Die Todesliste - Irene Dorfner - E-Book

Die Todesliste E-Book

Irene Dorfner

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Beschreibung

Der London-Attentäter John Waves sehnt sich nach Rache. Jeder, der an seiner Verhaftung und an seiner Verletzung schuld hat, muss getötet werden. Dafür hat er seinen Bruder Carter auserwählt und lässt ihm eine Todesliste zukommen. Darauf stehen auch Leo Schwartz, Hans Hiebler und Christine Künstle. Die britische Polizei bekommt Wind davon und warnt die bayerischen Kollegen. Aber die Warnung kommt zu spät...

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Irene Dorfner

Die Todesliste

Leo Schwartz ... und die Rache aus London

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

Impressum neobooks

1.

DIE TODESLISTE

Leo Schwartz…

…und die Rache aus London

IRENE DORFNER

Anmerkung:

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Der Inhalt des Buches ist reine Phantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig.

Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

Ich wünsche allen Lesern spannende Unterhaltung mit

Leos 28. Fall!!

Irene Dorfner

Copyright © 2018 Irene Dorfner

All rights reserved

Lektorat: FTD-Script, D-84503 Altötting

1.

Carter Waves verließ das Flugzeug am Münchner Flughafen wie ein ganz gewöhnlicher Passagier. Niemand ahnte, dass er in einer tödlichen Mission von London nach München gekommen war. Vor drei Wochen hatte er die erste Nachricht von seinem Bruder erhalten, die ihm dessen Anwalt Bloomberg zukommen ließ. Darauf folgten zwei weitere, die deutlich machten, was sein Bruder von ihm verlangte. Johns Festnahme und die Enthüllungen über den Anschlag in London Heathrow, die Bombe und die Forschungseinrichtung Porton Down schlug immer noch in ganz Großbritannien hohe Wellen. Die Zeitungen waren voll davon und die Nachrichten im Fernsehen und Radio begannen immer zuerst mit den neuesten Informationen über den Fall Waves. Die britische Regierung war um Schadensbegrenzung bemüht, womit sie sich aber oft keinen Gefallen tat. Wenn Informationen absichtlich zurückgehalten wurden und das publik wurde, wurde das von der Bevölkerung sehr übelgenommen. Es wurden Stimmen über Neuwahlen laut, aber davon wollte die Regierung nichts hören. Die vorübergehende Festnahme des Aktivisten Damian Lynch, der immer mehr Sympathisanten fand, wurde scharf kritisiert. Vor allem die Opposition fand darin genug Futter, um die aktuelle Regierung permanent angreifen zu können und goss zusätzlich immer wieder Öl ins Feuer. Für den nächsten Tag war erneut ein Demonstrationszug durch London angesetzt, mit dem man die Rehabilitierung Lynchs und die totale Offenlegung der Arbeiten im Forschungslabor Porton Down forderte. Ersteres war für die Regierung nicht schwer, das mit Lynch würden sie, wenn auch zähneknirschend, durchwinken können. Die Sache mit Porton Down ging auf keinen Fall. Große Teile der Forschungseinrichtung, die dem Verteidigungsministerium unterlagen, waren streng geheim und das sollte auch so bleiben, darin war man sich einig.

Das alles interessierte Carter Waves nicht. Sein Bruder John bat ihn um Hilfe und wie könnte er ihm diese verweigern? Er fühlte sich für das, was mit seinem Bruder geschah, mitverantwortlich. John hatte sich auf ihn verlassen und er hatte sich Fehler erlaubt, die nicht hätten passieren dürfen. Carter hatte ein schlechtes Gewissen, auch wenn er persönlich nicht für die Fehler verantwortlich war. Das war jetzt alles nicht wichtig. John brauchte seine Hilfe und er war selbstverständlich für ihn da. Die letzte Nachricht traf vorgestern ein und ab diesem Zeitpunkt hatte er eine konkrete Vorstellung davon, was sein Bruder von ihm verlangte: Rache an denjenigen, die ihm die Tour vermasselten und dafür verantwortlich waren, dass er festgenommen und dabei auch noch schwer verletzt wurde. Die Wunden waren längst verheilt, aber es blieben Beschwerden zurück, unter denen er tagtäglich litt.

