Die Tore nach Thulien - 7. Episode - Vergessene Welten - Jörg Kohlmeyer - E-Book

Die Tore nach Thulien - 7. Episode - Vergessene Welten E-Book

Jörg Kohlmeyer

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Beschreibung

Von den Geschehnissen in Shar Haluth gezeichnet, gehen Tristan und seine Truppe in eine ungewisse Zukunft. Als Gefangene der Zwölf Stämme werden sie nach Falkenwacht gebracht, wo die Versammlung der Ältesten über sie richten soll. Felian erfährt derweil am eigenen Leib, dass die Hellen keinen Unterschied zwischen dem Reich der Herrin und den Stämmen Thuliens machen. Er beschließt seinem Volk die Augen zu öffnen, muss jedoch schon bald erkennen, dass die wahre Bedrohung gar nicht außerhalb der Stammlande zu suchen ist. Der Feind im Innern greift nach dem Vorsitz im Rat und das Ringen um die Macht zwischen Bär und Hirsch beginnt. VERGESSENE WELTEN ist die siebte Erzählung der "Tore nach Thulien", mit der wir euch in die phantastische, glaubwürdige und erwachsene Welt von Thulien entführen möchten. In den drei Buchreihen Wilderland, Leuenburg und Schlachtgesänge geben wir euch die Möglichkeit, aktiv an der Entstehung der Geschichten und dem Ausbau der Welt teilzuhaben. Wir schreiben Geschichten … und ihr könnt mitmachen! Wie genau das funktioniert, und noch weit mehr, erfahrt ihr auf der Website Tore-nach-Thulien.de. 1. Auflage Null Papier Verlag

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Jörg Kohlmeyer

Die Tore nach Thulien

Fantasy Roman

 

 

 

Jörg Kohlmeyer

Die Tore nach Thulien

7. Episode – Vergessene Welten

(WILDERLAND)

 

 

Coverhintergrund und Logogestaltung: Diana Rahfoth

Published by Null Papier Verlag, Deutschland

Copyright © 2014 by Null Papier Verlag

1. Auflage, ISBN 978-3-95418-546-7

www.null-papier.de/tnt

 

 

Zum Buch

Danke, dass du mit dem Kauf dieses ebooks das Indie-Literatur-Projekt »Tore nach Thulien« unterstützt! Das ist aber erst der Anfang. Lass Dich von uns zu mehr verführen…

Was sind die »Tore nach Thulien«?

Die »Tore nach Thulien« sind Dein Weg in die phantastische, glaubwürdige und erwachsene Fantasy-Welt von Thulien. Sie werden Dir die Möglichkeit geben, mit uns gemeinsam an den großen Geschichten zu arbeiten und der Welt mehr und mehr Leben einzuhauchen.

Unter www.Tore-nach-Thulien.de kannst du uns besuchen und Näheres erfahren. Wir freuen uns auf Dich!

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Per Mehrheitsentscheid machen wir am Ende der Abstimmungen dann den nächsten Schritt auf unserem gemeinsamen Weg durch Thulien. Wir würden uns freuen, wenn du uns begleitest!

Autor

Jörg Kohlmeyer, geboren in Augsburg, studierte Elektrotechnik und arbeitet heute als Dipl.-Ing. in der Energiewirtschaft. Schon als Kind hatte er Spaß am Schreiben und seine erste Abenteuergeschichte mit dem klangvollen Namen »Die drei magischen Sternzeichen« passt noch heute bequem in eine Hosentasche.

