Die Traumdeutung - Sigmund Freud - E-Book

Die Traumdeutung E-Book

Sigmund Freud

4,4

Beschreibung

Die Traumdeutung, 1900 erschienen, ist nun mehr als hundert Jahre alt. Auch im metaphorischen Sinne ist sie ein Jahrhundertbuch; denn durch die systematische Entschlüsselung der Traumsprache hat Freud die Dimension des Unbewussten erstmals in vollem Umfang vermessen und in unsere Selbstwahrnehmung gerückt. Mit dem Verständnis der Träume weitete sich die Psychoanalyse, die aus der Erforschung neurotischer Symptome hervorgegangen war, zu einer allgemeinen, pathologische und normale Phänomene umfassenden Psychologie.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 995

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,4 (56 Bewertungen)
35
11
10
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



SIGMUND

FREUD

 

 

Die Traumdeutung

 

 

 

 

 

 

 

Dem vorliegenden Text liegt die Ausgabe von 1925 zugrunde.

 

 

 

 

© 2010 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,

Hamburg

 

Alle Rechte, auch das der fotomechanischen Wiedergabe

(einschließlich Fotokopie) oder der Speicherung auf

elektronischen Systemen, vorbehalten.

All rights reserved.

 

Titelabbildung: Ullstein bild

Umschlag: Groothuis, Lohfert, Consorten | glcons.de

E-Book Erstellung: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH

ISBN: 978-3-86820-968-6

 

www.nikol-verlag.de

Vorworte

Vorbemerkung [zur ersten Auflage]

Indem ich hier die Darstellung der Traumdeutung versuche, glaube ich den Umkreis neuropathologischer Interessen nicht überschritten zu haben. Denn der Traum erweist sich bei der psychologischen Prüfung als das erste Glied in der Reihe abnormer psychischer Gebilde, von deren weiteren Gliedern die hysterische Phobie, die Zwangs- und die Wahnvorstellung den Arzt aus praktischen Gründen beschäftigen müssen. Auf eine ähnliche praktische Bedeutung kann der Traum – wie sich zeigen wird – Anspruch nicht erheben; um so größer ist aber sein theoretischer Wert als Paradigma, und wer sich die Entstehung der Traumbilder nicht zu erklären weiß, wird sich auch um das Verständnis der Phobien, Zwangs- und Wahnideen, eventuell um deren therapeutische Beeinflussung, vergeblich bemühen.

Derselbe Zusammenhang aber, dem unser Thema seine Wichtigkeit verdankt, ist auch für die Mängel der vorliegenden Arbeit verantwortlich zu machen. Die Bruchflächen, welche man in dieser Darstellung so reichlich finden wird, entsprechen ebenso vielen Kontaktstellen, an denen das Problem der Traumbildung in umfassendere Probleme der Psychopathologie eingreift, die hier nicht behandelt werden konnten und denen, wenn Zeit und Kraft ausreichen und weiteres Material sich einstellt, spätere Bearbeitungen gewidmet werden sollen.

Eigentümlichkeiten des Materials, an dem ich die Traumdeutung erläutere, haben mir auch diese Veröffentlichung schwer gemacht. Es wird sich aus der Arbeit selbst ergeben, warum alle in der Literatur erzählten oder von Unbekannten zu sammelnden Träume für meine Zwecke unbrauchbar sein mußten; ich hatte nur die Wahl zwischen den eigenen Träumen und denen meiner in psychoanalytischer Behandlung stehenden Patienten. Die Verwendung des letzteren Materials wurde mir durch den Umstand verwehrt, daß hier die Traumvorgänge einer unerwünschten Komplikation durch die Einmengung neurotischer Charaktere unterlagen. Mit der Mitteilung meiner eigenen Träume aber erwies sich als untrennbar verbunden, daß ich von den Intimitäten meines psychischen Lebens fremden Einblicken mehr eröffnete, als mir lieb sein konnte und als sonst einem Autor, der nicht Poet, sondern Naturforscher ist, zur Aufgabe fällt. Das war peinlich, aber unvermeidlich; ich habe mich also darein gefügt, um nicht auf die Beweisführung für meine psychologischen Ergebnisse überhaupt verzichten zu müssen. Natürlich habe ich doch der Versuchung nicht widerstehen können, durch Auslassungen und Ersetzungen manchen Indiskretionen die Spitze abzubrechen; sooft dies geschah, gereichte es dem Werte der von mir verwendeten Beispiele zum entschiedensten Nachteile. Ich kann nur die Erwartung aussprechen, daß die Leser dieser Arbeit sich in meine schwierige Lage versetzen werden, um Nachsicht mit mir zu üben, und ferner, daß alle Personen, die sich in den mitgeteilten Träumen irgendwie betroffen finden, wenigstens dem Traumleben Gedankenfreiheit nicht werden versagen wollen.