John Waves sehnte sich nach Rache, er dachte an nichts anderes mehr. Mit dem Trubel, den man in der Presse veranstaltete, hatte er nicht die geringste Chance, jemals wieder auf freien Fuß zu kommen, damit hatte er sich abgefunden. Aber die Schuldigen mussten bestraft werden, wofür er seinen Bruder Carter auserkoren hatte. Carter war an dem Attentat am Flughafen London Heathrow und seinem Plan beteiligt und hatte sich währenddessen nicht mit Ruhm beklettert. John gab ihm eine Teilschuld daran, dass alles schiefgelaufen war, denn seine Flucht konnte durch die Unzuverlässigkeit seines Bruders nicht, wie geplant, durchgeführt werden. Natürlich war John klar, dass sein Bruder kein eiskalter Killer war, aber das war ihm egal. An wen hätte er sich sonst wenden sollen? Er war Wissenschaftler und hatte von Verbrechen an sich keine Ahnung. Darüber, wie Carter das Problem lösen würde, machte er sich keine Gedanken. Er wollte nur Rache – und die mit aller Konsequenz.

John war nicht überrascht darüber, dass sich Carter sofort bereiterklärte, den Job, oder besser gesagt, die Jobs, zu übernehmen. Er ließ seinem Bruder durch den Trottel von Anwalt, der ständig in Geldnot zu sein schien, eine größere Summe zukommen. Aber viel wichtiger war die Liste der Namen, an denen sich Carter in seinem Namen rächen sollte. Die Anweisung an seinen Bruder war klar und deutlich: Keiner der Schuldigen durfte am Leben bleiben!

Carter Waves war tatsächlich kein Mörder, trotzdem fühlte er sich dazu verpflichtet, Johns Bitte nachzukommen und die Schuldigen zu töten. Der Plan schien ganz einfach: Einen Namen nach dem anderen auf seiner Liste musste er für immer auslöschen. Es standen zwei Briten und drei Deutsche auf dieser Todesliste. Die Briten wollte er sich für später aufheben. Die beiden Männer, der britische Polizist Kevin Sparks und der pensionierte, ehemalige Geheimdienstchef Oliver Barnes, standen auch nach all den Wochen immer noch im Fokus des öffentlichen Interesses. Es gab kaum einen Tag, an dem man deren Gesichter nicht im Fernsehen oder in einer der vielen Zeitungen erblickte. An die beiden heranzukommen war in der jetzigen Situation viel zu gefährlich, wenn nicht sogar unmöglich. Sobald sich das Interesse gelegt hatte, konnte er sich die beiden vornehmen. Die Deutschen waren zuerst dran, auf die musste er sich jetzt konzentrieren. Das waren Leo Schwartz und Hans Hiebler, beides Polizisten im bayerischen Mühldorf am Inn, wo immer das auch sein mochte. Neben den beiden musste er sich um eine Christine Künstle kümmern, eine Rentnerin aus Ulm. Diesen Ort hatte er bereits irgendwann mal gehört, wusste aber auch nicht, wo sich der befand, was aber momentan nicht wichtig war. Die beiden Polizisten waren der schwierigere Part, die waren zuerst dran. Danach war die Alte an der Reihe, das würde ein Kinderspiel werden. Dass sie es war, die ihren Bruder schwer verletzt hatte, wusste Carter nicht, das wusste niemand - außer John Waves. Christine hatte gebeten, ihren Namen aus der ganzen Sache herauszuhalten, was Dank der Hilfe von Oliver Barnes hervorragend geklappt hatte. Die Vierundsechzigjährige pensionierte Pathologin hasste es, in der Öffentlichkeit zu stehen, das überließ sie lieber anderen. Auch wenn ihr Name nirgends auftauchte - John Waves würde ihn niemals vergessen!

