Die verlorenen Sterne: Der Verräter - Jack Campbell - E-Book

Die verlorenen Sterne: Der Verräter E-Book

Jack Campbell

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Midway-System wurde erfolgreich von der Diktatur durch die Syndikatwelten befreit. Doch den Rebellen fällt es schwer, einander zu vertrauen. Besonders nachdem ein ehemaliger Vertrauter abtrünnig geworden ist. Aber ehe sich Präsidentin Gwen Iceni und General Artur Drakon dem Problem widmen können, taucht ein feindliches Alienraumschiff wie aus dem Nichts auf und verschwindet wieder. Sollten die Enigma in der Lage sein, in weitere Systeme zu springen, wären Millionen Menschen einer Invasionsflotte schutzlos ausgeliefert ...

»Die beste Science Fiction, die ich seit Langem gelesen habe.« Wired

Ein Muss für alle Fans von Battlestar Galactica sowie Leserinnen und Leser von David Weber und Mike Shepherd - Bestseller-Autor Jack Campbells spannende Reihe um unglaubliche Weltraumschlachten und tapfere Helden auf aussichtslosen Posten.

Die verlorenen Sterne: Der Ritter
Die verlorenen Sterne: Enigma
Die verlorenen Sterne: Die Revolte
Die verlorenen Sterne: Der Verräter

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 590

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Die Midway-Flotte

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Danksagung

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.

Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!

Dein beTHRILLED-Team

Melde dich hier für unseren Newsletter an:

Über dieses Buch

Das Midway–System wurde erfolgreich von der Diktatur durch die Syndikatwelten befreit. Doch den Rebellen fällt es schwer, einander zu vertrauen. Besonders nachdem ein ehemaliger Vertrauter abtrünnig geworden ist. Aber ehe sich Präsidentin Gwen Iceni und General Artur Drakon dem Problem widmen können, taucht ein feindliches Alienraumschiff wie aus dem Nichts auf und verschwindet wieder. Sollten die Enigma in der Lage sein, in weitere Systeme zu springen, wären Millionen Menschen einer Invasionsflotte schutzlos ausgeliefert …

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.

Jack Campbell

DIEVERLORNENSTERNE:DER VERRÄTER

Aus dem amerikanischen Englisch vonRalph Sander

Für Bud Spearhawk,Seemann, Gentleman, Autor und Erforscher neuer Welten.

Die Midway-Flotte

Kommodor Asima Marphissa, Befehlshaberin(Alle Schiffe sind ehemalige Einheiten der mobilen Streitkräfte der Syndikatwelten)

EIN SCHLACHTSCHIFFMidway

EIN SCHLACHTKREUZERPele

VIER SCHWERE KREUZERManticore, Gryphon, Basilisk und Kraken

SECHS LEICHTE KREUZERFalcon, Osprey, Hawk, Harrier, Kite und Eagle

ZWÖLF JÄGERSentry, Sentinel, Scout, Defender, Guardian, Pathfinder,Protector, Patrol, Guide, Vanguard, Picket und Watch

Dienstgrade in der Midway-Flotte(in absteigender Reihenfolge)festgelegt von Präsidentin Iceni

Kommodor

Kapitan Ersten Grades

Kapitan Zweiten Grades

Kapitan Dritten Grades

Kapitan-Leytenant

Leytenant

Leytenant Zweiten Grades

Schiffsoffizier

Eins

Freiheit oder Tod.

Würde oder Versklavung.

Erwecke etwas Neues zum Leben oder geh mit dem Zusammenbruch des Alten unter.

Wenn ein Imperium untergeht, verschwinden damit nicht auch gleich die Außenposten des Reiches. Männer und Frauen verteidigen auch weiterhin seine Mauern, selbst wenn die Sache nicht mehr existiert, der sie einst dienten. Sie bleiben und verteidigen eine Linie, auch wenn die keinerlei Bedeutung mehr hat.

Manche von ihnen finden einen neuen Grund, um zu kämpfen. In solchen Zeiten muss jeder Einzelne für sich entscheiden, ob er an der Vergangenheit festhalten oder für die Zukunft kämpfen will.

Im Midway-Sternensystem bauten Präsidentin Iceni und General Drakon an einer Zukunft, die sich von der unterdrückerischen, brutalen Herrschaft der Syndikatwelten unterscheiden sollte. Umliegende Sternensysteme wägten ab, ob sie sich Midway anschließen und damit riskieren sollten, sich den Zorn rachsüchtiger Streitkräfte des Syndikats zuzuziehen, oder ob es besser für sie war, dem Syndikat gegenüber weiter loyal zu sein, auch wenn das seinerseits nie Loyalität gegenüber seinen Brüdern hatte erkennen lassen. Aber immerhin war es ihm gelungen, über Generationen hinweg für Stabilität zu sorgen.

Taroa, Ulindi, Kane und Kahiki hatten sich Midway entweder bereits angeschlossen oder strebten eine Verbindung an.

Das Iwa-Sternensystem, das sich einer viel größeren Bedrohung gegenübersah, als es bislang irgendwem bewusst war, würde schon bald vor der gleichen Wahl stehen.

»Wer befehligt Ihre Schiffe?«, wollte die Frau wissen, deren Bild Kapitan Kontos’ persönlichen Bildschirm auf der Brücke des Schlachtkreuzers Pele ausfüllte. Sie trug den Anzug einer CEO des Syndikats, doch einige Details ihrer Kleidung deuteten auf einen Status unterhalb der EO-Ebene hin. Kontos fragte sich, was aus dem letzten CEO geworden sein mochte. Iwa hatte nicht gegen das Syndikat rebelliert, dennoch gab es eindeutige Anzeichen dafür, dass die Anwesenheit des Syndikats in dem einsamen System höchstens als spärlich bezeichnet werden konnte.

»Wir haben nach Ihrem Eintreffen die erforderlichen Einreisedokumente noch nicht erhalten«, redete die Frau in einem Tonfall weiter, der etwas weniger arrogant war, als man ihn von einer erfahrenen CEO eigentlich erwarten konnte. »Sie werden unverzüglich den Grund für Ihre Anwesenheit bei Iwa erklären und sich der rechtmäßigen Autorität des Syndikats unterordnen. Fürdasvolk. Vasquez, Ende.« Die Art, wie sie die Floskel »für das Volk« zu einem einzigen Wort zusammenzog, machte deutlich, wie unwichtig ihr diese Formel offensichtlich war.

Kontos besaß nicht sehr viel Erfahrung mit den diplomatischen Aspekten, mit denen sich ein Senioroffizier zu befassen hatte. Um genau zu sein, besaß er in keiner Hinsicht sehr viel Erfahrung. Rebellionen konnten einem höchst erstaunliche Chancen zur Beförderung verschaffen, allerdings gingen mit Rebellionen auch etliche Situationen einher, die einen das Leben kosten konnten.

Doch allem Mangel an Erfahrung zum Trotz konnte Kontos gut verstehen, wieso die Behörden bei Iwa besorgt reagierten, wenn von Midway kommend plötzlich ein Schlachtkreuzer und ein Truppentransporter in ihr Sternensystem einflogen. Midway war nicht nur ein ziemlich wohlhabendes Sternensystem, sondern auch der Dreh- und Angelpunkt des Aufbegehrens gegen das Syndikat in dieser Region des Weltalls.

Als Gegensatz zu Midway stellte Iwa ein Sternensystem von der Art dar, das allzu gern als »zu viel von gar nichts« tituliert wurde. Eine Vielzahl von Asteroiden und Objekten, die fast nicht als Planeten bezeichnet werden konnten, ein einzelner Gasriese, der rein gar keine Besonderheiten aufwies, und darüber hinaus einige größere Welten, die nichts weiter als riesige Klumpen aus Gestein und Eis waren. Lediglich ein Planet, der in einer Entfernung von rund neun Lichtminuten um seinen Stern kreiste, war halbwegs bewohnbar, für menschliche Verhältnisse aber zu kalt. Zudem enthielt die Atmosphäre zu wenig Sauerstoff, dafür jedoch so viele giftige Bestandteile, dass die menschliche Lunge diesem Gemisch nicht standhalten konnte.

Und doch hatte das Syndikat dort eine Kolonie errichtet, wobei Gebäude, Straßen und Fabriken größtenteils unterirdisch angelegt worden waren, was auch das Heizen erleichterte. Iwa war ein Rückzugsort für den Fall gewesen, dass Midway den Enigmas in die Hände fallen sollte. Umfangreiche Befestigungsanlagen und Basen waren in Angriff genommen, dann aber aufgegeben worden, als das Syndikat damit begonnen hatte, die Ressourcen für den Krieg gegen die Allianz umzuverteilen. Später war es dann sogar noch notwendig geworden, sich intern neu auszurichten, um dem Zerfall des Imperiums zu begegnen.

Kontos überlegte noch, wie er seine Antwort formulieren sollte. Nach den Regeln des Syndikats wurde von jemandem, der eine Machtposition innehatte, erwartet, dass er über Individuen in einer schwächeren Position bestimmte, während von den Schwächeren wiederum erwartet wurde, dass sie gegenüber ihresgleichen blufften, sich den Mächtigeren aber unterwarfen. Jedes Handeln wurde danach beurteilt, inwieweit es Stärke oder Schwäche, Respekt oder Insubordination erkennen ließ.

