Die Straße nach Roswell - Connie Willis - E-Book

Die Straße nach Roswell E-Book

Connie Willis

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Beschreibung

Ein amüsanter Roman über Alien-Invasionen, Verschwörungen und die Albernheiten, die Menschen zu glauben bereit sind – und die nicht einmal alle falsch sein müssen – von der mit mehreren Nebula- und Hugo-Awards ausgezeichneten Autorin der Romane "Dunkelheit" und "Licht". Die besonnene Francie ist zur Motto-Hochzeit ihrer Zimmergenossin aus College-Tagen eingeladen – nach Roswell in New Mexico. Das Motto? UFOs. Der Bräutigam? Ein wahrer Gläubiger. Alles spricht mit weit aufgerissenen Augen über Außerirdische – vollkommener Blödsinn! Das ist für Francie keine Frage. Man kann sich daher lebhaft ihre Überraschung vorstellen, als sie von einem Außerirdischen entführt wird. Vielleicht noch seltsamer ist, dass ihr Entführer in nichts jenem Bild gleicht, das die Massenmedien erschaffen haben. Francie ist auch nicht das einzige Opfer seiner Entführungsorgie. Innerhalb kürzester Zeit hat er einen charmanten Hochstapler namens Wade eingefangen, eine nette, spielsüchtige alte Dame, einen Rentner mit einem riesigen Wohnmobil und einer Leidenschaft für alte Western und einen verrückten UFO-Jäger, der felsenfest überzeugt ist: Der Außerirdische will entweder Experimente an ihnen durchführen oder den Planeten erobern! Francie jedoch glaubt immer weniger, dass der Außerirdische ein Invasor ist. Er scheint in Schwierigkeiten zu stecken … Sie muss ihm helfen! Nur weiß sie nicht, wie sie das anstellen soll. "The Road to Roswell" ist ein Alien-Entführungsabenteuerroman, eine Roadtrip-Geschichte und eine romantische Komödie. Vollgestopft mit Men in Black, Elvis-Imitatoren, Touristenfallen, Klapperschlangen, Chemtrails und Begegnungen der dritten, vierten und fünften Art. Kann Francie in ihrem lindgrünen Brautjungfernkleid die Welt retten und es danach noch rechtzeitig zurück zur Hochzeit schaffen?

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Seitenzahl: 625

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Das sicherste Zeichen, dass irgendwo da draußen im Universum intelligentes Leben existiert, ist, dass es nie versucht hat, uns zu kontaktieren.

– Bill Watterson

Sei gastfreundlich zu Fremden.

– The Code of the West

»Ich möchte Sie mal was fragen: Wenn Sie als Außerirdischer überall auf der Welt hingehen könnten, würden Sie sich Roswell aussuchen?«

– Roswell

Inhalt

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

DANKSAGUNGEN

Paul: »Tja, na ja, du wirst dich noch umbringen. Kein Freund kann das wert sein.«

Hogy: »Und woher willst du das wissen? Hattest du je einen?«

– Die Leute von der Shiloh Ranch

Serena stand nicht im Wartebereich des Flughafens, als Francie in Albuquerque gelandet war, nur ein Mann, der ein Schild hielt, auf dem ERSTKONTAKTKOMITEE – WILLKOMMEN AUF DER UFO-CONVENTION stand.

Ufo-Convention? Serena hatte nichts davon gesagt, dass gleichzeitig mit ihrer Hochzeit eine Ufo-Convention stattfinden würde. Vielleicht ist sie nicht in Roswell, dachte Francie hoffnungsvoll. Doch natürlich war sie das. Wo sonst sollte eine Ufo-Convention stattfinden?

Und wie um das zu bestätigen, tauchten zwei Kerle in Star Trek-Uniformen und mit Spock-Ohren auf und eilten zu einem dritten Typen, der einen silbernen Einteiler und eine graue Alien-Maske mit großen schwarzen Mandelaugen, aber ohne Nase trug.

Gott sei Dank konnte ich Ted nicht davon überzeugen, mit mir zu dieser Hochzeit zu kommen, dachte sie. Oder schlimmer noch Graham. Sie hatte irgendjemanden, egal wen, aus dem Büro dazu überreden wollen, sie zu begleiten, damit Serena nicht versuchen würde, sie mit jemandem zu verkuppeln. Aber als sie ihnen erzählte, wo die Hochzeit stattfinden würde, sagten alle Nein.

»Roswell?«, sagte Graham. »Wo diese ganzen Ufo-Spinner rumhängen?«

»Warum denn in Roswell?«, fragte Ted. »Lebt deine Freundin da?«

»Nein, sie lebt in Phoenix. Sie heiraten nur in Roswell.«

»Warum?«, hakte Graham nach. »Warum würde irgendwer, der bei klarem Verstand ist, nach Roswell wollen?« Und sie sah sich gezwungen, ihnen zu erzählen, dass Serena einen ebendieser Ufo-Spinner heiraten würde, woraufhin beide nicht nur ablehnten, mit ihr zu kommen, sondern ihr auch erklärten, sie sei verrückt, selbst hinzugehen.

»Ich habe keine Wahl«, erwiderte sie. »Serena hat mich gebeten, ihre Trauzeugin zu sein, und sie ist eine meiner besten Freundinnen. Sie war im ersten Jahr am College meine Mitbewohnerin. Uns verbindet etwas ganz Besonderes.«

»Euch verbindet etwas Besonderes?«, stutzte Graham. »Wer seid ihr, Hanni und Nanni?«

»Nein«, entgegnete sie kleinlaut, »aber ich verdanke ihr viel. Sie hat mir damals das Leben gerettet.« Dann versuchte sie zu erklären, wie Serena sie damals, als sie im College von Tucson ankam und niemanden kannte, Heimweh nach Neuengland hatte und geschockt war von der Hitze und Ödnis des Südwestens, davon abgehalten hatte, sich in den ersten Flieger zurück nach Hause zu setzen. Sie führte sie auf dem Campus herum, stellte ihr Leute vor, brachte ihr bei, was Steppenläufer, Halsbandpekari und Saguaros waren, und überzeugte sie davon, dass es auf dem Campus keine Klapperschlangen gab (wenn doch, wäre Francie schreiend zurück nach Connecticut geflohen). Und als Francies Freund aus der Highschool zwei Wochen später mit ihr Schluss machte und sie heulte, saß Serena neben ihr und versicherte, dass er »einfach nicht der Richtige für dich war«, und päppelte sie insgesamt wieder auf.

»Sie ist eine tolle Freundin«, sagte Francie. »Mitfühlend, lustig und …«

»Und durchgeknallt, wenn sie an diesen Außerirdischenquatsch glaubt«, hielt Graham dagegen. »Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber ich versuche, Spinnern grundsätzlich aus dem Weg zu gehen, alte Mitbewohner hin oder her.«

Ted nickte. »Ich hatte im zweiten Jahr einen Mitbewohner, der geglaubt hat, die Vögel würden ihn ausspionieren. Auf seiner Hochzeit werde ich mich ganz sicher nicht blicken lassen.«

»Sie ist keine Spinnerin«, protestierte Francie. »Sie ist nur … ein bisschen naiv und neigt dazu, sich der Meinung ihrer Freunde anzupassen.«

Und sie hat einen schrecklichen Männergeschmack, fügte Francie in Gedanken hinzu. Noch schlimmer als schrecklich. Als Francie sie kennengelernt hatte, war Serena mit einem Kamikaze-Basejumper zusammen gewesen, der unbedingt gemeinsam mit ihr kopfüber in den Grand Canyon springen wollte. Und seither hatte sich ihr Geschmack nicht verbessert. Sie war mit einem Waffen hortenden Prepper und einem Lichtnahrungsanhänger zusammen gewesen, der glaubte, er könne allein von Luft und positivem Denken leben, und war mit einem Seelenschamanen und einem Sturmjäger verlobt gewesen.

»Noch ein Grund mehr, nicht hinzugehen«, sagte Graham. »Damit unterstützt du nur, dass sie diesen Kerl heiratet.«

Ted nickte. »Du machst dich definitiv mitschuldig. Es sei denn, du willst hinfahren, um ihr die Sache auszureden.«

Daraufhin setzte Graham nach: »Genau das hast du vor, oder? Eine von diesen dramatischen ›Wenn jemand Einwände hat, möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen‹-Nummern, hab ich recht?«

Sie beharrte darauf, dass sie das nicht vorhatte, aber sie glaubten ihr nicht und weigerten sich ihr zuzuhören, als sie ihnen erklären wollte, dass sie Serena nichts ausreden musste – sie besann sich immer ganz von allein und bekam Zweifel. So war es auch bei dem Sturmjäger gewesen. »Er glaubt, Tornados seien ein Abenteuer, wie im Zauberer von Oz oder so«, erzählte sie damals Francie, »aber sie sind gefährlich! Und er erwartet von mir, dass ich mich mit ihm zusammen direkt ins Auge des Sturms begebe!«

Während Serena sich selbst davon überzeugte, die Hochzeit abzusagen, musste Francie einfach nur Gewehr bei Fuß stehen. Aber damit das passieren konnte, musste Francie da sein und sich ihre Zweifel anhören und ihr versichern, dass sie das Richtige tat. Serena verließ sich darauf, dass Francie ihr ein Ohr leihen und sie unterstützen würde, um sie vor einem schrecklichen Fehler zu bewahren, genau wie sie Francie so oft gerettet hatte. »Freunde sind dazu da, einander zu helfen, oder nicht?«, fragte Francie Ted und Graham.

