Die Uhudler-Verschwörung - Thomas Stipsits - E-Book

Die Uhudler-Verschwörung E-Book

Thomas Stipsits

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Beschreibung

Der Uhudler-Bauer Alois Stipsits wird tot in seinem Weinkeller aufgefunden. Alles deutet auf einen tragischen Unfall durch Gärgas hin. Eigentlich sollte Inspektor seinen freien Tag seiner Mutter Baba widmen, aber die vielen Einsatzfahrzeuge beim Weinkeller wecken seine Neugier. Schon bald wittert er ein Verbrechen und beginnt, gegen den Willen seines Vorgesetzten zu ermitteln. Dabei unterstützt ihn die "Kopftuchmafia" - die Resetarits Hilda, die dicke Grandits Resl und seine Mutter Baba - wieder tatkräftig. Der neue Fall führt den "burgenländischen Columbo" tief in die Unterwelt des sonnigen Uhudler-Landes.

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Der Inhalt

Der Uhudler-Bauer Alois Stipsits wird tot in seinem Weinkeller aufgefunden. Alles deutet auf einen tragischen Unfall durch Gärgas hin.

Eigentlich sollte Inspektor seinen freien Tag seiner Mutter Baba widmen, aber die vielen Einsatzfahrzeuge beim Weinkeller wecken seine Neugier. Schon bald wittert er ein Verbrechen und beginnt, gegen den Willen seines Vorgesetzten zu ermitteln. Dabei unterstützt ihn die „Kopftuchmafia“ – die Resetarits Hilda, die dicke Grandits Resl und seine Mutter Baba – wieder tatkräftig.

Der neue Fall führt den „burgenländischen Columbo“ tief in die Unterwelt des sonnigen Uhudler-Landes.

Für Lieselotte

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Katrins Berlusconi-Rezept

Danke an:

Drei Fragen an Thomas Stipsits

Der Autor

1.

Ein toter Mensch sieht aus wie ein Schlafender. Erstaunlich, wie schnell ein Leben ausgelöscht werden kann.

Ich denke an meine Kindheit. Mit großer Freude habe ich Seifenblasen gefangen und zerstört. Ich habe ihre ohnehin kurze Lebenszeit freudig verkürzt. Ich habe bestimmt, ob sie fliegen oder zerplatzen. Es lag in meiner Macht. Kam mir eine aus, so mussten die folgenden Seifenblasen dafür büßen. Wenn meine Wut über die Ausreißer ins Unermessliche stieg, habe ich den kleinen Plastikbehälter einfach umgedreht und die Flüssigkeit auf die Wiese geschüttet. Sofort versickerte die Seifenlauge im trockenen Boden. Unwiederbringlich. Einige Minuten später war auch der nasse Fleck in der Erde verschwunden. Meine Tat war ausgelöscht.

Ich schaue auf den vor mir liegenden Körper. Der Anblick hat beinahe etwas Versöhnliches, etwas Reinigendes. Du wirst im Boden versickern und zu Staub werden.

Wie einfach wir Menschen doch gestrickt sind! Wir schließen unsere Augen, um nicht gesehen zu werden, und geben dem Meer die Schuld, wenn wir nicht schwimmen können.

Ich habe an alles gedacht. Gehe nie in eine Diskussion, wenn du keine Argumente hast. Begehe nie einen Mord, wenn du ihn nicht perfekt durchdacht hast. Ich hebe den leblosen Körper auf. Es kostet mich viel Kraft, aber man kann in Ausnahmesituationen auf Reserven zurückgreifen.

Als die irdische Hülle in sich zusammensackt, bleibt sie in einer scheußlichen Position liegen. Lange Zeit stehe ich nur da.

Mein Opfer hatte den Tod verdient, hatte Dinge getan, die zu sühnen waren. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nicht das Licht eines anderen ausgeblasen, um mein eigenes leuchten zu lassen. In keiner Weise. Ich habe getan, was getan werden musste.

