Die Sekundantin - Luisa Finsterwalder - E-Book

Die Sekundantin E-Book

Luisa Finsterwalder

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Beschreibung

Ein junger Mann berichtet von seiner eigenen Entführung und seiner gelungenen Flucht. Kommissarin Fuchs und ihr Kollege Joshua Abbas tauchen während seiner Zeugenaussage tief in die Geschehnisse ein und merken schnell: Hier nichts ist, wie es scheint. Langsam entwirrt sich ein Netz aus Lügen und Versagen und der Ahnung, das Recht eben nicht immer gleich Gerechtigkeit ist.

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Seitenzahl: 83

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Die Sekundantin

Luisa Finsterwalder

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Luisa Finsterwalder

© 2023 Luisa Finsterwalder, epubli

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Text: Copyright by Luisa Finsterwalder

Umschlaggestaltung: Copyright by Luisa Finsterwalder

Verlag: Luisa Finsterwalder c/o IP-Management #22386Ludwig-Erhard-Str. 1820459 Hamburg

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Gewidmet der Dunkelziffer.

Triggerwarnung:

In diesem Buch geht es unter

anderem um körperliche oder

sexualisierte Gewalt und Suizid. Es werden keine expliziten

Beschreibungen dieser auftreten,

jedoch werden diese Bereiche

angesprochen.

Prolog

Fünf Jahre  zuvor

Es war zwar nur ein kleiner Riss in der Straße, doch für die Ameise, die sich gerade ihren Weg durch die für sie schier endlos erscheinend müssende Betonwüste bahnte, war es geradezu ein Abgrund. Lotta kam nicht umhin sich zu fragen, ob es nicht in Wirklichkeit allen so ging wie der Ameise. Es war doch irgendwie alles eine Frage der Perspektive. Joshua Abbas Fuß, der nur Zentimeter neben dem Insekt seinen Platz auf dem Asphalt fand, riss sie aus ihren Gedanken. „Oft ist uns die drohende Gefahr, der wir entgehen, wahrscheinlich gar nicht bewusst“, schoss es ihr mit einem letzten Blick auf das Tier durch den Kopf. Mit der freien Hand griff sie nach dem Kaffee, den ihr Kollege ihr nun hinhielt. Ein Blick auf Joshua verriet ihr, dass der heutige Tag auch an dem Kommissar nicht spurlos vorbeigegangen war. Seine Augen trugen dieselbe Machtlosigkeit, die auch sie in sich spürte. Eine ungewohnte Ausstrahlung an dem sonst immer optimistischen Mittvierziger. „Ich bin mir sicher, dass das nicht leicht war“, seine tiefe Stimme brummte in Lotta nach. Die Kommissarin nippte an ihrem Kaffee. Wie ein Schluck voll flüssigem Trost rann er seinen warmen Weg durch ihre Kehle.

Während sich die Sonnenstrahlen ihren mühseligen Weg durch die bereits bunten Blätter der Herbstbäume bahnten, änderte sich unter ihrem Licht auch Joshuas Gesichtsausdruck. Er nestelte an seinem Pappbecher herum, was, wie Lotta fand, auch nicht zu ihm passte. Seine ruhige und ausgeglichene Art und die Souveränität, die er mitbrachte, waren das Erste gewesen, was der Kommissarin an ihm aufgefallen war, als sie vor einigen Jahren ihren ersten Fall zusammen bestritten hatten. Der Grund für seine Unrast lag nicht in den heutigen Ereignissen, dafür kannte sie ihren Kollegen zu gut. Er hatte sich nicht zu ihr auf die Bank vor dem Gerichtsgebäude gesetzt und stand nun immer noch etwas unschlüssig vor ihr. Typisch so wie er es immer machte, legte er seinen Kopf etwas schräg und lächelte sie schief an: „Ich hatte gedacht, vielleicht können wir bald mal zusammen essen gehen?“ Er bemühte sich um eine entspannte Mimik, doch Lotta wusste, dass dies keine Frage nach einem Dinner unter Freunden war. Sie nahm einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee und haftete ihren Blick ein wenig länger am Rand des Bechers fest, als es nötig gewesen war. Joshua Abbas war ihr Vertrauter und so hatte sie keine Bedenken, ehrlich mit ihm umzugehen. „Nicht heute, Josh“, antwortete sie und nahm den Blickkontakt zu ihm wieder auf. Er gehörte nicht zu der Sorte Menschen, die Druck aufbauen würden. Er gehörte nicht zu der Sorte Menschen, die beleidigt wären. Er bedachte seine Fragen oft lange und zog alle Antworten in Betracht und erst wenn er sicher war, dass er mit allen Ausgängen der Situation umgehen konnte, stellte er sie. Lotta war überzeugt, dass hierin seine Souveränität fußte. Sie sollte Recht behalten, denn Josh lächelte nur und drehte seinen Kopf in Richtung der Sonne.

So herrlich das Spiel der Lichter nach außen schien, so dunkel fühlte sich Lottas Seele an dem heutigen Tag an. Auch ihr Kollege wirkte müde und geschafft. Er hatte Recht, dass heute kein leichter Tag war. Für niemanden. Mit einem tiefen Seufzer setze Lotta ihren Becher wieder an die Lippen. Es nervte sie, sich so zu fühlen und es ärgerte sie, nach so vielen Jahren in ihrem Beruf immer wieder an die gleichen Punkte zu gelangen. Sie spürte, dass Josh sich ihr wieder zugewandt hatte. Wie so oft nahm er die Schwingungen auf, die sie aussendete. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es nicht schlimm ist, wenn jemand anderes gewinnt, solange du nicht das Gefühl hast, verloren zu haben“, sagte er ruhig und wandte sich zum Gehen. „Wir sehen uns auf dem Kommissariat Lotta.“

Die Kommissarin sah ihm nach, wie er sich auf den Weg machte und ließ seine Worte in sich verklingen. Sie blieb noch eine ganze Weile sitzen, ehe sie die Kraft fand, die Bank und somit auch den Tag hinter sich zu lassen.

