Die Tore nach Thulien - 5. Episode - Eine alte Macht - Jörg Kohlmeyer - E-Book

Die Tore nach Thulien - 5. Episode - Eine alte Macht E-Book

Jörg Kohlmeyer

0,0

Beschreibung

Vom großen Heerwurm abgedrängt, führt Tristan seine Gruppe in den Norden. Die Zollfeste ist gefallen, alle Gebiete westlich der Leue verloren und der Rückweg vom Feind versperrt. Was bleibt, ist der lange Marsch durch die Kutten und die sorgenvolle Frage nach Shachin. Ob Zufall oder nicht, das tragische Schicksal der Schattenkriegerin klärt sich überraschend schnell. Der Preis dafür jedoch ist hoch, und droht Tristans Ordnung in ihren Grundfesten zu erschüttern. Wiedermal wird offenbar, dass nicht alle sind, was sie vorgeben zu sein. Verrat und Ketzerei halten Einzug in die Gruppe, und stellen Tristan schon bald vor eine schwierige Entscheidung. Der Feind indes ist nicht untätig und treibt die Überlebenden von Schwarzenfels direkt in die Arme der Reisegruppe. Fortan ziehen sie gemeinsam durch die Kutten und machen dabei unbeabsichtigt längst vergessene Kräfte auf sich aufmerksam. Uralte Mächte schicken sich an, aus der Verbannung zurückzukehren und Jahrhunderte alte Fehler zu korrigieren. EINE ALTE MACHT ist die fünfte Erzählung der "Tore nach Thulien", mit der wir euch in die phantastische, glaubwürdige und erwachsene Welt von Thulien entführen möchten. In den drei Buchreihen Wilderland, Leuenburg und Schlachtgesänge geben wir euch die Möglichkeit, aktiv an der Entstehung der Geschichten und dem Ausbau der Welt teilzuhaben. Wir schreiben Geschichten … und ihr könnt mitmachen! Wie genau das funktioniert, und noch weit mehr, erfahrt ihr auf unserer Website Tore-nach-Thulien.de. 1. Auflage Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 228

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jörg Kohlmeyer

Die Tore nach Thulien

Fantasy Roman

 

 

 

Jörg Kohlmeyer

Die Tore nach Thulien

5. Episode – Eine alte Macht

(WILDERLAND)

 

 

Coverhintergrund und Logogestaltung: Diana Rahfoth

Published by Null Papier Verlag, Deutschland

Copyright © 2014 by Null Papier Verlag

1. Auflage, ISBN 978-3-95418-443-9

www.null-papier.de/tnt

 

 

Zum Buch

Danke, dass du mit dem Kauf dieses ebooks das Indie-Literatur-Projekt »Tore nach Thulien« unterstützt! Das ist aber erst der Anfang. Lass Dich von uns zu mehr verführen…

Was sind die »Tore nach Thulien«?

Die „Tore nach Thulien“ sind Dein Weg in die phantastische, glaubwürdige und erwachsene Fantasy-Welt von Thulien. Sie werden Dir die Möglichkeit geben, mit uns gemeinsam an den großen Geschichten zu arbeiten und der Welt mehr und mehr Leben einzuhauchen.

Unter www.Tore-nach-Thulien.de kannst du uns besuchen und Näheres erfahren. Wir freuen uns auf Dich!

Wie kannst du uns heute schon helfen?

Nimm einfach an den regelmäßigen Abstimmungen teil!

Per Mehrheitsentscheid machen wir am Ende der Abstimmungen dann den nächsten Schritt auf unserem gemeinsamen Weg durch Thulien. Wir würden uns freuen, wenn du uns begleitest!

Autor

Jörg Kohlmeyer, geboren in Augsburg, studierte Elektrotechnik und arbeitet heute als Dipl.-Ing. in der Energiewirtschaft. Schon als Kind hatte er Spaß am Schreiben und seine erste Abenteuergeschichte mit dem klangvollen Namen »Die drei magischen Sternzeichen« passt noch heute bequem in eine Hosentasche.

Der faszinierende Gedanke mit Bücher interagieren zu können ließ ihn seit seinem ersten Kontakt mit den Abenteuer Spielbüchern nicht mehr los und gipfelte im Dezember 2012 in seinem ersten Literatur-Indie-Projekt »Die Tore nach Thulien«. Immer dann wenn neben der Familie noch etwas Zeit bleibt und er nicht gerade damit beschäftigt ist, seinen ältesten Sohn in phanatasievolle Welten zu entführen arbeitet er beständig am Ausbau der Welt »Thulien«.

www.Tore-nach-Thulien.de

 

Markenläufer

Hellios meinte es überaus gut mit ihnen. Die letzten beiden Tage hatte er seine Dienerin, die brennende Himmelsscheibe, unbehelligt über das Firmament ziehen lassen. Sie erhellte ihren Weg und wärmte ihre Körper, und jeden Morgen kündete sie aufs Neue vom ewigen Kreislauf, dem sich alles Leben unterordnen musste.

