Die Schlossbewohner - S. in der Heiden - E-Book

Die Schlossbewohner E-Book

S. in der Heiden

0,0

Beschreibung

Nachdem man den letzten Grafen erschossen im Park aufgefunden hatte und die Gräfin das Schloss nicht halten kann und auch nicht will, wird das Schloss nach Jahrzehnten versteigert und ein Architektenpaar erfüllt sich seinen Jugendtraum, der in der Familie so stark wurde, dass mittlerweile die gesamte Belegschaft der Firma Wörner damit infiziert ist. Die neuen Besitzer wollen mit ihren zwei Söhnen, einigen Mitarbeitern und deren Familien das Schloss bewohnen. Viel Arbeit und allerhand Abenteuer müssen überstanden werden. Dabei stoßen sie oft nicht nur an ihre eigenen Grenzen, sondern auch auf ein dunkles Geheimnis …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2018

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Sibylle in der Heiden

Die Schlossbewohner

Imprint

Die Schlossbewohner Sibylle in der Heiden Copyright: © 2018 Sibylle in der Heiden

E-Book-Erstellung: sabine abelswww.e-book-erstellung.de Cover: sabine abels

Titelfoto: © Amrith Raj

published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de Ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die über den Rahmen des Zitatrechtes bei korrekter vollständiger Quellenangabe hinausgeht, ist honorarpflichtig und bedarf der schriftlichen Genehmigung des Autors.

Über das Buch

Es geht um ein Schloss aus dem 12 Jh. und deren Bewohner. Ein Architektenpaar ersteigert ihren Jugendtraum. Ein Traum, der in der Familie so stark wurde, dass mittlerweile die gesamte Belegschaft der Firma Wörner damit infiziert ist.

Nachdem man den letzten Grafen erschossen im Park aufgefunden hatte und die Gräfin das Schloss nicht halten kann und es auch nicht will, wird das Schloss nach Jahrzehnten versteigert. Die neuen Besitzer werden mit ihren zwei Söhnen und einigen Mitarbeitern und deren Familien künftig das Schloss bewohnen. Viel Arbeit und allerhand Abenteuer müssen überstanden werden. Dabei stoßen sie oft nicht nur an ihre eigenen Grenzen, sondern auch auf ein dunkles trauriges Geheimnis.

Dank ihrer Kinder und am Festhalten an ihren Träumen findet die Geschichte noch ein den Umständen entsprechendes, gutes Ende.

Und nun wünsche ich viel Spaß beim Lesen.

