Die Totenbändiger - Band 7: Leichenfunde - Nadine Erdmann - E-Book

Die Totenbändiger - Band 7: Leichenfunde E-Book

Nadine Erdmann

5,0

Beschreibung

Wer steckt hinter den Morden? Was ist passiert und zu welchem Zweck? Den Hunts kommt ein ungeheuerlicher Verdacht. Gleichzeitig rückt die Abstimmung über den Sitz für die Totenbändiger im Stadtrat immer näher und Cornelius Carlton bringt sich in Position … Der 7. Roman aus der Reihe, "Die Totenbändiger", von Nadine Erdmann (Cyberworld, Die Lichtstein-Saga).

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Table of Contents

Leichenfunde

Was bisher geschah

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Vorschau

Impressum

Die Totenbändiger

Band 7

Leichenfunde

von Nadine Erdmann

 

 

 

 

 

Was bisher geschah

 

Am Abend der Unheiligen Nacht wird Cam von Topher, Emmett und Stephen betäubt und in den Tumbleweed Park verschleppt, aus Rache dafür, dass er sich gegen die Mobbingattacken gewehrt hat und zur Polizei gegangen ist. Dafür soll er nun bezahlen und das Totenbändiger-in-Action-Video für Teagans Instagram-Account liefern, das diese eigentlich von Ella und Jaz haben wollte. Der Tumbleweed Park ist einer von Londons Verlorenen Orten, den man nach einem Massenselbstmord in den fünfziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts vierzig Repeatern überlassen musste – speziellen Geistern, die aus Selbstmordopfern entspringen. Topher, Emmett und Stephen lassen Cam dort an den Stuhl einer steinernen Festtafel gefesselt zurück. Auf dem Tisch haben sie eine Kamera positioniert, die Cam beim Bändigen der Repeater filmt.

Cams Familie kommt seinem Verschwinden mithilfe einer Überwachungskamera an einer Bushaltestelle auf die Spur und stellt Topher, Emmett und Stephen auf einer Party in Stephens Haus zur Rede. Die drei schweigen, doch aus der Gruppe der übrigen anwesenden Mitschüler erhält Ella den Hinweis, den Fernseher anzuschalten. Dort sehen die Hunts die Liveübertragung aus dem Park und Gabriel erkennt den Ort sofort.

Mit der Unterstützung der Ghost Reapers retten die Hunts Cam, der sich auf der Lichtung nach Kräften gewehrt hat, letztendlich aber vor der Übermacht an Geistern doch kapitulieren musste. Er zieht sich tief in sein Seelenversteck zurück, um so sein Leben zu schützen. Später stellt sich heraus, dass er siebzehn Repeater vernichtet hat. Eine außergewöhnliche Leistung, die kaum ein anderer Totenbändiger geschafft hätte.

Sicher daheim in der Villa lässt Jules nicht locker, bis es ihm gelingt, Cam aus seinem Seelenversteck zurückzuholen, doch er ist stark geschwächt. Als Jules und Matt ihn in sein Bett bringen, entdeckt Jules, dass Cam sich ritzt, behält es aber nach einem Gespräch mit Matt vorerst für sich.

Während Cam schläft, hat er einen Traum, der ihm eine Erinnerung aus seinem Leben vor den Hunts zeigt. Diese Erinnerung offenbart, dass es kein Einzeltäter war, der ihn in einer Kiste gefangen gehalten und mit ihm experimentiert hat. Es war eine Gruppe von Leuten, die anscheinend mit Totenbändigerkindern eine Art Ritual vollziehen. Zu welchem Zweck bleibt ungewiss.

Cams zurückgekehrte Erinnerung legt außerdem die Vermutung nahe, dass man ihm als kleines Kind regelmäßig Xylanin verabreicht hat. Da das Mittel das Gehirn schädigen kann, fürchtet Cam, dass seine Unruhe und seine Konzentrationsschwäche Folgen des Xylanins sein könnten. Phil und Sue versuchen, ihm diese Angst zu nehmen, doch ein Restzweifel bleibt.

Jetzt, da Cam eine erste konkrete Erinnerung zurückbekommen hat, hofft er, weitere auslösen zu können und bittet darum, die Tatortfotos aus dem Herrenhaus sehen zu dürfen, in dem Thaddeus ihn nach dem Massaker gefunden hat. Sue und Phil willigen ein, doch die Fotos triggern keine weitere Erinnerung. Cam würde sich deshalb gerne das Haus vor Ort ansehen, aber das ist mittlerweile eine einsturzgefährdete Ruine.