Der Gott des Lichts teilte sich den Lauf der Zeit mit seiner Schwester. Ihm gehörte der Tag, sie hingegen durfte Dunkelheit und Schatten ihr Eigen nennen. Als ungleiche Geschwister rangen sie fortwährend um die Herrschaft in der Welt, und musste sich in ihrem steten Kampf am Ende nur einem unterordnen: Aris, dem Schöpfer allen Seins. Er war der Herr über die Zeit und gab vor, wie lange Tag und Nacht im Lauf des Mondes herrschen durften, und wann sich Winter und Frühling, Sommer und Herbst abzulösen hatten. Von seiner Gunst waren beide abhängig, und immer warfen sie neidvolle Blicke auf den jeweils anderen. Gerne zankten sie um jedes Stundenglas, und gleichwohl sie sich nicht von Aris’ Gesetzen lösen konnten, hatten sie trotzdem ihre eigenen Methoden, dem jeweils anderen die gewährte Zeit so ungemütlich wie möglich zu machen. Beide verfügten über willfährige Diener. So gehorchten ihnen neben Mond und Sonne auch die Winde und Wolken, der Regen und die Flut. Seit Anbeginn der Zeit fochten sie um die Vorherrschaft auf Thulien, und was für Geschwister wären sie, würden sie in Eintracht und Frieden miteinander leben.

Hellios erstarkte dieser Tage wieder und sein Arm reichte weit. Der Winter war auf Aris’ Geheiß verschwunden und hatte sich in sein eisiges Refugium hoch im Norden zurückgezogen. Überall spross das neue Leben, und die Wiesen und Auen, Wälder und Haine erstrahlten in zartem, saftigem Grün.

Felian kümmerte sich nicht sonderlich um den Streit der Götter. Er nahm Hellios’ Sieg zur Kenntnis und genoss den Frühling in vollen Zügen. Trocken und warm machten sich die Grenzgänge an den Stammesmarken einfach am besten. Beim Gedanken an die ungleichen Geschwister warf er schmunzelnd einen Blick auf seine Schwester, die unweit vor ihm durch den wilden Wald hastete.

Eigentlich waren Hellios und Noktis Götter, unnahbar und allmächtig, gleichzeitig dem Menschen aber auch unglaublich ähnlich. Sie stritten und liebten, trauerten und frohlockten gleichermaßen und offenbarten Schwächen, genau wie ihre Kinder. Auch er und Nimriss waren eher ungleiche Geschwister, obwohl ihre Mutter sie mit nur wenigen Augenblicken Abstand in die Welt gepresst hatte. Als Zwillinge geboren, wuchsen sie trotz der inneren Gegensätze in großer Nähe und Zuneigung zueinander auf, und bis heute hatte sich daran, ungeachtet der häufigen Auseinandersetzungen, nichts geändert.

Rasch und zielsicher setzte Felian seine nackten Füße auf den dichten Waldboden. Farn und Unterholz wuchsen mannigfaltig und knorrige Wurzeln überzogen hier und da das Geflecht aus Reisig, Nadeln und Blattwerk. Unwohlsein oder gar Schmerzen spürte er dabei nicht, hatte man ihm doch schon als Kind beigebracht, ohne Schuhwerk durch die Weiten Thuliens zu laufen. Außerdem war er der Natur gerne so nah wie möglich und liebte das Gefühl, nichts zwischen sich und ihrem lebendigen Kleid zu wissen.

Lautlos huschte er seiner Schwester hinterher. Geschickt schlängelte er sich durch das Gewirr aus tief hängenden Ästen und wuchernden Flechten, sprang behände über gefallene Baumstämme oder tauchte unter verknotetem Buschwerk hindurch. Seit zwei Tagen waren sie nun an den südlichen Grenzen unterwegs. Sie spähten und lauschten, und achteten auf alles was geschah. Sie kannten die Lande wie niemand sonst, und keine Veränderung, mochte sie auch noch so klein sein, entging ihren aufmerksamen Augen. Bald würden sie den westlichen Rand des Waldes erreichen und den Blick auf die nördlichen Ausläufer der Grünhügel frei haben.

