Die Töchter der Elemente - A.L. Knorr - E-Book

Die Töchter der Elemente E-Book

A.L. Knorr

5,0

Beschreibung

Nach einem unglaublichen Sommer treffen sich Targa, Saxony, Georgayna und Akiko endlich wieder. Keine ist mehr so wie früher. Doch eines hat sich nicht geändert: ihre Freundschaft. Und die wird nun auf die Probe gestellt. Denn plötzlich steht Petra vor der Tür und will sie überzeugen mit ihr an einem mysteriösen Projekt zu arbeiten. Doch obwohl das Projekt spannend beginnt, bringt es die Mädchen schon bald in einen Konflikt mit einer uralten Macht. Einer Macht, die ihre Heimatstadt zu zerstören droht. Nur wenn Die Töchter der Elemente zusammenhalten, haben sie eine Chance Saltford zu retten.

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KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
EPILOG
Nachwort des Verlags
Hier gehts zu Band 7 – Tochter der Feen

Die Töchter der Elemente

Die Töchter der Elemente – Band VI

von A.L. Knorr

Impresssum:

Titel: Die Töchter der Elemente

Originaltitel: The Elementals

Autor: A. L. Knorr

Verlag: VVM

Cover: Damonza

Deutsche Erstveröffentlichung: Berlin 2021

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

EPILOG

Nachwort des Verlags

Hier gehts zu Band 7 – Tochter der Feen

KAPITEL 1

Petra

„Du hast es geschafft.“

Hirokis Worte rissen mich aus meiner Konzentration.

„Das ist ein komplettes Kraftfeld“, fuhr er fort, „nichts geht durch es hindurch.“

Ich hielt meine Handflächen nach unten. Energiewellen liefen meine Arme hinauf, und heiße Kraft floss durch mich hindurch. Hirokis Kopf ragte hinter einer dunklen Glaskabine hervor, und wenn ich mich nicht täuschte, sah er überrascht aus. Seine Gesichtszüge waren allerdings verschwommen. Nicht wegen des dunklen Glases, sondern wegen der Wellen des Kraftfeldes, das mich umgab.

Das Feld sah für mich aus wie eine dicke Wand aus flimmernder Luft. Hiroki hatte mir erklärt, dass er selbst das Feld nicht sehen konnte, aber ich es aufgrund der besonderen Proteine in meinem Körper wahrnahm. Was auch immer diese Proteine waren – zu lernen, sie zu benutzen, fühlte sich an wie der Versuch, mit Pudding an die Wand zu malen. Doch je mehr ich mich an meine Kräfte gewöhnte, umso mehr Kontrolle erlangte ich über sie. Es wurde immer einfacher, sie zu benutzen. Ich lernte, dass meine Kräfte nicht durch meinen Körper entfesselt und kontrolliert wurden, sondern durch meine Gedanken und meinen Willen. Doch alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen und es war schwierig, meine Hände und Arme still zu halten, während ich die von Hiroki gestellten Aufgaben ausführte. Hiroki hatte meine intuitiven Handbewegungen mit dem Schnuller eines Babys verglichen und mir erklärt, dass ich sie irgendwann nicht mehr brauchen würde.

Hiroki kam hinter der schützenden Barriere hervor. Mein Herz hüpfte mir bis an die Kehle. Die alte Angst ließ nach, aber sie war immer noch da und bäumte sich zuweilen fast bis zur Panik auf. Was, wenn ich ihn verletzte? Was, wenn es die Art von Verletzung war, die sich nicht sofort offenbarte, sondern erst Jahre später in Form einer schrecklichen Krebserkrankung auftrat?

„Hiroki, warte. Bist du sicher, dass es ... sicher ist?“

„Du musst dafür sorgen, dass es das ist“, erwiderte Hiroki unbekümmert, als er die Tür der Kabine hinter sich schloss und auf mich zu kam. Er befand sich jetzt nur wenige Meter von den Grenzen meines Kraftfeldes entfernt. „Ich vertraue dir, Petra.“ Er trat näher.

„Ich hasse es, wenn du das sagst“, brummte ich.

Hiroki streckte eine Hand aus.

„Nein!“ Ich schloss meine Fäuste. Er hatte die Sicherheit seiner Kabine noch nie verlassen und ich hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn er das Kraftfeld berührte. Die Blase um mich herum verschwand. Ich spürte, wie die Energie sich auflöste. Der wirbelnde Strudel, der durch mein Inneres lief, hörte augenblicklich auf.

„Es ist alles in Ordnung, Petra“, sagte Hiroki leise. „Wenn es nicht sicher gewesen wäre, wäre das Ding hier durch die Decke gegangen.“ Er hielt den kleinen Geigerzähler hoch, mit dem er seit Wochen meine Strahlkraft maß.

Ich runzelte die Stirn.

Er fuhr fort: „Die Nadel hat sich nicht bewegt. Du hast es geschafft! Ich bin stolz auf dich. Jetzt lass uns versuchen, ein Feld zu generieren, das intakt bleibt, wenn du es veränderst.“

„Verrätst du mir, wofür wir dieses Kraftfeld eigentlich brauchen?“ Ich versuchte, meine Frage beiläufig klingen zu lassen, aber das scheiterte komplett. Seit Hiroki begonnen hatte, mich auf ein Projekt vorzubereiten, das den mysteriösen Namen Projekt Expansion trug, suchte ich nach Schwachstellen in seiner Mauer des Schweigens.

Er warf mir einen amüsierten Blick zu. „Du gibst nie auf, oder?“

Ich zuckte mit den Schultern, antwortete aber nicht, weil es nur eine rhetorische Frage gewesen war. Er wusste längst, dass ich nie aufgab.

Kopfschüttelnd sagte er: „Du weißt, dass ich dir noch keine Details verraten kann. Jody sagt, du musst warten, bis wir die anderen Mädchen haben. Die anderen Elemente. Du wirst die Hintergründe und Ziele des Projekts zur gleichen Zeit wie sie erfahren und keinen Augenblick früher.“

Ich stieß einen langen Seufzer aus. Es war müßig, zu fragen, warum. Das hatte ich schon vergeblich versucht.

