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Als Clara das verfallene Herrenhaus Lindenhall erbt, ahnt sie nicht, dass sie damit ein düsteres Vermächtnis antritt. Die alten Mauern verbergen längst vergessene Geheimnisse und dunkle Kräfte, die seit Jahrhunderten auf ihre Freilassung warten. Während unheimliche Vorfälle Clara immer tiefer in die Vergangenheit ihrer Familie ziehen, entdeckt sie ein Tagebuch, das von einer tragischen Liebe im 19. Jahrhundert erzählt. Elias von Linden, einstiger Herr des Anwesens, und seine Geliebte standen vor einem schicksalhaften Ritual, das alles veränderte. Die Vergangenheit scheint sich zu wiederholen, als Clara und der geheimnisvolle Alexander dem Fluch auf den Grund gehen, der Lindenhall seit Jahrhunderten in Dunkelheit hüllt. Doch je tiefer sie graben, desto gefährlicher wird es – nicht nur für ihre Leben, sondern auch für ihre Herzen. In zwei Zeitebenen entfaltet sich eine Geschichte von Liebe, Verrat und der tödlichen Macht des Hauses. Werden Clara und Alexander den uralten Fluch brechen, oder werden sie wie Elias und seine Geliebte von den Schatten von Lindenhall verschlungen?
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Fiona Cianaigh
DIE SCHATTEN VON LINDENHALL
Mystery-Romance
Als Clara das verfallene Herrenhaus Lindenhall erbt, ahnt sie nicht, dass sie damit ein düsteres Vermächtnis antritt. Die alten Mauern verbergen längst vergessene Geheimnisse und dunkle Kräfte, die seit Jahrhunderten auf ihre Freilassung warten. Während unheimliche Vorfälle Clara immer tiefer in die Vergangenheit ihrer Familie ziehen, entdeckt sie ein Tagebuch, das von einer tragischen Liebe im 19. Jahrhundert erzählt.
Elias von Linden, einstiger Herr des Anwesens, und seine Geliebte standen vor einem schicksalhaften Ritual, das alles veränderte. Die Vergangenheit scheint sich zu wiederholen, als Clara und der geheimnisvolle Alexander dem Fluch auf den Grund gehen, der Lindenhall seit Jahrhunderten in Dunkelheit hüllt. Doch je tiefer sie graben, desto gefährlicher wird es – nicht nur für ihre Leben, sondern auch für ihre Herzen.
In zwei Zeitebenen entfaltet sich eine Geschichte von Liebe, Verrat und der tödlichen Macht des Hauses. Werden Clara und Alexander den uralten Fluch brechen, oder werden sie wie Elias und seine Geliebte von den Schatten von Lindenhall verschlungen?
Clara stand auf dem staubigen Kiesweg und blickte zu dem gewaltigen, verwitterten Gebäude hinauf, das sich vor ihr erhob. Lindenhall, das alte Herrenhaus ihrer Familie, lag still und unheilvoll inmitten eines Waldes, dessen Bäume ihre Äste wie knorrige Arme in den Himmel streckten. Die letzten Strahlen der Abendsonne fielen auf die zerbrochenen Fenster des Hauses und tauchten es in ein warmes, goldenes Licht – ein täuschend friedlicher Anblick.
Sie hatte nie erwartet, eine so große Erbschaft zu machen, und schon gar nicht von einem Verwandten, von dem sie kaum etwas wusste. Ihr Großonkel, der letzte Besitzer von Lindenhall, war ein geheimnisvoller Mann gewesen, der zurückgezogen gelebt und selten Kontakt zur Familie gesucht hatte. Als Clara die Nachricht erhalten hatte, dass sie das Anwesen geerbt hatte, war sie zunächst skeptisch gewesen. Doch etwas in ihr hatte sie dazu gedrängt, den Ort zu besuchen, das Erbe anzunehmen und die Geheimnisse zu erkunden, die es möglicherweise zu entdecken gab.
