Die verbotene Geschichte - Annette Dutton - E-Book

Die verbotene Geschichte E-Book

Annette Dutton

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Beschreibung

Als sie die Einladung zur Beerdigungszeremonie einer gewissen »Miti« auf Papua-Neuguinea erhält, ahnt die Ärztin Katja nicht, dass ihre Reise Licht in die dunkelsten Geheimnisse ihrer Familie bringen und ihr eigenes Leben für immer verändern wird. Geschickt verwebt Annette Dutton die Geschichte zweier Frauen aus unterschiedlichen Jahrhunderten, beschwört die dramatische Geschichte Papua-Neuguineas und lässt schillernde historische Figuren wie die berühmt-berüchtigte Queen Emma lebendig werden. Exklusiv im eBook: ein bisher unveröffentlichtes geheimes Kapitel über Johannas Vorgeschichte. Emotionales Chaos inklusive! Begeisterte Leserstimmen: »Spannend geschrieben und großartig recherchiert.« »Mein persönliches Fazit: Tolle Recherche, tolle Geschichte und absolut lesenswert!« »Ein wunderbares Buch, dem es an nichts fehlt.«

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Seitenzahl: 551

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Annette Dutton

Die verbotene Geschichte

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

KartenKöln, März 2010Deutsch-Neuguinea, Missionsstation Raluana, 13. August 1904Auszüge aus dem Tagebuch von Johanna Schubach, Eintrag vom 6. Juni 1902, Kopie, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 009Auszüge aus dem Tagebuch von Johanna Schubach, Eintrag vom 7. Juni 1902, Kopie, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 011Auszüge aus dem Tagebuch von Johanna Schubach, Eintrag vom 8. Juni 1902, Kopie, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 014Auszug aus einem Brief von Johanna Schubach an ihre Eltern, datiert auf den 18. Juni 1902, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 034Köln, Ende März 2010Aus dem Wirtschaftsteil der Kölner Morgenzeitung vom 21. 05. 2001, Phebe₋Parkinson₋Archiv, Archivnummer 082Papua-Neuguinea, East New Britain, 9. Mai 2010Deutsch-Neuguinea, Januar 1905Auszüge aus dem Tagebuch von Johanna Schubach, Eintrag vom 5. Juli 1904, Kopie, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 015Brief von Arnold Kerbau an Friedrich Rohloff vom 10. Juli 1904, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 041Kokopo, Juni 2010Brief des Polizeichefs von Rabaul, Paul Herbert Reicher, an Emma Kolbe, aus dem Jahre 1910, teilweise unleserlich, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 043Papua-Neuguinea, Juli 2010Auszug aus einem Brief von Phebe Parkinson an einen unbekannten Empfänger, datiert auf den 2. November 1911, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 042Papua-Neuguinea, August 2010Deutsch-Neuguinea 1907Brief von Dr. Declan Partik, Rabaul, an Phebe Parkinson, datiert auf den 7. April 1907, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 035Mount Isa, 2010Auszug eines Briefes von Phebe Parkinson an Johanna Hunter, undatiert, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 051Cradle Mountain, Tasmanien, 2010Auszug aus dem Tagebuch von Johanna Kiehl vom 12. Juni 1903, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 016Papua-Neuguinea 2010Meldung im Berliner Abendblatt vom 13. September 1914, Phebe₋Parkinson₋Archiv, Archivnummer 083Deutsch-Neuguinea, 1914Auszug aus einem Artikel in: Die große Enzyklopädie der Weltmythen, Phebe₋Parkinson₋Archiv, Archivnummer 007Köln, 2011Auszug aus einem Brief von Bibi von Beringsen an Phebe Parkinson, datiert auf den 15. Januar 1924, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 052Mount Isa, 1928Rabaul, 2011Brief von Martin Kiehl an seine Mutter Johanna Hunter, datiert auf den 15. 09. 1939, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 033Neuguinea, Kokodatrail, 1942Papua-Neuguinea, 2011Auszug aus einem Brief von Phebe Parkinson an ihren Mann Richard, datiert auf den 18. Januar 1906, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 056Rabaul, 1944Papua-Neuguinea, 2011Rabaul, 1928Auszug aus einem Brief von Emma Kolbe an Bischof Couppé, datiert auf den 23. Juli 1911, Archiv der Missionsstation von VunapopeNachricht aus dem Rabaul Observer vom 22. 03. 1928, Phebe₋Parkinson₋Archiv, Archivnummer 061Neuguinea, Anfang Mai 2011Australien, Mt. Isa, 1952Ausriss eines Zeitungsartikels aus der Hobart Times vom 19. 02. 1952, Phebe₋Parkinson₋Archiv, Archivnummer 070Bergisches Land, 17. Mai 2011EpilogNachwortDanksagungLiteraturhinweiseAllgemeinDie ParkinsonsQueen EmmaFrauen in den KolonienHistorische Eckdaten – Papua-Neuguinea und die KolonialisierungDie verbotene Geschichte
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Köln, März 2010

Katja riss sich die weißen Stöpsel aus den Ohren und starrte mit offenem Mund durch die Windschutzscheibe. Instinktiv zog sie ihr linkes Bein in den Fahrerraum zurück und schlug die Tür zu. Sie sah, wie der Radfahrer vor ihr auf die belebte Gegenspur zuschlingerte. Während er sich bemühte, die Kontrolle zu behalten, schlug das Vorderrad ruckartig hin und her. Zwei Autofahrer versuchten, dem unberechenbaren Geschoss auszuweichen, und verrissen das Lenkrad Richtung Bürgersteig. Bremsen quietschten. Katja schloss die Augen und biss die Zähne aufeinander. Sie wartete auf den Aufprall. Doch stattdessen sauste wenig später eine Faust auf die Motorhaube ihres Sportwagens nieder. Sie fuhr zusammen und öffnete ungläubig die Augen.

»Kannst du nicht aufpassen, du blöde Kuh?«

Ein behelmter Männerkopf beugte sich durchs offene Fenster zu ihr herunter. Es erschien Katja unglaublich, doch der drahtige Typ im Rennfahrertrikot saß trotz des riskanten Ausweichmanövers noch immer im Sattel und stützte sich nun mit der Hand an ihrem Autodach ab. Sein wutverzerrtes Gesicht kam dem ihren so nahe, dass Katja schon befürchtete, er könne jeden Moment handgreiflich werden. Unwillkürlich hob sie ihre Hände und legte sie zum Schutz auf Stirn und Schläfen.

»Es tut mir leid. Ehrlich, ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte. Normalerweise …« Sie biss sich auf die Unterlippe. Es musste ja wie Hohn in seinen Ohren klingen, wenn sie behauptete, dass sie sich sonst vor dem Aussteigen immer zuerst umschaute, ob jemand auf dem Radweg hinter ihr fuhr.

»Sorry«, sagte sie deshalb nur leise und hob entschuldigend die Hände.

»Dein sorry kannst du dir sonst wohin schieben! Verdammt, ich hätte tot sein können!«

Katja begann trotz der Erleichterung zu zittern. Der Mann lebte. Das war alles, was zählte. Sie wusste, dass sie unter Schock stand. Dabei wollte sie so gerne etwas Passendes sagen, ihn zumindest fragen, ob er sich verletzt hatte und ob sein Rad in Ordnung war. Doch noch bevor sie die richtigen Worte fand, stieß sich der Radfahrer kraftvoll vom Auto ab und trat in die Pedale.

»Scheißautofahrer«, hörte sie ihn noch fluchen, als er kopfschüttelnd davonfuhr. Katja barg ihr Gesicht in den Händen. Sie ließ die Stirn aufs Lenkrad sinken, schloss die Augen und begann zu weinen. Es stimmte, was er gesagt hatte. Sie hätte ihn tatsächlich umbringen können! Wer wüsste das besser als sie?

Erst vorletzte Woche hatte sie gemeinsam mit den anderen Notärzten im Dienst ein sechzehnjähriges Mädchen versorgt, das auf dem Weg zur Schule von einer sich plötzlich öffnenden Wagentür in die Luft geschleudert worden war. Wahrscheinlich würde der Teenager für den Rest seines Lebens von der Hüfte abwärts gelähmt bleiben.

»Alles in Ordnung mit Ihnen? Brauchen Sie Hilfe?«

Katja spürte den sanften Druck einer Hand auf ihrer Schulter. Langsam hob sie den Blick und strich sich eine Strähne ihres schulterlangen Haares hinters Ohr. Sie sah in das besorgte Gesicht einer älteren Dame, die durchs offene Fenster zu ihr hereinschaute. Katja schüttelte nur den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln.