„Ah.“ Hiroki hob beide Zeigefinger. „Sollen wir ein paar Wurfgeschosse werfen? Was hältst du davon?“

„Du meinst auf meine Barriere?“

Er nickte und rieb voll Vorfreude seine Hände. „Bist du nicht neugierig, was passieren wird? Außerdem sind es im Grunde nur Schaumstoffbälle. Sie werden dir nicht wehtun, wenn sie eindringen.“

„Ja, wir fangen mit Schaumstoff an und gehen dann zu scharfer Munition über.“

„Das habe ich dir doch schon gesagt, oder?“

Ich nickte langsam. In der kurzen Zeit, in der ich meine Fähigkeiten mit Hiroki entwickelt und getestet hatte, war mir schon aufgefallen, dass in dem vollendeten Profi ein kleiner Junge steckte, der Videospiele, Lasertag und Hindernisparcours liebte. Diese Jungenversion von Hiroki tauchte während der Forschungen und besonders vor gefährlichen Experimenten immer wieder auf.

Jetzt wurde er allerdings wieder ernst. „Ich werde nichts anderes als Schaumstoff verwenden, bis du mir grünes Licht gibst, in Ordnung?“

„Klingt gut.“ Ich wartete, bis Hiroki wieder in der Kabine verschwand. Sechs kleine Türen öffneten sich plötzlich in den Wänden des Labors und enthüllten die gestapelten Läufe von unecht aussehenden Waffen. Die Technologie dieses Labors – so hatte Hiroki erklärt – war für Millionen von Dollar an einen Hightech-Gaming- und Virtual-Reality-Park in Japan verkauft worden. Das war eines der Randgeschäfte, die TNC unter einem anderen Firmennamen betrieb. Ich fragte mich, welche anderen Technologien die Firma erfunden und verkauft hatte und an wen. Regierungen? Private Geheimdienste? Ausländische Militärs? Wie entschieden sie, mit wem sie zusammenarbeiteten? Es war eine Welt, die mich fast so faszinierte wie die Archäologie, aber ich hatte schnell gelernt, dass Neugier mich an diesem Ort nicht weiterbrachte. Nur wenn ich meine Fragen für mich behielt, offenbarte mir Hiroki gelegentlich ein fesselndes und aufschlussreiches Stück TNC-Geschichte. Immer dann, wenn ich dachte, dass ich langsam mehr über das Unternehmen wusste, für das ich mindestens ein Jahr arbeiten würde, erfuhr ich eine neue verblüffende Tatsache, die meine Vorstellung von TNC völlig veränderte. Das Unternehmen war wie eine vielgliedrige Kreatur, bei der jeder Körperteil unabhängig von den anderen agierte.

Als das gelbe Licht über Hirokis Kabine aufblinkte, erweckte ich die Energie in mir. Mit einer unnötigen Bewegung meiner Finger verschmolz die Luftblase um mich herum zu einer Einheit. Mein Kraftfeld baute sich auf. Seine Wände verliefen durch den Boden des Labors und in gleichem Abstand über meinen Kopf. Es bewegte sich mit mir wie ein Schatten. Wenn ich einen Schritt machte, ging das Kraftfeld mit.

„Ich möchte etwas testen, bevor wir anfangen.“ Ich sprach normal. Hiroki hatte mich ein paar Mal daran erinnern müssen, dass er mich, obwohl er sich in einer schützenden Kabine befand, durch die Kopfhörer genauso gut hören konnte, als würde ich direkt neben ihm stehen.

„Klar, sag mir Bescheid, wenn du bereit bist“, drang Hirokis künstlich verstärkte Stimme durch das Soundsystem.

Ich konzentrierte mich auf das Kraftfeld und befahl ihm, an Ort und Stelle zu bleiben. Dann bewegte ich mich zur Seite und sah mit Freude, aber ohne Überraschung, dass es mir nicht mehr folgte. Ich näherte mich dem Rand des Feldes und hob meine Hand, um es zu berühren. Ich spürte nichts. Oder doch? Da war eine Empfindung; Wärme und ein zartes Kribbeln. Ich führte meine Hand durch die Wand und trat dann hindurch. Auf der anderen Seite angekommen, drehte ich mich um, um mein Kraftfeld von außen zu betrachten. Es sah genauso aus wie von innen – nur ein schwaches Schimmern, mehr Fata Morgana als Realität. Hätte ich nicht gewusst, wonach ich suchen musste, wäre es sogar für meine Augen völlig unsichtbar gewesen. Ich drehte mich um und fing Hirokis Blick auf. Er sah mich verwirrt an.

„Das Feld befindet sich dort.“ Ich machte eine Geste mit meinen Händen, um ihm zu zeigen, wo sich die Barriere befand. „Ich stehe außerhalb davon!“

Er schüttelte langsam den Kopf und machte sich eine Notiz. „Erstaunlich, sehr erstaunlich“, murmelte er.

Ich trat zurück in mein Kraftfeld und spürte das Kribbeln in mir, als es sich wieder mit mir verband und sich wieder wie ein Schatten mit mir bewegte.

„Okay, ich bin bereit“, sagte ich.

Augenblicklich ertönte ein knallendes Geräusch, als eine gelbe Kugel aus einer der Kanonen flog. Sie prallte von meinem Feld ab und flog harmlos gegen die Wand. Ich legte den Kopf schief. „Feuer noch einen ab.“

Ein knallendes Geräusch ertönte hinter mir und ich drehte mich, um zuzusehen, wie der nächste Ball in einem Schwall von gelbem Plastikstaub explodierte. Er schimmerte und schwebte langsam zu Boden, wo er einen Haufen grüner Erde bildete.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte Hiroki.

„Genauso, wie ich das Wüstenglas in der Höhle in Libyen zerstört habe“, erklärte ich. „Ich habe die Frequenz des Kraftfeldes so verändert, dass sie mit der des Balls übereinstimmt.“

„Hm. Ich hätte nicht gedacht, dass man etwas aus weichem Plastik auf diese Weise zerstören kann.“

Ich zuckte die Achseln und fühlte mich ein wenig selbstgefällig. „Du bist der Wissenschaftler. Es wird sicher eine Erklärung geben.“

„Nicht unbedingt“, antwortete Hiroki überraschenderweise. „Wir haben es hier mit einer übernatürlichen Fähigkeit zu tun. Ab einem gewissen Punkt wird die Wissenschaft irrelevant und der übernatürliche Teil übernimmt die Führung. Das ist der Punkt, an dem all meine Ausbildung und mein Wissen nutzlos werden. Deine Fähigkeiten sind so, wie sie sind, wissenschaftlich erklärbar oder nicht. Und nicht nur das ...“

Ich wusste, was er sagen wollte. „Ich bin ein Unikat.“

Hiroki nickte. „Genau. Soweit wir wissen, gibt es nur einen Euroklydon und es kann immer nur einen Euroklydon geben.“

Diese Aussage erfüllte mich mit widersprüchlichen Gefühlen. Meine Gedanken wanderten zu einem wiederkehrenden Traum – von einem Mann, der wie mein Vater aussah. Der Traum war immer frustrierend. Immer verwirrend. Immer beunruhigend.