Mit einem tiefen Atemzug ging sie auf die schwere Eingangstür zu. Die Steintreppen knirschten unter ihren Füßen, als sie den Weg zur Veranda hinaufstieg. Der Griff der Tür war kalt, und sie musste mehr Kraft aufwenden als erwartet, um sie zu öffnen. Das Geräusch des knarrenden Holzes hallte durch die stillen Räume, als Clara die Tür aufstieß und einen ersten Blick ins Innere des Hauses warf.
Der Eingangsbereich war groß und düster. Eine breite Treppe führte zu den oberen Stockwerken, ihre Holzgeländer waren von der Zeit gezeichnet. Der Marmorboden war von einer dicken Staubschicht bedeckt, und alte Gemälde hingen schief an den Wänden. Es roch nach altem Holz, modriger Luft und einer Spur von Feuchtigkeit, die aus den tiefen Rissen in den Wänden zu kommen schien.
Clara trat vorsichtig ein, ließ ihre Hand über die staubige Balustrade gleiten und spürte die Kälte des Holzes. „Es sieht aus, als hätte hier seit Jahren niemand mehr gelebt“, murmelte sie leise zu sich selbst, während ihr Blick die hohen Decken und die dunklen Ecken des Raums absuchte. Doch obwohl das Haus leer war, spürte sie eine Präsenz – etwas Unsichtbares, das sie beobachtete. Der Gedanke schickte ihr einen kalten Schauer über den Rücken, aber sie schüttelte ihn ab. Es ist nur ein altes Haus, ermahnte sie sich.
Ihre Schritte hallten hohl wider, als sie den Flur entlangging, vorbei an den schweren Holztüren, die in weitere Räume führten. Jeder Raum, den sie betrat, erzählte eine Geschichte von Verfall und Vergessenheit. In einem Salon standen alte, mit weißen Tüchern bedeckte Möbel. Eine einst prächtige Bibliothek war mit Regalen gesäumt, in denen die Bücher verstaubt und unberührt lagen. Das Licht, das durch die verschmutzten Fenster fiel, schien die Schatten zu verlängern, und es schien, als würden die Wände das Schweigen des Hauses verschlucken.
Clara fühlte sich unbehaglich, doch gleichzeitig war sie von der düsteren Schönheit des Anwesens fasziniert. Ihre Schritte wurden langsamer, als sie einen weiteren Raum betrat – das Arbeitszimmer. Ein massiver Schreibtisch aus dunklem Holz dominierte den Raum, und hinter ihm hingen alte Familienporträts an der Wand. Clara trat näher und betrachtete die Gesichter der Menschen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Die Augen der Gemälde schienen ihr zu folgen, und sie fühlte sich unbehaglich unter ihrem stummen Blick.
Plötzlich fiel ihr Blick auf etwas, das auf dem Schreibtisch lag. Es war ein Schlüssel – alt und schwer, mit einem filigranen Muster im Metall. Neugierig nahm Clara ihn in die Hand und spürte die kühle Schwere des Metalls. „Wofür bist du wohl gedacht?“, fragte sie sich leise. Sie sah sich im Raum um, doch es gab keine offensichtliche Antwort. Sie steckte den Schlüssel in ihre Tasche und beschloss, später nach der passenden Tür zu suchen.
Gerade als sie sich wieder dem Ausgang zuwenden wollte, hörte sie ein leises Geräusch. Ein Kratzen, das aus den Tiefen des Hauses zu kommen schien. Clara hielt den Atem an und lauschte. Es war kaum hörbar, aber es war da – ein schleifendes Geräusch, das langsam verstummte. Sie blinzelte und versuchte, die Richtung des Geräuschs zu lokalisieren. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Vielleicht war es nur der Wind, der durch die alten Mauern pfiff. Doch die Luft in dem Raum war schwer und reglos. Kein Lüftchen bewegte sich.
Sie verließ das Arbeitszimmer und folgte einem schmalen Gang, der tiefer in das Haus führte. Die Dunkelheit schien sie zu verschlucken, als sie weiter vordrang. Die Räume um sie herum wirkten kälter, und sie spürte einen unbestimmten Druck auf ihrer Brust. Ihr Atem ging schneller, als sie schließlich vor einer verschlossenen Tür am Ende des Flurs stand. Sie war aus schwerem Holz, mit einem seltsamen Symbol in die Mitte geschnitzt. Clara holte den Schlüssel aus ihrer Tasche und zögerte einen Moment, bevor sie ihn ins Schloss steckte. Ein leises Klicken erklang, und die Tür schwang mit einem dumpfen Geräusch auf.