Carter Waves bahnte sich den Weg durch die Menschenmenge, die aus dem Flugzeug drängte. Allen ging es nicht schnell genug, auch ihm nicht. Dass er äußerst rüpelhaft vorging, ärgerte einige, aber das war Waves egal. Er hatte kein Gepäck dabei, ihm reichte eine Sporttasche für das Nötigste, denn er hatte nicht vor, lange in Deutschland zu bleiben. Der Anwalt Bloomberg hatte ihm Informationen über das fremde Land zukommen lassen, die ihn allesamt nicht interessierten. Nur der Hinweis auf den Rechtsverkehr war für ihn interessant. Er war ein guter Fahrer und die Umstellung würde ihm keine großen Probleme bereiten. Da Carter Waves noch niemals zuvor Großbritannien verlassen hatte, wusste er nichts von anderen Ländern und den dort herrschenden Lebensumständen, die ihm völlig gleichgültig waren. Für ihn gab es nur das Leben in seiner Heimat, andere Länder waren ihm egal.

Mit einem Leihwagen fuhr Carter zuerst in die Münchner Innenstadt. Dort wartete ein Kontaktmann auf ihn, von dem er eine Waffe kaufen konnte. Dieser Kontakt wurde ihm von Bloomberg vermittelt, der sich offenbar in diesem Metier gut auszukennen schien. Während der Fahrt in die Münchner Innenstadt dachte Waves über den Anwalt seines Bruders nach. Der dicke, schwammige Kerl hatte etwas an sich, was er nicht mochte. Vor allem die stechenden, kleinen Augen und der Tick, sich immer wieder durchs pomadige Haar zu streifen, waren ihm zuwider. Warum hatte sein Bruder gerade ihn zum Anwalt gewählt?

Der Rechtsverkehr war für Waves tatsächlich kein Problem. Nur ein einziges Mal war er versucht, die linke Spur zu nehmen, erkannte seinen Fehler aber noch rechtzeitig. Warum wollte sich der Kontakt mit ihm mitten in der Innenstadt treffen? War das nicht viel zu gefährlich? Der Treffpunkt in der Nähe vom Karlstor am Stachus war ungewöhnlich, aber daran konnte Carter nichts ändern, der Unbekannte bestand darauf.

Die Verhandlungen mit dem zwielichtigen Mann in der belebten Fußgängerzone waren schwer, denn sie hatten keine gemeinsame Sprache. Trotzdem waren sie sich irgendwann handelseinig und Carter kaufte gleich beide angebotenen Pistolen mit der dazugehörigen Munition. Dass der Typ ihn mit dem Preis über den Tisch zog, war ihm klar. Aber was hätte er machen sollen? Er brauchte die Waffen dringend und war froh, dass er jetzt bewaffnet war. Am liebsten hätte er beide erst ausprobiert, aber das war nicht möglich. Das Geschäft war getätigt, als er das Geld übergab. Der Ort war ihm suspekt, denn inmitten der vielen Menschen war ein Waffenkauf zwar keine schlechte Idee, trotzdem war die Gefahr, entdeckt zu werden, sehr groß. Aber alles war glattgelaufen. Niemand achtete auf die beiden, alle schienen mit sich selbst beschäftigt zu sein. Carter gefiel es nicht, dass der Mann, der schnell in der Menschenmenge untergetaucht war, sein Gesicht kannte. Außerdem wusste er nicht, wo die beiden Waffen herstammten und wo sie bereits zum Einsatz gekommen waren. Das musste er hinnehmen, daran konnte er nichts mehr ändern.

