Die Totenbändiger - Band 9: Geminus Obscurus - Nadine Erdmann - E-Book

Die Totenbändiger - Band 9: Geminus Obscurus E-Book

Nadine Erdmann

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Beschreibung

Der Auftakt zur 2. Staffel. Nach dem Fund der unheilvollen Inschrift im Opferraum des alten Herrenhauses setzen die Hunts alles daran, mehr über die Sekte und den geheimnisvollen geminus obscurus herauszufinden. Hilfe erhoffen sie sich dabei von einem Universitätsprofessor, der sich auf die Geschichte der Totenbändiger spezialisiert hat. Welche Antworten wird Doktor Winkler ihnen zu dem dunklen Zwilling liefern können? Cam muss sich außerdem mit seinen stärker gewordenen Kräften auseinandersetzten. Doch was, wenn noch viel mehr in ihm steckt? Etwas, worüber er nicht die geringste Kontrolle hat? Der 9. Roman aus der Reihe, "Die Totenbändiger", von Nadine Erdmann (Cyberworld, Die Lichtstein-Saga).

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Table of Contents

Geminus Obscurus

Samhain

Staffel 1 - kurz und knapp

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Vorschau

Impressum

Die Totenbändiger

Band 9

Geminus Obscurus

von Nadine Erdmann

 

 

 

 

 

Samhain

(neuirisch), (altirisch: Samuin oder Samain), bezeichnet die Nacht zwischen dem 31. Oktober und dem 1. November. Altem keltischem Druidenglauben zufolge verschwimmen in dieser Nacht die Grenzen zur Anderwelt, weshalb es ratsam ist, in dieser Zeit vor den fremden Wesen Schutz in sicheren Behausungen zu suchen. Obwohl bisher niemand einen Beweis für die Existenz dieser Anderwelt erbringen konnte, ist erwiesen, dass Geister und Wiedergänger unserer Welt in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November besonders gefährlich sind, wodurch Samhain zur dritten Unheiligen Nacht des Jahres erklärt wurde.

Staffel 1 - kurz und knapp

 

Vor dreizehn Jahren, im letzten Unheiligen Jahr, fand in der Unheiligen Nacht des Frühlingsäquinoktiums im Keller eines verlassenen Herrenhauses ein Massaker statt, bei dem achtundsiebzig Obdachlosen die Kehlen durchgeschnitten wurden. Ebenfalls in diesem Keller befanden sich sechs Holzkisten, in denen Totenbändigerkinder eingesperrt waren. Auch sie waren tot, bis auf einen kleinen Jungen. Thaddeus Pearce, der erste Polizist am Einsatzort, brachte den völlig geschwächten Kleinen zu seinem besten Freund, Phil Hunt, einem Arzt, der gemeinsam mit seiner Frau Sue, einer Totenbändigerin, bereits zwei andere Totenbändigerkinder in seiner Familie aufgenommen hat. Die beiden erklären sich bereit, auch den Jungen aus dem Herrenhaus als ihren Sohn aufzuziehen. Zum Schutz vor der Verfolgung durch den Täter gilt der Junge offiziell dagegen als tot. Der Täter wurde nie gefasst. Dreizehn Jahre später taucht allerdings dieselbe Anzahl an Leichen mit durchgeschnittenen Kehlen auf, was den Verdacht nahelegt, dass der Täter von damals zurückgekehrt sein könnte. Um die Bevölkerung während eines Unheiligen Jahres jedoch nicht noch zusätzlich mit der möglichen Bedrohung durch einen Massenmörder zu beunruhigen, werden die Ermittlungen geheim gehalten. Als Spuks bei der Londoner Polizei finden Gabriel, Sky und Connor jedoch mit Hilfe ihrer Familie, Freunden und Kollegen heraus, dass kein Einzeltäter hinter diesen Taten steckt, sondern eine Sekte von Totenbändigern, deren Ziel es anscheinend ist, geminus obscurus, einen dunklen Zwilling, zu erschaffen. Was diesen Zwilling auszeichnet und wie genau er erschaffen wird, müssen weitere Ermittlungen noch ergeben.

Verschiedene Hinweise deuten zudem darauf hin, dass sich nicht nur die Sekte mit der Erschaffung dieses dunklen Zwillings beschäftigt. Es scheint noch eine weitere Person zu geben, die ebenfalls die Rituale zur Erschaffung des geminus obscurus durchführt. Doch wer ist er? Ein Abtrünniger der Sekte? Ein Ausgestoßener? Ein Nachahmer?