Die Nachricht der CEO des Syndikats war vor etwas mehr als drei Stunden von der bewohnten Welt bei Iwa abgeschickt worden, und Kontos’ Antwort würde noch einmal drei Stunden benötigen, um das Gegenüber zu erreichen. Das Licht – und damit auch jeglicher Funk – legte eben pro Minute nur rund achtzehn Millionen Kilometer zurück, und der Abstand zwischen der Pele und dem Planeten, auf dem sich die CEO aufhielt, betrug immer noch circa drei Lichtstunden. Allerdings verlangten die strikten Vorschriften des Syndikatsprotokolls von der CEO, die Zeit zu stoppen und festzustellen, wie lange Kontos benötigt hatte, um seine Erwiderung abzuschicken. Von einem Untergebenen erwartete man innerhalb von ein paar Sekunden eine Antwort. Einem Gleichrangigen gestand man ein paar Minuten zu. Eine Antwort, die nach sechs Stunden und deutlich mehr als nur ein paar Minuten eintraf, würde man also entweder als gezielte Machtdemonstration deuten … oder als absichtliche Beleidigung.

Somit wartete Kapitan Kontos weiter und ließ sich viel Zeit, während die Spezialisten auf der Brücke der Pele vorgaben, nicht immer wieder auf die Uhr zu sehen, und sich dabei ein Lächeln verkniffen, das sich kaum verhindern ließ. Immerhin war es ihr Kapitan, der da seine Missachtung gegenüber der CEO des Syndikats zum Ausdruck brachte. Solche CEOs waren für Kontos sowieso ohne Belang. Die Spezialisten dagegen – die im Syndikatssystem als »Arbeiter« bezeichnet worden waren – neigten dazu, die CEOs zu hassen, die von der höchsten Ebene aus die Unterwerfung der Arbeiter erzwungen hatten. Obwohl »Hass« genau genommen noch ein viel zu harmloser Ausdruck für das war, was so ein Arbeiter für seine CEOs empfand.

Ungefähr zehn Minuten nach dem Erhalt der Nachricht fasste sich Kontos ein Herz und versuchte, ganz so auszusehen, wie man es von einem Offizier seines Dienstgrads erwartete, den die Erwartungshaltung eines CEO des Syndikats wenig kümmerte. Dann setzte er zur Antwort an: »Hier spricht Kapitan Kontos vom Schlachtkreuzer Pele des Freien und unabhängigen Midway-Sternensystems. Mein Schiff eskortiert den Truppentransporter STTE 458, der Bodenstreitkräfte und mobile Streitkräfte der Syndikatwelten befördert, die von den Midway-Streitkräften im Ulindi-Sternensystem gefangen genommen wurden. Entsprechend unserer bei der Kapitulation getroffenen Vereinbarung werden wir unsere Gefangenen in Ihre Obhut übergeben. Machen Sie sich gar nicht erst die Mühe, zu behaupten, Sie könnten diese Leute nicht aufnehmen. Wir wissen, dass die Kasernen leer stehen, in denen Iwas Bauarbeiter einquartiert waren. Diese Einrichtungen sind bestens dazu geeignet, die Syndikat-Soldaten und die Crewmitglieder aufzunehmen, die sich an Bord unseres Transporters befinden. Dieses Personal muss dann von Ihnen in andere Sternensysteme im Syndikatgebiet weitertransportiert werden«, fügte er an, da er wusste, es würde die CEO vor Wut rasen lassen, von jemandem wie Kontos gesagt zu bekommen, was sie tun sollte.

»Sobald wir Ihr Personal abgesetzt haben«, fuhr er dann fort, »werden wir nach Midway zurückkehren. Wir hegen keine gegen Iwa gerichteten feindseligen Absichten, und wir werden auch keinen Angriff vornehmen. Ausgenommen natürlich, wir werden angegriffen. In diesem Fall werden wir mit allem zurückschlagen, was dieser Schlachtkreuzer zu bieten hat. Für das Volk. Kontos, Ende«, beendete er seine Ausführungen und betonte die Grußformel ganz besonders.

CEO Vasquez würde sich über diese Antwort nicht freuen, aber wenn sie einigermaßen bei Verstand war, würde sie ihre unvermeidlichen Einwände auf ein wenig Empörung und den Verweis auf rechtliche Bestimmungen beschränken. »Haben wir Hinweise auf irgendwelche möglicherweise verborgenen Verteidigungsanlagen finden können?«, fragte Kontos.

»Nichts, Kapitan«, meldete der Senior-Ablaufspezialist der Pele. »Die Aufzeichnungen des Syndikats über die hier erledigten Arbeiten passen genau zu dem, was wir sehen können. Die meisten Anlagen sind aber gar nicht erst fertiggestellt worden, die Baustellen wurden aufgegeben. Es gibt keine Hinweise auf Waffen oder auf die Anwesenheit von Menschen. Nicht einmal Spuren von Energiequellen.«

»Irgendwelche Verteidigungsanlagen wurden aber installiert«, beharrte Kontos. »Ich habe dazu Berichte über abgeschlossene Arbeiten in den Dateien gesehen, die wir erbeuten konnten.«

»Ja, Kapitan, aber diese Anlagen sind verwaist. Und nach allem, was unsere Sensoren uns anzeigen, sieht es so aus, als hätte das Syndikat Iwa hinsichtlich Waffen, Sensoren und allem anderen, das sich ohne großen Aufwand abbauen und abtransportieren lässt, komplett ausgeschlachtet.«

»Den Anschein hat es«, stimmte Kontos ihm zu. »Und sehen Sie mal hier. Die Kommunikation, die wir innerhalb des Sternensystems abfangen, lässt darauf schließen, dass von den Bodenstreitkräften des Syndikats nur eine einzige Kompanie hiergeblieben ist. Stimmt das?«

»Mehrere abgefangene Nachrichten weisen darauf hin, Kapitan«, erwiderte die Komm-Spezialistin in überzeugtem Tonfall. »Es gibt nur einen Executive Dritten Grades, der sie befehligt.«

»Ein Executive Dritten Grades?«, wiederholte Kontos ungläubig. »Das ist der derzeit ranghöchste Befehlshaber der Bodenstreitkräfte des Syndikats auf Iwa?«

»Ja, Kapitan.«

Es schien unvorstellbar, dass das in jeder Hinsicht überforderte Syndikat einem Executive mit einem so niedrigen Dienstgrad den Oberbefehl über die Streitkräfte bei Iwa übertragen würde. Andererseits gab es in diesem Sternensystem auch nur wenig, das es wert war, verteidigt zu werden. »Hätte es nicht die Revolte bei Midway gegeben, dann hätte sich das Syndikat wahrscheinlich komplett aus Iwa zurückgezogen«, überlegte Kontos. »So leisten sie noch das absolut Notwendigste, damit sie immer noch die Möglichkeit haben, weitere Angriffe von hier zu starten. Suchen Sie nach Hinweisen darauf, ob das Syndikat Ressourcen von hier nach Moorea abgezogen hat. Und versuchen Sie Komm-Verkehr aufzufangen, der sich mit der Situation bei Moorea und Palau befasst. Scannen Sie nach allem, was Aktivitäten des Syndikats und andere Bedrohungen betrifft. Präsidentin Iceni will jede Information haben, die wir über diesen Kriegsherrn oder Piraten beschaffen können, der angeblich in der Region nahe dem Moorea-Sternensystem sein Unwesen treibt.«

Von da an konnten sie nur noch warten, während sich Schlachtkreuzer und Truppentransporter im Schneckentempo von 0,15 Licht der bewohnten Welt näherten. Fünfundvierzigtausend Kilometer in der Sekunde waren auf einem Planeten eine ungeheure Geschwindigkeit, doch im Weltall kreisten Welten im Abstand von Millionen oder Milliarden Kilometern um einen Stern, und da dauerte es selbst bei dieser Geschwindigkeit eine ganze Weile, um Entfernungen zu überbrücken, die so gewaltig waren, dass der menschliche Verstand sich eigentlich keine genaue Vorstellung davon machen konnte. Bei 0,15 Licht dauerte es rund zwanzig Stunden, um die drei Lichtstunden Strecke zurückzulegen, die sie jetzt noch von der bewohnten Welt trennten. Da der Planet sich aber gleichzeitig auf seiner Bahn um den Stern mit einer Geschwindigkeit von rund 35 Kilometern in der Sekunde bewegte, mussten die Pele und der Truppentransporter einem Abfangkurs folgen, der einen riesigen Bogen durchs All beschrieb.

»Kapitan«, meldete die Komm-Spezialistin. »Wir empfangen eine systemweite Nachricht von CEO Vasquez mit dem Befehl an alle Streitkräfte des Syndikats, nicht in Gefechtsbereitschaft zu gehen.«

»Das ist zweifellos die vernünftigste Vorgehensweise«, entgegnete Kontos mit einem zufriedenen Lächeln. Genau genommen ging CEO Vasquez damit auf keine von seinen Forderungen ein. Also konnte sie gegenüber ihren Vorgesetzten im Prime-Sternensystem argumentieren, dass sie nach dieser Maßnahme nicht in der Lage gewesen war zu kämpfen. Die Senior-CEOs bei Prime würden von dieser Behauptung ganz sicher nicht begeistert sein, doch Vasquez holte damit das Beste aus einer Situation heraus, die ihr keine guten Alternativen zu bieten hatte.

Die Pele und der Transporter waren noch immer eine Lichtstunde von der bewohnten Welt entfernt, als auf einmal ein Alarm ertönte. Die Anspannung auf der Brücke schoss schlagartig in die Höhe, da die Warnung vor einem Kriegsschiff von einem grellen neuen Warnlicht auf den Gefechtsdisplays der Pele begleitet wurde.

Kontos starrte verdutzt auf sein Display, wo das Warnsymbol an einer Stelle am Rand des Sternensystems aufleuchtete, an der sich eigentlich nichts befinden sollte. Die Position war fast fünf Lichtstunden entfernt und lag auf der anderen Seite des Iwa-Sternensystems. Also war das unbekannte Kriegsschiff dort vor fünf Stunden aufgetaucht.

Und dann verschwand es genauso plötzlich, wie es gekommen war.