»Ja, aber das hat Grenzen«, erwiderte Ted. »Was, wenn sie das nächste Mal auf die Idee kommt, einen Serienkiller zu heiraten, und du redest es ihr aus, nur damit er dann hinter dir her ist?«

»Sie wird keinen Serienkiller heiraten.«

»Mein Rat wäre, ihr zu erzählen, dass dir was dazwischengekommen ist und du nicht kommen kannst«, meinte Graham.

»Ja, sag, du hast dir das Bein gebrochen oder so was«, fügte Ted hinzu.

»Das kann ich nicht. Ich kann sie nicht einfach im Stich lassen. Sie braucht mich.«

»Okay«, sagten sie, »aber heul uns nicht die Ohren voll, wenn das Ganze in einem totalen Desaster endet.«

Was durchaus passieren könnte, dachte Francie, während sie sich jetzt im Wartebereich umsah. Wo war Serena? Sie hatte ganz klar gesagt, dass sie am Flughafen wäre, um Francie nach Roswell zu fahren. »So haben wir Gelegenheit zu quatschen«, hatte sie gemeint, was Francie als Zeichen wertete, dass Serena längst Zweifel hatte. Also wo ist sie?

WO BIST DU?, schrieb Francie ihr.

Keine Antwort. Vielleicht denkt sie, wir treffen uns an der Gepäckausgabe, überlegte Francie, schulterte ihr Handgepäck und fuhr mit der Rolltreppe hinunter, um nachzusehen, ob Serena dort war.

Sie war nicht da, dafür aber eine Menge Leute, die zur Ufo-Convention wollten, und ja, sie fand wirklich in Roswell statt, wie ihr die T-Shirts verrieten. Und als wäre das noch nicht genug, redeten sie alle von einer Ufo-Sichtung Montagnacht.

»Wo?«, fragte eine Frau in einem kurzen silbernen Kleid und grüner Schminke am ganzen Körper.

»Westlich von Roswell. Außerhalb von Hondo, in der Nähe dieser großen roten Felsen«, antwortete einer der Typen in den T-Shirts.

»Ich erinnere mich an keine Felsen in der Nähe von Hondo«, meinte die grüne Frau.

»Keine Ahnung, so stand es auf UfosAreReal.net.«

Francie schrieb Serena noch einmal, suchte an den anderen Gepäckbändern und ging dann nach draußen, um nachzusehen, ob sie im Auto wartete.

Fehlanzeige. Für den Fall, dass sie sie irgendwie an den Gepäckbändern übersehen hatte, ging Francie wieder nach drinnen, checkte ihre Textnachrichten und rief Serena an. »Wo bist du?«, fragte sie, als ihre Freundin ans Telefon ging.

»In Roswell.« Serena klang gestresst. »Es tut mir so leid. Ich wollte kommen, um dich abzuholen, aber es gab hier so viele Probleme und ich muss immer noch mein Kleid abholen und hier herrscht das totale Chaos wegen der Convention und dann bereitet sich die Stadt auch noch auf den Vierten Juli vor. Deshalb habe ich Russells Trauzeugen gebeten, dich abzuholen. Sein Name ist Larry. Er ist perfekt für dich.«

Das wage ich zu bezweifeln, dachte Francie. Serenas Auswahl an Typen für Francie war genauso katastrophal wie ihre eigene Männerwahl. Bei ihrer Beinahehochzeit mit dem Sturmjäger hatte sie versucht, Francie mit einem Geisterjäger zu verkuppeln, der seine Freizeit damit verbrachte, mit seinem EMF-Detektor in Geisterstädten nach Geistern von Revolverhelden zu suchen und angeblich ihr Ektoplasma zu sammeln. Genau deshalb war Francie so verzweifelt auf der Suche nach jemandem gewesen, den sie hätte mitbringen können.

»Larry ist total heiß«, fuhr Serena fort. »Er ist eins neunzig groß und ein echt interessanter Gesprächspartner. Er hatte drei Begegnungen mit Außerirdischen und ist zweimal entführt worden. Er hat ein Buch darüber geschrieben – Wie man eine Entführung durch Außerirdische überlebt.«

»Und wo sollen wir uns treffen?«, fragte Francie und suchte die Gepäckausgabe nach einem großen, düsteren, gut aussehenden Kerl ab, doch auf ihr Gepäck warteten bloß drei Teenies in Star Trek-Uniformen und mit Spock-Ohren. »Er wurde doch nicht wieder entführt, oder?«

»Nein«, sagte Serena, »aber es gab vorgestern eine mögliche Sichtung, die er überprüfen musste.«

Oh mein Gott, ich bin so froh, dass Graham und Ted sich geweigert haben mitzukommen, dachte Francie. Damit würden sie mich ewig auf die Schippe nehmen.

»Ich fürchte, du wirst dir ein Auto mieten und herfahren müssen. Tut mir so leid.«

Mir nicht, dachte Francie. Drei Stunden mit einem Spinner im Auto zu sitzen, der einem Tipps gibt, wie man nicht hochgebeamt und von Aliens untersucht wird, war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. »Schon gut. Ich geh gleich zur Autovermietung. Warte kurz«, sagte sie und ging zu den Vermietungsschaltern.

Offenbar wollte auch jeder andere in Albuquerque ein Auto leihen. Die Schlange war ungeheuer lang. Aber zumindest sahen die Leute relativ normal aus. Sie stellte sich hinter einer älteren Dame an und meinte zu Serena: »Okay, ich steh in der Schlange. Wie komm ich nach Roswell?«

»Du nimmst die I-40 nach Osten Richtung … Was?«, keifte Serena und sprach jetzt offensichtlich mit jemand anders. »Warum nicht?«

Es entstand eine Pause, dann sagte Serena: »Francie? Tut mir leid. Kann ich dich zurückrufen?«

»Klar«, erwiderte Francie und ergänzte für sich, als sie die Schlange betrachtete: Ich glaub, das wird eine Weile dauern.

»Okay, ciaoi«, sagte Serena und legte auf.

Die Frau in der Schlange vor ihr drehte sich um. »Ich habe zufällig mit angehört, dass Sie nach Roswell wollen. Wollen Sie auch auf die Ufo-Convention?«

»Nein«, antwortete Francie. »Ich …«

»Oh, das sollten Sie aber«, meinte die Frau, die etwas von einer Omi an sich hatte. »Sie findet jedes Jahr an dem Wochenende statt, das dem Jahrestag des Absturzes am nächsten liegt – dem achten Juli.«

»Stimmt nicht. Sie sind nicht am achten abgestürzt«, schaltete sich der Mann mittleren Alters vor ihr ein. »Es war am sechsten. Allerdings stand es erst am achten in den Zeitungen.«

»Auf der Convention gibt es alle möglichen Gastredner und Panels und ein Rennen mit Krankenhausbetten, auf die Aliens geschnallt sind – natürlich keine echten.«

Na klar, dachte Francie und verfluchte Serena dafür, dass sie ihr das antat. Und für alles, was sonst noch kommen würde.

»Auf dem Con-Gelände gibt es ein Feuerwerk«, sagte der Mann, »und Touren zur Ranch von J. B. Foster, wo die fliegende Untertasse abgestürzt ist.«

»Bevor die Regierung es vertuscht hat«, merkte jemand anders in der Schlange an.

Der Mann nickte. »Letztes Jahr waren so viele Leute da, dass sie einen zusätzlichen Tag dranhängen mussten. Dieses Jahr ist das Thema Alien-Entführungen.«

»Mein Enkel wurde entführt«, erzählte die Omi. »Eines Nachts war er unterwegs nach Truth or Consequences, als er dieses Rauschen hörte, und dann sah er dieses seltsame Licht. Es lähmte ihn, deshalb konnte er sich nicht wehren, als sie ihn aus seinem Auto auf ihr Schiff gebeamt haben. Sie haben ihm eine Nadel in die Nase gesteckt und einen Chip in sein Hirn eingepflanzt.«

Der Mann nickte. »Mein Nachbar wurde auch entführt. Er hat eine Narbe an der Stelle am Bein, wo sie ihm einen Chip implantiert haben.«

Francie schielte sehnsüchtig zum Anfang der Schlange, doch sie bewegte sich keinen Zentimeter.

»Sie müssen einfach zur Convention kommen«, beharrte die Omi. »Ich würde Sie liebend gern rumführen.«

»Ich fürchte, ich kann nicht«, sagte Francie. »Ich bin wegen einer Hochzeit hier. Ich bin die Trauzeugin.«

»Oh, wie schön!«, strahlte die Omi und eine Frau weiter vorn in der Schlange meldete sich zu Wort: »Meine Nichte hat letztes Jahr auf der Con geheiratet. Alle Gäste waren als kleine grüne Männchen verkleidet.«

»Kleine grüne Männchen?«, fragte Francie verständnislos.

»Aliens. Außerirdische.«

»Es gibt drei Arten von Außerirdischen«, erklärte der Mann. »Kleine grüne Männchen – das sind die, die man in den Filmen sieht, mit der silbernen Haut, den großen Köpfen und den mandelförmigen Augen –, sogenannte Reptiloiden – die sind schlimmer als die kleinen grünen Männchen, sie wollen die Erde übernehmen – und Venusianer. Die sind groß, blond und sehen äußerlich menschlich aus, aber man kann erkennen, dass es Aliens sind, weil sie sich einfach falsch anfühlen. Bei ihrem Anblick kriegt man eine Gänsehaut.«

»Das liegt daran, dass wir darauf programmiert sind, uns vor allem zu fürchten, was von einem anderen Planeten stammt«, ergänzte die zweite Frau sachkundig. »Das nennt man Exo-Xenophobie. Wir spüren automatisch Angst und Hass, wenn wir uns etwas von einem anderen Planeten gegenübersehen.«

»Werden bei der Hochzeit alle verkleidet sein?«, unterbrach die Omi.