 

Camren Hunt, der kleine Junge, der das Massaker überlebt hat, ist mittlerweile geschätzte siebzehn Jahre alt und leidet jetzt, im neuen Unheiligen Jahr, verstärkt unter Albträumen und einer immer wiederkehrenden inneren Unruhe, was ihn ziemlich mitnimmt. Dank des Einsatzes seiner Eltern, seiner Granny und anderen Totenbändigern sind er und seine Geschwister Teil eines Pilotprojekts, bei dem zum ersten Mal Totenbändiger mit Normalos in eine Regelschule gehen dürfen. Besonders Cam ist dort jedoch Mobbing durch seine Mitschüler ausgesetzt. Drei von ihnen – Topher, Emmett und Stephen – gehen dabei so weit, dass sie Cam an Äquinoktium verschleppen und in einem für die Öffentlichkeit gesperrten Park vor einer Kamera festbinden, um ein Video davon aufzunehmen, wie er in der Unheiligen Nacht Geister bändigt. Cam überlebt nur, weil seine Familie ihn rechtzeitig findet, hat aber zuvor siebzehn Repeater gebändigt, was eigentlich eine schier unmögliche Leistung ist. Sky und Connor kommt daher der Verdacht, dass das Ritual, das bei Cam in frühster Kindheit durchgeführt wurde, vielleicht wirklich dazu geführt haben könnte, dass er diesen dunklen Zwilling in sich trägt, der ihn stärker macht und ihm zusätzliche Fähigkeiten wie sein außergewöhnliches Gespür für Geister verleiht.

 

Außer der Sekte sowie geminus obscurus beschäftigt die Hunts auch noch eine Abstimmung im Stadtrat. Seit Jahren setzen sich die Totenbändiger dort für einen Sitz ein, doch obwohl viele Menschen mittlerweile die Gleichstellung von Totenbändigern und Normalos befürworten, haben große Teile der Bevölkerung diesbezüglich auch weiter Vorbehalte. Als Topher und Emmett, zwei der Mobber von Cams Schule, tot aufgefunden werden, gießt das zusätzlich Öl ins Feuer der Gegner und schürt neues Misstrauen gegen die Totenbändiger.

Aufgrund der Todesumstände und der Verbindung der beiden Opfer zu den Hunts gerät die Familie unter Verdacht, kann ihn aber aufgrund von Alibis ausräumen. Die Hunts wiederum verdächtigen Cornelius Carlton, hinter den Morden zu stecken, um Sue als politische Konkurrentin zu diskreditieren. Carlton ist nicht nur der Schulleiter der Akademie der Totenbändiger, sondern auch Princeps der Sekte, die hinter den grausamen Ritualen steckt, und möchte seinen politischen Einfluss mit allen Mitteln ausdehnen. Sein Ziel ist es, die Rasse der Totenbändiger zu stärken und zu vergrößern, damit sie irgendwann die Herrschaft über die Normalos übernehmen können. Obwohl den Hunts die Beweise dafür (noch) fehlen, gehen sie stark davon aus, dass Carlton seine Finger sowohl bei den Morden an Topher und Emmett als auch bei der Sekte im Spiel hat. Um die entsprechenden Beweise dafür zu finden, wollen sich die Spuks gemeinsam mit ihren Freunden von den Ghost Reapers in Newfield umzusehen, einer Farmgemeinschaft, die Carlton mitgegründet hat und in der nur Totenbändiger leben, die sich vor allem um das Wachsen ihrer Rasse kümmern sollen. Spuks und Reapers wollen dort Beweise gegen Carlton finden, um den Mitgliedern ihrer Community die Augen zu öffnen, denn hinter der Fassade des charmanten Politikers, der sich für die Rechte der Totenbändiger einsetzt und die Abstimmung über ihren Sitz im Stadtrat ermöglicht hat, verbirgt sich ein eiskalt berechnender Mann, der vor keinem Mittel zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen. Da sowohl die Hunts als auch die Ghost Reapers bereits zu spüren bekommen haben, wie weit Carlton bereit ist, zu gehen, setzen sie alles daran, ihm das Handwerk zu legen und Beweise für seine Taten und seine Verbindung zur Sekte zu finden.

