Die Spur des Delfins - Ana Marquez - E-Book

Die Spur des Delfins E-Book

Ana Marquez

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Beschreibung

Auf der Atlantikinsel Madeira ist ein Meeresbiologe getötet worden oder hat er sich doch selbst umgebracht? Dieses Rätsel versuchen der Maler Joao und seine Freunde zu lösen. Dabei werden sie immer tiefer in dunkle Geheimnisse hineingezogen. Sie folgen den Spuren des Delfins und erfahren Erschreckendes und Aufrüttelndes. Schon lange ist ihnen klar, dass es um mehr geht, als um die Aufklärung eines Todesfalls...

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Seitenzahl: 232

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ähnliche


Für Xaviero und Inka

Inhalt

Prolog

Ein Wiedersehen, eine Enttäuschung und ein Entschluss

Reiche Leute und bunte Fische

Jour Fixe

Lissabon und Redwoods

Delfine, Delfine, Delfine

Erste Spuren

Cynthia und George

Isabella

Die Desertas

Geständnis im Jardim Botanico

Epilog

Sowie ein Delfin auf den menschlichen Geist trifft, wird eine tiefe, nachklingende Saite angeschlagen.

Wade Doak, Filmer und Meeresschützer

Prolog

Die Silvesternacht glühte. Leuchtspuren in allen Farben zischten über den Himmel und tauchten die Gebäude am Strand sekundenlang in bunt funkelndes Licht. An Bord des Kreuzfahrtschiffes spielte eine Band mutwillig verjazzte Hits aus den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Doch jetzt befanden sich alle Passagiere an Deck, um das berühmte Feuerwerk von Funchal, der Hauptstadt der atlantischen Blumeninsel Madeira, nicht zu verpassen. Ununterbrochen klickten die Auslöser der Kameras, und die Menge raunte in kindlichem Staunen ah und oh. Alle waren glücklich in diesem Moment.

Alle? Unten, in einer der teuersten Kabinen des Schiffes, saß ein etwa fünfzigjähriger Mann auf seinem Bett, das im Reiseprospekt als Koje bezeichnet wurde, und starrte vor sich auf den Fußboden, wo es nichts Bemerkenswertes zu sehen gab. Er trug feste Schuhe und eine Windjacke, so als wollte er nach oben zu den anderen gehen, aber er machte keine Anstalten, sich vom Bett zu erheben. Bewegungslos saß er da, einem Denkmal mit dem Titel „der Grübelnde“ nicht unähnlich.

Ein Wiedersehen, eine Enttäuschung und ein Entschluss

Die Maschine aus Lissabon hatte Verspätung. Ungeduldig sah João Freitas, den seine Freunde manchmal Johnny nannten, weil er eine englische Mutter hatte, auf die Armbanduhr. Schon viertel vor zwei, um fünf musste er wieder in Funchal in der Galerie sein. Ein wichtiger Kunde wollte kommen, ein Amerikaner aus New York.

Nach einem halben Leben, in dem João die meiste Zeit von der Hand in den Mund hatte leben müssen und oft überlegt hatte, sein Künstlerdasein an den Nagel zu hängen und endlich etwas Anständiges zu lernen, wie sein Vater es ausdrückte, waren in New York plötzlich die guten Zeiten angebrochen. João verdankte Dave Miller, dem weltweit bekannten Kunstsammler und Mäzen, viel. Anfangs konnte João es nicht glauben, dass dies der internationale Durchbruch für ihn war, und er rechnete damit, fast hoffte er seltsamerweise darauf, dass sein Riesenerfolg in der internationalen Kunstwelt so schnell vergehen würde, wie er gekommen war. Schon längst spielte es keine Rolle mehr, dass João ein madeirensischer Maler war, geboren und aufgewachsen auf der Insel. Sein Gönner Miller, der sich nicht wenig darauf einbildete, einen derart erfolgreichen Künstler entdeckt zu haben, sagte ihm, dass es von nun an immer Menschen geben würde, die seine Bilder sammelten.

In einigen bedeutenden Fachzeitschriften waren lange Artikel über Joãos Farb- und Formempfinden erschienen, man verglich ihn mit Gauguin, schrieb, er habe eine neue Phase des Existentialismus eingeleitet, den man doch schon für längst tot gehalten hatte und dessen Wiederauferstehung man nun begeistert feierte.