Er wühlte sich durch die Menschenmengen und bahnte sich auch hier den Weg durch rücksichtslose, meist schlecht gelaunte Passanten, zu denen er auch gehörte. Dabei achtete er weder auf das schöne Karlstor, noch auf den berühmten Stachus, schließlich war er kein Tourist und die Sehenswürdigkeiten waren ihm scheißegal. Endlich war er wieder an seinem Wagen, an dem ein Strafzettel hing. Der interessierte ihn herzlich wenig. Er zerknüllte ihn und warf ihn achtlos weg. Der dichte Verkehr machte ihm nichts aus, da war er mit dem Londoner Verkehr andere Maßstäbe gewöhnt. Der Waffenkauf ging ihm lange nicht mehr aus dem Kopf. Nur ein einziger hätte das sehen und sofort die Polizei rufen können. Was für ein irres Risiko!

Erst, als er seinen Wagen Richtung Mühldorf am Inn lenkte und die Umgebung immer ländlicher wurde, beruhigte er sich langsam. Der Deal war abgehakt und er durfte jetzt keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Jetzt galt es, sich auf die nächste Aufgabe zu konzentrieren. Leo Schwartz und Hans Hiebler waren die ersten auf seiner Liste.

Die beiden Polizisten hatten nicht mehr lange zu leben.

2.

„Sie beide fahren nach Neuötting in das Fitnessstudio. Und Sie, Grössert, kommen in mein Büro“, bestimmte der Leiter der Mühldorfer Kriminalpolizei Rudolf Krohmer. Seine Laune war heute nicht die beste, denn das, was er bezüglich seines Mitarbeiters Werner Grössert über Umwege erfahren musste, ärgerte ihn maßlos.

Leo Schwartz und die Kollegin und Vorgesetzte Tatjana Struck standen auf. Es gab eine anonyme Anzeige gegen das Fitnessstudio wegen illegalem Handel mit Anabolika und niemanden wirklich schockierte.

„Wann warst du zum letzten Mal in einem Fitnessstudio?“, wollte Leo von Tatjana wissen. Die beiden waren nicht oft gemeinsam unterwegs. Normalerweise arbeitete Leo sonst mit Hans Hiebler zusammen, der aber war mit seiner Freundin im Urlaub auf Mauritius und plantschte vermutlich gerade im indischen Ozean.

„Ich gehe doch in kein Fitnessstudio! Gott bewahre! Machst du dich lustig über mich?“

„Natürlich nicht! Ich habe schon seit Jahren keinen Sport mehr gemacht, was sich langsam rächt. Je älter ich werde, desto mehr schmerzen meine alten Knochen.“ Leo lachte, obwohl ihn das Thema schon länger beschäftigte. Ja, er hatte einige Kilos zugenommen, was ihn nicht weiter störte. Was ihm Sorgen bereitete war, dass er jede Bewegung spürte. Manchmal hatte er Schmerzen an Stellen, von denen er nicht einmal wusste, dass er sie hatte. Ob er mit seinen vierundfünfzig Jahren nun auch langsam zum alten Eisen gehörte?

Tatjana machte sich darüber keine Gedanken. Sie war noch nie die sportlichste gewesen und hatte schon immer Übergewicht – beides störte sie nicht. Viel wichtiger war für sie die Gesundheit, mit der sie seit einer Schussverletzung sowohl physisch, als auch psychisch immer noch zu kämpfen hatte. Es wurde zwar leichter, trotzdem wurde sie fast täglich daran erinnert und das störte sie gewaltig.

Tatjana zündete sich eine Zigarette an, was Leo gegen den Strich ging. Er hielt ihr einen Vortrag über die schädlichen Auswirkungen des Rauchens und Passivrauchens, obwohl er früher selbst starker Raucher gewesen war. Tatjana drehte die Musik des Radios lauter.

„Können wir endlich?“, drängelte sie, da Leo keine Anstalten machte, den Wagen zu starten.

Er drehte den Zündschlüssel und brachte weitere Argumente vor, die gegen das Rauchen sprachen. Dann ging er über zu Tipps, wie sie sich von der Sucht am einfachsten befreien konnte. Tatjana war genervt und drehte das Radio abermals lauter. Dadurch hörten beide die Handys nicht, die mehrfach klingelten.