Vorwort zur zweiten Auflage

Daß von diesem schwer lesbaren Buche noch vor Vollendung des ersten Jahrzehntes eine zweite Auflage notwendig geworden ist, verdanke ich nicht dem Interesse der Fachkreise, an die ich mich in den vorstehenden Sätzen gewendet hatte. Meine Kollegen von der Psychiatrie scheinen sich keine Mühe gegeben zu haben, über das anfängliche Befremden hinauszukommen, welches meine neuartige Auffassung des Traumes erwecken konnte, und die Philosophen von Beruf, die nun einmal gewohnt sind, die Probleme des Traumlebens als Anhang zu den Bewußtseinszuständen mit einigen – meist den nämlichen – Sätzen abzuhandeln, haben offenbar nicht bemerkt, daß man gerade an diesem Ende allerlei hervorziehen könne, was zu einer gründlichen Umgestaltung unserer psychologischen Lehren führen muß. Das Verhalten der wissenschaftlichen Buchkritik konnte nur zur Erwartung berechtigen, daß Totgeschwiegenwerden das Schicksal dieses meines Werkes sein müsse; auch die kleine Schar von wackeren Anhängern, die meiner Führung in der ärztlichen Handhabung der Psychoanalyse folgen und nach meinem Beispiel Träume deuten, um diese Deutungen in der Behandlung von Neurotikern zu verwerten, hätte die erste Auflage des Buches nicht erschöpft. So fühle ich mich denn jenem weiteren Kreise von Gebildeten und Wißbegierigen verpflichtet, deren Teilnahme mir die Aufforderung verschafft hat, die schwierige und für so vieles grundlegende Arbeit nach neun Jahren von neuem vorzunehmen.

Ich freue mich, sagen zu können, daß ich wenig zu verändern fand. Ich habe hie und da neues Material eingeschaltet, aus meiner vermehrten Erfahrung einzelne Einsichten hinzugefügt, an einigen wenigen Punkten Umarbeitungen versucht; alles Wesentliche über den Traum und seine Deutung sowie über die daraus ableitbaren psychologischen Lehrsätze ist aber ungeändert geblieben; es hat wenigstens subjektiv die Probe der Zeit bestanden. Wer meine anderen Arbeiten (über Ätiologie und Mechanismus der Psychoneurosen) kennt, weiß, daß ich niemals Unfertiges für fertig ausgegeben und mich stets bemüht habe, meine Aussagen nach meinen fortschreitenden Einsichten abzuändern; auf dem Gebiete des Traumlebens durfte ich bei meinen ersten Mitteilungen stehenbleiben. In den langen Jahren meiner Arbeit an den Neurosenproblemen bin ich wiederholt ins Schwanken geraten und an manchem irre geworden; dann war es immer wieder die Traumdeutung, an der ich meine Sicherheit wiederfand. Meine zahlreichen wissenschaftlichen Gegner zeigen also einen sicheren Instinkt, wenn sie mir gerade auf das Gebiet der Traumforschung nicht folgen wollen.