„Sie sagen, du hast einen Kunststil erfunden, damit bist du schon zu Lebzeiten unsterblich“, versicherte Miller dem fassungslosen João. „Du hast deinen eigenen Stil geprägt, giltst jetzt als Begründer einer Wende zurück zum Figürlichen. Dir kann wirklich nichts mehr passieren, alter Junge, du hast ausgesorgt.“

Mit der Zeit hatte sich João an sein Glück gewöhnt, hatte angefangen, daran zu glauben, hatte sich ein schönes Haus hoch über der steil ansteigenden Bucht von Funchal gekauft und ein besseres Auto. Und hatte ansonsten genau das Leben beibehalten, das er vorher geführt hatte. Nicht einmal die Freundin hatte er gewechselt. Er war noch immer mit Isabella zusammen, der schönen Lissabonnerin, auf die er jetzt wartete.

Die Anzeigentafel blinkte, die Maschine aus Portugal war gelandet. Gleich würde er Isabella endlich wieder bei sich haben. Verdammter Atlantik, dachte er, und musste dann über sich grinsen. Am Meer lag es sicher nicht, wenn zwischen ihren Treffen immer wieder große Lücken seine Geduld strapazierten.

Isabella war eine viel beschäftigte Journalistin, reiste ständig in der Welt herum, immer auf der Suche nach einer guten Story. Die Zeitschrift, bei der sie arbeitete, war bekannt für ihre politischen Hintergrundberichte. João vermutete, dass die Recherchen immer viel gefährlicher waren, als Isabella ihm gegenüber zugab.

Aber was konnte er machen? Sie liebte ihren Beruf, hatte ihn schon ausgeübt, als sie João traf, und es war unmöglich, sie sich als nicht schreibend vorzustellen. Genauso wie ihr langes, dunkles, glattes Haar und die braunen Augen, gehörte ihr kleiner Laptop zu ihr, in den sie ständig etwas eintippte. Auch, wenn sie im Urlaub war.

Am Anfang ihrer Beziehung hatte es ein paar Szenen zwischen ihnen gegeben, weil Isabella niemals aufhörte zu arbeiten, zu schreiben, zu telefonieren. Sie hatte ihn angeschrien, dass er sie entweder so oder gar nicht haben konnte, und er hatte sich fast sofort für so entschieden. Das war jetzt schon bald zehn Jahre her. Er lächelte bei dem Gedanken an ihre Anfangszeit, während er wartete und sich auf das verlängerte Wochenende mit ihr freute, das sie ihrem vollgepackten Terminplan abgerungen hatte.

Natürlich musste sie arbeiten, und er ausnahmsweise auch, aber sie würden abends rausfahren nach Camara de Lobos und in dem romantischen, nur mäßig touristischen Fischerdorf mit den bunt bemalten Booten im Hafen essen. Sie würden vielleicht sogar Zeit für eine klitzekleine Levadawanderung finden, bevor er Isabella wieder zum Flugplatz bringen musste.

„Du bist ein Idiot“, sagte er in Gedanken zu sich selbst. „Sie ist noch nicht einmal da, und du denkst schon wieder ans Ende.“

Isabella kam im Laufschritt mit einem strahlenden Lächeln auf ihn zu, ihren winzigen Koffer, den sie immer auf Reisen benutzte, zog sie hinter sich her.

„João“, rief sie, „wie schön, dass du mich abholst!“

Er hatte bis zuletzt nicht gewusst, ob er es schaffen würde zum Flughafen zu kommen, denn sein amerikanischer Besucher war anspruchsvoll. Dave Miller rechnete mit neuen Bildern und einer perfekten Präsentation in der Galerie. Heute Abend war die Vernissage, vorher traf Dave sich mit João auf einen Drink am Hafen. Vielleicht war es gut, Isabella zu Dave mitzunehmen, die beiden kannten sich noch nicht und konnten einander beschnuppern, und es würde nicht so auffallen, wie nervös João war.

Er schob die Gedanken beiseite und breitete die Arme aus. Mit einem leisen Juchzer stürzte Isabella sich hinein, und er grub die Nase tief in ihr Haar, sog den Duft ein und träumte sofort davon, dies jeden Abend und jeden Morgen tun zu können. Manchmal hatte er genug vom ewigen Getrenntsein, wünschte sich, dass sie bei ihm blieb oder er zu ihr nach Lissabon zog. Aber sie hatten schon oft darüber gesprochen. Vorläufig gab es keine Möglichkeit zusammenzuleben. Er wollte nicht in einer Wohnung auf sie warten, fern der Heimat. Auf Dauer wollte er nirgends leben als auf Madeira.