Dass Leo und Tatjana verfolgt wurden, bemerkten sie nicht. Leo war durch seinen Vortrag abgelenkt, Tatjana konzentrierte sich auf die Musik, wobei sie sich demonstrativ eine Zigarette nach der anderen anzündete, um Leo zu ärgern.

„Warum muss ich aus München von Ihrer Bewerbung erfahren?“, kam Rudolf Krohmer sofort auf den Punkt. Um in aller Ruhe mit Grössert sprechen zu können, hatte er das Telefon zu seiner Sekretärin umgeleitet und das Handy stummgeschaltet. Auch Werners Handy war aus, denn er ahnte, worum es bei dem Gespräch ging und wollte dabei nicht gestört werden. Hätte er doch nur auf seine Frau gehört, die ihm mehrfach geraten hatte, Krohmer gegenüber mit offenen Karten zu spielen! Aber das war leichter gesagt als getan. Schlussendlich hatte er sich dazu entschlossen, nichts zu sagen, denn schließlich wusste er nicht, wie die Bewerbung entschieden wurde. Wenn er abgelehnt wurde, hätte er viel Staub aufgewirbelt. Der zweiundvierzigjährige Werner Grössert blieb äußerlich ganz ruhig, innerlich brodelte es. Er schämte sich fast dafür, dass er Krohmer nicht ins Vertrauen gezogen hatte, aber nur fast. Werner hatte sich vor über zwei Monaten für einen sehr interessanten Job beim Innenministerium München beworben. In der Stellenausschreibung fühlte er sich angesprochen, auch wenn die Arbeitsbeschreibung keine direkte Polizeiarbeit beinhaltete. Jetzt war es so weit: Krohmer hatte Wind davon bekommen.

„Ich habe meine Chancen sehr gering eingeschätzt und wollte die Pferde nicht scheu machen.“

„Aha. Gefällt es Ihnen bei uns in Mühldorf nicht mehr? Sind die Aufgaben nicht anspruchsvoll genug? Erklären Sie mir, warum Sie uns verlassen wollen!“

„Sie wissen sehr gut, dass ich mich in Mühldorf wohlfühle. Trotzdem möchte ich mich weiterentwickeln. Ich bin jetzt zweiundvierzig Jahre alt und muss zusehen, dass ich beruflich weiterkomme. Können Sie das nicht verstehen?“

Krohmer lehnte sich zurück. Er verstand Grössert und seinen Wunsch, auf der Karriereleiter nach oben klettern zu wollen, sehr gut. Trotzdem ließ er ihn nur sehr ungerne gehen. Seine Mannschaft war für seine Begriffe perfekt und jetzt würde ein wichtiger Teil wegbrechen. Außerdem mochte er Grössert gerne. Die beiden kannten sich schon seit vielen Jahren und Krohmer konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Grössert nicht mehr da sein würde.

„Doch, ich verstehe Sie. Ich werde Sie vermissen, Grössert.“

„Soll das heißen….?“

„Ja, Sie haben den Job. Der Innenminister hat mich heute angerufen. Ihre Chancen waren nicht so gering, wie Sie sie eingeschätzt haben. Sie sind perfekt für die Stelle. Persönlich bin ich enttäuscht, dass ich das nicht von Ihnen davon erfahren habe, muss das aber so hinnehmen. Es schmerzt mich, Sie in Kürze nicht mehr zum Team dazuzählen zu dürfen. Trotzdem wünsche ich Ihnen alles Gute.“ Krohmer stand auf und reichte ihm die Hand. „Das Fax soll ich Ihnen überreichen, die Unterlagen bekommen Sie per Post. Am ersten November geht es los.“