Der faszinierende Gedanke mit Bücher interagieren zu können ließ ihn seit seinem ersten Kontakt mit den Abenteuer Spielbüchern nicht mehr los und gipfelte im Dezember 2012 in seinem ersten Literatur-Indie-Projekt »Die Tore nach Thulien«. Immer dann wenn neben der Familie noch etwas Zeit bleibt und er nicht gerade damit beschäftigt ist, seinen ältesten Sohn in phanatasievolle Welten zu entführen arbeitet er beständig am Ausbau der Welt »Thulien«.

www.Tore-nach-Thulien.de

 

In die Wildnis

Tristan betrachtete immer wieder seine verwundete Hand. Außer dem Daumen konnte er keinen der Finger bewegen, und selbst wenn es ihm gelänge, er würde freiwillig darauf verzichten. Der Schnitt schmerzte höllisch und machte ihm ungemein zu schaffen. Derart verwundet, war er noch nie aus einem Gefecht gegangen. Gesehen hatte er schon Vieles, doch außer oberflächlichen Schnitten und Schrammen bisher nichts Vergleichbares am eigenen Leib erfahren. Die Klinge des Hellen hatte ihn genau zwischen Ring- und Mittelfinger erwischt. Sie war mit ungeheurer Wucht eingedrungen, hatte Fleisch und Knorpel sauber getrennt und war erst kurz vor dem Handballen zum Stehen gekommen. Ihren Zweck erfüllt hatte die halsbrecherische Aktion aber dennoch. Er war am Leben, und das allein zählte.

Linwen hatte sich gleich um seine Hand gekümmert. Das inzwischen mit allerlei Flechten, Harz und krustigem Blut verschmierte Wolltuch presste die Finger beiderseits des Schnittes noch immer fest zusammen. Es hatte die Blutung gestoppt und verhinderte nun ein Aufklaffen der Wunde. Die Wanderpredigerin hatte den Stoff sehr gut gewickelt, und Tristan konnte seinen Arm beinahe normal bewegen. Bei der Schwere der Verletzung wirklich eine Meisterleistung.

Es war noch nicht lange her, dass sie die alte Ruine durch den Spalt im Mauerring verlassen hatten. Vielleicht ein halbes Stundenglas, wenn überhaupt. Der Turm war schnell aus dem Blickfeld verschwunden, und jetzt arbeiteten sie sich durch das Dickicht des Waldes nordwärts. Die fremden Krieger blieben auf Abstand und ließen sie weitestgehend frei laufen. Trotz aller Unwägbarkeiten hielten sie den Kreis um Tristan und seine Leute jedoch geschickt aufrecht. Sie sahen sich aufmerksam um, hatten aber immer auch ein Auge auf die Gefangenen. Trifteten die zu weit auseinander, zogen sie den Kreis einfach enger und bestimmten die Richtung neu. Tristan fiel auf, dass sich die Krieger sehr selbstsicher und gekonnt durch den Wald bewegten. Ganz im Gegensatz zu seiner Truppe, schlängelten sie sich zielstrebig und elegant durch den Irrgarten aus umgefallenen Bäumen, mannshohen Sträuchern und plötzlich auftauchenden Findlingen. Unbestritten waren sie oft in dieser Wildnis unterwegs, wenn nicht gar in ihr zu Hause. In jedem Fall aber kannten sie sich hervorragend aus.

Er hingegen stolperte, auch Dank der unbrauchbaren Hand, mehr schlecht als recht vorwärts. Das Laufen fiel ihm durch den Blutverlust schwer und er war froh, noch einigermaßen mithalten zu können. Der Herrin sei Dank gewöhnte er sich jedoch irgendwann an den eher rhythmischen und geschmeidigen Lauf der unbekannten Krieger. Die Schmerzen in der Hand ebbten auf ein fast erträgliches Maß ab, und er fand sogar wieder die Kraft, die Füße bewusst einen vor den anderen zu setzen. Das Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung ging vorbei, und nach und nach schoben sich die Bilder der letzten Stunden wieder in den Vordergrund.

»Wann starten wir den ersten Versuch?«, erklang plötzlich eine inzwischen wohlbekannte Stimme. Er wandte den Kopf und erkannte Berenghor. Der Riese lief schräg hinter ihm und sah ihn in einer Mischung aus Langeweile und Ungeduld an.

