Die Russland-Expedition - Alexander Humboldt - E-Book

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Alexander Humboldt

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Beschreibung

Mit seiner Russland-Reise im Jahr 1829 erfüllt sich für Alexander von Humboldt ein Jugendtraum. Nach dem Südamerika-Unternehmen dreißig Jahre zuvor ist es seine zweite große Expedition - die bislang jedoch weitaus weniger bekannt ist.
Auf Einladung des Zaren Nikolaus I. bereist Humboldt die Weiten des eurasischen Kontinents bis an die chinesische Grenze. Mehr als 18.000 Kilometer werden er und seine Begleiter am Ende zurückgelegt haben. Während Humboldt die Natur erforscht - Berge und Gesteine, Tiere und Pflanzen und vor allem das Klima -, durchmisst er zugleich ein Imperium, das sich in einer Phase der Repression befindet. Von politischen Zwängen kann auch er sich nicht freihalten. Aus den Reisebriefen Humboldts an den russischen Finanzminister, an den Bruder Wilhelm und den Freund Francois Arago sowie dem Bericht seines Begleiters Gustav Rose hat Oliver Lubrich eine mehrstimmige Erzählung von dieser Expedition zusammengestellt. Sie vermittelt ein lebhaftes Bild des schon damals international berühmten Gelehrten, aber auch des einfühlsamen Bruders und Freundes.

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Alexander von Humboldt

DIE RUSSLAND-EXPEDITION

Von der Newa bis zum Altai

Herausgegeben von Oliver Lubrich

Mit einem Nachwort von Karl Schlögel

C.H.BECK textura

ZUM BUCH

Mit seiner Russland-Reise im Jahr 1829 erfüllt sich für Alexander von Humboldt ein Jugendtraum. Nach dem Südamerika-Unternehmen dreißig Jahre zuvor ist es seine zweite große Expedition – die bislang jedoch weitaus weniger bekannt ist.

Auf Einladung des Zaren Nikolaus I. bereist Humboldt die Weiten des eurasischen Kontinents bis an die chinesische Grenze. Mehr als 18.000 Kilometer werden er und seine Begleiter am Ende zurückgelegt haben. Während Humboldt die Natur erforscht – Berge und Gesteine, Tiere und Pflanzen und vor allem das Klima –, durchmisst er zugleich ein Imperium, das sich in einer Phase der Repression befindet. Von politischen Zwängen kann auch er sich nicht freihalten. Aus den Reisebriefen Humboldts an den russischen Finanzminister, an den Bruder Wilhelm und den Freund François Arago sowie dem Bericht seines Begleiters Gustav Rose hat Oliver Lubrich eine mehrstimmige Erzählung von dieser Expedition zusammengestellt. Sie vermittelt ein lebhaftes Bild des schon damals international berühmten Gelehrten, aber auch des einfühlsamen Bruders und Freundes.

ÜBER DIE AUTOREN UND DEN HERAUSGEBER

Alexander von Humboldt (1769–1859) war einer der weltweit bedeutendsten Naturforscher des 19. Jahrhunderts. Seine Neugier galt fast allen Gebieten der Naturwissenschaften. Zu seinen bekanntesten Schriften zählen Ansichten der Natur (1808), Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents (1814–1831) und der fünfbändige Kosmos (1845–1862).

Oliver Lubrich ist Ordinarius für Neuere deutsche Literatur und Komparatistik an der Universität Bern. Er leitet das Editionsprojekt «Alexander von Humboldt: Sämtliche Schriften (Aufsätze, Artikel, Essays)».

Karl Schlögel lehrte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2013 Osteuropäische Geschichte an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Seine Bücher wurden mit dem Preis des Historischen Kollegs («Historikerpreis») und dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

INHALT

VORBEMERKUNG

ERLÄUTERUNGEN ZU DEN VERWENDETEN MASSEN

KARTE

DIE RUSSLAND-EXPEDITION

NACHWEISE

FORSCHER IN FÜRSTENNÄHE: HUMBOLDT IN SIBIRIEN (Von Oliver Lubrich)

Reisen unter Bedingungen

Auswege im Schreiben

Mehrstimmigkeit

Postskript

Literatur

Alexander von Humboldt

Weitere Primärtexte

Forschungsliteratur

ALEXANDER VON HUMBOLDTS EURASISCHE REISE IM JAHRE 1829 (Von Karl Schlögel)

Die Route der Expedition

Reise als Raumbewältigung

Die Karte des Imperiums

Auf Humboldts Spuren. Neukartierung

Literatur

«Einfach verschwinden, sagte Humboldt, am Höhepunkt des Lebens aufs Kaspische Meer fahren und nie zurückkommen?»