„Vielen Dank, Chef.“ Mehr konnte Werner Grössert nicht sagen. Er überflog das Fax, das persönlich vom Innenminister unterschreiben war. In den wenigen Zeilen wurde die Stelle bestätigt. Die Zukunft in München, von der er und seine Frau seit Wochen träumten, wurde nun Realität. Seine Frau hatte ein Jobangebot in München, das sie jetzt annehmen konnte. Außerdem hatten die beiden eine kleine Tochter, an die sie denken mussten. In München gab es nun mal sehr viel mehr Möglichkeiten für die Zukunft der Kleinen, davon waren sie beide überzeugt. Werner lächelte, als er Krohmer die Hand schüttelte. Ihm lag eine Entschuldigung auf der Zunge, aber dazu konnte er sich nicht durchringen. Es war sein gutes Recht gewesen, sich zu bewerben und dafür musste er sich nicht rechtfertigen. Er verstand Krohmers Enttäuschung, an der er aber nichts mehr ändern konnte. Jetzt musste er so schnell wie möglich seine Frau anrufen, um ihr die gute Nachricht mitzuteilen.

Maria Rettermaier, Krohmers fünfunddreißigjährige Sekretärin, nickte Werner Grössert nur zu, als der mit einem fetten Grinsen das Büro des Chefs verließ. Sie wusste, was die beiden zu besprechen hatten und hatte Mitleid mit ihrem Chef, dem das nicht leichtgefallen war. Sie stand auf und klopfte zaghaft.

„Alles klar, Herr Krohmer?“

„Geht so. Könnten Sie bitte dafür sorgen, dass ich für zwanzig Minuten meine Ruhe habe? Vertrösten Sie alle Anrufer, um die kümmere ich mich später. Erfinden Sie irgendeine Ausrede, Ihnen fällt sicher etwas Passendes ein. Würden Sie das für mich tun?“ Sollte Maria ihm sagen, dass der Staatsanwalt mehrfach angerufen hatte? Nein, das konnte warten.

„Mache ich gerne.“ Leise schloss sie die Tür. Als sie sich umdrehte, stand der Staatsanwalt Eberwein vor ihr.

„Ich muss dringend Herrn Krohmer sprechen. Er ist doch da, oder?“ Sie spürte, dass etwas passiert sein musste, denn der Staatsanwalt war sehr aufgeregt.

„Das geht leider nicht. Kommen Sie in einer halben Stunde wieder.“

„Mein Anliegen kann nicht warten.“ Eberwein versuchte, sich an Maria Rettermaier vorbeizudrängeln, aber sie ließ das nicht zu. Die stämmige, kleine Frau stellte sich ihm entschlossen entgegen. Eberwein wich zurück. Er war schon einmal mit der resoluten Sekretärin aneinandergeraten und das war ihm nicht gut bekommen. „Ich flehe Sie an, Frau Rettermaier: Ich muss Herrn Krohmer sprechen, es ist dringend!“

Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte dem Chef versprochen, ihn in Ruhe zu lassen. Konnte man ihm die zwanzig Minuten nicht zugestehen?

„Nein!“, war die klare Antwort.

„Was ist mit den Kollegen Schwartz, Hiebler, Struck und Grössert? Ich kann niemanden erreichen!“

„Herr Hiebler ist im Urlaub, der Glückliche ist auf den Mauritius. Herr Grössert war eben noch hier, er kann nicht weit sein. Wo die anderen beiden sind, kann ich Ihnen nicht sagen. Haben Sie es schon auf deren Handys versucht?“

„Selbstverständlich! Denken Sie, ich bin bescheuert? Natürlich habe ich mehrfach angerufen, aber es meldet sich niemand.“

„Diesbezüglich kann ich Ihnen nicht helfen. Ich kann Ihnen nur raten, es weiterhin zu versuchen. Gehen Sie in die Kantine und trinken Sie einen Kaffee. Ich sehe zu, was ich inzwischen für Sie wegen eines Gesprächs mit Herrn Krohmer machen kann. Geben Sie mir zwanzig Minuten, okay?“

