Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden (Ein Gothic Klassiker) - Friedrich Motte de la Fouqué - E-Book

Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden (Ein Gothic Klassiker) E-Book

Friedrich Motte de la Fouqué

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden - Ein Gothic Klassiker" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Freylich gehören sie auch mit zu den abgelegensten Inselmännern in der Welt. Auch war es bey ihnen ein Recht für die Vornehmsten, daß sie mit den Fremden zuerst verkehren durften: theils, damit die Ankömmlinge nicht durch ungestümen Überlauf belästigt würden, und auch falls sie Kaufleute wären, nicht etwan Unerfahrnen ihr Gut im übertheuernden Handel schmälerten, weßhalb man denn gleich wegen der Preise einig ward. Theils aber auch sollten die Reisenden bey schneller Abfahrt die Ehrbarsten des Eilandes im Angedenken behalten, und in der Fremde lauter Gutes zur Ehre von Island erzählen. Jedermann setzt gern den besten Fuß vor! sagt ein altes Sprichwort, und unsere alten isländischen Stammesgenossen haben es recht wohl gekannt. Wie nun dem Thorstein das Pferd herausgeführt wurde, sagte er zu Frau Jofridur, die mit den Kindern vor die Thüre trat, ihn aufsitzen und wegreiten zu sehen - das pflegt so immer in fröhlichen Haushaltungen eine hübsche Sitte zu seyn, wenn der Hausvater in den Sattel steigt; "Jofridur," sagte er, "nun sind ja die Fremden vermuthlich wohl dennoch angekommen, welche der Traum seit einigen Nächten mir angemeldet hat. Richte nur ja auf's Neue recht wacker und reichlich zu!"" Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843) war einer der ersten deutschen Dichter der Romantik.

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Friedrich de la Motte Fouqué

Die Saga von dem Gunlaugur genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden (Ein Gothic Klassiker)

Eine Islandskunde des 11. Jahrhunderts

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-2719-1

Inhaltsverzeichnis

Buch I.
Erstes Kapitel.
Zweytes Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Eilftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreyzehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebenzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Ein und zwanzigstes Kapitel.
Zwey und zwanzigstes Kapitel.
Drey und zwanzigstes Kapitel.
Vier und zwanzigstes Kapitel.
Fünf und zwanzigstes Kapitel.
Sechs und zwanzigstes Kapitel.
Sieben und zwanzigstes Kapitel.
Acht und zwanzigstes Kapitel.
Neun und zwanzigstes Kapitel.
Buch II.
Erstes Kapitel.
Zweytes Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Eilftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreyzehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebenzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Ein und zwanzigstes Kapitel.
Zwey und zwanzigstes Kapitel.
Drey und zwanzigstes Kapitel.
Vier und zwanzigstes Kapitel.
Fünf und zwanzigstes Kapitel.
Sechs und zwanzigstes Kapitel.
Sieben und zwanzigstes Kapitel.
Buch III.
Erstes Kapitel.
Zweytes Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Eilftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreyzehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebenzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Ein und zwanzigstes Kapitel.
Zwey und zwanzigstes Kapitel.
Drey und zwanzigstes Kapitel.
Vier und zwanzigstes Kapitel.
Fünf und zwanzigstes Kapitel.
Sechs und zwanzigstes Kapitel.
Sieben und zwanzigstes Kapitel.
Acht und zwanzigstes Kapitel.
Neun und zwanzigstes Kapitel.
Dreyßigstes Kapitel.
Letztes Kapitel.

Anruf.

Kehr' wieder mir in stiller Feyerstunde, Du traute Freundinn, ernste Islandskunde: Aus Gräbern tauchend halbverschollner Welt, Vom Abendglanz die bleiche Wang' erhellt, Die Stirne kranzumweht, und Räthsellieder – Wie Bienen Dich umsummend – kehre wieder! Ich blieb im wechselreichem Leben – neu Mit jedem Schritt – Dir, ernste Freundinn, treu. Und ob nicht stets Dir meine Lieder klangen, Du weißt, mich hielt Dein Lieben fest umfangen, Und glüh'nder stets in manchen Wunderschrein Uralter Sagen blickt ich still hinein. Da hast Du auch viel Schönes mir erschlossen! Hast mir erweckt viel herrliche Genossen Auf Haiden, Klippen und holdblüh'nder Flur! Manch Einen sah ich! Mancher And're nur Flog tönend mir vorbey auf Nebelwegen, Und rief, den Nahmen hüll'nd, mir Klang entgegen. Von Solchem ward die Saga mir gebracht, Die jetzt ich aufruf' aus der dunkeln Nacht. Sie schlief urlängst als trüber Nächte Beute. Nun sprech' ich kühnlich: Saga! Jungfrau! Heute Sollst neu ersteh'n Du, stark und freudiglich! In Deiner Mutter Nahmen ruf' ich Dich, Der altgefeiten, reichen Islandskunde! Auch Du mit andern Schwestern viel im Bunde Steig' neu empor, und such Dir manch ein Herz, Noch jung und stark und mild für Lust und Schmerz. Vor Allen aber weih' ich Dich den Treuen, Die jetzt auf Island Islandskund' erneuen, Und mich fernher beriefen sich zum Bund, Schweb' hin! Thu ihnen Dank und Liebe kund Von dem, der neu Dich hat erweckt in Tönen, Verständlich allen echten Nordlandssöhnen. – Die ernste Mutter winkt Dir. »Steig herauf!

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Thorstein hieß ein Mann auf der Insel Island. Sein schönes und festes Gehöfte war Borg geheißen; in der jetzigen deutschen Sprache würde man es Burg benennen, und mit seiner hohen geräumigen Flurhalle, seinen mannigfachen Gemächern, sammt der hohen Verwallung von mächtigen Balken, welche Haus und Vorrathkammern und Stallungen schirmend einhegte, möchte es wohl auch ganz recht so geheißen seyn. Borgarfiörde nannte man die unferne Meeresanfurth und auch die nächste Gegend bey diesem reichen und starken Hause. Der Gau im Ganzen aber hieß Myr, und als die Vornehmsten darin trugen die Leute von Thorsteins Geschlecht den Nahmen Myramannen.

Thorstein hatte eines stürmigen Herbstabendes seine Stelle auf dem Hochsitz der Halle eingenommen, und noch außer dem Herdesfeuer mußten seine Knechte eine frischleuchtende und angenehm wärmende Gluth in Mitten der Bänke unterhalten, die rechts und links des Hochsitzes, einander gegenüber, an beyden Seitenwänden der Flurhalle befestigt waren, und worauf die Gäste bey fröhlichen Mahlen zu sitzen pflegten. Heute zwar ließ noch kein Gast sich blicken, aber der Hausherr mußte wohl Fremde erwarten, denn die Hausfrau ging fleißig mit ihren Mägden hin und wieder, allerhand Gutes und Erquickliches an Speise und Trank bereitend; ihre Kindlein, deren sie unterschiedliche hatte, standen ihr fröhlich gehorsam bey. Jofridur hieß die Hausfrau, und war ein schönes, muthbegabtes Weib, ihrem Hausherrn von ganzer Seele zugethan, und immerdar edel entschlossen zu allem Guten und Schönen, wo es etwas zu dulden, oder zu berathen oder zu unternehmen gab.

Da sie nun Alles für heute besorgt hatte, wie es sich zu einem edlen Feste eignete und gebührte, winkte sie die Kinder etwas abseit, setzte sich neben ihrem Eheherrn auf dem Hochsitz, und sagte freundlich:

»Thorstein, das ist doch aber nun beynahe zu arg. In die dritte Nacht gehet es, daß Du anrichten lassest, als ob uns aufgegeben wäre, ein ganzes Heldengefolge zu bewirthen, und kommt dennoch kein einziger Gast zu uns herein. Ey, Thorstein, was lassest Du Dich denn von so lügenhaften Träumen bewältigen! Einem tapfern Manne geziemt es, daß er ächte und wahrhafte Träume habe! Träume, die zutreffen! Andere dürfen gar nicht an ihn heran. Und bisher bin ich auch das an Dir gewohnt gewesen. Mein erster Eheherr, der edle Thoroddur hatte auch immer sehr richtige Träume.«