„Wie war dein Flug, Liebling?“, fragte er, als sie zum Auto schlenderten, Hand in Hand und ganz langsam.

„Ruhig. Das Flugzeug ist schon zu spät los. Keine Ahnung, warum“, antwortete Isabella. „Was machen wir? Wenn du willst, kann ich dich nachher zu Dave begleiten.“

Perfekt. Wieder einmal hatte sie seine Gedanken gelesen.

„Und ob ich will. Dave hat schon so oft gesagt, dass er dich gern kennenlernen würde.“

Er beugte sich zu ihr und fasste ihre Schultern ein wenig fester und küsste sie sanft auf den Mund.

„Dann fahren wir erstmal nach Hause, lassen deine Sachen dort“, sagte er und zwinkerte ihr zu. Sie dachten beide dasselbe, nämlich an sein großes, breites Bett.

Seit einigen Jahren gab es jetzt die mit EU-Geldern gebaute Autobahn, die von Canical die Küste entlang bis hinunter nach Ribeira Brava reichte, alles in allem circa fünfzig Kilometer. So sehr João auch das Herz geblutet hatte, als die Autobahn gebaut worden war, so praktisch fand er sie jetzt manchmal. Früher hatte er auf einem schmalen Sträßchen die Küste entlang nach Funchal kurven müssen. Das ging jetzt bedeutend schneller.

In Joãos Haus hoch über der Stadt mit dem wunderbaren Blick auf den tiefblauen Atlantik, trat Isabella auf die Terrasse und ließ sich mit einem Seufzer in einen der gepolsterten Korbstühle fallen.

„Jetzt hätte ich gern eine Poncha“, sagte sie.

„Kommt sofort.“

Poncha war Isabellas Lieblingsgetränk, das Nationalgetränk Madeiras. Der Drink bestand aus Orangensaft, Zuckerrohrschnaps, Honig und noch andere Zutaten, die von Barmann zu Barmann variierten. João tat zum Beispiel ganz wenige äußerst fein geschnittene Ingwerwürfelchen mit hinein, etwas, dass er Isabella gegenüber mit keinem Sterbenswörtchen erwähnte. Er servierte seine Poncha immer mit einem Rand aus braunem Zucker auf dem Glas.

Zärtlich betrachtete Isabella ihn, wie er ein Tablett mit Gläsern, eine Holzschale mit Nüssen und noch andere Kleinigkeiten balancierend zu ihr auf die Terrasse trat. Sie hatte ihn nicht von Anfang an attraktiv gefunden, damals, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Obwohl er sicherlich mit seinen blaugrauen Augen, den dunkel gewellten Haaren und den markanten Gesichtszügen ein gutaussehender Mann war. Aber das waren viele und für Isabella kein Grund, sich in sie zu verlieben. Schon gar nicht in einen Hinterwäldler, denn schließlich kam sie aus der großen Hauptstadt Lissabon, und er war Bewohner einer abgelegenen Insel im Atlantik, die zwar zu Portugal gehörte, aber bis vor Kurzem noch ziemlich unterentwickelt gewesen war.

Was Isabella an João so faszinierte, dass sie ihr geliebtes Singleleben aufgab, war seine Hartnäckigkeit, gepaart mit künstlerischer Sensibilität und Fantasie.

Sie waren sich in Isabellas Urlaub auf der Insel begegnet, ganz klassisch, in einem Café. Wie immer hatte sie geschrieben, damals noch nicht mit einem Laptop, sondern mit der Hand, und er war sehr höflich an ihren Tisch getreten und hatte mit einem Lächeln in den Augen erklärt, dass er sich schon die ganze letzte Stunde über fragte, was sie da so eifrig schrieb. Er wolle sie wirklich nicht belästigen, aber sie würde ihm eine sooo große Freude machen, wenn er sie zu einem Kaffee einladen dürfe. War sie vielleicht eine Schriftstellerin?

„Nein“, sagte sie zu ihrer eigenen Überraschung, denn normalerweise ging sie auf plumpe Anmache nicht ein. Auf gar keine Anmache, um genau zu sein. Aber dieser Mann hatte etwas Gewinnendes, dem sie nicht widerstehen konnte.