»Nein danke. Es geht schon wieder.«

Die Dame hob kurz die Brauen, als zweifle sie ihre Worte an, nickte schließlich und ging weiter. Katja seufzte. Bevor noch mehr geschah, sollte sie besser aussteigen. Sie stopfte ihren MP3-Player in die Handtasche und griff nach den beiden Einkaufstüten auf dem Rücksitz. Sie schüttelte sich, als könnte sie auf diese Weise das eben Erlebte loswerden. Schließlich stieg sie aus, schloss den BMW ab und überquerte zügig die Straße. Fünf Minuten später stand sie vor einem Mehrfamilienhaus, das sich mit seiner nüchternen Fassade aus den siebziger Jahren nahtlos in seine triste Nachbarschaft einfügte. Sie setzte die Tüten ab und fischte in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel. Als sie ihn nicht gleich finden konnte, füllten sich ihre Augen wieder mit Tränen. Mein Gott, reiß dich zusammen! Endlich fühlte sie den Schlüssel zwischen ihren Fingern und schloss schnell die geriffelte Glastür auf. Sie stellte den Fuß in den Rahmen, nahm die Tüten und betrat den Flur. Die vier Stockwerke bis zu ihrer Dachterrassenwohnung bewältigte Katja zu Fuß, einen Fahrstuhl gab es nicht. Oben angekommen, öffnete sie die Tür, trat in den Eingangsbereich, lehnte sich für einen Moment mit dem Rücken gegen die Wand und atmete tief durch. Dann ging sie zur Küchentheke, wo sie die Tüten abstellte. Sie öffnete einen der Hängeschränke und suchte nach der Whiskyflasche, die sich dort irgendwo versteckt haben musste. Im mittleren Schrank wurde sie fündig. Sie griff nach einem Wasserglas und goss sich einen Daumenbreit vom Single Malt ein. Sie nahm einen großen Schluck und ließ sich mit einem hörbaren Seufzer auf den Barhocker sinken. Mit geübten Bewegungen kickte sie die flachen Sandalen von den Füßen. Eigentlich war es für Sandalen noch viel zu kalt, aber nach dem langen Winter war ihr heute einfach danach gewesen. Es war ja nur für den Heimweg und den Einkauf im Supermarkt. Im Krankenhaus trug sie ohnehin ihre Arbeitsschuhe. Sie stellte den Drink ab und ging zum anderen Ende des Raumes, dem Wohnbereich. Michael und sie hatten die Wohnung vor sechs Jahren nur unter der Bedingung gekauft, dass sie die Wände einreißen durften. Aus den vier schachtelartigen Zimmern schufen sie ein helles großes und ein kleineres, das als Schlafzimmer diente. An der niedrigen Decke konnten sie leider nichts ändern, doch dafür entschädigte sie die Dachterrasse mit Blick über den Rhein – der eigentliche Grund, weshalb sie sich für die Wohnung in Rodenkirchen entschieden hatten. Die bürgerliche, um nicht zu sagen spießige Nachbarschaft nahmen sie dafür ebenso in Kauf wie Katja die tägliche Fahrerei zur Uniklinik.

Eine Weile suchte sie erfolglos nach der Fernbedienung; schließlich gab sie auf und ging in die Hocke, um die Anlage manuell einzuschalten. Sie drehte den Lautstärkeregler genau so weit nach rechts, wie es von den Honnefs unter ihnen gerade noch toleriert wurde. Nach mehreren unerfreulichen Begegnungen mit dem Rentnerehepaar war Michael auf die grandiose Idee verfallen, diesen mühselig verhandelten Grenzwert mit einem Tupfer Nagellack auf der Anlage zu markieren. Das fanden sie beide zwar idiotisch, aber seither klappte es mit den Nachbarn.

Katja ging ins Badezimmer, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche. Vor zwei Jahren hatte sie auch im Bad kleine hochwertige Boxen installieren lassen, denn sie wollte selbst dort nicht mehr ohne Musik sein. Mit der Stille kamen die Gedanken, und die drehten sich immer nur im Kreis. Sie führten zu nichts, schmerzten aber wie am ersten Tag.

Katja hielt ihr Gesicht bewegungslos in den Wasserstrahl, genoss das gleichförmige Prickeln auf der Haut. Gleichzeitig spürte sie das Hämmern der Bassgitarre.

Als sie sich gerade zu entspannen begann, wurde sie von einem energischen Klopfen an der Badezimmertür unterbrochen. Zum zweiten Mal an diesem Tag fuhr sie erschrocken zusammen und kreuzte schützend die Arme vor der Brust.

»Katja?«

Ihre Mutter. War es tatsächlich schon sechs? Ihre Mutter hatte unbedingt zum Abendessen vorbeikommen wollen. Sosehr Katja die Absicht hinter diesem Besuch zu schätzen wusste, an diesem Tag wäre sie trotzdem lieber allein geblieben. Katja drehte das Wasser ab und stieg aus der Duschkabine.

»Bin in zwei Minuten bei dir. Hol dir schon mal was zu trinken!«, rief sie durch die Tür, anstatt die Musik leiser zu stellen.

»Ist gut.«

Katja trocknete sich ab, schlüpfte in Unterwäsche und ihre Röhrenjeans und streifte sich ein schlicht geschnittenes T-Shirt mit langen Ärmeln über. Sie verzog das Gesicht kurz zu einer Grimasse, als sie sich mit festen Bürstenstrichen durchs handtuchtrockene Haar fuhr.

In die Küche zurückgekehrt, stellte sie fest, dass ihre Mutter bereits die Plastiktüten geleert und die Einkäufe verstaut hatte. Die elegante Frau Mitte fünfzig stand in der Küche und würfelte Schalotten. Sie trug eine Hose aus fließendem Stoff, die ihrer schlanken Figur schmeichelte. Augen und Lippen waren dezent geschminkt. Das dunkelblonde Haar hatte sie hochgesteckt, was die Wirkung ihrer teuren Ohrringe noch verstärkte. Als sie Katja kommen hörte, hob sie den Kopf und legte das Messer zur Seite. Lächelnd kam sie um die Arbeitsfläche herum und nahm ihre Tochter in den Arm.

»Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken, Liebes, aber ich habe mir den Finger wund geklingelt, und weil ich doch den Schlüssel habe, dachte ich …«

»Ja, ja. Schon gut«, wiegelte Katja ab und wand sich aus der mütterlichen Umarmung. »Bin ja selbst dran schuld. Die Musik … Hast du übrigens zufällig die Fernbedienung gesehen?«

»Letztes Mal lag sie unter dem Sofa.«

Margarete von Beringsen wandte sich wieder den Schalotten zu. Katja ging zur Sitzecke hinüber, deren dunkles Leder speckig glänzte. Sie legte sich flach auf den Boden und langte nach etwas.

»Und da ist sie auch jetzt wieder. Was täte ich nur ohne dich?« Mit einem Ächzen kam sie wieder auf die Füße und stellte den Ton leise. Ihre Mutter schien darüber erleichtert.

»Was machst du überhaupt in der Küche? Ich wollte doch für uns kochen.«

»Ach, lass mir doch die Freude. Zu Hause komme ich doch eh nicht dazu.« Katjas Mutter deutete mit der Messerspitze auf die Knoblauchknolle und den kleinen Bund roter Chilis. »Das scharfe Zeugs überlasse ich allerdings gerne dir.«

Das Fischgrätparkett knarzte, als Katja zur Küche hinüberging.

»Meinst du, ich sollte den Boden neu versiegeln lassen?«

Ihre Mutter hob die Schultern.

»Das würde wohl nichts ändern. Das Holz lebt, und was lebt, bewegt sich nun mal und macht dabei Geräusche.« Sie wandte sich zum Spülbecken, um die Petersilie zu waschen. Katja schluckte. Was lebt, bewegt sich und macht Geräusche. Lächerlich, dass sie die Worte ihrer Mutter so berührten. Entschlossen kämpfte sie die aufsteigenden Tränen nieder und machte sich daran, den Knoblauch und die Chilis sehr fein zu schneiden.

 

Die beiden Frauen saßen am Esstisch und aßen schweigend. Beide schienen sich auf die leisen Klänge zu konzentrieren. Mozart. Katja war nicht nach Unterhaltung zumute. Ihre Mutter schien dies zu spüren. Sie war gekommen, um ihre Tochter zu trösten, und Katja wollte sie auch gar nicht bewusst abweisen, obwohl sie glaubte, dass dieser fürsorgliche Besuch ihrer Mutter mehr half als ihr selbst.

»Wirklich köstlich, diese Chili-Knoblauch-Spaghetti«, unterbrach Margarete von Beringsen die Stille. »Ich bin jedes Mal aufs Neue erstaunt, dass ich Chili überhaupt runterbringe. Diese Entdeckung habe ich allein dir zu verdanken.« Sie legte das Besteck am Tellerrand ab und nahm einen Schluck vom Riesling. Dann schaute sie ihrer Tochter forschend ins Gesicht. Katja wandte den Blick ab. Eine Träne lief ihr über die Wange. Ihre Mutter beugte sich nach vorne.

»Katja, willst du nicht mit mir reden?«, ermunterte sie die Tochter und berührte vorsichtig deren Hand. Katja atmete durch. Sie legte die Gabel zur Seite und sah ihrer Mutter in die Augen.

»Ich hätte heute beinahe jemanden auf die Intensivstation geschickt.« Mit einem Kloß im Hals berichtete sie ihrer Mutter von dem Unfall.

»Geh nicht so hart mit dir ins Gericht. Ich wette, du hast an Michael gedacht, als das passierte, hab ich recht? Dieser Tag heute … der Gedanke hat dich abgelenkt.« Sie drückte die Hand ihrer Tochter, Katja nickte stumm.

Ihre Mutter deutete mit dem Kinn in Richtung Telefon. »Es blinkt schon, seit ich hier bin. Drei Anrufe. Willst du die Nachrichten denn nicht abhören?«

Katja schüttelte den Kopf.

