Die Sterne der Freiheit - Raimund Müller - E-Book

Die Sterne der Freiheit E-Book

Raimund Müller

4,6

Beschreibung

Es ist die Zeit des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1775-1783). In Paris finden Geheimverhandlungen zwischen den Vertretern Frankreichs, Preußens und den Vereinigten Staaten statt. Eingefädelt hat das Treffen die Doppelagentin Maria von Wierusz. Über Nacht wird aus dem preußischen Stabskapitän von Steuben der Preußische Generalleutnant Friedrich Wilhelm Baron von Steuben. Seine Aufgabe: die Reorganisation der angeschlagenen Continental Army. In Amerika begegnet er Maria wieder - sie werden ein Liebespaar. Während Maria bei den Briten spioniert, gewinnt Steuben durch sein erfolgreiches Wirken bei der Armee das Vertrauen Washingtons. Auf der Seite des Gegners, der britischen Kolonialmacht, kämpft ein anderer Deutscher - Heinrich Christian Müller. Überfallen und gepresst von Werben und vom Hessischen Landgrafen an die Briten vermietet, kämpft er als berittener Jäger in der Fernaufklärung. Aus einem verträumten Studenten der Forstwissenschaft wird ein verantwortungsvoller Mann, der alles verliert, was ihm lieb ist, aber dennoch treu zu seinen Kameraden steht.

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Meiner Tochter

Magdalena

gewidmet

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Sommer 1777

Rinteln / Nordhessen

Kapitel 1

Spätsommer 1777

Steuben – Diplomatie in Paris

Kapitel 2

Winter 1777/78

Neubeginn in Amerika

Kapitel 3

Winter 1777 bis Frühjahr 1778

Heinrich – ungewollter Neubeginn

Kapitel 4

Frühjahr / Sommer 1778

Erfolg und Widerstand

Kapitel 5

1778 / 1779

Ruhe im Norden – Krieg im Süden

Kapitel 6

Sommer / Herbst 1780

Maria

Kapitel 7

Herbst 1780

Der Verrat

Kapitel 8

Herbst 1780 / Winter 1781

Auf Messers Schneide

Kapitel 9

März 1781

Heinrich

Kapitel 10

September/Oktober 1781

Entscheidungen

Post skriptum

Epilog

Personenverzeichnis

Glossar

Quellenverzeichnis

Danksagung

Vita

Prolog

Sommer 1777

Rinteln / Nordhessen

Das Land, die Luft, das Licht – alles war von der Sonne durchflutet und sommerwarm, alles Laute und Lebhafte war verstummt. Hin und wieder flogen Lerchen über die blühenden Wiesen, um im nächsten Moment flatternd in der Luft zu stehen. Vielfarbene Schmetterlinge taumelten von einer Blüte zu nächsten, Bienen und Libellen gaben sich ein Stelldichein. Es waren die Tage, in denen die Natur auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit ausruhte, bevor sie ihr letztes Geschenk vorbereitete – die Reifung ihrer Früchte und das Buntwerden der Blätter. Auf den Feldern färbte sich das Getreide bereits gelb, in wenigen Wochen konnte geerntet werden.

Durch die leicht hügelige Landschaft führte eine beinahe schnurgerade Straße, die von breitkronigen, vor Jahrzehnten gepflanzten Linden, eingerahmt wurde. In ihrem Schatten wanderte ein etwa zehn Jahre alter Junge, barfuß, was ihm nichts auszumachen schien. Er hatte die Hosenbeine hoch gerollt, so dass seine braun gebrannten Waden zu sehen waren. Auch die Ärmel seines Leinenhemdes, das ihm sichtlich zu groß war, hatte er hochgekrempelt und den langen Saum vor seinem Bauch zu einem Knoten verschlungen. Seine Habseligkeiten waren in einem Leinensack verstaut, den er sich auf den Rücken gebunden hatte.

Der Knabe schien keine Eile zu haben, denn so manches Mal hielt er inne, um seine Aufmerksamkeit den Schmetterlingen, Käfern oder Ameisen am Wegrand zu widmen. Gelegentlich stimmte er Lieder an, die den Sommer rühmten. Einmal umkreiste ihn neugierig eine große, grüne Libelle, direkt vor seiner Brust blieb sie in der Luft stehen, was ihn über die Maßen erfreute.

„Brüderlein, komm, tanz mit mir. Einmal hin, einmal her, Brüderlein, das ist nicht schwer...“, sang er voll Freude. Doch die Libelle verlor nach kurzer Zeit das Interesse an ihm und flog davon.

Seit drei Jahren, an jedem zweiten Wochenende, ging er diesen Weg. Solange lebte er bereits bei der Familie des Herzoglichen Hofkapellmeisters Johann Christoph Friedrich Bach, der ein enger Freund des Vaters war. Es war der Wunsch seiner Eltern gewesen, dass der Sohn des berühmten Thomaskantors Johann Sebastian Bach ihn in allen Belangen der Tonkunst unterrichten sollte.

Auf seinem Weg zu seinen Eltern nach Rinteln, wo sein Vater als Organist und Kantor an der Nikolaikirche wirkte, erreichte er schließlich den Grenzposten, der ihn aus dem Herzogtum Schaumburg-Lippe in die Landgrafschaft Hessen-Kassel führte. Zum Grenzposten gehörte auch ein Gasthof mit Biergarten, der den Namen „Zur Linde“ trug, bei dem seit einigen Jahren regelmäßig hessische Soldatenwerber ihr Unwesen trieben. Für die Tageszeit war der Biergarten gut besucht.

Auf der hessischen Seite wurde gerade eine Linienkutsche abgefertigt.

„Ha, da kommt ja der kleine August“, empfing ihn ein bereits ergrauter Schaumburger Sergeant, „spiel' uns ein wenig mit der Flöte auf und lass hören, was Du hinzu gelernt hast, denn bis die Hessen die Post freigeben, kann es noch dauern.“

„Gerne, werter Herr Sergeant“, gab August zurück, „was soll ich zu Gehör bringen?“

„Tänze und lustige Volksweisen, wenn es beliebt.“

„Mit Verlaub, doch sind Ihro Ansprüche heute recht gering, Herr Sergeant.“

„Dennoch, ich wünsche etwas, das die Beine bewegt, denn im Biergarten sind einige reizende Demoiselles zugegen.“

„Gut, wenn dem weiter nichts ist.“ Aus seinem Leinensack holte er ein Etui hervor, öffnete es und setzte die einzelnen Glieder einer Querflöte zusammen.

Während er die Flöte warm blies, gesellte sich ein Tambour zu ihm, den er mit Meister Beck begrüßte.

„Zunächst schlage ich eine Gavotte vor, Dreivierteltakt - einverstanden?“

Meister Beck nickte. Der Gavotte folgten drei weitere Tänze. „Der Marsch des Prinzen Eugen“ rundete das Ganze ab. Inzwischen hatten sich einige der Biergartenbesucher als Zuhörer eingefunden und spendeten begeistert Applaus. Manch einer von ihnen warf dem kleinen August Geldstücke in das geöffnete Flötenetui. Meister Beck schlug seinen Anteil jedoch aus, das Geld solle allein dem kleinen Künstler gehören. Zwei fahrende Musikanten, zweifellos Juden, brachten ihre Fiedeln herbei und baten, mitspielen zu dürfen. Der Wirt, ein gutes Geschäft witternd, forderte zum Tanzboden auf.

„Gut, für vier Groschen die Stunde habt ihr uns engagiert“, gab sich August geschäftstüchtig.

„Mit Verlaub, doch spielen wir nicht unter einem Viertel Taler“, korrigierte ihn einer der Juden. Der Wirt verzog ein wenig das Gesicht, willigte aber ein.

Nachdem auch der Tambour vom Wachdienst befreit war, begann das improvisierte Quartett mit lustigen Weisen.

Als gute Musiker verstanden sie sich auf Anhieb und ihre Musik reichte bei weitem aus, um die Tänzer nicht nur zu Bocksprüngen heraus zu fordern. Bald fanden sich Leute der unterschiedlichsten Couleur ein, die ein Tänzchen miteinander wagten. August erlaubte sich auch, das ein oder andere Solo zum Besten zu bringen.

„So wie der kleine Kerl spielt, ist er vom Teufel besessen“, bemerkte ein Reisender zu dem Sergeanten.

„Da irrt er gewaltig, denn er ist der Sohn des Kantors Matthäus Müller in Rinteln und Schüler des Bückeburger Hofkapellmeisters Ihr solltet ihn einmal hören, wenn er mit der Orgel das ganze Kirchenschiff zum Vibrieren bringt.“

Mit der Zeit wurde die Stimmung ausgelassen und zur Freude des Gastwirtes stieg der Umsatz an Gebrannten, Apfelwein und Bier gewaltig. Selbst die Disziplin der ansonsten dienstbeflissenen Zöllner ließ zu wünschen übrig: auf beiden Seiten hatten sie die Schlagbäume für einen kleinen Grenzverkehr einfach geöffnet und sich dem Tanzboden angeschlossen.

Nach gut zwei Stunden nahm August seinen Abschied, dankte dem Ensemble und dem Publikum, strich den vereinbarten Lohn ein und ging, ohne einen Pfennig Wegzoll zu entrichten, fröhlich vor sich hin pfeifend seines Weges.

Bereits eine Stunde später stand er auf einem Hügel oberhalb der Weser und blickte auf die befestigte Universitätsstadt Rinteln herab, die am gegenüberliegenden Flussufer lag. Die untergehende Sonne tauchte die kleine Stadt und die Landschaft in weiche Farben und ließ die Wolken am Horizont leuchten.

Während er versonnen das Farbenspiel um sich herum betrachtete, fiel ihm ein, dass sich bei seinen Eltern der Besuch einer leibhaftigen Komtesse angekündigt hatte. Schon vor Tagen musste sie eingetroffen sein.