Der Raum dahinter war kleiner als die anderen, fast eine Art Abstellkammer. Doch auf den ersten Blick erkannte Clara, dass es hier nicht um die Größe des Raumes ging – sondern um seinen Inhalt. In der Mitte des Raumes stand eine alte, hölzerne Truhe, die fast so aussah, als hätte sie seit Jahrhunderten niemand mehr geöffnet. Der Staub lag dick auf ihrem Deckel, und das Metall des Schlosses war rostig und zerfallen.
Clara trat näher, ihre Finger zitterten leicht, als sie den Deckel der Truhe anhob. Ein Knarren erfüllte die Stille, und sie hielt den Atem an, als sie in das Innere der Truhe blickte. Was sie darin fand, ließ sie erstarren. In der Truhe lagen Stapel alter Briefe, sorgfältig gebündelt und mit einem verblassten Siegel versehen. Doch was ihr den Atem stocken ließ, war ein Gegenstand, der unter den Briefen verborgen lag – ein zerbrochener Spiegel.
Der Spiegel schien uralt zu sein, das Glas war trüb und zerkratzt. Clara fühlte ein seltsames Ziehen in ihrer Brust, als sie das Fragment des Spiegels in die Hand nahm. Sie konnte nicht sagen, warum, aber in diesem Moment fühlte sie sich unweigerlich mit dem Spiegel verbunden, als ob er mehr war als nur ein einfacher Gegenstand. Ein kalter Windhauch fuhr durch den Raum, und Clara spürte, wie sich die feinen Haare auf ihrem Nacken aufstellten. Sie drehte sich um, doch niemand war zu sehen.
Plötzlich hatte sie das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden – nicht von den Schatten oder den Porträts an den Wänden, sondern von etwas Tieferem, Dunklerem. Es war, als ob das Haus selbst Augen hätte und jede ihrer Bewegungen verfolgte.
Clara schluckte und legte den Spiegel schnell zurück in die Truhe. Die Briefe wollte sie sich später genauer ansehen, aber im Moment wollte sie nur weg aus diesem Raum. Sie schloss die Truhe, ließ den Schlüssel stecken und verließ die Kammer mit schnellen Schritten. Zurück im Flur, atmete sie tief durch und versuchte, ihre aufgewühlten Gedanken zu beruhigen.
Es ist nur ein altes Haus, sagte sie sich erneut. Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Doch irgendetwas tief in ihrem Inneren sagte ihr, dass Lindenhall weit mehr war als das.
Clara erwachte am nächsten Morgen mit einem schweren Gefühl in der Brust. Ihr Schlaf war unruhig gewesen, durchsetzt von wirren Träumen, in denen das Herrenhaus Lindenhall eine unheilvolle Rolle spielte. Sie erinnerte sich kaum an Einzelheiten, nur an das Gefühl, dass etwas oder jemand sie in den Träumen beobachtet hatte. Der kalte Schweiß auf ihrer Stirn und die dumpfe Beklemmung in ihrem Magen ließen sie zögern, aus dem Bett zu steigen, doch sie schüttelte die Trägheit ab.
Es war noch früh am Morgen, die Sonne warf blasse Lichtstreifen durch die alten Fensterläden, die die Räume nur spärlich erhellten. Die Schatten in den Ecken des Zimmers schienen sich zu bewegen, aber Clara schob es auf die Müdigkeit. Sie musste den Tag nutzen, um sich besser im Haus zurechtzufinden. Gestern hatte sie kaum einen Bruchteil von Lindenhall erkundet. Es war Zeit, das Herrenhaus und seine Geheimnisse richtig kennenzulernen.
