist schließlich an einer Überdosis gestorben.