Obwohl er die ganze Woche immer wieder daran gedacht hatte, die Eindrücke des heutigen Tages hatten sein kindliches Gemüt doch zu sehr von den Gedanken an den Besuch abgelenkt. Umso nachdrücklicher kam es ihm nun wieder in den Sinn. Bei seinem letzten Aufenthalt war die Mutter bereits ganz aufgeregt, die, solange er zurückdenken konnte, mit Maria von Wierusz, so hieß der angekündigte Besuch, einen regen Schriftverkehr unterhielt. Die Komtess lebte seit Jahren in Philadelphia im fernen Amerika unter dem Namen Richter und kehrte nur selten in ihre alte Heimat zurück. Er und seine Geschwister wollten immer Geschichten über sie hören. Um die Neugier der Kinder zu besänftigen, erzählte die Mutter so manches Mal von heiteren Ereignissen aus ihrer gemeinsamen Zeit. Doch hatte August immer wieder den Eindruck, dass sich die Mutter dabei auch an traurige Dinge erinnerte. Auf ihre Nachfrage beim Vater erfuhren sie auch nichts näheres, manchmal gab er ihnen gar keine Antwort. Die Kinder verstanden und forschten nicht weiter nach, denn niemand wünschte, die Mutter weinen zu sehen.

Über eine recht steile Straße mit drei engen Kehren gelangte August zur Schiffsbrücke, die den Wasserweg sperrte und bei heraufziehender Gefahr schnell abgebaut werden konnte.

Die Amseln stimmten bereits ihr Abendlied an - er hatte sich erheblich verspätet. Am Zollhaus entrichtete er den Brückenpfennig, rannte das letzte Stück bis zur Stadt und durchquerte sie in aller Eile, bis er den Kirchplatz erreichte, auf dem einige Kantoreimitglieder, die gerade die Generalprobe für den Sonntagsgottesdienst hinter sich hatten, zusammen standen oder sich auf den Heimweg machten.

Gegenüber der Nikolaikirche, von Patrizierhäusern eingerahmt, stand das kleinste Haus am Platze, das Haus des Organisten, sein Elternhaus.

Zwei junge Leute kamen auf ihn zu. Es waren seine „große“ Schwester Franziska und sein Bruder Heinrich, der trotz seines Alters - er war im Frühjahr einundzwanzig geworden - noch immer sehr kindisch sein konnte, besonders dann, wenn er ihn ärgern wollte.

August liebte und bewunderte ihn sehr, denn er hatte ihm das Flötenspiel gelehrt. Obwohl er ein guter Flötist und Geiger war, vermisste der gestrenge Vater bei seinem Ältesten die Leidenschaft für die Musik.

Seinen Bruder konnte man viel eher in den Flussauen oder in den umliegenden Wäldern sehen, sofern man ihn in seinem grünen Gewand überhaupt erkannte. Er besaß sogar ein kleines Fischernetz, in das er frische Laubzweige und Schilf einflocht, das er sich bei Bedarf überwarf, um, so maskiert, vom Ufer aus die Tierwelt besser beobachten zu können. Heinrich kannte alle Pflanzen und ihre lateinischen Zuordnungen, was ein Verdienst der Mutter war; denn sie war nicht nur eine gute Pflanzenkennerin, sie hatte in der Dachkammer auch eine Kräuterküche eingerichtet und ihre Arzneien waren auf dem wöchentlichen Markt sehr gefragt. Von Kindesbeinen an begleiteten er und seine Geschwister die Mutter bei der Kräutersuche. So lernten sie auch den Forstmeister Ewald kennen, dem sich Heinrich bald anschloss. August erinnerte sich lebhaft, dass darüber der Haussegen nicht nur einmal schief hing. Schließlich wurde Heinrich erlaubt, nach Abschluss der Lateinschule die Forstmeisterschule in Göttingen zu besuchen. Das Studium dort sollte er in diesem Herbst mit dem Magister abschließen, um danach in Landgräflich Hessische Dienste zu treten.

„Du kommst spät, der Vater ist bereits in großer Sorge“, wurde August von seiner schönen Schwester gemaßregelt, die im Wesen und Gebaren der Mutter so ähnlich war.

„Ich hab' noch etwas Geld für uns verdient, doch sag, ist sie da?“

„Von wem sprichst Du?“, gab sich Heinrich unwissend.

„Von der Komtess natürlich.“

„Ach ja, die - ja - die, sie ist vor einer Woche eingetroffen.“

„Sag schon, wie ist sie?“

„Im Grunde ganz nett“, antwortete Heinrich gelangweilt.

„Eumel, ist das alles, was Dir dazu einfällt?“

„Pass auf, was Du sagst, Rotznase!“

„Müsst ihr immer gleich aneinander geraten", versuchte Franziska zu beschwichtigen, „in der Tat“, fuhr sie fort, „die Komtess ist wirklich eine zuvorkommende Person, die sich nie über uns erhebt. Mutter und mir ist sie gar jeden Tag im Haushalt behilflich.“

„Wie in einem Märchen“, ergänzte Heinrich, beugte sich zu seinem Bruder hinunter und flüsterte ihm hörbar ins Ohr, „übrigens nächtigt sie im Schlafgemach der Eltern, in einer 'ménage à trois', wie die modernen Franzosen sagen."

Entrüstet stieß ihm Franziska den Ellenbogen in die Rippen.

„Halte gefälligst Dein vorlautes Maul!“, fuhr sie ihn an, um sich danach wieder August zu zuwenden. „Sicher geht sie mit der Mutter am Weserufer spazieren, wie jeden Abend, nachdem das Tagwerk verrichtet ist. Leider verlässt uns der liebe Gast nächste Woche bereits wieder, um in wichtigen Angelegenheiten nach Paris zu reisen - doch such jetzt lieber den Vater auf, bevor er sich noch weiter um Dich sorgt“, ermahnte ihn Franziska.

August nahm sie beim Wort und ging mit schnellen Schritten zur Kirche. Im Hintergrund fuhr ein Donnerwetter auf Heinrich herab.

Das Kirchenschiff war dämmerig und erfüllt vom Geruch ausgeblasener Kerzen. Leise erklang getragene Orgelmusik. August stieg die Empore zum Orgelwerk hinauf. Im Schein von vier Kerzen saß sein Vater mit geschlossenen Augen vor dem Orgeltisch und war ganz in seine Musik vertieft.

August verharrte auf der letzten Stufe und schaute seinem Vater zu, wie er mit geschlossenen Augen der Orgel diese sanften Töne entlockte. Der Vater trug keine Perücke, so sah er im Kerzenlicht die ersten graue Haare im straff zurück gekämmten dunklen Haar, auch die ersten Falten auf der Stirn und rechts und links der Nase waren jetzt deutlicher zu sehen als bei Tageslicht.

Als der letzte Akkord verklungen war, entließ er seinen Assistenten, der die Luft in die Orgel gepumpt hatte.

„Du kommst spät, August, ich habe mir bereits große Sorgen gemacht“, wandte sich der Vater an ihn, als sie alleine waren.

„Verzeih, lieber Vater, dafür habe ich für uns am Grenzposten einen Viertel Taler verdient.“ Voller Stolz reichte er ihm das Geld.

„Das ist edel gehandelt und ich danke Dir dafür. Aber wegen Deiner Unpünktlichkeit hast Du das Abendbrot versäumt. Nun sieh zu, wie Du auskommst - möchtest Du morgen zum Kirchausgang spielen?“„Sehr gerne! Eine Melodie zu Paul Gerhardts Gedicht „Geh aus mein Herz und suche Freud“ würde gut zur Jahreszeit passen“, antwortete August begeistert.

„Vortrefflich gewählt. Es wird den Familien, deren Angehörige im fernen Amerika kämpfen, sicher Trost spenden - so lass hören, mein Sohn.“

Als der Orgeltisch für August eingerichtet war, pumpte der Vater Luft in die Orgel. August zog die Register.

Das Gebälk ächzte - der Auftakt erklang.

'Wie stolz ich auf ihn bin', dachte Matthäus, 'in wenigen Jahren vermag selbst ich ihm nichts mehr beizubringen'.

Während er dem meisterlichen Spiel seines Sohnes lauschte, wanderten seine Gedanken von der Musik weg in die Vergangenheit.

Der Besuch der Freundin Maria weckte Erinnerungen an die bewegteste Zeit seines Lebens. Gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth standen sie während des Siebenjährigen Krieges in geheimen Diensten der Könige von Großbritannien und Preußen. Die Schwester Friedrichs des Großen, die Herzogin Philippine Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel, hatte als Dank dafür die Anstellung hier in Rinteln veranlasst. Zuvor lebten sie zwölf Jahre in Northeim, das in diesem langen Krieg sehr gelitten hatte. Die ganzen Jahre über war er dort Kantor und konnte an der größten Orgel Norddeutschlands spielen. Allerdings reichte sein Verdienst nicht aus, um das Auskommen seiner Familie zu gewährleisten. Hier in Rinteln lebten sie in gesicherten Verhältnissen, aber die Bedürfnisse der Kinder wuchsen mit den Kindern. Gott sei Dank war Elisabeth nicht nur eine nimmermüde Ehefrau und liebevolle Mutter seiner Kinder, sondern auch eine hervorragende Pianofortespielerin und ausgebildete Sängerin. So konnten sie in der Umgebung Gastspiele geben und bei festlichen Anlässen auftreten.

Der Erlös daraus war für die Familie ein gutes Zubrot.

Ein großes Glück für ihn und jetzt auch für seinen begabtesten Sohn war die Bekanntschaft mit dem Hofkapellmeister in Bückeburg. Die Entscheidung, die weitere musikalische Ausbildung und Förderung von August in die Hände des Bachsohns zu legen, hat er nie bereut. Denn jedes Mal, wenn er August spielen hörte, schien nicht nur sein Können sondern auch seine Leidenschaft für die Musik gewachsen zu sein.

Auf dem Treidelpfad am flachen Ufer der Weser gingen in gemächlichem Schritt, manchmal Arm in Arm, zwei schlanke, nicht mehr ganz junge, etwa gleichaltrige Frauen spazieren. Immer wieder unterbrachen sie ihr Gespräch, blieben stehen, schwiegen und verfolgten mit nachdenklichem Blick den Lauf des schnell fließenden Flusses. Zwischen beiden war eine Vertrautheit zu erkennen, wie sie nur eine langjährige Freundschaft erwachsen lässt.

