Die vergessene Jagd - Jynx Rivera - E-Book

Die vergessene Jagd E-Book

Jynx Rivera

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Beschreibung

Als junger Fuchs ist Himlous endlich bereit, seine erste Jagdprüfung abzuschließen. Doch alles kommt anders als geplant. Als ihm sein älterer Bruder Hexnas zeigen will, wie er einen Fasan fängt, werden sie plötzlich von den Hunden angegriffen. Dabei gelten die wilden Bestien doch schon lange als ausgestorben. Die Jagdhunde bekommen Hexnas zu fassen und töten ihn, Himlous entkommt nur knapp mit dem Leben. Dabei sollte Hexnas als ältester Königssohn doch die Thronfolge antreten. Noch schlimmer ist allerdings die Rückkehr der Hunde. Was haben sie vor? Als jüngstem Königssohn schenken Himlous weder seine Eltern noch Geschwister Glauben. Doch er ahnt, dass die Hunde das Fuchskönigreich diesmal komplett auslöschen wollen. Also muss er selbst losziehen und sie aufhalten …

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Seitenzahl: 396

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-701-3

ISBN e-book: 978-3-99130-702-0

Lektorat: Lucas Drebenstedt

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Die Monster aus alten Sagen

„Hexnas, los! Schneller! Sie haben uns fast eingeholt!“, jaulte der junge, marmorierte Fuchs nach hinten, wo sein älterer Bruder mit hellrotem Fell kaum hinterherkam. Die beiden hatten einen guten Grund, so durch das Unterholz zu hetzen. Dicht hinter Hexnas war eine knurrende, geifernde Hundemeute, die nach seinem Schweif schnappte und ihn dabei stets nur um eine Haaresbreite verfehlte. „I…ich kann nicht schneller! Renn du weiter, Himlous! Ich –“, japste Hexnas und wurde durch das Reden, das ihn nur noch mehr anstrengte, etwas langsamer. Das war sein Todesurteil. Einer der Hunde, ein großes schwarzes Biest, bekam seinen Schweif zu fassen und vergrub seine vergilbten Zähne tief darin. Der hellrote Fuchs heulte mitleiderregend auf, so laut, dass es im ganzen Wald widerzuhallen schien. Himlous, der jüngere Bruder, blieb schlitternd stehen und fuhr herum, nur um zu sehen, wie sein vor Schmerz kreischender Bruder von der Meute aus Hunden in Fetzen gerissen wurde. Blut rann aus den Mäulern der Bestien und Fellstücke hingen zwischen ihren Zähnen, während sie Fleisch aus dem noch lebenden Körper rissen und die Knochen zermalmten. Es war so ein grauenhaftes Bild, dass Himlous meinte, allein dieser Anblick würde ihn umbringen. Es hätte so ein friedlicher, schöner Tag sein können. Es hätte ein Feiertag sein sollen. Himlous sollte heute seine Jagdprüfung ablegen, er sollte einen Fasan fangen und damit hätte er sich das Privileg erworben, ein erwachsenes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Hexnas hatte ihn begleitet, sowohl als Prüfer als auch Berater. Aber noch bevor sie einen Fasan auch nur gerochen hatten, waren diese scheußlichen Kreaturen aufgetaucht, zusammen mit Menschen, die ihren vierbeinigen Begleitern aber nicht so schnell hatten folgen können. Wirklich Zeit, um seinen Schock zu verdauen, bekam der junge Fuchs nicht. Kaum zuckte ihr Opfer nicht mehr, verloren die Hunde das Interesse und wendeten ihre Aufmerksamkeit lieber ihrem nächsten Kauknochen zu. Mit einem tiefen Knurren drehten sich die Viecher, die Himlous groß wie Bäume vorkamen, zu ihm um. Der junge Fuchs schluckte, spannte seine dünnen Muskeln an und machte dann einen gekonnten Satz zur Seite, gerade noch rechtzeitig, denn in der gleichen Sekunde sprangen zwei dieser Monster auf ihn zu. Die behäbigen, großen Tiere schafften es nicht rechtzeitig, abzubremsen, und landeten sogleich im Dornengebüsch, in dem sie sich heulend verfingen. Himlous blieb jedoch keine Zeit, diesen kleinen Sieg auszukosten. Die anderen Hunde jagten ihn bereits und der Fuchs war vollständig damit beschäftigt, im Zickzackkurs zwischen den Bäumen entlangzuflitzen. Immer hatte Himlous es verflucht, dass er kleiner und dünner war als all seine Geschwister, heute war er zum ersten Mal froh darum. Flink gelang es ihm, in einem Hasenbau zu verschwinden, der zwischen die Wurzeln eines großen Baumes gegraben war. Ganz knapp entkam er so den Reißzähnen der Hunde, die trotz des beeindruckenden Tempos sehr nahegekommen waren und auch Himlous um ein Haar schnappten. Geifernd und vor Frustration winselnd scharrten sie mit ihren großen Pfoten am Eingang des Baus. Keiner von ihnen war klein oder gar schlank genug, um sich durch die Tunnel zu quetschen. Himlous, der sich in die hinterste Ecke gedrängt hatte, war sicher, zumindest für den Moment. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis die Hunde den Eingang so weit vergrößert hatten, dass auch sie hineinkriechen konnten. Oder zumindest, bis der Bau so unstabil wurde, dass er über dem Kopf des Fuchses zusammenkrachte und ihn lebendig begrub. Keuchend drängte Himlous sich gegen die kalten Erdwände und achtete gar nicht darauf, ob sein schönes, glänzendes Fell dabei dreckig wurde, obwohl er dies sonst verabscheute. Das Herz schlug ihm bis zu den Ohren und er hechelte in einem verzweifelten Versuch, mehr Sauerstoff in seine Lungen zu bekommen. Er hörte, wie seine Verfolger draußen scharrten und gruben. Sie kommen, fuhr es ihm durch den Kopf. Sie werden kommen und mich genauso zerfleischen wie Hexnas. Ich muss hier weg, ohne dass sie es merken. Nur wie? Seine hellen Augen huschten umher und Himlous bemerkte, dass es mehrere Abzweigungen gab, wie für Hasenbaue üblich. Irgendwo musste es wieder an die Oberfläche gehen. So könnte er entkommen. Nur waren diese Gänge noch niedriger, noch enger. Himlous musste sich auf den Bauch legen, um überhaupt in einen dieser Gräben zu passen. Die Ohren dicht angelegt und langsam vorwärtsrobbend schob er sich in den Tunnel hinein, der so finster war wie die Nacht. Immer wieder rieselte Erde von der Decke und jedes Mal spürte Himlous sein Herz schneller schlagen, da er dachte, gleich wäre es vorbei und er würde hier unten sterben. Aber immerhin, das Schnaufen und Winseln der Hunde konnte er schon bald nicht mehr hören. Und nach einer gefühlten Ewigkeit, in der er sich durch die Gänge geschleppt hatte, schimmerte am Ende des Tunnels zartes Tageslicht. Gar nicht schnell genug konnte der junge Fuchs dorthin kommen und als er endlich wieder an der Oberfläche war, atmete er genießerisch die würzige Waldluft ein. Für den Bruchteil einer Sekunde war sein Schreck über alles, was gerade geschehen war, verschwunden. Aber wirklich nur für eine Sekunde. Da erklang wieder das schauerliche Geheul der Hunde, weit entfernt, aber gut hörbar. Und nicht nur die Rufe der Hunde störten die Stille des Waldes, auch die scharfen, unverständlichen Laute der Menschen hallten zwischen den Bäumen. Offenbar hatten die Herren ihre Bestien eingeholt. Himlous hoffte, sie würden nun mit diesen abziehen, aber sicher konnte er sich nicht sein. Noch ein paar Momente nahm er sich Zeit, um Atem zu schöpfen, dann machte er sich mit großen Sätzen auf den Heimweg, bevor die Hunde doch wieder auf seine Spur kamen. Wie so ziemlich jeder Fuchs im Tal lebte auch Himlous im Wald Elesch, der gleich neben dem breiten Fluss Ustrith lag. Und mitten im Elesch lag sie, die Hauptstadt der Füchse. Unter allen Tierreichen des Tals war ihr Königreich das prächtigste und erfuhr nun schon seit etwa hundert Jahren einen stetig wachsenden Wohlstand. Schon zu Beginn, bei der Gründung des Reiches, hatten es ihre Urahnen gut erwischt. Mitten im Wald hatten längst verlassene Ruinen einer Menschenstadt gelegen, die zu ihrer Blütezeit im Reichtum geschwommen haben musste. Heute wusste man nichts Genaues mehr über die Geschichte dieses Ortes oder gar über ihre Bewohner, aber den Füchsen boten die Ruinen genau deswegen eine wundervolle Unterkunft. Die Königsfamilie, zu der auch Himlous selbst zählte, lebte sogar in einem regelrechten Schloss, das, durch sorgsame Pflege, wieder sehr gut aussah und das angenehmste aller Leben ermöglichte. Insgesamt hatten sich die Bürger des Fuchsreiches nicht lumpen lassen. Für jemanden, der es nicht wusste, hätte die verlassene Stadt noch von Menschen bewohnt sein können, so sehr wurde alles gehegt und gepflegt. Das war also der Ort, dem Himlous nun mit enormem Tempo entgegensprengte, so schnell, dass seine Pfoten kaum den Boden zu berühren schienen. Eigentlich war der junge Fuchs kein besonders großer Abenteurer, er verließ den Palast oder gar die Stadt nur sehr selten. Heute war eines der wenigen Male, dass er sich hinauswagte. Umso erstaunlicher war es wohl, dass Himlous gerade ganz genau wusste, welchen Weg er einschlagen musste, um zurückzufinden. Er musste über die Lichtung, die zu dieser Jahreszeit mit bunten Blumen überwuchert war, dann an dem großen Baum vorbei, der von einem Blitz gespalten worden war. Kurze Zeit später würde er an einen Bach kommen, dem er flussaufwärts folgen musste, solange, bis drei alte Trauerweiden das Ufer säumten. Alles, was er dann noch tun musste, war, links abzubiegen und so lange weiterzurennen, bis er an die Straße kam, die in die Stadt führte. Es klang wie ein sehr kurzer Weg, aber obwohl Himlous sich alle Mühe gab, sein Tempo zuhalten, und nur kurz eine Rast am Bach einlegte, um zu trinken, hatte die Mittagssonne ihren Höchststand bereits überschritten, als er endlich die ersten Häuser erblickte. Völlig entkräftet schaffte es Himlous noch, bis zu den ersten Häusern der Stadt zu kommen. Es waren kleine, bereits etwas schiefe Häuschen aus weißem Stein mit Vorgärten voller Kräuter und niedriger Beerenbüsche. Kaum hatte Himlous diese unsichtbare Schranke überquert, sank er kraftlos auf der Straße in sich zusammen. Er hatte sich überanstrengt und musste jetzt die Rechnung dafür tragen. Seine Lungen brannten, als wären sie mit Feuer gefüllt, insgesamt war sein Körper überhitzt und seine empfindlichen Pfoten, die den weichen Rasen des Schlossgartens oder die glatten Marmorfliesen des Palastes gewöhnt waren, bluteten. Auch sein helles Fell war dreckig und verklebt, aber das war gerade seine kleinste Sorge. Hechelnd lag der junge Prinz auf der Straße und überließ sich der gnädigen Dunkelheit der Bewusstlosigkeit, die langsam über ihn fiel wie eine weiche Decke.