 

Blaine, Carltons Sohn, fühlt sich von seinem Vater nicht wertgeschätzt und versucht deshalb, ihm mit allen Mittel zu beweisen, was in ihm steckt. Nachdem er sich jedoch von den Hunts hat austricksen lassen und ihnen so den Standort des geheimen Lagers der Akademie verraten hat, kommt es zum Streit zwischen ihm und seinem Vater, infolgedessen Blaine sich von ihm lossagt.

Um Rache dafür zu nehmen, dass die Hunts ihn vorgeführt haben, entführt Blaine Ella und nimmt dabei nicht nur ihren Tod, sondern auch den von Cam, Jaz und Jules in Kauf. Gemeinsam mit den Ghost Reapers schaffen es die Hunts aber, Ella zu retten. Cornelius hingegen kann die Familie durch geschickte Schachzüge davon abhalten, Blaine anzuzeigen.

Da Carlton verhindern will, dass Blaine ihm durch eine ähnliche Aktion womöglich noch einmal politisch schaden oder seine Pläne durchkreuzen könnte, lässt er ihn von seinen Männern suchen.

 

Um eine Spur zur Sekte zu finden und sie von weiteren Gräueltaten abzuhalten, begibt Cam sich zurück an den damaligen Tatort. Er hofft, dort Erinnerungen zu triggern, die bei den Fragen nach geminus obscurus und der Sekte weiterhelfen können. Es funktioniert und Cam kann sich tatsächlich an die Nacht des Massakers sowie an das Ritual erinnern, aber die Erkenntnisse werfen jede Menge neue Fragen auf. Die Hunts hoffen jedoch, dass ihnen ein Historiker weiterhelfen kann, der sich auf die Geschichte der Totenbändiger spezialisiert hat. Vielleicht kann er ihnen Antworten auf die Fragen nach einer Totenbändigersekte oder geminus obscurus liefern …

Kapitel 1

 

Fünf Jahre zuvor

 

Irgendetwas hatte ihn geweckt, obwohl er in den späteren Befragungen nie hatte sagen können, was es gewesen war. Es war Anfang Juli und die Nacht war drückend warm, weil selbst die Dunkelheit die Hitze kaum erträglich machte, unter der der Süden Englands gerade litt. Nicht zum ersten Mal dachte Connor, dass er vielleicht doch mit seinen Kommilitonen aufs Meer hätte fahren sollen. Dann fiel ihm allerdings wieder ein, dass die meisten von ihnen unerträgliche Snobs waren, die in ihm bloß eine Art Charity-Projekt sahen, und damit bekamen kostenlose Urlaubswochen auf einer Luxusjacht irgendwo vor der portugiesischen Küste einen ziemlich miesen Beigeschmack. Schließlich war er sich schon während seines gesamten ersten Unijahres wie ein Alien unter den anderen vorgekommen, da musste er sich nicht auch noch in den Ferien so fühlen.

Natürlich war ihm klar gewesen, dass es in einem Architekturstudium einige Kommilitonen geben würde, die aus besseren Kreisen stammten und das Fach studierten, um in die gut laufenden Agenturen ihrer Familien einzusteigen. Doch dass diese Leute – zumindest an seiner Uni – fast achtzig Prozent ausmachten und mit ihnen sämtliche namhafte Architekturbüros Südenglands vertreten waren, hatte ihn dann doch überrascht. Und der Rest seiner Mitstudenten schwänzelte um diese achtzig Prozent herum, in der Hoffnung sich so Türen zu besagten Büros zu öffnen.

Es schienen auch alle immer nur an irgendwelchen prestigeträchtigen Riesenprojekten Interesse zu haben, die oft zwar optisch spektakulär aussahen, im Alltag aber praktisch kaum Wohnraumprobleme lösten. Da Connor jedoch gerade diese Problemlösungen spannend fand und sich mehr dafür interessierte, wie man alte Gebäude erhalten und für neue Nutzungsmöglichkeiten herrichten konnte, hatte er unter seinen Kommilitonen schnell den Charity-Stempel aufgedrückt bekommen. Nicht zuletzt, weil er auch einer der wenigen unter ihnen war, der neben dem Studium in einem Supermarkt jobbte, weil seine Eltern ihn finanziell nicht unterstützten. Gemobbt wurde er deshalb allerdings nicht. Im Gegenteil. Seine Mitstudenten schienen fast froh darüber zu sein, dass es auch Studenten wie ihn gab, die sich um Alltagsprobleme kümmern wollten. Immerhin mussten sie das dann nicht tun und zum Dank dafür, dass er ihnen zukünftig diese Lästigkeiten vom Hals halten würde, hatten sie ihn auf ihre Yachten – oder die ihrer Familien – eingeladen. Doch Connor hatte dankend abgelehnt und Arbeiten für seine Familie vorgeschoben. In diesem Sommer mussten die Dächer von zwei Cottages neu gedeckt werden und Connor hoffte, dass er den Familienfrieden wiederherstellen konnte, wenn er dabei half.

