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Emilia hat nichts gemeinsam mit ihren tugendhaften Schwestern. Sie will möglichst weit weg vom verstaubten Adelssitz der Trevelyans und den altmodischen Ansichten ihrer Eltern. In Saint Tropez lebt Emilia als gefragtes Model den Lifestyle der Upper Class. Stets an ihrer Seite ist der Designer Phillipe Dupon, mit dem sie allerdings nicht mehr als eine lockere Freundschaft verbindet. Ihre Freiheit geht ihr über alles. Doch das rasante Leben voller Partys und Drogenexzesse fordert seinen Tribut – bei einer Show bricht Emilia auf dem Laufsteg plötzlich zusammen ...
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Seitenzahl: 171
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Kurzbeschreibung
Emilia hat nichts gemeinsam mit ihren tugendhaften Schwestern. Sie will möglichst weit weg vom verstaubten Adelssitz der Trevelyans und den altmodischen Ansichten ihrer Eltern. In Saint Tropez lebt Emilia als gefragtes Model den Lifestyle der Upper Class. Stets an ihrer Seite ist der Designer Phillipe Dupon, mit dem sie allerdings nicht mehr als eine lockere Freundschaft verbindet. Ihre Freiheit geht ihr über alles. Doch das rasante Leben voller Partys und Drogenexzesse fordert seinen Tribut – bei einer Show bricht Emilia auf dem Laufsteg plötzlich zusammen ...
Helene Henke
Die Trevelyan-Schwestern
Fluestern der Freiheit
Edel Elements
Edel Elements
Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg
www.edel.com
Copyright © 2018 by Helene Henke
Dieses Werk wurde vermittelt durch Ashera.
Lektorat: Kanut Kirches
Korrektorat: Martha Wilhelm
Covergestaltung: Marie-Katharina Wölk, Wolkenart, Bocholt.
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-96215-116-4
www.facebook.com/EdelElements/
www.edelelements.de/
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
„Nein, Mutter, ich kann dir noch nicht sagen, wann ich nach Lelant komme.“ Emilia schloss genervt die Augen und hielt sicherheitshalber ihr Smartphone ein bisschen weiter weg von ihrem Ohr.
„Aber wie redest du denn? Man könnte ja meinen, Lelant sei nicht dein Zuhause. Du bist schon seit Monaten in Frankreich“, kam es vom anderen Ende der Leitung.
„Ich arbeite hier“, wandte sie ein und ärgerte sich im selben Moment, dass es wie eine Rechtfertigung klang.
„Ach ja, zusammen mit deinem Freund …“, wandte ihre Mutter ein.
Emilia unterdrückte ein Seufzen. Schon allein wie ihre Mutter das Wort Freund aussprach, deutete auf nichts Weiteres hin, als dass sie mehr Informationen über ihr Privatleben erwartete. Nichts schien sie mehr zu interessieren als der Beziehungsstand ihrer Töchter. Daran änderte nicht einmal die Entfernung etwas, die zwischen ihnen lag.
Was sollte sie ihr erzählen?
Phillip war ihr Freund, ja. Sie schliefen auch miteinander, aber das tat sie auch mit anderen Männern. Allerdings blieben ihr die Nächte mit Phillip in Erinnerung, während die One-Night-Stands stets im schummrigen Rausch durchzechter Nächte verblassten. Eigentlich seltsam. Emilia runzelte kurz die Stirn bei dem Gedanken. Ganz sicher war dies jedoch kein Mutter-Tochter-Gesprächsthema. Sie konnte ihr kaum erzählen, dass sie im Gegensatz zu ihren Schwestern völlig anders war, was die Einstellung zu Männern betraf. Weder war sie so verklemmt wie die jüngere Rebecca noch so sittsam wie die ältere Cynthia, die vermutlich nur deshalb nicht ins Kloster ging, weil es dort keine Pferde gab. Ihre Mutter predigte Moral ohne Unterlass, wobei Emilia es ihr nicht immer ganz abnahm, was sie von sich gab. Vielmehr war sie davon überzeugt, dass Melisande Trevelyan kein Kind von Traurigkeit gewesen war, bevor sie einen englischen Lord geheiratet und diesem drei Töchter geboren hatte.