Irgendwer hatte ihn dort wohl gefunden und sogar heimgebracht, zumindest wurde Himlous nach einigen Stunden in seinem Zimmer wach. Es war ein hübscher Raum im Schloss, wenn auch nicht ganz so prunkvoll wie der seiner Eltern. Himlous lag auf einem Himmelbett, das mit bernsteinfarbenen Stoffen bezogen war. Die gleiche Farbe, in der auch seine Augen erstrahlten. Insgesamt zog sich diese Farbe durch den ganzen Raum, alles erstrahlte in den verschiedensten Gelb- und Goldtönen, gemischt mit einem Hauch von Weiß und Schwarz, wie die Farbe seines Fells. Erschöpft hob Himlous den Kopf, ließ seinen Blick durch den vertrauten Raum schweifen und sank dann mit einem Seufzen zurück in das mit Samt überzogene Kissen. Es wäre leicht zu glauben gewesen, dass alles nur ein Traum gewesen war. Aber die schmerzenden Pfoten und die viel zu lebhafte Erinnerung waren genug, um zu wissen, dass die Geschehnisse leider allzu real gewesen waren. Himlous wusste, dass er nun aufstehen musste. Er musste aufstehen, hinunter in das Gesellschaftszimmer gehen, in dem seine Familie sich sicherlich aufhielt, und er musste ihnen erzählen, was geschehen war. Nur wie? Wie sollte er ihnen erklären, dass plötzlich Hunde aufgetaucht waren? Ausgerechnet die Kreaturen, die seit Fuchsgedenken niemand mehr gesehen hatte und die als ausgestorben, wenn nicht sogar fast als Fabelwesen galten? Als Wesen, die nur in Geschichten existierten, um kleinen Welpen Angst zu machen? Und dann, noch viel dramatischer, dass auch noch Menschen dabei gewesen waren? Und dass Hexnas durch diese Hunde, die es angeblich nicht mehr gab oder nie gegeben hatte, in Stücke gerissen worden war? Himlous stöhnte leise und vergrub sein Gesicht im weichen Stoff. Das würde ihm doch kein Fuchs glauben! Andererseits, hatten sie eine Wahl? Er müsste sie nur zu der Stelle führen, an der Hexnas getötet worden war. Dann würden sie es ja selbst sehen. Aber vermutlich würden sie behaupten, es wäre ein anderes Raubtier gewesen. Ein Wolf zum Beispiel, auch wenn diese auf der anderen Flussseite lebten und schon seit etlichen Jahrzehnten nicht mehr hier gesehen worden waren. Oder einer aus dem Königreich der Luchse, dass direkt neben ihrem Reich lag. Auch wenn die Luchse und die Füchse schon vor Jahren Frieden miteinander geschlossen hatten, alles würde seine Familie mehr glauben, als dass es Hunde gewesen waren. Himlous konnte es ja selbst nicht glauben, obwohl er dabei gewesen war. Noch immer war sein Kopf nicht in der Lage, zu realisieren, dass die Verfolgungsjagd wirklich passiert war. Und, noch schlimmer, dass sein großer Bruder Hexnas von ihnen zerfleischt worden war. Noch immer hallte das Jaulen des Sterbenden in seinen Ohren wider und jedes Mal, wenn Himlous daran dachte, fuhr ein Zittern durch seinen Körper. Warum hatte ausgerechnet Hexnas sterben müssen? Von all seinen Geschwistern war es ausgerechnet sein ältester Bruder, der den Tod gefunden hatte. Das einzige Geschwisterteil, dass Himlous wirklich aus tiefster Seele geliebt hatte. Und zeitgleich auch der Thronerbe des Fuchsreiches. Nun würde Sialdin das Königreich erben. Himlous konnte Sialdin nicht ausstehen. Er war großkotzig, arrogant und hatte einen sadistischen Hang dazu, alle zu quälen, die schwächer waren als er. Das Königreich würde vor die Hunde gehen, falls diese Meute nochmal zurückkam, möglicherweise sogar wortwörtlich. Wie konnte es nur sein, dass jetzt, nach hundert Jahren und vielen Generationen, auf einmal wieder Hunde gesichtet wurden? Diese Unstimmigkeit wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Aber alles Überlegen brachte nichts. Hier, in seinem weichen Bett, würde er es nie herausfinden. Ächzend erhob Himlous sich und leckte sich sogleich die zerschundenen Pfoten, die ihn noch immer bei jedem kleinen Tritt schmerzten. Es würde Tage dauern, bis seine Ballen wieder richtig verheilt wären und er wieder ganz ohne Schmerzen laufen konnte. Gerade als Himlous bereit war, endlich aufzustehen und sich der harten Wirklichkeit zu stellen, wurde die Tür geöffnet und eine kleine Gestalt huschte ins Zimmer. Es war Margery, eine flauschige Füchsin mit rotbraunem Pelz, die Amme aller Prinzen und Prinzessinnen, die bisher zur Welt gekommen waren. Auch Himlous hatte sie gesäugt und aufgezogen, als wäre er ihr eigener Welpe gewesen. „Him, mein Liebling. Was ist nur passiert? Ein paar einfache Bürger brachten dich her, du lagst wie tot auf der Straße, haben sie erzählt!“ In ihrer süßen Stimme klang alle Wärme und Fürsorge der Welt. Sie sprang zu Himlous aufs Bett und begann damit, ihn gründlich zu putzen. Erst jetzt bemerkte der junge Prinz, dass sein Pelz noch immer voller Erde, Pollen und Kletten war. Also ließ er sich die Pflege seiner Amme ruhig gefallen und schloss entspannt die Augen. Margery konnte er sich ohne Bedenken anvertrauen, das wusste er. Also erzählte er ihr alles, angefangen davon, dass Hexnas und er am frühen Morgen das Schloss verließen, um das Jagdritual durchzuführen. Dass sie suchten und suchten, der Wald aber wie ausgestorben wirkte und gerade in dem Moment, in dem sie anhielten, um sich zu beraten, geschah plötzlich das Grauenhafte. Hunde stürzten aus dem Unterholz und jagten sie beide durch den halben Wald, bis Hexnas schließlich die Puste ausging und der Meute zum Opfer fiel. Dann erzählte Himlous noch von seiner Flucht durch den Hasenbau und wie er zurück in die Stadt raste. Margery hörte sich alles geduldig an und putzte dabei immer weiter sein Fell, das schon bald wieder sauber und glänzend war. „Hunde also? Oh, armer Hexnas! So etwas hat unser Lieber wirklich nicht verdient. Er war doch noch so jung, hatte noch so viel vor sich“, murmelte sie nur am Ende seiner Erzählung und blickte dabei wehmütig aus den verglasten Fenstern, hinunter in den Schlossgarten. „Ja, ich weiß es hört sich unglaublich an, aber ich schwöre, es ist wahr!“, bekräftigte Himlous seine Aussage verbissen. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Die Füchsin glaubte ihrem Schützling so oder so. „Natürlich ist es wahr. Nur, weil schon lange kein Hund mehr gesichtet wurde, heißt es nicht, dass es sie nicht gibt. Aber, mein süßer, kleiner Schatz, ich fürchte, die anderen werden deinen Bericht nicht glauben. Sie denken, die alten Geschichten wären Märchen. Die Götter nur ausgedacht, die Heldentaten übertrieben und die Bestien darin nur Schreckgespenster. Sie alle haben vergessen, wie die Welt früher war, bevor das große Götterpaar uns segnete und den Schutzzauber über unseren Wald legte.“ Der Schutzzauber, richtig. Erst jetzt erinnerte sich Himlous wieder daran. Auch diese Geschichte wurde von Zeit zu Zeit erzählt, jedoch war sie bei Weitem nicht so beliebt wie andere. Es war schon lange her, dass der junge Fuchs sie das letzte Mal gehört hatte, sicherlich hatte er deswegen nicht mehr daran gedacht. Sein Blick folgte dem von Margery hinaus in den Garten. „Denkst du, der Schutzwall hat aufgehört zu wirken, und deshalb konnten die Hunde kommen?“, wollte er von der Füchsin wissen, die daraufhin nur ein knappes Lachen ausstieß. „Himlous, ich weiß es wirklich nicht. Ich bin nur eine einfache Füchsin. Wenn du so etwas wissen willst, frag deine Lehrer oder den alten Priester Iamo. Die können dir dabei sicher besser helfen als ich.“ Dankbar senkte Himlous seinen Kopf vor ihr und leckte ihr kurz über die Wange, ehe er sich auf seine Pfoten erhob und aus dem Bett hüpfte. „Danke für deinen Rat, ich werde ihn befolgen. Nun muss ich aber meiner Familie davon berichten, dass mein lieber Bruder zu Tode kam“, erklärte er ihr mit trockener Stimme und eilte, ohne auf seine Pfoten zu achten, den langen Gang entlang und die Treppe hinunter, hin zu dem Gesellschaftszimmer, dass seine Familie um diese Tageszeit so gerne bezog. Lust hatte er zwar nicht, mit ihnen zu reden, aber drücken konnte er sich ohnehin nicht davor. Also könnte er es genauso gut gleich hinter sich bringen. Wenigstens hätte er danach seine Ruhe.