Menschen zu durchschauen, ist sehr leicht. Das Traurige ist, dass es zu nichts geführt hat. Es endete in einer Seifenblase, die geplatzt ist. Wie oft schon wurden Gehirne seziert und zerschnitten? Die erbärmliche Wahrheit ist: Es ist nur Zellmasse.

Rund um mich ist alles ruhig. Obwohl es draußen regnet, herrscht hier drinnen andächtige Stille. Ich muss wieder zurück. Der tote Körper hat einiges vor sich. Zunächst wird er gefunden werden, danach gibt es große Bestürzung und Trauer. Und danach wird sich alles auflösen. Als wäre es nie geschehen. Totgeschwiegenes bleibt verborgen. Was für ein zufriedenstellender Zustand für mein Gewissen! Sie werden nicht lange suchen. Wozu auch? Sie werden vor der Leiche stehen. Ohnmächtig. Sie werden von Schicksalsschlag und Unfall faseln. Ihr künstliches Mitleid wird auf ihren Lügenfratzen erscheinen. Es wird nach Provinz stinken.

Diese jämmerlichen Figuren, deren Horizont nur bis zum Ende ihres Gartens reicht! Sie nisten in ihrer Gemütlichkeit, rotten sich bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit zusammen, um die vermeintlichen Probleme dieser Welt zu besprechen. Sie geben sich christlich. Wie Birken – kaum kommt ein Sturm, werden sie entwurzelt. Ich hingegen bin wie Schilf. Kommt der Sturm, gebe ich nach. Kaum richte ich mich wieder auf, folgt die Vergeltung. Vendetta braucht nur zwei Dinge: Mut und Geduld.

Zugegeben, ich habe ein kurzes Vaterunser gebetet. Dann habe ich die Sau geschlachtet.

Ein toter Mensch sieht aus wie ein Schlafender. Vorausgesetzt, es gibt keine sichtbaren Verletzungen. Bevor ich den Keller verlasse, schalte ich den Gärgas-Ventilator aus.

Es wird wie ein Unfall aussehen.

2.

Christian Zimmermann stand in der Raika Stinatz und diskutierte mit einer alten Dame. Er leitete seit einigen Jahren die Zweigstelle und war im Ort sehr beliebt. Man muss die Menschen mögen, wenn man ihr Geld will. Das hatte er sehr schnell gelernt. In Stinatz gab es unzählige Menschen, die, obwohl sie das beste Werkzeug in ihren Kellern horteten, dennoch am Weltspartag auf ihrem Schraubenzieher-Set bestanden. Ein Weltspartag in Stinatz war ein gesellschaftliches Ereignis wie eine Hochzeit oder die Einweihung eines neuen Daches für die kleine Kapelle am Dorfrand. Das wusste Christian.

Heute hatte er es mit einem ziemlich schwierigen Fall zu tun. Die alte Frau Resetarits wollte partout nicht einsehen, dass es für ihr Gespartes keine besseren Zinsen gab.

„Schauen S’, Frau Resetarits, wir hatten ja eine Wirtschaftskrise …“, wollte Zimmermann ansetzen, doch er kam nicht weit.

„Was interessiert mich eine Krise?“, schimpfte Frau Resetarits. „Ich habe schon Krisen gemeistert, da hat es eure Bank noch gar nicht gegeben. Jetzt seid’s ihr an der Reihe. Wir haben das Land aufgebaut. Ohne Pusch Tan-Kot oder wie das heißt. Das kann doch nicht sein, dass mein Geld am Konto dahinschimmelt wie ein schlecht belüftetes Geselchtes!“

Zimmermann lächelte in sich hinein, selbstverständlich brauchte Frau Resetarits für ihre Bankgeschäfte keinen TAN-Code, da sie kein E-Banking verwendete. Genervt versuchte er, freundlich zu bleiben.

„Frau Resetarits, ich verstehe Ihren Zorn, aber die Zeiten haben sich nun mal geändert. Wenn Sie wirklich Profit machen wollen, wäre es sehr ratsam, wenn Sie Ihr Geld investieren.“

Das Wort „investieren“ löste bei Frau Resetarits eine weitere Entladung aus. Sie steckte den Sumsi-Kugelschreiber energisch zurück, sodass die Spiralkette noch einige Sekunden brauchte, um sich auszupendeln.