S. in der Heiden

-1-

Bei Wörners beginnt der Tag wie immer mit neckischen Zankereien zwischen den Zwillingen. Jeder will morgens zuerst ins Bad. Ben ist dieses Mal schneller als sein Zwillingsbruder und hat sich auch gleich im Badezimmer eingeschlossen. Moritz ist beleidigt. „Dann komm doch erst frühstücken, Moritz, Papa und ich sitzen auch im Bademantel am Tisch“, ruft Mama ihm zu. So klettert der schlanke, blonde, dreizehnjährige Ben in seinem blauen Frottee-Bademantel mit lachender Emijoy Applikation auf der linken Brusttasche auf die Bank. Greift gleich nach einem Brötchen und will es gerade beherzt aufschneiden, als Papa langsam die Zeitung zusammenfaltet und meint: „Guten Morgen, mein Sohn, was sagt der Bauer, wenn er morgens in den Kuhstall kommt?“ „Guten Morgen, Papa!“ Alle müssen lachen. „Na, was habt ihr euch denn heute für Späße ausgedacht“, will Papa wissen. „Das kann ich dir doch nicht vorher verraten Paps, dann warnst du nachher noch die Lehrer“, posaunt Moritz verschmitzt. Moritz schmiert sich zentimeterdick Nutella auf dass Brötchen. So dick, dass Papa, nachdem Moritz das Glas wieder weggestellt hat, es an sich nimmt, aufsteht, in die Küche geht, einen langen Cocktail-Löffel aus der Schublade nimmt, in das Nutella Glas steckt und es seinem Sohn mit den Worten: „Den schäbigen Rest kannst du jetzt noch mit dem Löffel essen,“ vorsetzt. In der Tat, die Zwillinge sind alles andere als brave Schüler. Eigentlich sind es die Eltern, die ihre Söhne oft unbeabsichtigt zu Streichen ermuntern und die Mitarbeiter ihrer Eltern haben auch oft Flausen im Kopf, die die Jungs gerne für sich übernehmen. Mitunter müssen die Eltern in der Schule erscheinen. Dann haben es ihre Jungen mal wieder arg übertrieben. Wie z. B. im letzten Sommer, als ihre Söhne dem Hausmeister die Schlüssel stibitzten und die Pausenglocke verstellten. Der Unterricht wurde nach einer Viertelstunde mit dem Pausenzeichen unterbrochen und die Schüler sprangen alle auf und verließen fröhlich das Klassenzimmer. Die Lehrer standen kopfschüttelnd in ihren Klassenräumen oder auf den Fluren. Eine Dreiviertelstunde später zeigte dann die Glocke das Pausenende an und wiederum eine viertel Stunde später das Unterrichtsende. Die Lehrer waren verzweifelt, da die Schüler sich nach der Pausenglocke und nicht nach ihrem Klassenlehrer richteten. So zog sich der Vormittag hin, bis der Hausmeister mit dem Ersatzschlüssel in seine Räume kam und den Fehler in der Elektronik fand. Allen war sofort klar, wer hier die Finger im Spiel hatte. Der Schlüssel steckte dann auch plötzlich wieder in der Türe der Hausmeisterräumlichkeit. Klar hatten Ben und Moritz mal wieder Unsinn gemacht und sie standen auch dazu, denn sie waren stolz auf jeden ihrer Streiche. Die Schüler mochten die Zwillinge sehr gerne und hatten natürlich großen Spaß, sich an deren Aktionen zu beteiligen. Doch die Angelegenheit war mittlerweile für die beiden Jungs heikel, denn man dachte im Lehrerkollegium bereits über einen Schulverweis nach, den Papa Bernd mit einem großzügigen Angebot nochmal zu vereiteln versuchte. Doch dieses Mal will das Lehrerkollegium nicht darauf eingehen. Das so genannte Maß ist für die Lehrer und Lehrerinnen voll. Sie wollen wieder Ruhe in ihren Klassen haben und die Zwillinge von der Humbacher Schule verweisen. Auch der Elternbeirat steht hinter der Entscheidung der Lehrer und obwohl Bernd diesem Beirat angehört, wurde er vor den Kollegen überstimmt. „Auf meine Kosten ist hier an der Schule alles schön hergerichtet und in Ordnung gebracht worden und jetzt, wo alles fertig ist, werden meine Söhne von der Schule verwiesen?“ Bernd tobt vor dem Elternbeirat. Doch auch der Elternbeirat hat mit dieser Entscheidung Bernd überstimmt.

Eltern und Söhne sind entsetzt. „Das war einer unser harmlosesten Streiche“, mokieren sich Ben und Max und unterstreichen mit einem heftigen Kopfschütteln.

Die Lehrer mussten sich aber auch einiges gefallen lassen: Häufig wurden sie mal schnell im Kartenraum eingesperrt, wenn sie unachtsam ihre Schlüssel von außen auf der Türe stecken ließen. Anschließend wussten die Lehrer ganz genau, wo welches Material steht. Denn sie hatten ja genügend Zeit, sich im Kartenraum umschauen zu können. Was sollten sie auch sonst bis zu ihrem freigelassen werden tun, als sich alle Dinge zu betrachten? Manche Lehrer nutzten die Zeit sogar für Aufräumarbeit in diesem Kartenraum.

Eines Tages brachten die Zwillinge eine Schachtel Heimchem (Grillen) mit ins Klassenzimmer. Oh das war ein Gaudi! Die Schüler hatten Spaß. Das Zirpen der Heimchen ist noch heute zu hören.