Himlous hatte seine Familie richtig eingeschätzt. Seine Eltern und Geschwister drängten sich alle in dem gemütlichen Gemeinschaftsraum, räkelten sich auf den Sofas und Sesseln, tranken Tee aus getrockneten Kräutern und Blütenblättern aus zierlichen Porzellantassen und diskutierten dabei lebhaft über die jüngsten Geschehnisse. Sie waren so vertieft darin, dass sie nicht mal bemerkten, dass ihr jüngstes Mitglied eingetreten war. „Glaubt ihr, es ist etwas Schlimmes passiert? Es muss etwas Schlimmes passiert sein, oder? So fertig wie Him war“, spekulierte seine Schwester Onia, die älteste aus dem zweiten Wurf, vor sich hin, während sie beunruhigt mit einem vergoldeten Ball zwischen ihren Pfoten spielte. „Quatsch. Der Zwerg hat sicher einen Zweig knacken gehört und ist deswegen vor Schreck zurückgeflüchtet!“ Dieser verächtliche Kommentar wiederum kam von keinem anderen als Sialdin selbst. Für einen Fuchs war er ein Riese und durch das nachtschwarze Fell, das er von ihrem Vater geerbt hatte, sah er noch erschreckender aus. Die Narben, die er durch kleine Kämpfe mit adligen Heißspornen davongetragen hatte, halfen auch nicht dabei, ihn freundlicher aussehen zu lassen. Aber sein Äußeres passte auch zu seinem Charakter. Himlous konnte sich nicht daran erinnern, jemals ein nettes Wort aus seinem Munde gehört zu haben. „Sial, red nicht so über unseren kleinen Bruder. Er kann ja nichts dafür, dass er als Welpe krank wurde und deswegen so schlecht gewachsen ist“, mischte sich nun auch Oktia ein, die aus dem gleichen Wurf wie Sialdin und Hexnas stammte. Sie stritt immerzu mit Sialdin, Hexnas hatte immer versucht zu schlichten und die Letzte im Bunde, Erena, blieb immer still und sprach kaum ein Wort. Das war er, der erste Wurf der ehrenwerten Königsfamilie, dem Traumpaar. Der schlaue König Mohbris und die anmutige Königin Etphine. Es war ein desaströser erster Wurf, und die anderen beiden Würfe waren nicht besser. Sialdin war stark, aber streitsüchtig, Oktia klug, aber arrogant, Erena bodenständig, aber zurückgezogen. Einzig Hexnas hatte das Potenzial gehabt, das Königreich zu leiten. Und gleich müsste Himlous seiner Familie verkünden, dass ausgerechnet der würdige Erbe tot war. „Ach, dass du ihn auch immer verteidigst! Bis auf Überleben hat der bisher doch gar nichts auf die Reihe gekriegt, und selbst mit dem Überleben war es knapp!“, setzte der älteste Bruder weiter zu einer neuen Schimpfattacke an, als Himlous mit einem Räuspern endlich auf sich aufmerksam machte. Alle Blicke ruhten sofort auf ihm und es wurde gespenstisch still in dem geschmückten Raum. Selbst Sialdin und den sonst immer lebhaften Schwestern Onia und Rara war die Stimme entschwunden. Sofort bereute Himlous es, dass er auf sich aufmerksam gemacht hatte. All die Blicke schienen ihn wie Messer zu erstechen. Verlegen zuckte er mit dem Ohr und neigte dann, ehrerbietend wie es sich gehörte, den Kopf vor seinen Eltern und älteren Geschwistern. „Ähm, verzeiht, ich wollte nicht stören. Ich bin soeben erwacht und dachte, es wäre angemessen, euch von den Geschehnissen zu berichten“, erklärte er sich stockend, ohne den Blick vom Boden zu heben. „Himlous, mein Kleiner! Schön zu sehen, dass es dir gut geht, wir haben uns Sorgen gemacht.“ Mit einem galanten Sprung landete seine Mutter auf dem dunklen Holzboden und ihr Schmuck aus Gold und Kristall klimperte dabei. Sie trat zu ihm und schmiegte kurz ihre Nase an seine Wange. „Und jetzt sag mir, wo ist dein Bruder? Du kamst ohne Hexnas nach Hause zurück. Die Bauern, die dich fanden, meinten, von ihm wäre weit und breit nichts zu sehen gewesen.“