„Also entschuldige, bitte?“ Frau Resetarits war mit Zimmermann konsequent per Du. „Was soll ich in meinem Alter noch investieren? Das zahlt sich ja gar nicht mehr aus. Das Geld für mein Begräbnis habe ich schon längst zur Seite gelegt.“

Zimmermann nutzte eine kurze Atempause der alten Dame, um ein überzeugendes Argument aufs Tapet zu bringen.

„Aber für Ihre Kinder, Frau Resetarits.“

„Für die!?“ Frau Resetarits sah Zimmermann mit großen Augen an. „Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet und soll mein Erspartes so mir nix dir nix einfach hergeben? Mir hat auch keiner was geschenkt. Die sollen selber schauen, dass sie zu Geld kommen. Vor allem die Enkerl. Die sind nur freundlich, wenn ich im Krankenhaus bin.“

Zimmermann blickte auf die Uhr. Seit zehn Minuten hätte er eigentlich einen anderen Termin. Da von diesem Kunden noch nichts zu sehen war, kämpfte er weiter.

„Haben Sie schon einmal über Wertpapiere nachgedacht? Die bleiben fünf Jahre gesperrt und werden danach mit einem erfreulichen Zinssatz ausbezahlt. Ohne großes Risiko.“

Frau Resetarits schüttelte den Kopf.

„Sag einmal, Christian, bist du heute a bissl dasig oder was? Was mache ich mit Wertpapieren? Weißt du, warum die Wertpapiere heißen? Weil’s irgendwann nix mehr wert sind. Ich bin aber nicht so blöd, wie ich ausschau. Auf den Trick fall ich nicht rein.“

Frau Resetarits entdeckte eine Schüssel mit Raika-Zuckerln.

„Darf ich mir da ein Zuckerl nehmen?“, fragte sie, ohne dabei ihren Blick von Zimmermann abzuwenden.

Er bejahte freundlich. Sie nahm sich drei. Danach drehte sie sich um und deutete auf einen Hermann-Maier-Papp-Aufsteller, der die Kunden in der Filiale mit erhobenem Daumen begrüßte.

„Was ist mit dem? Kriegt der auch keine Zinsen auf seinem Sparbuch?“

Zimmermann wollte gerade antworten, doch Frau Resetarits hatte emotionalen Sprechdurchfall.

„Wenn der da reinkommt, kriegt der sicher acht Prozent. Wie bei einem Bockbier. Aber wir kleinen Sparer müssen uns mit einem Null Komma Josef zufriedengeben.“

Zimmermann gab auf. Seiner Meinung nach hatte er alles versucht, um die alte Frau zu überzeugen. Er lenkte das Gespräch Richtung Verabschiedung.

„Frau Resetarits, momentan sind mir wirklich die Hände gebunden“, sagte er. Dann griff er zu einer Mappe, die neben ihm am Tresen lag.

„Ich gebe Ihnen diese Unterlagen mit, Sie lesen sich das in aller Ruhe durch und am Montag kommen Sie wieder zu mir und wir finden eine Lösung, mit der Sie leben können.“

Er überreichte der alten Dame die Mappe.

Widerwillig nahm sie den Schnellhefter an sich. Nachdem sie kurz darin geblättert hatte, riss sie beide Hände nach oben, als würde sie den Herrgott um Hilfe bitten.

„Was soll das sein? Da brauche ich wieder einen Professor, der mir das übersetzt. Bis ich das verstanden habe, bin ich längst unter der Erd’.“

Zimmermann blickte erneut auf die Uhr. Fast 20 Minuten Verspätung. Das war mehr als ungewöhnlich bei seinem nächsten Kunden. Er setzte zum Rauswurf an.

„Frau Resetarits, Sie können sicher sein, dass Ihr Geld bei uns in den besten Händen ist. Jetzt müssen Sie mich aber leider entschuldigen. Es gibt noch andere Kunden, die etwas von mir brauchen.“

Frau Resetarits verstand diese Aussage als Provokation.