»Nein«, antwortete Francie, bevor ihr einfiel, dass Serena nur gesagt hatte: »Du wirst dein Kleid lieben«, was einen seltsamen Kopfschmuck nicht ausschloss. Oder eine Maske.

»Meine Nichte hat im Ufo-Museum geheiratet«, sagte die andere Frau. »Vor der fliegenden Untertasse.«

»Wissen Sie, wie lange man nach Roswell fährt?«, erkundigte sich Francie, um das Thema zu wechseln.

»Drei Stunden«, sagte der Mann der Frau, die von der Hochzeit erzählt hatte.

»Sie wollen doch nicht allein fahren, oder?«, fragte die Omi nervös. »Über die Hälfte aller Entführungen passieren, wenn die Leute allein im Auto unterwegs sind.«

»Und vorgestern gab es eine Sichtung«, fügte die Frau mit der Hochzeit hinzu. »Es gibt ein Video davon.« Sofort holte der erste Mann sein Handy heraus und begann zu tippen.

»Sie wollen doch nicht im Dunkeln fahren, oder?«, fragte die Omi Francie.

Kommt drauf an, wie lange das hier dauert, dachte Francie. »Nein. Ich fahre los, sobald ich mein Auto habe. Aber ich denke nicht, dass es wirklich Grund zur Sorge gibt …«

»Dann sollten Sie sich das ansehen«, sagte der Mann und hielt ihr sein Handy hin.

Das Video war offensichtlich durch ein teilweise heruntergelassenes Fenster aufgenommen worden. Es zeigte Dunkelheit und dann einen kurzen, verschwommenen Lichtblitz, der definitiv ein Ufo war. Oder ein Flugzeug. Oder der Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos. Oder ein Kind mit einer Taschenlampe.

Aber alle anderen waren sehr beeindruckt. »Es sieht genauso aus wie die Sichtung am letzten Tag der Con letztes Jahr«, meinte die Frau mit der Hochzeit, woraufhin der Mann, der die Alien-Kategorien erklärt hatte, zustimmend nickte.

»Sie zeigen sich immer während der Convention. Sie spüren, wenn wir an sie denken«, sagte er. »Sie sind Telepathen, wissen Sie?«

»Das ist kein Ufo«, sagte ein Typ mit strähnigem Haar, der vor dem Pärchen mit der Hochzeit stand und jetzt näher kam, um über ihre Schultern hinweg das Video zu betrachten.

Gott sei Dank, dachte Francie. Ein Silberstreif am Horizont.

»Das sieht überhaupt nicht wie das aus, das mich entführt hat«, fuhr er fort. »Meins hatte überall rote Lichter.«

»Was haben Ihnen die Aliens angetan?«, fragte die erste Frau.

»Ich weiß nicht. Eines Nachts gegen Mitternacht fuhr ich nach Las Cruces und plötzlich blieb mein Auto liegen, einfach so. Ich dachte, mir wär das Benzin ausgegangen, aber die Tankanzeige stand auf halb voll und es war auch nicht nur der Motor. Auch die Lichter und mein Handy waren ausgefallen. Und dann sah ich diese riesigen rot glühenden Kugeln. Und das ist das Letzte, was ich noch weiß.«

Gott sei Dank, seufzte Francie innerlich, als sie sah, dass sich die Schlange endlich bewegte.

»Das Nächste, woran ich mich erinnere«, erzählte der Typ weiter, »ist, dass es Morgen war und mein Pick-up im Graben lag. Und als ich MUFON anrief – das ist das Mutual UFO Network«, erklärte er für Francie, »meinten die, dass das ins Muster passen würde. Die Aliens entführen fast immer Leute, die allein unterwegs sind.«

Die Frau drehte sich triumphierend zu Francie um. »Sehen Sie? Vielleicht sollten Sie die Idee, ein Auto zu mieten, lieber vergessen und mit einem von uns fahren.«

Nur über meine Leiche, dachte Francie. »Danke«, sagte sie. »Das ist wirklich nett von Ihnen, aber ich werde auch vor Ort ein Auto brauchen. Was mich daran erinnert: Ich habe meiner Freundin versprochen, sie zurückzurufen. Könnten Sie bitte meinen Platz in der Schlange freihalten?«

»Aber sicher doch«, erwiderte die Omi und Francie suchte sich eine ruhige Ecke, um Serena anzurufen.

»Du bist doch noch nicht unterwegs, oder?«, fragte Serena, als sie ranging.

»Nein, ich steh noch in der Schlange der Autovermietung. Ich muss auf dieser Hochzeit doch kein Kostüm tragen, oder?«

»Kostüm?«, wiederholte Serena verwirrt.

Oh Gott sei Dank, dachte Francie.

»Apropos, wenn du da bist, musst du das Kleid anprobieren, für den Fall, dass noch was geändert werden muss. Ich kann kaum erwarten, dass du es siehst. Es ist absolut traumhaft.«

Ja, na ja, das hatte sie auch über Francies Trauzeuginkleid gesagt, als sie fast den Sturmjäger geheiratet hätte. Und das hatte sich als Batikalbtraum mit zwanzig Zentimeter langen Fransen herausgestellt. Aber zumindest hatte Serena bestätigt, dass es kein Kostüm war.

»Ich komme so schnell ich kann«, versicherte Francie. »Die Schlange ist echt lang, aber ich fahr los, sobald ich ein Auto habe, und …«

»Also eigentlich …«, setzte Serena an.

Oh, oh, dachte Francie.

»Russell lässt fragen, ob du vielleicht erst noch einen anderen Gast abholen könntest. Er wollte ihn selbst abholen, aber er wartet darauf, von Larry zu hören, und da du schon da bist, dachte ich … Er kommt aus D.C. und der Flieger soll um ein Uhr zweiundvierzig landen, du solltest also nicht allzu lange warten müssen. Sein Name ist Harry Hastings und er ist auf dem Delta-Flug Nummer …«

»Das ist doch nicht wieder einer der Versuche, mich zu verkuppeln, oder?«, unterbrach sie Francie.

»Mit Henry?«, erwiderte Serena. »Nein. Der arbeitet fürs FBI. Er ist der grimmige Anzugträgertyp. Russell hat ihn kennengelernt, als er über die Vertuschung des Roswell-Absturzes recherchiert hat. Die Regierung arbeitet nämlich heimlich mit den Aliens zusammen.«

»Und dieser Henry hat das bestätigt?«

»Nein«, antwortete Serena. »Er meinte, das Ganze wäre Schwachsinn, dass es keine Aliens gibt und die einzige Vertuschung die eines Projekts der Air Force aus dem Kalten Krieg ist.«

Kein Wunder, dass Serena fand, er sei nicht zum Verkuppeln geeignet. Er klang einfach zu vernünftig und rational.

»Russell sagt, dass er es leugnet, bestätigt nur, dass er selbst in die Vertuschung verwickelt ist. Deshalb hat er ihn zur Hochzeit eingeladen, um die Wahrheit aus ihm rauszukitzeln.«

Und Henry ist so dumm zu kommen?, wunderte sich Francie, deren Meinung von ihm sofort einen Dämpfer bekam. Bis sie sich erinnerte, dass sie in diesem Punkt nichts sagen durfte.

»Ich hol ihn gerne ab«, versicherte sie. Wenigstens konnte sie ihm so drei Stunden eingepfercht mit Russell in einem Auto ersparen, der ihn dabei über Vertuschungen der Regierung ausquetschen würde. »Wie ist seine Flugnummer?«

»429. Seine Handynummer ist …«

»Warte kurz. Ich brauch erst was zu schreiben«, sagte Francie und flitzte zur Schlange zurück. Sie machte eine Geste, dass sie etwas zum Schreiben brauchte, und die Omi reichte ihr einen Stift und einen Flyer der Ufo-Convention.

»Danke«, murmelte sie. »Okay, Serena. Schieß los.«

»Er ist auf dem Delta-Flug 429 aus D.C. Er landet um ein Uhr zweiundvierzig. Seine Handynummer ist 202 … Was?«

Francie konnte undeutlich eine männliche Stimme hören und dann Serena: »Aber das schließt doch sicher nicht die Blumen mit ein?«

Eine weitere gedämpfte Diskussion folgte und Serena kam wieder ans Telefon. »Ich muss auflegen«, sagte sie. »Ruf mich an, sobald du Henry erreicht hast. Ciaoi.«

»Warte!«, rief Francie. »Ich brauch noch seine Nummer.«

»Ach ja.« Serena nannte ihr die Nummer und legte auf.

Francie kritzelte die Nummer auf die Rückseite des Flyers, speicherte sie in ihr Handy ein und gab den Flyer der Omi zurück. »Nein, nein, behalten Sie ihn«, entgegnete diese. »Für den Fall, dass Sie doch noch Zeit finden, zur Convention zu gehen. Ich wünschte wirklich, Sie würden Ihre Meinung ändern und mit jemandem von uns fahren.«

Zum Glück war die Omi inzwischen an der Reihe und ehe die anderen wieder von Entführungen und Ufo-Sichtungen anfangen konnten, erschien ein zweiter Mitarbeiter und Francie trat an seinen Schalter.

Sämtliche Kompakt- oder Kleinwagen, Autos der Mittelklasse und Kleinbusse waren aus. »Sie hätten reservieren sollen«, sagte der Mitarbeiter vorwurfsvoll. »Wir sind ausgebucht, schließlich ist es das Wochenende des Vierten Juli und der Ufo-Convention.«

»Wie wär’s dann mit einer fliegenden Untertasse?«, scherzte Francie.