»Später. Ich schaffe das jetzt nicht. Das werden seine Eltern sein und vielleicht ein, zwei Freunde, die sich noch an seinen Geburtstag erinnern.«

Ihre Mutter nickte und drehte langsam mit der Gabel die Spaghetti auf. Katja wollte Wein nachschenken, doch Margarete von Beringsen hielt die Hand über ihr Glas.

»Für mich bitte nicht mehr. Ich hab versprochen, noch auf einen Sprung bei Leni vorbeizuschauen. Eine ihrer neuen Künstlerinnen stellt aus, und sie hat mal wieder Angst, dass nicht genug Publikum zur Vernissage kommen könnte.«

Sie schaute auf die Armbanduhr. »Großer Gott. Sei mir nicht böse, aber ich muss los.« Sie tupfte sich den Mund ab, warf die Serviette auf den noch halb vollen Teller, schob den Stuhl zurück und stand auf.

Als ihre Mutter mit ihrer Handtasche im Bad verschwunden war, räumte Katja den Tisch ab und stellte das Geschirr ins Spülbecken. Sie nahm ihr Weinglas und ging nach draußen auf die Terrasse, wo sie sich in einen gepolsterten Korbsessel sinken ließ und nach Zigaretten und Feuerzeug auf dem Holztischchen neben ihr langte. Sie fingerte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Dann lehnte sie sich zurück und stieß den Rauch wie einen langen Seufzer durch die Nasenlöcher aus. Ihr Blick glitt über den Fluss; der Abend war schnell heraufgezogen, so dass sie kaum noch unterscheiden konnte, wo das schmutzige Wasser aufhörte und das Grau des Himmels anfing. Die Lichter der Uferpromenade hätten dabei helfen können, doch aus irgendeinem Grund brannten sie noch nicht. Feiner Nieselregen fiel. Über die Brücke zu Katjas Rechter bewegten sich die Autos als schleichende Lichterkette hoch über dem Rhein. Katja hatte die Beine hochgezogen und mit den Armen umfasst, um sich vor der Kälte zu schützen. Die herannahende Nacht fühlte sich eher nach Winter an als nach Frühlingsanfang. Sie hörte, wie die Glastür geöffnet wurde.

»Ach, hier bist du. Willst du nicht wieder hereinkommen? Du holst dir sonst noch den Tod.«

»Gleich. Ich rauche nur schnell die Zigarette fertig.«

Frau von Beringsen trat auf die Terrasse hinaus, schon im Mantel, und zog die Tür hinter sich zu. »Seit wann rauchst du denn wieder?« Die Stimme der Mutter klang überrascht, und sie setzte sich auf die Kante des anderen Sessels.

»Nur ab und zu mal eine. Du brauchst dir keine Sorgen machen.«

»Das tu ich aber.«

Katja schwieg, während die Glut ihrer Zigarette in der trüben Dämmerung aufleuchtete und leise knisterte.

»Ist es denn immer noch so schlimm?« Margarete von Beringsen sprach leise. »Es sind nun fast schon drei Jahre.«

Katja antwortete nicht, hob stattdessen den Kopf und blies den Rauch in den kalten Himmel. Ihre Mutter legte der Tochter die Hand aufs Knie.

»Hör mal, du darfst dich nicht so in deine Trauer fallen lassen. Du bist eine junge Frau, die noch alles vor sich hat. Du musst mehr rausgehen, unter Leute.«

»Mama, ich bin den ganzen Tag unter Leuten. Am Abend will ich meine Ruhe haben.«

»Sicher. Trotzdem … Katja, es fällt mir nicht leicht, aber irgendjemand muss es dir ja mal sagen. Und wenn deine Freunde es nicht tun …«

»Was denn, Mutter? Bitte winde dich nicht so.«

»Also gut. Du lässt dich gehen. So, jetzt ist es raus. Dabei wäre es nun wirklich an der Zeit …« Sie sah ihre Tochter genauer an und unterbrach sich selbst. »Deine Haare. Wann warst du das letzte Mal beim Friseur? Und dann diese alten ausgeleierten Klamotten. Immer nur Jeans, T-Shirt oder Pulli. Du würdest dich bestimmt viel besser fühlen, wenn du dich ein wenig zurechtmachen würdest.«

»Du meinst, damit ich für einen anderen Mann attraktiv werde?« Noch bevor ihre Mutter Gelegenheit hatte, Einspruch zu erheben, sprach Katja weiter: »Wieso kannst du nicht verstehen, dass ich kein Interesse habe, mit jemandem auszugehen? Michael war die Liebe meines Lebens, und die Tatsache, dass er tot ist, ändert nichts daran.«

Margarete von Beringsen setzte sich aufrechter hin und schlug die schlanken Beine übereinander. Ihre Finger zogen die Korbflechtenlinien nach.

»Liebe meines Lebens. Herrgott, Katja, das sind große Worte. Ich glaube, du bist mit deinen 32 Jahren viel zu jung, um deine Gefühle so abschließend beurteilen zu können.«

»Aber du kannst das, ja? Du kannst beurteilen, wann es mit meiner Trauer genug ist und an der Zeit, mich nach einem neuen Mann umzuschauen. Das meinst du doch, wenn du sagst, ich soll wieder raus ins Leben, oder?«

»Ich meine nur, dass du zu jung bist, um für den Rest deines Lebens zu trauern. Auch wenn es dir jetzt noch schwerfällt, mir zu glauben, aber Gefühle verändern sich im Laufe der Jahre. Ich gebe zu, es hört sich abgeschmackt an, und doch ist es wahr: Die Zeit heilt alle Wunden.«

Katja schnaubte verächtlich. »Ich weiß schon. Und eine neue Liebe ist wie ein neues Leben. Bitte, Mutter, lass mich mit diesen abgedroschenen Phrasen in Ruhe!«

»Na gut. Ich will nur dein Bestes, das weißt du. Aber wenn du mir nicht zuhören willst, gehe ich wohl besser.«

Margarete von Beringsen stand auf. »Ach ja, ich hab deine Post mit hochgebracht und auf die Kommode im Flur gelegt. Außer Rechnungen ist da ein Brief aus Papua-Neuguinea. Wird wohl eine Einladung für diese merkwürdige Zeremonie zu Phebes Grabverlegung sein. Sie haben uns vor drei Wochen um die Erlaubnis gebeten, diese Feierlichkeiten auf Kuradui abzuhalten.«

»Phebes Grabverlegung?« Katja wusste nicht, wovon ihre Mutter sprach. Diese winkte müde ab.

»Ach, vergiss es einfach. Ich verstehe gar nicht, warum die Diözese unsere Familie seit Jahren immer noch anschreibt, wo Papa doch nie darauf reagiert hat. Ganz schön hartnäckig, diese Papua. Wahrscheinlich hoffen sie auf eine saftige Geldspende. Also, ich bin dann mal weg.«

Katja drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und stand auf, um ihre Mutter zu verabschieden. »Mutter, es tut mir leid. Es ist nur … ach, ich weiß auch nicht. Ich bin einfach noch nicht so weit. Verstehst du das denn nicht?«

Margarete von Beringsen drückte ihre Tochter fest an sich und schloss für einen Moment die Augen. »Natürlich. Ich will dir doch nicht weh tun, aber wir sorgen uns nun mal um dich. Papa fragt schon eine ganze Weile nach dir. Willst du nicht mal wieder vorbeikommen, auf einen Kaffee?«

»Ach, Mutter. Vater und nach mir fragen. Das glaubst du doch selbst nicht. Fast jedes Mal, wenn ich ihn sehe, endet es im Streit.«

»Weil ihr beide denselben Dickschädel habt, deshalb. Dabei tust du ihm unrecht, glaub mir. Er fühlt durchaus mit dir, kann es aber nicht so ausdrücken. Also, komm schon, gib dir einen Ruck und besuche deinen Vater! Er vermisst dich. Wirklich.«

Der Anflug eines Lächelns zeichnete sich auf Katjas Lippen ab.

»Ich überleg es mir.«

Margarete von Beringsen strich ihrer Tochter kurz über den Rücken, hängte sich ihre Tasche um und wandte sich zur Tür. Die Hand schon auf der Klinke, drehte sie sich noch einmal um. »Beinahe hätte ich das Wichtigste vergessen.« Sie fischte einen Umschlag aus ihrer Handtasche und gab ihn der Tochter. »Hier. Die Einladung zu Großvaters Geburtstag. Ich weiß, Alberts Jahrestag ist eine bittere Erinnerung für dich, aber bitte komm dieses Mal! Wir sind deine Familie, Katja.«

 

Als ihre Mutter gegangen war, drehte Katja die Musik auf und warf die Geburtstagseinladung auf die Küchentheke. Und wenn ihre Mutter vielleicht recht hatte und sie schon viel zu lange in der Trauerphase steckte? Wie lange dauerte »normale« Trauer? In der medizinischen Literatur war ungefähr von einem Jahr die Rede, wenn sie sich richtig erinnerte. Es stimmte, sie hatte sich gerade in den letzten Monaten sehr von Freunden und Familie zurückgezogen. Im ersten Jahr nach Michaels Tod hatte sie noch jede Menge Anrufe und Einladungen zu irgendwelchen Aktivitäten erhalten. Nachdem sie dann mehrere Male abgesagt hatte, ließen diese Anrufe allmählich nach. Das war nur verständlich, und es hatte Katja nicht weiter gestört, schließlich wollte sie ja nichts anderes, als mit sich und den Erinnerungen an Michael allein zu sein.