Felian liebte die Grenzläufe und verbrachte seine Zeit gerne fernab der grünen Hallen. Ausnahmsweise waren er und Nimriss seinerzeit einer Meinung gewesen und beide schon im Kindesalter dem Schwur der Wächter beigetreten. Fortan hatten sie gelernt, sich stets ungesehen und lautlos zu bewegen, die Grenzen des Stammes auch ohne deutliche Hinweise zu erkennen und sie mit ihrem Leben zu schützen. Sie lernten rasch und gerne, und schon bald wurde ihnen die Wächterweihe zuteil. Heute übernahmen sie fast jeden Auftrag an den Ausläufern der Stammesmarken.

So schnell und kraftvoll der Tag gekommen war, ging er auch wieder vorbei. Hellios Kraft erlahmte zusehends und die Schatten wurden länger. Als nur noch ein schwaches Schimmern durch die Bäume drang blieb Nimriss stehen. Sie entschied zu rasten und Noktis Stunden im dichten Blattwerk auf den Bäumen zu verbringen. Die Grenzen waren nah und der Boden weitaus gefährlicher als die Höhen der Bäume.

Gekonnt kletterten sie an deren ausladenden Ästen nach oben und richteten sich auf zwei besonders großen ein. Außer den Waffen, ihren ledernen Wasserschläuchen samt Beutel und den mit wundersamen Symbolen reich verzierten Wildlederkleidern am Leib trugen sie nichts bei sich und alles war schnell geschehen. Nimriss verschwand und erschien kurze Zeit später mit einer Handvoll Kronenblüten. Sie wuchsen ganz oben in den Baumspitzen und waren schwer zu pflücken. Stumm teilten sie das bisschen Essen. Die Knospen schmeckten weich und leicht süßlich. Viel war es nicht, zum Überleben aber reichte es. Zumal sie bald wieder ein Feuer machen und jagen gehen konnten.

»Noktis wird bald hier sein. Bete, heiße sie willkommen und lege dich dann schlafen. Wir werden morgen noch vor der Dämmerung aufbrechen.« Nimriss kaute auf einer der Blüten herum und warf Felian einen mahnenden Blick zu.

Er wusste genau, worauf sie anspielte. Es war jeden Abend dasselbe. Kaum dass sie im Licht der Dämmerung gegessen hatten, erging sich seine Schwester auch schon in frommen Gebeten und huldigte der Ankunft von Noktis, der schwarzen Tochter Aris’. War die immerfort brennende Himmelsscheibe dann endgültig verschwunden, legte sie sich hin und unterwarf sich friedvoll schlafend ihrer Herrschaft.

Ganz im Gegensatz zu ihr mochte er den Tag aber nicht so schnell zu Ende gehen lassen. Auch fürchtete er Noktis’ Ankunft nicht, sondern freute sich darauf. Mit ihr legte sich dunkle Stille auf das Land und Frieden kam über die Welt. Unter ihrem Kleid fand er die Ruhe, über Hellios’ Taten nachzudenken und, wenn nötig, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Außerdem wollte er nicht schlafen. Genauer gesagt hatte er Angst davor. Seit Tagen plagte ihn Nacht für Nacht der immergleiche Traum und er hatte keine Lust, sich schon wieder in den abgründigen Tiefen seines Unterbewusstseins zu verlieren. Und natürlich dachte er überhaupt nicht daran, sich derart unterwürfig einer Göttin wie Noktis unterzuordnen. Er respektierte sie wie all die anderen Götter, ausgenommen einer vielleicht, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Nimriss störte sich daran, ihm jedoch war das herzlich egal. Sobald sie sich aber in sein Bild der Götter einmischen wollte, schaltete er auf stur. Wenn es darauf ankam, würde er bedingungslos auf seine Schwester hören, dazu war sie einfach eine zu begnadete Wächterin, die Wahl eines Gottes jedoch war jedem selbst überlassen und niemand, so schrieb es das Gesetz vor, durfte daran Anstoß finden.

Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. »Die schwarze Tochter kommt und geht, und das am Ende eines jeden Tages. Es ist immer das Gleiche, seit Anbeginn der Zeit. Warum also muss ich frommer als die Frommsten unseres Volkes sein?«

Nimriss atmete tief ein und seufzte. »Weil wir nicht zuhause sind und jedes bisschen Kraft gebrauchen können. Gib dich Noktis hin und sie schenkt dir Mut und Ausdauer für den neuen Tag. Widersetze dich ihrem Willen und der nächste Gang mit Hellios wird furchtbar sein.«

Er verzog den Mund. Ihre Worte klangen wie die eines Gelehrten der Zwölf, doch wirkten sie auf ihn gleichzeitig schrecklich abgegriffen und auswendig gelernt. Hatte sie wirklich nichts Besseres auf Lager?

