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Dr. Benzheim arbeitet in der Onkologie eines Krankenhauses, das von einer unheimlichen Stille durchdrungen ist. Immer wieder ereignen sich dort rätselhafte Vorfälle, die sich ihm jeder Logik entziehen. Mit der Zeit stößt Fred auf ein Geheimnis, das tief in seinem Inneren schlummert – eine Begebenheit, die sein Weltbild verändern wird. Doch was ist real? Ist Fred tatsächlich der Schlüssel zu einer verborgenen Dimension, oder verliert er langsam den Verstand?
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Seitenzahl: 286
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die Station O-03 von dr. C
Dieses Werk widme ich meinem Vater, meiner Mutter, meinem Bruder und meiner Freundin, welche mich im meinem Leben immer stets sehr unterstützt haben und ich bedanke mich für die wunderschönen Momente, die wir gemeinsam verbracht haben.
Dieses Buch ist ein Werk der Fiktion. Alle Charaktere, Namen, Orte und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, tatsächlichen Orten oder Ereignissen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die Station O-03
Kapitel 1
Er sitzt beim Arzt im Wartezimmer und erwartet seinen altbekannten Hausarzt Dr. Kellner, welcher ihn endlich krankschreiben soll. Schon fast eine Stunde harrt Fred hier aus. Energisch holt er sein Handy aus der rechten Hosentasche, blickt auf den aufleuchtenden Sperrbildschirm und schüttelt verständnislos den Kopf. Es ist schon länger als eine Stunde her, dass er das Wartezimmer betreten hat. Das weiß Fred auch nur, da auf dem Handy, unterhalb der aktuellen Uhrzeit, die letzte Nachricht an seine Mutter zu sehen ist. Diese hat Fred direkt abgeschickt, als er auf einen der wenigen freien Stühle im Wartezimmer Platz genommen hatte.
Seit vielen Jahren ist er bereits Patient bei Dr. Kellner. Schon in der Schulzeit war Fred, damals in Begleitung seiner Mutter, bei ihm in Behandlung gewesen. Fred konnte sich an damals noch gut erinnern, als die medizinische Fachangestellte so ungeschickt bei Fred Blut abgenommen hatte, dass sein ganzer Arm für fast zwei Wochen komplett blau um die Ellenbeuge herum gewesen war. Viel Spott hatte er in der Schule darüber ernten müssen. Wenn Fred heute so darüber nachdachte, war es albern gewesen, ihn wegen einer solchen Banalität im Unterricht aufzuziehen. Kinder konnten schon sehr grausam sein.
Er sah sich im Wartezimmer um. Sehr schlicht und steril war es hier. Da hat man immer diese Vorurteile von den reichen Ärzten, die Porsche fahren, ihre Freizeit auf dem Golfplatz verbringen, welche in fast jeder Statistik im Internet zu den Topverdienern zählen und dann so ein schlichtes Wartezimmer. Es war schon sehr lieblos eingerichtet. Wahrscheinlich war Dr. Kellner einfach nur sehr sparsam, wenn nicht sogar ein wenig geizig. Aber egal. War das wichtig? Fred war ja nicht hier, um die Einrichtung zu begutachten, sondern um seine Krankmeldung abzuholen.
In Gedanken rekapitulierte er erneut den Text, welchen er sich zurecht gelegt hat, um Dr. Kellner davon zu überzeugen, wie schlimm es um ihn stand. Die Hauptsache war, überzeugend zu sein, denn er brauchte unbedingt diese Krankmeldung für eine ganze Woche, mindestens eine
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Woche. Er konnte nicht mehr. Die Geschehnisse, welche Fred die letzten Tagen und Wochen erlebt hatte, waren zu viel für ihn. Er hatte den Eindruck, selbst langsam verrückt zu werden. Sollte er dies dem Arzt alles erzählen? Ganz detailliert, ohne auch nur eine Kleinigkeit auszulassen? Wo sollte er da nur anfangen?
Schnell verwarf Fred diesen Gedanken. Genau das sollte er sicherlich nicht tun. Das Risiko, für verrückt erklärt zu werden war zu groß. Wahrscheinlich würde Herr Dr. Kellner gar nicht recht verstehen, was Fred von ihm wollte und er würde ihn am Ende im schlimmsten Fall sogar in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie einweisen.
Das wäre ein eklatanter Fehler, mit gravierendsten Folgen. Wahrscheinlich würde man ihn direkt unter Polizeischutz mit Blaulicht und Martinshorn schnellstmöglich in das Krankenhaus schicken, in welchem er selbst arbeitete.
Natürlich würde man Fred in einen anderen Fachbereich verlegen, er war ja Internist, doch dann gäbe es kein Entrinnen mehr vor dem Wahnsinn, welcher sich dort abspielte. Dort würde er auf ihn lauern, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Gefangen ohne Ausweg. Nein, das durfte Fred niemals geschehen lassen. Alleine schon der Gedanke daran lies Fred ängstlich erschauern. Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken, sodass er unsanft zusammenzuckte. Fred musste vorsichtig sein, was er Herrn Dr. Kellner berichten würde. Er durfte kein falsches Wort verwenden, um sich nicht zu verraten. Wenn er jetzt gleich im Behandlungszimmer sein würde, musste er höchste Vorsicht walten lassen.