Doch Emilia hatte sich in der Familie fehl am Platz gefühlt, solange sie denken konnte. Sie stieß hörbar die Luft durch die Nase.
„Ich habe dir schon so oft gesagt, dass dieses Schnaufen nicht besonders elegant klingt.“
„Mutter, du weißt genau, dass ich mit Phillip hier bin“, erwiderte sie genervt.
Wie sie ihr Leben gestaltete, ging niemanden etwas an. Schon gar nicht ihre Mutter, die zu ihrer üblichen Tirade angesetzt hatte. Emilia hörte nur mit halber Aufmerksamkeit zu und hielt das Telefon weg von ihrem Ohr.
Herrgott, sie war erwachsen und konnte tun, was sie wollte.
Während die Stimme aus ihrem Smartphone nur als leises Säuseln zu ihr herüberdrang, lehnte sie sich in ihrem Liegestuhl zurück. Es war Nachmittag, doch Emilia fühlte sich matt wie andere in den frühen Morgenstunden. Sie war nach einer langen Partynacht erst vor zwei Stunden aufgestanden und nicht besonders aufnahmefähig. Den meisten Gästen der La Bastide de Saint-Tropez schien es ähnlich zu ergehen. Sie lagen ebenfalls dösend auf den Liegen, nur die sportlichen schwammen durch den weitläufigen Pool. Vielleicht täte auch ihr eine Erfrischung gut. Ein verlockender Gedanke, den sie aber sofort wieder verwarf. Danach müsste sie sich aufwendig zurechtmachen für ihren Fototermin. Dazu fehlte einfach die Zeit. Stattdessen genoss sie den Blick über das Schwimmbecken hinweg zum Meer, das still unter der schweren Hitze des strahlend blauen Himmels lag. In der Ferne zirpten die Grillen. Sie schob die Sonnenbrille ein wenig hinunter und betrachtete ihre mit unterschiedlichen Neonfarben lackierten Fußnägel. Ihre bronzefarbenen Beine benötigten eigentlich keine Sonne mehr, ihre Haut harmonierte auch so mit dem schneeweißen Badeanzug, dessen raffinierter Schnitt ihren braunen Bauch zeigte. Mit der freien Hand fuhr sie sich durch das Haar und schüttelte kurz ihren hellblonden Pagenschnitt in Form. Sie zog scharf die Luft ein, weil sich der pochende Schmerz in ihrem Kopf verstärkte. Das war keine gute Idee gewesen. Wenn sie schon die Nacht durchfeierte, sollte sie sich am nächsten Tag ruhig verhalten.
„Mhm“, murmelte sie in das Telefon, um ihrer noch immer redenden Mutter Aufmerksamkeit zu bekunden, und winkte den Kellner heran.
Emilia deutete auf ihre leere Espressotasse und gab dem Kellner außerdem mit Gesten zu verstehen, ihr zwei Aspirin mitzubringen.
Mit einem Seufzen legte sie den Hörer wieder an ihr Ohr.
„Hörst du mir überhaupt zu?“, rief ihre Mutter empört.
„Ja, natürlich. Ich bin nur gerade etwas gefragt worden“, log Emilia.
