Die Stockwell Pferde - Vivien Länquis - E-Book

Die Stockwell Pferde E-Book

Vivien Länquis

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Beschreibung

Ein kleines Dorf an der deutschen Nordseeküste, hier scheint die Welt in Ordnung zu sein. Die Einwohner sind nordisch gelassen und abgehärtet gegen die weltlichen Einflüsse. Doch das Schicksal der Stockwell-Pferde fegt wie ein Schatten durch die Straßen. Auch wenn der Mythos nur noch für die Touristen aufrecht erhalten wird, steckt hinter jeder Legende etwas Wahres.
Melanie war als Kind fasziniert von der Stockwell-Geschichte. Bis sie älter wurde und erkannte, dass es zwar mit Elen Stockwell und seinen Pferden ein schreckliches Ende nahm, der Rest der Erzählungen aber nur erfunden wurde. Als ihr Leben aus den Fugen gerät, wird sie von ihrem treuen Freund Ikarus eines Besseren belehrt.

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Vivien Länquis

Die Stockwell Pferde

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Die Stockwell Pferde

Die laue Nordseeluft umspielte Melanies Gesicht. Es war ein herrlicher Nachmittag mitten im Frühling. Die Sonne spiegelte sich auf dem Meer, das schon vor ein paar Stunden von der Ebbe zur Flut wechselte. Noch war keine »Saison« in dem kleinen Dorf an der See, sodass sich kaum Touristen am Strand aufhielten. Melanie konnte so den Nachmittag am Strand verbringen, ohne jemanden ungewollt zu stören. Auch Ikarus liebte die Ausritte am Strand, es zog ihn immer weiter in das Watt hinein. Der schlammige Unterboden um wirbelte seine Beine und manchmal wurde Melanie hier und da vom Schlamm getroffen.

Ikarus war nicht nur Melanies Pferd, sondern auch ihr Freund. Den weißen Holsteiner hatte sie von ihren Eltern, denen der Reiterhof des Dorfes gehörte, als Fohlen geschenkt bekommen. Inzwischen ist aus Ikarus ein staatlicher Hengst geworden. Auf dem kräftigen Hals sitzt ein ausdrucksvoller Kopf. Ebenfalls die Schultern und die Brust sind kräftig gebildet. Sein Widerrist ist ausgeprägt, sein Rumpf ist rassentypisch kompakt und gut gewölbt. Sein Talent hat er den schlanken harten Beinen mit den kurzen Röhren zu verdanken. Bei Ikarus zeigte sich schon früh, dass er ein exzellentes Springpferd werden würde. Mit der Zeit gewannen die beiden ein Turnier nach dem anderen, auch Weltmeisterschaften waren kein Problem für das Gespann.

Nun standen sie kurz vor der Aufnahme in die Deutsche Olympiamannschaft. Das war schon mehr als eine Auszeichnung, da Melanie mit gerade Anfang Zwanzig noch recht jung für solch eine Berufung war. Jedoch hatte ihr Talent das Komitee überzeugt.

Melanie und Ikarus trainierten jeden Tag. Danach gönnten sie sich eine Auszeit. Hier und da ein wenig spielen, über die Felder jagen, oder so wie heute, das Watt umpflügen.

Der kurze, braune Zopf, der unter der Reiterkappe hervor schaute, wippte im Takt der weißen Mähne Ikarus. Melanie gab ihm Zügel, damit er sich austoben konnte und ihr zarter Körper passte sich der Bewegung an. Figürlich war Melanie wie geschaffen für das Springreiten, auch wenn sie als Kind lieber Jockey werden wollte. Diesen Traum hatte sie aber sehr früh aufgegeben, da ihre Körpergröße es sehr schwer machte, das Maximalgewicht zu halten.

Kurz bevor die Klippen aus dem Meer ragten, verlangsamte Melanie das Tempo und versuchte, Ikarus vom Watt wegzuführen, was der Hengst nur widerwillig mit sich machen ließ. Immer weiter wird sich das salzige Wasser der Nordsee in das Gestein graben und so die Berge triumphierend zurücklassen.