»Was meinst du damit?« Tristan hatte keinen blassen Schimmer, was der Hüne von ihm wollte.

Der stieß auf herablassende Art und Weise die Luft aus und warf ihm einen kritischen Blick zu. »Ich dachte, das Schwert des hellen Bastards hat dich an der Hand und nicht am Kopf getroffen.«

Tristan seufzte. Auf diesen Berenghor hatte er im Moment wirklich keine Lust. Er sah wieder nach vorne und konzentrierte sich auf den Weg.

Der ehemalige Söldner aber ließ nicht locker. »Keine Ahnung, wie’s dir geht, ich aber hab nicht vor, mich noch länger planlos durch den Wald führen zu lassen. Ich mach mich bald vom Acker. Meine Reise ist in diesem grünen Drecksloch definitiv noch nicht zu Ende. Deine sollte das übrigens auch nicht.«

Tristan zog verwundert eine Braue nach oben. Was wollte dieser Dickschädel von einem Söldner? Sich aus dem Staub machen? Bei der Herrin, wie stellte er sich das vor? Natürlich war ihre Reise noch nicht zu Ende, aber momentan blieb ihnen ja wohl nichts anderes übrig, als den unbekannten Kriegern zu folgen.

Er zuckte seufzend mit den Schultern. »Sag mir einfach Bescheid, wenn du soweit bist. Das gute Dutzend Wachen wird dich bestimmt nicht davon abhalten. Warum sollten sie auch? Sich wegen einem ungehobelten Fleischberg wie dir die Mühe machen?« Kurz schüttelte er verständnislos den Kopf und winkte dann ab.

Berenghor hob einen Finger und schloss nun vollends zu ihm auf. Mit einem Seitenblick auf die Wachen senkte er die Stimme. »Komm schon! Allein schaff’ ich das natürlich nicht. Aber zusammen könnten wir was erreichen. Ich dachte mir, du könntest ja vielleicht …« Weiter kam er nicht. Tristan unterbrach ihn unwirsch.

»Was könnte ich vielleicht? Diese bemalten Krieger etwa mit meiner verwundeten Hand verjagen? Oder sie fragen, ob sie uns nicht einfach gehen lassen wollen?« Er schüttelte genervt den Kopf. Auf dieses Geschwätz hatte er nun wirklich keine Lust. Außerdem ahnte er, worauf Berenghor anspielte. Davon aber, wollte er nun wirklich nichts wissen.

»Nur die Ruhe Tristan.« Berenghor hob beschwichtigend eine Hand. »Das, was du vorhin im Turm getrieben hast, das wirkt vielleicht auch bei den Kerlen hier. Keine Ahnung, wie du’s angestellt hast, aber bei den Hellen hat’s funktioniert. Warum also nicht ein zweites Mal versuchen?«

Tristan blieb stehen und sah ihn entgeistert an. Es genügte wohl nicht, dass sich Linwen und die anderen bereits hinter vorgehaltener Hand die Mäuler über diese seltsame Energiewelle zerrissen. Nein, jetzt fingen sie auch schon an, ihn dafür verantwortlich zu machen. Zornig verengte er die Augen zu schmalen Schlitzen.

»Was hat Linwen dir erzählt?«

Berenghor zuckte mit den Schultern. »Na, was soll sie schon erzählt haben. Eben das, was vorgefallen ist.«

»Und was ist vorgefallen?« Tristan hatte da so eine Vermutung, und die gefiel ihm überhaupt nicht. Wut stieg in ihm auf.