Kapitel I

Anouk hatte den Lautsprecherregler ihres Autoradios laut aufgedreht, um das Scheppern des alten Wagens zu übertönen. Alles, was sie an Stimmsicherheit an sich vermisste, machte die junge Frau mit Selbstbewusstsein wett. Ihrer Meinung nach waren achtzig Prozent eines gelungenen Solos doch auch nur Attitüde und Ausstrahlung. Es war ihr Ritual geworden, auf dem Weg nach Hause von der Arbeit alles herauszusingen, was ihr über den Tag die Seele erschwert hatte. Heute war ihre Songwahl auf Don’t let me down von den Beatles gefallen. Bei ihrer Performance ging es allerdings nicht nur um die reine Gesangskunst. Da sie im Rahmen ihres Auto-Konzertes eine Ein-Frau-Band war, setze sie auch alle anderen Instrumente um. Mit flinken Fingern trommelte sie zum Rhythmus auf den Lenker ihres Wagens. Sie pfiff die Melodie und schnalzte zu dem Sound, der das Auto füllte. Die Landstraße änderte sich unter ihren Reifen zu einem sich schlängelnden Waldweg.

Zwar war die Straße auch hier noch asphaltiert, dennoch bereute Anouk auf diesem Teil des Weges jedes Mal alle Horrorfilme, die sie jemals gesehen hatte. Sie war froh, heute noch bei Tageslicht losgekommen zu sein. Die letzte Minute des Liedes war mittlerweile angebrochen und Anouk machte sich bereit, ihre persönliche Showeinlage auf einen akustischen Höhepunkt zu steigern. Sie holte tief Luft und hielt dann doch inne. Ein weiteres Geräusch hatte sich mit ihrem Radio vermischt. Anouk seufzte, gab ihr vierrädriger Gefährte jetzt doch langsam den Geist auf? Ermattet von der Ahnung drehte sie den Regler der Anlage herunter. Nein. Ihr Auto quietschte und tuckerte zwar, jedoch in den ihr vertrauten Tönen. Nichts, was sie beunruhigt hätte. Doch das Geräusch hielt an. Eine Art Dröhnen oder Brummen mit sehr viel Hall. Sie schaltete das Radio ganz ab, um besser hören zu können. Das Geräusch kam eindeutig von außerhalb des Wagens. Anouk verlangsamte das Auto etwas und lauschte. Noch immer konnte sie die Töne nicht zuordnen. Doch es sollte nicht lange dauern, ehe sie sah, woher oder vielmehr von wem der Krach kam. Nein, kein Krach, Schreie. Markerschütternde, laute Schreie, die sich nun direkt bis zu ihrer Seele vorarbeiteten und ein schreckerfülltes Kribbeln in ihren Füßen auslösten. Noch nie hatte Anouk jemanden so schreien hören. Und dann sah sie ihn. Gerade hatte sie noch auf den Waldrand geblickt, als er plötzlich auftauchte.

Mit einer Geschwindigkeit, als wäre das wahrhaft Böse hinter ihm her, schoss der Mann vor ihr auf die Straße. Anouk trat in die Bremsen und kam nur Zentimeter vor dem Mann stehen. Seine Hände landeten auf ihrer Motorhaube und für einen Moment starrten der Fremde und sie sich nur an. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie seinem wilden Blick standhielt. Sie hörte ein Rauschen in ihren Ohren, doch der erneut angehobene Schrei des Mannes drang trotzdem zu ihr vor: „Hilf mir!“ Anouk konnte sich nicht bewegen. Sie starrte den Mann nur an, der sich nun den Weg zu ihrer Fahrertür bahnte. Erst jetzt erkannte sie, dass der Fremde keine Kleidung trug. Bis ins Mark erschrocken beobachtete sie sein Schreien, während er neben der Tür zum Stehen kam. Immer die gleichen Worte kamen aus seinem Mund: „Hilf mir! Hilf mir! Hilf mir!“ Mit einer schnellen Bewegung griff der Mann zum Öffner ihrer Autotür. Wie aus einem Reflex heraus reagierte Anouk instinktiv. Die Zentralverriegelung ihres Autos schloss, noch bevor der Mann den Griff betätigen konnte.

„Mach die Tür auf!“, schrie der Mann jetzt und rüttelte an dem Auto. „Mach auf! Mach die Tür auf!“ Sie sah die Verzweiflung in seinem Gesicht, jedoch sah sie auch seine Wut über die geschlossene Tür. Sie spürte eine Furcht, die sie so nicht kannte. Ihr Köper reagierte nicht mehr und das Nachdenken war nun fast unmöglich geworden. Alles, was sie tat, fühlte sich an, als hätte sich jemand anderes in ihren Körper gesetzt und gesagt: „Ich übernehme das jetzt.“ Ehe sie es sich versah, trat sie auf das Gaspedal. Das alte Auto machte einen Satz nach vorne und kam dann ruckartig zum Stehen. Anouk hatte den Blick auf die Straße vor sich geheftet. Sie traute sich nicht, nach dem Mann zu sehen, dessen Hand eben noch an dem Griff gewesen und der durch den Stoß gefallen war. Langsam hob sie ihre Augenlider und fokussierte ihre Augen auf den Rückspiegel.