»Du redest schon beinahe wie Vater. Er hat mir auch immer von Noktis’ Strafen und Hellios’ Unbarmherzigkeit erzählt.« Felian rümpfte die Nase, schob sich die letzte Blüte in den Mund und lehnte sich an den Baumstamm. Dass ihm trotz aller Gelassenheit plötzlich Zweifel kamen ärgerte ihn ungemein. War Noktis vielleicht für seine schrecklichen Träume verantwortlich?

»Ein Grund mehr darauf zu hören. Vater weiß, wovon er spricht.« Nimriss legte sich rücklings auf den großen Ast.

Felian dachte nach und hob dann belehrend einen Finger. Seine Bedenken von eben wischte er trotzig beiseite. »Ihr irrt euch beide. Hast du schon mal daran gedacht, dass Hellios gerade jene, die sich Noktis widersetzen, besonders lieb gewinnen könnte? Er findet bestimmt Gefallen an den Widersachern seiner Rivalin. Vor allem an den Unverhofften.«

Kurz warf Nimriss ihre Stirn in Falten, schüttelte dann aber entschieden den Kopf. »An allen anderen bestimmt, aber nicht an dir. Mit deinem ermüdenden Gerede spielst du nämlich Noktis in die Arme.« Sie gähnte übertrieben und schloss die Augen.

Felian lächelte verschmitzt. »Und wieder liegst du falsch. Auf diese Art diene ich nämlich beiden und verärgere weder den einen noch den anderen. Noktis bekommt dich und Hellios darf sich meiner erfreuen.« Zufrieden verschränkte er die Arme hinter dem Kopf.

Nimriss setzte sich zornig auf. »Schluss mit diesen doppelzüngigen Reden, Felian! Die Götter sind nicht so wankelmütig wie du und mögen kein doppeltes Spiel. Eifersüchtig schauen sie auf jene, die sich einmal entschieden haben.«

Ihre Stimme bebte und Felian konnte die plötzliche Angst seiner Schwester spüren. Eigentlich war sie, mal abgesehen von ihrem Vater, die tapferste Wächterin, die er kannte, aber vor den Göttern hatte sie schon immer gehörigen Respekt gehabt.

Ehrfurcht kannte er natürlich auch, doch schlug die bei ihm deswegen noch lange nicht in beinahe schon panische Angst um. Außerdem hatte er sich längst für einen Gott entschieden, und weder Noktis noch Hellios waren dabei. Das aber war sein Geheimnis. »Ich bin mir sicher, dass Noktis und Hellios kein großes Interesse an mir haben. Ich glaube sogar, sie wissen nicht einmal, dass es mich gibt.«

»Niemand kennt die Wege der Götter! Und wer weiß schon, auf welchem Gesicht ihre Augen gerade liegen.« Nimriss senkte ehrfürchtig den Kopf und schlug mit der Hand ein frommes Glaubenszeichen.

Felian lachte leise auf. »Jedenfalls nicht auf meinem. Eine derartige Bedeutung maße ich mir nicht an.«

Nimriss warf ihm einen vernichtenden Blick zu, sagte aber nichts mehr. Schnaubend und mit zu schmalen Schlitzen verengten Augen drehte sie sich um und begann murmelnd mit ihren Gebeten. Für sie war das Thema damit erledigt und Felian hatte wieder seine Ruhe. Auch nicht das Schlechteste.

Irgendwann hörte das Flüstern auf und Nimriss schlief ein. Ruhig und gleichmäßig atmete sie fortan die frische Nachtluft. Die Arme hatte sie um den dicken Ast geschlungen und die Hände darunter ineinander gefaltet.

Lange hatte es gedauert diese Haltung zu lernen, und noch viel länger sie wirklich zu verinnerlichen. Viele Male waren sie auf dem Weg dahin im Schlaf heruntergefallen und hatten schmerzhafte Blessuren davongetragen. Irgendwann jedoch bestanden auch sie die Freie Nacht und durften sich fortan Markenläufer nennen. Heute war es ihnen in Fleisch und Blut übergegangen. Ihr Geist hatte sich daran gewöhnt und die Notwendigkeit dieser Art zu schlafen akzeptiert. Sie dachten nicht mehr darüber nach und ihr Körper stellte sich von ganz alleine darauf ein.