Die beiden Spaziergängerinnen waren Elisabeth „Nanni“ Müller und ihr derzeitiger Gast, die Komtess Maria von Wierusz. Waren sie in ihrer äußeren Erscheinung sich ähnlich, konnten sie in ihren Anlagen und Interessen nicht verschiedener sein. War Elisabeth fast schwarz haarig, sehr naturverbunden, sehr musikalisch, verheiratet und Mutter von sechs Kindern, so hatte Maria blonde Haare, kleidete sich nach der neusten Mode, liebte das gesellschaftliche Leben und pflegte Beziehungen zum französischen und preußischen Hochadel, zu Politikern und hohen Militärs, zu Vertretern der Kontinentalmacht Großbritannien wie auch zu Repräsentanten der jungen Vereinigten Staaten von Amerika.

Im seichten Wasser nahe dem Flussufer lauerte ein Graureiher regungslos auf seine Beute. Das anschwellende Surren des Flügelschlages vorbei fliegender Schwäne schreckte die Frauen aus ihren Erinnerungen.

„Die Sache für die Amerikanische Revolution steht schlecht, Nanni, wenn nicht ein Wunder geschieht, ist es im nächsten Frühjahr damit vorbei. Daher habe ich schon vor Monaten beschlossen, meinen Einfluss geltend zu machen.“

„Reist Du deshalb nach Paris?“

„In der Tat, um aus einem desolaten Haufen, dessen Degen Griff und Klinge fehlen, eine Armee zu formen.

Denn abgesehen von einigen wenigen Erfolgen, haben die amerikanischen Milizen und die Continental Army bis jetzt nur Fersengeld bezahlt.“

„Wahrlich, eine große Aufgabe. Weißt Du schon, wie Du sie lösen willst?“

„Nicht ich, sondern Friedrich Wilhelm von Steuben.“

„Du hast Kontakt zu ihm?“ Erstaunt sah Elisabeth ihre Freundin an.

„Die ganzen Jahre über, ist er doch ein alter Freund und war ein vortrefflicher Liebhaber.“

„Du hast mir nie davon geschrieben.“

„Du hast auch nie nach ihm gefragt.“

„Ich habe versucht, ihn zu vergessen, doch gelungen ist es mir nie.“

„Fritz ist ein außergewöhnlicher Mensch. Davon gibt es nur wenige.“

Verträumt sah Nanni über die Flusslandschaft. Der Reiher verharrte noch immer, als wäre er zu Stein erstarrt. Glutrot ging die Sonne hinter den Hügeln unter.

„Nach all den Jahren werde ich Fritz in Paris endlich wieder sehen“, fuhr Maria fort, "mit allen wichtigen Persönlichkeiten ist das Notwendige bereits ausgehandelt. Auch der amerikanische Gesandte Mr. Benjamin Franklin befürwortet seine Anstellung. Im Grunde muss Fritz nur noch zustimmen, um Generalinspekteur der Armee der Vereinigten Staaten zu werden. Entsprechende Empfehlungsschreiben von höchster Stelle führe ich aus Berlin mit.“

„Ist das der Franklin, der die Elektrizität erforscht?“

„In der Tat.“

„Sie ist nicht gut für die Menschen und auch gefährlich. Ihre Spannung stört die innere Ausgewogenheit. Sag ihm, er soll es bleiben lassen.“

„Wie soll ich das? Es liegt in der Natur des Menschen, nach Neuem und immer Höherem zu streben. Die Zeit galoppiert und bald werden Dinge, die für uns noch alltäglich sind, der Vergangenheit angehören.“

„Muss das denn unbedingt sein? Die Indianer in Amerika denken doch auch so, wie ich gelesen habe.“

„Nanni, die Indianer sind tumbe Gesellen und ihr befremdlicher Naturglaube wird auch ihr Untergang sein.

Denn in der Welt, in der ich lebe, zählt, wie überall, allein die Macht des Geldes. Daran wird auch die Revolution nichts ändern, denn sie ist aus einem Streit unter Reichen geboren.“

„Sind Habgier, Rücksichtslosigkeit und Neid die Sterne, nach denen wir greifen?“

„Du denkst zu viel in grellen Farben, meine Liebe. Die Revolution vertritt hohe Ideale und eine Demokratie wird in ihrer Entwicklung niemals zum Stillstand kommen.“

„Man muss immer an das Gute im Menschen glauben, vielleicht siegt doch noch die Vernunft und die Briten geben ihre nordamerikanischen Kolonien frei.“

„Weit gefehlt. Die Briten besitzen eine grenzenlose Überheblichkeit gegenüber den Rebellen und glauben, mit dem Bürger- und Bauernpack leichtes Spiel zu haben. Sie sprechen auch nicht von einem Krieg, sondern von einem Konflikt. Droht Gefahr, schicken sie gerne die gekauften Deutschen vor. Gibt es dagegen etwas zu gewinnen, stehen die Briten vorne an, damit allein nur ihnen der Ruhm gehört.“

„Warum soll es denn gerade Fritz für die Revolution richten? Er ist doch kein Mann von Einfluss.“

„Sei unbesorgt Nanni, ich werde aus ihm einen machen.

Seit seinem Abschied aus der preußischen Armee ist ihm das Glück nicht gerade hold gewesen. Zunächst war er Hofmarschall am Hofe von Hohenzollern-Hechingen und später beim Markgrafen von Baden. Inzwischen haben Intrigen dazu geführt, dass er kein Bein mehr auf den Boden bekommt.“

„Wie schrecklich. Was wirft man ihm denn vor?“

„Nanni, von zweifelhaften Individuen sind Lügen in die Welt gesetzt wurden, sie hoffen, daraus Vorteile für sich ziehen zu können. Lassen wir es dabei bewenden, im Grunde sind sie keiner Rede wert.“

„Gut, ich glaube Dir. Aber hat Fritz überhaupt signalisiert, nach Amerika gehen zu wollen?“

„Ihm bleibt nichts Anderes übrig. Es geht um seine Existenz. Er war schon einmal in Paris. Nur wollten die Amerikaner wegen schlechter Erfahrungen keine Verbindlichkeiten eingehen. Daher ist er unverrichteter Dinge wieder abgereist.“

„Sollte er wirklich nach Amerika gehen, muss er gegen die Hessen und andere deutsche Verbände kämpfen.“

„Wie mir scheint, ziehen diese Halbknechte hier wohl gerne in den Krieg. Elende, deutsche Söldnerseelen, denn über Klagen liest man nur wenig in den Staaten.“

„Da täuscht Du Dich aber. Der Landgraf hat einen vortrefflichen Vertrag mit den Briten ausgehandelt, der ihm eine Unsumme Geld mit seinem Soldatenhandel einbringt. Um seinen Verpflichtungen nachzukommen, lässt er mit unlauteren Mitteln die Leute zwangsausheben oder anwerben, selbst vor Überfällen schrecken seine Werber nicht zurück. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren die Ernten schlecht ausgefallen sind und viele Bauern und Handwerker haben nur ein karges Auskommen. Etliche sind verschuldet. Soll man es ihnen verdenken, wenn sie sich verkaufen, um mit dem Sold ihre Familien vor noch größerer Not zu bewahren?“

„Wess' Brot ich ess', dess' Lied ich sing - aber vielleicht mag das unser zerrissenes Schicksal sein, dass der Boden Europas und jetzt auch Amerikas mit deutschem Blut getränkt ist“, bemerkte Maria nachdenklich.

„Stimmt es denn, was berichtet wird, dass es viele deutsche Siedler in Amerika gibt und dass sie auf der Seite der Aufständischen kämpfen.“

„In der Tat, sie stellen die Mehrheit der Truppen und des niederen Offizierskorps. Die hohen Offiziere hingegen sind meist Großgrundbesitzer britischer Abstammung.“

„Warum sind es gerade die Deutschen, die bereit sind, ihr Leben für die Revolution zu opfern?“

„Das lässt sich ganz einfach erklären. Es sind ehemals Unterjochte, die in Amerika zum ersten Mal das Wort 'Freiheit' hören und in Freiheit leben können. Es ist ihre Freiheit, die sie bis zum letzten Blutstropfen verteidigen werden. Im Gegensatz zu den meisten britischen Siedlern, die sich Loyalisten oder Torries nennen und wie der Name schon sagt, zum König halten.

Nanni, mein Angebot gilt noch immer. Möchtest Du mit Deiner Familie zu mir nach Amerika kommen und die Freiheit atmen? Was erwartet Dich schon hier?“

„Matthäus ist so sehr mit seiner Arbeit hier verbunden, dass ihm dies nicht einmal im Traum einfallen würde. Er ist hier in Amt und Würden. An der Universität achtet ihn jeder. Langsam beginnen die Kinder, auf eigenen Beinen zu stehen. Verstehst Du, was ich damit sagen möchte?“

„Ja, doch für Euch wird meine Tür zu diesem weiten Land mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten immer offen stehen.“

„Ich danke Dir. Lass uns jetzt nach Hause gehen. Von meinem Sohn August, der inzwischen angekommen sein wird, werden wir gewiss mit Ungeduld erwartet. Er soll uns den Abend mit einem Vorspiel auf dem Pianoforte verschönern. Sein musikalisches Talent ist bemerkenswert - Du wirst erstaunt sein.“

Auf dem Rückweg hing jede ihren eigenen Gedanken nach, bis Maria leise, fast zögerlich das Gespräch wieder aufnahm.