»Nein, so was haben wir nicht«, meinte der Angestellte ernst. »Wir haben nur noch einen Lexus LS für 385 Dollar oder einen Mercedes-Benz für 432 Dollar pro Tag. Der Mercedes hat beheizbare Sitze.«

Genau, was ich im Juli in Albuquerque brauche, dachte Francie. Außerdem konnte sie sich beide nicht leisten. »Haben Sie denn wirklich nichts Günstigeres?«

»Wie gesagt, Sie hätten reservieren sollen«, sagte der Mitarbeiter und tippte. »Oh, Moment. Wir haben einen Jeep Wrangler, der gerade zurückgebracht wurde. Der kostet 51 Dollar am Tag.«

»Den nehme ich«, sagte Francie und reichte ihm ihren Ausweis und die Kreditkarte. »Können wir das irgendwie beschleunigen? Ich muss jemanden abholen, der mit einem anderen Flugzeug ankommt.«

»Natürlich«, antwortete der Mitarbeiter und legte Francie Dokumente zur Unfall- und Haftpflichtversicherung sowie für Schlüsselverlust und Pannenhilfe vor, außerdem musste sie eine Tankfüllung im Voraus bezahlen. Francie unterschrieb alles, zog ihre Kreditkarte durch und der Mitarbeiter reichte ihr die Quittung und eine Straßenkarte von New Mexico.

»Nicht nötig«, sagte Francie. »Ich habe ja mein Handy.«

»Nehmen Sie lieber die Karte«, entgegnete der Angestellte. »In New Mexico hat man an vielen Stellen kein Netz.«

Ich will doch nur nach Roswell, dachte Francie. Aber wenn es so schneller ging, würde sie die Karte nehmen.

Sie musste jedoch noch vier weitere Dokumente unterzeichnen und als der Mitarbeiter ihr endlich den Schlüssel übergab, war es schon fast fünfundvierzig. Sie beschloss, vor dem Wagen am besten erst Henry Hastings abzuholen. Sie nahm ihren Koffer und ging wieder nach oben, um auf der Anzeigetafel nachzusehen, ob sein Flug schon gelandet war.

War er nicht. Neben dem Flug stand VERSPÄTET und als neue Ankunftszeit zwei Uhr fünfzehn. Na super.

Aber er war nur eine halbe Stunde zu spät und so konnte sie sich etwas zu essen holen. Seit einem trockenen Bagel und einem Kaffee am La Guardia hatte sie nichts mehr zu sich genommen. Sie schrieb Serena die neue Ankunftszeit und ging dann nach oben ins Café, bat um einen Einzeltisch und ging die Flautas, das Carne Asada und die Chimichangas auf der Karte durch. Vor dem College hatte sie nichts davon gekannt. Serena hatte sie mit den Gerichten vertraut gemacht – sowie mit Dos Equis und Sangria. Beides wäre sehr hilfreich gewesen, als sie in der Schlange gewartet hatte, doch nun, da sie noch fahren musste und das dumpfe Gefühl hatte, dass bei den meisten dieser Alien-Entführungen Alkohol im Spiel war, sollte sie besser nichts trinken.

Francie bestellte Tacos mit Hühnchen und einen Eistee. Danach rief sie Serena an, um ihr zu sagen, dass der Flug verspätet war.

»Oje«, sagte Serena. »Ich muss dringend mit dir reden.«

»Worüber?«, fragte Francie in der Hoffnung, dass sie sagen würde: »Ich habe erkannt, dass Russell verrückt ist und ich ihn nicht heiraten kann.«

Stattdessen meinte Serena nur: »Keine Sorge. Ich schätze, es kann warten, bis du da bist.«

»Ich komme so schnell ich kann«, versprach Francie. »Ich hole Russells Freund ab und wir fahren sofort los.«

Sie legte auf und überprüfte noch einmal die Anzeigetafel. Jetzt stand dort zwei Uhr fünfunddreißig. Sie ging zu ihrem Tisch zurück, an dem gerade ihre Tacos serviert wurden.

Die Frau vom Nebentisch kam auf sie zu. »Ich hab zufällig gehört, dass Sie nach Roswell wollen«, sagte sie. »Wollen Sie auch zur Convention?«

»Nein«, antwortete Francie, biss in ihren Taco und hoffte, die Frau würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen.

»Oh, das sollten Sie aber.« Die Frau setzte sich zu Francie an den Tisch. »W. Chamber Knoedler wird da sein. Er hat Invasoren unter uns geschrieben. Es geht darum, dass sich hier und jetzt Außerirdische unter uns befinden.«

Und sie haben sich als Ufo-Spinner verkleidet, dachte Francie und schlang ihre Tacos hinunter, damit sie gehen konnte.

»Sie sind die Vorhut der Invasion. Die Aliens planen, die Erde zu übernehmen und uns alle zu versklaven. Knoedler denkt, sie planen, dass sich die Invasion mit dem Festival überschneidet, wenn alle Ufo-Forscher beschäftigt sind und nicht merken, was vor sich geht.«

»Hm«, machte Francie. »Das ist ja alles höchst interessant, aber ich muss auf der Anzeigetafel nachsehen, ob der Flug meines Freundes schon gelandet ist.«

»Brauchen Sie nicht. Ich hab alles hier auf meinem Handy. Welche Airline und Flugnummer?«

Francie fiel kein guter Grund ein, es ihr nicht zu sagen. »Delta. Flug 429.«

Die Frau tippte auf ihrem Handy. »Der landet erst um drei Uhr zweiunddreißig«, sagte sie. »Also haben wir jede Menge Zeit, damit ich Ihnen von der Ufo-Sichtung westlich von Roswell erzählen kann. Das war Montagnacht. Knoedler denkt, das war die erste Welle.«

Erneut tippte sie auf ihrem Handy, während sich Francie vergeblich nach einer Kellnerin umsah, damit sie bezahlen konnte.

»Hier ist das Video, das Knoedler aufgenommen hat«, erklärte die Frau. Sie zeigte es Francie. Dieses Mal wirkte es wie eine Aufnahme des aufgehenden Mondes, was es zweifellos auch war. »Das ist natürlich nur ein Erkundungsschiff. Kein Schlachtkreuzer. Die sind getarnt, damit sie wie Flugzeuge aussehen.«

Die Kellnerin war nirgendwo zu sehen. Francie zog einen Zwanziger und einen Fünfer aus ihrem Portemonnaie, legte beide Scheine auf den Tisch, nahm ihre Tasche und meinte zu der Frau: »Es war nett, mit Ihnen zu plaudern.« Dann floh sie in den Wartebereich und zur Anzeigetafel.

Flug 429 wurde nun um fünf Uhr fünfundvierzig angezeigt. Sie rief Serena an. »Der Flug wurde noch mal verschoben«, sagte sie. »Er landet frühestens um fünf Uhr fünfundvierzig. Soll ich trotzdem warten?«

»Nein, ich wollte dich gerade anrufen. Henry hat eben Russell geschrieben. Ihm ist im Büro was dazwischengekommen. Er nimmt einen späteren Flug. Einen Nachtflug. Er meinte, wir sollten ihn nicht abholen, er würde sich ein Auto mieten.«

Viel Glück dabei, dachte Francie.

»Du kannst also direkt herkommen«, meinte Serena, »und mir sagen, was ich unternehmen soll.«

»Weswegen?«, stutzte Francie. Bitte sag: »Wegen Russell.«

»Wegen der Hochzeitslocation. Da sind wir gerade.« Sie senkte die Stimme. »Russell hat sich so drauf gefreut und ich weiß, wir hatten Glück, sie zu bekommen, aber … Na ja, ich bin sicher, du wirst wissen, was zu tun ist. Also komm so schnell du kannst. Ciaoi.«

»Warte«, sagte Francie. »Du hast mir noch gar nicht gesagt, wo du bist.«

»Oh«, meinte Serena. »Wir sind im Ufo-Museum.«

ROSWELL SEHEN UND STERBEN.

– Autoaufkleber

Die Schlangen am Shuttlebus zu den Mietwagen und um vom Parkplatz zu kommen waren genauso lang wie die am Schalter und es war fast drei, als Francie endlich den Flughafen verließ. Und wahrscheinlich brauche ich noch eine Stunde, um aus Albuquerque rauszukommen, dachte sie.

Doch binnen weniger Minuten war sie aus der Stadt und fuhr die von Gestrüpp bewachsenenen Sandia Mountains hinauf. Serena hatte gesagt, die Fahrt nach Roswell würde drei Stunden dauern. Gut, dachte Francie, als sie einen kargen Bergkamm erklomm. Dann sollte ich gegen sechs da sein. Auf der Anhöhe blieb sie stehen, schickte Serena eine Nachricht, dass sie auf dem Weg sei, und fuhr die Berge hinunter auf die scheinbar endlose Ebene vor ihr zu.

Sie hatte vergessen, wie weit hier im Westen der Blick reichte. Die ockerbraune Wüste querten lange indigoblaue Schatten und sie erstreckte sich meilenweit, bis hin zu einer blauen Bergkette im Norden und einem niedrigen gelbbraunen Bergkamm im Osten. Sie hatte auch vergessen, wie schön der Mittsommerhimmel war – gesprenkelt mit weißen Wolken wie direkt aus einem Roman von Georgia O’Keefe, durchzogen von kilometerlangen Kondensstreifen oder wie heute eine wolkenlose azurblaue Weite.

Bis zur Regenzeit dauert es wohl noch, überlegte Francie. Was schade war. Sie liebte diese gewaltigen Gewitter. Aber wenn sie sich recht erinnerte, kamen die erst ab Ende Juli. Momentan war keine Wolke am Himmel. Und auch kein Ufo.