»Was war das?«, wollte Kontos wissen. »Was für eine Art Schiff war das?«

Die Sensoren der Pele hatten automatisch alles aufgezeichnet, was auf sämtlichen Frequenzen des visuellen und elektromagnetischen Spektrums registriert werden konnte. Das Ergebnis wurde nun mit allen in den Datenbanken enthaltenen Informationen verglichen. Die Antwort auf Kontos’ Frage tauchte vor ihm auf dem Display auf, noch bevor er ausgesprochen hatte. »Ein Schiff der Enigmas?«

»Ja, Kapitan«, bestätigte der Ablaufspezialist besorgt. »Eines ihrer leichteren Kampfschiffe, ungefähr so groß wie unsere Leichten Kreuzer.«

»Wie kann ein Enigma-Schiff bei Iwa auftauchen? Der einzige in einem von Menschen kontrollierten Gebiet befindliche Sprungpunkt, den sie in dieser Region erreichen können, ist der bei Midway. Iwa liegt zu weit von den Sternensystemen der Enigmas entfernt, um es mit Sprungantrieb bis hierher zu schaffen. Das Schiff muss sich vor unseren Sensoren versteckt haben«, folgerte Kontos.

»Kapitan«, warf der Systemsicherheit-Spezialist ein. »Wir überprüfen soeben unsere Sensoren und alle anderen Schiffssysteme, aber es finden sich keine von den Enigmas stammenden Würmer, die dafür hätten sorgen können, dass die Anwesenheit eines ihrer Schiffe nicht registriert wird.«

Kopfschüttelnd schaute Kontos weiter auf sein Display. »Wollen Sie damit sagen, das Schiff war nicht da, dann war es auf einmal da, und dann war es wieder weg? Das würde bedeuten, dass es in dieses Sternensystem gesprungen ist und es gleich darauf mit einem weiteren Sprung wieder verlassen hat.«

»Ja, Kapitan«, stimmte ihm der Systemsicherheit-Spezialist widerstrebend zu.

»Wie soll das möglich sein?«, fragte Kontos und ließ den Blick auf der Brücke von einem Spezialisten zum nächsten wandern. »Es gibt da drüben keinen Sprungpunkt.«

»Das ist richtig. Die Position liegt nicht in der Nähe irgendeines Sprungpunkts im Iwa-Sternensystem, Kapitan«, bestätigte der Senior-Spezialist. »Es gibt nur zwei Erklärungen: Entweder war die Beobachtung unzutreffend, vielleicht hervorgerufen durch eine Fehlfunktion in den Sensorsystemen, oder es existiert an dieser Position ein Sprungpunkt, den unsere eigenen Systeme nicht aufspüren können.«

Kontos stutzte. »Ist so etwas möglich? Ein Sprungpunkt, den wir nicht erkennen können?«

Der Ablaufspezialist zögerte. Es war noch nicht lange her, da hätte er sich als Arbeiter im Syndikatsystem jede erdenkliche Mühe gegeben, um jedwede brauchbare Antwort zu vermeiden. Stattdessen hätte er nur das gesagt, was sein Vorgesetzter von ihm hören wollte. Arbeiter hatten auf die schmerzhafte Tour erfahren müssen, dass Vorgesetzte aus dem Syndikat auf keinen Fall schlechte Neuigkeiten zu hören wünschten, ebenso wenig waren sie an unerklärlichen Ereignissen interessiert. Schließlich antwortete der Spezialist bedächtig und wählte jedes Wort mit großer Sorgfalt. »Kapitan, wenn das Enigma-Kriegsschiff tatsächlich hier aufgetaucht ist, dann müssen wir daraus die Erkenntnis ziehen, dass sich an dieser Position in der Tat ein Sprungpunkt befindet, den unsere Sensoren nicht aufspüren können. Es ist aber auch möglich, dass dieses Kriegsschiff nicht dort aufgetaucht ist und dass die Anzeige der Geist einer Fehlfunktion in den Sensorsystemen war, die sich praktisch umgehend wieder von allein behoben hat.«

Kontos nickte. »Überprüfen Sie das. Nehmen Sie eine Diagnose aller Systeme vor. Ich wüsste nicht, wie das etwas anderes sein sollte als die Folge einer Fehlfunktion, aber wir müssen trotzdem alles gründlich überprüfen.«

»Nachricht von der STTE 458«, meldete die Komm-Spezialistin.

Vor Kontos tauchte das Bild der befehlshabenden Offizierin der STTE 458 auf. »Was war das?«, fragte sie. »Ich meine dieses Schiff, dass da eben am Rand des Sternensystems auftauchte.«

Erst nach einer kurzen Pause erwiderte Kontos: »Sie haben das Schiff auch gesehen? Lief das über die Verbindung zur Pele?«

»Nein. Die Sensoren meines Schiffs meldeten unabhängig von denen der Pele eine Beobachtung. Sie haben an der gleichen Position wie Ihre Systeme das Vorhandensein eines Enigma-Kriegsschiffs festgestellt. Und gleich darauf haben sie gemeldet, dass das Schiff so schnell verschwunden war, als wäre es in den Sprungraum übergewechselt.« Die befehlshabende Offizierin des Transporters schüttelte den Kopf. »Aber an der Position verfügt Iwa über keinen Sprungpunkt.«

»Das ist richtig«, sagte Kontos. »Oder besser gesagt, es soll sich dort kein Sprungpunkt befinden. Und wir können dort auch keinen Sprungpunkt sehen.«

»Ich weiß kaum etwas über diese Aliens, diese Enigmas. Können die so etwas?«

Jetzt war es an Kontos, den Kopf zu schütteln. »Ich weiß nicht. Black Jacks Leute haben uns nichts davon erzählt, dass die Enigmas in der Lage sind, Positionen anzuspringen, wo wir keine Sprungpunkte entdecken können. Allerdings haben sie auch zugegeben, dass sie nur wenig über die Enigmas herausfinden konnten.«

»Allianz«, antwortete die Befehlshaberin des Transporters mit einer Mischung aus Abscheu und Wut. »Die würden uns sowieso nicht die Wahrheit sagen.« Ein Jahrhundert Krieg mit der Allianz, ein Krieg, den das Syndikat vor nicht allzu langer Zeit verloren hatte, war Grund genug für so viel Hass, dass der vielleicht niemals ganz vergessen werden konnte.

»Es waren Black Jacks Arbeiter, von denen wir das haben«, betonte Kontos. »Black Jack« Geary, der legendäre Held der Allianz, dem das Unmögliche gelang, indem er von den Toten auferstanden war und die Allianz gerettet hatte, indem er es schaffte, einem Krieg ein Ende zu setzen, der niemals ein Ende zu nehmen schien. Er war es gewesen, der das Syndikat in die Knie gezwungen hatte – und das, obwohl er dabei auf gängige Praktiken wie die Bombardierungen der Zivilbevölkerung und die Hinrichtung von Gefangenen verzichtet hatte, die in hundert Jahren Krieg zum Kriegsalltag geworden waren. Er hatte die Macht des Syndikats gebrochen und Welten wie Midway eine Chance auf Freiheit geboten. »Black Jack ist … er ist für das Volk da.«

Die Befehlshaberin des Transporters schnitt eine Grimasse. »Im Universum scheint es heutzutage von eigentlich unmöglichen Dingen nur so zu wimmeln. Könnten die Enigmas irgendetwas anderes als den Sprungraum benutzt haben?«

Wieder schwieg Kontos einen Moment lang. Er war verärgert darüber, dass ihm diese Möglichkeit nicht in den Sinn gekommen war. »Wir kennen nur zwei Methoden, um von Stern zu Stern zu reisen, ohne dabei gleich Jahrzehnte zu benötigen. Das sagt nichts darüber aus, ob es nicht auch noch andere Methoden gibt. Aber was wir bei diesem Enigma-Schiff da draußen beobachten konnten, entspricht den Begleitumständen, wenn jemand den Sprungraum benutzt.«

»Wie soll sich da ein Sprungpunkt befinden? Sprungpunkte entstehen, weil die Schwerkraftquellen eines Sterns so gewaltig sind, dass sie in die Lage versetzt werden, den Raum an sich weit genug zu dehnen, dass sie winzige Punkte erzeugen, die wiederum wir benutzen können, um in den Sprungraum zu gelangen oder um ihn zu verlassen. Sprungpunkte verharren in Relation zum Stern an der Stelle, wo sie sich gebildet haben. Es ist nicht so, als würden sie kommen und gehen können.«

»Vielleicht hat das Enigma-Schiff eine andere Art von Sprungpunkt benutzt«, überlegte Kontos. »Oder aber die Enigmas haben neue Mittel und Wege gefunden, wie sie unsere Sensoren in die Irre führen können, und es hat da draußen gar kein Schiff gegeben.«

»Was sollen wir tun?«

»Wir werden versuchen, beiden Möglichkeiten so weit auf den Grund zu gehen, wie es geht«, sagte er. »Auch wenn keines unserer Schiffe irgendwelche exotischen Messinstrumente an Bord hat, die uns etwas anzeigen könnten, was wir nicht sehen können. Liefern wir einfach unsere Ladung so schnell wie möglich ab, sobald wir den Planeten erreicht haben, damit wir nach Midway zurückkehren können. Ich will unbedingt Bericht erstatten.«

Was dieses unerklärliche Auftauchen eines Enigma-Schiffs bei Iwa zu bedeuten hatte, wusste er nicht, aber es konnte nichts Gutes verheißen. Das galt auch für den Fall, dass die Enigmas womöglich einen neuen Weg gefunden hatten, um die Sensoren menschlicher Schiffe zum Narren zu halten. Über Jahrzehnte hinweg hatten sich die Enigmas jeglichen Verhandlungen verweigert und nicht einmal ihre Existenz offen zu erkennen gegeben. Für die Sensoren des Syndikats waren sie immer unsichtbar geblieben, wenn sie ohne Vorwarnung in von Menschen besetzte Sternensysteme einfielen und die Raumschiffe der Menschen zerstörten. Sollten sie jetzt in der Lage sein, mit einem direkten Sprung andere von Menschen besetzte Sternensysteme außer Midway zu erreichen, so war das eine wahrhaft ernst zu nehmende Bedrohung.