Fred versuchte, sich wieder zu besinnen. Also zurück zum Text… Ich habe Brechdurchfall, seit einer Woche, als ich mit meinem besten Freund Joe, welchen ich bereits seit der Kindheit kenne, beim Inder die Straße runter zu Abend essen war. Seither Durchfall, Erbrechen und heftigste Magenschmerzen. Es sei ihm nicht möglich gewesen, auf die Arbeit zu gehen. Daher bräuchte Fred unbedingt eine ärztliche Bescheinigung, um sich auszukurieren und Moment,…. wie ist das Erbrochene? Konsistenz des Durchfalls… Mist ! Fred redet mit einem ärztlichen Kollegen, welcher bestens Bescheid wissen müsste. Was wäre, wenn Dr. Kellner ein Detail der Geschichte genauer wissen wollte? Ein Detail, auf das er keine
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Antwort wusste? Fred war nicht der beste Lügner, das wusste er selbst. Meistens wurde er schnell nervös und bekam einen roten Kopf. Oft fing Fred auch einfach nur das Stammeln an, was ihn ebenfalls verraten würde.
„Herr Benzheim bitte“, ertönte eine Stimme von der Rezeption herüber in das Wartezimmer. Fred wurde aus seinen Gedanken gerissen.
„Ja, sofort, ich komme !“, antwortete er.
Die Glastür mit der Aufschrift: Wartezimmer, mit dem Hinweisschild: „Wir bitten um Diskretion, daher die Türe stets geschlossen halten“ wurde unsanft mit einem leichten Quietschen aufgerissen und eine junge, vielleicht 19 jährige medizinische Fachangestellte spitzte mit dem Kopf durch die Türe. „Herr Benzheim, bitte, Sie sind jetzt an der Reihe“, wiederholte sie. Wahrscheinlich hatte das junge Mädchen hinter der Glastür ihn nicht hören können.
Sie hatte schwarzes, gelocktes Haar und trug eine Brille mit runden Gläsern. Ihr linkes Handgelenk war mit mehreren Rosen tätowiert. Wie lange das Tattoo reichte ließ sich nicht erkennen, da die Ärmel des weißen Sweatshirts die Hautbemalung zur Hälfte verdeckten. Fred hob, als wäre er in der Schule, seine linke Hand. Das Mädchen lächelte Fred an, nickte und sagte dann:
„Bitte folgen Sie mir! Herr Dr. Kellner wartet bereits auf Sie. Bitte begeben Sie sich zum Zimmer mit der Nummer 4“ Fred stand auf, verließ das Wartezimmer durch die Glastüre in Richtung der Rezeption. Das junge Mädchen ging wortlos voran und an der Anmeldung angekommen, verschwand sie sich schnellstmöglich wieder hinter ihrem Tresen, an der sie den ganzen Tag schon saß und arbeitete.
Die Rezeption befand sich direkt vis-à-vis des Wartezimmers. Kaum hatte sie auf dem Bürostuhl Platz genommen, wies sie Fred die Richtung zum Zimmer mit der Nummer 4: „Rechts abbiegen und den Gang entlang, 2. Tür links“. Sie hob den linken Hand und zeigte mit dem Finger in die Richtung, in welche Fred gehen sollte. Dabei würdigte sie Fred keines weiteren Blickes. Fred bedankte sich höflich, obwohl er die Anweisung etwas unverschämt fand. Warum hatte sie ihn persönlich aus dem Wartzimmer abgeholt, war aber nicht bereit dazu, ihn zu dem Zimmer zu begleiten, in welchem Dr. Kellner ihn erwarten würde?
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Gemächlich begab er sich auf den Weg, der ihm vorgegeben worden war. Er passierte den Tresen und bog nach rechts in den Flur ein. Dort erblickte er zwei Türen an der linken Wand, welche beide geschlossen waren. Zuallererst viel ihm ein Fenster ins Auge. Davor stand eine stattliche Pflanze in einem terracottafarbenen Blumentopf. Ihre kräftigen, glänzend grünen Blätter breiteten sich in alle Richtungen aus. Sie schien das gesamte Licht einzufangen, welches durch das Fenster fiel.
Fred klopfte mit der linken Hand an die Holztür, neben der ein Schild mit einer großen mit Druckbuchstaben beschriebene 4 hing. „ Ja bitte“ Eine dumpfe, gedämpfte Männerstimme war vom Inneren des Zimmers zu hören. Fred zögerte kurz. Keine zwei Sekunden später erschallt ein „ Herein, bitte“ in einem etwas energischeren Ton, weiterhin durch die Zimmertür gedämpft.
Fred betätigte die silberne Türklinke, sodass sich die Türe direkt öffnete. Direkt vis-à-vis der Zimmertüre saß Herr Dr. Kellner an einem weißen, kleinen Schreibtisch. Der Tisch erinnerte stark an einen Kinderschreibtisch, wahrscheinlich bei IKEA im Sonderangebot gekauft. Das weitere Zimmer war kein großer Kontrast zum schlichten, lieblos eingerichteten Wartezimmer, in welchem Fred gerade über eine Stunde verbracht hatte.
Auf dem Schreibtisch stand der schwarze Bildschirm eines Computers, welcher so groß zu sein schien, dass er fast den ganzen Tisch vereinnahmte. Daneben lag ein schwarzes Stethoskop, ein Reflexhammer und eine Manschette zum Blutdruck messen. An der linken Zimmerwand stand eine alte grüne Patientenliege, auf welcher gewöhnlich Papierunterlagen gelegt waren. Diese Unterlagen konnte man nach jeder Patientenuntersuchung einfach abreisen und entsorgen. Somit konnte ein gewisser Grad an Hygiene eingehalten werden. Vor dem sehr kleinen Schreibtisch standen zwei Stühle, welche für die Patienten vorgesehen waren.