„Ja, sie können ihn auch gar nicht gesehen haben“, begann der junge Prinz langsam, atmete tief durch und bereitete sich innerlich auf den entsetzten Aufschrei vor. „Sie können ihn nicht gesehen haben, denn Hexnas ist tot. Eine Meute zerfleischte ihn, nicht weit von der südlichen Grenze entfernt.“ Stille. Niemand sagte etwas, nicht mal Atmen war zu hören. Das war eine noch schlimmere Reaktion, als Himlous es sich ausgemalt hatte. Er hob den Blick und sah direkt in die hellen, vor Schreck geweiteten Augen seiner Mutter. Sie wich vor ihm zurück, als hätte sie sich verbrannt. „Tot? Hexnas?“ Ihre sonst so melodische Stimme klang einen Funken zu schrill. „Mein Sohn, was redest du da?“, erhob sich nun die strenge Stimme seines Vaters. Himlous hob seinen Blick zu König Mohbris, der noch immer auf seinem Sessel thronte und abschätzig auf ihn herabblickte. Schon immer hatte er eine ziemliche Angst vor seinem Vater gehabt, der immer so finster klang und so einschüchternd gucken konnte. Aber heute war es das erste Mal, dass diese Furcht auch begründet war. Automatisch duckte der jüngste Prinz sich etwas. „Es ist wahr, Vater! Ich lüge bestimmt nicht, und eingebildet habe ich es mir erst recht nicht! Ich habe gesehen, wie Hexnas von einer Meute Hunde zerrissen wurde!“