Felian beobachtete seine Schwester. Jetzt da sie schlief, sah es so aus, als gebe sie sich nicht Noktis, sondern eher dem Baum in liebevoller Erwartung hin. Er schmunzelte. Vielleicht sollte er sie morgen mal darauf ansprechen. Sie würde ihm dann bestimmt einen Vortrag halten und mit genauso abgehalfterten Worten wie eben erklären, dass man Aris’ Geschöpfe doch nicht verunglimpfen und seine Werke ehren solle. Gut möglich, dass sie ihm aber auch einfach einen Schlag auf den Hinterkopf verpassen würde. Ihrem Temperament wäre es zumindest zuzutrauen.

Er konnte sich noch gut an die letzte Diskussion kurz vor ihrem Aufbruch erinnern. Ihr Vater hatte ihnen die Route für den Markenlauf erklärt und wieder einmal von der großen Bedrohung im Süden gesprochen. Kurz darauf hatten sie sich fertig gemacht und Felian erlaubte sich eine harmlose Frage.

»Meinst du, wir finden etwas?«, wollte er eher beiläufig von seiner Schwester wissen, als er den Lederschlauch in das klare, kalte Wasser der Lebensquelle mitten im Dorf tauchte. Die ringförmigen Wellen ließen das große Blätterdach auf der Wasseroberfläche augenblicklich tanzen und verwandelten das dunkle Grün in glitzerndes Silber.

Nimriss packte gerade ihre Sachen und zuckte mit den Schultern. »So Aris will.«

»Nur mal angenommen, dass Aris genau das im Sinn hat. Das Finden meine ich. Was machen wir dann?« Felian stand auf und verkorkte den hölzernen Verschluss des Beutels. Ganz unbedarft suchte er das Gespräch natürlich nicht. Der Alptraum der letzten beiden Tage beunruhigte ihn, und er wurde das Gefühl nicht los, dass er irgendwie im Zusammenhang mit den Entwicklungen der letzten Monde stand.

Nimriss seufzte und schob ihren Dolch in die mit Fell besetzte Scheide. Nur der Griff aus Knochen schaute noch raus. »Du kennst unsere Gesetze, Felian. Jeder, der die Stammesgrenzen ungefragt überschreitet, muss sterben.« Sie unterstrich ihre Worte mit einer eindeutigen Geste.

»Und was, wenn er keiner von denen ist?«

»Das spielt keine Rolle. Das ist das Land der zwölf Stämme Thuliens und niemand von außerhalb ist hier willkommen.«

Felian kaute auf seiner Unterlippe herum und dachte über ihre Worte nach. »Nicht jeder, der aus dem Süden kommt, ist ein Anhänger der Feuerpriester und ihrer abscheulichen Herrin. Und wenn Vater Recht behält, dann werden vielleicht bald Unschuldige unsere Grenzen überschreiten wollen. Müssen die auch alle sterben?« Er sah Nimriss aufmerksam und auch ein wenig provokant an. Ihn störte die naive Kopflosigkeit, mit der sie manchmal durchs Leben ging.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah kurz in das dichte Blattwerk der Baumkronen. »Vater wird sogar ganz sicher Recht behalten. Das war schon immer so.« Sie schmunzelte und fuhr sich anschließend verschwörerisch mit der Zunge über die Lippen. »Nun ja, fast immer. Aber genau deshalb werden wir tun, was er sagt: die Grenzen schützen und wachsam sein. Die Prophezeiung wird sich erfüllen und der große Konflikt den Süden verzehren. Uns aber geht das nichts an. Wir halten uns heraus und töten jene, die unsere Grenzen überschreiten.«

Felian wollte nicht glauben was er da hörte. War das noch seine Schwester? »Kann soviel Ignoranz wirklich dein Ernst sein, Nimriss? Feuerpriester oder Seelenlose zu jagen ist richtig. Sie wollen uns Böses und bedrohen unsere Art zu leben. Unschuldige Flüchtlinge aber haben ein Recht auf Hilfe.« Mit Schaudern dachte er an die kopflosen Rehe aus seinen Träumen.