»Jofridur,« entgegnete Thorstein lächelnd, »davon kannst Du Dir wohl nicht mehr so viel besinnen. Achtzehn Winter zähltest Du, hübsche Blume, als ich Dich ehlichte, und dazumahl warest Du schon Thoroddurs Wittib, und hattest ihm bereits die kleine Hungerda geboren. Da möchte ich nun gerne wissen, wie ein kaum erwachsenes Kindchen, als welches Du doch zum erstenmahle geheirathet hast, von richtigen Träumen wissen will. Die bestätigen sich gewöhnlich immer nur sehr spät in ihrer ganzen Kraft. Und Du sollst schon noch erleben, Jofridur, daß die Fremden kommen werden, von denen es mir geträumet hat; auch daß sie bey uns überwintern, und uns ein wichtiges Gastgeschenk hinterlassen, wann sie am nächsten Frühlinge wieder fortschiffen. Sey es nun eine Waffe, ein Kleinod, ein Buch oder eine Weissagung – das weiß ich noch nicht so recht. Ich weiß auch nicht, ob Trauriges oder Lustiges daraus wird. Aber gewaltig muß es mitwirken an unserem zukünftigen Lebenshimmel; das weiß ich gewiß.«

»Das weißt Du gewiß, Thorstein?« sagte Jofridur; und es trat ihr fast wie Thränen in die Augen, weßhalb sie die schattigen Wimpern tief gegen den Estrich senkte. Denn sie war in der Regel viel zu hochmüthig zum Weinen. D'rum hub sie auch alsbald die großen blauen Augen stolz wieder empor, und sagte halbsingend:

»Komm', was da kommen will! Königinnen kämpfen, wie Könige! Wenn nicht auch mit Waffen und Wehr, Weben sie geistig Walkürengewebe zum Sieg!«

Darauf lachte sie. Aber Thorstein lachte nicht mit. Dem schienen die Bilder sehr wundersamer künftiger Geschichten vor dem Geiste vorüberzugehen. Und er sang ihr entgegen, und viel lauttönender, als sie es gewagt hatte:

»Könige schützen im Kampfe Königinnen! Komme, was kommen will – der Kampf bringt Lust. Weben aber die Weiber mit ein, Die weben den Helden oft weichlich Gewaffen zum Weh!« –

»Du singst kein hübsches Lied heute Abend, Thorstein!« – sagte schaudernd Jofridur.

Und Thorstein erwiederte mit schwermüthigem Lächeln. »Da möcht' ich doch wissen, wer ein Sangesgewebe hübscher und lustiger flechten kann, als die unsichtbaren Gewalten es ihm bescheeren, mit welchen er zu schaffen hat.« –

»Das ist wahr!« sagte Jofridur. «Wohl auch ich habe so Wunderliches singen müssen, was ich eigentlich nicht wollte. Und weißt Du, Thorstein –?«

Sie verstummte, und sahe nach einigen halbverloschenen Gebilden hin, die an den dunkeln Holzwänden der Halle seit alten Tagen mit Streitäxten eingehauen waren, oder mit Messerspitzen eingegraben.

»Ich weiß schon, was Du meinst, Jofridur!« sagte Thorstein sehr ernst. »Aber mein Weib muß sich vor Niemanden fürchten, sichtbar oder unsichtbar, so lang ich bey ihr bin. Und in ihren eignen vier Pfählen darf sich die Thorsteinsgattinn überhaupt vor gar nichts auf der Welt fürchten.« –

»Du hast sehr recht!« sagte Frau Jofridur keck, und fuhr dann mit erhobner Stimme und Seele zu sprechen fort:

»Laß sie nur verdrießlich d'reinsehen, die alten Göttergebilde, daß es Christenpriester hier auf der Insel gibt, und daß es uns vor den Augen wie Tagesdämmerung schwebt nach überstandner Nacht. Sieh, Thorstein, ich denke, das ist nun eigentlich der Kampf, den die Lieder und Saga's die Götterdämmerung nennen, und worin Odin mit allen Asen untergehen muß vor einer neuen, hochherrlichen Macht.«

»Er wehrt sich noch hartnäckig um sein Leben!« entgegnete Thorstein nachdenklich.

»Freylich wohl!« sagte Jofridur.« Und deßhalb werden jetzt die Träume so verworren und die Stürme wilder, als je. Horch, wie da wieder ein unbändiger Windstoß von der See heraufras't! – Thorstein greif in die Saiten Deiner Harfe. Du kannst ja das Sturmgebrüll damit recht gut übertönen, und vielleicht sind Deine Gäste Schiffbrüchige. Da vernehmen sie denn von Weitem, hier wohne Liedesklang und Gastlichkeit, und kommen desto früher und zuversichtlicher an Deinen Herd.« –

»Du hast wohlgeredet, Jofridur!« sagte Thorstein, und schon hatte ihm die Hausfrau die Harfe in den Arm gelegt. Während er nun die Saiten stimmte, sahe sie ihm wohlgefällig zu, und sagte endlich mit freundlichem Lächeln:

»Du bist doch immer noch ein gar hübscher Mann, Thorstein, mit Deinen goldgelben Haaren und sanftleuchtenden Augen! Und wie Du so zierlich die Harfe da in den Armen hältst! – Du mußt mir nicht verdrießlich darüber aussehen. Ich sag' es ja keinesweges, um Dich zu necken, denn wahr und wahrhaftig, Du siehest hübsch aus.«

Aber Thorstein entgegnete verdrießlich: »Ich wollte lieber, ich sähe aus, wie mein Vater Egill und mein Großvater Skallagrimur und Andere noch viel aus dem Stamme der Myramannen sonst: etwas grauenvoll nähmlich zum Schrecken aller Leute; hoch und kahl die Stirn, wie ein wüstes Vorgebirg ob zorniger See, und furchtbar rollend die Augen darunter.«

»Was könnte Dir das sonderlich helfen, Thorstein?« sagte die Hausfrau. »Und mir ist es lieber, so wie es ist.«

»Mein Nahme in Waffen ist nicht so groß, wie der meines Vaters und Großvaters!« sagte Thorstein, und senkte das schöne Haupt.

Da blickte aber die Hausfrau zürnend umher, und sprach: »Ich hoffe, kein Wiederhall unterfängt es sich, etwas von diesen kleinmüthigen Worten festhalten und weiterplaudern zu wollen!– Nicht hätte Jofridur, die Gunnarstochter und die Thoroddurswittib, einen Mann erwählen mögen, anders, als rühmlich bekannt in den Waffen. Ob mehr, ob minder berühmt, – das fällt vom Himmel, wie Regen und Thau. Aber Dein Lebenslauf ist auch lange noch nicht zu Ende, Thorstein, und man weiß nicht, was kommen mag bis dahin.«

Da faßte Thorstein dankend ihre Hand, und sagte: »Du hast mir das Herz recht groß gemacht, Jofridur.«

Und zugleich begann er gewaltig herrlichen Klanges die Harfe zu schlagen, wie ein Skalde, wenn er den Kriegsleuten den Ruf durch die Seele tönen will: »Vorwärts in den Feind!«

Und die Kinder kamen auf den Harfenklang ihres Vaters freudig herbeygelaufen, und stellten sich achtsam horchend um ihn her.

Zweytes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Die Knaben, welche damahls aus Thorsteins und Jofridurs Ehe lebten – es mochten ihrer Dreye bis Viere seyn, (die alten Saga's sind darüber nicht ganz deutlich, und wir haben in unserer Geschichte eben nicht viel mit ihnen zu schaffen) – die standen sehr vergnügt um den Vater her, wie er so die Harfe spielte, und schlugen den Takt dazu mit einigen Hiebwaffen leichteren Schwunges, die sie herbey geschleppt hatten und gegen einander versuchten. Das älteste Kind aber, die Stieftochter des Hausmannes, Hungerda geheißen, sahe kopfschüttelnd aus den großen Blauaugen zu Thorstein empor, und sprach: »Gesungen muß es dazu seyn, Meister Pflegevater, wenn es hübsch klingen soll.« – Frau Jofridur sahe fast aus, als wolle sie der Kleinen ihre Keckheit verweisen, aber Thorstein sprach: »Das Kind hat Recht, und Niemand soll sie darum schelten. Und nun will ich ihr auch ein Lied von ihrem eigenen Vater singen.« – Darauf stimmte er folgende Weise an:

Der Thoroddur trat zum Gunnar herein:     »Gib Du mir zur Hausfrau Dein Töchterlein! Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Der Gunnar sprach dem Thoroddur zu:     »Nie hatte mein Haus vor Deinem Ruh.« Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

»Brautwerber, bleib Du meiner Halle fern!     Dir ist mein Herdfeuer kein guter Stern.« Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Grimm lachte Thoroddur: »Der Wolf und der Hirt!     Wer ist nun der Wolf? Der Gast oder Wirth?« Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Da ging Thoroddur erzürnet hinaus     Vom gastlichen Feuer in Nachtsturms Graus. Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Und als Thoroddur die Klippen erstieg,     Da leuchteten Waffen und Fackeln zum Krieg. Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Thoroddur rief: »Wer da?« – Von drüben rief's »Halt!« –     Da sah er manch' rüstige Freundesgestalt. Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Die Freunde sprachen: »Dein Vater zeucht aus.     Zu brennen dem Gunnar sein Hof und Haus!« Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Sie sprachen: »Wir sind uns'rer neunzig Mann!     Was dem Gunnar gehört, ist im Feuerbann.« Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Da schweigt der Thoroddur und kehrt sich zurück,     Und rennt zum Gunnar. Dem war es ein Glück. Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Er kommt und pocht an das Gunnarshaus,     Zu künden dem Wirth den drohenden Graus. Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Er pocht und flüstert: »Dein Feind ist wach     Mit neunzig Mann! Deine Schaar ist zu schwach.« Aber wo haben sich Wolf und Hirt je in Frieden gefunden! –

Er flüstert und bittet: »Verlobe Du mir     Dein Töchterlein, und ich errett' es Dir!« Da klang es, als hatten sie sich in Frieden gefunden.