Eberwein zögerte. Die Rettermaier war stur und würde ihn nicht durchlassen. Was blieb ihm anderes übrig, als ihrem Rat zu folgen? Er hatte wieder und wieder versucht, die Kriminalbeamten zu erreichen, aber die gingen nicht an ihre Handys. Hiebler war in Sicherheit, um den musste er sich keine Sorgen machen. Zum Glück konnte er wenigstens ihn von der Liste streichen. Wütend und enttäuscht drehte er sich um und ging in die Kantine, wo er sich einen Kaffee holte. Am Tisch angekommen, versuchte er erneut, Schwartz, Struck oder Grössert zu erreichen. Jetzt war Grösserts Nummer belegt, an ihm musste er dranbleiben, denn der lief hier irgendwo im Präsidium herum. Warum erreichte er nicht einen der Kriminalbeamten? Was war da nur los?

Werner Grössert hatte lange und ausführlich mit seiner Frau telefoniert. Die beiden waren euphorisch und machten in den schillerndsten Farben Zukunftspläne. Als er aufgelegt hatte, sah er die Nummer auf seinem Display, die mehrfach versucht hatte, ihn zu erreichen. Diese Nummer war Werner bekannt, der Staatsanwalt wollte ihn also auch sprechen. Werner befürchtete, dass er sich ebenfalls bezüglich der Bewerbung äußern wollte und darauf hatte er jetzt keine Lust. Er wollte sich die gute Laune nicht verderben lassen, von niemandem. Der Rückruf konnte warten. Jetzt musste er erst dringend zur Toilette, die Aufregung war ihm auf den Magen geschlagen.

Auch Tatjana und Leo bemerkten bei ihrer Ankunft vor dem Fitnessstudio in Neuötting die Nummer auf ihren Handys.

„Der Staatsanwalt hat mehrmals angerufen“, sagte Tatjana verwundert.

„Bei mir auch. Sollen wir ihn zurückrufen?“

„Ich nicht, übernimm du das. Nachdem du mir während der Fahrt ununterbrochen auf die Nerven gegangen bist, kann ich den Staatsanwalt nicht auch noch brauchen“, sagte Tatjana genervt.

Leo konnte auf den unsympathischen Mann vorerst auch verzichten und folgte Tatjana, die bereits an der Eingangstür des Fitnessstudios wartete. Für einen kurzen Moment war Tatjana irritiert: War das da hinten nicht der Wagen, den sie mehrmals im Rückspiegel gesehen hatte? Sie wischte den Gedanken beiseite, schließlich glichen sich die Fahrzeuge wie ein Ei dem anderen. Und wer sollte ihnen folgen? Und warum? Wurde sie durch ihren Job jetzt auch schon paranoid? Sie kannte das von vielen Kollegen, die von Jahr zu Jahr immer misstrauischer wurden und denen alles und jeder verdächtig vorkam. Wurde sie jetzt auch schon komisch? Vielleicht brauchte sie einfach nur Urlaub. Das letzte Mal, als sie sich erholen konnte, war lange her. Sie war nicht paranoid, sie war nur urlaubsreif. Es war jetzt auch für sie endlich an der Zeit, mal so richtig auszuspannen.

Carter Waves war wütend. Er hatte herausgefunden, dass Hans Hielber im Urlaub war. Ein Telefonat mit der Zentrale der Mühldorfer Polizei hatte genügt, um an diese Information zu kommen. Verdammt, damit hatte er nicht gerechnet. Er atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen, auch wenn ihm das sehr schwerfiel. Waves war schon immer aufbrausend, fast cholerisch gewesen, was ihm in der Vergangenheit stets Ärger einbrachte. Diesmal musste er sich zusammenreißen und ruhig bleiben. Nicht auszudenken, wenn er diesen Job vermasselte! Schließlich zählte John auf ihn und diesmal wollte er ihn nicht enttäuschen. Es gab eine Planänderung, die er nicht zu verantworten hatte und die er akzeptieren musste. Gut, dann musste er eben mit seiner Rache an Hiebler warten, bis der aus dem Urlaub zurück war, was kommenden Sonntag der Fall sein würde. Heute war Donnerstag. Bis Hiebler zurück war, hatte er genug Zeit, um sich um Schwartz und die Alte in Ulm zu kümmern. Zum Glück hatte er noch keinen Rückflug gebucht.