Konnte es sein, dass sie es sich mit der Zeit fast schon behaglich in diesem Zustand eingerichtet hatte? Verwechselte sie womöglich die Gewöhnung an ihre Einsamkeit mit der sogenannten Regression, wie Ärzte die Phase der Trauer nannten und in der sie sich ihrer Meinung nach gerade befand? Die vorletzte Stufe der Trauer, die von Rückzug aus dem Leben und gewählter Isolation gekennzeichnet ist? Warum ließ sie nicht los und wagte den Sprung zurück ins Leben? Sehnte sie sich im Grunde nicht selbst nach der letzten Trauerphase, die eine Anpassung an das Leben ohne den geliebten Menschen bedeutete? Wenn sie sich nur aktiver darum bemühte, zurück ins normale Leben zu gelangen, würde es dann nicht irgendwann einfach passieren, dass es sich richtig anfühlte?

Katja ging nachdenklich in den Flur zur Kommode und schaute die Post durch. Die Rechnungen legte sie ungeöffnet zur Seite und griff nach dem Brief mit den exotischen Briefmarken. Birds of Paradise stand unter den Abbildungen der prächtig gefiederten Vögel. Sie öffnete den Umschlag mit dem Daumen und zog eine schlichte Karte hervor. Wie von ihrer Mutter angekündigt, handelte es sich um die Einladung zu einem Beerdigungszeremoniell. Fast siebzig Jahre nach ihrem Tod hatte man die sterblichen Überreste einer gewissen Phebe Parkinson gefunden und wollte sie nun im Familiengrab auf der Farm Kuradui beisetzen:

Wir betten die allseits geliebte und verehrte Phebe Parkinson am 17. Mai 2010 neben ihren Mann Richard Parkinson. Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, und nun endlich geht er in Erfüllung. Wir würden uns freuen, wenn Sie dem feierlichen Zeremoniell auf Kuradui beiwohnen könnten.

Unterschrieben hatte ein gewisser Reuter, Leiter der katholischen Diözese Vunapope. Dann folgten noch einige technische Hinweise zu Anfahrt und Unterbringung, Telefonnummern sowie einige Netzadressen mit näheren Informationen über das Land im Allgemeinen und die katholische Gemeinde im Besonderen. Aus Deutschland, so hieß es außerdem auf der Karte, buche man am besten einen Flug über Australien zur Hauptstadt Port Moresby und von dort einen Anschlussflug nach Rabaul, das zwanzig Autominuten vom Zielort Kokopo entfernt sei.

Rabaul, Kuradui, Vunapope, Kokopo. Die fremd klingenden Namen waren Katja das ein oder andere Mal in der Villa ihrer Eltern oder auf Großvaters Gut zu Ohren gekommen, aber was sich hinter ihnen verbarg, darüber wusste sie so gut wie nichts. Sie erinnerte sich daran, als Mädchen einmal mit ihren Cousinen in Baströckchen auf Großvaters Geburtstagsfeier getanzt zu haben. Die Jungs schlugen dazu die Trommel, und die Erwachsenen, die sich prächtig über die rot und schwarz angemalten Kindergesichter amüsierten, ermunterten die kleinen Tänzer zu immer wilderen Verrenkungen. Großvater Albert führte bei solchen Gelegenheiten gern den »Vogelmann« vor, wie er die grüne Spielzeugfigur aus Samoa nannte. Sie war aus Jade, ungefähr zehn Zentimeter hoch und zeigte ein Wesen halb Vogel, halb Mensch. Katjas Eltern verdrehten dann die Augen, weil sie bereits wussten, was die Gäste nun erwartete: Damals, in ihren Kindertagen, als Opa Albert noch nicht im Rollstuhl saß, hielt er irgendwann im Verlauf der Feier die Figur mit beiden Händen über seinen Kopf und begann urplötzlich, mit ruckartigen Bewegungen durch den Raum zu zucken, während er gleichzeitig Laute wie von einem kranken Huhn ausstieß. Danach schüttete er sich aus vor Lachen und fiel irgendwann erschöpft in seinen Sessel zurück. Gäste, die zum ersten Mal diesem Schauspiel beiwohnten, waren verständlicherweise irritiert, und Katjas Eltern mussten sich den Rest der Feier meist damit beschäftigen, das merkwürdige Verhalten des Familien-Patriarchen zu erklären. Als Katja etwas älter war und erkannte, dass kein Mensch außer ihrem Opa diese seltsamen Geburtstagsbräuche zelebrierte, fragte sie ihre Mutter einmal, was es denn mit diesem Tanz, den sie gerade hatten absolvieren müssen, und dem Vogelmann auf sich habe.

»Ach, das ist nur ein dummer Spaß, den sich dein Großvater einmal im Jahr erlaubt«, sagte ihre Mutter in leicht abschätzigem Ton. »Das darfst du nicht weiter ernst nehmen.« Als Katja sich mit dieser Erklärung nicht zufriedengeben wollte, kniete sich ihre Mutter seufzend vor sie hin.

»Wie erkläre ich es dir nur am besten? Also, auch wenn es schwerfällt, sich das vorzustellen, aber Großvater Albert war auch einmal ein Kind und hatte Großeltern. Die beiden sind allerdings schon lange tot. Seine Großmama stammte aus Samoa.«

»Wo ist denn Samoa?«

»Das ist eine wunderschöne Insel in der Südsee.«

»Warst du schon mal da?«

Ihre Mutter schüttelte den Kopf und strich Katja übers Haar. »Nein, aber ich wünschte, ich wäre es. Dein Vater war allerdings schon öfters dort. Er besitzt dort und in Papua-Neuguinea unter anderem Plantagen.«

»Papa Neu-was?«

Ihre Mutter lachte herzlich und wiederholte den korrekten Namen.

»Und ist das auch im Südsee? Ist der weit weg von hier?«

Frau von Beringsen nickte lächelnd zu ihrer Tochter herab.

»Ja, mein Schatz. Am anderen Ende der Welt, dort, wo die wilden Männer hausen«, sagte sie nur geheimnisvoll und rollte übertrieben mit den Augen. Dann wischte sie Katja mit einem Tuch die Farbe aus dem Gesicht und bedeutete ihr mit einem Klaps, zu den anderen Kindern in den Garten zurückzulaufen.

Die Erinnerung ließ Katja den Kopf schütteln. Im Begriff, die Karte wieder in den Umschlag zu stecken, hielt sie plötzlich inne und schaute nochmals auf das Datum. Am 17. Mai. Katja überlegte. Die Zeremonie für Phebe überschnitt sich mit Großvater Alberts Fest. War das vielleicht ein Wink des Schicksals? Doch schon im nächsten Augenblick fand Katja die Idee absurd. Warum sollte sie für eine vor langer Zeit verstorbene Frau, die weder sie noch ihre Eltern gekannt hatten, ans andere Ende der Welt reisen?

Trotzdem ließ sie der Gedanke nicht los. Möglicherweise wäre dies genau die Gelegenheit, auf die sie insgeheim gehofft hatte, um aus ihrem Alltag auszubrechen. In Papua-Neuguinea könnte sie, fern der Beobachtung durch Bekannte oder die Eltern, ausprobieren, wie es sich anfühlte, ohne Michael einen neuen Schritt im Leben zu wagen. Genau davor hatte sie in den letzten drei Jahren Angst gehabt: fremden Menschen und unbekannten Situationen zu begegnen, ohne Michael an ihrer Seite zu haben. Nicht, weil sie ängstlich oder schüchtern gewesen wäre. Nein, die altbekannten Abläufe in vertrauter Umgebung hinter sich zu lassen würde bedeuten, Michael zurückzulassen, und dieser Gedanke fühlte sich für sie noch immer wie Verrat an.

Was also, wenn sie sich tatsächlich dazu entschloss, nach Papua-Neuguinea zu fliegen? Möglich wäre es im Prinzip. Ihr Jahresurlaub war längst überfällig, und ihr alter Vertrag mit der Klinik lief eh bald aus. Zwischen zwei Verträgen könnte sie sich durchaus eine Auszeit gönnen. Sie tat seit dem Unfall ja praktisch nichts anderes, als lange Schichten zu schieben. Manchmal ging sie abends mit einer Freundin ins Kino oder ins Restaurant, aber das war seit Jahren ihre einzige Ablenkung. Ihr letzter wirklicher Urlaub, das war mit Michael. Zwei Wochen, über Ostern, in Griechenland zum Segeln. Im Mai darauf war Michael tot.

Sie seufzte. Es wäre bestimmt nicht die schlechteste Idee, ihre selbstgewählte Einsamkeit für eine Weile aufzugeben. Zwar nicht in der Absicht, einen Mann kennenzulernen, wie ihre Mutter hoffte, aber um aus der alten Tretmühle rauszukommen. Außerdem, überlegte Katja nun schon einigermaßen ernsthaft, hätte sie so eine hervorragende Ausrede, sich noch einmal vor dem verhassten Geburtstagsfest zu drücken. Sie konnte Großvater Albert nicht sonderlich leiden; im Grunde mochte sie die gesamte Familie väterlicherseits nicht, und das schloss ihren Vater Rudolf ein. Die Möglichkeit, dem alljährlichen Großaufgebot der Sippschaft ein weiteres Mal entgehen zu können, erschien ihr mehr als verlockend.