Und als nun der Feind bergnieder drang,     Da hemmte Thoroddur des Vaters Gang, Und sang: »Herzvater ich hab' eine Braut gefunden.«

Da sagte der Vater: »Das ändert das Ding!     Statt der Fackel bring' ich den Verlobungsring.« – Da hatten in Freude sich Feind' als Freunde gefunden. –

»Das war hübsch von dem Thoroddur!« riefen die Knaben laut, und schlugen fröhlich in die Hände. Und die kleine Hungerda sagte stolz: »Das war mein Vater, von dem der Pflegevater da gesungen hat. Dafür will ich dem Pflegevater einen schönen Kuß geben.« – Während sie nun schmeichelnd die Kniee des freundlichen Thorstein hinaufkletterte, und die Händchen um dessen Hals schlang; sagten die Knaben: »So ein guter Kerl, wie der Thoroddur, muß Jeder hier in der Halle auch einmahl werden.« – Der Älteste aber setzte hinzu: »Ausgenommen den Vater, denn der ist schon so ein Mann, wie der Thoroddur!« – »Ein Mann, ein Wort!« sagte Thorstein, und die Knaben mußten stark einschlagen in seine dargebothene Hand.

Drittes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Morgens darauf kam ein Ackermann zu Thorstein, und meldete ihm:

»Da ist in der Nacht ein Schiff eingelaufen in die Stromesmündung, welche wir Gutfarth heißen. Von Ostland her, kommt es, wie sie sagen, und der Nachtsturm hat ihm übel mitgespielt, so daß die Leute wohl hier werden überwintern müssen.«

»Was sind es für Leute?« fragte Thorstein, und der Ackermann antwortete: »Kaufleute.« Weil er aber nichts mehr von ihnen zu sagen wußte, ging er seinen Geschäften nach, und Thorstein ließ sich ein Pferd satteln, um selbst nachzusehen, was sich da eigentlich zugetragen habe, und zu hören, was die Fremden etwa Neues mitgebracht hätten. Menschen, welche auf sehr abgelegenen Eilanden wohnen, hören wohl Alle vorzüglich gern gelegentlich etwas Neues, und die Saga's melden, das hätten die Isländer absonderlich an der Art. Freylich gehören sie auch mit zu den abgelegensten Inselmännern in der Welt. Auch war es bey ihnen ein Recht für die Vornehmsten, daß sie mit den Fremden zuerst verkehren durften: theils, damit die Ankömmlinge nicht durch ungestümen Überlauf belästigt würden, und auch falls sie Kaufleute wären, nicht etwan Unerfahrnen ihr Gut im übertheuernden Handel schmälerten, weßhalb man denn gleich wegen der Preise einig ward. Theils aber auch sollten die Reisenden bey schneller Abfahrt die Ehrbarsten des Eilandes im Angedenken behalten, und in der Fremde lauter Gutes zur Ehre von Island erzählen. Jedermann setzt gern den besten Fuß vor! sagt ein altes Sprichwort, und unsere alten isländischen Stammesgenossen haben es recht wohl gekannt.

Wie nun dem Thorstein das Pferd herausgeführt wurde, sagte er zu Frau Jofridur, die mit den Kindern vor die Thüre trat, ihn aufsitzen und wegreiten zu sehen – das pflegt so immer in fröhlichen Haushaltungen eine hübsche Sitte zu seyn, wenn der Hausvater in den Sattel steigt; »Jofridur,« sagte er, »nun sind ja die Fremden vermuthlich wohl dennoch angekommen, welche der Traum seit einigen Nächten mir angemeldet hat. Richte nur ja auf's Neue recht wacker und reichlich zu!«

Frau Jofridur nickte höflich bejahend mit dem Kopfe, daß Kinder und Hausgesinde daraus entnehmen konnten, sie seye ihrem lieben Ehegemahle pflichtschuldig gehorsam. Aber wie der Ehemann ihr in's Gesicht sah, merkte er, es spielte um die wunderschönen Lippen ein Lächeln, das etwa bedeuten mochte: »Du guter Freund, mit Deinen Träumen! Ich richte wohl immer wieder die Speisen an, so lange Du es haben willst. Denn Haus und Hof ist ja Dein eigen. Aber Deine Träume sind wohl heute nicht klüger, als gestern, und treffen gar nicht mehr ein.« –

Und fast hätte der Thorstein laut auflachen müssen vor dem seltsam listigen Ausdruck in dem Angesichte seiner schönen Frau. Weil sich aber für einen Hausherrn das hierbey nicht schicken wollte, schwang er sich rasch in den Sattel, rief noch einmahl zurück: »Auf recht viele und edle Gäste richtet Euch!« und sprengte fröhlich von hinnen.

Viertes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

An der Stromesmündung Gutfarth funkelte in den hellen Morgenlichtern das Schiff der Fremden recht blank und freudig dem Thorstein entgegen, wie er so strandnieder trabte. Am Steuer des Fahrzeuges, und sichtlich das Ganze befehligend, stand ein großer stattlicher Mann von beynahe greisendem Ansehen, ein pelzverbrämtes, schönes Kleid um seine Glieder, ein mächtiges Schwerdt, wie man es in der Regel nur zweyhändig zu schwingen pflegt, mit Gold und Silberbeschlägen ausgeschmückt, an seiner Hüfte klirrend. Seine großen, blauen Augen blitzten wie zwey Sterne, die auch nach Sonnenaufgang noch ihre Gewalt behaupten wollen.

Da rief Thorstein zu ihm empor: »Du seyest ein Ostmann, sagen sie ja, und zwar ein Kaufherr von dortenher. Mir aber kommst Du vor wie ein Nordmann. Wie hängt das zusammen?«

»So, daß Ihr Alle Recht behaltet!« entgegnete der Fremde. »Ein Kaufherr bin ich, ein Ostmann dazu für Euch, und ein Nordmann für beynahe alle Menschen. Denn Jeder zählt und benennt von der Bank aus, auf welcher er sitzt. Deßwegen gelt' ich auch manchen Leuten für einen Abendmann; wenn ich nähmlich gegen Sonnenaufgang schiffe. Aber eigentlich ist meine Heimath Norweg, und ich heiße Bardur.« –

»Gegrüßt, lieber Normann Bardur!« sagte Thorstein. »Von Euern Küsten her ist mein Stamm entsprossen. Kwelldulfur hieß mein Großvater und Skallagrimur hieß mein Vater. – Mag seyn, Ihr habt schon sonst von den Zweyen reden gehört!« setzte er mit einem behaglichen Lächeln hinzu, und strich sich keck den Bart. Da neigte sich Bardur freundlich, und sagte: »Ja wohl! Die Geschichten sind bekannt genug im Norderland, und auch weiter noch sonst umher. Euer Großvater Kwelldulfur ist ja der Erste, welcher dieses wundersame Eiland wieder in Besitz nahm und es anbauete. Durch sehr viel mehr als zehntausend Nächte vorher soll es wüst gelegen haben. Da schaltete der Harald Schönhaar in Norweg allzuwild, und erschlug auch den Kwelldulfurssohn, den schönen Thorolf, und war allen Menschen übermächtig mit Schaaren und Schiffen, so daß der Kwelldulfur keine Todesrache an ihm nehmen konnte, wie gern er auch gewollt hätte. Darum schiffte der alte Held mit seinem jüngsten Sohn Skallagrimur nach Island hinüber, ein neues Reich zu gründen, voll edler Keckheit und Liedesweissagung. Und Kwelldulfur starb unterweges, und geboth vorher, daß man ihn in eine glänzende Kiste lege, mit reichen Schätzen angefüllt, und ihn so hinablasse in das Meer. Sie thaten's. Und als die Schiffe auf Island vor Anker gingen, da war der Kwelldulfur in seiner Kiste schon da. Und Skallagrimur, Euer Großvater, beerdigte ihn, und setzte ihm schöne hohe Bautasteine zum Denkmahl, und das brachte der Ansiedelung reichen Segen. Ihr seht wohl, Meister Thorstein, ich weiß guten Bescheid um Alles.« –