Doch als sie nach Süden abbog, Richtung Roswell, sah sie westlich eine riesige Wolke. Sie besaß noch nicht die flachen, abgehackten Ambosskanten einer Gewitterwolke – sie schwoll immer noch an –, aber die entsprechende dichte weiße Wolkenmasse. Sie wirkte wie ein Klipper, der über den blauen Ozean des Himmels segelte. Und es wirkte, als würde sie direkt auf die Straße nach Roswell zuhalten.

Ich hoffe nicht, dachte Francie. So schön diese Wolken auch anzusehen waren, der Sturzregen, der aus ihnen niederprasseln konnte, würde die Fahrt erschweren und sie war ohnehin schon spät dran. Und dieser graue Schleier, den sie unter der Wolke ausmachen konnte, bedeutete definitiv Regen.

Doch das Glück war auf ihrer Seite. Nach ein paar Kilometern machte die Straße einen scharfen Knick nach Osten und als sie durch das kleine Städtchen Vaughn fuhr, tobte das Gewitter weit westlich von ihr. Es war so weit weg, dass sich, als sie einen Windpark passierte, die Flügel der flugzeugpropellerartigen Rotoren an den weißen, wachturmartigen Masten kaum bewegten.

Die Straße wand sich erneut nach Süden, doch als Francie auf gleicher Höhe mit dem Gewitter war, befand es sich immer noch weit im Westen und Gewitter bewegten sich nur mit – was, dreißig Stundenkilometern? Sie konnte auch keine anderen Unwetter entdecken. Der Himmel vor ihr war strahlend blau. Die Straße führte einen langen, geraden Hang hinab, der mit Wacholder und Buscheichen überwuchert war und danach in eine Ebene mit trockenem Gras und schwertblättrigen Yuccapalmen überging, gelegentlich durchzogen von vertrockneten Schluchten und zerklüfteten Schotterpisten.

Diese Straßen wirkten nicht, als würden sie irgendwo hinführen, und hier oder auf dem Highway war auch niemand unterwegs. Es gab überhaupt keinen Verkehr, außer dass hin und wieder ein trockener knochenweißer Steppenläufer über die Fahrbahn geweht wurde. Abgesehen von einem Zaun oder einer Weide hier und da gab es auch keine Anzeichen von menschlicher Besiedlung.

Schilder wiesen die Tomahawk Ranch, Cottonwood Draw und die Dry Wash Road aus. Immer noch war auf dem Highway niemand zu sehen und Francie fand es sicher genug, von unterwegs Serena anzurufen. »Wo bist du?«, jammerte Serena. »Ich dachte, du wärst inzwischen längst hier.«

»Ich bin gerade an der Dry Wash Road vorbei«, antwortete sie.

»Oh, gut. Das heißt, dass du fast da bist. Also, wenn du die Stadt erreichst, bleib auf der 285. Sie geht in die Main Street über. Der folgst du … Was? Warte kurz.« Francie hörte, wie Serena mit jemandem sprach und eine männliche Stimme erwiderte: »Nein, erst ab neun Uhr morgen früh.«

Serena war wieder am Apparat. »Die Main Street ist wegen der Convention gesperrt, aber Russell sagt, erst ab morgen früh. Folge der Main Street, bis du in die Innenstadt kommst. Ich bin im Ufo-Museum, um die Hochzeit vorzubereiten. Das Museum liegt auf der rechten Straßenseite und hat ein großes blaues Schild wie eine Kinoanzeige. Du kannst es nicht verfehlen. Es ist ein riesiger Alien-Kopf drauf. Sag am Eingang einfach, dass du zur Hochzeitsgesellschaft gehörst, dann musst du keinen Eintritt zahlen … Was?«, sagte sie. »Bleib mal dran.« Dann hörte Francie sie sagen: »Kann man das nicht irgendwo anders hinbringen?«

Serena war wieder in der Leitung. »Tut mir leid. Jedenfalls musst du so schnell wie möglich herkommen.« Sie senkte die Stimme. »Ich habe ein bisschen Ärger mit den Museumsleuten. Und Reverend Buckley wird von fünf bis sechs da sein und mit uns die Zeremonie durchgehen und gucken, wo wir stehen werden, und all das. Du musst ihn einfach kennenlernen.«

Reverend Buckley, dachte France. Das klang beruhigend normal.

»Er ist ein Hohepriester der Kirche der Galaktischen Wahrheit«, erklärte Serena. »Er hatte telepathischen Kontakt zu Wesen von der Venus, dem Saturn und Ätherium sechs. Er ist echt interessant.«

Kann ich mir vorstellen.

»Ich habe ihm alles über dich erzählt und er kann es kaum erwarten, dich kennenzulernen.«

Graham und Ted hatten recht. Ich hätte nicht kommen sollen, dachte Francie und fragte sich, ob es zu spät wäre, wenn sie behauptete, im Büro habe es einen Notfall gegeben und sie müsse auf der Stelle zurückfliegen.

Oder vielleicht könnte ich Serena erzählen, ich wäre von Aliens entführt worden, überlegte sie. Die Leute in der Warteschlange hatten gesagt, sie würden meistens Menschen entführen, die allein auf verlassenen Straßen unterwegs waren. Nach der Hochzeit könnte sie ihr erzählen, sie habe ein blendendes weißes Licht gesehen und erinnere sich als Letztes daran.

»Können Sie es dann abdecken?«, fragte Serena jemanden. »Francie, ich muss auflegen. Wir sehen uns um sechs.«

Aber Serena hatte den Stau vergessen, den die Ufo-Convention verursachen würde. Als Francie sich Roswell näherte, nahm der Verkehr zu und als sie das offizielle Ortsschild erreichte, standen die Autos Stoßstange an Stoßstange. Auf dem Schild stand: ROSWELL – MILCHPRODUKTIONSZENTRUM DES SÜDWESTENS, als hoffte die Stadt inständig, sie sei dafür bekannt.

Wohl kaum, dachte Francie und offensichtlich stimmten die Einwohner ihr zu, denn hundert Meter weiter stand ein zweites Schild mit einem Alien und einem abgestürzten Raumschiff, auf dem stand: WILLKOMMEN IN ROSWELL – DER UFO-HAUPTSTADT DER WELT und als sie in die Stadt fuhr, verkündete ein quer über den Highway gespanntes, riesiges violett-grünes Banner: WILLKOMMEN BEI DER UFO-CONVENTION VON ROSWELL! DONNERSTAG BIS SONNTAG! DIE WAHRHEIT LIEGT GENAU HIER!

Francie steckte hinter einem Sattelzug fest, der Teile eines Fahrgeschäfts geladen hatte, und auf der Spur neben ihr standen ein Foodtruck und ein Pick-up mit aufblasbaren grünen Aliens und schwarzen Folienballons mit dem Aufdruck: TRAUE NIEMANDEM.

Der Straßenrand wirkte wie eine typische Stadt im Westen – Tankstellen, Fast-Food-Läden und ein Walmart, doch sie alle waren für das Festival geschmückt. Das McDonald’s-Schild behauptete: UNSERE BIG MACS SIND NICHT VON DIESER WELT! Starbucks bewarb einen KOSMISCHEN KARAMELL-FRAPPUCINO und auf dem Taco-Bell-Schild stand: ALIENS WILLKOMMEN. Walmart verkündete, es sei DAS HAUPTQUARTIER FÜR NAHBEGEGNUNGEN – ALLES, WAS SIE FÜR DEN ERSTKONTAKT BRAUCHEN, und die Shell-Tankstelle erinnerte daran: TANKEN SIE HIER FÜR IHREN TRIP INS ALL AUF.

Andere Schilder priesen Touren zu Absturzstellen an, machten Reklame für einen Ufo-Weltraumspaziergang und eine Außerirdische Haustierparade. Andere besagten: ENTDECKEN SIE DEN ORT, AN DEM ES PASSIERT IST! BESUCHEN SIE DIE RANCH VON J. B. FOSTER, und: MACHEN SIE EIN SELFIE MIT EINEM ECHTEN ALIEN. Und als sich Francie der Innenstadt näherte, waren auf die ovalen Kugeln der Straßenlaternen schwarze mandelförmige Augen aufgemalt.

Serena hatte nur teilweise recht. Die Main Street war nicht ganz gesperrt, nur eine Spur, und die Leute waren damit beschäftigt, Zelte und Buden aufzubauen: ALIEN-SCHMINKEN, AUSSERIRDISCHE BASEBALLCAPS, KLEINE-GRÜNE-MÄNNCHEN-CHILI-BURRITOS, HAUPTQUARTIER DES EINSATZKOMMANDOS FÜR ALIEN-INVASIONEN.

Francie fand das Ufo-Museum, das neben der Kinoanzeige mit dem riesigen grünen Alien-Kopf und der Aufschrift INTERNATIONALES UFO-MUSEUM UND FORSCHUNGSZENTRUM überall mit Trauben von Alien-Ballons dekoriert war. Nur einen Parkplatz gab es nicht. Sie fuhr einige Blocks weiter und wendete, um den Schildern zu einem öffentlichen Parkplatz zu folgen, aber auch der war vollkommen zugestellt.

Als sie in einem Wohngebiet einige Blocks entfernt endlich einen Parkplatz fand, war es fast halb sieben. Gegenüber stand eine Kirche, deren Schild verkündete: GOTTESDIENST UM 11 UHR. THEMA DER SONNTAGSMESSE: UFOS WERDEN VON DEN DÄMONEN SATANS GEFLOGEN. Sie überlegte, ihre Reisetasche im Auto zu lassen, aber falls sie vom Museum direkt zum Essen oder so gehen wollten, müsste sie den ganzen Weg zurücklaufen, um sie zu holen.