Er war der Erste in seiner Familie, der das Abitur gemacht hatte. Schon das war bei seinem Vater nicht gut angekommen. Als er dann aber auch noch zur Uni gegangen war, statt nach der Schule in den Familienbetrieb einzusteigen, hatte es endgültig zu einem Bruch geführt. Man hatte ihm Arroganz und fehlende Wertschätzung fürs Handwerk und die Familie vorgeworfen. Schließlich gab es den Dachdeckerbetrieb Fry & Sons schon seit drei Generationen. Connors Urgroßvater hatte ihn gegründet und mit seinen beiden Söhnen aufgebaut. Die hatten ihn übernommen und mit ihren Söhnen fortgeführt, die es ihrerseits genauso getan hatten. Momentan lag der Betrieb in den Händen von Connors Vater und Onkel. Sein Onkel hatte zwei Söhne, Connors ältere Cousins, die völlig selbstverständlich in den Betrieb mit eingestiegen waren, die Arbeit liebten und damit den Fortbestand von Fry & Sons sichern würden.

Es war auch nicht so, dass Connor nicht wertschätzte, was seine Familie über Generationen aufgebaut hatte. Es war nur einfach nicht sein Ding, Dachdecker zu werden oder die Buchhaltung zu führen, die seine Mutter und seine Tante fest im Griff hatten. Er war stolz auf den Familienbetrieb – er wollte für sich und seine Zukunft nur einfach etwas anderes.

War das wirklich undankbar und arrogant?

Genau das hatte seine Familie ihm immer wieder vorgeworfen, als er gesagt hatte, dass er Architektur studieren und keine Ausbildung bei Fry & Sons machen wollte. Er wusste nicht mehr, wie viele Streitereien es deshalb gegeben hatte. Irgendwann hatte er das Thema einfach gemieden, sich an der Uni beworben und war ausgezogen, sobald er mit der Schule fertig gewesen war. Er musste seinen eigenen Weg gehen, auch wenn es wehtat, dass seine Familie dafür kein Verständnis zeigte.

Eine Weile lang hatte es daraufhin keinen Kontakt zwischen ihnen gegeben, was nicht an Connor gelegen hatte, sondern daran, dass man seine Anrufe und Nachrichten ignorierte. Erst zu Weihnachten hatte seine Mutter eingelenkt und es hatte eine erste Wiederannäherung gegeben. Es waren jedoch anstrengende Feiertage gewesen, die nicht ohne Streit und versteckte Vorwürfe abgelaufen waren. Trotz allem hatte Connor nicht aufgeben und sich endgültig von ihnen lossagen wollen. Sie waren immerhin seine Familie. Das musste doch irgendwas zählen, oder nicht? Man sollte sich doch zusammenraufen und für einander da sein, selbst wenn man nicht in allem einer Meinung war.

Das war auch der Grund, warum er jetzt hier war. Seit Weihnachten hatte seine Mutter sporadischen Kontakt zu ihm gehalten, und als sie erzählt hatte, dass für den Sommer die Dacherneuerungen sowohl bei ihrem Cottage als auch bei dem seines Onkels und seiner Tante anstanden, hatte Connor angeboten, in den Semesterferien zu helfen. So, wie er auch in den Schulferien immer im Betrieb mitgeholfen hatte. Vielleicht würde das die Beziehung zu seinem Vater und seinem Onkel wieder kitten.