»Wahrhaftig,« sagte Thorstein, »Bescheid, wie er nur aus einer treuen und wohlvertraueten Brust so frisch herauflodern kann. Ihr seyd zwiefach willkommen an jedem Islands-Herd, und dreyfach willkommen an meinem Thorsteins-Herd. Aber Ihr müßt nun auch gleich mit Eurer ganzen Gesellschaft hinkommen. Denn es sind schon unterschiedliche Nächte jung und alt darüber geworden, daß meine Hausfrau vergeblich angerichtet hat für Euch. Schön, daß Ihr nun endlich gekommen seyd, und daß Ihr bequem in meinem großen Hause überwintern sollt allezumahl. Denn hinaus auf die See lassen Euch nun doch vor Frühlingsanfang die Stürme nicht wieder.«

»Das glaub' ich wohl selbst;« sagte der Bardur. »Und mir auch soll es schon ganz Recht seyn: so einmahl ein Winter auf Island! Aber mit Eurer gastlichen Einladung für Alle hier auf dem Schiffe, – da seyd Ihr ein bischen zu spät gekommen, wack'rer Skallagrimurs-Enkel. Schon in der ersten Frühedämmerung waren viel Eurer Landesedlen hier, und Jeder lud sich welche von dem Schiffsvolke, daß sie bey ihm überwintern möchten. D'rum ist nun schon Alles versagt.« –

»Das taugt nicht von den Nachbarn,« sprach Thorstein verdrießlich, »daß sie Einem so das Gute vor dem Munde wegfischen. Ich ritt doch nun gleich Augenblicks hierher, so bald ich nur von der Kunde hörte, damit ich Euch Alle im Voraus für mich behalten wollte. Und da sind mir die nähern Strandwirthe doch zuvorgekommen. Nein, das Wegfischen ist eine recht häßliche Sitte – vorzüglich für Den, welcher dabey zu kurz kommt. Ich also kann denn so ganz einsam wieder nach Hause reiten! Gastlos, und beynahe mir selber zum Hohn!«

»Ey, Gott bewahre!« sagte Bardur. »Niemahlen bringt guter Ritt häßlichen Kranz. Wenn Euch an mir genügt, und Ihr noch ein Pferd zur Hand habt – ich reite gleich mit Euch, und werde Euch ein Wintergast.«

»Das gilt!« rief Thorstein fröhlich. »Kommt nur an's Land. Hier ganz nahe bey liegt mir ein Meyergut, wo Ihr aus tüchtigen Rossen die Wahl haben mögt.« –

Es geschah so. Einen sehr wilden aber sehr trefflichen Gaul hatte sich Bardur ausgesucht, und wie sie mitsammen nach dem Hofe Borg hinaufritten, und der greisende Fremde das Pferd sehr kraftvoll und eben so kunsterfahren tummelte, und dazu sehr edel anzusehen war in seiner köstlichen Tracht – da sprangen die Worte dem Thorstein unversehens über die Lippe:

»Sagt mir doch, wie das zugeht, daß alle Andern Eures Schiffes eingeladen sind von Wirthen des Landes, und Ihr, gewiß der Allerherrlichste aus der Genossenschaft, warten mußtet, bis ich kam! Es ist mir das gar ein großes Glück, aber ich kann es noch nicht begreifen.«

Der Fremde erwiederte lächelnd: »Ey, wär' es in der That ein großes Glück, so wär' es auch ein unbegreifliches. Das hält so Schritt und Tritt miteinander. Und das kommt daher, weil kein Mensch auf Erden begreiflichen Anspruch hat auf ein großes Glück. Regnet's Gold, so regnet's Gold. Weiter ist nichts bey Dergleichem zu sagen, oder zu erklären. Ich aber bin für Euch kein großes Glück, und am Ende wohl gar kein Glück. Also will ich Euch nur sagen: die Sache hängt ganz begreiflich zusammen. Aus Träumen sah ich es, daß Ihr kommen müßtet, mein Wirth zu werden. Eure Gestalt sah ich voraus im Traum, hörte im Traum den Klang und Sinn Eurer Anrede – mußte ich denn da nicht warten, bis Ihr kamet?« –

Thorstein schwieg einen Augenblick. Dann sagte er freundlich: »Wohl gut! Ich will es den Träumen zu Gute schreiben, daß sie mir einen so edlen Gast aufbewahrt haben. Aber sonst – seit einiger Zeit –«

»Nichts Übles von den Träumen!« sagte Bardur sehr ernsthaft, und Thorstein erwiederte: »Ihr seyd mein Gast, und habt in allen ehrbaren Dingen über mich, mein Hausgesinde und mein gesammtes Haus zu befehligen!« Da neigte sich Bardur und schwieg.

Sie kamen in der Hofstätte Thorsteins an.

Frau Jofridur, sobald die ersten sittigen Begrüßungen landüblich vollbracht waren, blickte vergeblich spähend nach dem Gefolge des Gastes umher. Dann wieder blickte sie lächelnd auf die für Fünfzig angerichtete Tafel in der Halle. Thorstein winkte ihr freundlich warnend, und flüsterte ihr in's Ohr: »Die Träume sind Lügner und Windbeutel geworden! Das seh' ich wohl selber ein. Aber der Gast nun glaubt einmahl daran, und es ärgert ihn, wenn man andere Gedanken hegt!« – Da sagte Jofridur fröhlich: »Wohlan! Ich darf ihn nicht kränken. Aber für wenigstens fünfzig Menschen muß er essen und trinken. Sonst glaub' ich weder an seine Träume, noch an Deine künftig mehr.«

Fünftes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Der Gast und seine freundlichen Wirthe vertrugen sich mitsammen ganz wohl. Aber zu einer so recht geselligen Vertraulichkeit oder auch nur Lustigkeit wollte es zwischen ihnen nicht kommen.

Bardur gab allzuviel auf Träume. Thorstein und Jofridur gaben allzuwenig darauf.

So mindestens wollte es Jedem von beyden Parthen vorkommen, so oft Eines an das Andere dachte. Und wo man unter demselben Dache mitsammen lebt, muß man doch einmahl nothwendigerweise sehr viel aneinander denken.

Nicht, daß sie je darüber in Streit gerathen wären. Thorstein und Jofridur konnten sich nie anders, als sittig gegen ihren Gast benehmen. Und so war auch dem Bardur gegen seine Wirthe zu Muth. Außerdem schlief er sehr viel; nicht aus Ermattung oder langweiliger Verdrossenheit, aber just um der hier so verachteten Träume willen. Bardur hielt die nicht eben für den besten Theil des Lebens – dawider sprach all seines Treibens rüstige Thätigkeit! – aber vielleicht für den angenehmsten, und zugleich für einen sehr lehrreich weissagenden Umgang mit höheren Gewalten.

Spätherbst und Winter gingen denn so erträglich hin. Bisweilen erzählte man sich schöne Sagen der Vorwelt und Thaten rühmlicher Altvordern. Und dann blitzte es allen auf, wie gegenseitiges Leben und Lieben. Aber es kam wieder doch so viel von weissagenden Träumen in den alten Geschichten vor, und dann ein Blick Jofridurs nach der Halle, wo mindestens fünfzig Gäste hätten überwintern sollen, und jetzt nur ein einziger, obenein noch ein sehr mäßiger Fremdling erschienen war – ein anderer spottender Blick nach ihren dazu gehäuften Vorräthen hin – und Bardur verstand sogleich, was das heißen solle. Man verstummte. Und dann bathen die Kinder, man solle hübsch die Sage zu Ende erzählen. Das geschahe dann jedoch nur erst, wenn der wunderliche Gast Bardur seine Ruhestätte gesucht hatte. Freylich that der Schlafes- und Traumesfreund das auch immer frühe genug. Die Kinder pflegten heimlich hinter ihm drein zu lachen. Jofridur lächelte auch wohl bisweilen mit. Thorstein jedoch sahe dann sehr streng verbiethend darein, dem Gaste das Eigenthumsrecht über Thun und Lassen auch gegen die allerschuldlosesten Angriffe bewahrend.