»Na, du hast die Hellen mit dieser«, Berenghor machte große Augen und fuchtelte beschwörend mit den Händen herum, »mit dieser Kraft vernichtet. Du hast deine blutige Hand auf den Altar gelegt und dann die Mächte des alten Turms entfesselt. Das Blut, sagte sie«, er hob belehrend einen Finger, und Tristan fand, dass er in diesem Moment unglaublich dämlich aussah, »das Blut war ausschlaggebend. Nur wenige tragen den Schlüssel dafür in sich.«

Tristan glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Wie kam Linwen nur dazu, so einen blasphemischen Unsinn zu erzählen? Blutmagie in der heutigen Zeit? Und dann auch noch durch ihn? Verdammt, wusste sie nicht, was sie da sagte? Oder noch schlimmer: was sie damit anrichten konnte? Dass natürlich ausgerechnet Berenghor diese haarsträubende Geschichte auch noch für bare Münze hielt, brachte das Fass beinahe zum Überlaufen.

»Sie denkt, ich war das?« Seine Augen wurden groß. Verblüfft, und den aufkeimenden Zorn gerade noch so unterdrückend, zeigte er mit dem Finger auf sich selbst. Als Berenghor nichts darauf entgegnete, ging er entschlossen weiter und nickte zornig.

»Ich verstehe. Und einen Moment später behauptet sie wahrscheinlich auch noch, der Segen der Alten Götter sei in mich gefahren, und nur ihm sei es zu verdanken gewesen, dass die Hellen überhaupt vernichtet wurden.« Obwohl ihm nicht danach zumute war, musste er bei diesem absurden Gedanken lachen.

»Ja, genau das hat sie gesagt.« Berenghor versuchte eifrig, mit ihm Schritt zu halten.

Jetzt blieb Tristan stehen und packte ihn mit der gesunden Hand an der Schulter. »Ausgemachter Blödsinn, Berenghor. Ich bin Mitglied der Stadtwache, und der Herrin im Glauben treu ergeben. Die alten Götter würden mich niemals für ihre Zwecke einspannen. Abgesehen davon ist das sowieso alles vollkommener Humbug. Das Geschwätz einer Ketzerin. Nichts weiter. Höre nicht auf sie!« Er machte eine Pause und sah den Söldner eindringlich an.

»Die alten Götter wurden samt ihrer abscheulichen Blutmagie vor über fünfhundert Jahren vernichtet. Die Herrin vertrieb sie und den kläglichen Rest ihrer Anhänger aus Thulien, und mit ihnen ihren falschen und schrecklich fehlgeleiteten Glauben. Die Zeiten der Götzenanbetung und des Chaos sind vorbei! Und daran wird auch eine Ketzerin wie Linwen nichts ändern.«

Berenghor hob beschwichtigend beide Hände. »Schon gut, schon gut, reg dich bloß nicht auf! Eins aber lass’ dir gesagt sein: Irgendwas ist in dem Turm geschehen und hat dafür gesorgt, dass wir beide jetzt hier stehen und uns besonders dämlich über das Wie und Warum streiten können. Und vollkommen gleich, was am Ende dabei rauskommt, wir sollten tunlichst dafür sorgen, dass diese Kraft auch beim nächsten Mal auf unserer Seite steht. Ehrlich gesagt ist es mir sogar scheißegal, ob uns deine Herrin oder die alte Götter unter die Arme greifen, Hauptsache, wir kommen mit dem Leben davon. Dieser Mist ist nämlich noch lange nicht vorbei. Ganz im Gegenteil, meine Knochen sagen mir, dass er gerade erst begonnen hat.« Wütend trat Berenghor nach einer wilden Blume und begrub ihre blaurote Blüte unter seinen schweren Soldatenstiefeln.

Tristan, von der ungewohnt ernsten und weitsichtigen Art des Söldners überrascht, wollte gerade etwas entgegnen, als ihn zwei hölzerne Speerschäfte unsanft daran erinnerten, dass nicht er, sondern seine Bewacher das Tempo vorgaben. Missmutig ging er weiter und rieb sich das malträtierte Schulterblatt. Der brennende Schmerz verschwand schnell, Berenghors markige Worte hingegen blieben.