Nachdem sie sich in der Küche einen schnellen Tee zubereitet hatte, die ebenfalls verstaubt und verlassen war, beschloss Clara, mit einem Rundgang durch das Haus zu beginnen. Jeder Raum schien eine eigene Geschichte zu erzählen, und je mehr sie sich umsah, desto mehr spürte sie, dass das Haus eine Art pulsierende Energie hatte – eine ungreifbare Präsenz, die sie ständig begleitete.
Als sie den Korridor entlangging, der zum Arbeitszimmer führte, erregte ein leichtes Flüstern ihre Aufmerksamkeit. Es war kaum wahrnehmbar, eher ein Hauch als ein Geräusch, aber es ließ Clara innehalten. Sie hielt den Atem an und lauschte. Nichts. Wahrscheinlich der Wind, der durch einen Riss in den Fenstern zog, beruhigte sie sich selbst. Doch in ihrem Inneren regte sich Zweifel. Der Flur war genauso verschlossen und kalt wie der Rest des Hauses, und sie hatte den gestrigen Tag damit verbracht, die Fenster zu überprüfen. Kein Lüftchen konnte durch die massiven Mauern und die schweren Fensterläden dringen.
Sie zuckte mit den Schultern und schob das Geräusch beiseite. Aber der Tag war noch jung, und sie konnte sich nicht von Kleinigkeiten beunruhigen lassen.
Als sie das Arbeitszimmer betrat, warf sie erneut einen Blick auf den massiven Schreibtisch, wo sie gestern den alten Schlüssel gefunden hatte. Sie hatte ihn mitgenommen, aber bisher keine passende Tür dafür entdeckt. Vielleicht gab es irgendwo einen versteckten Raum, einen Keller oder eine verschlossene Kammer, die sie noch nicht gefunden hatte. Doch heute war nicht der Tag für solche Entdeckungen. Stattdessen wollte Clara sich auf die offensichtlichen Spuren der Vergangenheit konzentrieren – alte Briefe, verstaubte Bücher, Gemälde. Alles, was ihr helfen könnte, die Geschichte ihrer Familie zu verstehen.
Sie zog einen der schweren, hölzernen Stühle näher an den Schreibtisch und begann, die Schubladen zu durchsuchen. Die meisten waren leer oder mit vergilbtem Papier und zerbröselnden Stiften gefüllt. Doch eine Schublade, die tiefer hinten lag, war verschlossen. Clara runzelte die Stirn und zog fester, aber sie bewegte sich nicht. Vielleicht passt der Schlüssel?Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf, und sie griff in ihre Tasche, um den alten Schlüssel hervorzuholen. Er war groß und schwer, fast überdimensioniert für eine einfache Schublade, aber sie beschloss, es zu versuchen.
Mit einem leisen Klicken drehte sich der Schlüssel im Schloss, und die Schublade glitt widerwillig auf. Clara hielt für einen Moment inne, bevor sie hineinsah. In der Schublade lag ein Stapel alter Papiere, sorgfältig gebündelt und mit einem Lederband zusammengehalten. Sie zog sie heraus und legte sie behutsam auf den Schreibtisch. Es waren alte Briefe, manche so verblasst, dass die Tinte kaum noch lesbar war. Andere wirkten, als seien sie erst vor einigen Jahren geschrieben worden.
Sie nahm den ersten Brief und entrollte das Papier. Es war in einer altmodischen, eleganten Handschrift verfasst, die schwer zu entziffern war. Aber als Clara sich darauf konzentrierte, konnte sie langsam einige Worte ausmachen: „Fluch … Opfer … die Schatten … unheilvoller Ursprung.“ Sie blinzelte und las die Passage erneut, aber die Worte schienen sich zu verschieben, als würden sie vor ihren Augen verschwimmen. Clara legte den Brief schnell beiseite. Fluch? Das Wort hatte ihr einen kalten Schauer über den Rücken gejagt.
Unwohl zog sie einen weiteren Brief hervor und öffnete ihn vorsichtig. Diesmal war der Text klarer und besser erhalten: „Das Haus wird uns nicht freigeben. Jeder, der hier lebt, trägt die Last dessen, was Elias getan hat. Die Dunkelheit … sie wächst, je länger sie unentdeckt bleibt.“ Clara stockte der Atem. Der Name Elias kam ihr bekannt vor – war er nicht derjenige, der in den alten Familienaufzeichnungen erwähnt wurde? Der einstige Besitzer von Lindenhall, dessen mysteriöses Leben die Dorfbewohner bis heute beschäftigte?