„Denkst Du manchmal auch an Sophia, die für uns vor dem Feind geblieben ist?“

„Sie erscheint mir jeden Tag und bestärkt mich in meiner Entscheidung, mein Leben so zu nehmen, wie es ist.“

„Mir ergeht es ebenso.“

„Ja, denn nur wer vergessen wird, stirbt wirklich.“

1.Kapitel

Spätsommer 1777

Steuben - Diplomatie in Paris

In einer der neumodischen, doppelstöckigen Kutschen der Eilpost, die von einem Achtergespann gezogen wurde, saß in der oberen Etage ein schlanker, in gutem Bürgerzivil gekleideter Fahrgast, dessen Alter auf Mitte Vierzig geschätzt werden konnte. Unter den übrigen Fahrgästen fiel er durch seine aufrechte Haltung und seine strengen Gesichtszüge auf, die noch unterstrichen wurden durch eine hohe Stirn und eine leicht gebogene Nase. Auch seine großen braunen Augen, die mit ihrem feurigen und durchbohrenden Blick einen Gesprächspartner fraglos in ihren Bann ziehen konnten, vermittelten den Eindruck eines befehlsgewohnten Menschen. Im Gegensatz zu der Strenge der Gesichtszüge stand allerdings die weiche Unterlippe, die von einer langen, wohl in einem Kampf zugezogenen Wunde gezeichnet war.

Der ansonsten schweigsame Fahrgast hatte sich seinem Nachbarn als Friedrich von Steuben vorgestellt, der in Begleitung seines Dieners Carl Volger und seines Hundes Azor, einem italienischen Windhund, nach Paris reisen wolle.

Gegen Abend sollte die Kutsche in der französischen Hauptstadt eintreffen.

Zum wiederholten Male holte Fritz, wie Freunde ihn nannten, aus der Rocktasche zwei Billetts hervor, deren Inhalt er bereits auswendig konnte. Es bereitete ihm Genugtuung, dass er die französische Sprache perfekt beherrschte, hatte er sie doch bereits in frühester Jugend erlernt. Bei den bevorstehenden Gesprächen bedarf es also keiner Dolmetscher.

Schon einmal war er diesen Weg gefahren - umsonst. Doch die Briefe, die ihn in den letzten Wochen am Badischen Hof in Karlsruhe erreicht hatten, deuteten eine erfreuliche Wendung seines Schicksals an. Von einer herzlichen Einladung war die Rede und man wolle nähere Details über seine Zukunft erörtern. Das zuletzt gelesene Billett in der Hand, das vom französischen Kriegsminister Saint-Germain, seinem einstigen Feind und jetzigen Freund, stammte, sah er in Gedanken versunken aus dem Fenster. Landvolk brachte die Ernte ein. Staub lag in der Luft.

Den Grafen Saint-Germain kannte er seit nunmehr zwanzig Jahren. Damals waren sie sich auf dem Schlachtfeld von Roßbach nahe Leipzig gegenüber gestanden, wo die französische Armee binnen weniger Stunden von den Preußen vernichtend geschlagen wurde. Der Graf geriet in Gefangenschaft. Anlässlich eines Banketts, das zu Ehren der gefangenen Offiziere gegeben wurde, machte er, damals noch als junger Leutnant, seine Bekanntschaft. Im Laufe der Jahre begegneten sie sich zu den unterschiedlichsten Anlässen, so dass mit der Zeit eine Freundschaft entstand. Doch während der eine bis zum Kriegsminister von Frankreich emporstieg, musste er nach der Demobilisierung als Stabskapitän seinen Abschied nehmen.

Am späten Nachmittag des 18. August traf die Kutsche in Paris ein. Fritz mietete eine Droschke, ließ das Gepäck umladen und fuhr mit Carl und Azor zu Caron de Beaumarchais, der ihn für die Dauer seines Aufenthalts in sein Palais eingeladen hatte.

Von seinem Gastgeber, den er während seines letzten Aufenthalts in Paris kennen gelernt hatte, wusste er nur drei Dinge: Zum Einen, dass er durch zwei vorteilhafte Heiraten wohlhabend geworden war, zum Anderen, dass er, von Beruf Uhrmacher und jetzt Hoflieferant, als solcher geadelt und ein in vielen Bereichen erfolgreicher Geschäftsmann war. So war er Inhaber der Reederei Rodrigue Hortalez & Cie, die unter anderem im Geheimauftrag der französischen Regierung Kriegsmaterial an die amerikanische Armee lieferte. Und zum Dritten, dass seine Liebe der Literatur und Musik gehörte. Er dilettierte als Musiklehrer, der die Kinder des Königspaars im Harfenspiel unterrichtete, zugleich war er ein erfolgreicher Dramatiker und Bühnenautor.

Fritz hatte in ihm einen gradlinigen und ehrenhaften Freund und Fürsprecher gewonnen.

Zur sechsten Stunde erreichten sie den Boulevard Saint-Antoine und die Auffahrt zum Palais de Beaumarchais.

Einer der vielen Diener des Hauses bat Fritz in ein Kabinett, wo ihn der blendend aussehende und nach dem letzten Schrei der Mode gekleidete Hausherr auf das Herzlichste empfing.

„Machen Sie sich zunächst einmal frisch, lieber Baron, mein Kammerdiener wird Sie in Ihre Räumlichkeiten geleiten. Ich würde mich glücklich schätzen, mit Ihnen zu dinieren. Bereits morgen früh fahren wir zu Saint-Germain, der Sie in Versailles brennend vor Ungeduld erwartet.“

Die Zimmer, in denen Fritz die nächsten Tage wohnen sollte, waren im Stil der Zeit eingerichtet und spiegelten den ganzen Luxus des Hauses wieder. Es fehlte ihm an nichts.

Ausgiebig bereitete er seine Toilette zu, legte frische Kleidung an und rauchte, in einem Schaukelstuhl sitzend, genüsslich und entspannt eine Pfeife, während er die Aussicht vom Balkon auf die Parklandschaft genoss.

Ein Diener erschien und bat ihn zu Tisch. Im Salon erwartete ihn sein bestens aufgelegter Gastgeber, der ihn zur Tafel führte, die für zwei Personen gedeckt war.

Nebst zahlreichen Beilagen gab es Wild und Geflügel.

Nach sieben Gängen bei vortrefflichem Wein kam Beaumarchais fast beiläufig auf den Zweck seiner Einladung zu sprechen.

„Teurer Freund, sämtliche Unklarheiten betreffend Ihrer Anstellung sind ausgeräumt.“

„Wie geschieht der schnelle Sinneswandel?“

„Ich denke, dass unsere gemeinsame Freundin, die Komtesse von Wierusz, über ein diplomatisches Geschick verfügt, welches unsereins weit in den Schatten stellt.

Sie kennen sie wohl schon recht lange?“

„Gut zwanzig Jahre.“

„Sie überraschen mich immer wieder, lieber Baron, denn für mich sind Sie ein Buch mit sieben Siegeln. Von mir wissen Sie alles, von Ihrer Biographie hingegen weiß ich nur wenig, im Grunde gar nichts. Sie dürfen vermuten, dass dies meine Phantasie anregt.“

Fritz verstand die Aufforderung, aber im Gegensatz zu ihm brauchte Beaumarchais als kunstschaffender Freigeist aus seiner bürgerlichen Herkunft keinen Hehl zu machen. Zunächst lenkte er ein wenig vom Thema ab, scherzte, trank ein Glas Rotwein und beschloss, seinem Gastgeber nur Bruchstücke aus seinem Leben zu erzählen.

So verbrachten sie den Abend in angeregter Stimmung, bis auch die letzte Tabakspfeife ausgeraucht war.

Spät in der Nacht stand Fritz auf seinem Balkon, er genoss die leichte Brise, die von Westen her wehte.

Nachdenklich sah er zum sternenübersäten Nachthimmel empor. Was wusste Beaumarchais wirklich über ihn? Doch bevor er sich an diesen Gedanken zerrieb, beschloss er, schlafen zu gehen.

Das Frühstück fiel, wie alles im Hause Beaumarchais, üppig aus. Schließlich erschien ein Diener und meldete, dass die Droschke nach Versailles bereitstünde.

Zur neunten Stunde fuhren sie ab. Ihr Ziel, die Sommerresidenz des Königs Ludwig XVI, lag etwa eine Stunde von Paris entfernt. Die einst bäuerliche Siedlung Versailles war schon während der Bauzeit des Schlosses zu einer ansehnlichen Stadt angewachsen und inzwischen ein umfangreiches und vielseitiges Wirtschaftsgut geworden, welches das Schloss und seine zahlreichen Bewohner mit allem, was benötigt wurde, versorgen konnte.

Fritz erinnerte sich an frühere Besuche in Versailles.

Immer wieder haben ihn die gigantischen Ausmaße des Schlosses mit seinen Gärten beeindruckt.

So hatte der Großvater des derzeitigen Regenten Ludwig XVI, der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV, den Fritz verächtlich „den zahnlosen Halunken“ nannte, in seiner grenzenlosen Macht gar eine Schneise durch Paris und Versailles brechen lassen, damit seine königlichen Augen ungehindert den Lauf der Sonne verfolgen konnten.

Unzählige Häuser waren dieser Inspiration zum Opfer gefallen. Fritz war immer wieder empört über dieses menschenverachtende Verhalten. Konnte er dem einfachen, beinahe armseligen Leben der Landbevölkerung noch eine gewisse Idylle abgewinnen, stach ihm der Gegensatz zwischen Reich und Arm immer mehr ins Auge, je näher sie der Hauptstadt kamen, hier war die Armut der einfachen Menschen unübersehbar. Doch weder die Obrigkeit noch die feine Gesellschaft in ihren Stadtpalais schien das zu bemerken.

Die Droschke erreichte den Haupteingang zum Schlosshof, ein kunstvoll geschmiedetes und teilweise vergoldetes, zweiflügeliges, hohes und breites Tor. Baumarchais händigte dem wachhabenden Offizier die Einladung des Kriegsministers aus. Über den weiträumigen Vorhof, den ein imposantes Reiterstandbild des Sonnenkönigs schmückte, gelangten sie zum Haupteingang des „Cour de Ministre“. Beaumarchais ließ die Droschke halten.

In allen Räumen, die sie in dem weitläufigen Schloss durchquerten mussten, sahen sie die üppigste Prachtentfaltung an Decken und Wänden, nach dem Geschmack des Erbauers und seiner Nachfolger gestaltet.

Unzählige Sitzgelegenheiten standen den Gästen zur Verfügung.