„Denen werde ich sagen, dass sie nix kriegen werden. In einem Jahr könnt’s eure Bank zusperren.“

„Wie Sie meinen, Frau Resetarits. Schönen Tag wünsche ich!“, sagte Zimmermann freundlich.

Bevor die alte Dame die Filiale verließ, griff sie noch einmal in die Zuckerldose.

„Für die Enkerl“, fauchte sie Zimmermann nach und war verschwunden.

Der Filialleiter der Raika Stinatz sah wieder auf die Uhr, griff zu seinem Handy und wählte eine Nummer. Augenblicklich meldete sich die Mobilbox seines Kunden. Obwohl er es als sinnlos erachtete, wählte er die Nummer erneut. Nichts. Dann wählte er eine andere Nummer.

„Nein. Er ist nicht zu Hause“, sagte Bettina Stipsits ins Telefon.

„Er hätte um 9.30 Uhr einen Termin bei mir gehabt“, hörte sie Zimmermann sagen.

„Ja, ich weiß.“

Bettina Stipsits war gerade dabei, sich noch einen Kaffee zu machen.

„Er ist am Abend in den Keller gefahren und hat gesagt, dass er gleich dort übernachtet.“

„Sein Handy ist leider ausgeschaltet“, klärte sie Zimmermann auf.

Bettina Stipsits reagierte gelassen. Es kam öfter vor, dass ihr Vater in den Keller fuhr, dort etwas trank oder, besser gesagt: zu viel trank, um dann im kleinen Zimmer oberhalb des Kellers zu übernachten.

„Wahrscheinlich hat er verschlafen“, beruhigte Stipsits Zimmermann.

„Wahrscheinlich“, sagte Zimmermann.

Doch er war skeptisch. Noch nie hatte Alois Stipsits einen Banktermin versäumt. Zumindest solange Zimmermann Leiter der Zweigstelle war.

„Ich fahr hin und weck ihn auf. Er soll sich dann bei dir melden, ok?“

„Ja, gut. Er kann gern jederzeit kommen. Bin den ganzen Tag in der Filiale.“

Mit diesen Worten beendeten die beiden das Gespräch.

Als Bettina Stipsits vor dem strohgedeckten Weinkeller ankam, sah alles aus wie immer. Der große Audi parkte an der gewohnten Stelle. Die aufkommende Mittagssonne tauchte das Kellerstöckl in ein friedliches Licht. Der Herbst begann langsam mit seinen Farben zu locken. Die Wiese war noch leicht feucht, Tau glitzerte auf den Halmen.

„Papa!“, rief Bettina. „Papa!“

Sie stieg über die Außentreppe nach oben, wo sich das kleine Zimmer befand. Es war verschlossen. Als nach mehrmaligem Klopfen niemand reagierte, ging Bettina wieder hinunter. Sie öffnete die alte Holztür zum Gewölbe und machte ein paar Schritte in den Keller hinunter. Endlich sah sie ihren Vater.

„Papa!“, „Papa?“

Papa gab keine Antwort.

3.

Gruppeninspektor Sifkovits vom LKA Eisenstadt steuerte seinen grünen Peugeot 206 von Burgauberg in Richtung Stinatz. Die beiden Ortschaften lagen nicht weit voneinander entfernt und Sifkovits entschloss sich, den Weg über Hackerberg zu nehmen. Dieser Weg war zwar etwas länger, aber viel schöner, da er an einigen kleinen Weinkellern von Burgauberg vorbeiführte. Man hatte einen herrlichen Blick über die üppige Hügellandschaft, die im goldenen Herbstlicht noch stimmungsvoller wirkte. Die kleine Straße führte an einem Pferdegestüt vorbei, dahinter konnte man die Golfanlage Stegersbach erkennen. Von einer Linkskurve, wo ein alter Hof mit unzähligen landwirtschaftlichen Geräten stand, sah man die Therme Stegersbach in voller Pracht. Das Südburgenland zeigte sich an diesem Tag von seiner schönsten Seite.