 

Die Dämmerung war weit vorangeschritten, als die Truppe zum ersten Mal eine Rast einlegte. Von Minute zu Minute wurde es dunkler, und vom Tageslicht war kaum mehr als ein blasser Schein am nächtlichen Himmel geblieben. Fackeln wurden entzündet, und sofort sprenkelten lange Schatten den mit altem Herbstlaub übersäten Boden. Erschöpfung zeichnete sich auf den Gesichtern der Gefangenen ab. Stumm setzten sie sich hin und sprachen nur das Nötigste. Einzig Shachin und Berenghor schienen noch im Vollbesitz ihrer Kräfte zu sein. Die Schattenkriegerin hatte ihre alte Stärke zurückerlangt und verhielt sich still, wie immer. Bei Berenghor war es wohl der aufgestaute Ärger, der ihn nicht schlafen ließ. Er köchelte langsam vor sich hin, und selbst die Rast schien nichts an seiner schlechten Laune ändern zu können. Er ging Tristan aus dem Weg und brummelte immer wieder leise vor sich hin.

Tristan nahm es ihm nicht übel und ließ ihm seine Ruhe. Berenghor war nicht ganz zu Unrecht verärgert, und meistens dauerte es sowieso nur ein paar Stunden, bis er wieder der Alte war. Seine unbeherrschten Worte taten Tristan deswegen aber nicht weniger leid. Vor allem, weil gerade er es gewesen war, der sich einfach so mit der neuen Situation abgefunden hatte, und nicht der Söldner. Berenghor hatte nach einem Ausweg aus der Gefangenschaft gesucht, er nur nach einer Antwort auf das Rätsel im Turm. Auf jeden Fall aber hatte Berenghors Rede Wirkung gezeigt. Tristan war zwar nach wie vor davon überzeugt, nichts mit der seltsamen Kraft des Turms zu tun zu haben, kam aber nicht umhin, sich einzugestehen, dass Berenghor in einem Punkt Recht hatte. Die freigesetzte Macht war gewaltig gewesen. So gewaltig, dass sie es wert war, gesucht zu werden. Er nahm sich fest vor, noch einmal mit ihm darüber zu sprechen.

Tristan saß ganz vorne auf einem abgestorbenen Stamm und blickte gedankenverloren in die Dunkelheit. Die Nacht war frisch, und sein Atem kondensierte zu weißem Dampf. Ein Stück abseits des provisorischen Lagers erkannte er zwischen den Bäumen einen der fremden Krieger. Lautlos und ohne Fackel stand er da. Er lehnte gut verborgen hinter einem Stamm und spähte in die undurchdringliche Schwärze des nächtlichen Waldes. Plötzlich erklang der Ruf eines Graukäuzchens und der Krieger gab Handzeichen.

Tristan merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Der Kerl zwischen den Bäumen war eine Art Vorposten, und augenscheinlich hatte er etwas entdeckt. Die Bestätigung folgte auf dem Fuß. Kaum war der angenehm tiefe Ruf des Käuzchens verklungen, sprang auch schon eine Handvoll seiner Kameraden wie aus dem Nichts herbei und bezog Stellung. Bogensehnen wurden gespannt und lange Dolche gezogen. Die Anführerin mit ihrer dunkelblauen Bemalung folgte kurz darauf. Alle Gesichter waren ernst und konzentriert.

Erst geschah gar nichts, außer, dass die anderen Gefangenen die jähe Veränderung ebenfalls bemerkten und still wurden. Keiner sprach mehr ein Wort. Berenghor war aufgestanden. Er streckte sich kurz und bewegte sich dann in den Rücken der Krieger. Tristan entging nicht, dass er einen guten Stand suchte und sich spannte. Instinktiv tat der Söldner genau das Richtige. Er bereitete sich auf einen Kampf vor. Zur Not eben auch nur mit seinen Fäusten.

Tristan stand nun ebenfalls auf. Er sah sich verstohlen um, und ging dann zu ihm rüber. Bei einem ernsthaften Kampf konnte er zwar nicht viel ausrichten, den Söldner alleine stehen lassen wollte er aber auch nicht. Shachin nickte ihm verstehend zu und blieb bei Riana und den Frauen.