Phil und Sue erstatten gegen Cams Willen Anzeige gegen Topher, Emmett und Stephen. Auch die Mitschüler, die nur zugesehen und nichts unternommen haben, um Cam zu helfen, sollen zur Verantwortung gezogen werden. Am Abend nach Cams Aussage kommen zwei Chief Inspectors zur Villa der Hunts und teilen ihnen mit, dass Topher und Emmett tot aufgefunden wurden …

Kapitel 1

 

Dienstag, 24. September

Der Morgen nach der Unheiligen Nacht in der Akademie der Totenbändiger

 

Vater, ich muss dir etwas zeigen.« Mit seinem Tablet in der Hand betrat Blaine das private Wohnzimmer seines Vaters.

Es war später Vormittag und wie an allen Schulen fand auch in der Akademie nach einer Unheiligen Nacht kein offizieller Unterricht statt. Der Tag galt als individueller Studientag. Cornelius Carlton saß auf einem der beiden Ledersofas, las einen Bericht auf seinem eigenen Tablet und wirkte wenig erfreut über die Störung.

»Muss das jetzt sein? Ich arbeite.«

Blaine trat zu ihm ans Sofa. »Ich bin mir sicher, dass es dich interessieren wird. Ich hab dir ein Video zugeschickt. Eins von Susans Kindern wurde gestern Nacht von Mitschülern in einem Park voller Repeater ausgesetzt. Scheint wohl so eine Art Prüfung gewesen zu sein, weil die Unbegabten sehen wollten, was wir Totenbändiger so draufhaben.«

Carlton schloss den Bericht, den er gelesen hatte, und öffnete stattdessen den Anhang der E-Mail, die sein Sohn ihm geschickt hatte.

»Der Typ scheint ein ziemliches Weichei zu sein.« Blaine ließ sich neben seinem Vater aufs Sofa sinken, rief das Video auf seinem eigenen Tablet auf und schnaubte verächtlich. »Ich dachte, das willst du sicher sehen. Hattest du nicht gesagt, dass diese Susan so taff sei? Ihre Kinder hat sie aber anscheinend nicht besonders abgehärtet, wenn ihr Sohn sich von seinen Mitschülern so fertigmachen lässt. Es ist einfach nur peinlich. Immerhin ist er ein Totenbändiger. Selbst wenn er kräftemäßig vielleicht nicht viel draufhat, sollte er seinen Mitschülern Respekt vor uns beibringen.«

»Susan wird ihren Kindern beigebracht haben, genau das nicht zu tun«, gab Cornelius zurück, ohne vom Video aufzusehen. »Sie setzt sich schließlich für Akzeptanz und Gleichberechtigung aller in unserer Gesellschaft ein. Da wäre es äußerst abträglich, wenn ausgerechnet ihre Kinder sich nicht beherrschen könnten und für Angst und Schrecken unter ihren Mitschülern sorgen, nachdem Susan endlich erreicht hat, dass eine öffentliche Schule sie aufnimmt. Und jetzt schweig, denn du hast recht. Ich finde dieses Video äußerst interessant.«

Verärgert presste Blaine die Kiefer aufeinander und sagte nichts mehr. Genau wie sein Vater sah er sich das Video an. Fast eine Dreiviertelstunde lang konnte man diesem Jungen beim Bändigen der Repeater zusehen und selbst Blaine musste zugeben, dass der Typ seine Silberenergie verdammt gut beherrschte und taktisch clever einsetzte. Das änderte jedoch nichts daran, dass er ein peinliches Weichei war, das sich von seinen Mitschülern mobben ließ und von seiner Familie gerettet werden musste, weil er mit ein paar lächerlichen Repeatern nicht alleine klarkam.

»Woher hast du dieses Video?«, fragte Cornelius, als es geendet hatte.

»Vom Instagram-Account einer Mitschülerin des Typs. Dir waren Susans jüngere Kids egal, weil nur die älteren dir in die Parade gefahren sind. Aber ich fand es auch lohnenswert, die jüngeren unter die Lupe zu nehmen. Immerhin gehört Jaz ja jetzt zu ihnen. Deshalb hab ich sie ein bisschen gestalkt.«

Er fing sich einen rügenden Blick seines Vaters ein. »Obwohl ich das nicht wollte.«

»Du wolltest nur nicht, dass ich etwas tue, das Aufmerksamkeit erregt, und das habe ich nicht«, stellte Blaine richtig. »Unauffällig herauszufinden, was an der Ravencourt so abgeht und mit wem Susans Kids abhängen, ist dank Social Media nicht weiter schwer.«

»Gibt es von dem Jungen noch weitere Videos?« Cornelius war aufgestanden und an einen Sekretär getreten, der an einem der Fenster stand. Aus einer Schublade zog er die Mappe mit den Informationen, die seine Leute ihm über die Hunt-Familie zusammengestellt hatten.