Auch das Material dieses Buches, diese zum größten Teil durch die Ereignisse entwerteten oder überholten eigenen Träume, an denen ich die Regeln der Traumdeutung erläutert hatte, erwies bei der Revision ein Beharrungsvermögen, das sich eingreifenden Änderungen widersetzte. Für mich hat dieses Buch nämlich noch eine andere subjektive Bedeutung, die ich erst nach seiner Beendigung verstehen konnte. Es erwies sich mir als ein Stück meiner Selbstanalyse, als meine Reaktion auf den Tod meines Vaters, also auf das bedeutsamste Ereignis, den einschneidendsten Verlust im Leben eines Mannes. Nachdem ich dies erkannt hatte, fühlte ich mich unfähig, die Spuren dieser Einwirkung zu verwischen. Für den Leser mag es aber gleichgültig sein, an welchem Material er Träume würdigen und deuten lernt.

Wo ich eine unabweisbare Bemerkung nicht in den alten Zusammenhang einfügen konnte, habe ich ihre Herkunft von der zweiten Bearbeitung durch eckige Klammern angedeutet[1].

Berchtesgaden, im Sommer 1908.

Vorwort zur dritten Auflage

Während zwischen der ersten und der zweiten Auflage dieses Buches ein Zeitraum von neun Jahren verstrichen ist, hat sich das Bedürfnis einer dritten bereits nach wenig mehr als einem Jahre bemerkbar gemacht. Ich darf mich dieser Wandlung freuen; wenn ich aber vorhin die Vernachlässigung meines Werkes von Seite der Leser nicht als Beweis für dessen Unwert gelten lassen wollte, kann ich das nunmehr zutage getretene Interesse auch nicht als Beweis für seine Trefflichkeit verwerten.

Der Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis hat auch die »Traumdeutung« nicht unberührt gelassen. Als ich sie 1899 niederschrieb, bestand die »Sexualtheorie« noch nicht, war die Analyse der komplizierteren Formen von Psychoneurosen noch in ihren Anfängen. Die Deutung der Träume sollte ein Hilfsmittel werden, um die psychologische Analyse der Neurosen zu ermöglichen; seither hat das vertiefte Verständnis der Neurosen auf die Auffassung des Traumes zurückgewirkt. Die Lehre von der Traumdeutung selbst hat sich nach einer Richtung weiterentwickelt, auf welche in der ersten Auflage dieses Buches nicht genug Akzent gefallen war. Durch eigene Erfahrung wie durch die Arbeiten von W. Stekel und anderen habe ich seither den Umfang und die Bedeutung der Symbolik im Traume (oder vielmehr im unbewußten Denken) richtiger würdigen gelernt. So hat sich im Laufe dieser Jahre vieles angesammelt, was Berücksichtigung verlangte. Ich habe versucht, diesen Neuerungen durch zahlreiche Einschaltungen in den Text und Anfügung von Fußnoten Rechnung zu tragen. Wenn diese Zusätze nun gelegentlich den Rahmen der Darstellung zu sprengen drohen oder wenn es doch nicht an allen Stellen gelungen ist, den früheren Text auf das Niveau unserer heutigen Einsichten zu heben, so bitte ich für diese Mängel des Buches um Nachsicht, da sie nur Folgen und Anzeichen der nunmehr beschleunigten Entwicklung unseres Wissens sind. Ich getraue mich auch vorherzusagen, nach welchen anderen Richtungen spätere Auflagen der »Traumdeutung« – falls sich ein Bedürfnis nach solchen ergeben würde – von der vorliegenden abweichen werden. Dieselben müßten einerseits einen engeren Anschluß an den reichen Stoff der Dichtung, des Mythus, des Sprachgebrauchs und der Folklore suchen, anderseits die Beziehungen des Traumes zur Neurose und zur Geistesstörung noch eingehender, als es hier möglich war, behandeln.

Herr Otto Rank hat mir bei der Auswahl der Zusätze wertvolle Dienste geleistet und die Revision der Druckbogen allein besorgt. Ich bin ihm und vielen anderen für ihre Beiträge und Berichtigungen zu Dank verpflichtet.

Wien, im Frühjahr 1911.

Vorwort zur vierten Auflage

Im Vorjahre (1913) hat Dr. A. A. Brill in New York eine englische Übersetzung dieses Buches zustande gebracht. [The Interpretation of Dreams. G. Allen & Co., London.]