„Was führt Sie zu mir….Herr…äähh ?“ Dr. Kellner blickte auf seinen Bildschirm, um den Namen des Patienten abzulesen. „Herr Benzheim, kommen Sie bitte herein und setzen Sie sich. Was kann ich heute für Sie tun ?“ Dabei hämmerte er etwas in die Tastatur hinein.
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Dr. Keller war ein etwa 50 jähriger dicker, aber auch sehr kräftig gebauter Mann. Er trug eine Brille, einen weißen etwas verwaschenen Kittel, den mit schwarzen Knöpfen versehen war. Der Kittel war geöffnet und unter ihm kam ein grün-rot kariertes Hemd zum Vorschein. Der ehemalig weiße Kittel, den Herr Dr. Kellner trug, hatte, so schien es, schon seine besten Zeiten hinter sich. Er machte einen sehr abgewetzten Eindruck und die weiße Farbe wurde fast durch ein sehr helles Grau ersetzt.
Fred stürmte fast schon in das Sprechzimmer hinein und setzte sich hektisch auf den einen der beiden leeren Stühle. „Ich ….Äh..“ stammelte Fred, er war komplett außer Atem. Fred merkte selbst, wie sein Kopf rot wurde. Herr Dr. Kellner ließ von der Tastatur und dem Bildschirm ab und musterte Fred mit beiden Augen von oben nach unten. „ Ich,…. Ich habe gestern etwas falsches gegessen, seitdem habe ich Durchfall und Schwindel und ich ähhh..“ Fred wurde zunehmend immer nervöser, sodass er kurz durchatmen musste. „Mehrfach habe er sich am gestrigen Tag übergeben müssen.“, führt Fred weiter fort.
„Was haben Sie denn gestern alles gegessen ? Herr Benzheim?“ Herr Dr. Kellner blickte zurück auf seinen Bildschirm.
„Beim Inder in der Frankenstraße 11, unten direkt am Marktplatz gegenüber von der Bäckerei Kullmayer, dort war ich gestern essen gewesen.“ Herr Dr. Kellner schüttelt nur den Kopf, wobei er seltsamerweise laut durch die Nase ausatmete: „Diesen Laden da unten sollte man umgehend schließen! Sie müssen dieses Restaurant meiden! Wir haben hier tatsächlich des Öfteren Patienten, welche dort essen waren und jedes Mal treffen Sie bei mir auf, mit Symptomen, wie Brechdurchfall und Übelkeit. Stellen Sie sich mal vor Herr Benzheim, schon zwei Gäste haben sich dort mit einen Norovirus infiziert. Das ist kriminell, was die da in dem Restaurant veranstalten. Wenn Sie mich fragen, sollte man dort direkt das Gesundheitsamt vorbeischicken.“
Herr Dr. Kellner schien sich richtig in Rage zu reden. „Bestimmt müsste man dort erst einmal den Kammerjäger hinschicken!“. Der Hausarzt schüttelte verständnislos den Kopf, worauf er wieder etwas in seinen PC eintippte. „Ich werde Ihnen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für eine ganze Woche ausstellen.“
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Fred wusste gar nicht, wie es um ihn gekommen war. Sichtlich erleichtert, merkte er, wie die Röte aus seinem Kopf wich und er sich langsam beruhigte. War das schon alles? Hatte es funktioniert mit der Krankmeldung? Fred konnte es gar nicht richtig fassen, dass er mit seiner Lüge durchgekommen war. Fred hatte sich das Alles ganz anders vorgestellt.
„Ja, Herr Benzheim, viel Tee trinken, ein paar Salzstangen essen, von mir aus trinken Sie ein bisschen Cola, ruhen sich aus und nächste Woche sind Sie bestimmt wieder fit für ihre Arbeit. Sie arbeiten doch oder nicht? Was machen Sie beruflich, Herr Benzheim?" Von einem Moment auf den nächsten fiel die gesamte Anspannung von Fred ab, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Unfassbar, wie einfach das ging mit der Krankmeldung. Er ertappte sich selber, wie er versuchte, zu lächeln. Natürlich bemühte er sich, es zu unterdrücken, doch so richtig wollte es ihm nicht gelingen. Nicht, dass Herr Dr. Kellner seinen Schwindel doch noch bemerken sollte.
Andererseits gab es sicherlich viele Patienten, die tagtäglich ihrem Hausarzt irgendwelche Ausreden auftischen, nur um der Arbeit zu entkommen. „Ich bin Assistenzarzt in der Onkologie am Krankenhaus hier in der Stadt“. „Ah! ... sosoo ein ärztlicher Kollege!! Das ist ja äußerst interessant!“ unterbrach Dr. Kellner Fred, bevor dieser den Satz beenden konnte. „Ich selber war ja damals schon vier Jahre in der Allgemeinchirurgie dort tätig gewesen, Sie meinen doch auch das Kreiskrankenhaus in Wasestadt ? Herr Kollege?“ Fred nickt wortlos. „Ja das waren schon harte Zeiten da oben auf dem Berg im Krankenhaus. Oft denke ich an die vergangene Zeit zurück, vor allem die 36 Stunden Dienste waren unerträglich. Dann war man am Abend im Dienst frei und am nächsten Tag ging es wieder pünktlichst ab auf die Arbeit. Harte Zeiten waren das, harte Zeiten…. Ich habe gehört, dass die Dienstzeiten nur noch bei 24h liegen. Stimmt das?“ Fred nickt wieder. „Ja, euer Glück, wir hatten damals 9-10 Dienste pro Monat, können Sie sich das vorstellen? Unfassbar war das damals, unfassbar.“ Herr Dr. Kellner sprudelte los wie ein Wasserfall.