Als Leo Schwartz aus dem Polizeigebäude gekommen war, hatte er ihn sofort erkannt. Die Fotos seiner Opfer, die ihm Bloomberg zusammen mit einem Bündel Geldscheine überreicht hatte, hatte er sich eingeprägt. Diesem Schwartz musste er auf den Fersen bleiben, einen günstigen Moment abwarten und ihn dann abknallen. Nach diesem Job ging es dann direkt nach Ulm. Die Alte würde ein Kinderspiel werden.

Aber jetzt galt seine ganze Aufmerksamkeit vorerst nur Leo Schwartz.

3.

Rudolf Krohmer hatte sich auf seine Couch gelegt und die Augen geschlossen. Das half ihm, wenn er Sorgen hatte und seine Frau nicht erreichbar war. Luise war heute mit einer Freundin beim Shoppen in München und dabei wollte er sie nicht stören. Die wenigen Male, in denen sie sich solch eine Auszeit gönnte, waren sehr rar.

Krohmer war niedergeschlagen. Die Tatsache, dass einer seiner langjährigsten Mitarbeiter in Kürze für immer ging, gefiel ihm nicht. Er mochte Werner Grössert, außerdem hasste er Veränderungen. Aber er musste sich damit abfinden, dass seine gewohnte Mannschaft bald nicht mehr existierte. Jetzt galt es, nach vorn zu blicken und nach einem neuen Kollegen Ausschau zu halten.

Nach noch nicht einmal zwanzig Minuten stand seine Sekretärin vor ihm. Noch bevor er sie anmaulen konnte, bemerkte er ihr Gesicht: Es muss etwas passiert sein.

„Der Staatsanwalt hatte einen Herzinfarkt“, sagte Maria Rettermaier immer noch erschrocken. Die Nachricht kam vor einer Minute rein. „Eberwein ist in der Kantine einfach umfallen.“

„Doch nicht etwa bei uns?“

Maria nickte nur.

„Was wollte Eberwein hier?“

„Er wollte Sie dringend sprechen. Ich bat ihn, in der Kantine einen Kaffee zu trinken, da Sie Ihre Ruhe haben wollten.“

„Ganz ruhig, Frau Rettermaier.“ Krohmer bemerkte, dass seine Sekretärin zitterte. Nahm sie sich die Sache so sehr zu Herzen? „Wie geht es Eberwein?“

„Ich weiß es nicht, die Ärzte sind bei ihm.“

Jetzt verstand Krohmer, dass Eberwein immer noch hier war. Er machte sich sofort auf den Weg zur Kantine. Viele Kollegen hatten sich dort versammelt und beobachteten, was dort gerade geschah. Der Notarzt kümmerte sich um Eberwein, der nicht ansprechbar war. Krohmer drängelte sich an den Schaulustigen vorbei, für die er sich schämte. Als er bemerkte, dass es einige tatsächlich wagten, mit ihren Handys Fotos zu machen oder gar zu filmen, wurde er wütend.

„Unterlassen Sie das! Haben Sie keinen Anstand?“, schrie er die betreffenden Kollegen an, die sofort beschämt ihre Handys einsteckten. „Haben Sie nichts zu tun? Weg hier, aber schnell!“, herrschte er die Kollegen an, die sich daraufhin sofort davonmachten. Dann wandte sich Krohmer an den Notarzt.

„Wie geht es ihm? Kommt er durch?“

„Das kann ich nicht sagen. Wir bringen ihn ins Krankenhaus, dann sehen wir weiter.“

„Hat er noch etwas gesagt?“

„Nur wirres Zeug.“