„Ich bin Journalistin“, erklärte sie und nannte ihm das Blatt, für das sie arbeitete.

Er zog überrascht die Augenbrauen hoch.

„Das lese ich immer“, sagte er und setzte sich, ohne auf ihre Aufforderung zu warten, auf den einzigen Stuhl, den sie nicht mit Taschen belegt hatte.

„Sagen sie bloß, sie schreiben dort den politischen Kommentar und diese wunderbaren Artikel. Sind Sie am Ende Letizia Delgado?“

Sie blickte säuerlich, und er sah, dass er dabei war, sich um Kopf und Kragen zu reden.

„Entschuldigen Sie“, sagte er und stand wieder auf. „Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist João Freitas. Sie haben sicher noch nie von mir gehört. Ich bin Maler, kein besonders erfolgreicher, fürchte ich.“

Überrumpelt von seiner uneitelen Ehrlichkeit musste

Isabella lachen.

„Was malen Sie denn?“, fragte sie, neugierig geworden.

Auf ihn, die Kunst - sie wusste es selbst nicht genau. Wollte es nicht wissen. Seit langer Zeit war da mal wieder ein Mann, der sie interessierte.

„Ich male die Insel“, sagte er einfach.

„Madeira?“, fragte sie.

„Gibt es eine andere?“, fragte er lächelnd zurück, und sie lachten.

So hatte es angefangen zwischen ihnen, heiter, sorglos, und es war immer so weitergegangen. Wenn sie ihn sah, war sie im Urlaub und er auch. Erst in der letzten Zeit hatte sie an sich eine gewisse Reisemüdigkeit entdeckt.

„Du wirkst heute so nachdenklich, Liebling“, sagte João in ihre Gedanken hinein. „Ist irgend etwas?“

„Nein, ich bin nur ein bisschen müde. Kann ich mich noch kurz hinlegen?“

„Natürlich. Ich lege mich dazu, wenn ich darf.“

„Wie wunderschön du bist“, er zog sacht mit dem Finger die Linie ihres Bauches nach. Sie hatten sich geliebt, hitzig, eilig, mit Blick auf die Uhr. Isabella freute sich auf den Abend, der vor ihr lag. Sie liebte es, dabei zu sein, wenn eine Vernissage von João eröffnet wurde. Sein Blick auf die Dinge und Landschaften erstaunte sie immer aufs Neue, und es erfüllte sie mit tiefer Befriedigung, dass er nun endlich den Ruhm genoss, der ihm zustand. Was für ein Glück die Welt gehabt hatte, dass João ein solcher Sturkopf war, der einfach immer weiter gemalt hatte, auch wenn ihn die Kunst kaum ernährte.

Vieles war einfacher geworden zwischen ihnen, seit João Erfolg hatte und sich Dinge leisten konnte. Aber das Wesentliche hatte sich nicht verändert. Sie waren immer noch João und Isabella, unendlich froh, einander gefunden zu haben.

An Deck der Vagrant, einer alten Yacht, die einmal den Beatles gehört hatte, saß Dave Miller und winkte ihnen zu. Dave hatte es sich mit einer Flasche Whiskey schon gemütlich gemacht.

„Den Beatles ist es hier auch nicht besser gegangen als dir“, sagte João statt einer Begrüßung. Im Laufe der Jahre, die sie sich nun schon kannten, hatte sich João langsam an die lebhafte Art des Amerikaners gewöhnt. Klein, untersetzt, mit freundlich und manchmal auch listig funkelnden Augen ließ Dave es sich nicht nehmen, jedes ihrer Wiedersehen zu einer für Joãos madeirensischen Geschmack völlig überzogenen Demonstration seiner Zuneigung zu machen.

Erst seit João ein halbes Jahr in New York gewohnt hatte, sah er Daves Verhalten mit anderen Augen. Insgeheim hatte er sich sogar zu fragen begonnen, ob nicht die Art seiner eigenen Landsleute gegenüber Fremden eine Spur zu reserviert war. João hatte es genossen, in New York mit irgendwelchen Leuten, die zufällig am selben Tresen lehnten, ein Gespräch über Gott und die Welt anzufangen, einfach so. Natürlich hatte es geholfen, dass ihm Patricia, Patty genannt, begegnet war, eine waschechte New Yorkerin, Kind der Großstadt und bereit, ihm Ecken ihrer Heimat zu zeigen, in die ein Tourist nur selten kam. Durch Patty hatte er schwarze Musik kennengelernt, zu Blues und Soul in Clubs getanzt, in denen er der einzige Weiße war.