Eines Morgens springt Frau Wessler (die Geografie-Lehrerin) unverhofft und wieselflink während des Unterrichtes plötzlich auf ihr Pult. Die ganze Klasse ist erst erstaunt und lacht sich anschließend halb schlapp. Niemand hätte dieser kleinen, untersetzten Frau diese sportliche Schnelligkeit zugetraut. Nach Realisierung, warum Frau Wessler so sprungaktiv war, standen kurz darauf einige Mädchen schreiend auf ihren Tischen. Vierzig Mäuse hatten die Zwillinge in einem Pappkarton ins Pult gestellt. Den Pappkarton hatte die Tiere nach kurzer Zeit zerbissen und als Frau Wessler die Türe zu ihrem Pult öffnete, um dort eine Mappe zu entnehmen, sprangen die Mäuse aus dem Pult. Frau Wessler bekam einen solchen Schrecken, dass sie gleich aufs Pult sprang, um sich vor den vielen Mäusen in Sicherheit zu bringen. Dieser Schrecken ist ihr dermaßen in die Glieder gefahren, dass sie noch heute in der Schule keinerlei Schranktüren mehr öffnet. Wenn sie etwas benötigt, bittet sie einen ihrer Schüler um Hilfe.

Auch ein böser Streich, den die Zwillinge ihrem Sportlehrer zufügten: nach Schulende will Herr Kringel mit seinem Fahrrad nach Hause fahren. Doch was ist das? Im Fahrrad-Reck steckt die Laterne. Das Fahrrad hängt noch heute an der Laterne und rostet mittlerweile vor sich hin. Die Zwillinge hatten dafür einen Hubwagen mit Fahrer bestellt, der ihnen dabei half, dieses Fahrrad über die Laterne zu hieven. Lehrer Kringel hat für sein Bike von Papa Bernd später ein Rennrad als Ersatz bekommen. Wörners lachen noch heute über diesen Streich ihrer Söhne. Die Lehrer nicht.

Die Zwillinge verschonten mitunter auch die Mädchen nicht. Wenn es sich gerade so anbot, wurde mal eben die Toilettentüre verbarrikadiert. Dabei halfen natürlich auch gerne andere Schüler mit.

Oder sie riefen mit verstellter Stimme ihren Schul-Pastor an, um den Geistlichen zu einem vermeintlich Sterbenden zu bitten, der dem Pastor dann putzmunter und ahnungslos die Türe öffnete.

Der Musiklehrerin, Frau Niggemann, wurde das Klavier verstimmt, Kartoffeln in die Auspuffe der Lehrer-Autos gesteckt, PCs manipuliert, der Hausmeister geärgert, die Liste der Streiche ist lang und teilweise sehr böse.

Bisher konnte es Papa Bernd immer wieder richten. Die Humbacher Schule wurde von ihm grundsaniert, wie er es nennt. Seine Söhne nimmt er immer in Schutz und stolz erzählt er seinen Mitarbeitern, welchen Streich seine Jungs mal wieder ausgeheckt hatten.

-2-

Ausnahmsweise sind Bernd und Lisa heute nicht in der Arbeit. Gemütlich haben sie mit ihren Söhnen gefrühstückt. Üblich ist das nicht, Papa Bernd ist morgens meistens bereits auf einer Baustelle, wenn Ben und Moritz aufstehen und heute fehlt die morgendliche Hektik. Üblicherweise verlassen Mama Lisa und die Zwillinge morgens die Wohnung gemeinsam. Sie gehen gemeinsam zum Busbahnhof. Die Zwillinge von dort weiter zur Schule und Lisa besteigt Linie 12, um zu ihrer Arbeit zu kommen. Wenn die Zwillinge spät dran sind, nehmen sie das Rad.

Heute ist es mal anders. Solche Tage, an denen Papa und Mama Zeit haben, sind bei Wörners selten und die Zwillinge genießen es.