„Also, ich finde schon, dass du dich langsam wieder hier blicken lassen könntest.“
In Emilia regte sich der altbekannte Widerstand, wenn jemand ihr Vorschriften machen wollte. „Warum? Du hast doch Cynthia.“
„Jetzt lass doch mal diese Eifersüchteleien. Du machst es einem auch wirklich schwer, Kind. Deine Schwester ist nicht für alles zuständig.“
Emilia presste die Lippen zusammen. Sie hatte keine Lust, mit ihrer Mutter zu diskutieren. Sie war nicht eifersüchtig auf ihre Schwestern, sie liebte Cynthia und Rebecca, aber sie war die ständigen Vergleiche und Nörgeleien ihrer Mutter so satt. Warum sagte sie nicht einfach, sie solle nach Hause kommen, weil sie sie vermisste? Weil sie es gar nicht tat, sondern nur mit aller Gewalt ihre Vorstellung vom Leben ihrer Töchter durchsetzen wollte. Wenn Cynthia sich dem beugte, war es ihre Sache. Sogar Rebecca, ihre jüngere Schwester, hatte sich nach Italien abgesetzt, um ihre Unabhängigkeit zu genießen.
„Ich komme schon zurecht. Hältst du mich nicht für vertrauenswürdig?“
Ein alter Schmerz kroch Emilias Kehle hinauf. Sofort bedauerte sie ihre Frage und das kurze Schweigen am anderen Ende der Leitung machte es auch nicht besser.
„Nun ja, du warst immer ein sehr lebensfrohes Kind, daran hat sich nicht viel geändert.“
„Lebensfroh ist nur ein netteres Wort für vertrauensunwürdig“, murmelte Emilia in den Hörer.
„Ich habe dich nicht verstanden.“
„Macht nichts, war nicht so wichtig.“ Emilia lehnte den Kopf zurück und versuchte gegen den Knoten in ihrem Magen anzukämpfen. Sie konnte es sich nicht einmal erklären, doch die Gespräche mit ihrer Mutter verdarben ihr regelmäßig die Stimmung.
„Und was ist mit Weihnachten?“
„Weihnachten?“, erwiderte Emilia und setzte sich wieder auf. „Ich sitze hier bei über 30 Grad am Pool in Saint-Tropez. Kannst du dir vorstellen, dass der Winter das Letzte sein könnte, an das ich derzeit denke?“
„Man wird doch mal fragen dürfen.“
Emilia sah Phillip durch die Glastür kommen. Er trug ein weißes Hemd, leger über einer hellen Anzughose, was seiner schlanken Gestalt schmeichelte. Das blonde Haar ordentlich frisiert, die Sonnenbrille locker in der Hand, bot er eine willkommene Abwechslung. Erleichtert lächelte sie ihm entgegen. Wie so häufig tauchte ihr Freund im richtigen Moment auf. Im Gegensatz zu den meisten hier sah er überaus erholt aus, obwohl er mit ihr zusammen bis zum Morgengrauen auf der Party gewesen war. Wie machte er das bloß?
„Emilia, Kleines, wir müssen uns auf den Weg machen. Du hast gleich eine Fotosession.“ Phillip hockte sich neben sie und blickte fragend auf ihr Smartphone.
Emilia rollte die Augen.
„Wer hat denn da mit dir gesprochen? Dieser Designerfreund von dir?“
„Phillip Dupont ist sein Name, Mutter, und wir haben gleich einen Termin.“
„Na, wenn dir das wichtiger ist, als sich mit mir zu unterhalten …“
Anklagendes Schweigen.
Emilia seufzte. „Ich muss jetzt auflegen. Wir können ein anderes Mal über Weihnachten sprechen.“
Sie verabschiedete sich von ihrer Mutter und spülte die beiden Aspirin, die der Kellner diskret auf den Beistelltisch gelegt hatte, mit einem Glas Wasser hinunter.
Phillips hochgezogene Augenbraue deutete auf eine unausgesprochene Frage hin. „Entschuldige, meine Mutter raubt mir noch den letzten Nerv.“ Emilia stieß ein leises Stöhnen aus und stand von ihrer Liege auf.
„So schlimm kann sie doch nicht sein“, erwiderte er und griff nach ihrer Espressotasse.