Die Schwarzen in New York, ihr Körpergefühl, wenn er sie beim Tanzen beobachtet hatte, ihre Geschmeidigkeit, all das hatte seiner Kunst einen kräftigen Schubs in Richtung afrikanisches Design gegeben. Afrikanische Muster - damals hatte er nicht ahnen können, wie begeistert die Kritiker diesen neuen Stil in seinen Bildern aufnehmen würden. Er hatte New York alles zu verdanken, wirklich alles.

Als er in seinen Gedanken so weit gekommen war, spürte João ein ungewohnt heftiges Gefühl der Rührung in sich und schloss Dave fest in die Arme, noch bevor er ihn Isabella vorgestellt hatte.

„João!“, rief Dave. „Wie geht es dir, alter Junge? Hervorragend, wie ich sehe“, sagte er mit einem Augenzwinkern in Richtung Isabella. „Bitte, möchtest du mich nicht mit deiner reizenden Begleiterin bekannt machen?“

„Klar. Isabella, das ist mein alter Freund Dave Miller. Und das Dave, ist die Dame meines Herzens, Isabella Da Silva aus Lissabon.“

Dave verdrehte die Augen, als er sich über Isabellas Hand beugte und so tat, als wollte er einen Kuss darauf drücken. Halb belustigt, halb irritiert zog sie ihre Hand zurück.

Isabella wusste alles über die Jahre vor Dave, hatte erlebt, wie João von Verkauf zu Verkauf seiner damals noch kleinformatigen Bilder gezittert hatte und war froh, dass die Zeiten in der dunklen, billigen Mietwohnung in einem schäbigen Haus in der Altstadt vorbei waren. Ein Engel war ihm erschienen, gerade als er angefangen hatte, den Mut zu verlieren, ein Engel in Gestalt des exzentrischen Dave, und wie von Zauberhand hatte sich das Blatt gewendet. João war nach New York gegangen, hatte dort diese unausstehliche Person kennengelernt, Patty, von der er schwor, dass sie nichts von ihm gewollt hatte und er schon gar nicht von ihr. Zumindest letzteres glaubte ihm Isabella. Sie musste sich eben daran gewöhnen, João mit einem Schwarm von weiblichen Bewunderern zu teilen. So war es nun mal, wenn man die Freundin eines erfolgreichen Künstlers war. Natürlich dachte sie nicht daran, dieses Teilen auf seinen Körper auszudehnen. Darin war sie sich mit João absolut einig, der eher noch eifersüchtiger als sie selbst, ausgesprochen heißblütig reagieren konnte, wenn er einen Mann verdächtigte, mit Isabella zu flirten.

Dave bestellte für João und Isabella eine Poncha und ein Glas Rotwein.

„Ich bin so gespannt, was du neues hast“, Dave rieb sich die Hände. „Die letzten Jahre liefen traumhaft, jetzt ist es, glaube ich, wieder mal Zeit, der Kunstwelt einen kleinen Schock zu verpassen. Sie sollte nicht zu träge werden, was dich betrifft. Du hast ja angedeutet, dass du experimentiert hast.“

João nickte. „Hoffentlich bist du nicht enttäuscht.“

Dave legte seine mit breiten, in der Sonne blitzenden Ringen geschmückte Hand auf João Unterarm. „Du kannst mich nicht enttäuschen. Ich habe es immer so gehalten mit den Künstlern, für die ich gearbeitet habe. Sie machen ihre Kunst, und ich verkaufe sie. Was du auch verbrochen hast, wir werden es an den Mann und selbstverständlich auch an die Frau bringen. Isabella, was halten Sie denn von Joãos Bildern?“

„Ich mag sie sehr“, sagte Isabella so ernsthaft, dass João vor Glück kurz auflachte. „Sie sind etwas Besonderes, sie zeigen eine Welt, die die meisten Menschen nicht kennen. Madeira natürlich. Die Levadas, Schluchten, Wasserfälle und all das. Aber auch die Geschichte, João hat mir erzählt, dass ihm erst in New York richtig klar wurde, dass auch auf Madeira Schwarze gelebt haben. Sie kamen als Sklaven auf die Insel, schufteten im Zuckerrohranbau. Ihr Leid und ihre Sehnsucht nach der Freiheit ist in den Fado eingegangen, der unser portugiesisches Lebensgefühl der Saudade ausdrückt, wie keine andere Musik. Sehnsuchtsvoll, schmachtend. In Joãos Bildern ist die Sehnsucht der Sklaven zu finden.“