„Wissen Sie, irgendwann war ich dann so weit, einen Schritt weiter zu gehen, verstehen Sie das?“ Herr Dr. Kellner nahm seine Brille von der
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Nase, blickte durch die durchsichtigen Gläser und legt anschließend seine Brille auf den Schreibtisch neben die Tastatur, lehnte sich zurück, sah zu Fred und dann zum Fenster hinaus. „Meine Frau war seinerzeit schwanger, na und da kann man ja nicht mehr so extrem arbeiten, dass geht einfach nicht. Somit hat es mich in die Allgemeinmedizin verschlagen.“ Er schwieg einen Moment.
„Toll waren die Zeiten in der Allgemeinchirurgie aber alle mal.“, schwärmte Dr. Kellner. Fred räuspert sich, hustete zweimal in die Faust, welche er vor den Mund hielt, sodass die Bazillen nicht durch den Raum flogen.
Fred antwortete: „Ich gebe Ihnen Recht, die Allgemeinchirurgen machen schon coole Sachen, während ihren Operationen. Auch die Vielzahl an verschiedenen Fällen und Operationsmethoden fand ich äußerst spektakulär, während des Studiums. Aber, wissen sie…. Ich war schon immer der passionierte Internist…..“
Wieder unterbricht, ihn Dr. Kellner, während er lächelte, er lehnte sich nach vorne und schlug mit der glatten Hand auf den Tisch.“ Sie sagen es, unfassbar toll war das, unfassbar….“ Er setzt die Brille wieder auf die Nase.
„Kommen Sie gleich mit, ich werde Lisa direkt anweisen, ihre Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen!“ Er erhob sich von seinem Stuhl, marschierte sogleich zur Zimmertür, welche er aufriss und in Richtung der Anmeldung verschwand.
Fred hatte sich noch nicht einmal umgedreht, da war der Hausarzt schon aus dem Raum verschwunden. Sofort sprang Fred auf, um Dr. Kellner zur Anmeldung zu folgen. Dort angekommen, sah er den Hausarzt schon vor dem Tresen stehen, in seinem weißen Kittel, das Stethoskop ragte aus der linken Kitteltasche. Fred hatte gar nicht bemerkt, wie Dr. Kellner das Stethoskop an sich genommen hatte.
„Lisa jetzt drucken Sie mal schnell unserem Herrn Kollegen eine Krankmeldung für eine Woche aus.“ Dabei drehte er sich um und zwinkert Fred zu. Fred fühlte sich sichtlich unwohl, und erneut lief sein Gesicht vor Verlegenheit kirschrot an. Fred mochte es nie, groß im Mittelpunkt zu stehen, er war ein eher introvertierter Mensch.
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Aber egal, sein Plan hatte funktioniert. Die schwarzhaarige MFA, welche anscheinend Lisa hieß. Lächelte nur kurz und tippte etwas in den Computer. Keine 2 Minuten später war das Krächzen eines Druckers zu vernehmen. „Ja, dann machen Sie es gut Herr Kollege, vielleicht sieht man sich ja mal im Krankenhaus.“ Dr. Kellner hob die linke Hand zur Verabschiedung und schon war er wieder in Richtung von Zimmer 4 verschwunden.
Es dauerte keine 2 Minuten mehr, bis Fred mit seiner Jacke und der Krankmeldung in der Hand vor der Eingangstüre der Hausarztpraxis im Treppenhaus stand und die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Schon komisch, dachte Fred, keine gezielten Fragen zur den Symptomen, nicht einmal Blut hatte man ihm abgenommen, geschweige denn eine körperliche Untersuchung durchgeführt. Kein Antibiotikum, nichts….
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Kapitel 2
Fred hatte sich direkt nach der Schule voller Begeisterung in das Medizinstudium gestürzt. Die Freude war riesig, als der Brief mit der Zusage an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eintraf. In dicken, blauen Buchstaben schimmerte der Name und die Anschrift der Universität auf dem Dokument, begleitet von der Formulierung: „Zusage im Vergabeverfahren für einen Studienplatz in der Humanmedizin“. Vergabeverfahren….., was war das für ein eigenartiges Wort, Fred konnte sich noch gut erinnern, wie ihn dieses sonderbare Wort gestört hatte, als er den Brief das erste Mal in den Händen hielt.
Als das Schreiben mit der gewöhnlichen Hauspost im Briefkasten eingeworfen war, hatte Freds Mutter den Brief als erstes entdeckt und diesen direkt geöffnet und gelesen. Eigentlich durfte sie den Brief gar nicht ansehen, da dieser ja persönlich an Fred Benzheim adressiert war und nicht an sie, doch diese Tatsache schien sie wenig zu stören. Vielleicht hatte sie auch den Name des Empfängers auf dem frankierten Brief gar nicht in Augenschein genommen. Wer weiß.
Auch Fred war über diesen Vorgang keineswegs entrüstet gewesen. Er war der Meinung, dass Mütter derartiges generell tun, wenn sie Kinder haben, und dies traf auch auf Frau Benzheim zu. Schließlich war sie Mutter von drei Kindern und das war allemal eine Aufgabe. Denn Fred wuchs inmitten zweier ältereren Schwestern auf, die ihn stets liebevoll umsorgten und verhätschelten, was ihm immer große Freude bereitete.