„Hunde? Hunde!“ Mohbris stieß ein heiseres Lachen aus „Hunde, natürlich! Sehr amüsant, mein Sohn, ein toller Scherz. Nun, sag, wo hat Hexnas sich versteckt? Den Streich habt ihr wirklich gut ausgeheckt, aber nun ist es Zeit, das Ganze aufzulösen. Es wird immerhin bald dunkel.“ Der alternde König belächelte Himlous Aussage nur, denn er war es gewöhnt, dass sein ältester Sohn zu allerlei Scherzen neigte. Das Derartiges im Gegensatz dazu so gar nicht zu Himlous passte, fiel ihm nicht auf. Der blickte aus großen, verwirrten Augen zu seinem Vater auf, ließ seinen Blick streifen und stellte fest, dass auch der Rest seiner Familie wieder etwas von ihrer Anspannung verloren hatte. Als würden alle hoffen, dass die gutmütige Sorglosigkeit des Königs doch der Wahrheit entsprach und nicht das Schlimmste eingetroffen war. Himlous tat es weh, sie so enttäuschen zu müssen. Der kleine Fuchs ließ den Kopf so tief hängen, dass seine Schnauze fast den Boden berührte „Das war kein Scherz. Mir ist es ernst. Hexnas wurde von einem Rudel Hunde getötet, die in Begleitung ihrer Menschen durch unseren Wald stürmten und uns auf der Suche nach einer Fährte überraschten.“ Dieses Mal gab es nach dieser Aussage keine Stille mehr. Vielmehr passierte alles gleichzeitig. „Was?!“, donnerte sein Vater, seine Mutter heulte herzzerreißend auf, seine Schwestern quiekten, seine Brüder fluchten oder eilten Mutter und Schwestern tröstend zur Seite. Alles geschah gleichzeitig. Der Einzige, der die Sache mal wieder anders als alle anderen anging, war Sialdin. Der schwarze Fuchs stürzte vor, sprang direkt auf Himlous drauf und drückte mit seinen mächtigen Vorderpfoten den Kopf des Jüngeren zu Boden. Himlous fiepte auf, versuchte sich zu befreien, hatte aber keine Chance. Er war gezwungen, wehrlos unter Sialdins Pfoten liegen zu bleiben. Mit gefletschten Zähnen näherte sein Maul sich Himlous‘ Nase, dann schien er es sich anders zu überlegen. „Und du wagst es, nach dieser Sache noch zu uns zurückzukehren?“ Der dunkle Prinz erhob die Stimme absichtlich so, dass jeder im Raum sie hören konnte. „Nicht nur, dass du lügst und die Hunde Wölfe oder gar Luchse waren, schlimmer noch! Du bist wie ein Feigling davongerannt, während Hexnas, mein geschätzter Bruder und Thronerbe, sich tapfer dem Kampf gestellt hat und würdevoll gefallen ist! Es wäre deine Aufgabe gewesen, ihn zu schützen!“, knurrte er mit salbungsvoller Stimme, von der Himlous sicherlich übel geworden wäre, wenn er nicht in so einer vertrackten Situation gesteckt hätte. „Was? Nein! So war das nicht!“, rief Himlous aus, aber niemand hörte ihm überhaupt noch zu. „Du bist ein Feigling!“, dröhnte Sialdin weiter. „Du verdienst eine Strafe!“ Auffordernd blickte Sialdin zu seinem Vater, aber die Zeit, in der der König voreilige und harte Strafen austeilte, war längst vergangen. Das Alter hatte ihn ruhiger und weiser gemacht. „Nicht, Sialdin, geh von deinem Bruder runter. Er ist doch erst sechs Monate alt, selbst wenn er wollte, könnte er nicht kämpfen, er hatte noch keinen Unterricht darin. Außerdem bedarf die Sache erst einer Prüfung. Auch wenn das mit den Hunden und Menschen nicht stimmen kann, Hexnas ist wohl etwas Furchtbares zugestoßen. Diesen Umstand geht es zu klären, dann sehen wir weiter.“ Nur äußerst widerwillig zog Sialdin sich zurück, sprang wieder auf seinen Sessel und leckte sich dort missmutig über die aufgebauschten Flanken. Himlous dagegen rappelte sich vorsichtig wieder auf, mehr als erleichtert, unverletzt aus der Sache herausgekommen zu sein. „Wir werden schon herausfinden, wer unseren Sohn und Thronfolger ermordet hat. Und wer immer es war, wird dafür büßen.“ Die Stimme des Familienvaters und Königs klang stark und entschlossen durch den Raum und sorgte ein wenig für Besänftigung, auch wenn er es nicht schaffte, das unglückliche Gewimmer der Mutter zu schwächen. „Bis die Sache aufgeklärt ist, bleibt jedoch jeder von euch innerhalb der Schlossmauern. Es soll nicht noch jemand sterben.“

So schnell es möglich war, verdrückte sich Himlous aus dem Zimmer, dass nun nur noch mit Trauer, Bestürzung und Wut gefüllt war. Keiner aus seiner Familie, außer Sialdin, sprach es aus. Aber der junge Fuchs wusste, dass sie ihm Vorwürfe machten. Warum ist Hexnas tot? Warum der Thronerbe? Warum haben sie nicht dich geschnappt? Dein Tod wäre eher verkraftbar. Sie sprachen es nicht aus, aber Himlous wusste es ganz genau. Mit einem Seufzen schlich er durch die Gänge, aber anders als sonst beachtete er die dort ausgestellte Pracht gar nicht. All die Sammlungen aus der Menschenwelt, die seine Ahnen und Eltern zusammengetragen hatten. All die Schätze, die er, seit er sehen konnte, immer so bewundert hatte, waren ihm heute egal. Der junge Prinz trottete nur mit gesenktem Kopf durch die Gänge. Erst als er durch das große Hauptportal hinaus in den Garten getreten war und die letzten Strahlen der Abendsonne seinen Pelz wärmten, hob er wieder den Blick. Aber selbst der Anblick des wunderschönen Gartens schmerzte. Egal wohin er auch blickte, alles brachte Erinnerungen an Hexnas. Wie oft hatten sie hier im Garten gespielt! Hexnas hatte ihn immer beim Fangen gewinnen lassen, auch beim Versteckspiel war er gnädig gewesen. Und gemeinsam hatten sie Bälle über den Rasen gejagt oder sogar ein- oder zweimal ein Stofftier zerfetzt. Je mehr Zeit verging und je bewusster Himlous sich wurde, dass sein Bruder nie wieder bei ihm sein würde, desto mehr schmerzte sein Herz. Wie Nadelstiche kamen die Trauer und mit jedem Herzschlag fühlte es sich so an, als würde sich der Muskel, der sein Blut in Bewegung hielt, unter größten Schmerzen krümmen. Himlous hätte schreien können. Aber er tat es nicht. Stattdessen stürmte er, mit einer plötzlichen und kopflosen Energie, vorwärts. Wenn er nicht heulen wollte, musste er etwas tun, irgendetwas. Und er wusste auch schon, was.

Die vergessene Legende

Er würde zum Tempel gehen und mit dem Priester sprechen, auch wenn der Vater ihm das Verlassen der Schlossmauern untersagt hatte. Es musste einen Grund geben, dass die Hunde aufgetaucht waren. Es musste einen Grund dafür geben, dass Hexnas hatte sterben müssen. Und er würde keine Ruhe finden, bis dieser Grund nicht offenlag. Und sobald er es wusste, dann würde es etwas geben! Himlous würde einen Weg finden, es diesem Hunderudel heimzuzahlen! Sie würden bluten dafür, dass sie seinen Bruder getötet hatten! Wenn Himlous nur ein wenig stärker wäre. Oder zumindest etwas mutiger. Seine Pfoten rissen wieder auf und bluteten erneut, aber Himlous merkte es kaum, während er durch die Straßen hechtete. Er hatte Glück gehabt, der Befehl seines Vaters, dass keiner von ihnen hinausdurfte, war offenbar noch nicht bis zum Tor vorgedrungen. Zumindest hatten die Wächter dort nicht den Versuch gemacht, ihn aufzuhalten. Zwar hatten sie ihm verwirrt hinterhergesehen, aber das war in Ordnung für ihn. Sollten sie sich doch wundern. Hauptsache, er kam in die Stadt. Er musste zum Tempel der Götter, den Weg dorthin kannte er sehr genau. Früher noch, als seine Großmutter noch gelebt hatte, war sie hin und wieder mit ein paar von ihnen dorthin gegangen. Sie selbst hatte sich immer mit dem Priester unterhalten und Himlous Geschwister hatten im Garten der Tempelanlage gespielt. Und er selbst? Ihm war es immer am liebsten gewesen, sich umzuschauen. Er hatte jeden Winkel erkundet, alles ganz genau beobachtet, jedes Detail studiert, bis sie wieder nach Hause gegangen waren. Er hatte diese Ausflüge sehr gerne gehabt und sich deshalb auch den Weg dorthin gut eingeprägt. Die Stadtbewohner, die Füchse, die inzwischen alle Feierabend hatten und auf dem Weg nach Hause waren, blickten dem jungen Prinzen kurz verwundert nach, als dieser an ihnen vorbeihechtete. Ein paar, die besonders mutig waren, schrien Himlous hinterher, wie seine Jagdprüfung gelaufen sei. Aber der junge Prinz hatte keine Zeit, es ihnen zu erklären. Spätestens morgen früh wüsste die ganze Stadt, was geschehen war, da musste er es ihnen nicht jetzt schon unter die Nase reiben, dass der geliebte Thronerbe Hexnas gefallen war. Also stellte er sich taub und rannte einfach nur weiter, vorbei an dem Schmuckladen, vorbei an der alten Poststelle, vorbei am Kaffeehaus und der Kaserne der Stadtwachen. Schließlich auch vorbei an den verschiedensten Wohnhäusern. Erst dann, ganz am Ende der kleinen Stadt, erschien der Tempel, eingerahmt von niedrigen Mauern. Inzwischen war es bereits spät geworden, die Sonne war fast vollständig hinter dem Horizont verschwunden und die Zeit der blauen Stunde setzte ein, in der der Himmel noch tiefblau schimmerte, obwohl von der Sonne nichts mehr zu sehen war.