Lauf.

Knallende Geräusche rissen mich ins Hier und Jetzt zurück. Ein Tennisball prallte an meinem Kraftfeld ab und zerfetzte in tausend Stücke. Eine halbe Sekunde später folgte ein zweiter Tennisball. Auch er explodierte in Gummifetzen.

Ich lächelte, ein wenig überrascht darüber, wie sehr ich diese Demonstration genoss. „Ist das alles, was dieses Labor drauf hat?“ Ich hob herausfordernd die Arme.

Ein lauter Knall kam zur Antwort: Eine Metallkugel von der Größe meiner Faust prallte vom Kraftfeld ab und schlug gegen die Laborwand. Als eine zweite Metallkugel Millisekunden nach der ersten abgefeuert wurde, war ich bereit für sie. Es gab einen weiteren lauten Knall und die Kugel explodierte in winzige Metallsplitter.

„Das könnte teuer werden“, sagte ich grinsend.

„TNC hat tiefe Taschen“, antwortete Hiroki gleichmütig, und auch in seiner Stimme lag ein Lächeln. „Was passiert, wenn ich zwei verschiedene Geschosse gleichzeitig abfeuere?“

Bevor ich antworten konnte, tat er genau das.

Ein Ball, der zu meiner Rechten abgefeuert wurde, und eine Metallkugel zu meiner Linken zerbarsten gleichzeitig zu Staub.

„Wow“, machte Hiroki. „Hat das Kraftfeld das automatisch gemacht oder musstest du etwas verändern?“

„Ich habe gehört, wie die Kugeln abgefeuert wurden, und wusste irgendwie, was kommen würde. Es passierte alles so schnell, dass es mir nicht wirklich bewusst war.“

„Erstaunlich.“

Neue Zuversicht wuchs in mir. „Wollen wir es jetzt mit scharfer Munition versuchen?“ Ich lachte. „Nicht, dass eine Metallkugel nicht als ‚scharf‘ gelten würde. Das Ding hätte mir den Kopf abreißen können.“

„Bist du dir sicher?“

„Ja.“

Ich hörte etwas, das wie das Abstellen eines fernen Motors klang. Einen Moment später trat Hiroki aus der Kabine.

„Warte, willst du nicht etwas Tödliches auf mich abfeuern?“, fragte ich. „Pfeile? Kugeln? Bomben?“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht hier. Dieses Labor ist dafür nicht ausgerüstet. Wir müssen nach draußen gehen.“ Hiroki hakte das kleine Handfunkgerät von seinem Gürtel ab. Gleichzeitig betätigte er einen Schalter an einem blauen Paneel in der Wand und die Tür des Labors öffnete sich und ließ Tageslicht herein. Ich folgte Hiroki hinaus auf die Metalltreppe, die nach oben ins Erdgeschoss führte. Hiroki sprach in das Funkgerät, als wir die Treppe hinaufstiegen. „Wie schnell können wir einen Test mit scharfer Munition mit dem Euroklydon vorbereiten?“

Die Stimme, die antwortete, klang jungenhaft: „Wirklich?“

„Wirklich.“ Hiroki schaute über die Schulter zu mir zurück und zwinkerte, als wir in den Gang traten, der zu einer der Kantinen führte.

„Darauf hat das Team gewartet, seit sie den Vertrag unterschrieben hat“, antwortete die Stimme. „Gib uns zwanzig Minuten!“

„Perfekt. Wir gehen einen Kaffee trinken und treffen euch dann in Clearing Raum zwölf?“

„Clearing sieben ist bereits genehmigt. Ich werde einen Rover schicken, der euch abholt.“

„Verstanden.“ Hiroki klinkte sein Funkgerät wieder ein, als wir die Kantine betraten. Das leise Gemurmel einer Gruppe an einem der Tische verstummte augenblicklich. Alle Blicke richteten sich auf mich. Ich lächelte eine der Frauen an. Ihre Mundwinkel zuckten, aber sie schaute schnell wieder weg.

„Der Euroklydon?“, fragte ich, während wir uns an der Maschine einen Kaffee holten. „Werde ich hier so genannt? Nicht Petra?“

Hiroki nickte und nahm einen Schluck von seinem Espresso. „Nimm’s nicht persönlich. Es ist einfacher in unserem Beruf, wenn wir Distanz zueinander wahren.“

„Warum?“ Ich nahm meinen heißen Cappuccino und öffnete ein Päckchen braunen Zucker. Obwohl ich meine Frage in einem sarkastischen Ton gestellt hatte, hoffte ich trotzdem immer auf mehr Erklärungen. Ich war bereits gebeten worden, keine Freundschaften mit den anderen Mitarbeitern zu schließen, aber Gründe dafür war man mir schuldig geblieben.

„Dinge gehen schief“, antwortete Hiroki betont beiläufig, allerdings mit einem schmerzhaften Ausdruck in den Augen.

Ich runzelte die Stirn. Als ich Hikori das erste Mal getroffen hatte, war er für mich nur ein Wissenschaftler gewesen, aber jetzt sah ich immer öfter den Mann dahinter. Einen Mann mit einer stark jungenhaften Seite, zugegeben. Aber auch mit Leidenschaften, Zielen, Humor und Stolz. Und schmerzlichen Erinnerungen, wie es schien.

Allerdings war er der Einzige, den ich näher kennengelernt hatte. Die anderen Leute hier sprachen mich nicht einmal mit meinem Namen an. Die Kantine schien plötzlich irgendwie kälter zu werden und ich unterdrückte ein Frösteln.

Meine Interaktionen mit den anderen Mitarbeitern waren immer professionell, die Gespräche mit allen außer Hiroki kurz und knapp. In gewisser Weise machte mir das nichts aus. In Anbetracht der Tatsache, dass ich nach einem Jahr TNC ohnehin plante, in Cambridge zu studieren und eine Weltklasse-Archäologin zu werden, musste ich hier auch keine tiefgreifenden Kontakte knüpfen. Auf eine gewisse Art und Weise störte mich die allgemeine Distanziertheit dennoch. Wenn ich einem TNC-Mitarbeiter begegnete, wusste ich nie, ob ich es mit einem normalen Menschen oder einem Übernatürlichen zu tun hatte. Ich hatte einmal versucht, Hirokis Gedanken zu lesen, nur um zu prüfen, ob ich etwas mehr über die Mitarbeiter der FS11 erfahren konnte. Es war mir nicht gelungen. Das hatte mich verwirrt und ich fragte mich, ob ich meine Fähigkeit verloren hatte. Aber später am selben Tag hatte ich mit Leichtigkeit die Gedanken eines Angestellten im Lebensmittelladen gelesen.