João hob abwehrend die Hände. „Hört auf, ihr beiden. Ihr macht mich ganz verlegen. Eins kann ich euch aber schon verraten, die afrikanische Phase ist vorbei, ich habe etwas Neues gefunden.“

„Darauf trinken wir!“, rief Dave und füllte sein Glas erneut aus der auf dem Tisch stehenden Whiskeyflasche. Wenn sie voll gewesen war, als er zu trinken begonnen hatte, musste er schon einiges intus haben.

Sie stießen miteinander an.

Dave wandte sich Isabella zu. „Wie lange bleiben Sie auf der Insel?“

„Nur bis Montag, leider. Die Arbeit ruft.“

„João hat mir erzählt, dass Sie Journalistin sind und unter anderem viel über China geschrieben haben. Das interessiert mich sehr“, sagte Dave, und ruckzuck hatte er Isabella in ein Gespräch über Macao und Hongkong und die Veränderungen seit der Rückgabe an China verwickelt.

João atmete auf. Er wollte nicht weiter über die Vernissage sprechen, sie würden noch früh genug sehen, dass er mit allem gebrochen hatte, was bis jetzt als sein Markenzeichen gegolten hatte. Naja, mit fast allem.

Er war sich bewusst, dass er ein Risiko eingegangen war, als er sich von den leicht verkäuflichen, farbenfrohen Afrikaimpressionen abgewandt hatte, aber lieber wollte er wieder arm sein, als dass er als Mustermaler von Madeira in die Kunstgeschichte einging. Was würde geschehen, wenn seine Fans, von denen er bis jetzt so angenehm gelebt hatte, ihm die Treue kündigten?

War er wieder einmal an einem Wendepunkt angekommen, an dem er alles zerstörte, was ihm lieb und teuer war? Er hatte gut verdient seit New York, sehr gut, aber nicht so gut, dass er sich davon zur Ruhe setzen konnte. Dafür war es entschieden zu früh. Zwei, drei, vielleicht auch vier große Ausstellungen musste er noch machen.

Genauso gut könnte es auch passieren, dass sie dir vorwerfen, du klammerst dich über Jahre an dein einmal gefundenes Thema. Du entwickelst dich nicht weiter, von dir ist nichts Spannendes mehr zu erwarten, sagte er sich. Man wusste nie, ob einem der Wind heftig ins Gesicht blasen oder einem als laues Lüftchen die Wange streicheln würde. Der Kunstkritikbetrieb war unberechenbar wie ein Zirkuslöwe, oft zahm, jedoch nicht immer. Also konnte er auch gleich alle taktischen Überlegungen über eventuelle Verkäuflichkeiten beiseite lassen und einfach machen, was ihm gefiel. Und genau das hatte er getan! Es war also alles in Ordnung und außerdem hatte er mit Dave einen großen Unterstützer an seiner Seite.

Er atmete tief durch, nahm einen Schluck von seinem Rotwein, bewunderte den feinen Schliff des Glases und beobachtete in seinen Stuhl zurückgelehnt die Flanierenden auf der Promenade unter ihm. Überall blühten Büsche und über den dunkelblauen Himmel zogen flauschige Wölkchen. Was für ein Glückskind er doch war, hier sitzen zu dürfen, hier leben zu dürfen.

Isabella hatte recht, wenn sie ihn ab und zu darauf hinwies, wie gut sie es hatten, sie beide im Speziellen und allgemein alle Bewohner der westlichen Hemisphäre. Der Luxus, in dem sie tagein tagaus lebten.

„João“, sagte Isabella.

Er schämte sich. Wieder einmal war er völlig in seinen Gedanken gefangen gewesen und hatte vergessen, dass seine Freunde hier mit ihm am Tisch saßen.

„Redet ihr noch über China?“, fragte er mit der unverstellten Direktheit, die Isabella liebte.

Sie und Dave lachten.

„Schon lange nicht mehr. Wir sind mittlerweile beim Great Barrier Riff angekommen.“

„Wie seid ihr denn da gelandet?“, wunderte sich João, und im selben Moment wusste er die Antwort. Isabella war eine leidenschaftliche Taucherin, allerdings hatte er mit Dave noch nie über das Tauchen gesprochen. Er konnte sich Dave überhaupt schlecht als Sportler vorstellen. Aber vielleicht täuschte er sich ja.