Als aber nun der Frühling in die Welt hereinstrahlte mit jungen Sonnenlichtern und frischen Gräsern und schwellenden Knospen, und das Leben zu Land und Meer, ob in alljährlich wiederkehrender, doch immer neu erquickender Herrlichkeit wiederum zu lachen begann – da ward es auch dem Wirthe zu arg, daß sein Gast noch gar nicht lustig werden wolle, und er nahm sich vor, ihn in Bewegung zu bringen, auf alle Weise, die sich mit der höflichen Gastlichkeit vertrage. In Bewegung müsse der Bardur durchaus, meinte Thorstein. –

Die Frühlingsstürme, welche um Island ziemlich heftig aus dem Meer emporbrausen, mußten mit dazu helfen. Öfters wohl, wenn die Menschen Etwas recht sehr wollen, hilft die heimlich unbewußte Seherin und Weberin von Schrecken und Freuden, die man Natur zu benennen pflegt, dabey mit. Ob zum Heil oder Unheil des Bundesgenossen – wer kann das immer genau ermessen? –

Für dießmahl fing die Erfüllung von Thorsteins Wunsche mit einem Unfall an; aber mit einem kleinen nur.

Oben auf einer Hügelebne nähmlich, hatten sich die Bewohner des Gaues Borgarfiörde die Stätte zum Rath- und Gerichthalten ausersehen. Eine Dingstätte hieß man dergleichen. Sonsten aber trug auch diese Stelle von alter Zeit her den Nahmen Wahlfeld, oder Wahlstatt, wie man wohl Kampfesfelder zu bezeichnen pflegt. Es mochte dort in halbvergeßnen Tagen einmahl irgend ein Heldenkampf gehalten worden seyn. Vermuthlich war das in der ganz uralten Zeit geschehen, ehe noch das Eiland wüste gelegt ward, um spät nachher durch Kwelldulfurs Fahrt wieder angebaut zu werden. Denn sonsten gehören die Isländer nicht zu den Völkern mit so kurzem Gedächtniß, daß die Kämpfe ihrer Krieger ihnen schon gleichgültig würden, sobald nur etwa die Noth sich verloren hätte, wodurch dergleichen in Gang gekommen wäre. Seit Jahrhunderten halten die Isländer noch bis auf diese Stunde jede Erinnerung der Thaten ihrer Heldenväter fest. Und eben dadurch sind ja auch diese Geschichten vom Thorstein und andern kühnen Männern auf uns gekommen.

Thorstein hatte sich auf der Dingstätte Wahlfeld eine Art von Haus gebauet, wie das auch die andern Wohlbegüterten der Insel pflegten, um für sich und ihre Freunde und Genossen ein Obdach zu haben, falls einmahl die Landesgemeinde sehr lange beysammen blieb, und der Norderhimmel seine Sturm- und Schnee- und Regengewölke losließ. Weil die Isländer nähmlich Leute von sehr fester und getreuer Sinnesart sind, geben sie einander auch eben nicht früher in den Beratungen nach, als bis sie ihren Irrthum begreifen, oder eine sehr große Mehrzahl sie überstimmt. In diesem Falle hatten es dann wohl Manche an der Art, zu sagen: »Wohlgut, wenn es so überzählig viel Klügere unter uns hier zu Lande giebt. Und hätte auch allenfalls die Überzahl was Thörichtes ausgemittelt – auf ihre Köpfe die Verantwortung! Viele tragen Schweres leichter, als Wenige.«

Nun währte es öfters mit den Dingversammlungen etwas lange, und da halfen die gastlichen Wohnungen der Reichen auch manchem andern ehrbaren Manne mit aus. Diese Häuser waren freylich nur aus Wänden von Balken und Reisgeflecht und Lehm erbaut, und ein Linnengezelt als Dach darübergespannt. Es war doch immer besser, als im Freyen. Wenn dann die Versammlung wieder aus einander ging, nahm der Eigner die Dacheslinnen mit. Die Wände blieben einstweilen so offen stehen. Und da war es nun geschehen, daß die Frühlingsstürme dem Thorstein alle die vier Wände seines Hauses auf der Dingstätte in einen wüsten Haufen zusammen geworfen hatten.

Die Knechte des Hausvaters brachten alsbald die Nachricht, und Thorstein winkte seiner Hausfrau lächelnd zu, und sagte leise zu ihr – denn man hörte schon den Bardur aus seinem Gemache kommen, wegen des etwas lauten Geredes der Boten in früher Morgenstunde –: »Nun soll er mir doch einmahl wieder auf's Pferd, der wunderliche Gast, und soll in die Welt hinein sehen, statt in den Traum!« Und Jofridur lachte dazu.

Wie aber der hohe greise Bardur in die Halle trat, ward ihr seltsam feyerlich zu Muthe, und sie meinte fast in sich, er müsse für dasmahl eine wundersame Botschaft bringen, aus seiner Traumwelt herüber. Der Gast jedoch grüßte nur schweigend nach ihr hin, und fragte dann den Hausherrn mit lebendiger Theilnahme, was vorgefallen sey. Thorstein erzählte es ihm, und setzte hinzu: »Wollt Ihr etwa mit hinreiten, Bardur, und mir helfen die Sache wieder in Stand setzen?« – »Das versteht sich!« sagte Bardur. »Dem Wirthe hilft der Gast, wo es Noth thut; sey es mit Waffen, sey es mit Handgeräth, sey es mit Rathschlägen.« – Und damit war er schon in den Hof hinaus geschritten, hatte sich auf eines der vorgeführten Roße geschwungen, und sprengte nun dem Thorstein und dem Knecht, welchen dieser mitnahm, so munter voran, daß sie wohl merken konnten, der Gast habe während seines traumvollen Winters das Reiten nicht verlernt. Und dabey zeigte er sich so wegekundig, daß sie fast glauben mußten, die Träume hätten ihm die Bergpfade der Insel deutlich abgespiegelt.

Angekommen bey dem eingestürzten Baue half er mit Rath und That bey der Arbeit gar mächtig, und weil sich damahls alle Nordmannen, auch die Edelsten und Reichsten unter ihnen, auf Zimmerwerk und andere Handarbeit sehr wohl verstanden, gedieh es, nachdem noch ein Dienstmann Thorsteins herbey gerufen war, dahin, daß die Viere das Haus auf der Dingstätte Wahlfeld gut wieder in Stand gesetzt hatten.

Darüber jedoch war der heiße Mittag heraufgekommen. Die beyden Knechte legten sich in's Gras, und schliefen. Bardurs Augen blieben keck und wacker, weshalb sich Thorstein beynahe schämte, der Müdigkeit nachzugeben. Er setzte sich aufrecht neben Bardur auf die Schwelle des wiederhergestellten Hauses, und fing von allerley Dingen zu reden an; endlich war dennoch der Schlaf seiner gewaltig. Noch im Entschlummern sah er Bardurs große Augen offen und hell. Aber er dachte bey sich, schon halbträumend: »Was will das auch weiter bedeuten? Der Bär und der Dachs haben gut wachen im Frühling und im Sommer! Die haben vorausgeschlafen den ganzen Winter lang, und eben so auch ist es mit diesem wunderlichen Manne bestellt, Da will ich mir weiter den süßen Schlaf nicht abwehren; mag er mich hinnehmen, wie er will.« –

Er lehnte sich ganz zurück, und schlief sehr fest ein. Bardur saß aufmerksam wachend neben seinem Gastfreunde, und merkte wohl, daß der in wunderlichen Träumen sehr heftig athmete, und sich beängstet hin und wieder warf. Aber er hielt es nicht für angemessen, ihn zu erwecken. Schon sonst hatte er wohl mit sehr ernstem Wesen gesagt: »Jedweden muß man seines Traumes genießen lassen!« Als nun endlich Thorstein erwachte, athmete er tief und schwer auf, wie aus beängsteter, nur kaum erst freywerdender Brust. – »Willst Du vielleicht Deinem östlichen Gaste verkünden, was Du geträumet hast?« sagte der Normann. – Thorstein sah ihn sehr groß und verwundert an, wie einer, der noch gar nicht recht zu begreifen vermag, wovon die Rede ist, und doch sehr hochwichtige Dinge vorahnt, und sie auch schon dunkel im Herzen trägt. Endlich sagte er lächelnd – aber es sahe nicht aus, als ob er von ganzem Herzen lächle –:

»Bardur, es ist ein seltsamer Traum durch meine schlafende Seele gezogen. – Ein recht seltsamer Traum!« wiederhohlte er kopfschüttelnd, und setzte nach einem Weilchen hinzu: »Aber dennoch fing sich Alles damit erst so ganz gewöhnlich an.« – »Das pflegt meistens in der Welt mit seltsamen Dingen so anzuheben;« antwortete Bardur. »Auch mit recht großen Dingen wohl! Im Wachen und im Traume. Denn das Beydes ist ja im Grunde einerley.« – Da lachte Thorstein und sagte: »Daß Ihr in der wachenden Welt gar tüchtig daheim seyd, lieber Gast, habt Ihr uns heute mannigfach schön und rüstig bewiesen. Ob Ihr es also wirklich so ernst mit der Traumeswelt nehmt, wie Ihr es bisweilen andeutet« –

Aber Bardur unterbrach ihn unwillig: »Ob! – Und Andeuten blos! – Ich bin ja ein Nordmann. Ich werde mich ja doch auf Träume verstehen.« –

»Nun,« sagte Thorsten etwas ärgerlich, »bin ich ja doch auch ein Nordmann, so gut als Einer! Aber an den Träumen bin ich irre geworden. Wenn Ihr indessen Euch noch darauf versteht, so deutet mir den meinen.«

»Das soll geschehen!« entgegnete Bardur. »Und auf meinen Kopf die Schuld, wenn ich falsch deute.« – Thorstein jedoch wollte noch immer nicht mit seinem Traum an's Licht kommen. Aber endlich, als auf dem Heimritt Bardur abermahl in ihn drang, hub er folgendermaßen zu erzählen an:

»Mir träumte, daß ich daheimstände vor meinem Gehöfte, und zwar vor dem Thorweg, wo die Hausgenossen täglich ein- und ausgehen. Da sah ich so empor nach dem Giebel, und droben saß ein Schwan, gar schön und lieb, und es war, als sagte mir Jemand: »Der schöne Schwan ist Dein, und ist ein Schwanenweib.« – Und das gefiel mir sehr gut, und freute mich sehr. Da sah ich, wie von den Bergen hernieder ein großer Adler flog, und wie er immer näher kam, und sich endlich neben den Schwan setzte auf mein Dach. Und da that er ordentlich schön mit dem Schwan, liebkosend und girrend, und dem Schwane schien es zu gefallen. Der Adler aber hatte große, gewaltige Schwarzaugen, und eherne Klauen. Er kam mir sehr streithaftig und stark vor.«

»Da sah ich, wie ein anderer Vogel von der Südgegend aufstieg. Auch er flog hier nach meinem Gehöfte Borg heran, und setzte sich auf den Giebel des Baues, dem Schwanenweib zur andern Seite, und that ihr auch sehr schön, und war auch ein mächtig großer Adler. Da war es, als ergrimme der Adler, welcher zuerst gekommen war, sehr heftig, und da hielten Beyde langen und scharfen Streit miteinander. Dann fingen sie Beyde an zu bluten, und ihr Streit nahm solch ein Ende, daß Jeder von seiner Seite des Giebels hinuntertaumelte. Und da waren sie alle Beyde todt.«

»Der Schwan aber – das sah ich wohl und ward mir weh davon – blieb auf dem Giebel still, einem sehr ernsthaft trauernden Weibe gleich.« –

»Dann stieg von der Abendgegend her ein anderer Vogel auf. Das war ein Falke. Der setzte sich neben das Schwanenweib, und schmeichelte ihr. Darauf, nach derselben Gegend Beyde, flogen sie hinaus – und ich fuhr zusammen und erwachte.« –

Wie er nun so Alles vom Herzen hinuntergesprochen hatte, setzte er keck hinzu:

»Warum hat das Geträume nun aber einem kräftigen Manne, wie mir, schwere Athemzüge auspressen können! Schwanenweib und Adlerpaar und Falke! Wenn es etwa viel bedeuten sollte, könnte es doch nur Frühlingsstürme gelten, aus den Weltgegenden einander im Wechselkampf erfassend, von wo ich die Adler und den Falken aufsteigen sah.«

Bardur sah ihn aus den großen Blauaugen unter den dichten, grauenden Locken sehr ernst, beynahe wehmüthig an und sagte:

»Das kündet nicht mein Sinn, daß es so ergehen werde.«

»Ey,« erwiederte Thorstein: »So mache denn aus meinem Traum, was Dir das klügste scheint, und laß mich's hören.«

Und Bardur hub folgenden Spruch an, und der wieder erwachende Frühlingssturm sang wie eine wilde Harfe dazu.

»Drey Vögel aufsteigend aus Meeresfluth,     Das sind drey Helden mit hohem Muth. Der Schwan ist ein liebliches Frauenkind,     Das Dir Deine edle Hausfrau gewinnt; Ein Töchterlein so herrlich und hold!     Der Nord gäb sein Erz d'rum, der Süd sein Gold, Das habt Ihr so lieb dann, Ihr alle Beyde.     Doch freylich, die Liebe wird oft zum Leide! Erst kommt von den Bergen ein mächtiger Aar;     Dann Einer von Süden. Ho, feindliches Paar; Sie sind Deinem Schwänlein zu herzig gut,     Und eifern, und stürzen sich Beyd' in's Blut. Da ist's um zwen herrliche Helden gescheh'n.     Sie fielen, um nimmermehr aufzusteh'n. Dann naht sich der dritte Freiersmann,     Von da, wo der Falk seinen Schwung begann. Der nimmt sie dann mit sich in's eigne Haus.     Dein Traum ist aus. Meine Deutung ist aus.«

Er schwieg.

Aber Thorstein sprach ihm zürnend entgegen:

»Der Traum ist Lug! Deine Deutung ist Graus     Du deutest so feindlich für Gastfreund's Haus. Und hätt' ich ein schönes Töchterlein,     Die müßte kein Tod für Helden seyn. Was willst Du mit all' dem wüsten Graus?     O weh, was empfing Dich mein gastlich Haus!«

Bardur erwiederte:

»Ein gastlicher Gruß, der den Fremden erfreut,     Hat nimmer noch freundlichen Wirth gereut. Doch am Herde Murren und Hohn und Zorn     Ist dem Gast und dem Wirth ein Seelendorn. Ich hab' Dir nichts Böses gebracht in's Haus,     Doch der Traum und die Deutung geh'n wahrhaft aus.« –

Da schwieg Thorstein, und Bardur schwieg auch, und Beyde ritten mitsammen verdrießlich nach Hause.

Von da an hatten sie auch nicht sonderlich viel Verkehr miteinander, oder doch keinen freundlichen; nur daß sie sich immerfort als Gast und Wirth in den gehörigen Schranken wechselseitiger Verpflichtung hielten.

Als nun die Frühlingsstürme nachließen, fuhr Bardur mit seinem Schiffe von dannen.

Gast und Wirth schieden nicht von einander, wie Freund von Freund, aber auch nicht, wie Feind und Feind.

Sechstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

In den ersten Tagen des Sommers sahe Frau Jofridur der Stunde entgegen, worin sie ihrem Eheherrn ein Kindlein gebären sollte, und freuete sich schon, wie das hübsch seyn werde, wenn nun abermahl ein kleines freundliches Wesen erblühe, und nach etwa zwölf Monden anfange, mit den andern Kindlein in der Halle zu spielen, und draußen vor der Thür. Thorstein aber freute sich nicht darauf. Ihm lag die trübe Weissagung seines Wintergastes im Sinn, und sein eigner schwerer Traum. Deßwegen sann er Tag und Nacht, wie er den bedrohlichen Heldentod verhindern möge, den seine Tochter in die Welt bringen sollte. – Dann tröstete er sich freylich wohl mit dem Gedanken: »Wenn es nun aber ein Söhnlein ist, welches Jofridur Dir bringt?«

Und davor fing er bisweilen herzlich zu lachen an, vorausbedenkend, wie er denn den Bardur sammt allen Träumen und Traumesdeutern verspotten wolle.

Spott aber säet keinen guten Saamen: weder in die Seele, noch in die Zukunft des Menschen.

Deßwegen fühlte auch Thorstein immer sein Lachen über diese Voraussagung von einem gar schrecklichen Dunkel gedämpft, das sich wie ein schwüles Gewitter in banger Nacht über seine Seele zu lagern begann. Er murmelte manchmahl ingrimmig in sich hinein: »Wenn meine Hausfrau eine Tochter gebiert, so weiß ich schon, was ich thun will. Um so eines bethörlichen Geschöpfchens willen sollen keine Helden sterben.« –

Aber wer kann so sicher in die Zukunft hineinsprechen: »ich weiß!« und: »es soll!« Und das fiel dem Thorstein jetzt sehr auf's Herz.