Als Frau Benzheim an dem berichteten Tage, es muss ein Samstag gewesen sein, schon früh morgens, das Frühstück vorbereiten wollte, spazierte sie in aller Ruhe zu der Haustüre und hob die Briefe auf, welche durch den Türschlitz am frühen Morgen bereits vom Postboten eingeworfen worden waren. Die gesamte restliche Familie lag noch in aller Seelenruhe im Bett und schlief. Nachdem sie den Brief aufgehoben, geöffnet und gelesen hatte, konnte sie den Inhalt kaum fassen. Darauf folgte ein gellender Schrei vor Freude durch das gesamte Haus und sofort hetzte Frau Benzheim, den Brief in der Hand haltend, die Treppe hinauf in das obere Stockwerk, um Fred und natürlich auch allen anderen von den Neuigkeiten zu berichten.
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Nachdem alle aus dem Bett getrommelt worden waren und von der tollen Nachricht unterrichtet waren, dauerte es nicht lange, bis die gesamte Familie geduscht und angezogen war. Dann brachen alle Fünf in die Innenstadt zum Frühstücken auf, um den Studienplatz zu feiern. Etwas Besonderes sollte das Frühstück werden, da die Freude unendlich groß war. Dieses Frühstück war ein besonderer Tag und das nicht nur für Fred.
Einen freien Tisch fand die Familie Benzheim inmitten der Innstadt direkt am Markplatz im Frühstücks-Kaffee mit dem Namen: „Michelle“. Es gab für jeden ein üppiges Frühstück mit Eiern, Speck, Orangensaft und alles, was für ein perfektes Frühstück nötig ist. Fred entschied sich für ein English-Breakfast. Der Preis der Rechnung war dem Vater von Fred völlig gleichgültig gewesen, was nicht nur Fred, sondern auch die übliche Familie sehr verwundert hatte. Es wurde sogar mit einem kleinen Gässchen Champagner angestoßen und das schon am frühen Morgen.
Normalerweise war Herr Bensheim ein sehr sparsamer Mensch, ja…., man konnte fast schon sagen er war etwas geizig. Jeder Cent wurde hochgerechnet und alle Sonderangebote oder Rabattaktionen wurden genutzt und das meistens im Übermaß.
Es gab die Zeiten, als Herr Benzheim im gemeinsamen Familienurlaub, meist fuhren sie alle gemeinsam nach Portugal, zu geizig war, ein Busticket für die fünfköpfige Familie zu kaufen, da laut Herr Benzheim der Ansichten war, dass der Ticketpreis direkt in unbezahlbare Höhen gehen würde, da man in ihrem besonderen Fall den Einzelpreis für jedes Ticket mit dem Faktor 5 multiplizieren müsste. Zusätzlich dürfe man natürlich darüber hinaus nicht vergessen, dass noch ein Rückreiseticket gekauft werden müsste. Am Ende handele es sich dann um den zehnfachen Ticketpreis, was eine gesamte Stelle im Betrag um eine 0 addieren würde.
Schlussendlich kam es dazu, dass die gesamte Familie die acht Kilometer von Lissabon zwischen dem Hotel und der Innenstadt von Lissabon jeden Tag zu Fuß hinein und wieder heraus zurücklegen musste. Die Distanz betrug ungefähr 16 Kilometer pro Tag, was ca. vier Stunden an Zeit beanspruchte. Hätte die Familie Bensheim statt in Portugal in Spanien ihren Jahresurlaub verbracht, hätten sie behaupten können, sie wären den Jakobsweg gelaufen.
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Fred war der erste und auch einzige in der Familie Benzheim, welcher die Möglichkeit hatte, Medizin zu studieren. Die älteste der beiden Schwestern, Jenny, hatte zwar auch nach dem Abitur ihr Glück in der Bewerbung um einen Studienplatz in dem Fach der Humanmedizin versucht, war jedoch zu ihrem Leidwesen abgewiesen worden.
Über zwei Jahre hatte sie im Halbjahresrhythmus an jeder erdenklichen Universität im Bundesgebiet von Deutschland eine Bewerbung verschickt.
Es war sehr schade, mit ansehen zu müssen, wie im 6 Monatsrhythmus wieder und wieder die Absagen der Universitäten im Briefkasten lagen. Einen ganzen Ordner hätte man mit der Vielzahl an Dokumenten füllen können. Wundersamerweise ließ sich Jenny davon nicht entmutigen und versuchte ihr Glück im Folgesemester auf ein Neues. Jedes Semester erweiterte Jenny den Radius ihrer Bewerbungen, sodass sie sich zusätzlich in Österreich und der Schweiz bewarb.
Nach zwei erfolglosen Jahren der Bewerbung, begann Jenny sich zusätzlich in anderen Fächern, wie beispielsweise der Zahnmedizin oder auch der Psychologie zu bewerben und schlussendlich wurde sie in Wien zum Studium der Psychologie zugelassen. Schon fast zehn Jahre war das alles her, denn zurzeit arbeitete sie in einer kleinen Praxis im Herzen der Wiener Altstadt und versuchte dort, depressiven Kindern dabei zu helfen, wieder in ein erfülltes Leben zu finden. Immer wenn Fred Zeit hatte, macht er einen kleinen Abstecher nach Wien, um Jenny zu besuchen. Meistens war es nur ein verlängertes Wochenende, welches Fred bei seiner Schwester verbrachte und es war immer mit einer sehr langen Anreise mit dem Zug verbunden. Trotzdem liebte es Fred, nach Wien zu reisen. Natürlich hatte Jenny jedes Mal keine Kosten oder Mühen gescheut und ihren kleinen Bruder, welcher damals noch zur Schule ging, eine unvergessliche Zeit im wunderschönen Wien zu bescheren.