»Da stimmt was nicht«, flüsterte Tristan und stierte angestrengt in die Dunkelheit hinaus.

»Sieh mal einer an! Unser junger Leutnant hier hat das auch schon bemerkt«, kam es von Berenghor schnippisch zurück.

Tristan ignorierte die Spitze. Eigentlich hatte er sie ja verdient. »Da draußen ist etwas.«

»Wer weiß, vielleicht hecken die alten Götter ja wieder irgendeine Schweinerei aus. Blutmagie und so einen Firlefanz.« Diesmal verzog Berenghor spöttisch den Mund. Tristan konnte es im flackernden Schein der Fackeln deutlich sehen.

»Wenn dem so ist, müssen wir gut aufpassen. Vielleicht können wir Kapital daraus schlagen.«

»Na also, dass ist der Tristan den ich kenne.« Von der einen auf die andere Sekunde wirkte Berenghor zufrieden. Die Auseinandersetzung von vorhin schien vergessen. »Was macht die Hand?«

»Ist erträglich. Zum Kämpfen aber reicht sie nicht. Ich kann nichts greifen.«

Berenghor machte eine wegwischende Geste. »Ach, das wird schon wieder. Linwen wird sich gut darum kümmern. Aber jetzt bleib erstmal hinter mir. Könnte gefährlich werden.« Er zwinkerte Tristan zu, und diesmal mussten beide schmunzeln.

Im nächsten Moment tat sich etwas. Es knackte und knarzte im Unterholz. Jemand kam. Der Späher, eben noch angestrengt in die Nacht starrend, löste sich langsam vom Baum. Vorsichtig ging er Schritt für Schritt in Richtung Fackelschein zurück. Seinen Speer im Anschlag, drehte er sich dabei nicht um. Kurz strahlte sein Gesicht im Lichtkegel der Fackeln auf. Es war leichenblass. Sofort trat die Anführerin auf ihn zu und zischte etwas in ihrer unbekannten Sprache. Mit einer eindeutigen Geste wies sie ihn dann an, sich einzureihen. Der Mann gehorchte ohne Widerworte. Offenbar hatte er trotz allem noch mehr Respekt vor seiner Anführerin als vor dem, was da draußen in der Dunkelheit lauerte.

»Verdammt, Berenghor! Was ist da los?«, flüsterte Tristan. Das Verhalten des Mannes beunruhigte ihn. Die Lage war offenbar sehr ernst.

Der Riese zuckte mit den Schultern. »Ich hab keine Ahnung. Aber wenn ich wetten müsste, würde ich sagen, die Welle am Turm hat doch nicht alle Hellen erledigt. Der Kerl da vorne macht sich fast in sein Fell. Er hat eine Scheißangst!«

Wieder knackte etwas, und jetzt konnte Tristan deutlich ein paar graue Schemen erkennen. Sie schälten sich aschfahl aus dem dunklen Hintergrund und kamen bis auf wenige Schritte heran. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und er wagte nicht, sich zu rühren. Dann trat die erste Gestalt in den schwachen Fackelschein.

»Bei der Herrin. Das gibt’s doch nicht!«, hauchte Tristan. Sein Blick klebte förmlich auf der groß gewachsenen Kreatur.

»Schau dir das an!«, bestätigte ihm Berenghor. »Ein paar der Bastarde haben also tatsächlich überlebt.« Der Söldner stemmte die Arme in die Hüften und starrte unentwegt geradeaus.

Die Kreatur stand vollkommen still da. Sie sah die mit Speeren, Bögen und Dolchen bewaffneten Krieger stumm an und legte ihren Kopf dabei leicht schief. Das Haar fiel ihr in langen Strähnen pechschwarz bis weit über die Schultern und verdeckte einen Teil des über und über mit Tätowierungen versehenen Oberkörpers. An den Unterarmen trug sie silberne Armschienen, und hinter dem Rücken kreuzten sich die Griffe zweier leicht gekrümmter Schwerter.