Präsidentin Iceni musste davon erfahren. Sie wusste, was zu tun sein würde.

Die größte Stadt auf dem als Midway bekannten Planeten in einem Sternensystem, dem die Menschen den gleichen Namen gegeben hatten, war ganz den Standards des Syndikats entsprechend angelegt worden. Da Kurven nicht effizient waren, verliefen alle Straßen schnurgerade, und genauso gerade Linien wiesen auch die Gebäude auf, die diese Straßen säumten. Dieses Design bedeutete zudem, dass man in alle Richtungen freie Sicht hatte, was für eine andere Standardeinrichtung einer jeden Syndikat-Stadt von Nutzen war: für die Überwachungssysteme, mit denen rund um die Uhr jeder Quadratzentimeter beobachtet wurde. Auch wenn die Agenten des Inneren Sicherheitsdienstes (die von den Bürgern den Spitznamen »Schlangen« erhalten hatten) während der Rebellion durch Präsidentin Iceni und General Drakon eliminiert worden waren, existierten die Überwachungssysteme immer noch, nur dass sie jetzt von anderen Beobachtern bedient wurden.

Zu den weiteren Standards des Syndikats, denen man überall begegnete, gehörten Korruption, schlampige Arbeit überall dort, wo untermotivierte Arbeiter nicht erwischt werden konnten, und schlecht ausgeführte Bauarbeiten überall dort, wo raffgierige Unternehmen damit durchkamen. Dank Bestechung, falsch platzierter Überwachungsanlagen und minderwertiger Qualität der eigentlichen Ausrüstung gab es in einem System, das eigentlich alles sehen sollte, überall in der Stadt blinde Flecken. An diesen Stellen blühte das Verbrechen, und das Laster fand ein Ventil. Wer nicht gesehen werden wollte, blieb dort für die Beobachter unsichtbar. Die Präsidentin und der General arbeiteten zwar konstant daran, die Dinge zu verbessern, die unter der Herrschaft des Syndikats falsch gelaufen waren, doch in der Unterwelt einer von Menschen bevölkerten Stadt ging es immer noch so zu wie vor tausend Jahren und mehr, und daran würde sich auch so bald nichts ändern.

Colonel Bran Malin folgte wachsam dem Verlauf einer kurzen Gasse, wobei er vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte, damit er kein Geräusch verursachte. Eine Sicherheitslampe, die für Licht in dieser Gasse sorgen sollte, hatte noch nie funktioniert, doch die »Katzenaugen«-Kontaktlinsen, die Malin benutzte, sorgten ungeachtet der nächtlichen Dunkelheit für ein ausreichend klares Bild des vollgestellten Wegs. Sein Anzug, der dem Stil eines durchschnittlichen niederen Executive entsprach, wirkte völlig harmlos, verfügte tatsächlich aber über eine Vielzahl von Waffen und Verteidigungsvorrichtungen. Für ihn war der Anzug eine Art Jagdausrüstung, da sein Zweck darin bestand, Beute zu verfolgen und zu erlegen.

Menschliche Beute, um genau zu sein, denn Malin war entschlossen, jeden zu beseitigen, der es auf Drakon oder Iceni abgesehen hatte, und das lange bevor derjenige einem von beiden zu nahe kommen konnte. Manchmal irritierte es ihn, dass er keinerlei Bedenken verspürte, jeden zu töten, den er allein schon verdächtigte, dass er eine Bedrohung darstellen könnte. Vielleicht lag es daran, dass er mit diesem Vorgehen so bedeutende Ziele verfolgte. Oder aber er hatte die Gewissenlosigkeit seiner Mutter geerbt, was ihn gleichermaßen irritierte.

Als auf einem der Schirme seines Palm-Pads wieder eine Bewegung vorbeizuckte, da sich jemand von einem blinden Fleck des Überwachungssystems zum anderen begeben hatte, erstarrte Malin mitten in der Bewegung. Diesem Jemand folgte er jetzt bereits seit über einer Stunde und lieferte sich mit ihm ein Katz-und-Maus-Spiel in Zeitlupe. Es handelte sich nicht um einen gewöhnlichen Kriminellen, sondern um einen äußerst erfahrenen Agenten, der sich jener Techniken bediente, wie sie nur jemand beherrschte, der von den Schlangen des Syndikats ausgebildet worden war. Malin hatte die gleiche Ausbildung erlangt, hätte dafür aber mit dem Tod bezahlen müssen, wenn die Schlangen dahintergekommen wären, auf welche Weise das geschehen war.

Handelte es sich um eine überlebende Schlange, die aus dem Verborgenen heraus agierte? Oder war es so jemand wie Malin, der nur anderen Herren als dem Syndikat diente?

Und wohin war er unterwegs? Seine Beute hatte sich zuerst allem Anschein nach auf Orte und Dinge konzentriert, die mit General Drakon und Colonel Morgan zu tun hatten. Dadurch war Malins erste Überlegung die gewesen, dass es um das Versteck von General Drakons kleiner Tochter ging. Drakon wollte das Mädchen unbedingt finden, um es vor der Erziehung zu bewahren, die Morgan für sie vorgesehen hatte. Für Malin war das Mädchen immer nur Drakons Tochter, aber nicht seine eigene Halbschwester. Wenn er darüber nachdachte, welches Verwandtschaftsverhältnis zwischen ihm und ihr bestand, weckte das Gefühlsregungen, die ihn genau dann abzulenken und wütend zu machen drohten, wenn volle Konzentration und kühle Gelassenheit erforderlich waren.

Doch der lange, sorgfältig gewählte Weg durch die Stadt hatte Malin zu der Vermutung gelangen lassen, dass diese Reise einen anderen Grund hatte.

Malin hatte lange genug gewartet, um sicherzustellen, dass der andere nur eine minimale Chance hatte ihn zu entdecken, sollte er ebenfalls Zugang zum Überwachungsnetzwerk der Stadt haben. Jetzt bewegte er sich zügig und zielstrebig vom Ende der Gasse in die Straße, in die sie einmündete. Dicht an die Hauswand in seinem Rücken gedrückt glitt er am Gebäude entlang, bis er um die Ecke in die nächste Gasse verschwinden konnte.

Er blieb stehen und musterte erneut das Display seines Pads. Zwischen seinen Schulterblättern machte sich ein Kribbeln bemerkbar, hervorgerufen von einem sechsten Sinn, der ihn warnte, dass jemand eine Waffe auf seinen Rücken gerichtet hatte. Er machte einen Satz vorbei an einer Lücke in der Mauer und rannte ein kurzes Stück, ehe er in einem düsteren Hauseingang stehen blieb. In einer Hand hielt er eine kleine, aber extrem tödliche Waffe.

Das Überwachungsnetz lieferte Malin nur wenig hilfreiche Informationen, doch sein Instinkt sagte ihm, dass die Beute allmählich genug von der Jagd hatte und nun anscheinend versuchte, selbst zum Jäger zu werden. Seit zwanzig Minuten wuchs Malins Überzeugung, dass seine Beute von ihrem Verfolger wusste und nicht bloß versuchte, sich vor zufälligen Beobachtern, sondern ganz gezielt vor Malin zu verstecken.

Zwei Polizisten waren in einer Straße ganz in der Nähe unterwegs, ihre beiläufige Unterhaltung und der Hall ihrer Schritte nahmen Malins Sinne, die auf leisestes Flüstern eingestellt waren, so laut wie Schüsse wahr. Die Polizisten besaßen die gleiche Art von Pad wie er, und zweifellos hatten sie auch beide gerade den Blick darauf gerichtet, aber von Malin und seinem Ziel konnten sie nichts sehen, weshalb ihnen auch kein Warnhinweis angezeigt wurde. Das Syndikat hatte über Generationen hinweg versucht, die Routinen für Künstliche Intelligenzen in Überwachungssystemen zu perfektionieren. Aber jede KI arbeitete nach bestimmten Regeln, und wenn man diese Regeln kannte, musste man sich nur von den Mustern und Strukturen fernhalten, nach denen eine KI suchte.

Der menschliche Verstand dagegen folgte keinen starren Regeln. Seine Fähigkeit, ohne Rücksicht auf bestimmte Regeln und starre Überzeugungen, frei denken zu können, hatte es den Menschen auf der Alten Erde möglich gemacht, den Planeten zu beherrschen, zu den Sternen zu reisen und dabei auch bis nach Midway vorzudringen. Dieser gleiche freie Geist hatte Malin in diese Gasse geführt.

Malin bemerkte eine winzige Fluktuation, die auf eine Bewegung hinwies, und folgte Schritt für Schritt einem Pfad, der ihn näher an die Route heranführen würde, auf der seine Beute unterwegs war. Aber hatte diese Beute tatsächlich einen Zug unternommen, um Malin anzugreifen? Oder redete sich Malin das nur ein, weil die lange Verfolgungsjagd und die geistige Anstrengung, sich nur innerhalb der blinden Flecken im Überwachungsnetz zu bewegen, allmählich zu viel wurden?

Wieder blieb er stehen und atmete langsam und leise ein und aus, während er die Dunkelheit nach einer Bewegung absuchte, die von den Überwachungssensoren eventuell nicht wahrgenommen worden war. Ein Sensorsystem konnte gehackt werden, und das war auch schon unzählige Male geschehen, um zu verhindern, dass bestimmte Personen oder Geschehnisse ans Tageslicht gezerrt wurden. Malin trug die notwendige Ausrüstung selbst bei sich, um in die Kontrollsoftware des Systems einzudringen und beobachtende Blicke von sich abzuwenden. Allerdings hatte er in dieser Nacht bislang nicht zu einer solchen Maßnahme gegriffen. Er hatte den Verdacht, dass seine Beute über die gleiche Fähigkeit verfügte und in dem Moment auf ihn aufmerksam werden würde, wenn er selbst in Aktion trat.