Bisher lief diese Mission allerdings nur mit mäßigem Erfolg. In den drei Tagen, die er jetzt hier war, hatte er sich statt Worte der Dankbarkeit für seine Hilfe bloß anhören müssen, was er alles falsch machte. Er war zu stupiden Handlangerarbeiten verdonnert worden, obwohl sein Vater genau wie sein Onkel wusste, dass er viel mehr konnte, als nur Material herumschleppen. Andere hätten deshalb vermutlich schon hingeschmissen und das Band endgültig gekappt. Auch Connor war sich nicht sicher, wie lange er es noch durchziehen wollte. Er war hier, um zu helfen und den Familienfrieden wiederherzustellen. Er hatte ihnen seine Hand entgegengestreckt. Mehr Bereitschaft zur Versöhnung konnte er nicht zeigen und wenn seine Familie umgekehrt nicht dazu bereit war, zu akzeptieren, dass er über sein Leben selbst entscheiden wollte, dann war irgendwann eben Schluss. Dann musste er gehen, auch wenn es schmerzte. Aber hierzubleiben, würde ihn genauso fertigmachen, wenn sich nichts änderte.

Ein paar Tage wollte er ihnen aber noch geben. Bis zum Wochenende. Sie waren immerhin seine Familie, verdammt!

Müde rieb Connor sich über die Augen und sah sich in seinem alten Zimmer um. Irgendwie war alles anders und es fiel ihm schwer, sich hier noch dazugehörig zu fühlen. Alles wirkte fremd – und er war sich nicht sicher, ob das nur daran lag, dass alle Möbel mit alten Laken oder Plastikfolie abgedeckt waren. Auch die Dachschrägen über ihm bestanden gerade nur aus Nässe abweisender Schutzfolie, von der er heute gefühlte Tonnen die Leiter rauf aufs Dach geschleppt hatte, damit die anderen sie verlegen konnten. Den Muskelkater spürte er jetzt schon, aber er würde den Teufel tun und ihn sich morgen anmerken lassen.

Da die Isolierung noch fehlte, war es unerträglich heiß und das alte T-Shirt, das er zum Schlafen angezogen hatte, klebte an seinem Körper. Gerade als er sich aufsetzen wollte, um es auszuziehen, hörte er einen eigenartigen röchelnden Laut. Wie ein Schrei, dem die Kraft fehlte und der deshalb langsam erstickte.

Beunruhigt schwang er sich aus dem Bett.

War etwas mit seinen Eltern?

Er öffnete seine Tür und trat hinaus auf den Flur. Ihr Cottage war nur klein und schon genauso lange im Familienbesitz wie der Dachdeckerbetrieb. Im Erdgeschoss lagen Küche, Wohnzimmer, Gäste-WC und ein kleiner Anbau, in dem sich ein Hauswirtschaftsraum befand. Im Stockwerk darüber waren Connors Zimmer, das Schlafzimmer seiner Eltern und ein Bad. Das Cottage stand am Rand eines Waldes und gehörte zu Tinkay, einem dreihundert Seelen Dorf in der Pampa von Sussex. Keine fünfzig Meter entfernt lag das einzige andere Haus in ihrer Straße: das Cottage, in dem sein Onkel, seine Tante und Jackson, der jüngere seiner beiden Cousins, wohnten. Timothy, der ältere Bruder, war im letzten Jahr mit seiner Freundin zusammengezogen und wohnte jetzt am anderen Dorfende.

Connor blinzelte. Genau wie sein Zimmer sah es auch hier im Flur seltsam fremd aus. Die uralte Kommode, die seit er denken konnte an der Tür zum Badezimmer stand, war mit Plastikfolie verhüllt. Ebenso das Sideboard neben dem Treppenabgang, während der Boden mit Laken und Malerflies vor den Arbeiten am offenen Dach geschützt wurde.

Die Nässefolie, die sich um die Dachbalken spannte, knisterte.

Connor runzelte die Stirn.

Draußen stand die Hitze, weil nicht mal der kleinste Windhauch ging. Warum knisterte also die Folie?

Er zuckte zusammen, als wieder das erstickte Röcheln erklang. Es kam aus dem Schlafzimmer seiner Eltern.

»Mum?« Er lief über den Flur. »Dad? Ist alles okay?«

Andere hätten bei röchelnden Lauten aus den Schlafzimmern ihrer Eltern vermutlich an ganz andere Dinge gedacht, doch Connor hatte in seinen gesamten neunzehn Lebensjahren nie etwas vom Sexleben seiner Eltern mitbekommen – wofür er außerordentlich dankbar war. Kein Kind wollte irgendetwas vom Sex seiner Eltern wissen. Daher war er auch jetzt sicher, dass irgendwas anderes bei ihnen vorgehen musste.