Daniel Kehlmann,Die Vermessung der Welt (2005)

In seiner Jugend formulierte Alexander von Humboldt die Einsicht, dass «Fürstennähe auch den geistreichsten Männern von ihrem Geiste raubt». Dieser Satz steht in einer «Erzählung», die er 1795 in Schillers Zeitschrift Die Horen veröffentlichte: Die Lebenskraft oder der Rhodische Genius. Als Humboldt dreieinhalb Jahrzehnte später das Reich des Zaren Nikolaus I. bereiste, begab er sich selbst in eine gefährliche «Fürstennähe». Und seine jugendliche Warnung wurde in Russland zensiert. In den Übersetzungen seiner Erzählung wurde der kritische Satz entweder entschärft oder gestrichen. In der russischen Fassung aus dem Jahr 1829, dem Jahr seiner Expedition nach Sibirien, heißt es lediglich noch, dass «beim Besuchen der großen Welt nicht selten das Talent seinen Zauber verliert»; und in der Fassung von 1856 wurde der Satz sogar ganz unterschlagen. Von Fürstennähe ist keine Rede mehr – nachdem sie sich als prekär herausgestellt hatte. Humboldts einziger fiktionaler Text spiegelt so sein russisches Drama – ein Drama zwischen Wissenschaft und Politik. Von ihm handeln die Zeugnisse seiner russischen Reise.

VORBEMERKUNG

Alexander von Humboldts russisch-sibirische Reise im Jahr 1829 wird im Folgenden durch eine Montage aus verschiedenen Quellen dokumentiert. Wir hören zwei Stimmen: Alexander von Humboldt und seinen Reisebegleiter Gustav Rose, die Reisebriefe des einen und den Reisebericht des anderen. Humboldt wiederum schreibt in zwei Registern, einem offiziellen und einem privaten. Denn er korrespondierte während der Expedition mit zwei Gruppen von Personen: auf der einen Seite mit dem russischen Finanzminister Graf Georg von Cancrin, der sein Projekt finanzierte, und dessen Frau sowie mit dem preußischen Gesandten in der russischen Hauptstadt, General Baron von Schöler; auf der anderen Seite mit seinem Bruder Wilhelm in Berlin und dem Freund François Arago in Paris. Autor und Adressat werden hier jeweils am Rand wie folgt ausgewiesen:

An Cancrin

Alexander von Humboldt an Graf Georg von Cancrin

An Gräfin Cancrin

Alexander von Humboldt an Gräfin Ekaterina Zacharovna von Cancrin

An Schöler

Alexander von Humboldt an Baron Friedrich von Schöler

An Wilhelm

Alexander von Humboldt an Wilhelm von Humboldt

An Arago

Alexander von Humboldt an François Arago

Rose

Gustav Rose, Reise nach dem Ural, dem Altai und dem Kaspischen Meere

Orthographie und Interpunktion entsprechen jenen der zugrunde liegenden Ausgaben. Kürzungen sind durch Auslassungszeichen gekennzeichnet (mit Ausnahme entfallener Fußnoten und Seitenverweise). Hervorhebungen und typographische Auszeichnungen werden kursiv wiedergegeben. Wo im Original französische Texte (einige der privaten Briefe) deutsche Begriffe enthalten, werden diese in der Übersetzung mit einem Stern* gekennzeichnet.

ERLÄUTERUNGEN ZU DEN VERWENDETEN MASSEN

Elle, Längenmaß

Länge des Unterarms

Faden, nautisches Tiefenmaß

6 Fuß

Fuß, englischer

30,48 cm

Fuß (pied), Pariser

32,48 cm

Kopeke, russische Währungseinheit

1/100 Rubel

Kölnische Mark, Massemaß

233,85 g

Lachter, Längenmaß im Bergbau

Spannweite der Arme

Meile (lieue), französische

4452 m

Pfund, Massemaß

vor 1858 variierend

Pud, russisches Massemaß

16,38 kg

Rubel, russische Währungseinheit

100 Kopeken

Schritt, deutsches Längenmaß

70 bis 80 cm

Slotnik, russisches Massemaß

4,27 g

Toise, französisches Längenmaß

1,95 m

Wedro, russischer Eimer

12,3 l

Werst, russisches Längenmaß

1066,8 m

Zoll (pouce), französisches Längenmaß

ca. 2,7 cm

(Gerundete Angaben, v.a. nach: Helmut Kahnt/Bernd Knorr, Alte Maße, Münzen und Gewichte, Mannheim u.a.: Bibliographisches Institut, 1987.)