Herr Dr. Otto Rank hat diesmal nicht nur die Korrekturen besorgt, sondern auch den Text um zwei selbständige Beiträge bereichert. (Anhang zu Kapitel VI.)

Wien, im Juni 1914.

Vorwort zur fünften Auflage

Das Interesse für die »Traumdeutung« hat auch während des Weltkrieges nicht geruht und noch vor Beendigung desselben eine neue Auflage notwendig gemacht. In dieser konnte aber die neue Literatur seit 1914 nicht voll berücksichtigt werden; soweit sie fremdsprachig war, kam sie überhaupt nicht zu meiner und Dr. Rank’s Kenntnis.

Eine ungarische Übersetzung der »Traumdeutung«, von den Herren Dr. Hollós und Dr. Ferenczi besorgt, ist dem Erscheinen nahe. In meinen 1916/17 veröffentlichten »Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse« (bei H. Heller, Wien) ist das elf Vorlesungen umfassende Mittelstück einer Darstellung des Traumes gewidmet, welche elementarer zu sein bestrebt ist und einen innigeren Anschluß an die Neurosenlehre herzustellen beabsichtigt. Sie hat im ganzen den Charakter eines Auszugs aus der »Traumdeutung«, obwohl sie an einzelnen Stellen Ausführlicheres bietet.

Zu einer gründlichen Umarbeitung dieses Buches, welche es auf das Niveau unserer heutigen psychoanalytischen Anschauungen heben, dafür aber seine historische Eigenart vernichten würde, konnte ich mich nicht entschließen. Ich meine aber, es hat in nahezu zwanzigjähriger Existenz seine Aufgabe erledigt.

Budapest-Steinbruch, im Juli 1918.

Vorwort zur sechsten Auflage

Die Schwierigkeiten, unter denen gegenwärtig das Buchgewerbe steht, haben zur Folge gehabt, daß diese neue Auflage weit später erschienen ist, als dem Bedarf entsprochen hätte, und daß sie – zum ersten Male – als unveränderter Abdruck der ihr vorhergehenden auftritt. Nur das Literaturverzeichnis am Ende des Buches ist von Dr. O. Rank vervollständigt und fortgeführt worden.

Meine Annahme, dieses Buch hätte in nahezu zwanzigjähriger Existenz seine Aufgabe erledigt, hat also keine Bestätigung gefunden. Ich könnte vielmehr sagen, daß es eine neue Aufgabe zu erfüllen hat. Handelte es sich früher darum, einige Aufklärungen über das Wesen des Traumes zu geben, so wird es jetzt ebenso wichtig, den hartnäckigen Mißverständnissen zu begegnen, denen diese Aufklärungen ausgesetzt sind.

Wien, im April 1921.

IDie wissenschaftliche Literatur der Traumprobleme

Auf den folgenden Blättern werde ich den Nachweis erbringen, daß es eine psychologische Technik gibt, welche gestattet, Träume zu deuten, und daß bei Anwendung dieses Verfahrens jeder Traum sich als ein sinnvolles psychisches Gebilde herausstellt, welches an angebbarer Stelle in das seelische Treiben des Wachens einzureihen ist. Ich werde ferner versuchen, die Vorgänge klarzulegen, von denen die Fremdartigkeit und Unkenntlichkeit des Traumes herrührt, und aus ihnen einen Rückschluß auf die Natur der psychischen Kräfte ziehen, aus deren Zusammen- oder Gegeneinanderwirken der Traum hervorgeht. So weit gelangt, wird meine Darstellung abbrechen, denn sie wird den Punkt erreicht haben, wo das Problem des Träumens in umfassendere Probleme einmündet, deren Lösung an anderem Material in Angriff genommen werden muß.