Ich konnte Hiroki nicht direkt danach fragen, weil ich nicht zugeben wollte, dass ich in seine Gedanken hatte eindringen wollen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als zu rätseln, was meine telepathischen Fähigkeiten stoppen könnte und wer sonst noch bei TNC übernatürliche Fähigkeiten hatte.

Mein Handy surrte in meiner Jackentasche. Ich holte es heraus und schaute auf das Display, erkannte aber die Nummer nicht. „Sorry, Hiroki. Entschuldigst du mich kurz?“

Er winkte nur, also schoss ich ihm ein dankbares Lächeln zu und entfernte mich, um etwas Privatsphäre zu haben.

Ich drückte die Sprechtaste und hielt das Telefon an mein Ohr. „Hallo?“

„Petra Kara?“, fragte eine Frauenstimme. Sie kam mir entfernt bekannt vor.

„Mrs. Shale?“ Violet Shale war eine der Personen, die im Kinderschutzbüro in Saltford arbeiteten. Ich hatte keinen Anruf mehr von ihr erhalten, seit ich volljährig geworden war.

„Du erinnerst dich an mich?“, fragte sie.

„Natürlich.“ Mrs. Shale war immer nett zu mir gewesen. Sie hatte mir oft Bücher über Geschichte geschenkt. Sie schien meine Archäologiebesessenheit zu verstehen und vielleicht sogar zu teilen.

„Wie geht es dir? Ich habe gehört, du hast an einer Ausgrabung in Libyen teilgenommen?“

„Ja, im letzten Frühjahr“, sagte ich. „Es war ... eine erhellende Erfahrung.“

„Oh, das ist schön. Ich freue mich für dich. Es ist so toll, dass du deine Träume verfolgst.“ Irgendetwas an ihrem Tonfall sagte mir, dass sie nicht angerufen hatte, um zu plaudern. „Es tut mir leid, dass ich diejenige bin, die dir das sagen muss, Petra, aber dein ehemaliger Therapeut, Mr. Pierce, ist heute früh verstorben.“

Ich öffnete meinen Mund und schloss ihn wieder. Ich fühlte mich, als hätte mir jemand in den Magen getreten.

„Petra? Bist du da?“

Es dauerte einige Sekunden, bis ich meine Stimme wiederfand. „Noel ist ... tot?“ Noel war keineswegs alt oder gebrechlich gewesen. Ich hatte ihn erst im Februar gesehen und er hatte völlig fit und gesund gewirkt.

„Es tut mir leid. Er hatte ein Aneurysma. Der Notarzt wurde gerufen, aber er ist noch auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Es tut mir so leid, Petra. Ich weiß, dass du ihm sehr nahe standest.“

„Wann ist die Beerdigung?“ Mein Mund fühlte sich an, als wäre er mit Sägemehl gefüllt worden und Tränen brannten in meinen Augen. Noel war immer gut zu mir gewesen. Er war der Einzige, dem ich genug vertraut hatte, um meine Geheimnisse mit ihm zu teilen. Ich würde ihn furchtbar vermissen.

„In ein paar Tagen. Mehr Informationen habe ich noch nicht, aber ich rufe dich auf jeden Fall an, sobald ich Genaueres weiß.“

„Okay. Ich danke Ihnen.“ Ich legte auf und schloss meine Augen. Schockwellen der Trauer überspülten mich und raubten mir den Atem.

„Alles in Ordnung?“ Ich spürte Hirokis Hand auf meiner Schulter.

Ich öffnete meine Augen. „Macht es dir etwas aus, wenn wir den Munitionstest ein andermal machen? Ich muss nach Hause.“

KAPITEL 2

Saxony

Mit einem Grinsen im Gesicht und einem vor Aufregung klopfenden Herzen ging ich die Steinstufen zu Georjies Haus hinauf. Ich erreichte den Treppenabsatz vor der Haustür der Sutherlands und drehte mich um, um meinen Dad, der in unserem Van davonfuhr, hinterherzuwinken. Dann stellte ich meinen Rucksack ab und wandte mich zur Tür. Doch ich zögerte, den metallenen Türklopfer zu betätigen.

Ich wollte meine Freundinnen unbedingt wiedersehen und ihnen von meinen Sommerabenteuern erzählen, aber ... ich hatte noch nicht entschieden, ob ich ihnen auch von meinen neu gewonnenen Kräften erzählen sollte.

Basil Chaplin, mein zukünftiger Lehrer in Arkturus, war strikt dagegen, dass irgendjemand außer meiner Familie von meinen Kräften erfuhr. Aber diese Mädchen waren meine Familie. Sie waren meine Schwestern. Sie würden mich niemals verraten.

Und wie sollte ich es überhaupt vor ihnen verheimlichen? Es bestand kein Zweifel daran, dass sie die Veränderung an mir bemerken würden. Meine seltsam leuchtenden Augen, meine ausgebrannte Stimme.

Meine Hand schwebte immer noch unentschlossen über dem Türklopfer, als die Tür plötzlich aufschwang. Georjie stand vor mir.

Ihr umwerfend hübsches Gesicht strahlte. „Saxony! Ich dachte, ich hätte jemanden auf der Veranda gehört, aber dann wurde es still.“

„Hallo!“ Bei ihrem Anblick stellten sich die Härchen an meinem Körper auf. Irgendetwas war anders an ihr, aber ich konnte nicht genau sagen, was. Etwas Fremdes lag in ihrem Ausdruck. Sie sah älter und weiser aus.

Sie stürzte sich auf mich und wir umarmten einander heftig. „Oh mein Gott, ich habe dich so sehr vermisst!“, flüsterte sie in mein Haar. „Ich wusste gar nicht, wie sehr. Es ist so schön, dich zu sehen.“

Ich drückte ihren Rücken und schluckte den plötzlichen Drang zu weinen hinunter. „Ich habe dich auch vermisst, Georjie.“

Wir traten zurück und grinsten einander an. Georjie musterte mich aufmerksam und eine Furche erschien zwischen ihren Brauen. Ich konnte mir denken warum – meine Stimme. Georjie und ich hatten den ganzen Sommer über nicht miteinander gesprochen. Ich hatte es vermieden, jemandem eine Sprachnachricht zu hinterlassen. Dies war das erste Mal, dass sie mich sprechen hörte, seit Isaia mir das Feuer gegeben hatte.