Außer ihrer Abneigung der Verwandtschaft gegenüber gab es seit fast drei Jahren aber noch einen weitaus gewichtigeren Grund, weshalb sie mit der Familienfeier nach Möglichkeit nichts mehr zu tun haben wollte: Vor drei Jahren hatte sie dort vom Unglück erfahren. Ursprünglich war geplant, dass Michael und sie die Feier gemeinsam durchstehen würden, doch dann erhielt er relativ kurzfristig das unwiderstehliche Angebot einer Produktionsfirma für einen Dreh in Australien, zu dem er natürlich nicht nein sagen konnte. Es ging um eine Dokumentation über die Naturschutzgebiete Tasmaniens – eine Aufgabe genau nach Michaels Geschmack.

Nachdem sie damals auf dem Geburtstag ihres Großvaters von dem grauenhaften Unfall informiert wurde, hatte sie zunächst erwogen, nach Tasmanien zu fliegen, um Michaels Urne nach Hause zu bringen, sich dann aber dagegen entschieden. Sie fürchtete, der Anblick der verkohlten Erde, wo der Hubschrauber verbrannt war, würde sie vollends niederwerfen. Mehr war laut Rolf, einem Freund und Kollegen Michaels, nicht übrig geblieben. Das stimmte nicht ganz, denn es gab auch Bilder aus Tasmanien. Filmmaterial, das Michael bereits nach Deutschland überspielt hatte. Auf ein paar Schnipseln des ungeschnittenen Rohmaterials war er selbst zu sehen, der Kameramann. Wie er sich mit der Producerin darüber unterhielt, auf welche Weise sich die überwältigende Natur Tasmaniens am besten einfangen ließe. Wann die beste Zeit zum Drehen war: Sonnenaufgang, Sonnenuntergang? Wann wäre das Licht am günstigsten?

Katja hörte ihn. Sie sah ihn. Er lächelte, wirkte glücklich. Kein Wunder, dachte sie. Er tat, was er liebte.

Rolf und die Redaktion machten ihr wenig Hoffnung, am Unglücksort noch irgendetwas von Michaels Dingen zu finden. Was nicht in der Hitze der Flammen zu Asche geworden war, hatte die Wucht der Explosion weit in die unzugängliche Wildnis hineingeschleudert. Ein Bergungstrupp hatte eine Woche lang die Umgebung abgesucht und dabei seinen Ehering entdeckt. Dieser Fund war so unglaublich, dass Katja sich zwingen musste, nicht wie ihre Mutter von einem Wunder zu reden. Rolf brachte ihr dann dieses letzte Andenken. Die tasmanischen Behörden hatten ihn an die TV-Produktion nach Deutschland geschickt. Seither trug sie den schlichten Schmuck aus Weißgold an einer silbernen Kette um den Hals. Immer wieder ertappte sie sich dabei, wie sie unbewusst danach griff und das kühle Metall befühlte. Erst strichen ihre Finger über die äußere Delle, die eine Folge des Unfalls war, um dann innen der Gravur nachzuspüren. Du & Ich. Für immer. Katja & Michael. 11. Mai 2006. Neben seiner Reisetasche, die ihr ebenfalls aus Tasmanien zugeschickt wurde, und den Dingen, die Michael in ihrer Wohnung zurückgelassen hatte, war das alles, was ihr von ihm geblieben war. Wäsche, die nach ihm roch. Unzählige Fotos auf seinem Computer, der in seiner Arbeitsecke auf dem alten Holztisch stand. Seine Kameras, die Briefe.

Katja spielte gedankenverloren mit dem Schmuck. Papua-Neuguinea war gar nicht weit von Australien entfernt. Sie könnte die Reise zu diesem Beerdigungszeremoniell mit einer Reise nach Tasmanien verbinden. Vielleicht war die Zeit gekommen, endgültig Abschied zu nehmen.

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Deutsch-Neuguinea, Missionsstation Raluana, 13. August 1904

Johanna war erschöpft, aber zufrieden. Am Morgen hatte sie mit Hilfe dreier Mädchen aus dem Dorf alle Böden geschrubbt, die Betten neu bezogen und die Küche geputzt, aus der es nun angenehm nach frisch gebackenen Scones duftete, die Ludwig so liebte. Er wollte heute aus den Bergen zurückkommen. Eine ganze Woche war er unterwegs gewesen, um sich nach einer geeigneten Stelle für eine neue Missionsstation umzusehen, die Raluana ersetzen sollte. Ludwig wollte näher bei den Dörfern leben, die er regelmäßig besuchte.

Es war Nachmittag, die heißeste Zeit des Tages. Johanna beschloss, zur Feier von Ludwigs Rückkehr ein frisches Kleid anzuziehen. Sie war förmlich in Schweiß gebadet und sehnte sich nach einer Erfrischung. Länger als zwei Stunden konnte es nun eigentlich nicht mehr dauern, bis ihr Mann auftauchte, denn dann ging die Sonne unter. Auf Zehenspitzen näherte sie sich der Wiege, die im Esszimmer stand, und lächelte, als sie ihr Baby unter dem Moskitonetz friedlich schlummern sah. Spontan entschloss sie sich, ein Bad zu nehmen, und bat Gumbo, der in der Küche bügelte, ihr die Zinkwanne ins Schlafzimmer zu stellen und zur Hälfte mit Wasser aus dem Regentank zu füllen.

»Yes, Missus«, antwortete Gumbo wie üblich, wenn Johanna ihn wegen eines Gefallens ansprach, und spuckte sein Bügelwasser in die Spüle. Seine interessante Art, die Bügelwäsche zu befeuchten, amüsierte Johanna nach den zwei Jahren, die er für sie arbeitete, noch immer. Erst nahm er einen Schluck Wasser, um den Mund ordentlich auszuspülen, dann einen zweiten, um ihn in einem feinen Sprühnebel über der Wäsche auszuspeien.

 

Das Bad tat Johanna gut. Mit geschlossenen Augen schöpfte sie sich das lauwarme Wasser übers Gesicht, den Nacken hatte sie auf den Wannenrand gelehnt. Aus der Küche hörte sie das Zischen des Bügeleisens und Gumbo, der eines seiner alten Lieder sang. Die Anspannung wich von ihr, und zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich uneingeschränkt gut. Das Tropenfieber, das sie mit hässlicher Regelmäßigkeit heimsuchte und derart schwächte, dass sie eigentlich zu nichts mehr zu gebrauchen war, hatte sie für dieses Mal überwunden. Es war ausgerechnet wieder ausgebrochen, als Ludwig abreisen wollte. Er hatte Bedenken gehabt, sie allein zu lassen, doch sie beruhigte ihn. Es wäre ja nicht das erste Mal, und sie wusste, was sie erwartete. Solange Gumbo bei ihr war, der nach ihr und dem Kleinen sah, käme sie schon zurecht. Zwar waren ihre Beine noch etwas schwer, und die dunklen Ringe unter den Augen erzählten vom letzten Aufflackern der Malaria, doch auch das war sie mittlerweile gewohnt. In den mehr als zwei Jahren, in denen sie bereits in Deutsch-Neuguinea lebte, war ihr die Malaria zum lästigen Begleiter geworden. Die Glücklichen, die vom heimtückischen Fieber verschont blieben, weil sie die Chinintabletten vertrugen und regelmäßig einnehmen konnten oder generell über eine bessere Konstitution verfügten, konnten immer noch von einer der anderen Tropenkrankheiten geplagt werden, die mitunter tödlich verliefen. Doch daran wollte Johanna jetzt nicht denken. Ihr und dem Kleinen ging es gut, Ludwig musste jeden Moment zu ihnen zurückkehren, und das war die Hauptsache.

Insgeheim hoffte sie, dass ihr Mann und seine einheimischen Begleiter keinen geeigneten Ort für die geplante Station gefunden hatten. Sicher, er war viel zu oft unterwegs. Wenn sie in den Bergen lebten, könnte Ludwig häufiger bei ihnen sein. Andererseits wären sie dann weitgehend auf sich selbst gestellt. Schon hier auf Raluana war Johanna isoliert. Ein Leben in den einsamen Bergen war für sie kaum vorstellbar. Nicht um ihretwillen; was sie viel mehr umtrieb, war das Wohlergehen von Martin. Ihr Sohn war doch noch so klein! Was, wenn ihm dort zur Regenzeit etwas zustieß? Oft kam es vor, dass die Bergpfade im Monsun unpassierbar wurden. Was dann?

Ludwig hatte beruhigend auf sie eingeredet. Sein Argument, er kenne da oben so viele Papua, die ihnen freundlich gesinnt seien, hatte sie allerdings nicht gänzlich überzeugen können.

Sie seufzte laut und goss sich eine weitere Wasserladung übers Gesicht. Im letzten Jahr hatte sie mit ihrer Nachbarin Phebe Parkinson Freundschaft geschlossen. Erst am Mittwoch hatte diese ihr einen ganzen Korb voller Orangen und Limonen schicken lassen. Zum Aufpäppeln der Fieberkranken, wie es im Begleitbrief hieß. Als hätte Phebe nicht genug mit ihrer eigenen großen Familie zu tun! Eine solche Freundin war in der Kolonie Gold wert! Nicht umsonst wurde die hilfsbereite Frau von allen nur »Miti« genannt, was in der Sprache der Einheimischen »Mutter« bedeutete.