»Nein. Nur von seiner Schwester. Ella. Die Kleine mit den blauen Haaren. Du kennst sie. Sie war dabei, als Susan mit Jaz hergekommen ist, um ihre Sachen zu holen und die Vormundschaft von dir zu bekommen. Die Videos von Ella zeigen sie aber nicht beim Geisterbändigen. Sie erzählt bloß, wie es ist, eine Totenbändigerin zu sein, und beantwortet dämliche Fragen.«

Cornelius schwieg einen Moment, während er eine Seite in der Mappe überflog. »Weißt du mehr über Camren, als hier drinsteht?«

Blaine frohlockte innerlich, weil sein Vater jetzt vielleicht endlich merkte, dass er davon profitieren konnte, wenn er ihn mehr einbezog – und mehr Informationen mit ihm teilte.

»Ich kann dir sagen, wer ihn mobbt und mit Sicherheit dafür verantwortlich ist, dass er in diesem Park war.«

»Und über seine Herkunft? Weißt du irgendwas über seine leiblichen Eltern?«

»Nein. Warum? Die fand ich uninteressant.«

Cornelius strafte ihn mit einem ungeduldigen Blick. »Hast du mitgezählt, wie viele Repeater der Junge gebändigt hat?«

»Ja. Siebzehn.« Unbeeindruckt zuckte Blaine mit den Schultern. »Und? Repeater sind kräftemäßig Winzlinge. Sie stehen nicht mal sonderlich auf unsere Lebensenergie. Sie werden nur wütend, wenn man sie in ihrem Ritual stört. Wenn der Blödmann sich still verhalten hätte, hätten die Viecher ihn vermutlich gar nicht beachtet.«

Cornelius schüttelte den Kopf. »Dir ist nicht klar, wo der Junge gewesen ist, stimmt’s? Das auf dem Video ist der Tumbleweed Park. Die Repeater, die dort bis gestern gehaust haben, waren fast siebzig Jahre alt. Auf einer Zehnerskala dürften ihre Kräfte damit bei sieben bis acht gelegen haben. In der Unheiligen Nacht vermutlich sogar noch höher.« Er dolchte seinen Blick in seinen Sohn. »Der Junge hat siebzehn von ihnen vernichtet. Alleine und gefesselt. Nenn ihn also besser nie wieder Weichei, denn ich schätze unter denselben Umständen hättest du höchstens acht dieser Geister gemeistert, wenn überhaupt.«

Blaine konnte ihn nur perplex anstarren und fühlte sich, als hätte sein Vater ihm einen Schlag in die Magengrube verpasst.

Doch Cornelius sprach schon weiter und ließ seinem Sohn keine Zeit, das Gehörte zu verdauen. »Selbst wenn man ihn vorher mit Xylanin vollgepumpt haben sollte, sind siebzehn Geister eine absolut außergewöhnliche Leistung. Die Kräfte dieses Jungen müssen gewaltig sein, deshalb ist es alles andere als uninteressant, wer seine leiblichen Eltern waren.«

Blaine ballte mental die Fäuste, als er sich einen weiteren ungehaltenen Blick seines Vaters einfing. Dann konzentrierte Cornelius sich jedoch wieder auf die Einträge in der Mappe und murmelte mehr zu sich selbst als zu Blaine: »Der Name der Mutter sagt mir nichts. Vermutlich eine unregistrierte Zugezogene. Hmmm.« Er verfiel in Schweigen.

»Frag doch Susan, ob sie mehr weiß«, schlug Blaine vor und verkniff sich nur mit Mühe ein hämisches Grinsen.