Mit dem Studienplatz war Fred von Glück gezeichnet. Natürlich hatte er sich in der Schule stets bemüht und immer sein Bestes gegeben, besonders in der Prüfungsphase hatte Fred die Wochenenden und auch die Nächte am Schreibtisch verbracht, um den gelernten Stoff bestmöglich zu verinnerlichen.
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In den Schulferien hatte Fred bereits die kommenden Schulfächer vorgelernt, um im kommenden Schuljahr einen leichteren Einstieg zu haben. Am Anfang ging er in die Stadtbibliothek und lieh sich alle Schulbücher aus, welche er am Ende der Ferien in die Bibliothek zurückbrachte.
Trotz der hervorragenden Noten, welche er in der Schule schrieb, war Fred stets irgendwie etwas anders als seine Klassenkammerden. Beispielsweise gab es oft in der Pause den Moment, in welcher Fred neben seinen Klassenkameraden, welche herum tobten oder angeregte Gespräche hielten, stets schweigsam mit den Händen in den Hosentaschen in der Gruppe stand und dabei keinen einzigen Ton von sich gab. Man hatte den Eindruck, Fred würde noch nicht einmal den Gesprächen der Mitschüler folgen, sondern wäre in seine eigenen Gedanken vertieft und damit auch in seine eigene Welt zurückgezogen.
Einmal, es muss im Februar gewesen sein, als es begann zu schneien und Fred, welcher sich auf dem Nachhauseweg von der Schule befand, waren seine Schuhe von dem üppigen Schnee nass geworden. Eine ordentliche Erkältung hatte Fred sich eingefangen, sodass er für fast vier ganze Tage ans Bett gefesselt war. Den gesamten Mülleimer hatte er mit durchnässten Taschentüchern gefüllt.
Als Fred am folgenden Freitag, nachdem er sich auskuriert hatte, zurück in die Schule ging und er seine Krankmeldung vom Hausarzt Dr. Kellner abgeben wollte, sah der Lehrer Fred erstaunt an und sagte ihm, dass er gar nicht mitbekommen hatte, dass Fred gefehlt hatte. Auch die Mitschüler hatten Freds Fehlen gar nicht wirklich wahrgenommen.
Fred war er ein kleiner, schüchterner, introvertierter, dicker Junge, welcher völlig unscheinbar war. Nie hatte er es geschafft sich einen Freundeskreis aufzubauen, oder sogar nur einen einzigen Freund zu gewinnen. So richtig hatte Fred nie die Absicht gehabt, denn am liebsten war Fred für sich alleine und am liebsten in seinen eigenen Gedanken. Dort fühlte er sich wohl. Es gab aber auch eine andere Seite der Geschichte, den wie es so üblich ist in der Schule, herrschte zwischen vielen Schülern Streit und Missgunst.
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Einst, seit ihm ein Klassenkamerad, sein Name war Daniel, in der 6. Klasse immer absichtlich die falschen Antworten im Unterricht vorgesagt hatte, als er von der Lehrerin etwas gefragt wurde, oder auch die Antwort einfach nicht wusste und Fred somit absichtlich zum Gespött der versammelten Klasse gemacht wurde. Seither war Fred der festen Überzeugung, dass er sich auf seine Klassenkameraden und somit auch auf die meisten Mitmenschen nicht verlassen konnte. Diese negativen Erfahrungen zogen sich wie eine rote Linie durch Freds gesamtes Leben.
War man für die Klassenkameraden interessant, dann wollten sie etwas von ihm, wen nicht, machte jeder nur, was er wollte. Irgendwie liefen fast alle zwischenmenschlichen Beziehungen auf dasselbe Resultat heraus. Daher waren Fred seine Mitkameraden gleich. Man darf das jetzt nicht falsch verstehen. Nett war Fred immer zu allen, aber Vertrauen hatte er zu niemanden, nur zu sich selbst. Auf sich selbst konnte er sich immer verlassen.
Selbst die Lehrerin Frau Demeter wurde von ihrem Mann, mit dem sie zwei Kinder hatte, mit der Babysitterin betrogen und all das, während Frau Demeter mit dem dritten Kind schwanger war. Vertrauen, das kann man nur sich selbst. Ihr Exehemann hatte, nachdem die Affäre ans Tageslicht kam, Frau Demeter direkt vorgeschlagen, dass die Babysitterin mit in ihre Wohnung einziehen sollte und sie drei mit den Kindern, wie in einer Art von WG zusammen leben sollten. Da weiß man gar nicht, was man dazu sagen soll.
Als sich Fred im Studium befand, welches ihm erstaunlicherweise von dem gesamten Lernpensum her ziemlich leicht viel, da er stets gut auswendig lernen konnte und auch sehr emsig und ehrgeizig war, vergingen die Semester wie im Fluge. Zu Anfang war direkt das Physikum geschrieben und es ging in die Blockpraktika in den klinische Studienabschnitt weiter. Alle Bereiche der Medizin wurden im Wochenrhythmus abgearbeitet und schließlich mit Testaten abgeschlossen.
Man mag einmal im Internet, beispielsweise bei Google eingeben: Facharztrichtungen der Humanmedizin und manch einer wird sichtlich
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erstaunt sein, was für eine Vielzahl verschiedenster Fachbereiche im medizinischen Bereich existieren.