Emilia lachte auf, was ihr sogleich einen stechenden Schmerz im Kopf verursachte. Sie rieb sich die Schläfen. „Du kennst sie nicht. Sie will unbedingt, dass ich Weihnachten nach Hause komme, natürlich mit dem Mann meines Herzens an der Seite.“
„Klingt doch großartig. Wird es Truthahn geben?“ Er nahm einen Schluck aus der Tasse und verzog das Gesicht, weil der Espresso vermutlich nicht mehr heiß genug war.
„Sehr witzig, Phillip.“
„Das war doch kein Scherz“, erwiderte er und ging voraus.
Emilia blickte ihm einen Moment nach und folgte dann kopfschüttelnd.
Als sie neben ihm ankam, wandte er sich ihr zu. „Weißt du, ich liebe nämlich Truthahn.“
Sie knuffte ihm lachend auf den Oberarm.
Gemeinsam verließen sie den Poolbereich. Doch statt direkt zur Lobby zu gehen, um von dort aus einen Wagen zu bestellen, steuerte Phillip auf die Café-Bar zu und orderte beim Barista zwei doppelte Espresso.
„Dafür haben wir doch keine Zeit mehr“, wandte Emilia ein.
„Dann nehmen wir sie uns“, erwiderte er und riss mehrere der in Schälchen aufgestellten Salztütchen auf.
Emilia runzelte die Stirn. „Willst du jetzt auch noch Tequila trinken? Das ist selbst mir zu früh.“
„Eben. Du bist dehydriert, daher die Kopfschmerzen. Dein Körper hat den Alkohol zu schnell abgebaut, nicht aber dessen Zwischenprodukte.“
„Du hättest auch einfach sagen können, dass ich einen Kater habe.“ Emilia rollte die Augen.
Der Kellner servierte den Espresso, woraufhin Phillip in eine der Tassen das Salz kippte, umrührte und sie ihr zuschob. „Hier bitte, runter damit.“
Emilia schauderte und starrte in ihre Tasse. Der pechschwarze Espresso sah ganz harmlos aus.
„Die Kombination aus Koffein und Salz bringt dich schnell wieder auf die Beine. Das wird dir jeder Kneipenwirt beschwören.“ Er zwinkerte ihr zu.
„Wie du meinst“, erwiderte sie und trank in möglichst großen Zügen.
Das starke Kaffeearoma verteilte sich in ihrem Mund, doch im nächsten Moment ließ eine völlig unpassende Salznote ihre Geschmacksnerven explodieren. Sie verzog angewidert das Gesicht. Der Barista drehte sich schnell um, konnte jedoch sein Schmunzeln nicht rechtzeitig verbergen.
„Du bist einfach schrecklich, Phillip Dupont“, scherzte sie, nachdem der Geschmack aus ihrem Mund verschwunden war.
„Das bin ich gerne, wenn es dir dafür gleich besser geht.“
Emilia folgte ihm lächelnd zur Tür und betrachtete dabei seine elegante Gestalt. Natürlich war Phillip alles andere als schrecklich. Er war der sensibelste Mann, den sie je kennengelernt hatte, ohne dabei weichlich zu wirken. Gewiss nicht. Einen besseren Freund konnte man sich nicht wünschen. Seit sie ihn kannte, war er immer für sie da. Er hörte ihr zu, wenn sie stundenlang über Gott und die Welt lamentierte. Er stand ihr bei, wenn sie traurig war, baute sie auf, wenn sie einen Misserfolg durchmachte, und sorgte sich um sie, in jeder Beziehung. Sie hoffte, dass der Tag noch in weiter Ferne lag, an dem die sanfte, liebevolle Frau, die er verdiente, auftauchen würde, um sich ihn zu angeln.
Vor der Rezeption herrschte rege Betriebsamkeit. Eine Gruppe junger Mädchen hatte sich dort versammelt. Immer wieder drangen einzelne Ausrufe oder Kreischen zu ihnen herüber. Emilia reckte den Hals, um zu erkennen, wen die Mädchen mit ihrer Begeisterung bedachten. Doch sie war zu klein.