Sifkovits war auf Kurzbesuch in Stinatz. Zurzeit gab es im Landeskriminalamt Eisenstadt wenig zu tun und seine Frau, eine Medizinerin, war wieder einmal mit „Ärzte ohne Grenzen“ in Kenia. Er hatte gerade beim Weingut Priela einige Flaschen Uhudler besorgt. Vor allem für seine Mutter, die neben ihm am Beifahrersitz saß. Er selbst hatte eine Flasche Uhudler-Likör mitgenommen. Es kam sehr selten vor, dass Sifkovits Alkohol trank und wenn, dann wollte er ihn genießen. Uhudler-Likör schien ihm dafür das richtige Getränk zu sein.

Das Weingut Priela war eines der beiden Weingüter, die in Burgauberg Uhudler in großen Mengen produzierten, das Weingut Stipsits das andere. In den alten Zeiten hatten die beiden Weinbauern zusammengearbeitet. Doch als der junge Priela nach dem Tod seines Vaters das Weingut übernahm, wurde aus der einstigen Partnerschaft Rivalität. Sifkovits’ Mutter Baba zog es vor, bei Priela zu kaufen. Ihr war der Uhudler vom Weingut Stipsits zu sauer.

Natürlich kann man über die Qualität von Uhudler streiten. Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn. Im Südburgenland hat der Uhudler einen festen Platz in der Gesellschaft. „Was brauchen wir Marihuana, wir haben Uhudler!“, wurde oftmals gescherzt. Es entspricht sicher nicht der Wahrheit, dass man nach einer Flasche Uhudler glücklich wird, nach der zweiten blind und nach der dritten wieder glücklich. Dennoch haben es Uhudler selten in die Top 10 der besten Weine der Welt geschafft.

Der junge Markus Priela arbeitete schon lange daran, das Image des Uhudlers aufzuwerten. Er bot nicht nur Wein und Likör aus der Isabella-Traube, sondern auch Frizzante, Sirup, Marmelade, Seife, Schokolade, Essig, Met und sogar eine eigene Pflegecreme an. „Wenn du dir die Creme ins Gesicht schmierst, verschwinden nach einer Stunde deine Falten. Weil du dann so einen Rausch hast, dass du sie nicht mehr siehst.“ Also quasi das Hasch-Cookie der Weinindustrie – mit einem Augenzwinkern gesprochen.

Markus Priela hatte in den letzten Jahren seinen Konkurrenten Alois Stipsits in Sachen Marketing und Verkauf weit hinter sich gelassen. Alois Stipsits agierte und produzierte immer noch wie früher, die Zeit hatte ihn überholt. Mit seinen 68 Jahren wollte Stipsits auch nicht mehr jedem Trend folgen. „Einen Wein trinkt man, Punkt“, war seine Ansicht. Alois Stipsits hatte früher mit dem Vater von Markus zusammengearbeitet. Sie hatten sich den einzigen Weinkeller in Burgauberg geteilt, der mit einem Strohdach gedeckt war. Noch dazu handelte es sich bei dem Keller um einen der ältesten strohgedeckten im ganzen Südburgenland. Natürlich war das in so einem kleinen Ort wie Burgauberg eine Attraktion.

Nach dem Tod von Prielas Vater fiel der Keller an Alois Stipsits. Eine Tatsache, die den jungen Priela bis heute schmerzte.

Stipsits produzierte in den alten Fässern einen Uhudler wie damals. Es war unmöglich, denselben Uhudler in einem modernen Gärverfahren herzustellen. Es fehlte eben das gewisse Etwas. Ähnlich wie bei alten Reindln, in denen sich über Jahre das Aroma eingebrannt hat. Wenn man einem Braten einen All-inclusive-Urlaub schenken möchte, dann legt man ihn in so ein Reindl und schiebt es in den Ofen. So bekommt man den köstlichsten Braten. All die neuen Bräter werden nie diese geschmackliche Höhe erreichen. So verhält es sich auch mit einigen anderen „klassischen“ Gegenständen. Eine alte Bauernkommode aus dem 18. Jahrhundert wird ein Blickfang bleiben. Auch 2070. Ob ein Möbelstück vom schwedischen Möbelhaus jemals diesen Status erreichen wird, sei dahingestellt.