Etwas, das für ein ungutes Kribbeln in seinem Nacken sorgte, als aus dem Schlafzimmer keine Antwort kam.

Er klopfte an die Tür. »Mum? Dad?«

Nichts. Nicht mal mehr das Röcheln.

Connor drückte die Klinke und schob die Tür auf.

Eisige Kälte schlug ihm entgegen und er traute seinen Augen kaum. Frostkristalle zogen sich über Wände und Deckenfolie des Schlafzimmers. Die Kälte biss in seine nackte Haut und ließ seinen Atem kondensieren – dann sah er den grauweißen Geisterschimmer, der über dem Bett seiner Eltern schwebte. Im vorderen Bett starrte sein Vater ihn aus leblos trüben Augen an, während seine Mutter ein letztes Röcheln von sich gab, als der Geist das Leben aus ihr heraussaugte.

Connor stand da wie gelähmt. Sein Herz setzte zwei Schläge lang aus und sein Verstand weigerte sich schlicht, zu erfassen, was er da sah.

Ein Geist.

In ihrem Haus.

Und er hatte seine Eltern getötet.

Als man ihn später befragte, konnte Connor nicht sagen, wie lange er dagestanden hatte, ohne sich zu rühren, ohne begreifen zu können. Das, was er da sah, war einfach unmöglich.

Natürlich wusste er, dass es Geister gab. Auf dem Campus herrschten strenge Sperrstundenregeln und jede Menge Vorsichtsmaßnahmen. Auch in seinem Architekturstudium hatte er sich mit dem Thema auseinandergesetzt, da einer der Pflichtkurse sich ausgiebig mit allen Bauvorschriften beschäftigt hatte, die die Sicherheit vor Geistern gewährleisteten. Natürlich galten die auch hier in Tinkay, seinem kleinen Heimatdorf. Aber hier hatte es noch nie einen Geist gegeben, weil es hier keine gewaltsamen Todesfälle gab. Hier starben die Leute friedlich. Genauso in den kleinen Nachbardörfern. Es gab in ihrer Gegend einfach keine Geister.

Und doch schwebte jetzt einer über dem Bett seiner Eltern, saugte ihnen das Leben aus und verbreitete Todeskälte, die die Umgebung in Eis tauchte.

Connor zitterte, ohne dass er es merkte.

Dafür bemerkte der Geist aber ihn. Er bildete grob menschenähnliche Konturen nach und schien sich ihm zuzuwenden, als er das letzte bisschen Leben aus Connors Mutter gesogen hatte. Dann löste die Kreatur die gräulichen Fäden von ihrem Körper und ließ sie zu Connor schlängeln. Der stand noch immer starr vor Schock da, unfähig zu begreifen, in welcher Gefahr er schwebte.

Ein Schrei gellte durch die Nacht.

Seine Tante! Im Nachbarhaus! Voller Panik – und dann plötzlich still.

Das holte Connor aus seiner Schockstarre.

Der Geist war nicht der einzige?!

Er hatte keine Ahnung, wie das möglich war, doch das war jetzt auch egal.

Jetzt ging es darum, zu überleben.

Seine Hand lag noch immer auf der Klinke und er zog die Tür mit einem Knall zu, bevor der erste Geisterfaden es zu ihm schaffte. Panisch wandte er sich um und stolperte automatisch in Richtung seines Zimmers zurück.

Wohin?

Die geschlossene Tür war keine Sicherheit. Geister konnten zwar nicht durch massive Türen oder Wände gehen, aber ihnen reichten kleinste Risse oder Löcher, um sich hindurchzuwinden.

Der Spalt zwischen Tür und Boden.

Das Schlüsselloch.

Sein Zimmer würde keinen Schutz bieten.

Wohin?

Hektisch sah er sich um. Rief sich alles ins Gedächtnis, was er an der Uni gelernt hatte.

Eisen schützte. Deshalb brachte man an Fenstern und Türen Eisenrahmen und in Kaminen Eisengitter an, um Geister aus den Häusern zu halten.

Aber was tat man, wenn ein Geist es schon ins Haus geschafft hatte? Wohin dann?

Raus? Ins Auto?

Die Karosserien aller Wagen war so gebaut, dass sie einen gewissen Schutz vor Seelenlosen boten.