Melanie ritt zu einem schmalen Weg, der durch das kleine Wäldchen führte, nicht weit vom Dorf entfernt. Das Wäldchen wurde von einem kleinen Fluss durchzogen. Da es die letzten Tage geregnet hatte, war die Strömung des Flusses stärker als sonst. Das Geräusch des herunterfließenden Wassers übertönte sogar das Brechen der noch kleinen Wellen an dem nahe gelegenen Strand.

Melanie hielt an und sprang aus dem Sattel. Sofort ging Ikarus mit dem Kopf nach unten, um zu trinken. Dabei stieg er langsam ins Wasser, damit sich seine Fesseln abkühlten.

Melanie nutzte die Gelegenheit, um ihr Gesicht von dem Matsch reinzuwaschen. Sie nahm ihre Reiterkappe ab, um Luft an den Kopf zu lassen. Erschöpft, aber glücklich sah sie zu Ikarus, der das kleine Bad genoss. Melanie ließ sich nach hinten in das Gras fallen und blinzelte in die Sonne. Vereinzelnd tauchten kleine Wolken auf, die versuchten, sich einen Platz vor der Sonne zu erkämpften. Sie huschten an dem Himmelskörper vorbei und verschwanden wieder.

So könnte es weitergehen, dachte sich Melanie. Tief zog sie die Luft durch die Nase ein. Das Salz in der Luft, was von der Nähe der Nordsee herrührte, roch und schmeckte Melanie nicht mehr. Sie ist hier aufgewachsen und freute sich nach jedem auswertigen Turnier wieder auf die Heimat. Sie würde sich bestimmt nicht ändern, wenn sie für die Deutsche Olympiamannschaft reiten durfte. Sie würde immer noch Melanie Rissen aus dem kleinen Dorf an der Nordsee sein, lieb und bescheiden. Da war sie sich sicher.

Möwen meldeten sich von Weitem und ein Schwarm Vögel zog in Kreisen vorbei, recht tief, wie Melanie bemerkte. Das konnte nur bedeuten, dass die Insekten wieder tiefer fliegen und somit ein Gewitter ankündigten. Sie sollten bald zurück, wenn sie nicht ganz nass werden wollten.

Ein grelles Wiehern riss Melanie aus ihren Gedanken. Sofort richtete sie sich auf. Ihre Augen suchten nach Ikarus. Er tänzelte nervös im Wasser und seine Blicke strahlten Angst aus. Melanie brauchte nur zwei Sätze, bis sie Ikarus erreichte. Sie sah sofort was los war. Ikarus Huf war zwischen zwei Steine gerutscht und steckte fest und allein kam er nicht mehr heraus. Er zog mit aller Kraft an seinem Bein, doch es half nichts.

Melanie schnappte sich die herumwirbelnden Zügel und sprach sanft mit ihrem Freund, dabei streichelte sie immer wieder seine Nüstern.

»Ganz ruhig mein Freund, das bekommen wir schon hin. Du darfst nur nicht herumzappeln, sonst kann ich dir auch nicht helfen.«

Es wirkte. Ikarus wurde ruhiger, blickte aber immer noch nervös umher und zuckte hier und da. Melanie griff Ikarus hinter den Ohren in den Nacken. So hat der Schimmel gelernt, seinen Kopf zu senken und damit auch seinen Adrenalinspiegel. Er schnaubte, hielt aber seine Ohren ruhig. Nun konnte Melanie sich das Dilemma genauer anschauen.

Zwei große Steine lagen nebeneinander, dazwischen war die Fessel von Ikarus. Die Strömung muss die Steine zusammengerollt haben als Ikarus da stand. Melanie griff ins Wasser, um einen Stein beiseitezuschieben. Ein kleines Stück würde reichen, sodass ihr Freund sich befreien konnte. Sie schaffte es nicht. So sehr sie sich auch anstrengte, die Steine bewegten sich kein Millimeter. Ikarus konnte nur zuschauen, wie sein Reiter sich mehr und mehr nass machte.