Francie warf sich die Tasche über die Schulter und bereute es sofort. Sie hatte vergessen, wie heiß es im Südwesten am frühen Abend im Juli noch sein konnte. Als sie mit ihrer Reisetasche die Main Street erreichte, war sie schweißgebadet und wie ausgedörrt.

Auf der Main Street wimmelte es von Leuten, die Buden aufbauten und Banner anbrachten, auf denen stand: HOLEN SIE SICH IHR ALIEN-TATTOO, SPACE-BURGER und E.T. SUNRISE – EXTRA TEQUILA. Außerdem bestückten sie Regale mit Anti-Alien-Spraydosen, Ufo-Schlüsselanhängern, Autoaufklebern, Magneten, Mauspads, Kaffeetassen, Keksdosen, Stofftieren, Baseballcaps, T-Shirts mit den Aufdrucken NEW MEXICO – LAND DER ENTFÜHRUNGEN und WAS IN ROSWELL GESCHIEHT, VERSCHWINDET IN AREA 51 sowie Shaved Ice und Zuckerwatte, beides in einem widerwärtigen fluoreszierenden Grün.

Vor dem Museum wartete eine Schlange, die sich drinnen fortsetzte, und als Francie sich endlich bis nach vorn durchgeboxt und erklärt hatte, dass sie zur Hochzeitsgesellschaft gehöre, musste der Ticketverkäufer (in einem T-Shirt mit der Aufschrift DIE WAHRHEIT IST IRGENDWO DA DRAUSSEN) erst mit seinem Vorgesetzten sprechen. Danach gab er ihr einen gelben Sticker, den sie auf ihre Bluse kleben sollte, und meinte nur: »Ganz hinten.«

Francie klebte sich den Sticker an und machte sich auf den Weg. Sie kam an eingerahmten Zeitungsausschnitten vorbei, Fotos von Kornkreisen, einem Ufo-Wrack des Absturzes von 1947 (das verdächtig nach einem Wetterballon aussah), einem Alien, der in einer Plexiglasröhre mit grüner Flüssigkeit trieb (der verdächtig nach dem aus Independence Day aussah), und an einer Karte der USA mit Ufo-Sichtungen. Schließlich erreichte sie einen offenen Bereich mit Betonboden.

Auf einer Seite befand sich ein Diorama von einer Alien-Autopsie, an der anderen eine Wand mit Sci-Fi-Filmpostern. Vorn standen eine lebensgroße abgestürzte fliegende Untertasse und daneben vier silberne Aliens. Sie hatten große Köpfe, dünne, überlange Gliedmaßen und Kragen aus Alufolie. Das Ganze sah aus, als wäre es von einem Viertklässler gebastelt worden, aber die Leute, die es betrachteten, schien das nicht zu stören. Sie machten »Oh!« und »Ah!« – eine Frau sagte sogar: »Die sehen haargenau so aus wie das Original!« – und schossen mit ihren Handys Fotos. Als die Untertasse sich plötzlich öffnete und zischend Nebel ausstieß, zuckten alle zusammen, als erwarteten sie, dass ein echter Alien herausklettern würde.

Serena war in der Menge nicht zu sehen und Francie fragte sich, ob es vielleicht noch einen Raum dahinter gab. Sie ging weiter nach hinten durch, doch auf halbem Weg tauchten Serena und ein Mann aus einer Tür mit einem ZUTRITT VERBOTEN-Schild auf. Der Mann hatte einen struppigen Bart und einen dicken Bauch und trug ein T-Shirt, das besagte: KEEP CALM AND PROBE ON. Serena redete aufgeregt mit ihm und sie schienen zu streiten.

Bitte sag mir, dass das nicht Reverend Buckley ist, dachte Francie. »Serena!«, rief sie und ihre Freundin kreischte und umarmte sie stürmisch.

»Endlich! Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben! Was ist passiert? Ich habe Reverend Buckley so lange ich konnte aufgehalten, aber er musste noch einen Vortrag halten.«

»Tut mir leid«, sagte Francie, doch Serena hörte gar nicht zu.

»War es schwer, das Museum zu finden? Wo hast du geparkt?«, fragte sie.

»Ich …«, setzte Francie an, doch Serena hatte sich schon wieder dem Mann mit dem KEEP CALM AND PROBE ON -Shirt zugewandt und erklärte: »Das ist Francie, von der ich dir erzählt habe.«

Oh nein, dachte Francie. Ist das ihr Verlobter? »Du musst Russell sein.« Sie setzte ein Lächeln auf und trat vor, um ihm die Hand zu schütteln.

»Nein, das ist P. D. Er ist hier im Museum verantwortlich für die Hochzeiten«, korrigierte Serena. »Russell ist kurz rausgegangen, um zu telefonieren. Wegen des Nebels aus der fliegenden Untertasse konnte er nichts verstehen«, führte sie aus und blickte durch die Menge zum Eingang des Museums. »Ich kann kaum erwarten, dass du ihn kennenlernst! Oh, da ist er ja.« Sie eilte zu einem großen, erstaunlich gut aussehenden Mann. Das erklärte, was Serena in ihm sah.

»Francie, das ist Russell«, sagte Serena, hakte sich bei ihm unter und blickte bewundernd zu ihm auf.

Sie hat sich also nicht besonnen, stellte Francie entmutigt fest.

»Russell, das ist Francie …«

»Freut mich, dich kennenzulernen, Francie«, sagte er. »Serena hat mir erzählt, was für eine tolle Freundin du ihr immer warst.«

Das klang angenehm normal. Vielleicht war er ja nicht so schlimm wie befürchtet.

»Tut mir leid, Serena, ich kann nicht bleiben«, fuhr er an sie gewandt fort. »Das am Telefon war Larry. Es gab eine Ufo-Sichtung westlich der Stadt. In der Nähe von Hondo. Ich muss mir das ansehen.«

Und damit verschwand auch dieser Silberstreif.

»Oh, muss das jetzt sein?«, fragte Serena. »Die Deko …«

»Du verstehst nicht«, erwiderte Russell. »Das ist die zweite Sichtung in einer Woche, fast an derselben Stelle wie die erste.«

Der bärtige Mann nickte wissend. »Sie kommen immer zum Jahrestag«, erklärte er. »Um uns auszuspionieren. Haben sie es auf Video?«, fragte er Russell.

»Ich weiß nicht. Das muss ich ja rausfinden.« Er wandte sich an Serena: »Ich bin so schnell ich kann zurück und dann essen wir alle zusammen, ja?« Er küsste sie auf die Wange und fügte hinzu: »Hat mich gefreut, Francie.« Dann rannte er zum Eingang des Museums.

»Bring Larry mit«, rief Serena hinter ihm her. Sie wandte sich wieder Francie zu. »Du musst unbedingt Larry kennenlernen. Er wäre perfekt für dich. Er ist ein Experte für Ufo-Landungen, genau wie Russell. Sie schreiben zusammen ein Buch.«

»Ich schreibe auch ein Buch«, sagte der Bärtige. »Sie sind hier: Alien-Landungen in Roswell und warum sie zur Erde kamen.«

»Warum kamen sie denn zur Erde?«, erkundigte sich Francie neugierig.

»Um uns alle umzubringen«, antwortete er fröhlich. »Und uns in Zombies zu verwandeln und …«

»Sie sagten, wir könnten Lichter als Deko verwenden«, schaltete sich Serena ein.

»Das kommt auf die Lichter an. Ich habe hinten welche«, erwiderte der Mann und trottete wieder durch die Tür mit der Aufschrift ZUTRITT VERBOTEN.

Sobald er weg war, packte Serena Francies Arm und meinte: »Ich bin so froh, dass du da bist. Ich muss mit dir reden.«

»Worüber?«, fragte Francie, in der sich neue Hoffnung regte.

»Darüber.« Serena deutete auf das Diorama der Alien-Autopsie. »Guck dir das an! Ich will nicht inmitten lauter Aliens getraut werden! Und schon gar keinen toten.« Sie ging darauf zu. Zwei Schaufensterpuppen, die eine verkleidet als Arzt in einem Laborkittel, die andere als Geschäftsmann in einem schwarzen Anzug mit Hut und beide mit OP-Masken, beugten sich über einen verschrumpelten grauen Alien auf einer Bahre.

»Wer soll das sein?«, stutzte Francie und zeigte auf den Geschäftsmann im Anzug.

»Einer der Men in Black«, antwortete Serena, als würde das alles erklären. »Ich kann nicht heiraten, während mich das da anstarrt«, sagte sie und deutete ihrerseits auf den Alien.

»Könnte man nicht einen Sichtschutz davorstellen oder so?«

Serena schüttelte den Kopf. »Hab ich auch schon gefragt. P. D. sagte, laut dem Vertrag, den Russell unterschrieben hat, dürfen wir es nicht abdecken. Er meinte, alle anderen Brautpaare hätten es geliebt, einige hätten es sogar in die Trauung eingebaut. Er erzählte, eine Braut hätte ihren Strauß in die Hände der Alien-Leiche gelegt, statt ihn zu werfen. Aber das erscheint mir so …«

»Makaber?«, kam ihr Francie zuvor.