Je mehr Clara die Briefe durchging, desto deutlicher wurde es: Ihre Familie hatte etwas mit dem Herrenhaus zu tun, das weit über ein normales Erbe hinausging. Es schien, als wäre Lindenhall von einer Art Fluch heimgesucht worden, und Elias stand im Mittelpunkt dieses dunklen Vermächtnisses. Die Briefe deuteten an, dass etwas Böses im Haus lauerte – etwas, das von Generation zu Generation weitergegeben worden war.
Clara spürte, wie ihr Herz schneller schlug, während sie die letzten Zeilen eines Briefes las: „Wenn die Schatten sich wieder regen, wird das Blut der Familie den Preis zahlen. Es gibt keinen Ausweg.“ Sie ließ den Brief auf den Tisch fallen und lehnte sich zurück, ihre Gedanken rasten. Was war hier geschehen? Und wie war sie in all das verwickelt?
Plötzlich hörte sie wieder das leise Flüstern. Diesmal war es deutlicher, fast als käme es direkt aus dem Raum. Sie drehte sich um, doch niemand war da. Der Raum schien dunkler zu werden, obwohl es draußen noch Tag war. Ein unangenehmes Kribbeln lief über ihre Haut, als sie das Gefühl hatte, nicht allein zu sein.
„Wer ist da?“ Ihre eigene Stimme klang seltsam fremd und hallte in der Stille wider. Keine Antwort.
Mit einem Zittern in den Fingern begann sie, die Briefe hastig wieder in die Schublade zu legen. Die letzte Nachricht, die sie gelesen hatte, spukte ihr immer noch im Kopf herum. Es gibt keinen Ausweg. Was sollte das bedeuten? Sie hatte nicht vor, hier zu bleiben, wenn dieses Haus tatsächlich von etwas Dunklem heimgesucht war.
Gerade als sie die Schublade zuschob, hörte sie ein dumpfes Poltern aus einem der oberen Stockwerke. Clara zuckte zusammen. Das Geräusch war eindeutig – es klang, als wäre etwas Schweres umgefallen. Für einen Moment erstarrte sie, unsicher, ob sie nachsehen sollte oder ob es sicherer wäre, das Haus zu verlassen. Doch ihre Neugier war stärker als ihre Angst.
Sie nahm eine Taschenlampe vom Schreibtisch und machte sich auf den Weg die Treppe hinauf. Mit jedem Schritt, den sie tat, schien der Druck auf ihrer Brust stärker zu werden. Die Wände des Korridors schienen sich zu neigen, als wollten sie sie erdrücken. Doch sie ging weiter. Als sie das obere Stockwerk erreichte, hielt sie inne und lauschte. Es war still – unheimlich still. Clara leuchtete mit der Taschenlampe in den Flur, und das schwache Licht fiel auf alte, staubige Türen und lange, ungenutzte Räume.
Plötzlich hörte sie es wieder. Ein leises Poltern, gefolgt von einem Kratzen, das von einer der Türen kam. Clara schob die Tür vorsichtig auf und trat in das Zimmer. Es war ein altes Schlafzimmer, das seit Jahren nicht mehr betreten worden war. Die Vorhänge hingen zerfetzt an den Fenstern, und das Bett war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Doch das, was ihre Aufmerksamkeit erregte, war der große Spiegel an der Wand.
Er war zerbrochen. Zersplittert in mehrere Teile, die unnatürlich auf dem Boden lagen. Clara trat näher und betrachtete das Glas. Es war, als hätte etwas Gewaltiges ihn zerschlagen. Doch das Seltsame daran war nicht der Spiegel selbst, sondern das, was sie darin zu sehen glaubte. Für einen Moment glaubte sie, eine Gestalt in den Bruchstücken zu erkennen – eine Silhouette, die hinter ihr stand und sie beobachtete.