»Ikarus, ich schaffe das nicht allein.« Sie versuchte, nicht panisch zu werden, damit Ikarus ihre Verzweiflung nicht spüren konnte – was nicht ganz gelang. Seine Ohren begannen wieder zu zucken. Sie nahm seinen mächtigen Kopf in den Arm, streichelte ihn von den Ohren bis zu den Nüstern abwärts und meinte: »Da vorn ist die Landstraße. Ich werde dorthin gehen und Hilfe holen. Um diese Zeit erwische ich bestimmt das eine oder andere Auto. Keine Angst mein Freund, ich komme wieder. Ich lasse dich nicht im Stich.«

Als ob das Pferd sie verstanden hätte, nickte es dreimal mit dem Kopf.

Melanie rannte los. Zur Straße war es wirklich nicht allzu weit. Allerdings verirrte sich vor der Touristensaison kaum ein Auto auf diese Nebenstraße. Dafür war die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie jemanden aus dem Ort antreffen würde, und der würde ihr bestimmt helfen.

Die Straße führte auf dem Hinterdeich entlang, also etwas erhöht. Schnell stieg Melanie den Deich hinauf – schaute nach links und rechts, konnte aber kein Fahrzeug erkennen. Sie blinzelte in die Ferne, ob sie da nicht eine Spiegelung gesehen hatte? Tatsächlich, da kam etwas schnell näher, sogleich nahm sie auch das Motorgeräusch wahr. Melanie ergriff ihre Chance, sprang auf die Straße und wedelte mit dem Armen. Reflexartig schrie sie auch noch »Anhalten«, obwohl sie wusste, dass der Fahrzeugführer die Worte nicht verstehen konnte.

Das Fahrzeug kam näher, wurde aber keineswegs langsamer dabei. Melanie schrie noch lauter und rannte auf das Fahrzeug zu. Alles, damit sie rechtzeitig gesehen werden konnte. Der Wagen behielt seine Geschwindigkeit bei, allerdings blieb er dabei nicht immer in der Spur. Das Auto schwankte hin und her und fuhr mehr in der Mitte der Straße als auf der rechten Fahrbahn. Es war nicht mehr weit von Melanie entfernt, die nicht aufhörte, zu winken und zu rufen. Fast zu spät merkte sie, dass das Auto genau auf sie zufuhr und so gar nicht bremsen wollte. Im letzten Moment sprang Melanie zur Seite und rollte sich dabei den Deich herunter. Das Auto fuhr unbeirrt auf der Straße weiter, als ob Melanie Luft gewesen wäre.

»Was war das denn? Oh, Mann, das war verdammt knapp.« Melanie richtete sich auf. In der Ferne sah sie noch, wie der Sportwagen weiterfuhr. Schnell stieg sie wieder den Deich hinauf. Ein weiteres Fahrzeug war nicht zu sehen. Sie entschied sich, Richtung Dorf zu laufen, bis eventuell noch ein Auto kam.

Es dauerte sehr lange, bis wieder ein Auto die Straße entlangfuhr. Nach Melanies Einschätzung waren schon Stunden vergangen. Im Auto sah sie Hauke, der stämmige, gutmütige Jachthafen-Wart, genau der Richtige für diese Arbeit. Ihn brachte nichts aus der Ruhe und er behandelte jeden gleich, egal wie groß seine Jacht war oder mit wie viel Geld derjenige herum wedelte. Natürlich war er sofort bereit Melanie zu helfen.

Er kannte sie schon sehr lange. Als kleines Mädchen durfte sie auf seinen Schultern »Ausguck« spielen oder sich zwischen den Booten verstecken und er musste sie suchen.

Hauke stellte seinen kleinen Wagen auf der Straße ab und folgte Melanie zu Ikarus, der überhaupt nicht ungeduldig dastand. Als ob er darauf vertraut hätte, dass seine Freundin ihn nicht im Stich lassen würde. Ikarus begrüßte die beiden mit ausgiebigem Wiehern und Schnauben.

»Na, mein Junge, hast du nicht gesehen, wo du hinläufst.« Hauke streichelte dem Hengst die Nüstern, die klein wirkten hinter den Pranken, die Hauke Hände nannte. »Ich hoffe, du hast daraus gelernt, mein Junge. Ich schaue es mir mal an, wenn du erlaubst.«

Hauke faste ins Wasser und versuchte, den Stein hin und her zu bewegen. Der Stein war zu glatt und so rutschte Hauke immer wieder von der Oberfläche ab.