Ein Shuttle schoss aus dem Orbit kommend über die Stadt hinweg und flog in Richtung des Landeplatzes am Stadtrand weiter. Ein nicht so guter Spürhund hätte sich davon ablenken lassen, doch Malin hielt alle Sinne auf die Anzeige konzentriert, weshalb er auch das vereinzelte Flackern bemerkte, das auf weitere Bewegungen in genau dem Augenblick hinwies, als das Shuttle sich über ihnen befunden hatte.

Das war zu leicht, überlegte Malin irritiert. Sein Ziel hatte während der gesamten Verfolgung nicht ein einziges Mal eine so offensichtliche Bewegung erkennen lassen. Wurde seine Beute müde und unachtsam? Oder war das verräterische Verhalten Absicht gewesen, deutlich genug und gleichzeitig doch so dezent, dass es geeignet war, einen müden Jäger, der seiner Jagd ein Ende setzen wollte, zu einem falschen Schritt zu verleiten?

Morgan hätte denjenigen schon längst erwischt. Malin konnte diesen Gedanken nicht abwehren, mit dem er sich selbst verspottete. Morgan hatte in einer ganz eigenen Liga gespielt, aber sie war inzwischen so gut wie sicher tot. Er musste sich nicht länger mit ihr messen, er musste sich nicht länger einen Wettstreit mit dieser Frau liefern, der nicht bewusst war, dass Malin ihr eigener Sohn war. Fast hätte er sich beeilt, beinahe versucht, seine Beute zu fassen zu bekommen und damit den Beweis zu liefern, dass er genauso gut war wie Morgan.

Mehr Bewegungen, mehr Geräusche, mehrfaches Flackern auf einem wegführenden Pfad.

Seine Beute rannte vor ihm weg.

Ein weniger guter Jäger als Malin hätte wohl versucht, seiner Beute hinterherzueilen. Und er hätte vielleicht auch einen Moment lang gezögert und überlegt, ob er die Verfolgung tatsächlich aufnehmen sollte.

Ein weniger guter Jäger wäre Sekunden später tot gewesen.

Malin rannte in entgegengesetzter Richtung davon. Ohne länger darauf bedacht zu sein, von niemandem bemerkt zu werden, rannte er durch die Gasse und versuchte, so weit wie möglich auf Abstand zu seiner letzten Position zu gehen.

Die Explosion erfolgte in der Sekunde, als Malin eben um eine Gebäudeecke bog und dahinter Deckung suchte.

Der Lärm der Explosion ebbte ab, an seine Stelle rückten laute Rufe, Schreie und heulende Sirenen. Malin stieß sich von der Mauer des Gebäudes ab, klopfte den Staub von seinem Anzug und startete die Software-Routinen, die dafür sorgten, dass er für das Sensornetz unsichtbar wurde. Dann ging er weg.

Die Jagd war ein Fehlschlag gewesen. Ein Feind, der General Drakon und Präsidentin Iceni gefährlich werden konnte, war immer noch auf freiem Fuß. Er würde den Vorfall melden müssen. Er würde Drakon und Iceni davon in Kenntnis setzen müssen, dass jemand für sie eine Bedrohung darstellte und dass er bei dem Versuch gescheitert war, diese Bedrohung auszuschalten. Die beiden würden entscheiden müssen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Oder besser gesagt: Präsidentin Iceni würde das entscheiden. Auch wenn die beiden gleichberechtigt waren, hatte sich Drakon seit einer Weile mehr und mehr um die äußere Sicherheit gekümmert, während sie ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich den internen Angelegenheiten widmete. Es würde daher wahrscheinlich Iceni sein, die eine Entscheidung traf.

Ein allzu vertrauter Tadel hallte durch Malins Kopf: Morgan hätte die Beute nicht entwischen lassen.

Kommodor Marphissa hatte vor langer Zeit jegliche Hoffnung aufgegeben, jemals wieder eine Nacht durchschlafen zu können. Wenn es nicht gleich eine ganz große Sache war, die mitten in der »Nacht« an Bord des Schweren Kreuzers Manticore ihre Aufmerksamkeit erforderte, so kam doch immer mindestens irgendeine Kleinigkeit dazwischen.

Das hier war allerdings keine Kleinigkeit.

»Tänzer, Kommodor! Vierundzwanzig Tänzer-Schiffe sind soeben am Sprungpunkt nach Kane eingetroffen!«

Sie saß auf dem Bett in ihrem abgedunkelten Quartier und rieb sich die Augen, während sie versuchte, diese Neuigkeit zu begreifen. Dann warf sie dem Spezialisten einen finsteren Blick zu, der die Meldung gemacht hatte. »Am Sprungpunkt nach Kane? Vierundzwanzig Tänzer-Schiffe?«

»Ja, Kommodor«, bestätigte der Spezialist.

»Habe ich nicht mitbekommen, dass vierundzwanzig Tänzer-Schiffe in unserem Gebiet eingetroffen sind? Wann ist das passiert? Während ich bei Ulindi war?«

»Nein, Kommodor. Ich habe alle Aufzeichnungen überprüft. Es gibt keinen Bericht über die Anwesenheit auch nur eines Tänzer-Schiffs, seit die Flotte, die Black Jacks Schwere Kreuzer begleitet hatte, in ihr eigenes Gebiet zurückgekehrt ist.«

Marphissa schaute weiter mit düsterer Miene auf den Komm-Monitor, doch ihr Blick galt nicht länger dem nervösen Spezialisten, dessen Worte sie sich durch den Kopf gehen ließ. Die Tänzer waren von allen fremden Spezies, denen die Menschheit bislang begegnet war, die Einzigen, die an einer friedlichen Koexistenz interessiert zu sein schienen. Genau genommen sah es sogar so aus, als würden sie sich den Menschen gegenüber freundschaftlich verhalten, was man eigentlich nicht von Aliens erwartet hätte, die aussahen, als hätte sich ein Wolf mit einer riesigen Spinne gepaart. Doch die Tänzer hatten Midway vor einem verheerenden Bombardement bewahrt, das von den Enigmas in die Wege geleitet worden war. Die Enigmas waren eine fremde Rasse, die der Menschheit nur mit Feindseligkeit begegnete, ganz gleich, unter welchen Umständen man auf sie traf. Allein das war für Marphissa Grund genug, die Tänzer als Verbündete in einem Universum anzusehen, das ihr vom Syndikat von klein auf als feindselig und unerbittlich beschrieben worden war. »Wie sind sie nach Kane gekommen?«

»Kommodor, ich weiß nicht …«

Das Bild des Spezialisten wich mitten im Satz dem von Kapitan Diaz, dem befehlshabenden Offizier der Manticore. Er war offensichtlich auch aus dem Schlaf geholt worden, aber er hatte sich bereits auf die Brücke des Schweren Kreuzers begeben. »Kommodor, unsere Sensoren geben an, dass eine große Zahl der Tänzer-Schiffe Gefechtsschäden aufweist.«

»Gefechtsschäden?« Das wurde ja immer kurioser. »Können wir erkennen, welche Art von Waffen diese Schäden herbeigeführt hat?«

»Die Schäden würden zu einer Vielzahl von Waffen passen«, antwortete Diaz, der die Daten auf einem anderen Bildschirm studierte. »Schäden, die von Höllenspeeren oder ähnlichen Partikelstrahlwaffen stammen können. Beschädigungen von Explosionen, wie sie bei dem Beschuss mit Raketen verursacht werden können. Einige Schäden deuten auf kinetische Waffen wie Kartätschen hin. Da wir nicht genug über die spezifischen Eigenschaften ihrer Schiffshüllen wissen, lässt sich nicht bestimmen, ob Waffen der Allianz oder des Syndikats dafür verantwortlich sind. Es könnten sogar Waffen der Enigmas gewesen sein.«

Diaz schaute zur Seite, da anscheinend eine neue Meldung eintraf. »Wir haben soeben eine Textnachricht von den Tänzern erhalten, Kommodor. Sie besteht nur aus den Worten: ›Auf dem Heimweg.‹«

»Auf dem Heimweg?«, wiederholte Marphissa verdutzt. »Von wo kommend? Gegen wen haben sie gekämpft?«

»Da kommt noch eine Nachricht.« Diesmal stutzte auch Diaz. »Die Tänzer sagen: ›Beobachtet die vielen Sterne.‹ Waren das nicht auch die Worte der letzten Gruppe, als die abgereist ist?«

»Ja. Vielleicht bekommen wir ja von dieser Truppe noch eine Erklärung, bevor sie sich ebenfalls verabschiedet.«

»Mehr als das haben wir nicht, Kommodor«, gab Diaz zurück.

»Ich werde einen Bericht für Präsidentin Iceni vorbereiten«, beschloss Marphissa und überlegte, was sie schreiben sollte. Iceni würde weitere Informationen haben wollen. Jeder würde das wollen. Aber das Wenige, was an Informationen vorhanden war, warf nur umso mehr Fragen auf. Tänzer-Schiffe, die irgendwo aus dem von Menschen besiedelten Gebiet kamen, ohne dass jemand etwas von deren Eintreffen in diesem Gebiet mitbekommen hatte. Tänzer-Schiffe, die Anzeichen für ein schweres Gefecht aufwiesen, ohne dass jemand wusste, wo sie gegen wen gekämpft hatten. Und dann noch die erneute Warnung: »Beobachtet die vielen Sterne«; eine Warnung, deren Sinn sich immer noch niemandem erschloss.

Hoffentlich wusste die Präsidentin, was zu unternehmen war.