Eine Übersicht über die Leistungen früherer Autoren sowie über den gegenwärtigen Stand der Traumprobleme in der Wissenschaft stelle ich voran, weil ich im Verlaufe der Abhandlung nicht häufig Anlaß haben werde, darauf zurückzukommen. Das wissenschaftliche Verständnis des Traumes ist nämlich trotz mehrtausendjähriger Bemühung sehr wenig weit gediehen. Dies wird von den Autoren so allgemein zugegeben, daß es überflüssig scheint, einzelne Stimmen anzuführen. In den Schriften, deren Verzeichnis ich zum Schlusse meiner Arbeit anfüge, finden sich viele anregende Bemerkungen und reichlich interessantes Material zu unserem Thema, aber nichts oder wenig, was das Wesen des Traumes träfe oder eines seiner Rätsel endgültig löste. Noch weniger ist natürlich in das Wissen der gebildeten Laien übergegangen.

Welche Auffassung der Traum in den Urzeiten der Menschheit bei den primitiven Völkern gefunden und welchen Einfluß er auf die Bildung ihrer Anschauungen von der Welt und von der Seele genommen haben mag, das ist ein Thema von so hohem Interesse, daß ich es nur ungern von der Bearbeitung in diesem Zusammenhange ausschließe. Ich verweise auf die bekannten Werke von Sir J. Lubbock, H. Spencer, E. B. Tylor u. a. und füge nur hinzu, daß uns die Tragweite dieser Probleme und Spekulationen erst begreiflich werden kann, nachdem wir die uns vorschwebende Aufgabe der »Traumdeutung« erledigt haben.

Ein Nachklang der urzeitlichen Auffassung des Traumes liegt offenbar der Traumschätzung bei den Völkern des klassischen Altertums zugrunde[2]. Es war bei ihnen Voraussetzung, daß die Träume mit der Welt übermenschlicher Wesen, an die sie glaubten, in Beziehung stünden und Offenbarungen von Seiten der Götter und Dämonen brächten. Ferner drängte sich ihnen auf, daß die Träume eine für den Träumer bedeutsame Absicht hätten, in der Regel, ihm die Zukunft zu verkünden. Die außerordentliche Verschiedenheit in dem Inhalt und dem Eindruck der Träume machte es allerdings schwierig, eine einheitliche Auffassung derselben durchzuführen, und nötigte zu mannigfachen Unterscheidungen und Gruppenbildungen der Träume, je nach ihrem Wert und ihrer Zuverlässigkeit. Bei den einzelnen Philosophen des Altertums war die Beurteilung des Traumes natürlich nicht unabhängig von der Stellung, die sie der Mantik überhaupt einzuräumen bereit waren.

In den beiden den Traum behandelnden Schriften des Aristoteles ist der Traum bereits Objekt der Psychologie geworden. Wir hören, der Traum sei nicht gottgesandt, nicht göttlicher Natur, wohl aber dämonischer, da ja die Natur dämonisch, nicht göttlich ist, d. h. der Traum entstammt keiner übernatürlichen Offenbarung, sondern folgt aus den Gesetzen des allerdings mit der Gottheit verwandten menschlichen Geistes. Der Traum wird definiert als die Seelentätigkeit des Schlafenden, insofern er schläft.

Aristoteles kennt einige der Charaktere des Traumlebens, z. B. daß der Traum kleine, während des Schlafes eintretende Reize ins Große umdeutet (»man glaubt, durch ein Feuer zu gehen und heiß zu werden, wenn nur eine ganz unbedeutende Erwärmung dieses oder jenes Gliedes stattfindet«), und zieht aus diesem Verhalten den Schluß, daß die Träume sehr wohl die ersten bei Tag nicht bemerkten Anzeichen einer beginnenden Veränderung im Körper dem Arzt verraten könnten[3].

Die Alten vor Aristoteles haben den Traum bekanntlich nicht für ein Erzeugnis der träumenden Seele gehalten, sondern für eine Eingebung von göttlicher Seite, und die beiden gegensätzlichen Strömungen, die wir in der Schätzung des Traumlebens als jederzeit vorhanden auffinden werden, machten sich bereits bei ihnen geltend. Man unterschied wahrhafte und wertvolle Träume, dem Schläfer gesandt, um ihn zu warnen oder ihm die Zukunft zu verkünden, von eiteln, trügerischen und nichtigen, deren Absicht es war, ihn in die Irre zu führen oder ins Verderben zu stürzen.