Kaum hatte Himlous das Tor erreicht, wurde er langsamer und trat mit geradezu bedächtigen Schritten hindurch. Wie oft hatte seine Oma sie doch geschimpft, dass sie Respekt vor diesem Ort haben mussten! Der Tempel, oder auch „der Garten der Götter“, wie er im Volksmund genannt wurde, war aber auch ein wunderschöner Ort, der genau deshalb oft als Park missbraucht wurde. Die Bäume waren alt, hoch und breit gewachsen und boten selbst an den heißen Tagen angenehmen Schatten. Auch die vielen kleinen Bäche, die durch das tiefgrüne Gras flossen, sorgten stets für kühle Luft. Es gab einen See, im westlichen Eck der Gärten, der im Winter zufror und so für alle Welpen einen großen Spaß bot. Die Älteren hingegen erfreuten sich vor allem an den vielen bunten Blumen. Die Rosenhecken, die Lilien unter den Zypressen, die Orchideen in den bunten Glasvasen in der Nähe des Tempels, die Chrysanthemen und Hortensien in den Töpfen, die Wiese mit Hunderten bunten Gerbera und Tulpen. Und noch so viele mehr. Hier gab es so viele Blumen, dass Himlous noch nie einen Überblick darüber hatte, selbst wenn er sich als Welpe das eifrige Ziel gesetzt hatte, alle Blumen, Bäume und Büsche, die es hier gab, in einer Liste zusammenzufassen. Stundenlang war er in Begleitung eines Dieners herumgelaufen und hatte alles notieren lassen. Aber zur Mittagszeit hatten sie dann ins Schloss zurückkehren müssen, um zu Mittag zu essen, und darüber hatte Himlous völlig vergessen, dass sie mit all den Pflanzen noch nicht fertig gewesen waren. Diese Geschichte fiel Himlous plötzlich wieder ein, als er so die vertrauten Wege entlangwanderte, die zu dem Tempel führten, der still und verlassen im Dämmerlicht lag. Das Gebäude hatte schon bessere Tage gesehen. Der größte Teil war bereits zerfallen gewesen, als die Füchse damals die Stadt besetzt hatten. Nur das Gebäude, das laut den Raben und Elstern „Kirche“ genannt wurde, war erhalten geblieben. Aber die Füchse nannten das Gebäude nicht Kirche, weil Kirche ein Menschenwort war. Sie nannten es Tempel. Das klang auch viel hübscher als Kirche. Vor dem großen Portal stoppte Himlous für einen Moment und senkte ehrfürchtig den Kopf, so tief, dass seine Schnauze fast den Boden berührte. Erst dann trat er ein. Iamo war sicher im Tempel, er verließ ihn fast nie. Und die Tempelanlage verließ er sowieso nicht. Alles, was er und sein Lehrling zum Leben brauchten, wurde von Botenjungen geliefert. Drinnen herrschte eine träge Dunkelheit, der Geruch von Blüten und Weihrauch vermischte sich hier. Eine Reihe von Kerzen erhellte notgedrungen den breiten Mittelgang bis zum hintersten Teil des Tempels, wo der heilige Schrein stand. Er war mit Blumen aus den Gärten, Kerzen und Essensgaben geschmückt. Leicht entzündlich, weswegen Mohbris schon des Öfteren angeordnet hatte, diese Art der Verehrung zu unterlassen. Aber der Priester ließ sich nicht davon abbringen, trotz des Verbots tat er es jedes Mal wieder. „Vater?“, rief Himlous mit gedämpfter Stimme durch den Saal. Aus irgendwelchen Gründen bestand Iamo darauf, dass alle Mitglieder der Gemeinde ihn Vater nannten. Himlous wusste nicht warum, aber es gab viele merkwürdige Dinge, vor allem in der Religion, die er nicht verstand. Deswegen akzeptierte er es einfach so. Keine Antwort schallte Himlous entgegen und der junge Fuchs stand ganz verloren zwischen den Bänken, auf der sich an den Feiertagen die braven Füchse tummelten, um zu ihren Göttern zu beten. Jetzt, so spät am Abend, war es wie leer gefegt und wirkte geradezu gespenstisch. Himlous bildete sich sogar ein, ein Windstoß würde durch den Tempel ziehen und an seinem Fell zupfen. Nervös begann der Prinz zu überlegen, ob er vielleicht gehen sollte. Immerhin könnte er ja auch morgen noch einmal wiederkommen, dann war Iamo sicher da. Aber kaum hatte er sich abgewandt und war bereit, mit ebenso schnellen Schritten hinauszueilen, wie er hineingekommen war, erschallte von hinten eine tiefe, wohlklingende Stimme. „Wie kann ich dir helfen, mein Sohn? Was treibt dich so spät am Abend in die Arme dieses alten Hauses?“ Himlous drehte erneut einen halben Kreis und zuckte unwillkürlich zurück. Vater Iamo, der alte Fuchs mit ergrautem Gesicht, stand plötzlich genau vor ihm, als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht. Der Priester kniff die Augen zusammen und zeigte die Zähne zu einem schmalen Grinsen. „Na, na. Wer wird denn hier erschrecken, junger Prinz? Kommt mit nach hinten. Was auch immer Ihr auf dem Herzen habt, dort lässt es sich besser reden.“ Der Alte schmunzelte sanft, legte seinen Schweif auf seine Schulter und führte ihn so durch die Halle und in die Hinterstube des Tempels. Keine fünf Minuten später saß Himlous in der Nähe eines prasselnden Feuers, dass von Thasia, Iamos Schülerin, geschürt wurde. Vor ihm stand eine Tasse dampfender Tee, der Priester saß ihm gegenüber. Es war nur eine kleine Kammer, die der Priester und seine Schülerin sich teilten. Die Einrichtung war schlicht, voll von heiligen Bildern, Symbolen und Büchern, aber auch sehr gemütlich. „So ist es angenehmer, nicht? Und nun sag mir, mein Sohn, was dich hergetrieben hat. Ich sterbe vor Neugier.