Natürlich war klar, dass sein Vater auf Granit beißen würde, sollte er tatsächlich bei Susan nachfragen. So sehr wie Susan Hunt seinen Vater ablehnte, würde sie ihm gegenüber mit Sicherheit nichts über ihren Adoptivsohn preisgeben, selbst wenn sie Informationen über Camrens Eltern haben sollte. Aber es tat gerade teuflisch gut, ein bisschen Salz in diese Wunde zu streuen. Diese Susan und ihre gemeinsame Geschichte nagten an seinem Vater und das bereitete Blaine auf seltsame Weise Genugtuung. Sobald es um Susan ging, verlor sein Vater seine kühle Abgeklärtheit. Vor all den Jahren hatte sie sich ihm in der Akademie nicht unterwerfen wollen und das schien mächtig an seinem Ego zu kratzen. Dass Susan vor zwei Wochen einfach so hier hereinspaziert war, die Vormundschaft für Jaz erzwungen und sie damit ebenfalls der Akademie entzogen hatte, hatte den alten Hass seines Vaters neu angefacht. Vor allem, weil mittlerweile klar war, dass Susan der Akademie einige Kinder vorenthalten hatte. Entweder, weil sie sie selbst aufgenommen hatte, oder weil sie dafür gesorgt hatte, dass sie in andere Totenbändierfamilien vermittelt wurden. Blaine hätte gerne genossen, wie sehr seinen Vater das alles auf die Palme brachte, doch dafür nervte ihn dessen gesteigertes Interesse an diesem Camren gerade zu sehr. Er beobachtete, wie sein Vater auf dem Tablet eine kurze E-Mail schrieb und dann sein Handy zückte.

»Ich habe dir gerade eine E-Mail mit einem Video, ein paar Namen und Personendaten geschickt«, sagte Cornelius ohne Begrüßung. »Ich will, dass du über diesen Jungen und seine biologischen Eltern alles herausfindest, was es herauszufinden gibt. … Ja. … Genau. So schnell wie möglich. … Gut. Ich warte.« Dann legte er auf, setzte sich wieder aufs Sofa und startete das Video erneut.

Blaine rollte mit den Augen. »Meinst du nicht, du machst um diesen Camren viel zu viel Aufstand? Woher willst du wissen, ob diese Repeater wirklich so stark waren? Und selbst wenn, hast du selbst gesagt, dass man ihn vielleicht mit Xylanin vollgepumpt hat, und mit genügend Xylanin hätte es vermutlich jeder hinbekommen. Wenn du wirklich wissen willst, was der Typ draufhat, kann ich ihn mir vorknöpfen und das für dich testen. Das ist mit Sicherheit aussagekräftiger als dieses blöde Video.«

Sein Vater stoppte das Video und sah zu ihm auf. »Du lässt den Jungen in Ruhe, verstanden? Zumindest solange, bis ich entschieden hab, wie wir weiter vorgehen. Ist das klar?«

Sein Blick machte deutlich, dass Blaine es sich besser nicht mit ihm verscherzen sollte. Also verkniff er sich jeden weiteren Kommentar, machte wie so oft die Faust in der Tasche und nickte bloß knapp.

»Gut. War Topher Morena derjenige, der Camren in den Tumbleweed Park gebracht hat?«

Wieder nickte Blaine und gab sich Mühe, sich erwachsen und nicht wie ein trotziger Teenager zu verhalten. »Ja. Emmett Banks hat ihm dabei geholfen, schätze ich. Die beiden sind beste Freunde und schikanieren ihre Mitschüler meist gemeinsam. Ich kann dir ihre Instagram-Accounts zeigen, wenn du willst. Die beiden sind Arschlöcher, die Totenbändiger hassen. Schon bevor Susans Kids die Schule betreten haben, war klar, dass sie sie fertigmachen wollen. Anscheinend haben sie sich Camren dann als erstes Opfer ausgesucht.«

Nachdenklich tippte Cornelius sich mit dem Zeigefinger gegen das Kinn. »Das ist gut. Sehr gut sogar.«

Blaine runzelte die Stirn. »Warum? Zeigt doch nur, dass dieser Typ nichts taugt, wenn er sich von zwei Unbegabten fertigmachen lässt. Erst recht, wenn er wirklich ein ungewöhnlich starker Totenbändiger sein sollte.«

Cornelius lächelte listig. »Was denkst du, wie sehr Camren seine Peiniger wohl dafür hasst? Und wie wütend es ihn vermutlich macht, dass Susan ihm verboten haben wird, seine Kräfte gegen Unbegabte einzusetzen?«

Blaine runzelte die Stirn. »Du denkst, er wird sich uns anschließen, wenn wir ihm eine Zukunft in Aussicht stellen, in der wir Totenbändiger das Sagen haben?«

Sein Vater hob die Schultern. »Nach seinen jüngsten Erfahrungen in der Gesellschaft von Unbegabten ist die Frage, ob er Susans Wunsch nach Gleichstellung zwischen unseren Rassen teilt, immerhin berechtigt, denkst du nicht?«

»Ja, vielleicht.«

Es lag auf der Hand, wie viel Genugtuung es seinem Vater bereiten würde, wenn er Susan eins ihrer Kinder gesinnungsmäßig abspenstig machen könnte.