Zwei

General Artur Drakon, vormals CEO der Syndikatwelten, beobachtete Präsidentin Gwen Iceni, ebenfalls eine ehemalige CEO des Systems, wie sie in ihrem Büro auf und ab ging. Eine Wand des Raums erschien als großes Fenster mit Ausblick auf einen Strand, und jedes Mal, wenn sie dort ankam, blieb sie kurz stehen und sah auf die Wellen, ehe sie sich umdrehte und in die andere Richtung zurückging. Tatsächlich war dieses Büro ein unterirdischer, unter etlichen Schichten massiver Panzerung verborgener Raum. Für CEOs des Syndikats war es nur selbstverständlich, etliche Feinde zu haben, die sämtlich die erstbeste Gelegenheit nutzen würden, um sie mit Vergnügen umzubringen. Manche dieser Feinde konnten auch Mitarbeiter und andere CEOs sein.

»Was zum Teufel soll ich jetzt unternehmen?«, fragte Iceni aufgebracht. »Wie sind diese Tänzer nach Kane gekommen? Wie sind sie auf die andere Seite von Kane gelangt, ohne dabei Midway zu durchqueren, wenn sie zuvor durch den Sprungpunkt nach Pele ins System eintraten?« Pele war erst eine Generation zuvor durch die Enigmas eingenommen worden, und Black Jacks Flotte hatte seitdem als einzige von Menschen befehligte Flotte dieses Sternensystem aufgesucht. »Wir haben im gesamten von Menschen besiedelten All den einzigen Sprungpunkt, zu dem die fremden Rassen Zugang haben.«

Drakon saß entspannt in seinem Sessel und betrachtete weiter Iceni. Sogar unter Umständen wie diesen sah er ihr gern dabei zu, wie sie hin und her ging. Icenis Art zu gehen war von einer Sicherheit und Eleganz, die ganz natürliches Selbstbewusstsein hervorrief. »Sie müssen über irgendeine Möglichkeit verfügen, andere Sprungpunkte erreichen zu können.«

»Das ist unmöglich, Artur«, beharrte sie, milderte aber ihren Widerspruch gegen seine Überlegung ab, indem sie ihn im gleichen Atemzug mit seinem Vornamen ansprach.

»Gibt es denn irgendeine andere Erklärung, Gwen?«, wollte er von ihr wissen und benutzte gleichfalls ihren Vornamen, um ihr nicht das Gefühl zu geben, er versuche ihren Argumenten zu widersprechen. »Soweit uns bekannt ist, stellt es für die Tänzer ein Ding der Unmöglichkeit dar, auf andere Sprungpunkte in unserem Territorium zuzugreifen. Aber sie sind jetzt hier, und sie sind nicht durch den Sprungpunkt nach Pele ins System gekommen.«

Iceni blieb stehen und betrachtete wieder den Strand mit seinen Wellen, die unablässig in Bewegung waren. »Nein, für uns ist es unmöglich. Wir haben aber keine Ahnung, wozu die Tänzer in der Lage sind.«

»Glauben Sie, Black Jack hätte es uns gesagt, wenn er wüsste, dass sie so etwas können?«, fragte Drakon.

»Ich weiß es nicht. Ich glaube schon, schließlich wäre ihm klar, dass eine derartige Erkenntnis unsere Verteidigung dieser Region gegen die Enigmas umso komplizierter macht. Wenn nämlich die Tänzer einfach zu anderen Sternen springen können, dann sind die Enigmas womöglich …« Sie unterbrach sich und drehte den Kopf zu Drakon um. »›Beobachtet die vielen Sterne‹? Wollen die Tänzer uns damit sagen, dass die Enigmas ein anderes System als Midway angreifen werden?«

»Das will ich nicht hoffen«, sagte Drakon. »Sehe ich das richtig, dass unsere Kriegsschiffe kaum genügen, um Midway zu verteidigen?«

»Unsere Kriegsschiffe reichen nicht aus, um Midway richtig verteidigen zu können«, gab Iceni mit besorgtem Unterton zurück. »Vor allem dann nicht, wenn wir auch noch damit rechnen müssen, dass das Syndikat einen erneuten Angriff startet. Und das Syndikat wird nicht aufgeben, nur weil wir ihm bei Ulindi einen schweren Schlag versetzt haben.«

Das Komm-Signal auf ihrem Schreibtisch blinkte hektisch auf. »Ja?«, fragte sie, nachdem sie eine Taste betätigt hatte.

Das Bild eines Wachhabenden im planetaren Kommandozentrum tauchte vor ihr auf. »Madam Präsidentin, wir haben soeben beobachtet, dass die Pele und STTE 458 vom Sprungpunkt nach Iwa zurückgekehrt sind. Kapitan Kontos berichtet, dass er seine Mission erfolgreich abgeschlossen hat. Seinem Missionsbericht hat er noch eine Notiz angehängt, die nur für Sie bestimmt ist.«

»Stellen Sie den Bericht durch«, befahl Iceni, wartete eine Sekunde und sah, wie Kontos den Platz des Wachhabenden einnahm. Sie hörte sich den Bericht über die Ereignisse bei Iwa an, ohne eine Miene zu verziehen, dann sah sie Drakon an. »Bei Iwa wurde ein Enigma-Schiff gesichtet. Scheint so, als würden Sie mit Ihrer Vermutung richtigliegen.«

Drakon verzog das Gesicht und ging im Geiste alle zur Verfügung stehenden Optionen durch. »Mir wäre lieber, ich hätte mich geirrt. Iwa könnten wir mühelos einnehmen. Eine einzelne Kompanie Bodenstreitkräfte des Syndikats würde sich gegen ein einziges Bataillon meiner Soldaten keine fünf Sekunden lang behaupten können. Nicht mal dann, wenn sich diese Bodenstreitkräfte mit aller Macht gegen uns zur Wehr setzen würden, was ich an ihrer Stelle lieber bleiben ließe. Aber wie können wir genug unserer Kriegsschiffe bei Iwa in Position bringen, um einen Angriff der Enigmas abzuwehren, und gleichzeitig für einen ausreichenden Schutz hier bei Midway sorgen?«

Iceni rief eine Darstellung der umliegenden Sterne auf, das Bild trieb in der Nähe des Schreibtischs in der Luft. »Sie verfügen über mehr militärische Erfahrung als ich. Wären Sie ein Enigma, was würden Sie tun?«

Drakon betrachtete die Sterne und rieb sich nachdenklich übers Kinn. Die Möglichkeiten, die er sah, gefielen ihm gar nicht. »Wenn ich einer von den Enigmas wäre? Das würde davon abhängen, wie viel ich über die Verteidigung von Midway und Iwa weiß. Wie viel wissen diese Enigmas?«

»Wir haben jedenfalls Besuch von den Enigmas bekommen. Sie haben uns ausgekundschaftet«, antwortete Iceni und deutete auf das Symbol für den Sprungpunkt, an dem die Schiffe eintrafen, die von Pele kamen. »Ein einzelnes Enigma-Schiff unternimmt den Sprung ins System, macht eine Momentaufnahme von allem, was gerade zu sehen ist, und nach nicht einmal einer Minute verschwindet es wieder. Was bei Iwa beobachtet wurde, könnte dem gleichen Zweck dienen.« Ihre Miene hellte sich auf. »Und das ist genau in dem Moment geschehen, als sich ein Schwerer Kreuzer und ein Truppentransporter bei Iwa aufhielten. Die Enigmas werden vielleicht glauben, dass Verstärkung für die Garnison dort unterwegs war.«

»Und wenn die Enigmas die Schiffe identifiziert haben und wissen, dass sie nach Midway gehören?« Drakon war nicht gewillt, die Situation allzu optimistisch einzuschätzen.

Iceni kniff die Augen ein wenig zusammen und sah auf das Display. »Dann würde es nach einer Invasionsstreitmacht aussehen, nicht wahr?«, sagte sie. »Die Enigmas würden ihre Beobachtung vermutlich so auslegen, dass wir Iwa bereits erobert haben.« Sie seufzte leise. »Wäre das nun gut oder schlecht für uns?«

»In Bezug darauf, wie die Enigmas das sehen?«, fragte Drakon. »Wenn ich das wüsste. Angenommen, die Enigmas glauben jetzt, dass uns Iwa gehört, und angenommen, sie gelangen nach Iwa, um das Sternensystem anzugreifen, dann würde ich an deren Stelle versuchen, das zuerst zu erobern. Die Enigmas können rechnen, also werden sie wissen, dass wir nicht über genügend Kriegsschiffe verfügen, um beide Sternensysteme ausreichend zu verteidigen. Also nehmen sie Iwa ein, weil sie da nicht schon zweimal zurückgedrängt wurden, und danach rücken sie auf Midway vor, vielleicht sogar mit zusätzlichen Schiffen, um von Pele und Iwa aus gleichzeitig zuzuschlagen.«

Sie nickte zustimmend. »Wenn wir unsere Streitkräfte zu großflächig verteilen, werden wir überall zu schwach sein. Aber wenn wir unsere Streitkräfte hier konzentrieren, werden sie Iwa einnehmen und glauben, sie hätten uns etwas weggenommen. Das ist nicht gut.« Sie schaute sich um, als ob sie jemanden suchte, dann setzte sie sich seufzend hin. »Ich denke noch immer, dass er in meiner Nähe ist, wenn ich ihn brauche.«

Drakon kämpfte gegen reflexartiges Unbehagen an und versuchte, so neutral wie möglich zu klingen. »Reden Sie von Ihrem früheren Assistenten?«

»Ja.« Nach Icenis Blick zu urteilen, war es Drakon nicht einmal ansatzweise gelungen, seine Gefühle zu überspielen. »Wir wissen noch immer nicht, was mit Mehmet Togo passiert ist, Artur. Ja, es kann sein, dass er mich hintergangen und dann die Flucht angetreten hat. Oder aber er ist dem Feind in die Finger gefallen. Wir wissen es nicht«, betonte sie.