Aber konnte er sich vor die Tür wagen? Der Schrei seiner Tante ließ befürchten, dass es hier mehr als nur einen Geist gab. Konnte er es dann von der Haustür bis zu seinem Auto am Straßenrand schaffen? Das waren sicher zehn, zwölf Meter. Das schien zu riskant.

Denk nach, Mann! Denk nach!

Doch er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, als er sah, wie der graue Geisternebel unter der Tür hervorquoll und wieder eine menschenähnliche Kontur annahm.

Licht! Er brauchte Licht!

Connor schlug auf den Schalter an der Wand neben dem Treppenabgang.

Nichts geschah.

Shit!

Wegen der Dacharbeiten war der Strom im oberen Stockwerk abgestellt.

Panisch stolperte er weiter zurück, als der Geist auf ihn zugeschwebt kam, und nahm sich damit die Möglichkeit, nach unten zu flüchten, weil der Geist ihm jetzt den Fluchtweg über die Treppe versperrte.

Connors Herz hämmerte in seiner Brust.

Wohin?

Seine Mutter hatte im Badezimmer eine Taschenlampe deponiert. Konnte er sich den Geist damit vom Hals halten? Bei der Sicherheitseinweisung im Wohnheim auf dem Campus hatte man ihnen nahegelegt, sich Taschenlampen mit Magnesiumlicht zu kaufen, weil sie einen gewissen Schutz boten. Connor hatte sich tatsächlich so eine gekauft, aber sie lag in seinem Zimmer im Studentenwohnheim. Ob die Lampe seiner Eltern eine Magnesiumlampe war, wusste er nicht, aber alles war besser als nichts.

Er riss die Tür zum Badezimmer auf und sah die Lampe auf einem Regal neben dem Waschbecken. Hastig schaltete er sie ein und wollte zurück auf den Gang, aber der Geist waberte schon vor der Tür.

Verdammt, das Biest war schnell.

Und die Taschenlampe besaß kein Magnesiumlicht, nur normales. Connor richtete es trotzdem auf den Geist. Der zuckte zurück, als der Strahl ihn traf. Die Geisterfäden, die er nach Connor ausgestreckt hatte, verharrten in der Luft, aber in die Flucht schlagen konnte das Licht die Kreatur nicht.

Was jetzt?

Connor hielt den Lichtkegel auf den Geist gerichtet, um ihn so zumindest auf Abstand zu halten, und sah sich hektisch um. Aber was sollte es in einem Badezimmer schon geben, das ihm gegen einen Geist helfen konnte? Handtücher, Shampoo, Duschgel – nichts davon taugte irgendwas.

Doch! Die Badewanne!

Die gusseiserne Badewanne!

Ohne lange nachzudenken, ob er sich damit nicht vielleicht endgültig in die Enge manövrierte, stieg Connor in die riesige uralte Wanne mit den Löwentatzenfüßen, die er als Kind wahnsinnig toll gefunden hatte. Heute Nacht würde diese Wanne ihm hoffentlich das Leben retten.

Er kauerte sich so klein wie möglich zusammen und schauderte, als seine verschwitzte Haut die kalten Emaillewände berührte. Sein Herz pochte wie wild und Blut rauschte in seinen Ohren, während seine Finger die Taschenlampe umklammerten und er hinauf zum Wannenrand starrte. Aus seiner Position heraus konnte er die Tür nicht mehr sehen und hatte keine Ahnung, wo der Geist war und was das Biest gerade machte.

Aber es wurde immer kälter und kälter.

Frost kroch über die Wände und ließ die Schutzfolie an den Dachbalken knistern.

Wieder sah Connor, wie sein Atem kondensierte. Wieder biss Kälte in die nackte Haut seiner Arme und Beine.

Er begann zu zittern. Vor Kälte, vor Angst – er wusste es nicht. Als über ihm plötzlich ein grauer Geisterfaden auftauchte, fuhr er heftig zusammen. Tastend, suchend schlängelte der Faden umher, blieb aber gut anderthalb Meter über Connor. Anscheinend hielt das Eisen in der Badewanne das Biest wirklich auf Abstand.

Aber für wie lange?

Connor drehte die Taschenlampe und richtete den Lichtkegel auf den Geisterfaden. Sofort zog der sich zurück.

Aber wie lange? Wie lange?

Und was würde geschehen, wenn der Geist Verstärkung bekam?