Tristan hatte sofort das Gefühl, einem Anführer der Hellen gegenüber zu stehen. Er wirkte erfahren, kräftig und alt, sehr alt. Unwillkürlich musste er an Alaefs Geschichte denken, und erschauderte. Sollten diese Dinger wirklich die Lebenskraft anderer anzapfen können, dann war es gut möglich, dass dieser hier weit über hundert Jahre alt war. Nicht auszudenken, über welch enorme Erfahrung und Kampfkraft er verfügen mochte.

Von all dem unbeeindruckt, machte die Kriegerfrau einen Schritt nach vorne. Sie hob ihren Speer und warf dem Hellen ein paar Worte in ihrer Sprache entgegen. Dessen Kopf ruckte augenblicklich herum. Jetzt musterte er nur noch sie allein. Nach einer gefühlten Ewigkeit hob er das Kinn und öffnete den Mund.

»Weiche!« Obwohl verständlich gesprochen, klang das Wort schrecklich deformiert und verzerrt, gar so, als hätte er diese Art der Kommunikation schon lange nicht mehr benutzt.

Tristan zog verwundert eine Braue nach oben. Er konnte den Hellen verstehen.

Nach einem flüchtigen Augenblick offensichtlicher Irritation bekam der Helle von ihr nicht mehr, als ein bestimmendes Kopfschütteln zur Antwort. Ob ihm die Reaktion gefiel, war nicht zu sehen. Seinen milchig trüben Augen fehlte jederlei Gefühl.

»Weiche!« Wieder diese gutturale Missgeburt eines Wortes. »Jetzt!« Das zweite Wort presste er förmlich zwischen den Lippen hindurch.

Abermals schüttelte die Frau den Kopf und unterstrich ihre Geste mit ein paar deutlichen Worten. Diesmal aber wechselten die restlichen Krieger unsichere Blicke. Augenscheinlich wussten sie nichts mit der Situation anzufangen. Kurz darauf kam ein weiterer hinzu und blieb direkt neben der Frau stehen. Er begann leise, aber vehement, auf sie einzureden. Tristan erkannte ihn wieder. Es war der Kerl aus der Baumkrone, der Kerl, dem sie alle ihr Leben verdankten.

Die Anführerin ließ sich von ihm nicht beeinflussen. Was er auch sagte, es zeigte keine Wirkung. Offenbar schien er aber mit den Hellen genauso ein Problem zu haben wie Tristan. Jedenfalls zeigte er immer wieder auf die vorderste Gestalt und dann auf sich selbst und die anderen.

Ein unangenehmer Verdacht kam ihm plötzlich in den Sinn und griff eiskalt nach ihm. Ging es hier womöglich um sie? Waren die Hellen etwa gekommen, um ihre schon sicher geglaubte Beute zurückzufordern? Tristan wurde schlagartig unruhig, denn ausliefern lassen wollte er sich in keinem Fall. Lieber würde er sterben.

Irgendwann gab es der Krieger schließlich auf und stellte sich stumm neben die Frau. Sie war hart geblieben, und er hatte sich schlussendlich ihrem Willen unterworfen. Ob das nun gut oder schlecht war, konnte Tristan nicht sagen.

Plötzlich zuckte einer der Männer sichtlich zusammen. Es war der Späher von vorhin. Er machte einen Schritt nach vorne, senkte seine Waffe und ging beängstigend gleichgültig auf die Hellen zu. Er wirkte auf komische Art und Weise desinteressiert, ja, regelrecht teilnahmslos. Seine Reaktion war so überraschend, dass die anderen das groteske Schauspiel im ersten Moment nur verwundert mit ansehen konnten. Einzig die Kriegerfrau behielt einen kühlen Kopf. Sie fing sich als Erste und bellte einen Befehl. Tristan verstand nicht, was sie sagte, konnte sich aber gut vorstellen, worum es ging.