»Es wäre nicht so einfach gewesen, ihn auszuschalten«, sagte Drakon behutsam. »Darf ich Sie etwas fragen?«

»Nein.« Im nächsten Moment lächelte sie flüchtig. »Aber tun Sie’s trotzdem.«

»Was macht Sie so sicher, dass nicht ich oder einer von meinen Leuten Togo aus dem Weg geräumt hat?«

Sie nahm sich Zeit mit ihrer Antwort, ihr Blick kehrte zum Standbild zurück. »Weil Sie mir so etwas nicht antun würden. Und wenn er einem Ihrer Leute zum Opfer gefallen wäre, hätten Sie davon erfahren und es mir gesagt.«

Wieder verzog Drakon das Gesicht und verspürte eine Mischung aus Wut und Unzufriedenheit. »Sie wissen, wie sehr ich mich geirrt habe, als ich dachte, dass ich meine beiden engsten Assistenten kenne.«

Iceni nickte, ohne sich von den Wellen abzuwenden. »Colonel Morgan starb auf Ulindi.«

»Das werde ich erst mit Sicherheit wissen, wenn ich ihre Leiche sehe. Und selbst dann werde ich mich immer wieder fragen, ob sie sich vielleicht nur geklont hat, um selbst unterzutauchen, ohne dass ich es erfahre. Offenbar vertrauen Sie immer noch Colonel Malin.«

Wieder nickte sie. »So sehr, wie ich jedem anderen vertraue.« Wieder eine Pause. »Sie ausgenommen.«

Er sah sie eindringlich an und fragte sich, wieso Iceni etwas gesagt hatte, was niemand sagen sollte, der zum CEO des Syndikats ausgebildet worden war. »Ähm … wenn das so ist … Da Sie ja einen guten und vertrauenswürdigen Assistenten benötigen, kann ich Ihnen Colonel Malin ausleihen.«

Lachend drehte sich Iceni zu ihm um. »Ihr Agent soll mein persönlicher Assistent sein? Er soll über jedes meiner Geheimnisse und alle meine Entscheidungen Bescheid wissen? Was glauben Sie, wie weit mein Vertrauen in Sie reicht?«

»Darum geht es nicht«, gab Drakon zurück und fragte sich, ob er eigentlich wirklich die Wahrheit sagte. »Es geht darum, wie weit Sie Malin vertrauen.«

»Verstehe.« Sie wirkte immer noch amüsiert. »Und wer soll dann Ihr persönlicher Assistent sein, wenn Sie neben Colonel Morgan auch noch auf Colonel Malin verzichten müssen?«

»Colonel Gozen.«

Iceni zog die Augenbrauen hoch, tippte ein paar Befehle ein und las dann die Daten durch, die ihr angezeigt wurden. »Celia Gozen? Ehemalige Executive Dritter Klasse? Vor Kurzem bei Ulindi gefangen genommen?«

»Eigentlich wurde sie nicht gefangen genommen«, wehrte Drakon ab. »Sie ist eine gute Soldatin. Und sie wurde äußerst gründlich durchleuchtet. Colonel Malin selbst hat diese Durchleuchtung geleitet.«

»Verstehe.« Iceni sah Drakon fragend an. »Und was hält Colonel Malin davon, dass Colonel Gozen einen solchen Posten bekommen soll?«

»Es gefällt ihm nicht«, räumte Drakon ein. »Daher weiß ich auch, dass er mir den leisesten Verdacht sofort gemeldet und mich auf jegliches Problem Gozen betreffend deutlich hingewiesen hätte.«

Iceni beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und musterte Drakon skeptisch. »Trotzdem, Artur. Ein derart neues Mitglied Ihrer Mannschaft, dem Sie auf so hohem Niveau vertrauen?«

»Ich habe ein gutes Gefühl«, sagte er, wusste aber, dass sein Tonfall etwas Trotziges an sich hatte. Er konnte nur hoffen, dass Iceni jetzt nicht darauf zu sprechen kommen würde, wie fehl am Platz sein Vertrauen in Colonel Morgan gewesen war.

Sie tat es dann doch, aber nicht so, wie er es erwarte hatte. »Hmm. Selbst die sehr wahrscheinlich verschiedene Colonel Morgan hat Sie ihrer eigenen Ansicht nach nicht verraten. Sie dachte, sie würde Ihnen helfen. Was hat Gozen an sich, dass Sie sie in Ihrer Nähe haben wollen?«

Drakon zuckte mit den Schultern. »Sie ist … direkt. Normalerweise zeigt sie den angemessenen Respekt, aber sie hat kein Problem damit, mir ins Gesicht zu sagen, dass ich mich irre oder dass ich etwas übersehen habe. Und wenn ich sie nicht völlig verkehrt einschätze, sind ihr die Leute, die für sie arbeiten, wichtiger als das Ego ihres Vorgesetzten. Jemand in meiner Position braucht jemanden von diesem Schlag, und diese Leute findet man nur sehr selten.«

Abermals zog Iceni die Augenbrauen hoch. »Sie war bis zuletzt eine Executive der Bodenstreitkräfte des Syndikats. Wieso wurde Gozen nicht längst hingerichtet oder in ein Arbeitslager geschickt, wenn sie ihrem Vorgesetzten gesagt hat, dass er sich irrt?«

»Weil sie einen Schutzengel hatte«, antwortete Drakon und deutete auf die Informationen, die Iceni aufgerufen hatte. »Ihren Onkel, der in der gleichen Einheit diente. Ich bin mir sicher, dass Sie das alles bereits wissen.«

»Ja.« Iceni stützte das Kinn auf ihre Hand auf, während sie Drakon ansah. »Ich weiß auch, dass Sie die gleichen Einwände hätten vorbringen können, als ich Kapitan Mercia das Kommando über die Midway übertrug, unser bislang mächtigstes Kriegsschiff. Aber das haben Sie nicht getan. Sie haben auf mein Urteil vertraut, also werde ich jetzt auch auf Ihr Urteil vertrauen. Ich habe nicht das Recht, über Ihren persönlichen Stab zu urteilen, deshalb weiß ich Ihre offensichtliche Bereitschaft, dennoch mit mir darüber zu reden, umso mehr zu schätzen.«

»Sie benutzen schrecklich oft dieses Wort ›Vertrauen‹«, stellte Drakon fest und konnte sich ein erleichtertes Lächeln nicht verkneifen.

»Ich weiß. Ich entwickle mich zu einer richtiggehenden Offizierin der Allianz, nicht wahr? Ich prahle ständig mit meiner Ehre und bekunde, wie tugendhaft ich doch im Vergleich zu den Syndiks bin, die den niedersten Abschaum aller Welten darstellen.« Iceni sah einen Moment lang nach unten, ein Ausdruck von Trauer huschte über ihr Gesicht. »Das waren wir auch, nicht wahr? Abschaum. Wenn ich bedenke, was ich alles getan habe, nur um zu überleben. Um CEO zu werden …«

»Jeder von uns hat eine Menge getan, an das er lieber nicht erinnert werden möchte«, unterbrach Drakon sie. »Wir haben es getan, um zu überleben und um es eines Tages besser machen zu können. Und das ist genau genau das, was wir jetzt tun.«

»Etwas Besseres? Ich wollte nur einen Posten erreichen, der mir so viel Macht gibt, dass mich niemand mehr bedrohen kann. So viel Macht, dass ich mich an allen rächen konnte, die mir wehgetan hatten. Darum ging es, Artur, nur darum.« Sie stützte sich auf dem Tisch ab und stand auf. »Das ist die Vergangenheit. Heute haben wir die Chance, etwas besser machen zu können, und wir haben ein Sternensystem, das wir verteidigen müssen. Ich möchte eine Besprechung abhalten, an der mehr Leute beteiligt sind als nur Sie und ich. Einverstanden? Sie, ich, Captain Bradamont, Ihr Colonel Malin … und Colonel Gozen. Sonst noch jemand?«

»Was ist mit Ihrer Kommodor?«

Iceni sah auf ihr Display. »Die Manticore ist eine Lichtstunde von uns entfernt. Bei dieser Zeitverzögerung kann Marphissa nichts zur Unterhaltung beitragen. Die Midway und die Pele sind sogar noch weiter draußen.« Sie setzte zu einer Drehung an, hielt dann aber inne und schüttelte den Kopf. »Jetzt wollte ich doch tatsächlich Togo den Auftrag geben, alles Notwendige für diese Besprechung zu erledigen. Er hat lange Zeit für mich gearbeitet.«

Drakon nickte und stand ebenfalls auf. »Ich werde Gozen damit beauftragen. Das ist eine gute Gelegenheit, um zu sehen, wie sie sich abseits eines Schlachtfelds verhält.« Sein Blick wanderte zurück zum Display, auf dem die Tänzer-Schiffe gezeigt wurden. Er musste an alte Legenden denken, in denen von bestimmten Vögeln die Rede war, deren Auftauchen vor einer unmittelbar bevorstehenden Schlacht oder einem anderen Unheil warnte. Unwillkürlich fragte er sich, ob diese vom Kampf gezeichneten Schiffe der Tänzer wohl eine ähnliche Funktion erfüllten.

Gwen Iceni verließ den Schutz ihrer schwergepanzerten VIP-Limousine und schritt zwischen zwei Reihen aus Soldaten der Bodenstreitkräfte hindurch, die zu beiden Seiten eine fast massive Schutzmauer bildeten. Diese Sicherheitsmaßnahme verärgerte sie, und als sie an der Zugangstür zum Treffpunkt ankam, blieb sie zunächst stehen, um die Soldaten zu betrachten, die in ihren offenbar ganz neuen Uniformen in Habachtstellung dastanden. »Colonel Gozen?«

»Ja, Madam C …« Den Rest verschluckte Gozen einen Sekundenbruchteil zu spät.