Zu den Datumsangaben:

«alter Stil»:

julianischer Kalender (in Russland gültig bis 1918)

«neuer Stil»:

gregorianischer Kalender (in Preußen und Westeuropa gültig)

Die Differenz betrug 1829 12 Tage, der 18. Mai «neuen Stils» entsprach also dem 6. Mai «alten Stils».

KARTE

DIE RUSSLAND-EXPEDITION

Rose

Um den Leser mit dem genau bekannt zu machen, was die Veranlassung zu unserer Expedition gab, schalte ich hier mit der Erlaubniss des Herrn v. Humboldt aus der historischen Einleitung seines noch ungedruckten astronomischen und magnetischen Tagebuchs Folgendes ein:

«Ich glaube die Dankbarkeit, die ich dem erhabenen Monarchen, auf dessen Befehl ich die Reise in das asiatische Russland unternommen und ausgeführt habe, nicht auf eine würdigere Weise an den Tag legen zu können, als indem ich einfach erzähle, was diese Reise veranlasste und wie edel und freisinnig die Mittel zu Erreichung wissenschaftlicher Zwecke dargeboten wurden. Im Sommer des Jahres 1827, als ich eben erst nach einem langen Aufenthalte in Frankreich in mein Vaterland zurückgekehrt war, wurde ich von dem Kaiserlich Russischen Staats- und Finanz-Minister, Herrn Grafen von Cancrin aufgefordert, ihm meine Ansichten über den Nutzen einer baldigst in Curs zu setzenden Platin-Münze aus den Erzeugnissen des Urals und über das gesetzliche Verhältnis des Werthes dieser Münze zu einem der beiden anderen edeln Metalle mitzutheilen. Ich war schon in früherer Zeit von dem spanischen Gouvernement officiell veranlasst worden, denselben Gegenstand zu bearbeiten; auch wurde, während des Wiener Congresses, von Privatpersonen den versammelten Monarchen der Antrag gemacht, aus dem amerikanischen Platin eine in allen Staats-Cassen anzunehmende Münze schlagen zu lassen. Die Besorgnisse, die ich dem Grafen von Cancrin im Herbste des Jahres 1827 äusserte, sind (und es ist mir eine besondere Freude, es hier aussprechen zu müssen) durch mehrjährige Erfahrung, bei sehr gemässigter Emission der Platin-Münze und bei der weiten Ausdehnung des Kaiserreichs, nicht gerechtfertigt worden: indessen hatte die freimüthigste Discussion über eine wichtige staatswirthschaftliche Frage nicht das ehrenvolle Vertrauen gemindert, das mir geschenkt war. Kaum hatte ich, in dem Laufe jenes Briefwechsels, der Hoffnung erwähnt, so bald es meine Lage gestatten würde, auf einer Sommerreise den Ural zu besuchen, dessen geognostische Constitution gewiss viele Vergleichungspuncte mit der Andes-Kette von Neu-Granada darbieten müsse, als ich bereits (unter dem 5./17. Dec. 1827) durch den Herrn Finanz-Minister, der unablässig so viele wissenschaftliche Unternehmungen und Institute in das Leben gerufen hat, von den allerhöchsten Befehlen Sr. Maj. des Kaisers Nicolaus in Kenntniss gesetzt wurde, laut deren meine Reise, in grösserer Ausdehnung und nach den sorgfältigsten Vorbereitungen, auf alleinige Kosten der Krone, ausgeführt werden sollte. Diese Nachricht erweckte in mir auf das lebhafteste die alte, angeborene Reiselust. So sehr ich mich aber auch freute, wieder auf einer Landreise einen so grossen Erdstrich zu durchwandern, so konnte ich doch wegen des Wunsches meine öffentlichen Vorlesungen über die physische Weltbeschreibung im Winter und Frühjahr 1828 zu vollenden, nicht sogleich von jenen grossartigen, meine Freiheit übrigens auf keine Weise beschränkenden Anerbietungen Gebrauch machen. Die Bitte um Aufschub fand leicht Gehör und der Herr Graf v. Cancrin schrieb mir unter dem 8./20. März 1828, Sr. Kaiserl. Majestät habe durch eigenhändige Confirmation genehmigt, dass es ganz von meinem eigenen Ermessen abhangen solle, die Expedition nach dem Ural-Gürtel und nach Tobolsk erst im Jahr 1829 anzutreten und meine gelehrten Freunde die Professoren Ehrenberg und G. Rose als Begleiter mitzubringen; auch bleibe mir selbst überlassen, ob ich in den nächstfolgenden Jahren meine Excursionen nach dem Ararat oder anderen südlichen Gegenden Russlands ausdehnen wolle. Für die Sicherheit und Schnelligkeit der zu unternehmenden Reise hatte der Herr Finanz-Minister mit der zartesten Sorgfalt die zweckmässigsten Veranstaltungen getroffen. Ein eigenes mir im Winter 1829 kurz vor meiner Abreise von Berlin zugesandtes Pro Memoria enthielt die Bestimmungen über die für die Expedition bereits angefertigten Wagen, über die Zahl der Postpferde auf jeder Station (meist 15 bis 20), über die Wahl eines Feldjägers oder Couriers, über die geräumigen Wohnungen, die überall in Bereitschaft gehalten werden sollten, über die militärische Bedeckung, wo sie der Gränze nahe erforderlich wäre u.s.w. Ein sehr ausgezeichneter Bergbeamte, zweier Sprachen, der deutschen und französischen, gleich mächtig, sollte uns auf der ganzen Reise begleiten, und ich erfülle eine angenehme Pflicht, indem ich diesem unsern Begleiter, dem Herrn Oberhüttenverwalter, jetzt Berghauptmann von Menschenin, hier den Ausdruck meines Dankes öffentlich erneuere.