„Du siehst toll aus!“, sagte ich und nahm sie wieder in den Arm. Ihre Haare waren über den Sommer gewachsen und fielen ihr in einer Kaskade von blonden Wellen über die Schultern. Ihre hellbraunen Augen waren klar und funkelnd. Sie trug Jeansshorts und ein weißes Tanktop. Ein Haufen Sommersprossen übersäten ihre gebräunten Wangen und ihren niedlichen Nasenrücken. Sie war barfuß, was mir seltsam vorkam. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich Georjie jemals ohne Schuhe gesehen hatte.

„Das tust du auch.“ Georjie hob meine Übernachtungstasche auf und warf sie sich über die Schulter. „Komm rein.“

Als ich das Haus betrat, atmete ich tief ein. Es roch frisch und grün und die Luft fühlte sich feucht an. Ich schaute mich in dem weitläufigen Foyer nach vertrauten Jacken und Schuhen um. „Noch keine Akiko oder Targa?“

„Nein. Du bist die Erste.“ Georjie schloss die Tür.

Ich schlüpfte aus meinen Turnschuhen und spähte die Treppe hinunter in den Keller zu ihrem Hallenbad. Ein warmes, goldenes Licht flackerte die Stufen herauf.

„Was ist denn da unten los?“

Georjie trat zwischen mich und die geschwungene Treppe. „Das ist eine Überraschung. Kannst du warten? Ich möchte es euch allen auf einmal zeigen. Es wird dir gefallen.“

„Wenn es sein muss“, erwiderte ich. „Wie geht’s Liz?“

Georjie war früher aus Irland nach Hause gekommen, um ihrer Mutter beizustehen, die wegen Erschöpfung und Dehydrierung ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Ihre Mutter hatte sich in den drei Wochen, seit Georjie zu Hause war, jedoch vollständig erholt.

„Es geht ihr gut. Es ist seltsam, aber ihre Krankheit war das Beste, was uns hätte passieren können – unserer Beziehung, meine ich.“

Ich dachte an Isaia und wie sein Leiden mein Leben verändert hatte. Ich nickte zustimmend. „Das kann ich verstehen.“

Mein Blick fiel auf einen Stapel von Büchern und Papieren auf dem Tisch neben der Tür. Ein Foto lag halb versteckt in einem Buch, aber ich erkannte die blonden Haare an den Rändern. Ich holte das Foto zwischen den Seiten hervor. Das Bild zeigte Georjie, aber ihre Augen waren von einem hellen weißen Licht erfüllt. Ihr Haar flog auf und ab und bildete einen blonden Kranz um ihren Kopf. Hinter ihr erstreckte sich ein Meer aus grünem Laub. Sie trug Shorts und ihre Füße steckten nackt im Boden. Es sah aus, als würde Dreck an ihren Beinen hochkrabbeln. Ihr Mund war offen und ihre Finger waren gekrümmt, als ob sie einen Zauberspruch sprechen würde. Ihre Hände waren bis zu den Ellenbogen mit Erde verschmiert und es gab sogar einen Schmutzfleck auf ihrer Wange und ihrer Lippe. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war sowohl bezaubernd als auch erschreckend.

„Wow“, sagte ich. „Ist das von dem Fotografiekurs, den du im Sommer gemacht hast?“

„So ähnlich“, antwortete Georjie mit einem schüchternen Lächeln. „Mama hat es ausgedruckt, ohne mich zu fragen. Ich wollte nicht, dass es jemand sieht.“

Mama?Ich starrte Georjie überrascht an, sagte aber nichts dazu. „Warum nicht?“, fragte ich stattdessen. „Es ist wunderschön! Unglaublich, was du inzwischen mit Photoshop zaubern kannst.“

„Danke.“

„Interessante künstlerische Entscheidungen“, ahmte ich unsere Kunstlehrerin aus der neunten Klasse nach, die aus der Türkei stammte, einen starken Akzent hatte und ungefähr vier Schachteln Zigaretten am Tag rauchte. „Mir gefällt der Dreck, der die Hände und Füße der Frau bedeckt. Eine klare Darstellung der schmutzigen Gedanken der Jugend von heute.“

Georjie schnappte mir lachend das Foto aus der Hand. „Gut nachgemacht. Sie klang schon immer heiser wie eine Jazzsängerin.“ Georjie zog die Brauen zusammen, während sie das Foto wieder zwischen die Seiten des Buches steckte. „Aber wieso klingst du plötzlich so rauchig? Bist du krank?“

„Nein, mir geht es blendend.“ Ich setzte gerade an, mir irgendeine Geschichte auszudenken, doch zum Glück klopfte es in diesem Moment an der Tür.

Wir drehten uns um und Georjie öffnete. Targa stand auf der Veranda, ihren Rucksack über eine Schulter geschwungen. Sie grinste. Ich aber spürte, wie mir mein Gesichtsausdruck entgleiste. Irgendetwas an ihr war verändert.

„Ahhhhh!“ Targa schlang ihre Arme um uns beide. „Ihr seht so schön aus!“

„Du auch, Targa.“ Georjie trat zurück. Wir starrten Targa beide mit großen Augen an. „So richtig.“

„Ja“, sagte ich. „Ich meine, du warst schon immer heiß, aber verdammt, Mädchen! Was ist passiert?“

„Äh, danke.“ Targa wankte von einem Fuß auf den anderen und ließ den Rucksack von ihrer Schulter fallen. „Darf ich reinkommen?“

„Oh, ja klar. Sorry.“ Georjie winkte sie herein und wir wichen zur Seite, damit sie Platz in unserer Mitte hatte. Georjie und ich konnten unsere Augen nicht von ihr lassen.

„Hast du dir die Haare schwarz gefärbt?“, platzte ich heraus. „Und deine Haut ...“

Ihre Haut war so blass, fast transparent, und völlig makellos. Ich hätte schwören können, dass sie früher eine kleine Aknenarbe an der Spitze ihrer rechten Augenbraue gehabt hatte, aber die war jetzt weg. Ich nahm ihre Hand und untersuchte sie. Die blauen Adern, die ihre Handrücken sonst durchzogen hatten, waren unsichtbar geworden.