„Was ist da los?“, fragte sie.
Phillip war zwar nicht viel größer als sie, aber es genügte offenbar, um mehr zu erkennen. „Das ist Lindsey Star, ein amerikanisches Supermodel. Sie ist erst vor einem Jahr auf der Bildfläche erschienen und aus dem Nichts aufgeschossen wie ein Meteor.“
Emilia blickte zu Phillip und ärgerte sich über die Bewunderung in seiner Stimme.
„Ich weiß, wer Lindsey Star ist, wir sind uns schon auf einigen Fashionshows begegnet“, erwiderte Emilia. „Ihr Aufstieg könnte ebenso mit dem einer Sternschnuppe verglichen werden: hell und strahlend, aber schnell wieder erloschen.“
Phillip hob die Augenbrauen.
„Jetzt guck nicht so. Sie hat einen sehr prominenten Vater, allein der Name Jefferson Star öffnet schon Türen. Deshalb auch die Horde von Groupies.“ Emilia deutete mit dem Kopf auf die Gruppe, die sich um Lindsey scharte.
„Immerhin läuft sie nächste Woche für Viktor Gregor“, kommentierte Phillip.
Emilia fuhr herum. „Etwa auf der Mailänder Fashion Week? Ernsthaft? Ich dachte, die Aufstellung der Models sei noch in Planung?“
Sie fühlte Unmut in sich aufsteigen. Seit Monaten arbeitete sie schon darauf hin, auf der wichtigsten Modenschau der Saison zu laufen, und obwohl noch keine Buchungen stattgefunden hatten, war sie sich ziemlich sicher, von Viktor gewählt zu werden. Dass anscheinend schon Models informiert worden waren, irritierte und verärgerte sie.
Eine Reporterin zwängte sich durch die Menge aufgeregter Mädchen und hielt Lindsey das Mikrofon vor den Mund, woraufhin diese zunächst mit einem missmutigen Gesichtsausdruck reagierte. Ein Bodyguard trat hervor und schob mit einer resoluten Bewegung das Mikrofon beiseite. Doch Lindsey überlegte es sich offenbar anders und hielt den großen Mann mit einer Handbewegung zurück, bevor sie sich geschickt auf den Tresen der Rezeption hievte. Die Hotelmitarbeiterin machte eine entrüstete Miene, erhob aber keine Einwände gegen das Model, das nun selbstzufrieden lächelnd vor ihrer Nase saß. Lindseys braun gebrannte Knie wölbten sich durch die franseligen Risse ihrer Designerjeans, während sie keck ihre Beine baumeln ließ. Emilias Blick fiel auf die bunt gemusterten Sneakers, eines von Lindseys Markenzeichen. Angeblich sollte sie sogar eine eigene Kollektion veganer Schuhe auf den Markt gebracht haben. Etliche Smartphones wurden hochgehalten, um einen Schnappschuss von Lindsey Star zu ergattern.
„Ist schon in Ordnung.“ Sie wandte sich der Reporterin zu.
„Miss Star, Willkommen in Saint-Tropez. Sie werden nächste Woche auf der Mailänder Fashion Week in vorderster Reihe die Kollektion des bekannten Designers Viktor Gregor präsentieren. Obwohl Sie noch sehr jung sind, gehören Sie bereits zur weltweiten Oberliga der Models. Wie kam es zu Ihrem Erfolg? War die Bekanntheit Ihres Vaters, des Rockstars Jefferson Star, bei Ihrer Karriere förderlich?“
Lindsey verdrehte kurz die Augen und lächelte die Reporterin an. „Mein Vater hat nicht das Geringste mit meinem Erfolg zu tun. Ich bin siebzehn und heiße Star. Was will man mehr?“
Sie streckte siegessicher beide Hände in die Höhe und blickte in die Runde, woraufhin die pubertäre Fangemeinde aufkreischte.