Nimriss sog scharf die Luft ein. »Rede keinen Unsinn Felian! Die Lakaien der Herrin aus dem Süden verfolgen uns schon immer. Glaubst du etwa, ihre normalen Anhänger wüssten das nicht? Denkst du wirklich, die machen das nicht auch in ihrem Namen? Die halten uns doch alle für gottlose Heiden und Wilde. Für die bist du nicht mehr wert als die Scheiße eines Kaiths. Und jetzt, da sie bald voller Angst und Schrecken angekrochen kommen, sollen wir ihnen auch noch helfen?«

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Oh nein Bruderherz! Jeder, der das Land der Stämme mit seiner Anwesenheit besudelt, wird sterben. Wir sind Wächter, Felian, vergiss das nicht. Wir haben geschworen, die Grenzen zu beschützen. Unserem Schwur allein verdankt das Volk der zwölf Stämme sein Fortbestehen. Nur durch die rigorose und harte Auslegung der Gesetze konnten wir hier oben im Norden überleben.«

Felian schüttelte traurig den Kopf. Wieder eine dieser Phrasen. »Dass du an die Prophezeiung glaubst war mir klar. Aber dass du sie dann komplett ignorierst und nicht wissen willst, was wirklich dahinter steckt, wundert mich doch. Vielleicht sollten wir mit ihnen reden bevor wir sie töten.« Insgeheim ging es ihm um den Traum. Er hatte etwas zu bedeuten, da war er sich sicher. Kaum das er davon sprach wurde er auch schon wieder lebendig und drohte aus seinem Gefängnis auszubrechen. Bisher hatte das Licht des hellen Tages ihn zurückgehalten.

Nimriss verzog geringschätzig den Mund. »Was können die uns schon erzählen? Was wissen die im Süden von der Prophezeiung?«

Felian fuchtelte unheilvoll mit den Armen. »Womöglich wer oder was diese Alte Macht sein soll, die dem Süden Tod und Verderben bringen wird.«

Nimriss’ Miene wurde hart wie Stein. »Die kümmert mich nur insoweit, als das sie dem Reich dieser dreckigen Hure endlich den Garaus macht. Sie wird unser Problem ein für alle Mal lösen.«

»Oder unser nächstes werden«, ergänzte Felian sofort. »Wer sagt dir, dass sie vor den Marken halt macht und nicht auch unser Land verwüstet?«

Nimriss schnaubte. »Bei Aris Felian! Hör endlich auf mit diesen Fragen. Weißt du was dein Problem ist? Du denkst zu viel nach und lässt dich von deiner eigentlichen Bestimmung ablenken. Lass es sein und erfülle deine Pflicht!« Jetzt wurde sie richtig wütend.

Felian seufzte. »Also gut, dann werde eben Alte und Kranke, Frauen und Kinder niedermetzeln. Ich hoffe Aris findet Gefallen daran wenn es in seinem Namen passiert.«

Ohne Vorwarnung trat Nimriss plötzlich auf ihn zu und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. »Sprich nicht so herablassend und zynisch über die Wege der Götter! Und jetzt sieh zu, dass du endlich fertig wirst. Wir brechen sofort auf. Ich bin dein dummes Geschwätz leid.«

»Verdammt Nimriss! Ich wollte nur wissen wie weit du wirklich gehen würdest. Jetzt weiß ich es und umso mehr hoffe ich, dass die Prophezeiung nichts weiter als Humbug und Spinnerei ist. Ich glaube sowieso nicht daran.« Er war wütend, keine Frage, doch stärker als die Wut in ihm war die Hoffnung, dass der Glaube allein Schreckliches verhindern konnte.

Nimriss wurde hochrot vor Zorn. Noch einmal hob sie die Hand, ließ sie dann aber wieder sinken. »Die Prophezeiung wird sich erfüllen und unser aller Erlösung vom Joch der Verfolgung sein. Ob du daran glaubst oder nicht spielt keine Rolle. Sei froh, dass Vater deine Worte nicht gehört hat. Seine Strafe würde ganz anders ausfallen.« Sie maß ihn zornig und machte kehrt.

Nach dieser Auseinandersetzung hatten sie lange nicht mehr miteinander geredet. Den ganzen ersten Tag der Reise verbrachten sie schweigend und jeder für sich. Keiner sprach ein Wort und mehr als die übliche Zeichenverständigung über Pausen und Ziele kam nicht zustande.

Felian erinnerte sich noch gut an den brennenden Schmerz auf seiner Wange und bis jetzt wusste er nicht, was an diesem Morgen wirklich zwischen ihnen geschehen war. Schon seit ihrer Kindheit hatten sie sich immer wieder gebalgt und geschlagen, und auch des Öfteren einen Wettstreit daraus gemacht. Wirklich ernst aber war es niemals geworden, geschweige denn, dass sie verstimmt daraus hervorgegangen wären.