Phebe war so warmherzig, fleißig und hilfsbereit; es fiel Johanna mitunter schwer zu glauben, dass sie es mit einer Popi zu tun hatte, wie die Katholiken im Tok Pisin der Protestanten abwertend genannt wurden. Dabei war dies gar nicht das einheimische Wort für die Papstverehrer. Die Schwarzen bezeichneten die Katholiken als man bilong bisop, was Johanna immer zum Lachen brachte, und auch jetzt schmunzelte sie über die Männer, die im Glauben der Einheimischen Bischof Couppé persönlich gehörten.

Aus der Küche hörte sie Geräusche. Sicher war Martin aufgewacht und Gumbo zu seinem Bettchen gegangen, um nach ihm zu sehen. Johanna stand mit Mühe auf und ließ das Wasser abtropfen, bevor sie der kleinen Wanne entstieg. Hastig trocknete sie sich ab und streifte ihr frisches Kleid über. Sie bürstete das nasse Haar mit groben Strichen, schlug es ein und steckte den Dutt mit geübten Handgriffen fest.

Als sie in die Küche trat, wunderte sie sich. Das Bügeleisen stand ohne Aufsicht auf dem Ofen, der noch vom Backen heiß war, und auch die Wiege war leer. Von draußen hörte sie Stimmen. Ihr Gesicht hellte sich auf. Ludwig! Sie eilte auf die Veranda, von wo herab Gumbo mit Martin im Arm sich unruhig mit Phebe unterhielt, die vor dem Haus haltgemacht hatte.

Johanna runzelte die Stirn und hielt inne. Phebe war nicht allein gekommen. Sie hatte den Arm um eine schluchzende Nonne gelegt und drückte sie immer wieder leicht an sich, so wie man einem kleinen Kind Trost spendete.

Als sich Johanna der Gruppe näherte, sah sie, dass die Arme und das Gesicht der jungen Frau mit blutigen Kratzern übersät waren; ihre Tracht war schmutzig und am Saum und an den Ärmeln ganz zerrissen. Erschrocken schlug Johanna die Hand vor den Mund, um sie gleich wieder sinken zu lassen.

»Gumbo, geh mit Martin ins Haus!«

Gumbo tat, wie ihm geheißen. Johanna hastete die Treppe hinab. »Mein Gott? Sie Ärmste. Was ist denn nur passiert?« Ohne den Blick von der Verletzten abzuwenden, richtete sie ihre Worte nun an Phebe: »Die arme Frau sieht ja fürchterlich aus. Sollten wir sie nicht gleich ins Hospital nach Vunapope bringen?«

Phebe schüttelte den Kopf und wischte der Frau mit einem feuchten Lappen übers Gesicht, auf dem sich die Striemen sofort wieder rot färbten.

»Nein, von dort kommen wir gerade«, sagte Phebe. »Schwester Irene wollte nicht bleiben. Die anderen hätten das Hospital nötiger, sagt sie. Ich nehme sie fürs Erste mit zu mir.«

»Welche anderen? Gibt es etwa noch mehr Verletzte? Miti, in Gottes Namen, nun sag schon, was vorgefallen ist! Von woher kommt Schwester Irene denn?«

Johanna hatte ein ungutes Gefühl, das sich mit jedem Atemzug weiter in ihr ausbreitete. Hektisch zog sie die Freundin am Ärmel, damit Phebe und die Nonne ihr auf die Veranda folgten, wo Johanna die Frauen zu den Korbsesseln dirigierte. Dann lief sie rasch ins Haus und kehrte wenig später mit einigen Tüchern und einer Emailleschüssel voll Wasser zurück, die sie auf dem Tisch zwischen Phebe und Schwester Irene absetzte. Eine seltsame Spannung lag in der Luft, und Johanna musste sich zusammennehmen, um Phebe nicht anzufahren. Am liebsten hätte sie die Worte aus der Freundin herausgeschüttelt. Diese schwieg beharrlich und wich Johannas forschendem Blick aus. Johannas Hände hatten mittlerweile so stark zu zittern begonnen, dass sie einen Teil des Wassers verschüttete. Sie riss sich zusammen, nahm Phebe den blutgetränkten Lappen aus der Hand und legte ihn zur Seite. Dann tauchte sie ein sauberes Tuch in die Schüssel und drückte es aus. Phebe hatte einen Ärmel von Schwester Irenes Habit hochgeschoben, und Johanna begann vorsichtig, die Wunden der Schwester zu versorgen. Sie wartete immer noch auf eine Erklärung, doch Phebe schwieg weiterhin, während der Nonne unaufhörlich die Tränen übers Gesicht liefen. Phebe kümmerte sich um den anderen Arm der jungen Frau, der weniger abbekommen hatte. Die Kratzer und Abschürfungen erwiesen sich beim näheren Hinsehen als ungefährlich. Sie bluteten zwar, waren aber nicht tief. Mit den Verletzungen ließ sich der Zustand der Nonne also eigentlich nicht erklären, genauso wenig wie das ausweichende Verhalten Phebes, die ihren Blick abwandte, sobald Johanna in ihre Richtung sah. Eine dunkle Ahnung schnürte Johanna die Kehle zu. Nur das Schluchzen der Nonne war zu hören. Warum redeten die beiden denn nicht? Was konnte so schrecklich sein, dass sie es ihr nicht zu sagen wagten?

Als ihre Wunden schließlich gesäubert waren, verbarg die Nonne ihr Gesicht hinter den Händen; ihr Körper erbebte unter dem ständigen Schluchzen. Johanna berührte sie sachte am Arm.

»So beruhigen Sie sich doch. Hier sind Sie in Sicherheit. Tut Ihnen etwas weh?«

Johanna hatte die letzte Frage gestellt, obwohl sie fast schon Gewissheit verspürte, dass es kein körperlicher Schmerz war, der die Schwester quälte. Diese heulte jetzt auf wie ein verletztes Tier, ihre Hände krallten sich in das Tuch, mit dem Johanna zuletzt ihre Wunden gesäubert hatte, und kneteten es wie im Fieber.

Als sie keine Antwort erhielt, warf Johanna Phebe einen eindringlichen Blick zu. Diese stand schließlich auf. Sie holte zitternd Luft, ihr mächtiger Busen hob und senkte sich. »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll … es ist so fürchterlich.« Phebe fuhr sich nervös übers Haar und biss sich auf die Unterlippe. Sie schloss die Lider, öffnete sie wieder und heftete dann ihren Blick entschlossen auf Johanna, die inzwischen ganz blass geworden war.

»Irene kommt aus St. Paul, der katholischen Mission von Pater Rascher. Du hast sicher schon davon gehört.« Johanna nickte mechanisch. Pater Rascher kannte sie vom Hörensagen. Ludwig besuchte ihn manchmal, um, wie er sagte, den noch jungen Mann sanft auf einen anderen Weg im Umgang mit dem Stamm der Baining zu führen. Ludwig hielt Rascher für einen der besseren Popi, den nur der Bischof mit seinen Ambitionen, dem Vatikan zu gefallen, fehlgeleitet hatte. Plötzlich fuhr Johanna zusammen. Ludwig! Wohin war er noch mal gereist? Und wo blieb er nur? Ihr Atem ging mit einem Mal schneller, und sie legte die Hand auf ihre Brust, in der das Herz wie rasend zu schlagen begonnen hatte.

»Heute Morgen ist in der Mission etwas Ungeheuerliches geschehen«, fuhr Phebe fort, die viel blasser aussah als sonst. Johanna schaute ihr besorgt zu, während Phebe weitersprach: »Die Mission wurde von den Baining überfallen.« Sie machte eine Pause, schien nach den richtigen Worten zu suchen.

Plötzlich stand die Nonne auf und legte ihre Hand auf die Phebes.

»Lass, Miti«, sagte sie, jetzt einigermaßen gefasst, »ich weiß, du meinst es gut. Aber du warst ja nicht dabei.« Die Nonne bekreuzigte sich, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst.

Johannas Herz schlug nun so fest gegen ihre Rippen, dass es schmerzte. Trotz der Hitze war ihr kalt. Schweiß trat ihr auf die Stirn.

»Um Gottes willen, reden Sie, Schwester, ich bitte Sie!«, flehte sie.

Die Nonne schluckte schwer, atmete zitternd aus und begann: »To Mária war es.«

»Wer ist To Mária?«, fragte Johanna verwirrt und in angstvoller Erwartung. Worauf lief dies alles nur hinaus?

»Ein Baining, ein Getaufter. Der Pater hat ihm sehr vertraut.« Schwester Irene begann wieder zu weinen, und Phebe drückte ihre Hand. »Er war sein Hausdiener«, erklärte sie Johanna.

Die Nonne fuhr sich mit dem Arm über die Stirn, dann sprach sie stockend weiter:

»Nach dem Gottesdienst hat sich der Pater wieder ins Bett gelegt. Wegen seiner Malaria. Ich war gerade im Hühnerstall, um die Eier einzusammeln, da hörte ich den Schuss. Ich hab mich auf den Boden geworfen. Durch einen Schlitz sehe ich, wie To Mária aus dem Haus des Paters läuft, eine Flinte in der Hand.«

Sie schluchzte heftig auf. Phebe ließ ihre Hand nicht los. »Der Pater … Er wankt aus dem Haus … Das Blut strömt ihm aus der Brust. Dann fällt er, bewegt sich nicht mehr …«

»Mein Gott!« Johanna war von ihrem Sitz aufgesprungen. Die Schwester sah zu ihr hoch und nickte.