Gruppe (Griechische Mythologie und Religionsgeschichte, p. 390) gibt eine solche Einteilung der Träume nach Makrobius und Artemidoros wieder: »Man teilte die Träume in zwei Klassen. Die eine sollte nur durch die Gegenwart (oder Vergangenheit) beeinflußt, für die Zukunft aber bedeutungslos sein; sie umfaßte die ἐνὺπνια, insomnia, die unmittelbar die gegebene Vorstellung oder ihr Gegenteil wiedergeben, z. B. den Hunger oder dessen Stillung, und die φαντάσματα, welche die gegebene Vorstellung phantastisch erweitern, wie z. B. der Alpdruck, ephialtes. Die andere Klasse dagegen galt als bestimmend für die Zukunft; zu ihr gehören: 1) die direkte Weissagung, die man im Traume empfängt (χρηματισμός, oraculum), 2)  das Voraussagen eines bevorstehenden Ereignisses (όραμα, visio), 3) der symbolische, der Auslegung bedürftige Traum (όνειρος, somnium). Diese Theorie hat sich viele Jahrhunderte hindurch erhalten.«

Mit dieser wechselnden Einschätzung der Träume stand die Aufgabe einer »Traumdeutung« im Zusammenhange. Da man von den Träumen im allgemeinen wichtige Aufschlüsse erwartete, aber nicht alle Träume unmittelbar verstand und nicht wissen konnte, ob nicht ein bestimmter unverständlicher Traum doch Bedeutsames ankündigte, war der Anstoß zu einer Bemühung gegeben, welche den unverständlichen Inhalt des Traums durch einen einsichtlichen und dabei bedeutungsvollen ersetzen konnte. Als die größte Autorität in der Traumdeutung galt im späteren Altertum Artemidoros aus Daldis, dessen ausführliches Werk uns für die verloren gegangenen Schriften des nämlichen Inhaltes entschädigen muß.[4]

Die vorwissenschaftliche Traumauffassung der Alten stand sicherlich im vollsten Einklange mit ihrer gesamten Weltanschauung, welche als Realität in die Außenwelt zu projizieren pflegte, was nur innerhalb des Seelenlebens Realität hatte. Sie trug überdies dem Haupteindruck Rechnung, welchen das Wachleben durch die am Morgen übrigbleibende Erinnerung von dem Traum empfängt, denn in dieser Erinnerung stellt sich der Traum als etwas Fremdes, das gleichsam aus einer anderen Welt herrührt, dem übrigen psychischen Inhalte entgegen. Es wäre übrigens irrig zu meinen, daß die Lehre von der übernatürlichen Herkunft der Träume in unseren Tagen der Anhänger entbehrt; von allen pietistischen und mystischen Schriftstellern abgesehen – die ja recht daran tun, die Reste des ehemals ausgedehnten Gebietes des Übernatürlichen besetzt zu halten, solange sie nicht durch naturwissenschaftliche Erklärung erobert sind –, trifft man doch auch auf scharfsinnige und allem Abenteuerlichen abgeneigte Männer, die ihren religiösen Glauben an die Existenz und an das Eingreifen übermenschlicher Geisteskräfte gerade auf die Unerklärbarkeit der Traumerscheinungen zu stützen versuchen (). Die Wertschätzung des Traumlebens von Seiten mancher Philosophenschulen, z. B. der , ist ein deutlicher Nachklang der im Altertum unbestrittenen Göttlichkeit des Traumes, und auch über die divinatorische, die Zukunft verkündende Kraft des Traumes ist die Erörterung nicht abgeschlossen, weil die psychologischen Erklärungsversuche zur Bewältigung des angesammelten Materials nicht ausreichen, so unzweideutig auch die Sympathien eines jeden, der sich der wissenschaftlichen Denkungsart ergeben hat, zur Abweisung einer solchen Behauptung hinneigen mögen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!