»Aber vielleicht ist er auch ein total verzogenes Weichei, das den Unbegabten auch noch die zweite Wange hinhält, wenn sie ihm die erste schon blutig geschlagen haben.«

»Wir werden sehen.« Wieder tippte sein Vater sich nachdenklich gegen das Kinn. »Die gesamte Situation bietet uns vielleicht noch viel mehr Möglichkeiten, als du jetzt siehst.« Abrupt stand er auf. »Ich bin in meinem Büro und will bis auf Weiteres nicht gestört werden. Wir führen unsere Unterhaltung beim Abendessen fort. Sei pünktlich.« Damit verließ er das Wohnzimmer.

Unwillkürlich presste Blaine die Kiefer aufeinander und ballte diesmal seine Hände nicht nur mental zu Fäusten.

Da war sie wieder, diese Du-bist-noch-ein-Teenager-und-damit-nicht-wert-für-voll-genommen-zu-werden-Haltung, die er bei seinem Vater so sehr hasste. Für jedes bisschen Anerkennung musste er sich abstrampeln. Nicht einmal ein Danke hatte er dafür bekommen, dass er ihm das Video gezeigt hatte. Aber es war ohnehin nach hinten losgegangen. Eigentlich hatte Blaine sich über Susans Sohn lustig machen wollen, stattdessen sah sein Vater in Camren jetzt anscheinend einen potenziellen neuen Star-Totenbändiger, der ihm für seine geplante Umgestaltung der geltenden Gesellschaftsordnung gerade recht kam.

Ganz toll.

Blaine stand auf und verließ ebenfalls das Wohnzimmer.

Der kleine Scheißer sollte sich bloß nicht zwischen ihn und seine Pläne drängen.

Er lief ein Stockwerk hinauf in sein Zimmer, brachte sein Tablet weg und holte seine Jacke. Er musste noch etwas erledigen, aber dabei würde er sich definitiv Gedanken darüber machen, wie er Camrens Kräfte testen konnte. Egal, was sein Vater sagte, Blaine glaubte nicht, dass die Vernichtung der siebzehn Repeater so ein Riesending war. Mit Sicherheit hätte er selbst das auch geschafft – und zwar mit Leichtigkeit. Trotzdem war er jetzt neugierig auf diesen Typen – wenn auch nur, um ihn besser einschätzen zu können. Und vielleicht fand er dabei auch gleich eine Möglichkeit, Jaz für den Ärger zahlen zu lassen, den sie der Akademie eingebracht hatte.

Er lächelte.

Zwei Fliegen mit einer Klappe – mal sehen, was ihm dazu einfiel.

Kapitel 2

 

Mittwoch, 25. September

Abends im Haus der Hunts

 

Die komplette Familie hatte sich im Wohnzimmer versammelt, nachdem Gabriel die beiden Chief Inspectors hereingeführt hatte.

»Topher und Emmett sind tot?«, fragte Sue ungläubig nach. »Was um Himmels willen ist denn passiert?«

»Und wann?«, wollte Jules wissen. »Sie waren heute den ganzen Tag in der Schule.«

Kershaw und Gates, die ermittelnden Chiefs aus Haringey, hatten in den beiden Kaminsesseln Platz genommen und ließen ihre Blicke über die einzelnen Familienmitglieder wandern. Sie wirkten nicht unfreundlich, aber reserviert.

»Die beiden wurden gegen siebzehn Uhr von Ms Morena, Tophers Mutter, gefunden«, antwortete Kershaw. »Als sie von der Arbeit nach Hause kam, fand sie die beiden tot im Wohnzimmer.«

»Furchtbar«, murmelte Edna.

Cam dagegen fühlte sich wie erschlagen. Er saß zwischen Sky und Sue auf einem der Sofas und hatte keine Ahnung, was er denken oder fühlen sollte, doch sein Magen fühlte sich plötzlich ganz flau an.

»Schulschluss war um viertel nach drei«, übernahm Gates, »und wie es aussieht sind die beiden danach direkt zu den Morenas gefahren.«

»Und was ist da passiert?«, fragte Connor.