Auch wenn sein Auge überwältigt war, so wurde seine Nase auf unangenehmste Weise beleidigt: es roch, milde gesagt, streng. Denn für die etwa 5.000 Menschen, die in diesem riesigen Schloss lebten, hatte der Architekt bei der Planung die Einrichtungen für die Hygiene vergessen. Eine Unschicklichkeit, die inzwischen in vielen Fürstenhäusern Europas als eine nachahmenswerte Mode betrachtet wurde. Nach kurzem Anflug einer Ohnmacht staunte Fritz über die Anpassungsfähigkeit seines Geruchssinns.

Auf ihrem Weg durchquerten sie den berühmten Spiegelsaal, der als Wartezimmer zu den Audienzen diente und in dem unzählige Höflinge darauf hofften, eine solche zu erhalten.

Beaumarchais grüßte den einen oder anderen, ließ sich aber auf kein Gespräch ein. Endlich standen sie vor den Räumlichkeiten des Kriegsministers von Frankreich. Nach der üblichen Prozedur der Ankündigung bat sie ein Diener in das Kabinett. Claude Louis Comte de Saint-Germain schloss seinen Freund hocherfreut in die Arme, befragte ihn nach dem Verlauf der Reise und seinem gesundheitlichen Befinden.

„Bestens, Bruder. Mein Tatendrang ersehnt eine neue Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Für die Freiheit der Menschheit bin ich jederzeit bereit, mein Leben zu geben.“

„Dein Idealismus ehrt Dich, doch sehen wir die Sache nicht ganz so teutonisch wie Du“, antwortete der Minister lächelnd, „wir denken, dass für Deine Überfahrt das Wichtigste geregelt ist. Die Reederei Rodrigue Hortalez & Cie wird Dich beim nächsten Waffentransport als Passagier befördern. Leider ist meine Zeit, die ich Dir heute widmen kann, begrenzt, da mir in einer Stunde eine Unterredung mit dem König bevorsteht, die gewiss nicht einfach sein wird. Lassen wir daher sämtliche diplomatischen Schönfärbereien beiseite und sprechen Klartext. Deine selbstmörderische Begeisterung für die idealen Ziele der jungen amerikanischen Republik können wir allein schon aus ökonomischen Gründen nicht mit Dir teilen. Wir unterstützen die aufrührerischen Kolonien aus reinem Eigennutz, damit wir Großbritannien schaden können.

Seit dem letzten Krieg haben wir noch eine Rechnung mit den Briten offen. Es geht uns allein um Großmachtpolitik und um nichts anderes. Und unser Freund Beaumarchais macht es, von seiner idealistischen Begeisterung abgesehen, um einen Haufen Geld zu verdienen. Somit führen wir allein die pragmatischen Erwägungen Frankreichs ins Feld.“

„Eine Hand wäscht die andere“, bemerkte Fritz.

„In der Tat. Gut, dass wir uns einig sind, denn Du wirst als Freiwilliger nach Amerika reisen.“

„Wie soll ich das verstehen? Ohne Garantien? In Baden habe ich meinen ganzen Besitzstand aufgelöst, nur allein um diese Chance zu nutzen.“

„Du kannst davon ausgehen, dass ich durch meinen Geheimdienst ausreichend über Deine finanzielle Liquidität unterrichtet bin.“

Fritz blieb der leicht spöttische Unterton, der bei diesen Worten seines Freundes mitschwang, nicht verborgen.

„Die Reederei Rodrigue Hortalez & Cie wird Ihnen ein zinsloses Darlehen von 1.000 Louis d`Ors gewähren, das ausreichen müsste, um für´s Erste in Amerika Fuß zu fassen. Halten Sie das Geld möglichst zusammen und tauschen Sie nur kleine Beträge in das amerikanische Revolutionsgeld um, die so genannte Continental Currency. Diese Währung ist äußerst instabil, sie wird nur in Papierform ausgegeben und die Inflation dieses "Papierdollars" schreitet rapide voran, man könnte fast sagen, sie galoppiert“, warf Beaumarchais ein.

„Sei unbesorgt, Bruder, Du wirst mit Empfehlungsschreiben von allerhöchsten Stellen versehen, die entsprechend Deine Talente und Tugenden hervorheben, so dass der Kongress der Vereinigten Staaten Deine Anstellung gar nicht ausschlagen kann.

Denn in dieser Versammlung sitzen fast nur Großgrundbesitzer und wohlhabende Kaufleute, die sich um ihre Pfründe sorgen. Doch lasst uns die näheren Einzelheiten dazu morgen festlegen. Sollte Dein Vorhaben dennoch scheitern, was ich nicht glaube, wirst Du vom französischen Staat für Deine Bemühungen entschädigt werden“, gab sich Saint-Germain optimistisch.

„Das hätte ich gerne mit Brief und Siegel.“

Der Kriegsminister legte ein wissendes Lächeln auf.

„Du brauchst an meiner Ehre nicht zu zweifeln, zumal ich weiß, dass die Amerikaner einen hohen Posten für Dich innehaben.“

„Der wäre?“

„Es wird dringend ein Mann benötigt, der die Truppen nach einem einheitlichen Reglement ausbildet. Man hat versucht, das Muster der französischen Armee einzuführen, doch es geht nicht voran, mehr oder weniger ist es gescheitert. Die Offiziere dieser jungen Armee sind größtenteils nur mangelhaft geschult. Die meisten haben ihr Offizierspatent gekauft und verfügen kaum über militärische Qualitäten. Selbst Washington muss man dazu zählen. Du besitzt eine interessante Biographie und die Ausbildung der Truppe gehört zum kleinen Einmaleins eines jeden preußischen Offiziers.

Doch leider wurdest Du als Stabskapitän aus den preußischen Diensten entlassen und genau darin liegt das Problem.“

„In der preußischen Armee spielt der Rang nicht die entscheidende Rolle, sondern die Fähigkeiten. Ich kenne Hauptleute, die, wie ich, Regimenter und in äußerster Not gar ganze Brigaden geführt haben.“

„Als ehemaliger Leidtragender ist mir das nur all zu gut bekannt“, bestätigte Saint-Germain, „dennoch können wir Dich unmöglich als Stabskapitän dem amerikanischen Kongress vorstellen. Man würde Dich nicht einmal vorlassen. Immerhin sollst Du Generalinspekteur der Truppen der Vereinigten Staaten werden. Du wirst dem Kongress als ehemaliger preußischer Generalleutnant und Generalquartiermeister des Königs von Preußen vorgestellt, der die allerhöchsten Empfehlungsschreiben vorzuweisen hat. Ich denke, dass die Komtesse von Wierusz, die inzwischen aus Berlin eingetroffen ist, die entsprechenden Unterlagen mit sich führt. Auch der amerikanische Delegationsführer Benjamin Franklin stimmt dem Schwindel zu. Manchmal muss man eben dem Schicksal ein wenig auf die Sprünge helfen."

„Die Abgeordneten im amerikanischen Kongress besitzen nicht die geringste Kenntnis vom preußischen Militärwesen. Allein Rang, bedeutende Orden und Auftreten zählen und letzteres haben Sie, mein werter Baron, als Hofmarschall gelernt“, fügte Beaumarchais an, „morgen Abend wird in meinem Palais ein Ball gegeben, bei dem sämtliche maßgebende Persönlichkeiten in dieser Angelegenheit anwesend sein werden, auch die Komtesse von Wierusz, die in Passy als Gast der amerikanischen Delegation weilt. Übermorgen werden Sie von unserem Außenminister Graf Vergennes empfangen, der bei meiner kleinen Festlichkeit leider nicht zugegen sein kann. Unser Freund Prinz Montbarey wird Sie zu Vergennes begleiten. Im Übrigen werden Sie und ich von Montbarey im Anschluss an unser Gespräch erwartet.“

Fritz stand auf. „Geben Sie mir zwei Minuten, Messieurs.“

Langsam ging er zu einem der Fenster. Er sah auf die weite, in Terrassen angelegte Parklandschaft.

'Sollte meine zukünftige Existenz wieder einmal auf einer Lüge aufgebaut werden?'

Als er den „Bassin d` Apollon“, den prunkvollsten Brunnen des Parks, erblickte, blieben seine Augen lange daran haften. In einer Allegorie auf Louis XIV krönte der Brunnen das goldfarbene Standbild des Gottes Apoll in einem Sonnenwagen.

'Gut, dieses eine Mal noch gehe ich das Wagnis ein, vielleicht ist Amerika meine Zukunft, dieses große, weite Land, wo ein Volk für seine Freiheit und Unabhängigkeit gegen seinen Unterdrücker kämpft.'

Langsam drehte er sich um. Erwartungsvoll sahen ihn Saint-Germain und Beaumarchais an.

„Das ganze Leben ist ein Blendwerk, bei dem die Ehrlichen bestraft werden. Nun denn, Messieurs, ich gehe auf den Schwindel ein. Was gibt es für mich denn schon zu verlieren?“

„Bravo!“, applaudierte Beaumarchais dezent, „wie sagt man bei Ihnen: „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ und für Sie werden wir das Feuer in der Schmiede schon zu schüren wissen, teurer Freund.“

Saint-Germain warf einen Blick auf seinen Chronometer.

Dabei runzelte er ein wenig die Stirn und bemerkte, dass die fortgeschrittene Zeit ihn nötige, seine Freunde zu entlassen. Bis zum morgigen Abend versah er sie mit seinen besten Empfehlungen, ohne zu versäumen, ihnen für die offenen Worte zu danken.

Die Gemächer des Prinzen Montbarey lagen im entgegen gesetzten Südflügel. Über belebte Treppen und Korridore erreichten sie schließlich dessen Suite.

Der Prinz war nicht allein in seinem Kabinett, er hatte den spanischen Gesandten Graf Aranda zu Gast, der von den aktuellen Plänen Frankreichs unterrichtet war und Spaniens Unterstützung für jede Aktion zusicherte, die dem alten Feind Großbritannien Schaden zuführen konnte.

Bei einem vortrefflich mundenden Diner zog sich die Audienz über mehrere Stunden hin. Bevor sie sich trennten, legten ihm Montbarey und Aranda nochmals nahe, diese eine große Chance, die sein Leben entscheidend wenden könnte, nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.