Denn die Zeit kam heran, wo sich alle Bewohner des Gaues auf der Dingstätte Wahlfeld versammeln sollten, um über mancherley hochwichtige Sachen miteinander zu berathen. Nun durfte natürlich der Älteste des Hauses der Myramannen, der edle Thorstein dabey nicht fehlen.

Deßhalb setzte er Alles zu der Fahrt geziemend in Stand. Aber er war sehr düster dabey. Und das war eine Art von Glück für die Frau Jofridur. Denn so konnte sie doch im Voraus merken, und nach und nach, es drohe etwas sehr schmerzliches herein. Sie setzte sich auch dazu nach ihrem starken Sinne in Bereitschaft, so gut es ihr jetzt schwacher Zustand erlauben wollte. Indessen kam es doch schlimmer noch, als ihre schlimmsten Vorstellungen es gemeint hatten, da nun Thorstein, im Begriff zu Pferde zu steigen, sie wieder nach dem Herde zurückführte, und leise in ihr Ohr flüsterte:

»Jofridur, wenn Du während meiner Abwesenheit ein Kind gebierst, und es ist ein Knäblein, so pflege dessen gut, und laß es an gar nichts fehlen, was unser reicher Haushalt zu biethen vermag.«

Jofridur kämpfte noch Einmahl die Schauer in ihrem Herzen nieder, und sagte mit freundlichem Lachen:

»Mußtest Du mir das erst vorschreiben wollen, o Thorstein? Sorgt ja das leichtsinnige Luftgeflügel für seine Jungen um sehr viel früher schon, als sie geboren sind! Mein Kindbett ist bereitet, und besser bereitet noch die Pflege des Kindleins, das wir in Freuden erwarten.«

Thorstein murmelte etwas Unverständliches in den Bart, ganz wider seine sonst so anmuthige Weise, und wandte sich tiefstöhnend ab.

Da sagte Jofridur, sich auf ihren Sessel matt, jedoch in feyerlicher Würde niederlassend:

»Du hast etwas Entsetzliches im Sinne, Hausvater. Aber sprich es jetzt nur ganz frey und rasch heraus. Du selbst ja kannst Dein Geheimniß nicht mehr so im Zwielichten von Trotz und Jammer herumtragen. Sprich, sag' ich Dir – wenn Du fürderhin für einen wackern Mann gelten willst.«

Thorstein richtete sich hoch und stolz und streng' empor, winkte Kinder und Hausgesinde gebiethend fern ab, und sprach:

»Wenn Du ein Mägdlein gebierst, da sollst Du es aussetzen in die Wildniß, daß wir nimmermehr etwas von dem Kinde vernehmen.«

»Thorstein, wie wird Dir zu Sinne?« sagte Jofridur. »Du bist krank.«

»Mir wird und ist,« sprach er zurück, »wie es schon vielen wackern Islandsmannen war, die ihre Kinder in die Barmherzigkeit unsichtbarer Gewalten übergaben, weil der Hausvater selbst für die Unglückswesen nicht fürder zu sorgen verstand.«

»Thorstein, besinne Dich doch!« sagte Jofridur. »Das haben ja meist nur immer ganz verarmte Leute gethan auf unserm Eilande. Und im Lichte des neu aufdämmernden Hoffnungsglaubens will man es auch Denen nicht gern mehr zulassen, so schmerzlich zu verstören in ungläubiger Angst, was ihres Lebens süßeste Freude werden kann. Thorstein, Du reicher Mensch an Hof und Herden und Freunden und Gold,– ach so besinne Dich doch nur!«

Thorstein aber entgegnete voll einer ganz furchtbarlichen Festigkeit, die ihm wohl unsichtbar schlimme Gewalten bescheert haben konnten:

»Du weißt nun meinen Beschluß. Und das möchte nicht eben gut werden, wenn es Jemandem einfiele, ihn zu brechen. Im Übrigen: – die alten Gesetze bestehen noch immer. Und mag das gesammte Island es wissen: ich will mein Kind aussetzen, falls es ein Mägdlein ist. Und neugierig wäre ich, Den kennen zu lernen, welcher mich daran zu hindern gedächte. Wollte er mich aber vollends darüber zur Verantwortung ziehen, so wär' er ein Narr. Was Dich betrifft, thue nach meinem Geboth!«

Darnach ging er stumm und finster hinaus, und Frau Jofridur blieb sehr betrübt am Herde zurück.

Zwar als er nun fortsprengte vom Hof, und die Kinder vor der Thüre jubelten:

»Mutter, nun reitet der Vater ja rasch nach dem Wahlfeld! Mutter, nun komm' doch und sieh, wie herrlich der Vater reitet!« –

Da kam Jofridur auch heraus, aber sie konnte ihm nicht ihr weißes Schleiertuch glückbedeutend nachwehen lassen, wie sonst. Vielmehr sang oder sagte sie still vor sich hin:

    »Reite! – Was Dich geleite, –         Wer kann es wissen –         Schwärzlich aus Traumes         Drohender Nacht,         Trüb' aus der Macht         Stürmigen Schaumes         Wandeln zerrissen         Gräuelgestalten.

Siebentes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Etwa zwey Nächte nachher, während Thorstein immer noch auf der Dingstätte Wahlfeld zu schaffen hatte, geschah es, daß Jofridur von einem Töchterlein entbunden ward. – »Ein Töchterlein!« seufzte sie, als die umstehenden Frauen ihr das Geschlecht des Kindes nannten, und hüllte sich tief in ihre Decken. Die hülfreichen Freundinnen dachten sie zu erheitern, wenn sie die in der That recht wundersame Schönheit des neugebornen Mägdleins mit preisenden Worten erhüben, und so lobte denn Eine das reiche Goldgelock der Kleinen, die Andere deren tiefblaue, freundliche Augen, die Dritte den lieblich blühenden Mund, die Vierte die schneeig zarte Haut und die Rosenwängelein, indessen die Fünfte sich nicht genug an den zierlich zarten Händchen erfreuen konnten.

Frau Jofridur – denn jedes dieser Worte ward ihrem verletzten Mutterherzen wie zu einem Dolchstiche mehr – weinte unter ihren Decken heiß, aber so leise, würdig und still, daß keine von den fröhlichen Helferinnen dessen inne ward.

Als man ihr aber nun das Kind bringen wollte, daß sie es umarme und segne, sprach sie mit schnell getrockneten Augen und aus all ihren Zügen zurückgedrängten Jammer, sich feyerlich emporrichtend:

»Das ist ein wunderlicher Rath, noch erst in eine Mutter zu dringen, daß sie ihr liebes Kind segnen und liebhaben soll. Haltet Ihr das für nöthig, so gehet doch auch sorgsamlich hinaus, und gebiethet der nahenden Morgendämmerung, daß sie nun bald zu leuchten beginne, oder dem untersinkenden Mond, daß er einmahl noch sich glühroth färbe, und dann verschwinde. Wenn Ihr jedoch meint, das werde alles von selbst geschehen, auch sonder Euer Geboth, so könnt Ihr auch ohne Weiteres nach dieser durchwachten Nacht Eurer Ruhe pflegen. Und ich glaube, daran werdet Ihr am besten thun.«

Die Frauen gingen scheu von hinnen vor Frau Jofridurs strengen Worten, und Diese behielt nur eine einzige Magd bey sich. Die schickte sie nach einem alten Schäfer in Thorsteins Dienst, welcher Thorwardur geheißen war, und Niemanden auf der Welt Liebes erzeugte, ausgenommen nach strenger Pflicht. Manche Leute wollten behaupten, dem Thorwardur sey in den frühesten Jünglingstagen sein Lieb recht häßlich untreu geworden, und nachdem er nun diesen Schmerz überwunden gehabt, sey es ihm so ziemlich einerley mit Lieb oder Leid.