„Was wollen Sie damit sagen, Miss Star?“, hakte die Reporterin nach.
Lindsey kicherte irritiert. Anscheinend war sie es nicht gewöhnt, dass man ihre Aussagen hinterfragte. „Na, das liegt ja wohl auf der Hand. Die meisten Models sind total alt. Ihre Zeit ist einfach vorbei.“
Der Reporterin klappte die Kinnlade herunter. Doch bevor sie zu weiteren Fragen ansetzen konnte, mischte sich Lindsey bereits flankiert von Bodyguards unter ihre Fans.
„Das hat dieses kleine Biest jetzt nicht wirklich gesagt?“ Emilia verschränkte die Arme vor der Brust und schnaufte. „Was gibt es denn da zu grinsen?“, fuhr sie Phillip an. „Willst du damit etwa andeuten, dass ich alt bin?“
„Nein, wollte ich nicht“, erwiderte er, grinste aber immer noch.
„Sondern?“ Emilia blitzte ihn an.
Phillip zuckte mit den Schultern.
Sie wusste genau, dass er ihr keine Antwort darauf geben würde. Das tat er nie, wenn es um sie ging. Natürlich hatte sie sich selbst wiedererkannt, in Lindseys herablassendem Verhalten. Nicht ganz so zickig, aber durchaus ähnlich.
„Seit wann steht fest, wer für Gregor in erster Reihe läuft?“, fragte Emilia. „Mich hat er auch gebucht, oder?“
„Hat er. Ja“, erwiderte Phillip. „Aber auf seine Aufstellung der gebuchten Models hat niemand Einfluss. Viktor Gregor hat sich nun mal Lindsey als seine Muse auserkoren.“
„Hat er das? Das werden wir ja noch sehen. Organisiere mir ein Treffen mit ihm.“
„Emilia!“ Phillip zog sie ein Stück außer Hörweite der Umstehenden. „Warum ist dir das so wichtig? Du bist überaus gefragt und hast dies in kürzester Zeit erreicht. Wir können uns vor Anfragen kaum retten.“
„Wenn der Gipfel in Sichtweite ist, sollte ich mich nicht ausruhen, sondern versuchen, ihn zu erklimmen. Ich will ganz nach oben, Phillip.“
Er stieß ein leises Seufzen aus. Im selben Moment bedauerte Emilia ihre Worte. Sie hatte ihn gemeint und das wusste er. Sie sah es an dem Schatten, der über seine Miene zog und seine nachtblauen Augen noch mehr verdunkelt hatte, bevor er ihrem Blick ausgewichen war. Seine Wangen waren angespannt, der geschwungene Mund fest verschlossen. Sie konnte beinahe sehen, wie er die Zähne fest aufeinanderbiss.
Phillip war ein erfolgreicher Designer und kreierte nicht nur wunderbare Mode, sondern auch zahlreiche Dekorationsgegenstände. Die Marke Dupont war exklusiv und erzielte beachtliche Umsätze. Doch ihr feinfühliger Freund befand sich seit über einem Jahr in einer schweren Schaffenskrise. Emilia hatte durchaus Verständnis dafür, dass Kreativität nicht abrufbar war, wie Phillip es auszudrücken pflegte. Ebenso genoss sie natürlich die Vorteile seiner Beziehungen, die ihren Weg geebnet hatten, seit Phillip als eine Art Manager für sie agierte. Anderseits konnte er doch keinen Weg aus seiner Krise finden, wenn er seine Zeit damit verbrachte, wie ein Schatten an ihrer Seite zu kleben. Emilia spürte, dass Phillip mehr für sie empfand als bloße Freundschaft, doch sie ignorierte es. Offene Bewunderung von Männern langweilte sie ohnehin und so sehr sie Phillip mochte, verhielt es sich bei ihm nicht anders. Er war ein wahrer Freund, der sich stets auf ihre Bedürfnisse einzustellen wusste, aber eine Beziehung mit ihm konnte sie sich nicht vorstellen. Das wäre ihr zu vorhersehbar in dem, was geschehen würde. Sie hatte schon genug mit sich selbst zu tun, mit dieser inneren Unruhe, diesem Lebenshunger, der sie antrieb und der nicht zu stillen war.