Als Beaumarchais und Fritz wieder in der Droschke saßen, die sie nach Paris zurück brachte, vergrub sich Fritz in seine Gedanken. Lange sprachen sie kein Wort.

Sie überholten einen Bauernwagen, der Kräuter transportierte - Düfte von Lavendel, Thymian, Salbei und Basilikum streichelten ihre Sinne.

„Sollte das Unternehmen gelingen, werde ich Sie nicht enttäuschen“, unterbrach Fritz schließlich das lange Schweigen.

Gemeinsam speisten sie zu Abend. Zur Unterhaltung hatte Beaumarchais zwei Schauspielerinnen eingeladen, die sich als Jeanette und Simone vorstellten. Beide waren schicklich anzusehen, Galanterien gegenüber aufgeschlossen und geizten nicht mit ihrem freizügigen Wesen. Fritz fand Gefallen an der vollbusigen, brünetten Jeanette. An ihren Qualitäten gemessen hatte Beaumarchais keine Kosten gescheut.

Am nächsten Morgen ließ Fritz für sich und Jeanette die Pferde satteln. Mit Proviant versehen, ritten sie den kürzesten Weg durch die Stadt. Nachdem sie die Festungswälle hinter sich gelassen hatten, galoppierten sie zum westlich der Stadt gelegenen Bois de Boulogne, dem Jagdrevier des Königs und einem beliebten Ausflugziel der Pariser Gesellschaft. Im Wald angekommen, begegnete ihnen kein Mensch.

Ihr Ritt endete an einem der vielen kleinen Seen. Sie stiegen ab und führten ihre Pferde auf die angrenzende Wiese. Nahe dem Ufer fanden sie einen Platz unter einer mächtigen Trauerweide, deren feines Geäst bis ins Wasser reichte und sie vor den Blicken anderer verbarg.

Es war windstill. Die Wasserfläche wurde nur von Blesshühnern und einigen Enten bewegt, die nach Futter suchten. Am gegenüber liegenden Ufer, den ein lichter Kiefernwald säumte, schwebte dichter Bodennebel, der dem See etwas Verwunschenes gab.

Sie zogen sich aus und schwammen in diesen geheimnisvollen Nebel hinein. Bevor sie sich zu verlieren drohten, kehrten sie zu ihrem Platz zurück.

Als sie sich von der Anstrengung des Schwimmens erholt hatten und ihre Haut getrocknet war, begann Jeanette, ihn zärtlich zu liebkosen.

Während er mit seinen Händen durch ihr Haar fuhr, erinnerte er sich an die großen Momente der Liebe in seinem Leben. Sein Herz flog zu Sophia, die er vor dem Feind nicht retten konnte, und zu Nanni, die für ihn verloren war.

Er verbannte seine wehmütigen Gedanken und wandte seine aufkommende Begierde seiner Begleiterin zu. Ihre anfänglichen Zärtlichkeiten endeten in einer leidenschaftlichen Vereinigung ihrer beiden Körper.

Am Spätnachmittag kehrten sie in den Boulevard Saint-Antoine zurück. Im Park bemerkten sie die Vorbereitung für eine Illumination. Auch im Palais herrschte geschäftiges Treiben, da die Säle für den abendlichen Ball vorbereitet wurden.

In seinen Gemächern angekommen, nahm er Jeanette zärtlich in seine Arme und zeigte sich untröstlich, sie nicht zu dem Ball einladen zu können. Sie zeigte Verständnis und gab ihm ihre Adresse.

In seiner besten Garnitur gekleidet, betrachtete sich Fritz mit kritischem Auge im Spiegel. Um seinen Hals hing an einem blauen Band der „Pour Le Mérite“, zuletzt heftete er den „Stern der Treue“ an seine linke Brust.

'Ein Spiegel besitzt kein Gedächtnis', dachte er, 'jung bleibt man nur in der Phantasie'. Noch wenige Jahre und er würde die Fünfzig überschritten haben. Seine Reserven waren aufgebraucht, sein Geldbeutel fast bis zur Naht leer gefegt. Heute würde sich sein Schicksal entscheiden - das wusste er.

Fritz beschloss, in der verbleibenden Zeit seine Gedanken in einem Gebet zu sammeln und anschließend an seinen betagten Vater, der noch immer im aktiven Dienst stand, ein Billett zu schreiben. Sein Vater befehligte als Oberstleutnant und Kommandeur die Festung Küstrin an der Oder, wo er ihn bis zu dessen Lebensende versorgt wusste. Diesen Posten hatte ihm der König von Preußen noch während des Siebenjährigen Krieges übertragen aus Würdigung und Anerkennung für seine heldenhafte Verteidigung der Festung gegen eine vielfache russische Übermacht.

Da er noch genügend Zeit bis zur Eröffnung des Balls hatte, begann er mit der Lektüre eines in deutscher Sprache gedruckten Büchleins, dass er in Straßburg erworben hatte. Der Titel lautete: „Common Sense – Der gesunde Menschenverstand“, verfasst von dem Amerikaner Thomas Paine, der sich darin mit der Demokratie auseinander setzte.

Zur festgesetzten Zeit schritt Fritz die Stufen zum festlich erleuchteten Saal herab. Trotz seines Alters und seiner Erfahrung mit derartigen Situationen pochte sein Herz. Der Hausmarschall kündigte ihn als Baron Friedrich Wilhelm von Steuben an.

Beaumarchais hatte seine Freunde, einige Geschäftspartner und die wichtigsten Persönlichkeiten der Pariser Gesellschaft geladen. In kleinen Gruppen standen die Gäste beisammen und genossen den Champagner, der ihnen von den zahlreichen Dienern angeboten wurde. Die Kapelle spielte dezente Musik.

Zwischen den Adligen und wohlhabenden Bürgen erkannte Fritz Dr. Franklin mit seinem Gefolge, bei dem Mr. Dean wohl der Gewichtigste war, und den Grafen Saint-Germain. Auch Simone befand sich unter den Gästen, allem Anschein nach eine wirklich gefeierte Bühnenschauspielerin.

Fritz schloss aus der Ungezwungenheit, mit der die amerikanischen Gesandten sich zwischen den Gästen bewegten und an den Gesprächen teilnahmen, dass auch sie der französischen Sprache mächtig waren, was die in Aussicht gestellten Verhandlungen sehr erleichtern würde.

Diese Feststellung hielt ihn nicht davon ab, seine Aufmerksamkeit den überaus attraktiven weiblichen Gästen zu widmen.

An einer von ihnen blieb sein Blick haften. Sie war groß, von schlanker Gestalt und hatte ein schmales Gesicht von makelloser Schönheit. Sie trug ein tief ausgeschnittenes, hellblaues Kleid aus Satin, das ihre Taille und die wohlgeformte Brust auf das Vorteilhafteste betonte. Ihre großen, blauen Augen sahen ihn erwartungsvoll an. Vor Bewunderung stand er für einen Moment still.

Dann nahm er sein Herz in beide Hände und ging auf die Frau zu, die ihn so faszinierte.

„Bonsoir, ma chère“, begrüßte er sie, ergriff ihre dargebotene Hand und deutete dezent einen Handkuss an.

Ein Hauch von Rosen umgab sie.

„Die Zeit scheint an Dir vorbei gegangen zu sein und Deine Schönheit kann nur die Tugend der Bewunderung dienen“, fuhr er fort.

„Auch mein Herz ist erfreut, Dich zu sehen, mon cher“, entgegnete ihm Maria, „doch schmeichle mir nicht über Gebühr, denn inzwischen sind viele Jahre vergangen.“

Sie legte ein entwaffnendes Lächeln auf. Ihre Augen wollten voneinander nicht lassen. Fritz suchte nach Worten, die er nicht fand. Obwohl er mit Maria die intimsten Geheimnisse teilte, lag in diesem Moment viel Unausgesprochenes zwischen ihnen.

„Ich bin überwältigt“, waren schließlich die Worte, die alles ausdrückten, was er empfand.

„In Amerika werden wir genügend Zeit füreinander finden, mon cher“, versprach sie.

Es wurde zur Tafel gebeten. Die Tischordnung ergab, dass sich Fritz und Maria gegenüber saßen. Links neben ihm hatte Saint-Germain, der ohne Gattin erschienen war, Platz genommen. Zu seiner Rechten saß die junge Marquise de Rochefort, galant und vortrefflich anzusehen. Etwas entfernt wurde Simone von zwei Bankiers eingerahmt. Immer wieder trafen sich seine und Marias Blicke.

Das Diner wurde von Musik untermalt. Zwischen den Gängen unterhielten sich die Gäste und der Hausmarschall mit geistreichen Rezitationen und Wortspielereien, eine Unterhaltungsform, die groß in Mode war.

Als nach dem letzten Dessert der Ball eröffnet wurde, schenkte ihm Maria die ersten drei Tänze. Danach widmete er der hübschen Marquise de Rochefort seine ganze Aufmerksamkeit.

Schließlich bemerkte er, dass Maria, Beaumarchais, Graf Saint-Germain, Dr. Franklin und Mr. Dean den Ballsaal verlassen hatten.

Sobald das Orchester eine Pause einlegte, meldete ihm ein Diener, dass er erwartet werde. Zur Marquise gewandt, beteuerte Fritz, wegen der unerwarteten Nachricht untröstlich zu sein, doch zwängen ihn unaufschiebbare Geschäfte, dem Ball für einige Zeit fern bleiben zu müssen. Doch versprach er ihr nach seiner Wiederkehr die nächsten Tänze.

Der Diener führte ihn in das Kabinett des Hausherrn, wo er Maria und ihre Begleiter wieder sah.

„Wir freuen uns, Sie abermals in Paris zu sehen, Generalleutnant, zumal wir vernommen haben, dass Sie unserem Lande nun doch als Freiwilliger zu Hilfe eilen wollen“, ergriff Dr. Franklin als Erster das Wort.

„Baron von Steuben wird bereits mit dem nächsten Schiff der Reederei Rodrigue Hortalez & Cie nach Boston aufbrechen“, bestätigte Beaumarchais.