Da erhub sich zwischen der Herrinn und ihm folgendes Gespräch:

»Du treuer Schäfer, Greis Thorwardur, willst Du von hinnen reiten in einem wichtigen Auftrage zu meinem Dienst?«

»Da müßt Ihr nicht erst fragen, Herrinn, ob ich will. Euch zu dienen geziemt mir, und was mir geziemt, das will ich immer.«

»Es soll aber ein Geheimniß bleiben vor Thorstein Deinem Herrn.«

»Das steht bey Euch, und nicht bey mir zu ermessen, Frau Jofridur, ob dem Hausherrn etwas geheim bleiben mag oder nicht.«

»Und wenn Du nimmer nun wieder kommen dürftest in diese Gegend von Deinem Ritte – wie dann?«

»Schafe gibt es allwärts zu hüthen, und Träume verschwundenen Glückes gibt es allwärts zu träumen. Was macht sich Schäfer Thorwardur eben Großes daraus, wo er hüthet und wo er träumt!«

»Weißt Du denn gar nichts mehr auf der Welt, als zu hüthen und zu träumen!«

»O ja, Herrinn! Auch Fechten kann ich wohl, wo es Noth ist. Und dann auch kann ich noch singen. Und eben des Singens wegen möcht' ich, Ihr schicktet mich an einen Ort, wo man unsere schöne alte Nordlandssprache versteht. Meint Ihr es aber anders – auch dann gut! man singt sich selber etwas vor, als wäre man zu Zweyen, und allenfalls auch findet man noch einen Wiederhall in Hain oder Kluft.«

»Du sollst nicht sehr weit, o Thorwardur; Du sollst vor der Hand auf Island bleiben. Und dann magst Du Dir nach Belieben einen andern Aufenthalt suchen, wo man gleichfalls unsere edle Nordlandssprache redet und singt.«

»Das ist mir lieb, Herrinn. Die Fremden sagen freylich, unser Nordland seye nicht schön. Wer aber einmahl darauf geboren ist, kann nicht gut wieder davon los.«

»Du sollst auch drey Mark Silbers haben, um Dir in anderer Gegend zu ersetzen, was Du hier etwa verlörest. Da! nimm sie hin.« –

»Das thu' ich nicht eben gern, Herrinn. Aber doch! Gebt nur her. Ich thu' es dennoch recht gern. Arm bin ich, wie ein Vogel, dem man die Eyer aus seinem Neste gestohlen hat, und Ihr würdet mir ja doch nun und nimmer Sold geben wollen zu einer schnöden That. – Was soll ich also ausrichten, Herrinn?« –

Da fing sie an zu weinen, und er blieb verwundert vor ihr stehen, aber in Demuth abwartend, was endlich daraus werden soll.

Endlich sprach sie, sich weiter erkräftigend in ihrem starken Geiste:

»Ziehe das schöne Graurößlein aus dem Stalle, worauf ich sonst wohl öfter zu reiten pflegte. Auch das muß Dein bleiben. Es darf nicht wiederkommen. – Kommt ja so Vieles nicht wieder in dieser armen, armen Welt! – Dem Graurößlein leg' einen Sattel recht sorgsam auf; denn recht bequem mußt Du dieß liebe Kind, das jetzt noch hier neben mir liegt, von hinnen tragen. O staune nicht so vor meinen Worten! (O staune Du auch vor meinen Blicken nicht!) – Nach Hiardarholt mußt Du mit diesem armen, kleinen, bedroheten Mägdlein reiten. Nach Hiardarholt zu meiner Schwägerinn Thorgerdur, der Egilstochter. Dein Herr und Meister Thorstein aber darf nimmer andere Kunde hören, als: sein armes, kleines, schönes Töchterlein seye ausgesetzt. Und da geb' ich Dir auch Runentäflein für meines Eheherrn Schwester, und sie wird daraus lesen können, was in Deinem Bericht ihr noch ungewiß bleiben mag, denn sie ist ein sehr weises Weib. Und fördern wird sie Dich über Meer, Du treuer Hirte, noch ehe die herbstlichen Stürme zu blasen beginnen – hin, wo Du hinbegehrst.«

»Und für meine Ehre, des Flüchtlings Ehre, sorget Ihr, Frau Jofridur?« fragte der Hirt, aber mit einem Klange, welcher die Zuversicht der Bejahung schon in sich trug, und der jammervollen Mutter, die jetzt erschöpft zurückgesunken war, keinen Laut mehr abnöthigen sollte. Zugleich hob er das Kind in den weichen Decken sanft empor, und schritt leise von hinnen. Sich mit der lieblich ängstlichen Last auf das Graurößlein schwingend und von hinnen trabend, sang er in sich hinein:

Menschen mischen Mancherley Thaten. Wähnend wissen sie Was soll gedeihen. Anders doch immer Erndtet die Saat sich, Sinnender Sämann, Als Du's ersannest!«

Achtes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Thorstein kam nach Hause. Jofridur berichtete ihm, sie habe ein Mägdlein geboren; und nach seinem Willen sey es ausgesetzt. Schön sey es gewesen, wie ein Engel, und sanft wie ein Frühlingsmorgen nach dem Sturme – aber treu dem hausväterlichen Gebothe habe man die holde Blüthe verstoßen in irgend ein entferntes Thal. Dann sagte Jofridur noch: »Ich muß jetzt immer in meinen tiefsten Gedanken singen:« »fahr wohl, mein süßes Kind!« – Oder etwa, wenn es mir in Träumen erscheint: »bleib bey mir, bis es Morgen wird, du süßes, süßes Kind!«

Darüber verstummte Thorstein. Er preßte seine beyden Hände auf die feuchtblitzenden Augen, und redete von dieser Angelegenheit durch viele Tage lang nicht mehr.

Endlich fragte er dennoch einmahl seine Hausfrau, und sahe dazu aus, wie in einen schmerzlichen Traum versunken: »Durch wen doch ward das arme liebe Kindchen ausgesetzt?« –

Sie aber antwortete ihm strenge: »Bist Du ein so gar nachläßiger Hausvater geworden, daß Du Keinen mehr vermissest, der so lange schon von Deinem Herd und von Deinem Gebieth entfernt ist? – Thorstein, wo ist der Thorwardur? – Siehe, Du staunest und weißt keine Antwort. Hinausgeritten ist er mit Deinem armen Töchterlein auf Dein Geboth, und mein silbergraues Rößelein gab ich ihm mit auf den schmerzlichen Weg, um das zarte Kindlein sanfter zu tragen.

»Nicht Roß kam wieder zurück Den Reiter nicht schaute mein Blick! Und der Thorwardur war treu!« –

Da sagte Thorstein, sein Antlitz wiederum in die Hand bergend:

»Sie sind denn wohl alle Dreye zugleich untergegangen in Meeresfluth oder vor einem Klippensturz.« –

Und Frau Jofridur dachte wehmüthig zürnend in sich selbst:

»Hab' es denn, wie Du es haben wolltest, Du abergläubisch opfernder Hausvater!«

Aber sie behielt ihn dessen unerachtet sehr lieb, und sein tiefer Schmerz jammerte sie sehr.

Neuntes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Auf diese Weise waren nach und nach sechs Jahre hingegangen. –

Sechs Jahre sind freylich eine lange Zeit! Vorzüglich für schwer in der Seele verwundete Menschen. –

Aber man braucht nicht eben zu denken, es habe dabey immerfort Jammer und Weh oder Trübsal in Thorsteins schönem Gehöfte vorgeherrscht.

Fremde wurden heiter empfangen, nach, wie vor. Nach, wie vor, spielten fröhlich die Kindlein auf dem Hausflur und vor der Thüre. Nach, wie vor, betrieb Thorstein als wackerer Hauswirth seine Geschäfte auf Acker und Wiese, im Forst und am Strande, auf der Dingstätte, und – wo es zu kämpfen galt – auch auf blutigem Felde. Das Alles führte er ganz ehrbar und stark und rühmlich hinaus.

Überhaupt gibt es kein unsterbliches Weh im irdischen Menschenleben; eben so wenig, als unsterbliche Lust. Nach einigen Jahren erinnert man sich wohl noch immer voll großer Bewegung an Schmerz oder Wonne. Aber die Gegenwart reißt uns auf's neue mit sich fort: in Leid und Freude; mehrentheils in beydes zugleich.

Diese Betrachtung thut weh. Denn sie ist von demüthigender Art. Thorstein konnte ein Lied darüber nicht los werden, welches einstmahl an seinem Herde ein gastlich aufgenommener Skalde in das Geschwirr seiner trauernden Saiten gesungen hatte:

»Und ständ' auch noch so fest Dein Haus,     Der Grundstein ruht in Nacht und Graus. Und säh' Dein Haus auch wolkenein,     Aus dem Abgrund hob man den Gipfelstein. Und wär' Dein Haus auch ein starker Thurm,     'S ist rings umdrängt von Regen und Sturm. Und hätte Dein Haus ein Zauberdach,     In den Wolken ist stärkerer Zauber wach! Ist wach in den Grüften! Klüften! auf Höh'n! –     Versteh'st Du des Abgrunds Jammergestöhn? – Ach, Mensch! Du bauest wohl hoch und weit –     Du weißt nicht: bauest Du Lust oder Leid! –