Als Sifkovits eine kleine Anhöhe hinauffuhr, sah seine Mutter auf der rechten Seite ein Polizeiauto. Oben angekommen öffnete sich ein wunderbarer Rundblick auf die Landschaft und das alte Kellerstöckl. Neben Polizei waren auch Rettung und Feuerwehr zu sehen. Sie parkten direkt vor einem Weinkeller mit strohgedecktem Dach.

„Schau, Spatzl! Was ist da beim Stipsits los?“, rief Baba neugierig.

Sifkovits wurde ebenfalls auf die Einsatzfahrzeuge aufmerksam.

„Komm, fahr hin. Ich möcht schauen, was da los ist.“

Sifkovits verstand das als Befehl seiner Mutter. Er kam der Aufforderung nach, weil auch in ihm eine gewisse Neugier aufstieg. Er lenkte seinen kleinen Peugeot nach rechts in die Zufahrtsstraße, die zum Weinkeller führte. Prompt wurde der Wagen von einem Uniformierten aufgehalten. Mit unüberhörbaren Schleifgeräuschen kam der Wagen zum Stehen.

„Hier ist gesperrt, fahren Sie bitte wieder zurück“, sagte der Beamte freundlich, aber bestimmt.

„Was ist denn hier passiert?“, fragte Baba.

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht!“

Der Beamte machte offensichtlich keinen Hehl daraus, dass die beiden Insassen hier unerwünscht waren.

„Jetzt sag was!“, befahl Baba ihrem Sohn.

„Ja, sofort.“ Sifkovits wandte sich dem Beamten zu. „Sie haben recht. Uns geht das nichts an, aber vielleicht die Polizei.“

„Mein Sohn ist nämlich ein Kollege von Ihnen. Aber er ist nimmer uniformiert“, sagte Baba mit einer gewissen Schadenfreude.

Der Beamte musterte den Mann hinter dem Steuer. Sifkovits trug, wie immer, seine ockerfarbige Chinohose, seine ockerfarbige Ballonmütze, sein weißes Hemd und seine graue Strickweste. Er sah etwas zerzaust aus und wirkte nicht gerade seriös.

„Darf ich Ihren Ausweis sehen?“, fragte der Beamte.

„Gern.“ Sifkovits kramte in seinen Taschen. Er schenkte dem Beamten ein Lächeln, mit dem er noch um etwas Geduld bat.

„Wird das heute noch was?“ Langsam riss dem Polizisten die Geduld.

„Gleich. Irgendwo muss er sein.“

„Vielleicht hast ihn zu Hause vergessen?“, sagte seine Mutter, dann wandte sie sich dem Polizisten zu. „Wenn er mich nicht hätte, dann würde er sogar seinen Kopf vergessen. Vor zwei Jahren wollten’s nach Griechenland fliegen. Wenn ich nicht seinen Kasten aufgeräumt hätte, würde er jetzt noch am Flughafen sitzen. Ohne Pass. Seine Frau hat ja keine Zeit für ihn.“

Sifkovits unterbrach seine Mutter.

„Mama, ich glaube nicht, dass das den Herrn interessiert.“

Der Gesichtsausdruck des Beamten bestätigte Sifkovits’ Annahme.

„Bitte drehen Sie jetzt um oder ich muss Sie aufschreiben.“

Sifkovits merkte, dass er nur mehr wenig Zeit hatte. Er öffnete das Handschuhfach, das mit lautem Krachen aus der Verankerung brach. Unzählige Beutel Käsepappeltee fielen vor die Füße seiner Mutter.

„Da ist er!“, rief seine Mutter und hielt den Ausweis triumphierend in ihrer Hand.

Der Beamte warf einen Blick auf die verschmutzte Hülle.

„Die Hülle könnten Sie einmal austauschen, Herr Gruppeninspektor.“

„Ich weiß. Mache ich gleich am Montag“, versicherte Sifkovits.