Connor schluckte hart. Das Biest hatte seine Eltern getötet, das bedeutete, aus ihren Leichen würden ebenfalls Geister entstehen. Hungrige Geister, die gierig auf Lebensenergie waren. Der Gedanke war so widerlich, dass ihm speiübel wurde.

Er wusste, dass die Geister, die aus Gewaltopfern entstanden, nichts mehr mit den Menschen gemeinsam hatten, aus denen sie entstanden waren. Trotzdem war die Vorstellung unerträglich, dass seine Eltern sich gerade in Seelenlose verwandelten. Bisher konnte er ja noch nicht mal richtig begreifen, dass sie überhaupt tot waren.

Seine Kehle schnürte sich gefährlich zu. Sein Herz raste und er zitterte so heftig, dass er kaum die Taschenlampe halten konnte.

Aber er musste! Er musste!

Der Geisterfaden schlängelte wieder über ihm heran und Connor vertrieb ihn erneut mit seinem Lichtstrahl. Er presste die Kiefer aufeinander, zwang sich, ruhig zu atmen und zog Arme und Beine gegen die fürchterliche Kälte so dicht er konnte an den Körper.

Er musste durchhalten!

Genauso wie die verdammten Batterien in der Taschenlampe.

Wie spät war es?

Er hatte keine Ahnung. Hier im Badezimmer war es stockfinster. Sein Vater wollte erst morgen den Platz für das neue Dachfenster festlegen. Connor biss sich auf die Unterlippe, als ihm klar wurde, dass das nicht mehr passieren würde.

Sein Vater war tot.

Was war mit seinem Onkel, seiner Tante und Jackson? So wie seine Tante geschrien hatte …

Connor kämpfte erneut mit diesem furchtbaren Chaos aus Trauer, Schock und Panik, das ihm die Brust zusammendrücken wollte.

Denk nicht drüber nach! Nicht jetzt!

Jetzt musste er erst diese Nacht überstehen.

 

Er fand nie heraus, wie viele Stunden er in der Badewanne zugebracht hatte. Irgendwann waren draußen vor dem Haus Autos zu hören, dann Stimmen und jemand hämmerte gegen die Haustür. Connor wollte rufen, dass wer immer da draußen war, vorsichtig sein sollte, dass hier ein Geist war, der seine Eltern getötet hatte und jetzt ihn belagerte, um ihn ebenfalls zu töten.

Doch er konnte nicht.

Seine Stimme gehorchte ihm einfach nicht.

Dann stand plötzlich ein Polizist vor der Badewanne. Kurz darauf zwei Sanitäter, die ihm aus der Badewanne halfen, Decken um ihn wickelten und ihn zu einem Rettungswagen brachten. Connor nahm das alles nur dumpf wahr. Wie ein Zuschauer. Als wäre das hier gar nicht sein Leben.

Die Sanitäter mussten ihm irgendwas gegeben haben, denn er hatte keine Erinnerungen an die Fahrt. Er wachte erst wieder in einem Bett im Krankenhaus auf – mit einer gefährlichen Unterkühlung und einem schweren Schock.

An seine ersten Tage danach konnte er sich ebenfalls kaum erinnern. Ärzte und Pflegepersonal kamen und gingen, genauso wie die Polizei, die ihm erzählte, was passiert war. Eine Gruppe von fünf jungen Leuten aus einem der Nachbardörfer war in der Nacht mit ihrem Wagen verunglückt, als der Fahrer alkoholisiert und mit zu hoher Geschwindigkeit in einer Kurve die Kontrolle verloren hatte. Der Wagen war einen Abhang hinuntergestürzt und hatte sich mehrfach überschlagen. Laut Autopsie waren alle fünf Insassen sofort tot gewesen und da auf den einsamen Straßen zu so später Stunde niemand den Unfall bemerkt hatte, konnten sich die Toten zu Geistern wandeln, die im nächstgelegenen Dorf auf die Jagd nach Lebensenergie gegangen waren. Da in Tinkay noch nie zuvor ein Geist gesichtet worden war, hatten nicht alle Einwohner den Schutz ihrer Häuser ernst genug genommen. Besonders die weggerosteten Eisengitter in den Kaminen wurden vielen zum Verhängnis. Und die zwei Häuser, deren Dächer gerade neu gedeckt wurden, boten ihren Bewohnern ebenfalls keinen Schutz.