Diesmal jedoch war alles anders. Felian fürchtete, dass Nimriss ihre Worte ernst gemeint hatte. Für sie war die Prophezeiung etwas Gutes, etwas das herbeigesehnt und begrüßt wurde, und zur Not auch verteidigt werden musste. Doch wer sagte, dass dem wirklich so war? Wer sagte, dass dieses Unheil vor ihren Grenzen halt machen und nicht auch die Stammlande verheeren würde?

Lange noch dachte er über die letzten beiden Mondläufe, in denen alles angefangen hatte, nach. Zu einem anderen Schluss wie dem bisherigen kam er aber nicht. Für ihn hatten die alten Geschichten mehr mit Legenden denn mit einer Prophezeiung gemein. Augen und Ohren würde er aber trotzdem offen halten. Der Traum kam schließlich nicht von irgendwoher. Möglicherweise nur ein Hirngespinst konnte er genauso gut auch eine Warnung sein. Ihn zu ignorieren wäre in jedem Fall ein Fehler. Er nahm sich vor ihn zu entschlüsseln, doch dazu musste er zu allererst mal eines: beobachten.

Müde rieb er sich die Augen und blickte in die Dunkelheit hinaus. Noktis war angekommen und ihr Kleid lag jetzt vollends über Thulien. Vorsichtig drehte er sich um und umschlang nun auch das Holz des alten Baumes. Ähnlich wie Noktis fiel er rasch in tiefen Schlaf.

Schleichender Tod

Shachin ging stoisch voran. Die eine Hand hatte sie fest auf ihre linke Seite gepresst und mit der anderen zog sie sich an den Baumstämmen vorwärts. Sie fühlte sich schlecht, hielt an ihrem Tempo aber unermüdlich fest. Schweißperlen rannen ihr über Gesicht und Rücken, und die Haare klatschten nass an ihre Stirn. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten, machte ihr aber dennoch ungemein zu schaffen. Die Waffe des Skorpions war vergiftet gewesen, und jetzt fraß sich das tödliche Sekret tief in ihre Eingeweide. Anfangs hatte sie nichts davon gemerkt und den Schnitt trotz seiner Tiefe nahezu ignoriert. Sicherlich tat er weh und behinderte sie stark, doch war er bis dahin nichts was nicht heilen würde. Jetzt aber sah die Sache anders aus.

Die Verletzung eiterte und das Fleisch und die Haut verfärbten sich schwarz. Ohne Hilfe würde es keine Heilung geben, und keine Heilung bedeutete in diesem Fall den Tod. Shachin wusste das, und genau deshalb ignorierte sie ihre Erschöpfung. Sie musste unbedingt zu Linwen und den anderen zurück. Die Wanderpredigerin würde ihr helfen können, dessen war sie sich sicher. Viel Zeit blieb ihr jedoch nicht mehr. Das Gift verteilte sich bereits im Körper und bald würde es anfangen zu wüten. Die Anfänge spürte sie schon jetzt.

Hastig stolperte sie durch das kleine Wäldchen nördlich der Kutten. Fahrig setzte sie dabei einen Fuß vor den anderen. Ihre Bewegungen wurden von Stunde zu Stunde langsamer, und mehr als einmal musste sie sich abstützen, um nicht zu fallen. Ein plötzlicher Husten schüttelte ihren Oberkörper durch und sie verlor das Gleichgewicht. Schnell griff sie nach einem Baumstamm und verlagerte ihr Gewicht. Sie beugte sich vornüber und rang nach Luft. Ihr Atem ging stoßweise und wurde von einem grauenvollen Rasseln begleitet.

Ein Schatten näherte sich von hinten und jemand bückte sich zu ihr herunter. »Wir sollten eine Rast einlegen, Herrin. Euch geht es nicht gut. Ihr müsst Euch ausruhen.« Die Stimme gehörte Rianas Vater. Sie klang ehrlich besorgt.

»Keine Zeit zum Ausruhen!«, presste sie zwischen den Lippen hervor und zog sich am Baumstamm nach oben. Jetzt bereute sie es, die Gefangenen befreit zu haben. Sie wurden mehr und mehr zu einer Last.

Rianas Vater versuchte ihr aufzuhelfen doch Shachin schob ihn grob zur Seite. »Ich brauche deine Hilfe nicht.« Mit glasig flimmernden Augen suchte sie den Blick des Mannes. »Und spar dir die Herrin.«

Sie spuckte aus und ging ein paar Schritte weiter. Kurz darauf musste sie sich abermals an einem Baumstamm festhalten. Erschöpft hielt sie inne. Plötzlich gaben ihre Knie nach und sie sackte zusammen.