»Das ist noch nicht alles«, flüsterte Phebe, und es klang wie eine düstere Warnung.

»Hat dieser To noch andere erschossen?« In ängstlicher Vorahnung heftete Johanna ihren Blick auf die Nonne.

»Schwester Anna kam aus der Küche«, fuhr die Nonne fort, ohne auf Johannas Einwurf zu reagieren, so als könne sie ihren Bericht jetzt nicht mehr unterbrechen, da sie sich endlich dazu hatte durchringen können. »Um nach dem Pater zu sehen. Und dann … noch ein Schuss. Mitten in die Stirn. To hat ihr in den Kopf geschossen.«

Phebe bekreuzigte sich, Johanna stand starr vor Schreck. Stockend fuhr Schwester Irene fort: »Auf einmal … auf einmal waren da noch andere Männer. Baining. Mit Äxten. Die Männer hatten Äxte, sie … sie haben alle erschlagen. Alle außer mir. Ich bin davongekommen, weil ich im Stall war. Überall Blut. So viel Blut.«

Schwester Irene schlug die Hände vors Gesicht und presste unter Schluchzen die Namen hervor: »Schwester Sophia, Plaschart, Schellenkens – tot. Schwester Agathe. Schwester Angela vor dem Altar. Die Hostien neben ihr, voller Blut. Schwester Agnes auf ihrer Veranda. Pater Rütten und Bruder Bley – tot, tot.«

Johanna schüttelte fassungslos den Kopf. Wie grauenvoll! Doch in Phebes Blick erkannte sie, dass Schwester Irene noch nicht alles erzählt hatte. Und als die Nonne den Kopf senkte, wusste Johanna, dass dieses fürchterliche Blutbad etwas mit ihr zu tun hatte.

»Unter den Opfern war auch Ludwig. Schwester Irene fand ihn im Gästehaus.«

Johanna entzog Phebe die Hand und schrie auf: »Das ist nicht wahr! Das kann nicht sein.« Sie wartete auf eine Antwort, die alles aufklären würde, doch vergebens. »Er wollte doch gar nicht zu Rascher. Nein, das ist nicht wahr!«

Phebe fasste die Freundin bei den Schultern und sah sie unverwandt an. »Hör mir zu! Es war Ludwig. Daran gibt es leider keinen Zweifel.«

»Nein«, heulte Johanna. »Nein, das kann nicht sein.« Sie bekam kaum noch Luft. »Wieso?«, keuchte sie. »Sag mir, wieso!«

»Ich weiß es nicht. Bischof Couppé kann vielleicht mehr dazu sagen. Sobald es ihm möglich ist, will er dich besuchen.«

»Ludwig … Wieso ausgerechnet er?« Johanna rang nach Atem. Plötzlich wurden ihr die Knie weich, und alles um sie herum begann sich zu drehen. Sie hörte Phebes Stimme wie aus weiter Ferne und schloss die Augen. Hinter den Lidern sah sie Ludwigs blutüberströmtes Gesicht. Sein Mund öffnete und schloss sich, aber sie konnte nicht hören, was er ihr sagen wollte. »Ludwig«, flüsterte sie. Dann wurde ihr schwarz vor Augen, und sie sackte in Phebes Armen ohnmächtig zusammen.

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Auszüge aus dem Tagebuch von Johanna Schubach, Eintrag vom 6. Juni 1902, Kopie, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 009

Was für ein Tag! Ich bin so froh. Nach sechseinhalb Wochen auf See sind wir endlich in Deutsch-Guinea angekommen.

In der Morgendämmerung konnten wir schon von weitem die grünen Berge erkennen und etwas später die unzähligen Palmen, die die Bucht säumen. Dann kam eine Brise auf, und für einen Moment wirkte es so, als wollten die Palmwedel zu unserer Begrüßung die Wolken aus dem Himmel kehren.

Bald darauf sahen wir Boote, die vom anderen Ende der Bucht auf die »Titus« zuruderten. Mein Herz begann, wie wild zu pochen. Ob Ludwig in einem davon mitfuhr, um mich noch an Bord zu begrüßen? Waren das überhaupt unsere Leute?

Ich hielt die Spannung nicht mehr aus und floh hinunter in meine Kabine.

Zehn Minuten später klopfte es an meiner Tür, und ich muss vor Schreck ganz blass geworden sein. Ich strich den Rock glatt und fuhr mir übers Haar, um zu prüfen, ob der Dutt auch ordentlich aufgesteckt war. Wenn es doch nur einfacher wäre, sich an Bord zu waschen! Die wenigen Waschbecken sind fürchterlich verdreckt, zudem gibt es nicht genug Frischwasser.

Was für eine Enttäuschung, als ich dann ängstlich den Vorhang des Türfensters zur Seite schob: Es war gar nicht Ludwig, sondern Bruder Bender. Ich habe ihn nach all den Jahren kaum wiedererkannt, so fett ist er in Übersee geworden, doch dabei sieht er gesund aus, und das freut mich natürlich. Er beruhigte mich, weil er wusste, dass ich auf Ludwig warte, und ging dann wieder. Meine Unruhe wuchs erneut. Hatte Ludwig es denn gar nicht eilig, mich zu sehen? Vielleicht, weil er schon einmal verheiratet war? Ob er noch an seiner verstorbenen Frau hing?

Es klopfte erneut, und dieses Mal war es wirklich Ludwig. Er lächelte, nahm mich bei den Händen und hieß mich willkommen. Ich wusste gar nicht, wohin mit meinen Blicken, und schaute auf seine Hände, die die meinen festhielten. Er hat schöne schlanke Finger, wie ich sie mir vorgestellt habe. Wie ein Pianist. Er trat von einem Fuß auf den anderen und räusperte sich. Da nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und schaute ihm schüchtern in die Augen. Er erwiderte meinen Blick, lächelte, und plötzlich mussten wir beide lachen, weil keiner etwas Rechtes zu sagen wusste.

Wie habe ich mich vor diesem Augenblick gefürchtet! Doch als er mir da so gegenüberstand, wirkte er eigentlich genauso freundlich und klug wie auf dem Porträt. Ich bin so erleichtert! Doch was, wenn Ludwig anders empfindet? Was, wenn er mich für hässlich, dumm und ungeschickt hält?

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Auszüge aus dem Tagebuch von Johanna Schubach, Eintrag vom 7. Juni 1902, Kopie, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 011

Jetzt bin ich also hier. Zwar noch nicht in Raluana selbst, wo die eigentliche Mission ist und wo ich mit Ludwig nach unserer Heirat leben werde, doch immerhin in Herbertshöhe. Wie mir Ludwig auseinandergesetzt hat, wurde der Ort erst vor zehn Jahren gegründet und ist der Hauptsitz der »Neuguinea-Kompagnie« und auch der deutschen Verwaltungsbehörden. Mir rauscht noch immer der Kopf von der Aufregung der Ankunft und auch von all dem Neuen und Fremden. Ludwig hat mich so vielen Leuten vorgestellt, dass ich mir am Ende kaum mehr einen Namen merken konnte. Doch alle waren sehr lieb und herzlich, und ich bin den ganzen Tag über aus dem Plaudern nicht mehr herausgekommen. Der Gouverneur von Bennigsen, Richter Dr. Hahl, die Parkinsons, die Kolbes … zu ihnen allen raunte Ludwig mir in unbeobachteten Momenten kurze Bemerkungen zu. Etwa die, dass Dr. Hahl wohl nach Bennigsen zum nächsten Gouverneur ernannt wird, dass die Parkinsons eine einflussreiche Familie sind und Emma Kolbe eine Frau von sagenhaftem Reichtum ist. Phebe Parkinson und Emma Kolbe sind Schwestern. Beide haben einen Deutschen geheiratet. Ob das Zufall ist? Oder genießen die deutschen Männer der Kolonie wohl einen besonders guten Ruf?

Fast allen diesen Personen musste ich im Lauf des Tages versprechen, demnächst einen Antrittsbesuch abzustatten, um mich näher bekannt zu machen. Man sei, so habe ich es aus mehr als einem Mund gehört, ein überaus soziales Häuflein auf dieser abgeschiedenen Insel.

Auf Einladung von Paul Lücker, dem Lagerverwalter der Neuguinea-Kompagnie, haben wir den Abend und die Nacht in Herbertshöhe verbracht. Das Haus ist prächtig, luftig und kühl gebaut, so dass ich die Hitze kaum bemerkte, die gegen Mittag aufgekommen war. Das Abendessen war ein Genuss, besonders im Vergleich zur grausigen Schiffskost. Es gab Fisch und Fleisch, dazu ein frisches Gemüse, das ich nicht kannte, das aber ähnlich wie Kartoffeln schmeckt. Dazu tranken wir überraschenderweise ein herrliches Münchener Hofbräu. Als wir dann zum Kaffee auf der Veranda saßen, flog der prächtigste Vogel an uns vorbei, den ich je gesehen habe. Er hatte kunterbunte Schwanzfedern, die bestimmt eine Elle lang waren. Lücker sagte, das sei ein besonders hübsches Exemplar des hiesigen Paradiesvogels. Ich bin jetzt noch ganz verzückt!