„Und Ihre Bremsbeläge dürften auch schon sehr abgefahren sein.“

Dem Beamte fielen außerdem noch die Hagelschäden auf der Motorhaube des Peugeot auf.

„Haben S’ vergessen gestern das Auto reinzustellen? Gestern war ein starker Hagel. Ihre Motorhaube ist total zernepft.“

„Ja, ich hab’s vergessen, aber ist das nicht eh schon wurscht?“, fragte der Gruppeninspektor.

Zum ersten Mal kam dem Beamten ein Lächeln aus. Sofort nutzte Sifkovits diese Chance.

„Darf ich mich kurz umsehen?“

„Ja, gern. Kommen S’ weiter.“

Der Beamte begleitete Sifkovits zum Weinkeller. Seine Mutter blieb unter heftigen Protesten im Wagen zurück.

Alois Stipsits lag vor seinem Keller auf einer Trage und wurde gerade mit einem weißen Tuch zugedeckt. Sifkovits fiel unter den vielen Einsatzkräften ein bekanntes Gesicht auf: Die Gemeindeärztin Maria Wiedermann, eine schlanke Frau Ende vierzig unterhielt sich mit einem Feuerwehrmann.

„Hallo, Maria“, grüßte der Inspektor seine Bekannte freudig.

„Servus, Schiffi. Was machst denn du da?“, wollte die Ärztin wissen.

„Ich war gerade mit meiner Mutter in der Gegend. Was ist denn passiert?“, fragte er.

„Ein Unfall. Der alte Stipsits hat vergessen, den Gärgas-Ventilator einzustecken. Die Gärgase in dem kleinen Keller führten dann zu einer Bewusstlosigkeit und in weiterer Folge zum Atemstillstand.“

Wiedermann zog ihre Schulter nach oben, um anzudeuten, dass wir alle Fehler machen.

„Das ist ja furchtbar. Und du bist dir sicher?“, bohrte Sifkovits nach.

„Ja. Er hat eine Wunde am Kopf, die auf einen Sturz infolge der Bewusstlosigkeit hindeutet. Es ist bedauerlicherweise nicht das erste Mal, dass solche Unfälle in der Gegend passieren. Erinnere dich an den Udo. Das ist eben das Problem bei diesen alten Weinkellern. So romantisch sie auch sind, du stehst immer mit einem Fuß im Grab. Ein kleiner Fehler – und aus. Der Stipsits hatte ohnehin Probleme mit seinem Herz. Zwei Bypässe und ein kleiner Hinterwandinfarkt vor drei Jahren. Mit einer dementsprechenden Vorbelastung sollte man sich keiner CO2-Emission aussetzen. Ein unsichtbarer Tod. Leider.“

Sifkovits mochte Marias Sachlichkeit, die immer mit einem Schuss Mitgefühl gewürzt war.

„Was schreibst du in den Totenschein?“, wollte Sifkovits wissen.

„Herz-Kreislauf-Versagen. Ganz klassisch.“

Sifkovits nickte. Er bewunderte die kleinen Landärzte. Leider gab es nur mehr wenige und diese mussten sehr große Gebiete betreuen. Da blieb kaum Zeit für ausführliche Untersuchungen und genaue Diagnosen. So kam es auch immer wieder vor, dass Todesfälle schnell abgehandelt wurden.

„Multiorganversagen“ schrieb Maria bei älteren Menschen zum Beispiel ausgesprochen oft in den Totenschein. Alter Mensch legt sich hin und steht in der Früh nicht mehr auf.

Im Hintergrund sah Sifkovits zwei weinende Frauen. Sie waren unterschiedlichen Alters und versuchten, einem Uniformierten Auskünfte zu geben.

„Das sind die Ehefrau und die Tochter des Verunfallten“, klärte Maria den Inspektor auf. „Die Tochter hat ihren Vater heute am späteren Vormittag gefunden.“

Sifkovits nickte verständnisvoll.

„Darf ich mir den Toten einmal anschauen?“, fragte er seine Bekannte.

Maria bejahte und zog das weiße Laken weg.