Kershaw sah von ihm zu Sky und Gabriel. »Es tut mir leid. Unter Kollegen ist es immer unangenehm, aber die Fragen stellen wir.« In seinem Blick lag Verständnis und in seiner Stimme schwang etwas Entschuldigendes mit, nichtsdestotrotz machte er deutlich klar, wie dieses Gespräch weiterlaufen würde.

Gabriel lehnte neben der Terrassentür an der Wand und erwiderte Kershaws Blick grimmig. »Wir gehören zu den Hauptverdächtigen.«

Kershaw nickte knapp und sah zu Phil und Sue. »Wir wissen, dass Sie die Jungen wegen verschiedener Mobbingvorfälle angezeigt hatten.« Er blickte zurück zu Gabriel. »Und es gibt Aussagen, dass Sie Topher am Abend der Unheiligen Nacht bedroht haben, weil er Ihren jüngeren Bruder verschleppt hatte. Laut Zeugenaussagen sollen Sie gedroht haben, ihn umzubringen, wenn Sie Ihren Bruder nicht unbeschadet finden.«

Cam starrte geschockt von Kershaw zu Gabriel.

»Ja«, räumte Gabriel ein. »Weil ich wütend war. Da sagt man solche Dinge. Sind Sie über die Mobbingvorfälle informiert?«

Kershaw warf einen kurzen Blick zu Cam und nickte.

»Gut, dann wissen Sie ja, dass mein Bruder vor zwei Nächten gestorben wäre, wenn wir ihn nicht rechtzeitig aus der Situation gerettet hätten, in die Topher, Emmett und ein weiterer Mitschüler ihn gebracht hatten, wohlwissend um die Gefahren, die Cam dort drohten«, gab Gabriel zurück. »Und Sie wissen auch, dass wir uns danach absolut korrekt verhalten und die drei angezeigt haben, statt Selbstjustiz zu verüben.«

»Außerdem war Gabriel den ganzen Nachmittag hier«, brachte Cam mit kratziger Stimme hervor. »Zwei Sergeants aus dem Revier in Camden waren hier, um meine Aussage aufzunehmen. Gabriel war die ganze Zeit dabei.«

Phil nickte bekräftigend. »Sergeant Collins und Sergeant Sanders waren von halb vier bis gegen halb fünf hier.«

Sky war aufgestanden und hatte ihr Handy gezogen. »Ich rufe unseren Commander an. Der wird Ihnen das bestätigen.«

»Das ist nicht nötig«, versicherte Kershaw.

»Ich denke doch. Außerdem muss ich ihn ohnehin davon in Kenntnis setzen, dass Connor und ich unsere Schicht heute Abend nicht pünktlich antreten können.« Sky wählte die Nummer und erklärte ihrem Vorgesetzten kurz, was passiert war, dann reichte sie ihr Handy an Kershaw weiter. »Er will mit Ihnen sprechen.«

Kershaw seufzte. Er bedachte sie mit einem Das-wäre-wirklich-nicht-nötig-gewesen-Blick und hörte sich dann an, was Commander Pratt zu sagen hatte. »Verstanden. … Ja, Sir. … Nein, Sir. … Natürlich. … Ihnen auch.« Er reichte Sky das Handy zurück. »Ihr Boss hält offensichtlich sehr viel von seinen Spuks.«

»Definitiv.« Sie setzte sich zurück auf die Couch. »Und nachdem Commander Pratt Ihnen geholfen hat, meine Eltern, meine Großmutter sowie Gabriel und Cam von Ihrer Verdächtigenliste zu nehmen, helfe ich Ihnen jetzt noch, Connor und mich ebenfalls zu streichen. Zum fraglichen Zeitpunkt waren wir beim Sport im Fitnesscenter der North London Police. Das Studio kennen Sie ja sicher. Sie können die Uhrzeit anhand unserer Zugangskarten überprüfen. Außerdem gibt es in den Trainingsräumen Kameras.«

Gates schrieb ihre Angaben mit, während Kershaw nur erneut seufzte, doch bevor er etwas sagen konnte, sprang Ella von der Armlehne, auf der sie rittlings gehockt hatte, und kramte in den Einkaufstüten, die neben dem Sofa standen.