Davon unbeeindruckt lief der Krieger einfach weiter. Er ließ seinen Speer fallen und hielt unbeirrt auf die Kreaturen zu. Erst, als er den Anführer der Hellen schon fast berührte, blieb er stehen. Was dann folgte, ging erschreckend schnell vonstatten.

Zwei andere Helle sprangen vor, packten den Krieger und rissen ihn mit sich in die Dunkelheit des Waldes. Im selben Moment spannte sich auch ihr Anführer. Er wirbelte herum und verschwand blitzschnell im Unterholz. Lautes Knacken und ein dumpfer Schlag folgten, dann war Stille.

Augenblicklich machte sich Hektik breit. Einige der Krieger wollten die Verfolgung aufnehmen, die Frau aber hielt sie vehement zurück. Tristan verstand nicht warum. Was ging hier vor? Der unverhoffte Helfer, der sie noch vor wenigen Stunden überhaupt erst zum Turm geführt hatte, fing an, sich zu beschweren. In einer Mischung aus Zorn und Angst redete er wild gestikulierend auf sie ein. Er sprach laut und entschlossen. Er wollte die Verfolgung aufnehmen, so viel konnte Tristan seiner Gestik und Mimik entnehmen. Irgendwann schnitt ihm die Frau jedoch das Wort ab und brachte ihn mit einem vernichtenden Blick zum Schweigen. Sie atmete tief ein und seufzte. Es war offensichtlich, dass ihr nicht gefiel, was er wollte. Sehr zu Tristans Überraschung nickte sie dann aber doch und rief etwas in ihrer Sprache. Sofort sprang eine Handvoll Krieger herbei und wartete stumm auf weitere Anweisungen. Dann deutete sie auf den Kerl vor ihr und sein Gesicht hellte sich auf. Rasch machte er einen Schritt zurück, prüfte den Sitz seiner Waffen und lief dann entschlossen in die Dunkelheit hinaus. Die fünf Krieger folgten ihm.

Plötzlich brach auch hinter ihnen Tumult aus. Tristan und Berenghor wirbelten herum. Ihre Bewacher auf dieser Seite redeten lautstark und wild durcheinander, und zeigten immer wieder auf die Gefangenen. Sie waren verärgert und offenbar uneins. Tristan wusste erst nicht, was sie wollten, als er dann aber zu zählen begann wurde ihm schnell klar, worum es ging: Ein Gefangener fehlte. Es war Matruk. Er war verschwunden!

»Na ganz toll. Jetzt macht uns dieser Dreckskerl auch noch vor, wie man sich ungesehen verdrückt.« Zornig schlug sich Berenghor mit der Faust in die offene Hand.

»Was regst du dich auf?«, entgegnete Tristan. »Sei doch froh, dass wenigstens ihm die Flucht gelungen ist.«

»Pah … Flucht gelungen.« Berenghor spuckte aus. »Noch ist nicht raus, wie weit er kommt. Und außerdem habe ich meine Meinung geändert. Am liebsten hätte ich ihn jetzt ganz nah bei mir. Da kriege ich wenigstens mit, wenn er auf dumme Gedanken kommt.«

Tristan seufzte. »Das hatten wir doch schon, Berenghor. Warum fängst du wieder damit an?«

»Ich weiß nicht.« Der Riese zuckte ein wenig hilflos wirkend mit den Schultern. »Ist nur so ein Gefühl. Ich hab das in den Knochen, weißt du. Mit diesem Kerl stimmt etwas nicht, und ich denke, wir haben ihn nicht zum letzten Mal gesehen.«

Tristan sagte nichts dazu. Er schüttelte bloß genervt den Kopf und setzte sich zurück auf den abgestorbenen Baumstamm. Wiedermal nur die alten Knochen eines ehemaligen Söldners.