Iceni lächelte sie humorlos an. »Lebenslange Gewohnheiten legt man nicht so leicht ab, daran müssen Sie noch arbeiten. Es heißt Madam Präsidentin. Und ich fühle mich nicht wohl, wenn mir in einer Form Personenschutz zuteil wird, der zu einem CEO des Syndikats passt.«

Gozen starrte sie an, als hätte Iceni ihr soeben erklärt, die Schwerkraft lasse alle Dinge schweben. Sie kannte nichts anderes als CEOs, die darauf bestanden, dass schwere Geschütze aufgefahren wurden, um den Bürgern und auch anderen CEOs zu zeigen, wie wichtig man war. »Ma’am?«

»Es ist ganz einfach«, erklärte Iceni. »Ich bin keine CEO des Syndikats.« Jedenfalls war sie das inzwischen nicht mehr. »Mich kümmern die Spielregeln dieser CEOs nicht, die einen umso bedeutsamer erscheinen lassen, je mehr Wachleute man um sich schart. Ich habe keine Angst vor den Bürgern dieser Welt.« Sie achtete darauf, diesen letzten Satz laut genug zu sagen, sodass er auch in einiger Entfernung noch vernommen wurde. Schließlich musste jedes Wort, das sie in der Öffentlichkeit sagte, die Botschaft unterstreichen, die sie zu vermitteln versuchte. Natürlich stimmte ihre Behauptung nicht ausnahmslos, denn es gab ganz sicher Bürger, die sie lieber tot als lebendig sehen wollten. Außerdem fürchtete sie sich vor einer begeisterten Menschenmenge, weil Iceni wusste, wie leicht die Stimmung in der Masse umschlagen konnte. Dennoch schien es inzwischen so, dass die meisten Einwohner von Midway sie als ihre Anführerin akzeptierten, und das nicht nur bereitwillig, sondern sogar mit Freude. »Ich habe meine Leibwächter. Die genügen mir.«

Gozen sah zu der gepanzerten Limousine, war aber klug genug, sich einen Kommentar über das ausgewählte Transportmittel zu verkneifen. »Habe verstanden und werde so verfahren.«

»Sie zeigen sich heute wohl von Ihrer allerbesten Seite, wie?«, raunte Iceni Gozen zu, als sie an ihr vorbei in das Gebäude ging, in dem die Besprechung stattfinden sollte. Es hatte Zeiten gegeben, da trafen sie und Drakon sich nur an neutralen Orten, die von keinem von ihnen direkt kontrolliert wurden. Doch solche Spielereien gehörten der Vergangenheit an, was vor allem damit zusammenhing, dass die festungsartige Konstruktion, die Drakons Hauptquartier darstellte, ein angenehmes Gefühl von Sicherheit ausstrahlte.

Alle anderen hielten sich bereits im Besprechungsraum auf. Iceni entging nicht, dass Gozen es vermied, Captain Bradamont anzusehen, deren Allianz-Uniform hundert Jahre lang ein Symbol für den Feind gewesen war. Also unternahm sie einen neuen Versuch, Gozen aus der Reserve zu locken. »Sie sind diese Art von Gesellschaft nicht gewöhnt, Colonel?«

Gozen reagierte mit einer ausdruckslosen Miene. »Ich bin immer noch damit befasst, mich zu orientieren, Madam Präsidentin. Aber vielen Dank für Ihre Sorge.«

Iceni zog beide Augenbrauen hoch. »Sie beherrschen diese Beinahe-Subordination wirklich gut. Wie hat Ihr Onkel es bloß geschafft, Sie vor dem Arbeitslager zu bewahren?«

»Er war ein außergewöhnlicher Mann«, antwortete Gozen.

»Konnten Sie herausfinden, in welches Arbeitslager er geschickt wurde?«, hakte Iceni nach. »Wir haben immer noch Kontakte im Syndikat, die wir bemühen könnten.«

Gozen schüttelte den Kopf und erwiderte ohne Gefühlsregung: »Tut mir leid, Madam Präsidentin, aber die Aufzeichnungen, die nach dem Fall von Ulindi sichergestellt werden konnten, geben an, dass mein Onkel umgehend hingerichtet wurde, als die Schlangen das Kommando über meine alte Einheit übernahmen.«

Verdammt. Das Spiel, um Gozen besser einzuschätzen, hatte abrupt eine Wendung hin zum Düsteren genommen. So etwas geschah schnell, wenn man sich über die Vergangenheit innerhalb des Syndikats unterhielt. »Das tut mir leid«, sagte Iceni.

Es musste erkennbar gewesen sein, wie ernst sie es meinte, denn Gozen schaute sie für einen Augenblick überrascht an und ließ ein flüchtiges, aber ehrliches Lächeln erkennen. »Danke, Madam Präsidentin.«

Iceni und Drakon nahmen aus Gewohnheit an gegenüberliegenden Seiten des Tischs Platz, Bradamont setzte sich zu ihr, während Gozen und Malin die Stühle links und rechts von Drakon wählten.

»Ich will eine ehrliche Diskussion«, begann Iceni. »Wir sehen uns mit Dingen konfrontiert, wie wir sie noch nie erlebt haben, und das macht es erforderlich, dass wir offen reden.«

Drakon nickte, dann deutete er auf Malin. »Bevor wir anfangen, hat Colonel Malin etwas zu berichten.«

Iceni warf Malin einen fragenden Blick zu. Soweit sie wusste, war Drakon noch immer nicht klar, dass Malin seit einer Weile als ihre heimliche Informationsquelle diente. Aber Drakon wusste, dass sie in Malin mehr Vertrauen setzte als in jeden anderen. War er hinter die Gründe dafür gekommen? Wenn er ihr Malin überließ, würde der deutlich weniger Zeit in Drakons Hauptquartier verbringen und ihr damit auch weniger berichten können. Allerdings war das für Iceni nicht länger ein Grund zur Sorge, immerhin hatte sie jetzt Ruhe vor der fanatischen und unberechenbaren Colonel Morgan.

Malin machte den üblichen unterkühlten Eindruck, wie er kerzengerade dasaß, die Hände vor sich verschränkt auf den Tisch gelegt, und in sachlichem Tonfall zu reden begann: »Vergangene Nacht hat sich in der Stadt eine Explosion ereignet.«

Iceni nickte. »Ursache unbekannt, wie man mir sagte. Das organisierte Verbrechen könnte der Grund dafür sein, wurde jedoch spekuliert. Wissen Sie mehr darüber?«

»Ja, Madam Präsidentin. Ich habe einen Verdächtigen verfolgt. Als der bemerkte, dass ich ihm folge, hat er versucht, mich mit einer Sprengladung umzubringen, die er auf der Flucht vor mir zurückgelassen hatte.«

»Verstehe.« Sie sah zu Drakon. »Ich habe den Eindruck, dass Colonel Malin außergewöhnlich gut darin ist, Verdächtige aufzuspüren und zu verfolgen.« Eigentlich wusste sie das ganz genau, aber es war nicht ratsam, diese Tatsache zu enthüllen.

»Er ist sehr gut«, bestätigte Drakon.

»Wer immer derjenige gewesen ist, den ich verfolgt habe, er war besser als ich«, fuhr Malin fort und ließ sich nicht anmerken, wie er sich deswegen fühlte. »Das ist von großer Bedeutung, denn ich kenne auf Midway nur zwei Personen, die sich so unbemerkt durch die Stadt bewegen können, die dabei auch noch in der Lage sind festzustellen, dass sie von mir verfolgt werden, und die dann außerdem ein Attentat auf mich verüben können, das mich fast das Leben gekostet hätte. Eine dieser Personen war Colonel Morgan. Sie war das letzte Nacht jedoch nicht, das hätte ich festgestellt.«

»Und wer ist die andere Person?«, wollte Iceni wissen. Ihr Magen verkrampfte sich, da sie eine Vorstellung davon hatte, wie die Antwort lauten würde.

»Ihr verschwundener persönlicher Assistent, Madam Präsidentin. Mehmet Togo.«

Iceni ließ sich diese Information eine Weile durch den Kopf gehen, während alle anderen schwiegen und warteten. »Wie sicher sind Sie sich mit dieser Einschätzung, Colonel Malin?«

»Sehr sicher, Madam Präsidentin.«

Togo. Offenbar noch quicklebendig, und allem Anschein nach frei, wenn er sich ungehindert durch die Stadt bewegen konnte. Aber er stand nicht länger in Verbindung mit ihr, seit er spurlos verschwunden war, unmittelbar bevor Midway fast an einer Serie von Attentatsversuchen und Störungen der öffentlichen Ordnung zerbrochen wäre, die zu Massenprotesten geführt hatten. »Was hat er vergangene Nacht gemacht?«

»Ich war nicht in der Lage, die Mission meiner Beute in der vergangenen Nacht zu bestimmen, Madam Präsidentin.«

Das war typisch für Malin. Räumte unumwunden sein Scheitern ein, als warte er nur darauf, bestraft zu werden. »Alle Zugangscodes und Sicherheitseinrichtungen in meinen Büros wurden geändert«, sagte Iceni. »Aber ich weiß, dass jemand wie Togo sich nicht davon aufhalten lassen würde. Ist Ihnen bekannt, Colonel Malin, dass General Drakon mir Ihre Dienste als mein persönlicher Assistent angeboten hat?«

»Ja, Madam Präsidentin.«

»Wenn Togo es schafft, diese Vorkehrungen und alle Wachen zu überwinden, könnten Sie ihn dann noch aufhalten?«

Malin ließ sich mit seiner Antwort einen Moment Zeit. »Ich weiß nicht. Das würde schwierig werden. Natürlich besteht eine gewisse Chance, dass ich Erfolg habe, aber die könnte ich nicht mit einem Prozentsatz beziffern.«

»Er ist der Beste, den ich habe«, ergänzte Drakon. »Es gab nur eine, die noch besser war.«