Sie wirbelte herum, doch da war niemand. Ihr Herz raste, und ihre Hände zitterten, als sie sich wieder dem Spiegel zuwandte. Diesmal war nur ihr eigenes Gesicht im gebrochenen Glas zu sehen, verzerrt und zersplittert, aber eindeutig sie selbst.
Clara spürte, wie ihre Kehle trocken wurde. Sie musste sich beruhigen, durfte sich nicht von ihrer Angst überwältigen lassen. Doch das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, war jetzt stärker denn je.
Sie ließ den Spiegel hinter sich und verließ das Zimmer so schnell sie konnte.
Clara saß am alten, hölzernen Küchentisch und starrte auf die Teetasse in ihren Händen. Der warme Dampf kräuselte sich in der kühlen Morgenluft, doch sie konnte sich nicht auf den sanften Geruch des Tees konzentrieren. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um die Ereignisse des Vortages – die merkwürdigen Briefe, das seltsame Poltern aus dem Obergeschoss und der zerbrochene Spiegel. Irgendetwas stimmte nicht mit Lindenhall, und das nagende Gefühl in ihrem Bauch wurde mit jeder Stunde stärker.
Die Stille des Hauses um sie herum war beinahe ohrenbetäubend, und Clara fühlte sich, als würde sie langsam erdrückt. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, als würde das alte Gemäuer seine Augen auf sie richten, neugierig, was sie als Nächstes tun würde. Sie schüttelte den Gedanken ab. Das war doch verrückt. Es war nur ein Haus. Ein altes, verlassenes Haus, das schon lange keine Menschen mehr beherbergt hatte. Aber trotzdem – diese unterschwellige Präsenz, die sie nicht abschütteln konnte, verunsicherte sie.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Clara fuhr zusammen und starrte auf die schwere Holztür, als hätte sie einen Geist gesehen. Sie hatte keine Besuche erwartet, und wer würde schon zu einem so abgelegenen Anwesen kommen? Das Dorf war einige Kilometer entfernt, und es hatte in den letzten Tagen keine Anzeichen gegeben, dass sich jemand in der Nähe von Lindenhall aufgehalten hatte.
Das Klopfen wiederholte sich, diesmal etwas lauter, aber immer noch gemessen und ruhig. Clara stand zögernd auf, ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie ging zur Tür, während sie versuchte, ihre Nervosität zu verbergen. Mit einem letzten Atemzug öffnete sie langsam die Tür und spähte vorsichtig hinaus.
Vor ihr stand ein Mann, vielleicht Mitte dreißig, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und dunklen, geheimnisvollen Augen. Sein Haar war dicht und ein wenig zerzaust, als hätte der Wind es durchwühlt. Er trug einen dunklen Mantel, der ihm bis zu den Knien reichte, und darunter einen groben Pullover, der darauf hindeutete, dass er oft draußen unterwegs war. Er hatte etwas Unnahbares an sich, etwas, das sie sofort spüren ließ, dass er nicht hierher gehörte – oder vielleicht gehörte er genau hierher, mehr als sie es jemals könnte.
„Guten Morgen“, sagte er in einer tiefen, ruhigen Stimme und lächelte leicht, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Entschuldigen Sie, wenn ich störe, aber ich bin in der Gegend unterwegs und wollte mich vorstellen.“
Clara runzelte die Stirn. „Vorstellen?“ fragte sie, ihre Stimme vorsichtig. „Ich wusste nicht, dass hier jemand lebt.“
„Oh, ich lebe nicht hier. Nicht mehr jedenfalls“, sagte er und fügte nach einer Pause hinzu, „Ich bin Alexander. Und Sie müssen Clara sein.“
Sie erstarrte. Wie konnte er ihren Namen kennen? Sie hatte niemandem erzählt, dass sie nach Lindenhall gekommen war. Die Anwältin, die sich um das Erbe gekümmert hatte, war die Einzige, die wusste, dass sie hier war, und selbst sie hatte keinen Grund, es weiterzugeben.
„Woher wissen Sie, wer ich bin?“ fragte Clara, während sie einen Schritt zurück trat. Ihre Finger umklammerten die Türklinke, bereit, die Tür zu schließen, falls sie sich bedroht fühlen sollte.