„Gestatten Sie, doch was geschieht, wenn der ganze Schwindel auffliegt?“, äußerte Fritz seine Bedenken.

„Aus Preußen wird kein Dementi erfolgen, sollte der amerikanische Kongress anfragen“, gab Maria zur Antwort.

„Welche Garantien habe ich?“

„Das Wort Seiner Majestät, des Königs von Preußen.“

Maria händigte ihm ein versiegeltes Billett aus. „Lies es, es ist an Dich gerichtet“, forderte sie ihn auf, während sie mehrere Dokumente auf den Tisch legte, die allesamt das Siegel des Königs von Preußen trugen.

Fritz ging zu einem der Kandelabern, die auf dem Arbeitstisch standen. Er brach das königliche Siegel.

'Geehrter Kapitän', las er, 'wie mir die Komtesse von Wierusz berichtet hat, haben Sie sich entschlossen, den aufständischen Kolonien in Nordamerika Beistand zu leisten. Eine höchst löbliche Aufgabe, die Sie, wie ich Sie kenne, nach bestem Gewissen erfüllen werden.

Ihre Entscheidung erfüllt mich mit Stolz. Meine Auffassung zu diesem Freiheitskrieg, in dem einige deutsche Fürsten ihre Landeskinder wie Vieh an die Briten verkaufen, dürfte hinlänglich bekannt sein.

Daher habe ich angeordnet, die preußische Landesgrenze für Menschentransporte schließen zu lassen. Das wird die Transporte zwar nicht verhindern, aber erheblich verzögern. Die dadurch gewonnene Zeit wird General Washington zur Reorganisierung seiner angeschlagenen Armee dringend benötigen. Dies hat mir den Argwohn Großbritanniens eingebracht. Es ist mir einerlei, denn ich habe den schmählichen Verrat der Briten an unserem Vaterlande nicht vergessen.

Sollte der amerikanische Kongress Anfragen zu Ihrer Person an meine Regierung richten, werden Sie als Generalleutnant und Generalquartiermeister in der Armee des Königs von Preußen bestätigt. Mein Empfehlungsschreiben an den Kongress der Vereinigten Staaten und Ihr Offizierspatent als Generalleutnant der preußischen Armee nebst entsprechenden Zeugnissen liegen meinen anderen Schreiben bei.

Wir hoffen, dass Sie inzwischen Ihre Lektion in Sachen Chorgeist und Disziplin gelernt haben, denn es geht nicht umhin, dass ein Stabskapitän in Kriegszeiten den Flügeladjutanten des Königs zum Duell fordert. Damit haben Sie sich entschieden disqualifiziert, selbst dann, wenn Sie noch so große Fähigkeiten besitzen.

Zügeln Sie Ihr Temperament, bringen Sie das, was Sie bei mir gelernt haben, in die Armee der Vereinigten Staaten ein und Sie werden Karriere machen.

Noch eines: richten Sie niemals ein Schreiben an mich, sondern ausschließlich an meinen Bruder Heinrich, unter dessen Kommando Sie lange Zeit dienten. Durch ihn oder die Komtesse von Wierusz sowie durch die Presse werde ich über Ihre Fortschritte unterrichtet sein.

Stabskapitän von Steuben, ich wünsche Ihnen bei Ihrer großen Aufgabe das Glück des Tüchtigen. Für die Freiheit der Menschheit zu streiten ist die ehrenvollste Aufgabe, die einem zu Teil werden kann.

Leider haben das Schicksal meiner Geburt und die damit verbundene Staatsraison mir auferlegt, oft gegen meine persönlichen Ideale handeln zu müssen. Sie, Kapitän, besitzen die einmalige Chance, daran Teil zu haben, ein neues Ideal zu formen.

Zuletzt lege ich Ihnen eine kleine Lektüre nahe. Sie heißt: „Common Sense - Der gesunde Menschenverstand“ und ist von Thomas Paine, einem Amerikaner, geschrieben. Es gibt eine französische Übersetzung davon. Unter Pseudonym habe ich eine deutsche in Auftrag geben lassen, doch wird Sie diese wahrscheinlich vor Ihrer Abreise nicht mehr erreichen.

Des Weiteren empfehle ich Ihnen den "Gesellschaftsvertrag" von Jean Jacques Rousseau.

Nachdem Sie mein Billett gelesen haben, übergeben Sie es dem Feuer, denn nichts soll jemals darauf hindeuten, dass der König von Preußen an Ihrer Sache beteiligt war.

Gehaben Sie sich nun wohl, Generalleutnant Friedrich Wilhelm Baron von Steuben, ich bewundere Sie. Gerne würde ich mit Ihnen gehen.

Bereiten Sie Preußen Ehre!

Bonne fortune Friedericus Rex etc.

P.S. Bis Sie in Amerika über ein eigenes Konto verfügen, werde ich mit sofortiger Wirkung Ihre jährliche Pension auf das Konto der Komtesse von Wierusz in Philadelphia transferieren lassen.'

Langsam ging Fritz zum offenen Kamin und legte fast sanft den Brief in das Feuer. Während die Flammen das Papier zerfraßen, stiegen Tränen der Wehmut in ihm auf.

Die klaren und aufmunternden Worte seines Königs haben ihn doch mehr berührt, als er erwartet hatte. Mit dem Feuerhaken zerteilte er die Asche.

„Majestät, ich nehme den Auftrag an“, sprach er leise.

Als er sich wieder gefasst hatte drehte er sich um.

„Sie haben mein Wort, Messieurs, Madame. Da ich weiß, dass in der amerikanischen Armee eine große Unzufriedenheit über die Bevorzugung ausländischer Offiziere herrscht, bin ich bereit, einen anderen Weg einzuschlagen. Ich werde der amerikanischen Regierung meinen Dienst als Freiwilliger anbieten ohne Anspruch auf Rang und Gehalt und den Posten annehmen, der mir zugewiesen wird.“

„Das ist ein Wort!“, rief Dr. Franklin geradezu entzückt, „ich bin zwar kein Militär, doch wurde ich vom französischen Außenminister Graf Vergennes, vom Kriegsminister Saint-Germain, vom Prinzen Montbarey sowie in schriftlicher Form von Seiner Majestät König Friedrich II. von Preußen und seinem Bruder, General Prinz Heinrich von Preußen, über Ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten unterrichtet. Gerne stelle auch ich Ihnen ein Empfehlungsschreiben an den Kongress und an General Washington aus.“

Fest reichten sie einander die Hände, umarmten sich und besiegelten das Bündnis.

„Bravo!“ rief Beaumarchais, „einen besseren Anlass, die Illumination zu eröffnen, kann es nicht geben.“

Sie traten auf den Balkon. Der Hausherr gab ein Zeichen, das Orchester und die gesamte Gesellschaft zogen daraufhin auf die weiträumige Terrasse. Sobald sie sich dort eingerichtet hatten, ließ der Cheffeuerwerker das erste Bild, das einen Hirsch mit einem ausladenden Geweih darstelle, entzünden.

Erstauntes Raunen war zu hören.

„Lassen Sie uns hinab gehen“, forderte Saint-Germain seine Gäste auf, „unser Separatismus könnte von etwaigen Spionen interpretiert werden.“

„Sie haben recht“, bestätigte Beaumarchais, „gehen wir.“

Auf der Terrasse suchte Fritz die Nähe von Maria. Auch hier reichten Diener vorzüglichen Champagner. In den verschiedensten Farben wurden etliche Figuren erleuchtet. Zum Finale erstrahlte der Park geheimnisvoll in Blau.

Spät in der Nacht, die meisten Gäste hatten sich verabschiedet, gingen Fritz und Maria Arm in Arm durch die Parklandschaft. Sie sprachen polnisch miteinander, die Sprache ihres Vaters und seiner Mutter, damit sie nicht ein verborgener Spion verstehen konnte.

„Gut, dass Du Dich zu Deinem Glück entschieden hast, mon cher“.

„Es soll die letzte Lüge in meinem Leben gewesen sein.

Aber sei unbesorgt, denn Lügner benötigen ein gutes Gedächtnis und das meine ist geübt darin.“

„Ist das Leben in dieser so genannten guten Gesellschaft nicht eine einzige große Lüge?“

„In der Tat. Im Übrigen hat mich Beaumarchais nach meiner Biographie befragt.“

„Was hast Du ihm gesagt?“

„Die offizielle Version, was sonst.“

Maria lächelte dezent. „Ich wusste gar nicht, dass Du in der Zwischenzeit zum Baron erhoben worden bist. Du hast mir nie davon geschrieben?“

„Ach den“, antwortete Fritz mit einer abwinkenden Handbewegung, „den Titel habe ich aus Gewohnheit beibehalten, da man mich in den Hochadelskreisen, in denen ich mich bewegt habe, aus Höflichkeit damit angesprochen hat.“

„Und wie bist Du eigentlich zu einer der höchsten Auszeichnung gekommen, den das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu vergeben hat?“ Maria deutete auf den Stern der Treue, den Fritz unterhalb der Brust trug. „Dieser Orden wird doch nur an Adelige von einwandfreiem Leumund verliehen.“

Verschmitzt sah Fritz auf Maria hinunter.

„Beeindruckend, nicht? Bei der Abfassung meines Stammbaums habe ich etwas nachgeholfen, dabei einige unbedeutende, aber wirkungsvolle Änderungen vorgenommen und auch an meinen Vornamen gefeilt, damit sie aristokratischer klingen.“

„Alter Betrüger.“ Zärtlich drückte Maria seinen Arm und legte den Kopf für einen Moment an seine Schulter.

„Mit Betrug kennst Du Dich wohl am besten aus, ma chère", entgegnete er charmant, wobei er ihre Hand zu seinen Lippen führte und ihr einen zärtlichen Handkuss gab.

„Gut, dass Beaumarchais von all dem nichts weiß“, antwortete Maria amüsiert „sonst würdest Du Dich noch in einem burlesken Bühnenstück wieder finden.“

Fritz schüttele seine Rechte, als ob er sich gerade die Finger verbrannt hätte. „Grand malheur, allein schon der Gedanke daran ist beängstigend.“

„Denkst Du auch manchmal an uns?“

„In all den Jahren ist die Erinnerung an Dich mein ganzer Halt gewesen und hat in einsamen Stunden mein Herz erwärmt.“ Wieder gab er ihr einen zärtlichen Handkuss.