„Äh, nein, ich hab mir die Haare nicht gefärbt“, erwiderte Targa und zog ihre Hand sanft zurück. Sie sah mich prüfend an, so wie Georjie vorhin. „Was ist mit deiner Stimme? Hast du eine Erkältung?“

Ich ignorierte die Frage. „Und deine Augen sind so blau! Ich habe sie noch nie so hell gesehen. Meinst du nicht auch, Georjie? Komm, gib mir Rückendeckung.“ Ich stieß Georjayna mit dem Ellenbogen an.

„Ja, du siehst wirklich anders aus, Targa“, stimmte sie zu.

Targa schnalzte mit der Zunge. „Da ist man ein paar Monate weg und selbst deine besten Freundinnen vergessen, wie du aussiehst.“

„Du sagst das, als ob wir keine fotografischen Beweise dafür hätten, dass deine Haare dunkler, deine Augen heller und deine Haut einfach ... anders ist als früher“, sagte ich.

Georjie schloss endlich die Tür hinter Targa.

„Fotos lügen“, erwiderte Targa sanft. „Die Blondine hier kann dir alles darüber erzählen.“ Sie spähte die Treppe hinunter, während Georjie und ich einen Blick tauschten. „Noch keine Akiko?“, fragte sie.

„Noch nicht“, antwortete ich. „Georjie will warten, bis sie hier ist, bevor wir da runtergehen. Anscheinend gibt es eine Überraschung.“ Ich wackelte mit den Augenbrauen. „Zusätzlich zu deinem neuen Aussehen.“

„Haha“, sagte Targa mit einem rätselhaften Lächeln. „Wie geht es deiner Mutter, Georjie?“

„Ganz gut. Sie ist auf einer Konferenz, also habe ich das Haus für mich allein.“

Das Geräusch von leichten Schritten auf der Veranda drang an unsere Ohren und Targa riss die Tür auf, gerade als Akiko nach dem Klopfer hatte greifen wollen. Ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich sie jemals so glücklich gesehen hatte – geradezu strahlend.

„Hallo, Fremde“, sagte sie mit weicher Stimme. Sie trat ein und wurde von einer Gruppenumarmung verschluckt. „Jemand riecht nach Jasmin“, ertönte ihre gedämpfte Stimme.

„Das bin wohl ich“, sagte Georjie, als wir wieder genug auseinanderrückten, um uns anschauen zu können. „Du hast eine gute Nase.“

„Jasmin war schon immer einer meiner Lieblingsdüfte.“ Akiko atmete tief ein. Ihr Blick fiel auf Targa und sie legte den Kopf schief. „Du siehst anders aus. Trägst du farbige Kontaktlinsen? Und wann hast du dir die Haare gefärbt? Schwarz steht dir.“

Georjie und ich warfen Targa beide einen Wir-haben-es-dir-ja-gesagt-Blick zu.

Targa verdrehte die Augen. „Also ehrlich, Leute.“ Doch sie gab nichts zu und erklärte ihr verändertes Aussehen nicht. Stattdessen wandte sie sich der Treppe in den Keller zu. „Du hast den Teppich von den Stufen genommen. Hartholz sieht viel besser aus.“

„Danke! In diesem Sinne, lasst eure Handys bitte an der Tür und ...“ Georjie gab uns mit einer schwungvollen Geste zu verstehen, dass wir ihr folgen sollten, und ging die Treppe hinunter. Akiko, Targa und ich tauschten einen verwirrten Blick, nahmen unsere Handys aber heraus und legten sie auf die Vitrine neben der Tür.

Die Luftfeuchtigkeit und der süße Pflanzengeruch nahmen zu, als wir die Treppe hinunterstiegen. Der Keller sah völlig anders aus als früher. Zuvor hatte es hier einen Flur mit einer Reihe von Türen gegeben, die zu verschiedenen Räumen führten: zum Pool, zu zwei Extra-Schlafzimmern, zu einem Abstell- und Waschraum und zu der Garage. Jetzt befand sich hier eine Glaswand, die den Pool vom Flur im Erdgeschoss trennte. Das Glas war mit Kondenswasser beschlagen und ein grüner Fleck von Pflanzen war durch sie hindurch zu sehen.

„Du hast den Pool in ein Gewächshaus verwandelt?“, rief Akiko aus.

Gleichzeitig sagte Targa: „Du hast deinen Pool mit Salzwasser gefüllt!“

Georjie hielt mit einer Hand am Griff der Glasschiebetür inne. Sie bedachte Targa mit einem erstaunten Blick. „Woher weißt du das?“

„Es liegt kein Chlor mehr in der Luft“, antwortete Targa und schnupperte.

Sie hatte recht. Ich nahm einen tiefen Atemzug. „Es riecht wie im Dschungel.“ Ich schloss die Augen und atmete die frischen, reinen Düfte ein.

Georjie schob die Tür zurück. „Das ist eine ziemlich treffende Beschreibung. Willkommen im Dschungel.“ Sie schritt hindurch und wir folgten ihr.

Der Pool hatte die gleiche Form wie zuvor, aber der Raum war ansonsten kaum wiederzuerkennen. Schmetterlinge flatterten von Pflanze zu Pflanze und Grünzeug wucherte aus jeder Ecke. Blüten aller Art tupften Farbe in den üppigen Dschungel. Die Decke, die vorher niedrig und mit Lampen versehen gewesen war, bestand jetzt aus Glas. Bäume berührten die gläserne Decke, ihre Äste bildeten kreuz und quer verlaufende Silhouetten im langsam versiegenden Abendlicht. Die doppelten Glasschiebetüren, die hinaus in den Garten führten, standen offen und laue Herbstluft hauchte herein.

Meine Augen wurden sofort von den Fackeln angezogen, die überall verteilt waren und den Raum erhellten. Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber die Flammenzungen flackerten einladend.