“ Der Blick des Älteren, der kurz zu seiner Schülerin huschte, verriet, dass es nicht wirklich er war, der vor Neugierde starb. Die junge Füchsin, etwa in Himlous Alter, hatte die Ohren gespitzt und hörte offenbar sehr genau zu, obwohl sie noch immer vorgab, mit dem Feuer beschäftigt zu sein. Peinlich berührt über so viel Aufmerksamkeit räusperte der junge Prinz sich und nahm einen schnellen Schluck aus der Teetasse. Er verbrannte sich die Zunge und den Gaumen, traute sich jedoch nicht, seinen Fehler zuzugeben, und schluckte es einfach. „Nun, Vater, ich weiß kaum, wo ich anfangen soll.“ Himlous stockte, senkte den Blick in seine Tasse, auf die dunkelgrüne Flüssigkeit, in der träge die Kräuterblätter schwammen. „Während ich mit Hexnas auf der Jagd war, tauchten plötzlich Hunde auf. Mir gelang die Flucht, aber Hexnas, er … sie haben ihn totgebissen.“ Erneut kochten die Erinnerungen ihn ihm hoch. Himlous war sich sicher, Hexnas‘ Schreie zu hören. Seine Schreie, das Knurren der Hunde, dass Reißen von Fleisch und das Brechen von Knochen. Alles schmolz lebensecht zusammen, zu einer furchtbaren Symphonie. Sie fing ihn ein und brachte seinen Körper dazu, zu zittern wie ein Blättchen im Wind. Himlous kauerte sich zusammen, machte sich klein und drückte seine Pfoten auf die Ohren. Er winselte „I… ich kann ihn noch immer hören. Ich kann es noch immer hören.“ Der Priester und seine Schülerin tauschten lange Blicke. Keiner von ihnen hatte jemals einen Hund gesehen, geschweige denn eine ganze Meute. Nicht mal eine verstümmelte Leiche hatten sie je erblickt. Das Königreich war, seit man sich erinnern konnte, friedlich und sicher. Aber beide wussten, dass die Zeit kurz bevorgestanden hatte, in der das erste Unglück wieder über ihr Volk einschlagen würde. So war es nun mal überliefert worden. Und die Überlieferungen logen nie. Schon einige Male hatte Iamo den König zu sich rufen lassen, hatte zu ihm gesprochen und ihn gewarnt. Aber Mohbris, der das Königreich nun seit fünf Jahren regierte, nahm die Warnung nicht ernst. Und nun trug er die Rechnung dafür, sein ältester Sohn, der Liebling der Familie, war getötet worden und der Jüngste war traumatisiert. „Trauere nicht, dein Bruder befindet sich nun an der Seite der Götter“, versuchte Thasia ihn vorsichtig zu trösten. Sie empfand tiefes Mitgefühl für den jungen Prinzen, der immer so höflich und lieb zu allen war. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er Furchtbares gesehen hatte, oder gar, wie er sich fühlen musste! Sie verließ ihre Stelle am Feuer und kam an den Tisch, wo ihr Lehrmeister und ihr Besucher saßen und ihren Tee tranken. Der junge Prinz war ganz in sich zusammengesunken und kauerte geduckt auf dem Stuhl. Sie schlich sich von unten heran, stützte ihre Vorderpfoten auf dem Sitz und drückte tröstend ihre Schnauze in sein Brustfell, das nach Tannennadeln und Zedernholz roch. Kaum spürte Himlous die plötzliche Berührung, verstummten die jämmerlichen Geräusche aus seiner Kehle und ein heißes Kribbeln wand sich durch ihn hindurch. Verlegen zuckte er zurück, richtete sich sofort wieder kerzengerade auf und schielte für einen Moment peinlich berührt hinunter zu der jungen cremefarbenen Füchsin, die frech zu ihm hochsah und die ihm so ungewohnt nahe war. Der junge Prinz spürte das Blut in seinen Ohren pochen und er wand schnell den Blick ab. Thasia kicherte. „Kleine? Was machst du denn da unter dem Tisch?“, wollte der alte Priester wissen, in seiner Stimme lag ein leichter Tadel, da er das flapsige Verhalten seiner Schülerin bereits kannte, das oft so gar nicht zu einer künftigen Priesterin passte. Aber er liebte die junge Füchsin, wie eine eigene Tochter, sodass er es ihr doch jedes Mal durchgehen ließ. Und sie wusste das. „Gar nichts, ich spende unserem Prinzen nur etwas Trost“, antworte Thasia vergnügt, nahm aber wieder anständig Stellung neben dem alten Priester. Noch immer war Himlous tief verlegen, denn es war das erste Mal, dass eine Füchsin, die nicht seine Schwester oder Mutter war, ihm so nahegekommen war. Um sein Unwohlsein zu überspielen, trank er erneut ein paar Schlücke Tee. Dieses Mal waren sie nicht zu heiß. „Jedenfalls“, begann er dann erneut, „habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass Hunde durch unsern Wald jagen. Ich meine, noch keiner von uns hat jemals einen Hund gesehen! Nicht mal unsere Großeltern! Und plötzlich tauchen sie wieder auf? Dann hat meine Amme gemeint, es könnte mit dem Schutzzauber aus der Geschichte zu tun haben und ich wollte Fragen ob …“ Erneut brach Himlous Stimme ab. Er kam sich albern dabei vor, zu fragen, ob so eine alte Geschichte vielleicht stimmen könnte. Immerhin glaubten nur Welpen an so etwas. „Du fragst dich, ob die Geschichte wahr ist“, beendete Iamo also seinen Satz und brummte dann gedankenversunken. „Nun, glaubst DU denn, dass sie stimmt?“, wollte der alte Priester vom jungen Prinzen wissen, der leicht mit den Ohren zuckte und den Blick senkte. „Natürlich ist die Geschichte wahr! Alle Geschichten aus den Überlieferungen sind wahr!“, mischte sich Thasia ein, bekam dafür aber mit dem Schweif eine über die Schnauze gewischt. „Schluss, du wurdest nicht gefragt. Himlous soll die Frage beantworten.“