»Ja! Und das ist noch nicht alles. Das Museum sagt, wir dürfen die Poster nicht abnehmen«, fuhr Serena fort und deutete auf die Poster von Them!, Das Ding aus einer anderen Welt und Mars Attacks!, »oder irgendwas abdecken. Wir dürfen bei der Zeremonie nicht mal die Nebelmaschine der fliegenden Untertasse ausschalten. Ich konnte vorher nicht herkommen und mir die Location ansehen, aber Russell versicherte mir, dass sie perfekt wäre – und jetzt sieh dir das an! Und das Museum sagt, wir dürfen ohne sein Einverständnis nichts verändern – nicht mal Blumen auf dem Altar, weil P. D. sagt, sie versperren den Blick aufs Ufo! Und jetzt ist es zu spät, eine andere Location zu finden. Die Hochzeit ist am Samstag – schon in drei Tagen – und alles andere in der Stadt ist wegen der Convention ausgebucht. Was soll ich nur machen, Francie? Ich bau drauf, dass du mich aus diesem Schlamassel rausboxt!«

Wie immer, dachte Francie.

»Könntet ihr die Hochzeit nicht bis nach der Convention verschieben?«, fragte sie. Oder noch besser ganz absagen?

»Nein, Russell sagt, es ist übelst wichtig, dass wir am dritten heiraten. Da ist die Untertasse abgestürzt.«

»Ich dachte, am sechsten«, entgegnete Francie, die sich daran erinnerte, was die Leute am Flughafen gesagt hatten.

»Nein, da wurde das Wrack gefunden. Abgestürzt ist es am dritten.«

Na klar, dachte Francie. »Wie wäre es dann mit einer Hochzeit im Freien?«

Serena schüttelte den Kopf. »Zuerst wollte Russell an der Absturzstelle heiraten, aber ich hab gesagt, das geht nicht, weil du panische Angst vor Klapperschlangen hast.«

»Da draußen gibt’s Klapperschlangen?«, fragte Francie, die allein bei dem Gedanken an kriechende Reptilien schauderte.

»Russell sagt, seit dem Absturz 1947 gibt’s da draußen keine Klapperschlangen mehr. Er sagt, sie spüren die Präsenz der Aliens und halten sich fern. Und er meinte, selbst wenn, hätten sie mehr Angst vor dir als du vor ihnen.«

Das kann nicht sein, dachte Francie.

»Aber dann ging das sowieso nicht. Während der gesamten Convention ist die Stelle für Touren ausgebucht.«

»Ich hatte eher an einen Park gedacht«, wandte Francie ein.

Serena schüttelte erneut den Kopf. »Russell sagt, Ufos lösen Gewitter aus. In der Nacht des ersten Absturzes in Roswell gab es eins und bei dem Absturz in Socorro auch.«

Wie gut, dass ich Russell nicht von dem Gewitter erzählt habe, das ich unterwegs gesehen habe, überlegte Francie. Das hätte ihn nur darin bestärkt, dass diese Sichtung, von der er gehört hat, echt ist.

Sie blickte auf ihr Handy. »Laut Wetterbericht soll es am Samstag wolkenlos und sonnig werden. Keine Gewitter in Sicht.« Sie reichte Serena das Handy, damit sie sich selbst überzeugen konnte.

Serena gab es ihr zurück. »Das liegt daran, dass der Wetterbericht nicht an Aliens glaubt.«

Das will ich doch hoffen, dachte Francie.

»Und wenn es doch ein Gewitter gibt, wird mein Kleid ruiniert … Oh, da fällt mir ein, du hast dein Trauzeuginkleid noch gar nicht gesehen!«

Serena verschwand im hinteren Bereich und kam mit einem Paar hochhackiger silberner Sandalen und einem Kleidersack zurück. »Du wirst es lieben«, versicherte sie, legte den Kleidersack auf den toten Alien auf der Bahre und öffnete ihn. »Es ist in schimmerndem Absinth.«

Francie hielt den Atem an und betete: Für den Fall, dass Serena das wirklich durchzieht, lass es bitte, bitte, nicht grauenhaft sein. Aber abgesehen davon, dass »schimmernder Absinth« nur eine andere Beschreibung für dasselbe Neongrün wie das des Shaved Ice und der Zuckerwatte war, sah es nicht so schlimm aus wie befürchtet. Kein Reifrock, keine Rüschen, keine Rosetten. Es war ein schlichtes Kleid im Prinzessinnenstil mit einem U-Boot-Ausschnitt und einem langen, fließenden Rock.

»Und es hat Taschen!«, sagte Serena fröhlich und zeigte ihr die versteckten Taschen im Rock. »Darin kannst du dein Handy, deinen Lippenstift oder was auch immer reintun. Na los, probier es an.« Sie scheuchte Francie zur Toilette.

Der Rock war zu lang, aber ansonsten passte es perfekt und die Taschen waren groß genug für ihr Handy. Sie steckte es in die rechte Tasche, stopfte das T-Shirt und die Jeans, die sie getragen hatte, in ihre Reisetasche und kam heraus, um Serena das Kleid vorzuführen. »Es ist ein bisschen zu lang …«

»Das liegt daran, dass du Sneakers trägst«, entgegnete Serena und bedeutete ihr, sich auf den Rand des Dioramas der fliegenden Untertasse zu setzen, um die hochhackigen Sandalen anzuziehen.

»Siehst du, jetzt sitzt es perfekt«, sagte Serena und strahlte, als Francie aufstand. »Und das ist noch längst nicht die Krönung. Wenn du den Gang entlangschreitest …« Sie unterbrach sich, als von irgendwoher Musik erklang. Es war die Titelmelodie von Akte X.

»Sorry, das ist mein Handy«, sagte Serena, zog es aus der Tasche und warf einen Blick darauf. »Es ist Russell.« Sie hielt sich das Handy ans Ohr. »Was? Ist das ein Scherz?! Westlich der Stadt ist definitiv ein Ufo gelandet, in der Nähe der ursprünglichen Absturzstelle!«, informierte sie Francie aufgeregt. »Drei Leute haben es auf Video aufgenommen. Was …?«, sagte sie zu Russel. »Kanal 5 hat Aufnahmen! Sie glauben, es ist auch abgestürzt!«, berichtete sie Francie und hörte dann wieder aufmerksam zu. »Oh, aber ich hatte gehofft, wir könnten zusammen essen. Und du musst mit den Leuten vom Museum über die Hochzeitsvorbereitungen reden. Sie …«

Eine weitere Pause entstand und Serena sagte eingeschnappt: »Klar verstehe ich, wie wichtig das ist!«

Wieder hörte sie zu und Francie konnte Russell rufen hören: »Das ist unsere Chance auf einen sicheren Beweis! Aber nur wenn wir der Regierung zuvorkommen! Wenn nicht, vertuschen sie das Ganze wie schon beim ersten Mal!«

Francie konnte ihn nicht als Einzige hören. Die Leute, die das Diorama des abgestürzten Ufos fotografiert hatten, kamen herüber und lauschten. Sie flüsterten: »Was hat sie gesagt, wo das ist?«, tippten auf ihren Handys und zeigten einander, was sie gefunden hatten.

»Aber ich kann Francie nicht einfach stehen lassen«, protestierte Serena. »Ich muss sie zum Motel bringen. Und wenn ich die Hochzeitsvorbereitungen nicht jetzt kläre, bleibt vielleicht keine Zeit mehr …«

Einer der Menschen, die auf ihren Handys herumtippten, sagte: »Neununddreißig Kilometer westlich von Roswell auf der U.S. 70.« Dann brachen alle auf. Als Serena aufgelegt hatte, waren sie und Francie die Einzigen im Raum.

»Wenn du losmusst«, bot Francie an, »finde ich sicher auch allein zum Motel …«

»Nein«, sagte Serena entschieden. »Ich geh nirgendwohin, solange ich nicht weiß, wie ich diesen Laden für eine Hochzeit präsentabel machen kann.« Sie marschierte auf die Tür mit der Aufschrift ZUTRITT VERBOTEN zu, um P. D. zu holen.

Er kam gerade mit einer Schwarzlichtglühbirne und einer Handvoll fluoreszierender Leuchtstäbe heraus. »Wie wär’s damit?«

»Nein, nein, nein«, wehrte sich Serena. »Ich meinte Lichterketten.«

»Lichterketten?«, wiederholte P. D. verwirrt.

»Ja, Sie wissen schon, diese kleinen Lichter, mit denen man Weihnachtsbäume schmückt. Ich will sie unter der Decke spannen« – sie machte eine entsprechende Geste – »und um die Türen und die fliegende Untertasse aufhängen.«

»Die müsste ich mir erst ansehen«, meinte P. D. unsicher. »Das Museum muss alle Veränderungen absegnen. Wir müssen die Integrität des Museums wahren.«

Ihr habt hier einen toten Alien, der auf einer Bahre aufgesäbelt wird, dachte Francie, und sorgt euch um eure Integrität?

»Haben Sie sie dabei?«, fragte P. D. »Ich kann sie nicht abwinken …«

»Sie sind im Auto«, erwiderte Serena. »Ich kann sie holen.«

»Wie lange wird das dauern?«, wollte P. D. wissen. »Ich muss das Museum schließen …«

Und dann todsicher dahin düsen, wo das Ufo gelandet ist, dachte Francie. Wetten, wenn wir mit den Lichterketten wiederkommen, ist er längst weg.

»Ich hol sie, Serena«, bot sie an, »und du kannst hierbleiben und mit P. D. über die restlichen Vorbereitungen reden.«

»Würdest du das tun, Francie?«, strahlte Serena. »Danke!« Danach holte sie ihren Autoschlüssel.

Francie überlegte, ob sie zuerst ihr Trauzeuginkleid und die High Heels ausziehen sollte, aber P. D. schielte bereits auf die E.T.-Uhr an der Wand und verzog ungeduldig das Gesicht.

»Wo steht dein Auto?«, fragte sie Serena und dachte: Ich hoffe, nicht so weit weg wie meins.