Nachdem die Kinder aus dem Haus sind, wird es auch Zeit für Lisa und Bernd. Denn die Beiden haben heute etwas ganz besonderes vor. Sie erhoffen sich, heute ihren lange gehegten Traum erfüllen zu können. Hatten sie doch in der Zeitung gelesen, dass ihr Traumobjekt versteigert werden soll. Der kleine Artikel hat sie beide sehr erschrocken. Sofort und ohne zu zögern haben sie auf der Gerichtskasse die üblichen 10 % des Objektwertes eingezahlt und für heute nun ist um 11.30 h die Versteigerung angesagt. Ihr Glück wollen sie zumindest versuchen, wenn sie auch wenig Hoffnung haben. Den Kindern haben sie mit Absicht nichts von ihrem Vorhaben erzählt. Denn wenn ihnen die Ersteigerung nicht gelingt, bricht für die Jungs eine Welt zusammen. Diese Enttäuschung ist einfach zu groß und große Hoffnung machen sich Bernd und Lisa Wörner eh nicht. Sie hofften nur. Eigentlich ist heute ein trauriger Tag, denn beide gehen davon aus, ihren Traum, das alte Schloss Mötefiendt, nicht zu bekommen. „Sicher wird es sehr viele Bieter geben“, meint Lisa traurig zu Bernd gerichtet, der sich gerade seine Zähne putzt, während Lisa ihr Haar richtet. Im Hintergrund läuft das Radio und gerade kommt der Wetterbericht. Es wird sehr heiß werden an diesem Tag im Mai.

„Was soll ich nur anziehen?“ ruft Lisa kurz darauf aus dem Schlafzimmer. „Normale Straßenkleidung!“ kommt die Antwort von Bernd und so entschließt sich Lisa für Jeans und blaugeblümte Bluse. Das steht ihr gut, denn sie ist groß und schlank. Auch Bernd ist schlank, trägt Jeans und dazu sein rotgelbblaukariertes Lieblingshemd.

Und auf geht‘s …

Etwas später im Humbacher Gerichtsgebäude:

Der Rechtspfleger betritt den Saal. Ein großer, schlanker, dunkelhaariger, sehr gepflegt wirkender Mann mit modischer Brille so um die dreißig. Trägt trotz dieser schon fast unerträglichen Hitze einen nougatbraunen Anzug, beiges Hemd, braune Krawatte. „Eher langweilig gekleidet für so einen jungen Mann“, bemerkt Lisa flüsternd zu Bernd gerichtet. „Ich würde mich darin totschwitzen“ bemerkt Bernd flüsternd zurück. „Doch es ist immerhin noch Mai. Wahrscheinlich hat der junge Mann nicht damit gerechnet, dass es heute so außergewöhnlich heiß wird“, bemerkt Lisa.

Immer mehr Menschen betreten den Saal, was von Bernd und Lisa mit ängstlichen Blicken wahrgenommen wird. Lisa greift nach Bernds Hand. Ihre Hände sind total verschwitzt, dabei hat der Tag doch erst begonnen, aber es ist nicht nur der Hitze wegen, nein, eher wegen der Aufregung. Denn gleich wird ihr geliebtes Schloss von jemand Unbekanntem ersteigert werden. Ihr Traum wird heute zerplatzen wie eine Seifenblase. Bernd und Lisa sind traurig. Tränen stehen bereits in den Augen der Beiden. Sie halten ihre feuchten Hände fest umschlungen und gedrückt.

Der Rechtspfleger hat eine dunkelbraune Aktentasche dabei, die er nun auf dem Schreibtisch ablegt und sogleich bereits im Stehen öffnet. Bernd und Lisa beobachten interessiert jeden seiner Handgriffe. Er entnimmt der Aktentasche Unterlagen, die er fein säuberlich auf dem Tisch sortiert und mit auffallend schlanken Händen in Form rückt. Dann legt er ein Mäppchen mit Stiften, einen Locher und ein Diktiergerät daneben. All diese Dinge bekommen fein säuberlich ihren Platz auf diesem Pult. Ganz offensichtlich ist dieses hier nicht die erste Versteigerung, die er durchführt, obwohl der Rechtspfleger recht jung an Jahren ist, macht er einen sehr routinierten Eindruck. Nun setzt er sich hin, legt seine schlanken Hände gefaltet auf das Pult und schaut langsam in die Runde und dann die Stuhlreihen entlang, auf denen sich heute mindestens dreißig Personen eingefunden haben. Langsam schlägt er, ohne seinen Kopf vom Publikum abzuwenden, die Unterlagen auf und sagt in einem ganz ruhigen Ton:

„Versteigert wird heute das Wasserschloss Mötefiendt zur Aufhebung der Erbengemeinschaft.

Verkehrswert des Objekts: 390.000,-.“

Und nun liest er lethargisch aus den Unterlagen vor.