Das Pro Memoria, dessen ich eben erwähnte, schloss mit den denkwürdigen Worten: es hängt ganz von Ihnen ab, in welchen Richtungen und zu welchem Zwecke Sie diese Reise ausführen wollen; der Wunsch der Regierung ist einzig der, den Wissenschaften förderlich zu sein. So viel Sie können, werden Sie dabei dem Bergbau und dem Gewerbfleisse Russlands Nutzen schaffen. – Solche edle Anerbietungen, und sie wurden alle auf einer langdauernden Reise von 14.500 Wersten (über 2.000 geographischen Meilen) erfüllt, darf ich schon deshalb nicht mit Stillschweigen übergehen, weil sie auf eine erfreuliche Art das Zeitalter charakterisiren, in dem wir leben. Die Gunst, welche dem stillen Treiben des Einzelnen gespendet wird, strahlt von der Höhe der Wissenschaft auf ihn herab. Sie ist der lebendige Ausdruck der Achtung, die ein mächtiger Monarch dem fortschreitenden Wissen und dem wohlthätigen Einfluss dieses Wissens auf den Wohlstand der Völker schenkt. Unter den mannigfaltigen Zeichen des Wohlwollens, die ich dem Kaiser Nicolaus verdanke, ist es mir besonders wichtig, hier auch des Anerbietens einer neuen Reise zu erwähnen, welches mir unter dem 14./26. Februar 1831, also kaum sechzehn Monate nach der Rückkehr von dem kaspischen Meere, auf Befehl Sr. Majestät gemacht wurde. Ich sollte die Wahl haben, entweder bloss Finnland oder, wenn ich den Süden vorzöge, den Kaukasus zu besuchen. Dieser Befehl, dem ich leider nicht Folge leisten konnte, hat mich von dem Gefühle durchdrungen, dass die Bestrebungen meiner Freunde und die meinigen einer Nachsicht gewürdigt worden sind, auf die wir nur durch die pflichtmässigste Anstrengung unserer Kräfte einigen Anspruch machen durften.»

So weit Herr von Humboldt.