Mit Abstand hatte Fred stets am besten die innere Medizin gefallen, insbesondere das Fach der Kardiologie. Das Lesen von EKGs, der Vorgang des Klappenschluss des Herzens, ja genau das war sein Lieblingsfach. Fred hatte das Fachbuch für Kardiologie so oft gelesen, dass er so manche Passage in dem Buch auswendig rezitieren konnte. Gefehlt hatte Fred in den Vorlesungen nie, lediglich ein einziges Mal im Mikrobiologie Praktikum, welches schon um 8 Uhr begann. Freds Wecker hatte nicht geklingelt, oder vielleicht hatte Fred ihn auch einfach überhört. Zumindest hatte Fred die Helle des Morgens, als dieser erwachte, zunehmend irritiert. Dann dauerte es nicht lange, bis Fred einen verschlafenen Blick auf die Handyuhr wagte und mit Entsetzen feststellen musste, dass es bereits nach 10 Uhr war. Es lohnte sich nicht mehr, in die Universität zu hetzten, da die Mikrobiologievorlesung bereits seit fast einer halben Stunde vorbei war.
Somit zog Fred die Vorhänge zu, dass die grelle Vormittagssonne ihn nicht weiter stören würde und versank direkt wieder in seinen Träumen. An sich war das alles kein wirkliches Problem, es waren drei Fehlzeiten im Semester in jedem Fach erlaubt. Einen weiteren Fehltag hatte sich Fred aber nie erlaubt.
So verging die Zeit des Studiums, die 12 Semester, was 6 Jahren entspricht, wie im Fluge. Der Ablauf im Semester war immer stets derselbe, es kam ein Blockpraktikum, welches eine Vorlesung, Seminar und ein Praktikum enthielt. In der Vorlesung wurde der theoretische Stoff vorgestellt, welchen man einfach stupide auswendig lernen musste. Ohne das Lernen der Grundlagen konnte man im Praktikum und im Seminar dem vortragenden Arzt nicht folgen. Somit war für Fred die Anwesenheit in der Vorlesung essentiell.
Das Praktikum zeigte einen groben Einblick in den Fachbereich, was beispielsweise die Visite bei aktuell kranken Patienten enthielt, in welcher über deren Erkrankungen berichtet wurde und man einen direkten Einblick in die eingeleitete Therapie bekam. Da es nicht selten der Fall war, dass genau zu dem Tage des Praktikums nur wenige oder immer
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dieselben Erkrankungen im Krankenhaus in Behandlung waren, gab es zusätzlich das Seminar.
Dieses erhielt eine Vorlesung, verbunden mit interessanten Fallbeispielen, welche der gerade thematisierte Fachbereich zu bieten hatte. Einmal in der Unfallchirurgie hatte Fred erlebt, dass am Tage des Praktikums, es war ein Freitag gewesen, die halbe Station entlassen wurde und es nur noch langweilige und monotone Fälle zu berichten gab. Das Seminar hingegen mit den polytraumatisierten Patienten, die über den Schockraum in die Notaufnahme meist mit dem Rettungswagen in der Begleitung eines Notarztes kamen, hauten bei weitem jeden Studenten um und waren an Spannung nicht zu überbieten. Es kam nicht selten vor, dass ein sehr schwer verunglückter Patient direkt mit dem Helikopter in die Notaufnahme eingeflogen wurde, um dort weiter medizinisch versorgt zu werden.
Das mit Abstand spannendste Praktikum war die Vorstellung eines 14 jährigen Jungen, welcher unglücklicherweise aus dem Fenster eines Gebäudes direkt aus dem 3. Stock gefallen war. Dies entspricht einer Höhe von ca. 12 Metern. Der von Pech verfolgte traf so hart auf dem Boden auf, dass er sich scheinbar fast jeden bestehenden Knochen gebrochen hatte.
Als der Junge mit dem Rettungshelikopter auf dem Dach des Krankenhauses gelandet war und mit dem Aufzug direkt in den Schockraum der Notaufnahme transportiert wurde, war nahezu jeder Facharzt in diesen Fall involviert. Übrigens: Ein Schockraum ist ein Raum mit besonderer Notfalleinrichtung, in welchem schwerst verwundete Patienten behandelt werden.
Es ist schon kaum zu glauben, dass nicht nur das Leben des Jungen gerettet werden konnte, sondern darüber hinaus nach zahlreichen Operationen, konnten die Ärzte all dessen Verletzungen vollständig beheben, sodass beim mittlerweile 15-jährigen Jungen nach all den Jahren lediglich die Narben der chirurgischen Eingriffe als Erinnerung an den Unfall zurückblieben. Einfach unglaublich, oder?
Es gab noch ein weiteres unfassbares Ereignis, welches sich im Fachbereich des Pathologie Blocks zugetragen hatte. Es musste sich
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während des 5. Semesters zugetragen haben. Direkt um 10:15 Uhr startete der Kurs, alle Studenten sollten sich bereits ab 10 Uhr im Inneren des Gebäudes des Instituts befinden, jeder sollte seine persönlichen Wertgegenstände in einen Spint eingeschlossen und sich einen weißen Kittel über die normale Straßenkleidung gezogen haben.