„Insgesamt 1.600 m² Wohnfläche, 40 Zimmer, Grundstück von 9.845 m², sehr gute Lage, Sanierungsbedarf am gesamten Schloss“. Dann blickt er kurz von seinen Unterlagen auf, macht eine kurze Pause und sucht Blickkontakt zu einem schlanken dunkelblonden Mann, etwa in gleichem Alter, in blauem Anzug und blauweiß gestreiftem Hemd und blauer Krawatte, der vorne mittig in der ersten Reihe Platz genommen hat. „Das Schloss,“ so fährt er dann weiter fort, „liegt in einem verwilderten Park mit großem See, Baujahr des Schlosses um 1250. Es handelt sich hierbei um eine vierflügelige Anlage mit je vier Geschossen. Um das gesamte Schloss führt ein noch teilweise gut erhaltener Wassergraben. An der Südseite führt eine ebenfalls sanierungsbedürftige Brücke über diesen Wassergraben.

In diesem Objekt, in dem die Statik, das Dach teilweise und die Fassade 2000 unter dem Denkmalschutz erneuert wurden, befinden sich sehr wertvolle alte Fresken, eine Stuckdecke, eine große Terrasse, zwei Rittersäle, eine Bibliothek und Räume zum Wohnen. Das Gebäude ist Lastenfrei. Die Gemeinde erhebt keine Ansprüche auf dieses Schloss“. Wieder hebt er den Kopf und schaut in die Runde und lässt seinen Blick kurze Zeit auf dem dunkelblonden Mann im blauen Anzug ruhen.

„Bietet einer der Eigentümer mit?“ fragt der Rechtspfleger dann mit erhobenem Kopf und über seinen Brillenrand schauend schwenkt er seinen Kopf ganz langsam von rechts nach links, als müsse er genau schauen, um niemanden zu übersehen oder zu vergessen und lässt dann seinen Blick wieder ganz kurz auf dem Mann im blauen Anzug liegen. Sein Blick wird von diesem erwidert.

Im Publikum werden Blicke gewechselt, doch niemand sagt etwas. Keinerlei Reaktion auf die Frage des Rechtspflegers. Stille im Saal. Nur ein leises Rascheln von Papier ist irgendwo zu vernehmen.

Lisa und Bernd Wörner haben sich absichtlich in die letzte Reihe gesetzt. Mit der Wand im Rücken Platz genommen. Von hier aus können sie das Geschehen gut beobachten und das verfolgen sie nun sehr genau. Ihre Blicke wandern die Stuhlreihen vor ihnen langsam ab. Sie sehen nur Hinterköpfe. Aber egal. Manche haben Blocks oder Schriftliches auf dem Schoß liegen. So viel ist aus Sicht der Wörners erkennbar. Wer könnte der Eigentümer sein? Fragt sich Lisa interessiert und schaut nochmals die Reihen mit den Anwesenden ab. Wörners waren bereits eine ganze Stunde eher als notwendig auf dem Amtsgericht. Sie waren die Ersten. Bernd Wörner ist Architekt und Statiker mit eigenem Betrieb. Seine Frau ist Industriekauffrau und kümmert sich um die Büroarbeit. Lisa und Bernd sind beide um die vierzig, mittelblond, beide groß, beide schlank und haben einen sportlichen Körperbau. Sie haben zwei 13-jährige Söhne, eineiige Zwillinge. Auch mittelblond, altersentsprechende Größe, schlank, sie heißen Ben und Moritz. Moritz ist 14 Minuten älter als sein Bruder Ben.

„Wenn keine weiteren Fragen sind,“ fährt der Rechtspfleger fort, „beginnt jetzt die Biet-Zeit von 30 Minuten. Es sind jetzt exakt 12.45 h“. Dann senkt er seinen Kopf und blättert in den vor ihm liegenden Unterlagen. Lisas Blickt schweift umher. Sie schaut, wo das nervöse Papierknistern herkommt, sieht aber nichts.