*

Rose

Ich habe die Sibirische Reise wohl unter den günstigsten Verhältnissen gemacht, unter denen man so grosse Länderstrecken des östlichen Europa und nördlichen Asiens durchwandern kann. Ueberall war für ein möglichst schnelles Fortkommen auf das zweckmässigste gesorgt; auf allen Berg- und Hüttenwerken wurden wir erwartet, gleich nach unserer Ankunft mit allem Sehenswerthen bekannt gemacht und auf den Exkursionen von den Beamten der Werke auf das gefälligste begleitet. Auf diese Weise blieb uns keine Zeit ungenutzt, wir konnten die Gegenstände viel schneller kennen lernen, als unter andern Umständen möglich gewesen wäre, und haben so in dem kurzen Zeitraum von noch nicht 6 Monaten[1] den Ural auf fast 9 Breitegrade von Bogoslowsk bis Orsk, und den Altai von Barnaul bis zur mongolisch-chinesischen Gränze am Irtisch bereist; wir haben Astrakan besucht und das kaspische Meer beschifft. Bei der grossen Schnelligkeit, mit der diese Reise ausgeführt werden musste, um nicht von dem Winter ereilt zu werden, konnten freilich zusammenhängende geognostische Untersuchungen nicht angestellt werden, wir mussten uns mit allgemeinen Uebersichten begnügen.

*

Rose

Wir verliessen Berlin den 12ten April 1829, Abends um 11 Uhr, Herr von Humboldt, Herr Ehrenberg und ich, in zwei Wagen, da eine Reise durch das nördliche Asien einen Apparat von astronomischen und physikalischen Instrumenten, von Büchern und Vorrichtungen zu chemischen Versuchen und naturhistorischen Sammlungen nothwendig machte. Die Abreise war anfangs etwas später, nämlich in den ersten Tagen des Mai’s festgesetzt, die Nachricht aber, dass Se. Majestät der Kaiser von Russland schon in diesen Tagen Petersburg verlassen und zur Krönung nach Warschau reisen würde, hatte sie beschleunigt.

In Berlin war schon seit längerer Zeit milde Frühlingswitterung eingetreten, und so hofften wir ohne Aufenthalt nach Petersburg zu kommen, aber wir erfuhren bald, dass wir gerade die schlimmste Zeit zu einer nordischen Reise hatten wählen müssen. Schon den folgenden Tag trafen wir Schnee an, der, im Schmelzen begriffen, die Wege verdarb, und später hatten wir das Ungemach, fast alle Flüsse, die wir zu passiren hatten, im Eisgange anzutreffen. Dieser musste nun bei allen erst abgewartet werden, wodurch unsere Reise ausserordentlich verzögert wurde.

In den ersten Tagen hatten wir indessen diese Uebelstände noch wenig empfunden. Die grosse Kunststrasse, die bis nach Königsberg führt, war durch den thauenden Schnee nicht sehr verdorben, und in Dirschau, wo wir am 14ten in der Frühe ankamen, fanden wir die Weichsel schon seit acht Tagen offen, und konnten daher mit der Fähre ohne Aufenthalt übersetzen. Das Wasser stand sehr hoch, es hatte in den Niederungen bei Danzig die Dünen durchbrochen und grossen Schaden angerichtet. Zwei Meilen weiter setzten wir über den zweiten Arm der Weichsel, die Nogat, jenseits welcher Marienburg liegt. Die Besichtigung des alten Schlosses der deutschen Ritter, das jetzt im ursprünglichen Style hergestellt ist, gewährte uns einige Stunden frohen Genusses. Jenseits Marienburg bis Elbing fanden wir wieder die ganze Gegend zu beiden Seiten der Strasse so überschwemmt, dass diese nur wenig aus der alles bedeckenden Wassermasse hervorragte.

Wir erreichten Königsberg am 15ten Morgens und verlebten dort zwei sehr angenehme Tage in der Erneuerung alter Bekanntschaften und in der Anknüpfung von neuen.

*

An Wilhelm

Königsberg, den [5./] 17. April 1829.