»Einen Block von hier nach Süden und einen halben nach Osten in der Seitenstraße«, erklärte Serena und reichte Francie ihren Schlüsselbund. »Es ist ein schwarzer SUV, ein Navigator. Die Lichterketten liegen auf dem Rücksitz. Danke, dass du das machst. Du rettest mir das Leben! Mal wieder.«

»Dafür bin ich doch da«, entgegnete Francie und sauste durchs Museum und auf die Straße.

Jetzt, da die Sonne untergegangen war und die Menschenmassen verschwunden waren, die zuvor die Straße verstopft hatten, war es draußen merklich kühler. Übrig waren nur noch ein paar Händler, die ihre Buden fertig aufbauten, und ein paar Touristen, die in einer Ecke über – was sonst? – den angeblichen Ufo-Absturz diskutierten. »Fahrt ihr hin?«, fragte einer von ihnen.

»Weiß nicht«, antwortete eine junge Frau. »Ich muss immer an diese Szene aus Krieg der Welten denken, wo alle losziehen, um das Raumschiff zu sehen, und dann gegrillt werden.«

»Davor hab ich keine Angst«, meinte ein älterer Kerl mit einem Stetson. »Ich hab meine Halbautomatik. Und meine Glock.«

Francie eilte an den Leuten vorbei über die Straße und den nächsten Block hinunter. Dabei raffte sie ihren langen Rock und wünschte sich, sie hätte sich wenigstens die Zeit genommen, ihre Sneakers wieder anzuziehen.

Sie bog in die Seitenstraße ab und musterte die diagonal geparkten Autos. Allesamt schwarze SUVs. Sie musste auf die Straße treten, um am Heck zu erkennen, welcher ein Navigator war.

Es gab drei Navigators, alle mit Aufklebern, die vielleicht Serena – oder Russell – angebracht hatte: TRAU NIEMANDEM, ICH BREMSE FÜR FLIEGENDE UNTERTASSEN und SCHNALL DICH AN – SO KÖNNEN DICH ALIENS SCHWERER AUS DEINEM AUTO SAUGEN. Sie musste auf die Entriegelungsfernbedienung drücken, um zu erkennen, welcher Wagen Serena gehörte.

Die blinkenden Rücklichter verrieten ihr, dass es der am Ende des Blocks mit dem WIR SIND NICHT ALLEIN-Sticker war. Francie öffnete die hintere Tür, beugte sich hinein und suchte nach einer Plastiktüte. Da war keine, aber sie konnte im Fußraum des Beifahrersitzes ein Wirrwarr weißer Kabel ausmachen.

Wenn das die Lichterketten sind, dachte Francie, während sie die hintere Tür schloss und die Fahrertür öffnete, kriegen wir die nie im Leben entfitzt.

Sie beugte sich über den Fahrersitz. Auf den zweiten Blick sah es nicht nach Kabeln aus. Es sah eher nach einem der Steppenläufer aus, die sie auf der Fahrt gesehen hatte. Wie kommt ein Steppenläufer in Serenas Auto?, überlegte sie und auf einmal bewegte sich einer der Äste.

Oh mein Gott, dachte sie, du bist ein … Ehe sie sich umdrehen und fortlaufen konnte, schoss mit Lichtgeschwindigkeit ein Tentakel hervor und wickelte sich wie ein Lasso um ihre Taille.

»… es gibt Dinge, denen kann ein Mann nicht entfliehen.«

– Ringo

In der einen Sekunde öffnete Francie die Autotür und starrte das Alien an, in der nächsten packten sie mit der Geschwindigkeit einer zuschnappenden Schlange schon seine Tentakel, wickelten sich ihr um Füße, Knie, Brust und Hals und zogen sie auf den Fahrersitz. Ihre Hände lagen auf dem Lenkrad und sie konnte sich nicht bewegen.

Gelähmt, dachte Francie verängstigt. Diese Frau am Flughafen hat die Wahrheit gesagt: Wenn man entführt wird, kann man sich nicht bewegen. Dann erkannte sie, dass sie sich nicht rühren konnte, weil ihre Hände mit etwas ans Lenkrad gefesselt waren, das wie eine Schnur aussah.

Aber es war keine. Es waren zwei Tentakel des Aliens, der neben ihr auf dem Beifahrersitz – saß? Stand? Und es gab keinen Zweifel, dass es sich um einen Alien handelte, auch wenn er kein bisschen aussah wie die Außerirdischen mit den großen Köpfen, den kindlichen Körpern und den Mandelaugen aus dem Diorama des Ufo-Absturzes.

Es hatte nicht mal Augen. Oder einen Körper. Nur lauter Tentakel, die von einem Kern ausgingen. Wie Medusa und ihre Schlangen, dachte Francie, auch wenn der Vergleich hinkte. Wären es Schlangen gewesen und zwei davon hätten sich um ihre Handgelenke gewickelt – oder sie auch nur berührt –, wäre sie längst vor Angst gestorben.

Sie wirkten eher wie Zweige, die an allen Seiten aus dem Steppenläufer wuchsen, und jene um ihre Handgelenke wie Lianen, nur dass sie nicht grün waren. Sie besaßen dasselbe Knochenweiß wie der Steppenläufer. Nur dass es kein Steppenläufer war. Es war ein Alien – auch wenn er nichts ähnelte, was sie im Ufo-Museum gesehen hatte.

Genau das verriet ihr, dass es wirklich ein Alien war. Kein Mensch hätte sich einen Außerirdischen ausdenken können, der wie ein gewöhnlicher Steppenläufer aussah. Na ja, das und das überwältigende Gefühl, dass sie etwas vollkommen Fremdes betrachtete. Etwas aus dem Weltall. Was hieß, dass sie diese Exo-Xenophobie empfinden sollte, von der die Frau in der Schlange vor der Autovermietung gesprochen hatte.

Aber das tat sie nicht. Nicht dass sie keine Angst gehabt hätte. Und ob. Oh mein Gott, ich wurde von einem Alien entführt!, dachte sie. Das kann nicht wahr sein!

Doch gleichzeitig war Francie wütend – rasend, weil Aliens also wirklich existierten und Russell und all die anderen Ufo-Spinner demnach wiederum recht hatten. Außerdem war sie auf hundertachtzig, so herumgeschubst und gekidnappt zu werden.

Denn das hatte der Alien doch vor, oder nicht? Sie zu entführen. Es – er? – deutete mit einem seiner Lianententakel auf das Lenkrad, auf die Heckscheibe und wieder auf ihre Hände. Offensichtlich wollte er, dass sie aus der Parklücke fuhr.

Das allerdings sollte sie als Letztes tun, selbst wenn sie gekonnt hätte. In allen Selbstverteidigungskursen hieß es immer wieder, man durfte nicht mit dem Kidnapper gehen – sie wollten einen nur an einen abgeschiedenen Ort verschleppen, wo es keine Hilfe gab. Was in diesem Fall eine fliegende Untertasse bedeuten mochte. Oder einen anderen Planeten. Stattdessen sollte man den Schlüssel so weit wie möglich wegwerfen, damit der Entführer nicht herankam, oder ihn unter das Auto schleudern.

Allerdings hatte Francie keine Ahnung, wo Serenas Schlüsselbund war. Hoffentlich habe ich ihn draußen fallen lassen, als der Alien mich gepackt hat, überlegte sie. Dann erinnerte sie sich, dass Aliens der Frau am Flughafen zufolge Telepathen waren, und versuchte, den Gedanken zu verdrängen, dass sie die Schlüssel hatte fallen lassen. Doch der Alien zeigte nicht, ob er – es? – ihre Gedanken gelesen hatte.

Gut, dachte sie und versuchte, sich zu erinnern, was man sonst noch tun sollte, wenn man gekidnappt wurde.

Um Hilfe rufen.

Aber sobald Francie den Mund öffnete, um zu schreien, legte sich ein weiterer Lianententakel über ihren Mund, so breit wie Isolierband und genauso fest.

Oh mein Gott, er wird mich ersticken!, dachte sie und fing an zu schreien, doch es kam nur ein unterdrücktes Gurgeln heraus. Und als sie es erneut versuchte, zog sich der Knebel erbarmungslos zu.

»Ich verspreche, ich werde nicht schreien«, brachte sie krampfhaft durch ihren Knebel hervor. Das war ein Fehler. Denn er zog sich nur noch enger.

Sie nickte, um dem Alien zu signalisieren, dass sie verstanden hatte, und erstarrte vollkommen.

Was soll ich bloß tun?, dachte Francie panisch. Sie konnte nicht um Hilfe rufen, sie konnte nicht fliehen und sie glaubte nicht, dass der Alien einfach hier sitzen und warten würde, bis Serena sich fragte, was aus ihr geworden war, und nachsehen käme. Zumal der Alien ständig auf das Lenkrad zeigte, wobei sich die Fesseln um ihre Handgelenke jedes Mal wie Aderpressen zusammenzogen. Sie musste etwas unternehmen, bevor es ihr ganz das Blut abschnürte.

Wieder versuchte Francie, durch den Knebel zu sprechen, und erstaunlicherweise zog der Alien den Tentakel von ihrem Mund weg.

»Du willst, dass ich dich irgendwo hinfahre«, sagte sie, »aber das kann ich nicht, wenn du mich nicht loslässt.«

Offensichtlich verstand der Alien sie nicht. Er wies wieder auf die Heckscheibe und das Lenkrad und zog die Lianen um ihre Handgelenke noch fester.

»Nein! Wenn ich dich fahren soll, musst du mich loslassen!«, rief sie. Und ob es nun ihr Tonfall war oder ihre verzweifelten Versuche, ihre Hände zu befreien – die Liane löste sich von ihrem rechten Handgelenk und wies nachdrücklich auf die Windschutzscheibe, wie um zu sagen: Fahr endlich.

»Ich