Mein erster Tag mit Ludwig war wunderbar. Im Nachhinein verstehe ich meine Befürchtungen gar nicht mehr. Ludwig ist freundlich und zuvorkommend. Er scheint in der Kolonie beliebt zu sein. Wir haben uns wunderbar unterhalten, und er beantwortet geduldig alle Fragen, die ich ihm in einem fort über meine neue Heimat stelle. Ich danke dem Herrgott, dass er mich zu Ludwig geführt hat. Wir werden uns bestimmt lieb haben. Darum bete ich. Wann er mich wohl fragt?

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Auszüge aus dem Tagebuch von Johanna Schubach, Eintrag vom 8. Juni 1902, Kopie, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 014

Von Herbertshöhe bis nach Raluana ist es eine gute Stunde mit dem Boot die Küste entlang. Es gibt auch einen Fuß- und Reitweg, aber der ist noch nicht ganz fertig, und mit all dem Gepäck, das ich aus Deutschland mitgebracht habe, war der Transport mit dem Ruderboot die beste Lösung.

Als das Boot am Steg festmachte, sah ich schon die kleine Missionskirche. Ein einfacher Bau wie eine Hütte, bestehend aus einem Holzgerüst auf Pfählen, mit Matten umkleidet und mit getrocknetem Gras gedeckt. Vor dem hohen Eingang steckt ein großes Holzkreuz – beinahe so, wie ich es mir vorgestellt habe.

Raluana besteht aus den drei Häusern der Missionare und der Schule. Schräg dahinter befindet sich eine kleine Siedlung. Ein paar grasgedeckte Pfahlhütten, der Kirche nicht unähnlich. Das Dorf der Einheimischen.

Eine Gruppe von Krausköpfen kam auf uns zu, um uns zu begrüßen. Die Frauen trugen europäische Kleidung, schlichte Baumwollkleider, die Männer hingegen den mir nun schon bekannten Lap-Lap, wie der wadenlange Wickelrock genannt wird. Ein besonders dunkler Kerl blieb gleich vor mir stehen und fing an, in seiner Sprache auf mich einzureden. Ich habe natürlich kein Wort verstanden! Die Rheinische Mission in Wuppertal hat mich zwar auf die Einheimischen vorbereitet. Aber ich muss schon sagen, dass es doch etwas anderes ist, halbnackte Männer nur auf einem Foto zu sehen. Wenn sie dann plötzlich leibhaftig vor einem stehen, schreckt es einen doch ein wenig. Obwohl sie mir eigentlich nicht gefährlich vorkamen und Ludwig dabei war, bin ich doch erst einmal einen Schritt zurückgewichen. Der da so auf mich einredete, heißt Gumbo, er ist Ludwigs Schüler und getaufter Christ. Er wird mir im Haus zur Hand gehen.

Das Prunkstück von Ludwigs Haus ist eine das Gebäude umlaufende Veranda. Das Häuschen steht inmitten einer Landschaft, die aussieht wie ein Abbild des Garten Eden. Vom Haus her zieht sich der Rasen bis zum Strand hinunter, hier und dort von mächtigen Palmbäumen beschattet, unter deren Wedeln sich dicke Kokosnüsse verbergen. Den Pfad zur Siedlung säumen Bäume mit fleischigen glatten Blättern wie aus Wachs. Ihre leuchtend roten Blüten scheinen allerlei Schmetterlinge anzuziehen und auch ein buntes Papageienpärchen, das in der Krone des höchsten Baumes thronte und uns Ankömmlinge zu beobachten schien.

Später am Tag kamen Schwester Haller und Bruder Bender mit einem Willkommenstrunk vorbei. Schwester Haller hat sich anders als Bender überhaupt nicht verändert. Sie hat noch immer das liebe Gesicht, das ich aus der Sonntagsschule als Mädchen kannte. Sie trägt hier wegen der Hitze weite Kleider, weil sie luftiger sind, und sagt, sie wolle mir zeigen, wie sie zu nähen sind. Sie ist ein so praktischer Mensch. Sie und Ludwig sprachen über die viel größere Herz-Jesu-Mission Vunapope, die kaum mehr als einen Kilometer entfernt liegt und die europäische Krankenstation beherbergt. Ludwig erklärte mir, einige der Römlinge dort seien gar nicht mal so üble Zeitgenossen. Nicht der Bischof selbst, der sei arrogant und menschenverachtend, wie man es von den Papstverehrern gewohnt ist, aber ein oder zwei seiner Priester im Umland leisten wohl respektable Arbeit.

Ich war ein wenig verwundert über seine Worte. Im Allgemeinen meiden wir Katholiken, und nun findet Ludwig lobende Worte für den Feind?

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Auszug aus einem Brief von Johanna Schubach an ihre Eltern, datiert auf den 18. Juni 1902, Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 034

Liebe Eltern!

 

Ich schreibe euch heute als verheiratete Frau und kann es gar nicht abwarten, euch vom großen Tag zu berichten. Mir schwirrt noch immer der Kopf von all der Aufregung!

Ich schrieb ja bereits in meinem letzten Brief, dass Ludwig nicht lange mit der Hochzeit warten wollte, und so hatten Schwester Haller und ich nur neun Tage Zeit, um alles zu planen.

Die gute Haller! Sie hat tatsächlich ein paar einheimische Hilfen aufgetrieben, und die taten ihr Bestes, uns in der Küche zur Hand zu gehen, auch wenn es beileibe nicht einfach war, sich mit ihnen zu verständigen. In der ersten Verzweiflung wollte ich die Papua sogar wieder nach Hause schicken, doch die Schwester bestand darauf, dass ich mich mit ihnen in Geduld üben möge. »Sie sind wie Kinder, sie wollen Neues lernen. Warte es nur ab!«, sagte sie. Ich ging schließlich dazu über, den Schwarzen zu zeigen, was ich von ihnen wollte, statt weiterhin wertvolle Zeit mit Reden zu vergeuden. Dadurch hatte ich sie schließlich so weit, dass sie trotz viel Gekichere und Augenrollen mit meiner aus Deutschland mitgebrachten Kartoffelreibe umgehen konnten, ohne sich dabei die Knöchel blutig zu hobeln. Und so wurde Kloßteig bereitgestellt und Kartoffelsalat zubereitet, Hühner wurden gekocht und Gänse gebraten.

 

Am Ende waren wir entgegen meiner Erwartung mit den Vorbereitungen doch noch rechtzeitig fertig. Es war sogar noch Zeit, mich für ein halbes Stündchen aufs Ohr zu legen, bevor ich das mitgebrachte Hochzeitskleid überziehen musste, um pünktlich um drei in der Kirche zu erscheinen. Ich bin so dankbar, dass Mutter mir zu diesem hier geraten hat. Das andere aus dem Schaufenster, das mit dem längeren Schleier, wäre bei dem Wind bestimmt lästig geworden. Ludwig hielt sich derweil beim alten Bender auf. Er hatte ihm einen ordentlichen Anzug geliehen, der von Gumbo gründlich aufgebügelt wurde.

Um kurz vor drei ging es dann zu Fuß zur Kirche, die keine dreihundert Meter von Ludwigs Haus entfernt liegt. Sie war wunderschön anzusehen, friedvoll eingepasst zwischen Himmelsblau und Palmgrün.

Ich wünschte mir, ich hätte dieses Bild auf der Leinwand für immer festgehalten. Vielleicht finde ich ja in Zukunft hin und wieder Zeit, um Raluana und seine Menschen zu malen. Ach, wenn ihr es doch nur mit eigenen Augen hättet sehen können! Ich habe euch so vermisst und denke eigentlich immerzu an euch.

Die Glocken fingen an zu läuten, und ihr Klang traf mich direkt ins Herz, als ich in das mit Palmwedeln geschmückte Kirchlein hineinging. Der schlichte Altar, den ich am vergangenen Sonntag zum ersten Mal gesehen habe, war zur Hochzeit mit den farbenprächtigsten Blüten bedeckt. Das war bestimmt die gute Haller! Davor standen zwei kunstvoll bekränzte Stühle. Als ich vorne angekommen war, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Ludwig sich von rechts näherte. Er machte in seinem Anzug eine wahrlich stattliche Figur.

Wir nahmen Platz, und er ergriff meine Hand und hielt sie fest. Bruder Bender hielt eine kurze Ansprache, der er Psalm 25, 10 zugrunde gelegt hatte: »Alle Wege Jehovas sind Gnad’ und Treue für die, so seinen Bund und seine Gesetze halten.« Danach erhoben wir uns, und er erteilte uns seinen Segen. Wir waren nun Mann und Frau. Ludwig drehte sich zu mir und lächelte mich an.

Nach etlichen Unterbrechungen, um die uns entgegengestreckten Hände zu schütteln, verließen wir die Kirche und gingen zurück zu Ludwigs Haus. Überall im Rasen steckten Palmenwedel, die mit Blüten und bunten Bändern geschmückt waren. Jemand hatte aus Rosen ein riesiges Herz als eine Art Torbogen gesteckt, durch das die Gäste zur gedeckten Tafel gelangten. Das erneute Läuten der Glocken begleitete uns.

Zunächst wurde fotografiert, und es dauerte eine gute Stunde, wenn nicht länger, ehe die Bilder im Kasten waren. Am Ende hatte ich vom Posieren einen ganz steifen Hals. Danach ging es endlich ans Festmahl.