„Tauchst du etwa auch?“, fragte er Dave.

„Nein. Mich kriegst du nicht unter Wasser, da hätte ich viel zu viel Angst, nie wieder hochzukommen.“

„Du machst Spaß, oder?“, fragte Isabella, die sich nichts Schöneres als Ferien im Wasser vorstellen konnte. Auch darum liebte sie Madeira.

„Nein, wirklich. Ich bin ziemlich wasserscheu. Wenn ich den festen Boden unter den Füßen verliere, werde ich nervös.“

Fernando, Joãos Galerist und Freund, hatte überall Vasen mit Orchideen aufgestellt. Einige der prächtigen Blumen hatte Fernando in Bündel gefasst, und nun baumelten sie an langen Schnüren von der Decke.

João warf einen Seitenblick auf Dave und Isabella, auch ihnen schien das Blumenarrangement zu gefallen. Ob sich die großen Augen und der leicht abwesende Gesichtsausdruck der beiden auch auf seine Bilder bezog, vermocht João im Moment nicht zu sagen. Doch – zumindest bei Isabella war es so. Sie drückte fest Joãos Arm und flüsterte ihm zu: „Aber das ist ja unglaublich! Ich wusste nicht, dass du so etwas kannst.“

Ja, dachte João mit einem Anflug von Bitterkeit. Ich kann auch richtig malen und zeichnen, nicht nur klecksen.

Richtig malen, so konnte man es nennen, was da, von Fernando geschmackvoll arrangiert, die Wände der Galerie zierte. Es waren botanische und zoologische Zeichnungen, koloriert und so genau, das man sie in einem Bestimmungsbuch hätte abdrucken können. Orchideen- und Schmetterlingsbilder, bei ihnen hatte João seinem Hang zu starken Mustern treu bleiben können, ohne den realistischen Stil zu verraten, der allen Bildern dieses Zyklus gemeinsam war. Tiere und Pflanzen zierten dschungelartiges Gebüsch, hockten im Gras, wucherten über Baumstämme. All das war in zurückhaltenden Tönen nur angedeutet, sodass es fast wirkte, als sei es eine Skizze. Um das Skizzenhafte noch zu betonen, hatte João in altertümlich geschwungener Schrift Artennamen notiert oder Beschreibungen des Vorkommens, teils in Latein, teils in Englisch. Mit leichten Strichen (war es Tusche, fragte sich Isabella) waren Pflanzenpressen, aufgeklappte Skizzenbücher, Herbarien und ähnliches in den Hintergrund eingearbeitet, der dadurch ein wenig nach Collage aussah.

Fernando grinste und winkte João zu.

„Da staunst du, was?“ fragte er und fuhr sich mit einer Hand durch die dichte schwarze Lockenmähne.

„Ich bin überwältigt“, gab João zurück. Das war nicht gelogen, aber er ließ es so klingen, dass sich Fernando nicht ganz sicher sein konnte, ob sein Freund ihn hochnahm oder nicht.

„Du siehst mich vor Bewunderung ob deiner Dekoration erstarren“, setzte João noch eins drauf.

„Schon gut“, brummte Fernando. „Hab schon kapiert. Isabella, willkommen in meiner bescheidenen Hütte. Schön, dich wieder mal hier zu haben. Dave, ich hoffe der Laden wird heute Abend richtig voll, und es geht einiges über den Tisch, hm?“ Er nickte seinen Besuchern zu. „Ein paar Häppchen habe ich auch vorbereiten lassen, ansonsten das Übliche. Champagner, Madeirawein und Poncha“, er schenkte Isabella ein Lächeln „für meine speziellen Gäste. Dave, was hältst du von den neuen Schöpfungen unseres Meisters hier?“

Konnte Fernando sich als Galerist nicht denken, wie heikel die Situation zwischen einem Maler und seinem Förderer war? Denn Freundschaft hin, Freundschaft her, das war es doch, was Dave mit João verband. Das und nur das.

Dave lächelte gequält. „Sehr schön sind die Bilder. Obwohl ich meine, so etwas schon mal gesehen zu haben.“

Paff.

Jetzt war es passiert. Joãos schlimmste Albträume. Er hatte Dave enttäuscht, und seine Künstlerkarriere war beendet, noch bevor sie richtig angefangen hatte.