Eine Zeitlang gingen sie schweigend durch den Park, wobei vor ihren inneren Augen Momente aus gemeinsamen Tagen erschienen.

Maria seufzte.

„Wie geht es Nanni? Du hast sie doch besucht“, nahm Fritz den Seufzer zum Anlass, ein heikles Thema anzusprechen.

„Es geht ihr gut und sie fühlt sich trotz des kargen Lebens in ihrer kleinen Welt geborgen. Ungeachtet der sechs Kinder sieht sie noch immer sehr gut aus, ist gesund und die Jahre scheinen an ihr kaum Spuren hinterlassen zu haben, so fein und faltenlos ist ihre Haut. Einer ihrer Söhne scheint wie seine Eltern ein großer Musiker zu werden. Sein Name ist August Eberhard, Nannis viertes Kind, Du solltest ihr einmal schreiben.“

„Ich möchte ihr Leben nicht in Unordnung bringen.“

„Ist Nanni der Grund, warum Du nicht geheiratet hast?“

„Nein, nein, für eine Ehe war mein Leben viel zu unstet. In all den Jahren habe ich mich als Liebhaber gelangweilter Adelsdamen hervorgetan. Das hat mich schließlich den Posten in Hechingen gekostet. Um mich los zu werden, wurde zuletzt sogar versucht, mir homosexuelle Handlungen vorzuwerfen, was man sogar öffentlich gemacht hat. Stell Dir einmal vor – das mir!

Das ist ungeheuerlich! Doch ich hatte genug vom höfischen Leben und seiner Scheinwelt voller Intrigen.“

„Gut' Gerücht man schnell vergisst, bös' Gerücht man nie vergisst - ich weiß, was Dir unterstellt worden ist, das hast Du nicht verdient. Schließ dieses Kapitel endgültig für Dich ab und zerbrich Dir nicht weiter den Kopf darüber.“

„Weiß Nanni von diesen Vorwürfen?“

„Natürlich nicht.“

„Das ist gut, ich danke Dir.“

„Fritz, sieh von jetzt an nach vorne. Einen Fähigeren wie Dich können die Vereinigten Staaten nicht bekommen.

Das wird selbst dem ungebildetsten Abgeordneten aus South Carolina einleuchten. Im zerstrittenen amerikanischen Kongress gibt es nicht einen Vertreter, der über militärischen Sachverstand verfügt.

Entsprechend vernachlässigt sind die Truppen. Auf eines musst Du Dich gefasst machen, mit Organisation und Disziplin wie bei der preußischen Armee hat die amerikanische Armee nicht das Geringste gemein. Das Einzige, was sie zusammenhält, sind Mut, Opferbereitschaft und ihr grenzenloser Optimismus. Ein einheitliches Waffensystem gibt es nicht, geschweige denn eine entsprechende Ausrüstung. Die Meisten verpflichten sich auf Zeit und bringen ihre eigenen Waffen mit. Exerzieren und eine geordnete Schlachtordnung sind ihnen völlig fremd. Allein der Marsch ins Gefecht verläuft einigermaßen geordnet.“

„Wahrlich, das sind keine guten Aussichten.“

„Ich denke schon. Du kannst etwas erschaffen und der Revolution Dein Siegel aufdrücken. Mache etwas daraus.“

„Wann reist Du ab?“

„Übermorgen. Mein Schiff, das mich nach Philadelphia bringt, geht in einer Woche von Emden ab. Seit der Eroberung Philadelphias durch die Briten gibt es dort interessante Neuigkeiten zu erfahren. Die Briten denken, dass ich die Amerikaner ausspioniere. Das ermöglicht mir auf beiden Seiten Reisefreiheit.“

„Du bist unverbesserlich.“

„Mein Leben wäre sonst langweilig.“

„Vermisst Du Sophia?“

„Ich werde sie für immer in dem Schatzkästlein meines Herzens bewahren, denn nur wer vergessen wird, stirbt wirklich.“

Lange sahen sie sich in die Augen. Im unwiederbringlichen Augenblick innigster Gefühle küssten sie sich - lang und leidenschaftlich.

In das Palais zurückgekehrt und in seinen Gemächern angekommen, wurde die Sehnsucht aufeinander immer stärker. Marias seidenweiche Haut glänzte im Schein der Talglichter. Im sanften Affekt der Liebe bedeckten seine Küsse ihren sinnlichen Körper. Der Sturm und Drang ihrer Leidenschaft erhob sie weit zum Olymp empor.

Nach dem Petit Déjeuner verließ sie ihn. Der Abschied geschah mit wenigen Worten. Als die Droschke abfuhr, nur ein Handzeichen und ein letzter Blick.

Wenig später fuhr Prinz Montbarey in einem eleganten Einspänner vor, um ihn nach Versailles zu begleiten.

Der gestrige Ball sorgte für genügend Gesprächsstoff und die Fahrt geriet zu einer kurzweiligen Angelegenheit.

Als sie in das Kabinett des Außenministers vorgelassen wurden, waren bereits Saint-Germain und Graf Aranda anwesend. Vergennes schätzte Fritz kurz ab.

„Sie sind also entschlossen, sich nach Amerika zu begeben“, eröffnete Vergennes das Gespräch, „die Pläne dazu sind durchaus bemerkenswert.“

„Befinden Ihro Exzellenz mein Vorhaben anmaßend?“

„Keineswegs, Sie besitzen die besten Referenzen. Jedoch sollten Sie Ihren Vertrag schwarz auf weiß machen und sich nicht auf die Generosität einer zweifelhaften Republik verlassen“, riet er ihm.

„Den amerikanischen Agenten kann ich keine Bedingungen stellen, Exzellenz. Doch sollten sich die Vereinigten Staaten als undankbar erweisen, erwarte ich, vom König von Frankreich entschädigt zu werden.“

„Sie wissen sehr wohl, Baron, dass der französische Staat mit Ihnen keinen Vertrag abschließen kann. Aber reisen Sie und das bald. Die Reederei Rodrigue Hortalez & Cie stellt Ihnen für die Überfahrt zwei Waffentransporter zur Verfügung. Der eine geht von L´Orient, an der bretonischen Küste gelegen, ab, der andere vom Mittelmeerhafen Marseilles.“

Aranda riet ihm zu dem Schiff, das von Marseilles aus segeln sollte, da er dessen Kapitän Landais persönlich kannte, der als sehr erfahren galt und den Atlantik schon mehrmals überquert hatte.

Nach Paris zurückgekehrt, traf Fritz seine Reisevorbereitungen.

Beaumarchais ließ einen Schneider kommen, um seinen Gast eine Generalsuniform anpassen zu lassen. Da selbst Dr. Franklin und Mr. Dean nicht wussten, in welchen Farben die Armee der Vereinigten Staaten gekleidet war, vermutete Fritz, dass sie ähnlich der Britischen aussehen müsse und orderte einen roten Rock mit blauen Aufschlägen an. Dazu eine elfenbeinfarbene Kniebundhose.

Am 18. September verließ er Paris und fuhr mit seinem Diener Carl und drei Adjutanten durch Burgund nach Lyon und durch das Rhônetal nach Marseille. Da Fritz der englischen Sprache nicht mächtig war, sollte ihm der erst siebzehnjährige Pierre Duponceau als Sekretär und Dolmetscher zur Seite stehen. Des Weiteren wurden sie von Rittmeister de Pontière, einem verdienten Offizier und Beauftragten von Saint-Germain, und von Monsieur de Froney, einem Neffe Beaumarchais, begleitet, der die Interessen der Firma Rodrigue Hortalez & Cie. vor dem Kongress vertrat. Fritz nahm auch Azor, den er nicht zurücklassen wollte, mit auf die gefahrvolle Reise.

In Marseille erreichte ihn gerade noch rechtzeitig ein Schreiben seines Vaters aus der Festung Küstrin, das dieser in der Gewissheit geschrieben hatte, dass sie einander nicht mehr wieder sehen sollten. Darin beglückwünschte er ihn zu seiner Entscheidung und erbat, auch im Namen seiner verstorbenen Ehefrau und Mutter seines Sohnes, Gottes Segen für ihn.

Am 25. September gingen sie an Bord der Fregatte „L`Heureux“, die für diese Fahrt, als Handelsschiff umgerüstet, den neuen Namen „Le Flamand“ trug.

Fritz ließ sich in die Schiffsliste als Monsieur Frank eintragen. Sollte das Schiff von britischen Kreuzern aufgebracht werden, galt er als Privatmann, der Depeschen an den Gouverneur von Martinique, Marquis de Bouilly, mit sich führt. Seine neue Uniform und sämtliche wichtigen Dokumente wurden in einem sicheren Versteck in der Kapitänskajüte verstaut.

Die Fregatte beförderte brisante Ladung: 52 Kanonen, 19 Mörser, 5.000 Musketen, eine Menge Flinten, Karabiner und Pistolen, 1.700 Zentner Pulver, 22 Tonnen Schwefel und 2.500 Bomben für die Mörser.

Die Mannschaft bestand aus Handelsmatrosen, insgesamt 84 Mann, die aus Sicherheitsgründen erst nach Aufnahme der Fracht angeheuert wurden.

Am Morgen des 26. September lief die „Le Flamand“ mit der Flut aus. Es war ein schöner Tag, den ein günstiger Wind begleitete.

Spät in der Nacht, die Passagiere hatten mit den Schiffsoffizieren in der Kapitänskajüte diniert, stand Fritz alleine an der Bordwand.

Der Wind war abgeflaut, es herrschte Windstille.

Schlaff hingen die Segel von den Gestängen herab.

Ein feiner, fast durchsichtiger Bodennebel lag dicht über dem Meer auf dem das Schiff zu schweben schien. Am Nachthimmel funkelten unzählige Sterne.

„Welcher Stern von diesen mag mir, dem Hochstapler, wohl leuchten?“