„Das Dorf ist klein. Neuigkeiten verbreiten sich schnell“, sagte Alexander, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. „Und Lindenhall – es hat immer Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Leute reden, wenn jemand hierherzieht.“
„Ich war noch nicht im Dorf“, entgegnete Clara. „Ich habe mit niemandem gesprochen.“
Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht haben Sie es noch nicht bemerkt, aber in diesen Teilen gibt es wenige Geheimnisse. Zumindest nicht die, die verborgen bleiben.“ Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht, aber bevor Clara ihn deuten konnte, war er verschwunden. Stattdessen neigte er leicht den Kopf und sah sie aufmerksam an. „Darf ich hereinkommen? Ich kann Ihnen ein wenig über die Gegend erzählen, wenn Sie möchten. Vielleicht helfen Ihnen ein paar Informationen über Lindenhall.“
Claras Instinkte schrien ihr zu, vorsichtig zu sein, aber gleichzeitig verspürte sie den Drang, mehr über Alexander zu erfahren. Irgendetwas an ihm zog sie an, obwohl sie sich nicht sicher war, ob es klug war, ihn in das Haus zu lassen. Doch vielleicht wusste er etwas, das sie nicht wusste – etwas, das ihr helfen konnte, die merkwürdigen Ereignisse und die unheimliche Stimmung in Lindenhall zu verstehen.
„In Ordnung“, sagte sie schließlich und öffnete die Tür ein Stück weiter. „Kommen Sie rein.“
Alexander trat ein, und die kühle Luft, die er mitbrachte, schien den Raum noch düsterer zu machen. Er sah sich kurz um, während Clara die Tür hinter ihm schloss. „Es hat sich nicht viel verändert, seit ich das letzte Mal hier war“, murmelte er, fast mehr zu sich selbst als zu ihr.
Clara stutzte. „Sie waren schon einmal hier?“
„Vor langer Zeit“, antwortete Alexander. „Lindenhall ist... sagen wir, es hat eine Art Magnetwirkung auf Menschen, die mit seiner Geschichte verbunden sind. Es ist schwer, diesem Ort zu entkommen, wenn man erst einmal hier gewesen ist.“
Seine Worte trafen einen Nerv bei Clara. „Was wissen Sie über das Haus?“, fragte sie und setzte sich wieder an den Küchentisch, wobei sie ihn beobachtete, wie er sich in der Küche umsah, als wäre er auf vertrautem Terrain.
„Lindenhall hat eine lange, komplizierte Geschichte“, begann Alexander, während er sich ihr gegenüber an den Tisch setzte. „Es wurde im 18. Jahrhundert erbaut und war im Besitz vieler Familien. Die meisten von ihnen sind längst vergessen, aber einige Namen sind geblieben – Namen wie Elias und Ihre Familie.“
Clara spürte, wie ihr Herz schneller schlug. „Elias? Sie meinen den Mann, von dem die Briefe handeln?“
Alexander hob eine Augenbraue. „Sie haben die Briefe gefunden?“
„Ja“, antwortete sie vorsichtig. „Sie deuten darauf hin, dass irgendetwas Unheimliches hier vor sich ging. Ein Fluch oder etwas in der Art. Und Elias scheint eine Schlüsselrolle zu spielen.“
Alexander lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist eine gute Zusammenfassung“, sagte er, aber in seiner Stimme lag ein Hauch von Bitterkeit. „Elias war mehr als nur ein gewöhnlicher Mann. Er war besessen von dem Haus, von dem Land und – so heißt es – von dunkleren Kräften, die hier lebten. Einige sagen, dass er einen Pakt geschlossen hat, um Macht zu erlangen. Andere glauben, dass er einfach wahnsinnig wurde.“
Clara schaute ihn lange an, während sie seine Worte verarbeitete. „Und was glauben Sie?“, fragte sie schließlich.
Er hielt ihrem Blick stand. „Ich glaube, dass hier mehr vor sich geht, als man auf den ersten Blick sieht. Dass das Haus, das Land, die Geschichte – all das – miteinander verwoben ist. Und dass niemand, der hierherkommt, ungeschoren davonkommt.“