„Ich? Ich denke es –“ Himlous wurde leiser, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, „Ich weiß nicht. Ich erinnere mich kaum an die Erzählung, um ehrlich zu sein. Vielleicht ist sie wahr?“ Der alte Fuchs schnalzte mit der Zunge „So, du erinnerst dich nicht? Tja, dann wird es Zeit, dass ich deiner Erinnerung auf die Sprünge helfe, ja? Und danach wirst du selbst entscheiden, ob es wahr ist, was ich dir erzählt habe oder ob es nur Welpengeschichten sind, einverstanden?“ Himlous nickte ergeben, im inneren recht gespannt auf die Sage, die ihm gleich erzählt werden würde. Die Geschichten hatten ihn schon immer fasziniert. „Einverstanden.“

„Nun, wie du sicher weißt, wurden die Königreiche der Tiere vor etwa hundert Jahren gegründet. Vor dieser Zeit regierten die Menschen über dieses Tal, sie jagten alles, was in ihr Sichtfeld kam. Und von allen Fleischfressern waren die Füchse besonders von ihnen bedroht, da wir für sie keine große Gefahr waren wie die Luchse oder gar die Wölfe. Nicht nur, dass die Menschen die Hasen und Mäuse, die unsere Speisen sind, in Massen töteten, auch auf die Füchse machten sie mit einer abartigen Leidenschaft Jagd. Es gingen ihnen nur um den Spaß am Töten, sie wollten uns nicht essen. Aber sie wollten den feinen Pelz, den wir Füchse haben. Die Menschen waren verrückt danach“, begann Iamo zu erzählen und automatisch blickte Himlous an sich hinab. Er hatte schon einen sehr schönen, glänzenden Pelz, den die Menschen damals sicher auch sehr gerne gehabt hätten. „Unsere Vorfahren standen sehr dicht vor der Ausrottung. Nur eine kleine Gruppe von 30 Füchsen war übrig geblieben. Sie versteckten sich hier in der Ruinenstadt und damals waren es tatsächlich nur noch Trümmer, die kaum Schutz boten. Sie drängten sich in die Spalten, duckten sich in die Schatten und hofften so, den Menschen zu entgehen. Aber die Jäger hatten Komplizen: Hunde. Es gab kein Versteck auf der Welt vor diesen Kreaturen. Sie fanden immer ihr Opfer. Unsere Vorfahren waren verzweifelt, sie wussten sich nicht zu helfen. Sie waren dabei, zu verhungern, trauten sich aber nicht aus ihren Verstecken hinaus. Tag und Nacht hörten sie das Bellen der Hunde und die Rufe der Jäger, es erstarb nie. Es war ihr festes Ziel, die Füchse völlig auszurotten. Nicht nur, dass sie an den Pelz wollten, sie dachten auch, dass wir Füchse böse wären. Wir brächten Krankheiten und würden ihre Hühner stehlen.“ Iamo stieß ein heiseres Lachen aus. „Wobei das Letzte vielleicht sogar stimmte. Was hätten sie auch essen sollen?“ Das Feuer im Kamin knisterte, ein Holzscheit zersprang in einen Berg von Glut. Der alte Priester machte eine bedeutungsschwere Pause und betrachte die beiden Jüngeren, die mit großen Augen seiner Geschichte lauschten und die nicht mal wussten, wie wahrer Hunger sich anfühlte. Er ließ sie noch einen Moment zappeln, ehe er fortfuhr. „In dieser allgemeinen Verzweiflung fassten die Füchse einen Entschluss. Um ihre Art vor der Auslöschung zu bewahren, um ihren Kindern und Enkeln ein Leben zu ermöglichen, wollten sie einen Zauber wirken, den mächtigsten Zauber, den die Füchse kannten. Ein Schutzzauber, der sich über ihren ganzen Wald erstrecken würde. Nichts Böses würde den Füchsen widerfahren, solange sie diesen Kreis nicht verließen. Keine Menschen, keine Hunde, kein Hunger, keine Krankheit. Nur Friede und Glück für alle. Aber um diesen Zauber ermöglichen zu können, musste ein hoher Preis bezahlt werden: Der Preis war Leben. Acht Stück, um genau zu sein. Und obwohl alle wussten, dass es getan werden musste, wollte doch keiner von ihnen sterben. Nur Amene, eine junge Mutter, fürchtete den Tod nicht. Sie und ihr Partner Rimush gingen noch weiter, sie erbrachten das größte Opfer überhaupt, denn sie beschlossen, dass auch ihre sechs Welpen sterben sollten.“ – „Genau! Das waren Adonias, Philosir, Baldo, Jetzabel, Elissa und Vinera!“, quiekte Thasia dazwischen. Der alte Iamo nickte gutmütig und fuhr mit seiner Geschichte fort. „Während die junge Familie also ihren letzten Tag miteinander verbrachte, schichteten die anderen Füchse einen riesigen Scheiterhaufen auf dem Stadtplatz auf. Und als die Dunkelheit hereinbrach, wurde die ganze Fuchsfamilie lebendig in den Flammen verbrannt, während die Kitsune, die magiebegabten Füchse, drum herum standen und die magische Formel sprachen. Das Ritual dauerte lange drei Tage. Drei Tage lang konnten Amene und ihre Familie nicht in den Flammen sterben und die Kitsune mussten durchgehend ihre Zauberworte sprechen. Und dann, am Ende des dritten Tages, war es vollbracht. Die Opfer waren restlos zu Asche verbrannt, ihre Schreie erstorben, und die Kitsune brachen ohnmächtig und halb tot zusammen. Aber der Zauber wirkte, wenn auch begrenzt, denn keine Magie hält ewig. Die, die überlebt haben, verließen den Wald nie und bauten die Stadt auf, wie wir sie heute kennen. Und so ist es bis heute, 100 Jahre später. Alle dienen dem Königreich, froh am Leben und sicher zu sein und erzählen so von Generation zu Generation die Geschichte von Amene und ihrer Familie weiter, um ihr heldenhaftes Opfer zu gedenken, das sie zu Göttern aufsteigen ließ.“ Der Priester beendete die Geschichte und tiefe Stille kehrte ein. Himlous starrte auf seine inzwischen leere Teetasse und überlegte. „Ich denke, die Geschichte ist wahr“, tat er dann, nach reichlichem Überlegen, seine Meinung kund. Iamo hatte erzählt, dass sie auf dem Stadtplatz verbrannt worden waren. Das konnte stimmen, denn Himlous wusste, dass seit Fuchsgedenken die Mitte des Platzes geschwärzt war, die Steine verbrannt und voller Ruß, der sich vom Regen nicht abspülen ließ. Das war wegen des Opferfeuers so, dass die Familie verbrannt hatte! Der alte Priester lächelte und offenbarte dabei wieder seine gelbfleckigen Zähne „Nun, dann hast du die Antwort auf deine Frage, mein Sohn, nicht wahr?“, fragte er gütig, mit tiefer Zufriedenheit in der Stimme. Iamo mochte es, die Jüngeren auf den rechten Pfad zu führen und ihnen die alten Werte wieder näherzubringen. Am besten lernte man eben doch aus der Vergangenheit. „Ja, Vater, vielen Dank.“ Himlous neigte respektvoll den Kopf, dann sprang er vom Stuhl und machte sich auf den Weg zum Gehen. „Warte, willst du nicht über Nacht bei uns bleiben? Es ist schon sehr dunkel draußen!“, rief ihm da Thasia nach. Sie stand noch anständig neben ihrem Lehrmeister und blickte den jungen Prinzen erwartungsvoll an. Nicht oft verirrte sich jemand ihres Alters hierher, jemand, mit dem man Spaß haben und normal reden konnte. Aber Himlous hatte keine Lust, in dem alten, düsteren Gemäuer zu bleiben. Genauso wenig wie er Lust hatte, nun nach Hause zu gehen. Er brauchte frische Luft, er musste nachdenken. „Nein, aber danke euch! Ich könnte heute Nacht ohnehin nicht schlafen. Gute Nacht, ihr beiden“, schlug er das Angebot aus und verließ dann auch schon das Hinterzimmer und den Tempel im Allgemeinen. Erst draußen angelangt blieb er wieder stehen und atmete tief die kühle Nachtluft ein. Es war eine sehr schöne Sommernacht. Die Luft roch süß und war erfüllt vom Zirpen der Grillen, über den nun geschlossenen Blüten tanzten die Glühwürmchen. Hier draußen konnte er besser nachdenken, da war er sich sicher. Und so setzte Himlous immer einen Schritt vor den anderen, immer einem der schmalen und verwinkelten Wege folgend, während er sich in seinen eigenen Gedanken verlor.

Der Held und die Göttin