„Ich verstehe das nicht.“ Targas leuchtend blaue Augen schweiften vom Boden bis zur Decke und folgten der verdrehten Form von etwas, das wie ein Feigenbaum aussah. „Hier drinnen wachsen Bäume. Ich kann die Wurzeln sehen.“ Sie zeigte auf mich und ich sah, dass sie recht hatte. Knorrige Wurzeln verschwanden im Boden wie eine schlangenartige Unterwasserkreatur. „Aber das ist unmöglich!“ Akiko zog ihre Socken aus und betrat den Raum mit ihren nackten Füßen, ihre Zehen versanken in Moos. „Du kannst diesen Raum in der Zeit, in der du zu Hause warst, unmöglich so sehr verändert haben. Wie hast du so große Bäume eingepflanzt? Wie hast du den ganzen Beton aufgebrochen und weggeschafft?“

Georjie schenkte uns ein geheimnisvolles Lächeln. „Das Gewächshaus meiner Tante Faith hat mich so inspiriert, dass ich meine Mutter gefragt habe, ob wir unseren Keller renovieren können. Es war nicht sehr schwer, sie zu überzeugen. Sie stellte mir ein großzügiges Budget zur Verfügung.“

„Das ist echt erstaunlich, Georjie!“ Ich zog meine Socken aus und ging am Pool entlang. Ich genoss das Gefühl von Moos unter meinen Füßen. „Ich bin überrascht, dass Liz dich das alles machen lässt. Die Instandhaltung allein –“

„Die liegt in meiner Verantwortung.“ Georjie deutete auf eine kleine Lichtung neben dem Pool, auf der eine Steppdecke ausgebreitet lag. Auf einem niedrigen Beistelltisch standen Gläser, Teller mit Gemüse und Häppchen, Schälchen mit Hummus und anderen Dips und Krüge mit Wasser und Saft. Die Adirondack-Stühle, die sonst immer um die Feuerstelle im Garten gestanden hatten, waren jetzt neben den Pool geholt worden. „Wollt ihr schwimmen gehen?“

„Auf jeden Fall.“ Targa stellte ihren Rucksack ab. Wir zogen unsere Badeanzüge an und planschten herum, um etwas Bewegung zu bekommen und die bezaubernde Atmosphäre zu genießen.

„Also, wer fängt an?“ Ich stellte meine Füße auf den Boden des Pools und schüttelte meine Haare so heftig, dass das Wasser in alle Richtungen spritzte. „Wir haben eine Menge nachzuholen.“

Georjie schaute abwartend von mir zu Targa und Akiko.

„Warum beginnst nicht du, Saxony?“ Targa stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Beckenrand ab. „Ich bin ein wenig verwundert, dass du nicht schon längst zu erzählen begonnen hast.“

Mein Bauch begann vor Aufregung zu kribbeln. Ich öffnete den Mund. Doch mir fiel einfach nicht ein, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht, wie ich meine Geschichte erzählen sollte.

„Ich werde anfangen“, sagte Akiko leise.

Wir starrten sie an.

„Ich bin angenehm schockiert“, sagte Georjie. „Infos von dir zu bekommen, ist normalerweise wie Zähne ziehen, und jetzt meldest du dich freiwillig?“

„Das hat es noch nie gegeben!“ Targa lachte. „Du musst wirklich etwas zu erzählen haben.“

Akiko grinste. „Ich bin nicht sicher, wie ich anfangen soll ...“

Ich nickte mitfühlend. Ich verstand genau, wie sich das anfühlte.

Sie holte tief Luft. „Der Grund, warum Jasmin einer meiner Lieblingsdüfte ist, ist der, dass meine Schwester und ich ihn früher jeden Frühling für unser Haus und die Häuser unserer Nachbarn gesammelt haben.“

Ich blinzelte. Hatte ich sie falsch verstanden? „Deine ... Schwester?“

„Ja. Ich habe eine Schwester.“

Für ein paar Herzschläge hörten wir kein Geräusch außer dem Schwappen des Wassers gegen die Seiten des Schwimmbeckens.

„Warum hast du uns das nicht gesagt?“, fragte Targa. „Wenn du früher jeden Frühling mit ihr Jasmin gepflückt hast, dann bedeutet das, dass du sie nicht erst im letzten Sommer kennengelernt hast. Du hattest die ganze Zeit eine Schwester und hast es uns nie erzählt?“

Akiko nickte. „Aimi und ich sind zusammen aufgewachsen, wurden aber durch Umstände, die außerhalb unserer Kontrolle lagen, auseinandergerissen.“

„Aimi“, wiederholte Georjie.

„Ich war nicht in der Lage, über mein Leben zu sprechen, weil ich verpflichtet war, meinen Mund zu halten. Bis zu den Ereignissen des letzten Sommers war es mir nicht erlaubt, etwas davon mit euch zu teilen. Das tut mir leid. Aber jetzt ist alles anders.“

Die Worte kamen ihr leicht über die Lippen, aber ihre Wirkung hatte es in sich. Georjie, Targa und ich waren todernst geworden. Ich zog mich aus dem Wasser und wickelte ein Handtuch um mich. Georjie folgte mir und wir ließen uns mit Akiko auf der Decke nieder. Targa blieb im Wasser, stützte sich aber mit den Ellenbogen auf dem Beckenrand ab. Sie legte ihr Kinn auf die Handrücken und hielt ihren Blick prüfend auf Akiko gerichtet.

„Ist Aimi älter oder jünger als du? Und wann können wir sie kennenlernen?“ Georjie faltete ihre langen Beine unter sich.

„Älter“, sagte Akiko mit einem rätselhaften Lächeln. „Viel älter, glaube ich.“

„Du glaubst?“ Targa starrte Akiko an. „Du weißt es nicht?“

Akiko schüttelte den Kopf. „Ich habe mir überlegt, wie ich meine Geschichte am besten erzähle, ohne euch zu schockieren oder euch glauben zu lassen, ich würde alles erfinden.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, der beste Weg ist, es euch einfach direkt zu erzählen.“

Ich dachte an den Moment zurück, als Isaia das Feuer in meinen Körper gestoßen hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Akiko irgendetwas zu erzählen hatte, das unglaublicher war als meine eigene Geschichte.

„Sag uns einfach die Wahrheit“, sagte Georjie und benutzte die Ecke des Handtuchs, um sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht zu wischen. „Wir werden dir alles glauben.“

„In Ordnung.“ Akiko stieß einen langen Atemzug aus und begann dann langsam zu sprechen. „Die Wahrheit ist, dass ich kein Mensch bin und meine Schwester auch nicht.“ Ihre Worte schienen durch das Becken und den Raum zu hallen. „Ich teile meine Geschichte jetzt mit euch, weil ich mich verabschieden muss und ich möchte, dass ihr wisst, warum. Ich möchte, dass ihr wisst, wer ich bin und warum ich gehen muss. Warum ich euch belogen habe.“

Mein Herz begann zu pochen und ich wurde von einem verwirrenden Wirrwarr von Gefühlen überflutet. Ich merkte, dass ich meinen Mund öffnen musste, um genug Sauerstoff zu bekommen. Kein Mensch? Verabschieden?