Rianas Vater war sofort bei ihr. Erst half er ihr sich zu setzen und dann lehnte er sie vorsichtig an den Stamm. Diesmal wehrte sie sich nicht mehr. »Rasch, sucht Feuerholz!«, rief er den anderen Flüchtlingen zu und zog sich eilig den Überwurf aus.

»Kein Feuer! Der Rauch wird uns verraten«, widersprach Shachin und versuchte aufzustehen. Sie schaffte es nicht.

»Wenn mich nicht alles täuscht hasten wir nun seit über sechs Stunden durch diese Wälder und sind keiner Menschenseele begegnet. Ich denke, das Risiko können wir eingehen. Ihr aber braucht jetzt Wärme. Ihr seid vollkommen unterkühlt.« Sachte deckte er sie mit seinem wollenen Überwurf zu.

Shachin wollte zunächst ablehnen, ließ es dann aber doch geschehen. Ihr war wirklich kalt. Sie zitterte. »Menschen sind für uns momentan keine Gefahr.«

Rianas Vater starrte sie an. Das Fürsorgliche in seinem Blick verschwand und machte einer unausgesprochenen Angst Platz. »Wie meint Ihr das?«

Shachin antwortete nicht sofort, sondern griff sich an die Seite und begann den notdürftigen Verband zu lösen. Er war blutgetränkt und schweißnass. Erst als die Stille unerträglich wurde, sah sie auf und antwortete. »Du weißt genau, wovon ich spreche.«

Kurz hielt er ihrem Blick stand, senkte dann aber den Kopf. Er hatte große Angst. Shachin konnte sie spüren. Zeit also ihn wieder auf andere Gedanken zu bringen. In extremen Situationen war Angst hilfreich und überlebenswichtig, in planbaren und ruhigen Momenten jedoch hinderlich und gefährlich. Sie trübte den Blick auf das Wesentliche und verleitete die Schwachen.

»Auf meinem Rücken, dort wo sich die Halfter kreuzen, steckt eine kleine Ampulle im Leder. Gib sie mir.« Shachin deutete mit vor Erschöpfung zitternder Hand über die Schulter.

Rianas Vater zögerte, suchte dann aber doch nach dem besagten Gefäß. Schüchtern tastete er über den Gurt und wurde kurz darauf fündig. Stumm reichte er ihr die winzige Phiole. Auch seine Hand zitterte.

Shachin löste die eisernen Verschlüsse der Halfter und steifte sie über die Schultern ab. »Jetzt hilf mir den Lederharnisch abzulegen! Öffne die doppelte Verschnürung und lockere den Sitz! Dann ziehst du ihn einfach nach vorne weg!« Sie lehnte sich zur Seite und presste die Lippen aufeinander. Der Schmerz schnitt ihr beinahe die Luft zum Atmen ab.

Rianas Vater tat wie ihm geheißen. Er ging überraschend geschickt vor und es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das lederne Oberkleid entfernt war.

Shachin holte tief Luft. Obwohl sich der Harnisch im Lauf der Jahre perfekt an ihren Körper angepasst hatte und geschmeidig wie eine zweite Haut saß, wurde ihr augenblicklich leichter. Sie setzte sich wieder einigermaßen gerade hin und betrachtete die Wunde. Der Schnitt war ungefähr eine halbe Elle lang und fingertief. Er blutete nicht mehr, seine Ränder jedoch wölbten sich unnatürlich weit nach oben und hatten die Farbe von Pech angenommen. Feine rote Linien zogen sich von dort ins Innere der Verletzung.

Ohne lange zu überlegen griff sie an den Rand des Schnitts, presste die Lippen aufeinander und drückte zu. Sofort explodierte ein fürchterlicher Schmerz in ihrem Kopf. Sie stöhnte auf und ließ wieder los. Ihr Atem ging rasch und stoßweise. Zitternd griff sie nach der Ampulle und öffnete den mit Wachs versiegelten Korkverschluss.

»Du musst die Wunde jetzt soweit wie möglich aufziehen. Nimm beide Hände und warte auf mein Kommando.« Sie nahm ein Stück Holz und schob es sich zwischen die Zähne. Dann hielt sie die Ampulle zitternd über den klaffenden Krater aus verfaulendem Fleisch und getrocknetem Blut. Sie nickte und Rianas Vater öffnete mit sanfter Gewalt den Spalt.