Wie dem auch sei, sie würde sich nicht ausbremsen lassen von seinen Belehrungen. Sie hatte es weit gebracht und lief auf den gefragtesten Laufstegen der Welt. Ihr Terminkalender war voll, aber die Königsdisziplin war nun einmal die vorderste Reihe der Fashion Week in Mailand. Dort würde die gesamte Prominenz der Modebranche aufwarten, dort standen die Models im Fokus der Weltpresse und genau das wollte Emilia.
Die Reporterin beendete ihre Befragung unter lautstarken Bedingungen. Auch kein einfacher Job, dachte Emilia und beobachtete das Getümmel. Lindsay Star blickte zu ihr herüber und winkte zum Gruß, bevor sie sich aus ihrer Gruppe löste, um auf Emilia zuzugehen. Ihre hüftlangen Locken wippten bei jedem Schritt und beim Näherkommen musste Emilia sich eingestehen, dass das Mädchen verdammt hübsch war. Ihr Gesicht war nahezu symmetrisch, das kastanienfarbene Haar brachte die grüngrauen Augen zum Leuchten. Wahrscheinlich war der dichte Wimpernkranz auch noch echt, dachte Emilia missgestimmt.
„Du bist doch Emilia Trevelyan, die Adelige?“, fragte sie mit breitem texanischen Akzent.
„Und du die Tochter des Rockstars Jefferson Star. Hast du nicht kürzlich ein Album mit deinem Vater aufgenommen, das quasi über Nacht die Chartlisten erobert hat? Klingt ganz anders als das, was du der Reporterin eben erzählt hast.“
Lindsey lachte perlend auf, woraufhin Emilia die Luft durch die Nase sog.
„Denen muss man ja nicht alles erzählen. Das Leben einer Prominenten ist eben nichts weiter als Schein“, erwiderte Lindsey.
Im nächsten Moment fand sich Emilia in einer Umarmung wieder. „Ich finde es toll, dich zu treffen. Ich habe schon viel von dir gehört. Dein Aufstieg als Model war ja kometenhaft. Was für eine Leistung.“
„Und das trotz meines hohen Alters.“ Emilia setzte ein Lächeln auf.
Lindsey blinzelte und fing sich wieder. „Ach, das habe ich doch nur so gesagt. Alles Show, weißt du doch.“
Eine Gruppe junger Mädchen scharte sich um Lindsey wie Küken um die Henne. „Das ist Emilia Trevelyan, ihr kennt sie doch sicher.“ Sie wandte sich an Emilia. „Und das sind meine Freundinnen.“
Emilia musterte die Mädchen, von denen die meisten wie kleine Kopien von Lindsey Star aussahen. „Groupies sind keine Freunde, Lindsey.“
Allgemeines Gekicher.
„Jetzt hast du aber wirklich geklungen wie meine Mutter.“ Lindsey zwinkerte ihr gönnerhaft zu. „Komm doch heute Abend auf meine Suite, dort startet eine coole Party. Genau genommen sind unsere Partys immer ziemlich cool.“
Emilia verkniff sich ein genervtes Aufstöhnen und lächelte stattdessen, als hätte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als einem Teenagergelage beizuwohnen. „Das klingt lustig. Ich werde es einrichten.“
Nach einer weiteren Umarmung rauschte Lindsey Star samt Gefolge davon.
„Das war jetzt nicht dein Ernst.“ Phillip trat neben sie.
Emilia zuckte mit den Achseln. „Es spricht doch nichts dagegen, sich anzusehen, was unsere kleine Lindsey so im Privatleben treibt.“
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