Meine Reise, mein teuerer Bruder, ist überaus leicht und glücklich gewesen. Wir sind gestern Morgen um 8 Uhr hier angekommen, nachdem wir alle 4 Nächte durchreist, und Oberpräsident v. Schön in Marienburg 6 Stunden vergeblich erwartet haben. Die ungeheuere Ueberschwemmung hat ihn wahrscheinlich gehindert, von Marienwerder herüberzukommen. In Marienburg haben wir alle Herrlichkeiten unter der Anleitung eines pedantischen Predigers gesehen. Der Weg von Berlin hierher ist im ganzen vortrefflich gewesen, einige Meilen Schnee und Eisdecke abgerechnet. Auch sind wir in der Tat recht schnell gereiset, da wir oft gegessen, und wegen der Haspen eines aufgeschrobenen Koffers (an Ehrenbergs Wagen) uns 3 Stunden haben aufhalten müssen. Hier lebe ich ganz mit dem so lebendigen und liebenswürdigen Bessel, auf der von Dir erbauten Sternwarte, ich mache noch heute Morgen magnetische Beobachtungen mit ihm. Er hatte gestern alle Gelehrten zu Tische gebeten. Hier finde ich alle Unterstützung zum Weiterreisen bei dem Hofpostmeister Pfützer. Ich kann erst diese Nacht weiter reisen, da, nach Nachrichten von Memel, der Meerespaß heute und morgen, da er nicht mehr hält, aufgeeist wird. Vielleicht werden wir noch auf der letzten Station der Nehrung (in Schwarzort) Aufenthalt finden, wenn etwa das aufgeeiste Haff noch zu große Schollen triebe. Auf der Weichsel fanden wir eine sehr gefahrlose Ueberfahrt. Meine Gesundheit ist vortrefflich, die Reisegesellschaft freundlich, und wir haben die 4 Kubikfuß Medikamente von Ehrenberg noch nicht angebrochen. Ich umarme Dich zärtlichst, teuerer Bruder, und bin stündlich mit Dir und Deiner künftigen Lage beschäftigt. Umarme Carolinchen und Hermann und schreibe 3 Zeilen meinem verehrten Freunde General Witzleben, um ihm den Tag meiner Abreise von hier zu melden. Ich werde gewiß außer Dorpat (1 Tag) alle Zögerung vermeiden.

*

Rose

Vier Meilen hinter Memel verlässt man das Preussische Gebiet, die erste Russische Gränzstadt ist Polangen; die Befehle des Russischen Finanzministers, Grafen von Cancrin, uns ungehindert passiren zu lassen, waren längst angekommen, wir konnten also, nachdem wir eine Podoroschna, oder einen Erlaubnissschein mit Postpferden reisen zu können, gelöst hatten, unsere Reise sogleich fortsetzen. Bei dem Dorfe Schrunden setzten wir den Abend des folgenden Tages über die Windau; der Eisgang war hier schon vorüber, aber das hohe Wasser und die schlechten Ufer, die durch den Eisgang sehr beschädigt waren, erschwerten sehr die Ueberfahrt. Eben so hielt uns den folgenden Tag ein kleiner Fluss, die Schwete auf, über welchem die Brücke zwar noch stehen geblieben war, doch wie eine Insel in einem weiten See hervorragte. Mit dem Ungemach der bösen Wege kämpfend wurden wir durch die gastliche Freundlichkeit des Herrn Starosten von der Ropp auf Paplacken (zwischen Tadaiken und Oberbartau) überrascht, der uns durch seinen jüngern Sohn, einen muntern Knaben, Erfrischungen schickte.

*

Rose

Die Ueberfahrt über die Aa am Morgen des 24sten ging trotz des hohen Wassers recht gut, schwieriger war die Ueberfahrt bei Riga über die Düna, die noch im Eisgange begriffen war. Die Wagen wurden einzeln in grosse Boote geladen, auf denen wir mit vollen Segeln immer zwischen den Eisschollen durchsegelten. Riga hat das Ansehn einer alten Hansestadt mit seinen hohen Giebelhäusern, schmalen Strassen und dem Leben auf denselben. Erst am Nachmittage konnten wir Riga verlassen; wir fuhren durch die weitläuftigen Festungswerke und die Vorstädte, die neu sind, da sie bei der Belagerung von 1812 ganz abgebrannt waren, und kamen in der Nacht glücklich über die kleine Aa, worauf wir, ohne weiter durch übergetretene Flüsse aufgehalten zu werden unsern Weg bis Dorpat weiter fortsetzten. Wir erhielten jetzt eine Probe von der Schnelligkeit, mit der man in Russland reist. Herr General v. Schöler in Petersburg hatte uns einen Courier entgegengesandt, der uns in Riga schon erwartet hatte und nun vor uns die Pferde auf den Stationen bestellte; so legten wir die 239 Werste von Riga nach Dorpat, trotz der sehr schlechten Wege in 33 Stunden zurück. Es war uns lieb durch diese Gegend recht schnell zu reisen; sie ist uninteressant, sandig und zum Theil mit Fichtenwaldung bedeckt.

*

An Wilhelm

Narva, den [12./] 29. April 1829.