„Was bist du, wenn du kein Mensch bist?“ Targa klang so komplett ruhig, dass ich sie überrascht anstarrte.

„Ich bin das, was man in Japan eine Akuna Hanta nennt, eine Dämonenjägerin. Ich wurde im Jahr 1908 geboren. Ich wurde von menschlichen Eltern gezeugt und soweit ich weiß, war ich ein Mensch, bis meine Schwester mir mein tamashî schenkte – eine Verbindung zu etwas, das man den Äther nennt und aus welchem sich meine Hanta-Kräfte speisen.“

„Du bist über ein Jahrhundert alt?“, wiederholte Targa. Bemerkenswerterweise schien sie dieses Geständnis nicht in Frage zu stellen.

Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an und die Hitze des Feuers flackerte in meinem Bauch. Hätte ich nicht meinen eigenen übernatürlichen Sommer erlebt, hätte ich geglaubt, Akiko würde sich das alles ausdenken. Georjie und ich tauschten einen Blick und ich sah meinen eigenen Schock in ihrem Gesicht reflektiert. Ich hatte keine Probleme damit zu glauben, dass Akiko irgendeine Art von übernatürlicher Fähigkeit hatte, aber dass sie schon über hundert Jahre am Leben war?

„Wie?“, fragte Georjie.

„Vielleicht hilft es, wenn ich euch etwas zeige.“ Akiko öffnete ihre rechte Hand und ein helles Licht erschien in der Region ihres Herzens. Targa keuchte, Georjies Hand flog zu ihrem Mund. Ich war wie erstarrt.

„Das ist mein tamashî“, erklärte Akiko. „Über neunzig Jahre lang war es im Besitz von Daichi, meinem Entführer.“

„Daichi?“ Ich warf Akiko einen fragenden Blick zu.

„Ich durfte ihn nie anders als mit Großvater ansprechen“, erklärte sie, „und seinen wahren Namen habe ich erst im vergangenen Frühjahr erfahren.“

Ich war sprachlos, aber Targa stieß einen angewiderten Laut aus. „Ich wusste doch, dass mit dem Kerl etwas nicht stimmt!“

„Er war dein Entführer?“ In Georjies Augen spiegelte sich Akikos weißes Licht. Ich starrte es an. Wie ähnlich und doch anders es meinem eigenen Feuer war. Während wir zusahen, begann sich das Licht zu bewegen. Es wanderte an Akikos rechtem Arm entlang, bis es ihre Handfläche erreichte. Dort schwebte es eine Sekunde lang, bevor es verschwand und den Raum viel dunkler erscheinen ließ als zuvor.

„Habt ihr jemals den Begriff Kitsune gehört?“, fragte Akiko.

„In der japanischen Mythologie“, antwortete Georjie mit einem Nicken. „Ein Mädchen, das sich in einen Fuchs verwandeln kann, oder?“

Akiko nickte. „Aimi ist eine Kitsune. Sie wurde von meinen Eltern aufgenommen, bekam ein Zuhause, lernte unsere Sprache und wurde umsorgt. Zum Dank segnete Aimi mich, als meine Mutter mit mir schwanger war, mit einem tamashî. Sie dachte, es würde mir ein langes Leben und eine scharfe Intuition sowie Glück bescheren. Doch das tamashî verwandelte mich in eine Hanta.“

„Können wir Aimi treffen?“, fragte ich.

„Sie ist in Japan.“

„Und Daichi?“, fragte Targa.

„Daichi ist tot.“

Ein Augenblick des Schweigens setzte ein.

„Hast du ... ihn umgebracht?“ Targas Frage war kaum hörbar.

„Natürlich hat sie ihn nicht umgebracht!“, platzte ich heraus. „Akiko könnte keiner Fliege etwas zuleide tun.“ Ich wandte mich Akiko zu, als mir ein kalter Gedanke kam. Was, wenn Daichi ein Dämon gewesen war? Wenn sie eine Dämonenjägerin war … vielleicht hatte sie ihn dann doch getötet? „Zumindest keiner normalen Fliege“, fügte ich schwach hinzu.

„Ich habe ihn nicht getötet. Er hat sich sein eigenes Schwert in die Brust gestoßen. Er hat mich nach Japan geschickt, um dieses Schwert zu finden.“

„Okay.“ Georjie streckte die Handflächen aus. „Du musst ganz von vorne anfangen. Ich bin im Moment so verwirrt. Wie und warum hat Daichi dich gefangen gehalten? Und warum solltest du sein Schwert beschaffen? Und warum hat er sich umgebracht? Und warum musst du dich von uns verabschieden?“ Sie holte tief Luft. „Und kann ich mir etwas Trockenes anziehen, bevor du redest? Mir wird langsam kalt.“

KAPITEL 3

Saxony

Ich lag auf dem Bauch, unter mir ein Handtuch und ein weiteres über meinen Rücken drapiert. Ich bemerkte den feuchten Stoff auf meiner Haut kaum, während ich zu Akiko aufstarrte. Ich hatte kein Zeitgefühl dafür, wie lange sie geredet hatte; es schien, als ob die Zeit in unserer kleinen Oase der Geheimnisse keine Rolle mehr spielte. Georjayna saß im Schneidersitz zu Akikos Füßen, ein Ellenbogen ruhte auf der Sitzfläche des Adirondack-Stuhls, in dem Akiko saß. Georjie hatte sich einen pastellgrünen Kapuzenpulli und eine passende Hose angezogen, um sich warm zu halten, die Kapuze war über ihren Kopf gezogen. Ranken von blondem Haar quollen unter der Kapuze hervor und ließen sie wie eine Elfe aussehen. Targa saß immer noch im Schwimmbecken, das Kinn auf die Unterarme gestützt. In all den Jahren, in denen wir befreundet waren, hatte Akiko unsere ungeteilte Aufmerksamkeit noch nie so lange ausgehalten, geschweige denn eingefordert. Es schien, als würden Jahre der Intrigen und Geheimnisse Schicht für Schicht von Akiko abfallen, als wäre sie eine Blume, die sich langsam der Sonne öffnete. Sogar die Fackeln schienen zuzuhören, als sie ihre Geschichte von den gestaltwandelnden Schwestern, den furchterregenden Oni, dem Wakizashi, den Yakuza und ihrem geliebten Toshi erzählte.