»Jaz und mich können Sie auch streichen.« Sie fischte zwei Kassenbons aus den Tüten und reichte sie Kershaw. »Wir waren nach der Schule im Camden Centre. Der Zeitstempel auf den Bons bestätigt das. Und die junge Verkäuferin im Sweet Shop fand meine Haarfarbe toll. Sie erinnert sich bestimmt an uns und im Einkaufscenter gibt es mit Sicherheit Überwachungskameras, die uns gefilmt haben.«

Kershaw musste schmunzeln, als er die Bons entgegennahm und sie an Gates weiterreichte, der Ellas Angaben festhielt. »Das ist das einzige Angenehme, wenn man Angehörige einer Polizistenfamilie vernehmen muss – viele Fragen müssen wir gar nicht stellen.« Er lächelte schief und blickte zu Jules. »Ich nehme an, du hast auch ein hieb- und stichfestes Alibi?«

Jules hob die Schultern und nickte. »Ich war bei zwei Freunden. Wir haben zusammen trainiert.«

»Wie heißen sie?«, fragte Gates.

»Matt und Jack Rifkin.«

»Wo habt ihr trainiert? Auch in einem Fitnessstudio?«

»Nein. So ein Training war es nicht. Wir haben unsere Totenbändigerkräfte trainiert. In einem Kellerraum im Mean & Evil. Das ist ein Pub drüben in Camden Town. Im Keller ist ein privater Trainingsraum.«

»Hm.« Gates notierte sich alles. »Dann gibt es dort vermutlich keine Kameras, die das bezeugen?«

Jules runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht.« Er sah von ihm zu Kershaw, der der Umgänglichere der beiden zu sein schien. »Aber Matt und Jack können bezeugen, dass ich da war.«

»Kann das sonst noch jemand bestätigen?«, fragte Kershaw. »Vielleicht Gäste? Bist du im Pub gewesen, als du dort warst? Oder gibt es dort vielleicht eine Kamera?«

Grübelnd zog Jules die Stirn kraus. »Ja, ich bin durch den Pub gelaufen, aber es war noch früh. Ich weiß nicht, ob schon Gäste da waren. Ich hab nicht darauf geachtet. Aber Eddie war da. Er ist einer der Besitzer des Pubs und einer der Väter von Matt und Jack. Er hat mich gesehen.«

Wieder gab Gates nur ein »Hm.« von sich, als er Jules’ Aussage festhielt.

Unbehaglich sah Jules zwischen den beiden Polizisten hin und her und suchte dann Gabriels Blick.

Sein Bruder schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. »Bist du durch den Vordereingang reingegangen?«

Jules nickte.

»Da ist eine Kamera.«

»Im Gastraum auch?«, hakte Gates nach.

»Nein.«

»Gibt es einen Hinterausgang?«

»Natürlich«, antwortete Gabriel ruhig. »Sonst würde der Pub ja gegen sämtliche Brandschutzordnungen verstoßen.«

»Gibt es dort eine Kamera?«

»Nein.«

»Das heißt«, Gates deutete auf Jules, »er hätte alleine oder mit seinen Freunden zur Vordertür rein- und zur Hintertür wieder hinausgehen und zu den Morenas fahren können.«

Jules starrte den Chief Inspector geschockt an.

»Hallo? Geht’s noch?!«, brauste Jaz auf.

Auch Phil hatte jetzt genug. »Was soll das?« Seine Stimme klang zwar ruhig, als er zwischen Gates und Kershaw hin und her schaute, trotzdem machte er beiden unmissverständlich klar, dass hier gerade eine Grenze erreicht wurde, ab der er auch ungehalten werden konnte. »Ich respektiere, dass Sie hier Ihren Job machen und uns diese Fragen stellen müssen. Aber ich lasse nicht zu, dass Sie einem meiner Kinder irgendetwas unterstellen, ohne dass wir einen genauen Grund dafür kennen, warum Sie ausgerechnet Jules verdächtigen.«

»Das sehe ich genauso«, schaltete sich auch Sue ein. »Wir waren bisher sehr kooperativ – und sehr geduldig. Aber bevor wir jetzt noch weiter Ihre Fragen beantworten, wüsste ich erst mal gerne, was überhaupt auf uns – oder speziell auf Jules – als Täter hindeutet, außer dass wir Topher und Emmett wegen Mobbings angezeigt haben. Denn die beiden waren keine Heiligen – auch wenn man über Tote nicht schlecht reden soll. Aber bitte fragen Sie bei Direktorin Carroll nach, wie viele Mobbingopfer es vor Cam schon gegeben hat. Und wer weiß, ob die beiden nur Leute an ihrer Schule schikaniert haben. Also, was spricht ausgerechnet gegen uns?«