Isabella warf João einen besorgten Blick zu. Sie kannte seine Empfindlichkeit und wusste, wie leicht er zu verletzen war. Zusammen mit seinem unbändigen Stolz ergab das eine ziemlich explosive Mischung und vermutlich genau das Gefühl, aus dem João seine Kunst schöpfte. Künstler waren sprichwörtlich schwierige Charaktere, und João bildete da keine Ausnahme.

„Geht es dir gut?“, fragte Isabella viele Stunden später.

Die Leute hatten sich dicht an dicht zwischen Bildern und Getränken hindurchgeschoben, zeitweise war es so voll geworden in den Räumen, dass Fernando kurzerhand ein paar Tische und Stühle auf den Bürgersteig gestellt hatte.

Aber Isabella wusste, dass das alles für João nicht zählte. Das nicht, und auch nicht die verkauften Bilder des Abends. Er schielte einzig und allein auf Daves Reaktion, und die war so verhalten ausgefallen wie noch nie. Hatte Dave eine spezielle Abneigung gegen zoologische und botanische Motive? Was immer der Grund war, João würde ihn nicht erfahren. Dave würde sich einfach weniger engagieren, würde João sich selbst überlassen.

„Johnny“, sagte Isabella, „lass uns drüber schlafen. Vielleicht sieht alles viel schlimmer aus als es ist. In einer Stunde ist das hier vorbei, und wir gehen nach Hause, und du schläfst dich gründlich aus. Und morgen sehen wir weiter.“

Das war seine Isabella. Sie wusste immer, was zu tun war. Gerade jetzt hätte er sich gewünscht, sie wäre weniger pragmatisch, würde stattdessen mit ihm zusammen auf den unmöglichen Dave schimpfen, sich aufregen und wütend werden, aber dann wäre sie nicht Isabella gewesen. Das war ihm klar, aber träumen durfte man schließlich.

Beim späten Frühstück am nächsten Morgen sah nichts besser aus. Dave hatte eine äußerst knappe Mail geschickt und sich entschuldigt, dass er früher als gedacht in Richtung Europa weiterreisen musste. Sie würden in Verbindung bleiben. João schnaubte leise, als er den Satz von seinem Mobiltelefon ablas und es Isabella hinhielt.

„So viel dazu, dass am nächsten Tag alles besser sein wird.“ Sie machte ein bekümmertes Gesicht.

„Ich weiß auch nicht, was ich von Daves Rückzug halten soll“, sagte sie ernst. „Es ist fast so, als würde er fliehen. Aber es hat keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Übrigens hast du gestern einiges verkauft, die Kasse hat ganz schön geklingelt.“

Er stöhnte und hielt sich den Kopf. „Rede bitte nicht so“, bat er. „Ich bin keine Gemischtwarenhändler.“

„Was hast du gegen Gemischtwarenhändler?“

„Nichts. Außer eben das, dass sie alles verkaufen, was Käufer findet, und so will ich nicht sein.“

„Weil du es dir leisten kannst“, sagte sie scharf. „Viele Menschen haben nicht so viel Glück wie du.“

„Oder wie du“, sagte er müde. „Ich habe keine Lust zu streiten.“

„Ich auch nicht“, gab sie etwas lahm zu. „Also was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Tag?“

Das Wetter war noch so schön wie gestern, die Sonne schien warm, und sie beschlossen, zum Cabo Girão zu fahren. Dort unten, in der Bucht, gediehen Bananen, Mangos und andere Südfrüchte, weil die mehrere hundert Meter hohe, senkrechte Felswand, die hinter den Pflanzungen aufragte, einen hervorragenden Wärmespeicher bildete.

„Das ist eine sehr gute Idee“, lobte Isabella. „Das Cabo Girão .“

João fuhr den Alfa Romeo aus der Garage mit der steilen Rampe, und Isabella stieg ein. Die offensichtliche Freude, die João, der lange Zeit einen Fiat gefahren hatte, sein schöner, neuer Wagen machte, weckte in Isabella mütterliche Zärtlichkeit. Im Nu waren sie auf der Autobahn, und auch schon gleich wieder hinunter und am Cabo. Das war der Vorteil Madeiras, zu keinem Ort war es auf diesem Fliegenschiss im Atlantik besonders weit, andererseits war der Fliegenschiss bergig, bis 1800 Meter ging es im Inselinneren hinauf.