Die Stühle im Saal sind bis auf einen einzigen Platz alle besetzt. Und dieser leere Stuhl steht am Ende der Reihe gegenüber der Türe am Fenster. Lisa und Bernd beobachten die Lage. Ein älterer Herr vor ihnen blättert in einer Mappe. Andere schauen stur in Richtung Rechtspfleger. Einige tuscheln leise miteinander. Die Zeit vergeht. Papier knistert. Die Luft im Raum wird langsam stickig. Am Fenster steht jemand auf und öffnet das Fenster ganz weit und entschuldigt sich für sein Tun mit Blick in Richtung Rechtspfleger. Dieser erwidert die Entschuldigung mit einem freundlichen und erleichterndem nicken. Bisher wurde noch kein Gebot abgegeben und „die Bietzeit dauert noch 5 Minuten“, wirft der Rechtspfleger nach einiger Zeit ein.

Doch auch jetzt tut sich nichts. Vorsichtig erhebt Bernd seinen Finger und sagt leise, kaum hörbar, als hätte er einen Frosch im Hals: „ Ich möchte gerne das Mindestgebot abgeben.“ Plötzlich kommt Bewegung in den Saal. Alle Augen auf Bernd und Lisa gerichtet. Ein Tuscheln, es wird ein wenig Unruhig im Saal. Papier knistert noch heftiger als zuvor. Der Rechtspfleger schaut kurz auf und dann wieder in seine Unterlagen. Kurze Zeit darauf schaut er in die Runde und verkündet dann: „Die Bietzeit ist jetzt zu Ende. Gibt noch jemand ein höheres Gebot ab?“ Wieder schaut er ruhig und gelassen in die Gesichter, bis er seinen Blick auf den Mann im blauen Anzug haftet. Der Mann im blauen Anzug hebt kurz die Hand und sagt: „Stattgegeben!“ Der Rechtspfleger verkündet: „Da sich kein weiterer Bieter gefunden hat, geht das Schloss Mötefiendt an den Herrn in der letzten Reihe. Kommen Sie dann bitte mit ihrem Personalausweis zu mir“, sagt er mit einem Blick auf Bernd gerichtet.

Bernd und Lisa können in diesem Augenblick noch gar nicht so richtig realisieren, was da gerade passiert ist. Alles ging plötzlich so schnell. Sie haben soeben ein Schloss ersteigert. Nicht ein Schloss, sondern das Schloss! Das Schloss, von dem sie beide seit Jahren träumen! Welches sie schon lange ausgemessen, von dem sie zigmal die Statik berechnet haben, die Planung der Räumlichkeit schon lange steht, es bereits ein Jugendtraum von Bernd und Lisa ist. Hier vor diesem Schloss haben sie im Sommer im Gras gelegen und sich geliebt. Heimlich auf der Wiese vor dem Schloss mit ihren Freunden gefeiert und gegrillt, ihre Freunde mit ihren verrückten Ideen infiziert und später ihre Söhne.

Beide gehen sie zum Rechtspfleger und legen ihre Ausweise vor. „Wie wollen Sie aufteilen?“ werden sie gefragt. „Halbe halbe“, sagt Lisa geistesgegenwärtig und Bernd nickt zustimmend. Eine sehr elegant wirkende alte Dame mit hellblauem Hut auf silbergrauem mittellangem Haar und hellblauem Etuie-Kleid erhebt sich vom Stuhl, stampft mit ihrem schwarz glänzenden Gehstock kräftig auf und sagt laut und mit kraftvoller Stimme in den Raum: „In dem Schloss da spukt‘s!“ Dreht sich in Richtung Türe, die ihr ein älterer grauhaariger Herr in dunklem Anzug und weißem Hemd öffnet. Sie verlassen gemeinsam den Saal. Papier knistert, was von niemandem registriert wird. Erstaunt schauen sich Bernd und Lisa an. Bernd muss lachen und Lisa lacht mit. „Was war denn das für ein Auftritt von dieser alten Dame?“ Sie gehen beide nicht weiter darauf ein. Lisa und Bernd sind total erleichtert, ihre Ängste sind verschwunden. Sie können kaum fassen, was gerade geschah. Ihr Traum ist gerade zur Realität geworden. Lisa hätte den Rechtspfleger am liebsten vor Freude umarmt.

Beide freuen sich nun auf die Sanierungsarbeiten und können es kaum erwarten. Dieses Schloss ist seit ewigen Zeiten ihr Traum. „Was werden wohl die Kinder sagen?“, meint Lisa. „Die werden genauso erstaunt sein wie wir“, antwortet Bernd.