Beschwichtigend hob Kershaw die Hände. »Bitte, ich verstehe Ihren Unmut und natürlich gehen wir allen möglichen Spuren nach. Und ja, wir wissen bereits, dass vor allem Topher kein Engel war. Doch da Ihr Sohn sein aktuelles Mobbingopfer gewesen ist, liegt es natürlich nahe, Ihre Familie als Erste zu überprüfen.«

Gabriel musterte ihn scharf. »Das ist aber nicht der einzige Grund, warum Sie zuerst zu uns gekommen sind, stimmt’s?«

Der Chief Inspector erwiderte seinen Blick und atmete tief durch. »Nein. Die Leichen der beiden Jungen weisen keinerlei äußere Verletzungen auf. Die Gerichtsmedizin untersucht das natürlich noch genauer, aber bisher sieht es so aus, als wären beide Jungen zur selben Zeit an akutem Herzversagen gestorben, und das ist bei zwei gesunden Siebzehnjährigen eine äußerst ungewöhnliche Todesursache.«

»Deshalb denken Sie, es muss ein Totenbändiger gewesen sein?«, hakte Jaz nach, während die anderen die Information noch verdauten. »Weil wir Menschen die Lebensenergie rauben und sie so umbringen können, ohne Verletzungen zu hinterlassen?«

»Aber das ist doch Blödsinn!«, sagte Ella sofort. »Mit Gift kann man Menschen genauso töten, ohne Verletzungen zu hinterlassen.«

»Natürlich lassen wir die Leichen auch auf Giftrückstände untersuchen«, erklärte Kershaw.

»Selbst wenn Sie keine finden, hat mit Sicherheit trotzdem kein Totenbändiger die beiden umgebracht«, meinte Jaz. »So blöd sind wir nicht. Wenn wir jemanden umbringen, lassen wir ihn doch nicht völlig makellos da liegen. Ist doch klar, dass dann der Verdacht sofort auf uns fällt. Wir würden ihnen nur Energie nehmen, bis sie sich nicht mehr bewegen können und sie dann erwürgen, ihnen die Kehle aufschlitzen oder – keine Ahnung – ins Herz stechen oder so. Aber kein Totenbändiger wäre so dämlich, jemanden nur durch Energieentzug zu töten.«

Kershaw betrachtete sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Ich weiß jetzt ehrlich gesagt nicht, was ich von der Tatsache halten soll, dass du dir offensichtlich schon einige Gedanken darüber gemacht hast, wie man Morde begehen kann.«

Doch Jaz zuckte nur mit den Schultern. »Ich schätze, Sie haben sich über diese Familie hier informiert, bevor Sie hergekommen sind. Dann wissen Sie auch, dass ich noch nicht lange hier wohne und wo ich vorher gelebt habe. Und glauben Sie mir, wenn Sie in der Akademie hätten aufwachsen müssen, hätten Sie sich auch mehr als einmal Gedanken über den perfekten Mord gemacht.«

Trotz der unschönen Gesamtsituation musste Gabriel schmunzeln und freute sich nicht zum ersten Mal darüber, welchen Glückgriff sie mit ihrem neuen Familienzuwachs getan hatten. Jaz ließ sich von niemandem die Butter vom Brot nehmen und da sie ihr Leben lang gegen ihren Schulleiter rebelliert hatte, kuschte sie nicht vor Obrigkeiten. Das gefiel ihm ausgesprochen gut.

Er beobachtete seine beiden Kollegen und sah, dass auch über Kershaws Gesicht ein kleines Lächeln huschte. Offensichtlich mochte er Jaz’ Schneid ebenfalls. Er schien auch keine Vorbehalte gegenüber Totenbändigern zu haben. Gabriel vermutete sogar, dass er engeren Kontakt zu welchen haben musste, denn er hatte nicht nachgehakt, als Jaz die Akademie erwähnt hatte. Vielleicht über die Spuks in seinem Revier? Die Squad aus Haringey kannte Gabriel nicht, aber es war gut möglich, dass es dort auch einen Totenbändiger gab. Für das Unheilige Jahr hatte die Polizeischule in den letzten beiden Jahren deutlich mehr Totenbändiger als Spuks ausgebildet als in den Jahren davor.

»Aber nur weil du so clever bist, heißt das ja nicht, dass alle anderen Totenbändiger auch so intelligent sind, oder?«, meinte Kershaw an Jaz gewandt. »Und nicht jeder wird sich Gedanken über den perfekten Mord gemacht haben.«