Dieser war aber kein gewöhnlicher Arztkittel, sondern machte lediglich den Anschein, ein OP-Kittel zu sein. Der Kittel war vorne am Bauch geschlossen und wurde hinten am Rücken geschnürt, während die Ärmel bis zum Handgelenk ragten. Gegenseitig hatten sich die Studenten den Kittel am Rücken zugebunden, da es schwierig war, dies alleine zu machen. Darauf folgte die OP Haube, welche standardmäßig in einem hellen Grün war und schlussendlich fehlte nur noch die chirurgische Maske. Die Masken hatten einen kleinen Draht eingenäht, welcher geknickt werden musste, sodass die Maske ordentlich auf der Nase gerichtet saß. Bei dem Mundschutz konnte man sich zwischen den beiden Farben grün oder auch blau entscheiden. Fred griff wie immer zur blauen Maske, da Blau seine Lieblingsfarbe war.
Weiter ging es in eine sogenannte „Schleuse“. Dies war eine mächtige silberne Tür, welche mehr an eine Tür eines Tresors oder die Eingangstür einer Kühlkammer einer Fleischerei oder eines großen Restaurants erinnerte. Die Tür war so glänzend poliert, dass man sich fast darin spiegeln konnte. Erstaunlicherweise existierte kein Knopf oder Türklinke an der Außenwand der Tür. Oberhalb der Tür war ein Sensor, mit welchem man die Tür von einem anderen Ort aus wie ferngesteuert öffnen konnte, sobald man an der Klingel, welche sich linker Hand zur Tür befand und unter welcher in Großbuchstaben „Pathologischer Präparationssaal: Zutritt für Unbefugte verboten“ stand, schellte. Direkt auf der Tür klebten zwei Aufkleber. Der eine zeigte ein Bild einer Maske und das andere von einem Kittel. Der Aufschrift nach war es verboten, ohne Kittel oder Mundschutz den Raum hinter der verschlossenen Tür zu betreten.
Wie die Flamingos hatte sich die Gruppe des Medizinstudiums zusammen getroffen und stand wartend vor der verschlossenen Tür. Bestimmt 15 Minuten hatte es gedauert, bis einer der Studenten auf die Idee gekommen war, die Klingel an der linken Seite der Tür zu drücken. Zuerst passierte
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nichts. Die Klingel brummte nur für fast eine Minute, daraufhin ein Haltezeichen zu vernehmen war, ähnlich wie bei einem Telefonat, bei welchem man warten musste, bis der Empfänger das Telefonat annahm und endlich auf den grünen Knopf drückte.
„Hallloooo, Halloo? Sind da die Studenten?“ Eine helle krächzende Stimme ertönte aus der Klingel. Einige der Studenten waren zusammengezuckt, so schrill und krächzend war die Stimme. Die schlechte Qualität des Sprechanlage ließ die Person am anderen Ende der Leitung schwer bis gar nicht verstehen.
„Ja, Hallo, hier ist die Gruppe B, wir haben heute Praktikum in der….“ Die Mitstudentin, welche sich zu Wort gemeldet hatte wurde direkt im Satz unterbrochen. Ein ohrenbetäubendes Rauschen begleitete die ertönende Stimme.
„Ja, feini feini feini, das ist ja hervorragend!… Ich werde euch direkt reeeeeeeeeeeiiiinnin laaassen.“ Das Kreischen der Sprechanlage war so furchtbar, dass sich der eine oder andere Student bereits mit den Fingern die Ohre zuhielt. „Einen Moment kurz… Ja Bitte“ krächzte es weiter aus der Klingel.
„Willkommen in der Pathologie, hahaha !!!!“
Ein Summen war zu hören und die silberne Türe öffnete sich automatisch, ähnlich wie eine Schiebetür in einem Einkaufszentrum oder Supermarkt schwenkte sie zur Seite. Der Unterschied bestand darin, dass die silberne Türe aus einem einzigen, gesamten Segment bestand und zur linken Seite weggeschoben wurde.
Fred war es etwas mulmig zumute. Irgendwie schien er eine düstere Vorahnung zu haben, dass es besser gewesen wäre, sich den heutigen Tag zu klemmen. Vielleicht hätte er heute einfach zu Hause bleiben sollen. Doch dafür gab es ab jetzt kein Zurück mehr. Es ging in den Präparationsaal des Pathologischen Institutes.
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Kapitel 3
Nachdem die Schiebetür zur Seite geschwenkt war, musste man zunächst die Schleuse passieren, um in den Präparationssaal der Pathologie zu gelangen. Die Schleuse erinnerte ein wenig an ein Badezimmer und so ähnlich war dieses auch eingerichtet. Kaum hatten die Studenten den Raum betreten, schloss sich die Schiebetür automatisch mit einem schrillen Quietschen hinter ihnen. Umringt von Studenten stand Fred mitten im Raum, in dem er sich interessiert und zugleich ein wenig erschrocken umblickte.
Bis zur Zimmerdecke war der gesamte Raum mit abgenutzten, grauen Fliesen verkleidet, deren Ränder an einigen Stellen von feinen Rissen und dunklen Verfärbungen durchzogen waren. Die Luft war schwer und roch nach Desinfektionsmittel, durchsetzt mit einem kaum wahrnehmbaren, seltsamen und undefinierbaren, muffigen Geruch, der vermutlich von Jahrzehnten ohne Renovierung zeugte. Dieser sonderbare Geruch war schwer in Worte zu fassen. Die Schleuse schien uralt zu sein, und der Präpsaal war wohl ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Schon damals, als Freds Vater noch seine Schulzeit verbrachte, galt dieses Institut als antiquiert. Der Raum vermittelte den Eindruck, dass man es bewusst vermieden hatte, in seine Instandhaltung zu investieren. Das Pathologische Institut war auch von außen ein in die Jahre gekommenes Gebäude. Überall im alten Backsteinmauerwerk waren Risse und Löcher zu erkennen.
