Die verlorenen Sterne: Die Revolte - Jack Campbell - E-Book

Die verlorenen Sterne: Die Revolte E-Book

Jack Campbell

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Beschreibung

Präsidentin Gwen Iceni und General Artur Drakon haben das Midway-System erfolgreich von der Diktatur befreit - doch die gestürzten Regenten zeigen sich nach wie vor kampflustig. Das Regime will die neuen Eroberer tot sehen und die Bewohner des Systems für ihre Aufmüpfigkeit bestrafen. Die Kriegsschiffe der Befreier, in der Unterzahl und befehligt von unerfahrenen Offizieren, haben keine Chance gegen die massive Flotte der Syndiks, die sich bereits auf den nächsten Angriff vorbereitet ...

»Grandioses Popcorn-Kino. Nur als Buch.« SF SITE

Ein Muss für alle Fans von Battlestar Galactica sowie Leserinnen und Leser von David Weber und Mike Shepherd - Bestseller-Autor Jack Campbells spannende Reihe um unglaubliche Weltraumschlachten und tapfere Helden auf aussichtslosen Posten.

Die verlorenen Sterne: Der Ritter
Die verlorenen Sterne: Enigma
Die verlorenen Sterne: Die Revolte
Die verlorenen Sterne: Der Verräter

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.




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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Die Midway-Flotte

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Danksagung

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

 

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Über dieses Buch

Präsidentin Gwen Iceni und General Artur Drakon haben das Midway–System erfolgreich von der Diktatur befreit – doch die gestürzten Regenten zeigen sich nach wie vor kampflustig. Das Regime will die neuen Eroberer tot sehen und die Bewohner des Systems für ihre Aufmüpfigkeit bestrafen. Die Kriegsschiffe der Befreier, in der Unterzahl und befehligt von unerfahrenen Offizieren, haben keine Chance gegen die massive Flotte der Syndiks, die sich bereits auf den nächsten Angriff vorbereitet …

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.

Jack Campbell

DIEVERLORNENSTERNE:DIE REVOLTE

Aus dem amerikanischen Englisch vonRalph Sander

Für Daniel V. Bearss,einen treuen einstigen und zukünftigenFreundund Geist von Midway.Excelsior!Für S., so wie immer.

Die Midway-Flotte

Kommodor Asima Marphissa, Befehlshaberin(Alle Schiffe sind ehemalige Einheiten der mobilen Streitkräfte der Syndikatwelten.)

EIN SCHLACHTSCHIFFMidway (noch nicht einsatzbereit)

EIN SCHLACHTKREUZERPele

VIER SCHWERE KREUZERManticore, Gryphon, Basilisk und Kraken

SECHS LEICHTE KREUZERFalcon, Osprey, Hawk, Harrier, Kite und Eagle

ZWÖLF JÄGERSentry, Sentinel, Scout, Defender, Guardian, Pathfinder, Protector, Patrol, Guide, Vanguard, Picket und Watch

Dienstgrade in der Midway-Flotte (in absteigender Reihenfolge), festgelegt von Präsidentin Iceni

Kommodor

Kapitan Ersten Grades

Kapitan Zweiten Grades

Kapitan Dritten Grades

Kapitan-Leytenant

Leytenant

Leytenant Zweiten Grades

Schiffsoffizier

Eins

Wie ein Schwarm aus riesigen Haien zogen die Kriegsschiffe des rebellierenden freien und unabhängigen Midway-Sternensystems ihre Bahnen durch die dunkle Leere des Alls, um nach Bedrohungen aller Art Ausschau zu halten. In der Nähe anderer Sterne sammelte das zerfallende, aber immer noch mächtige und räuberische Imperium der Syndikatwelten seine Streitkräfte in dem Bemühen, jede Revolution überall dort im Keim zu ersticken, wo der Funke des Aufbegehrens um sich greifen wollte. Im strategisch extrem wichtig gelegenen Midway-Sternensystem, das unter den rebellierenden Sternensystemen eine Führungsrolle einnahm, wusste jeder, dass es nur eine Frage der Zeit war, ehe das Syndikat einen erneuten Angriff versuchen würde.

»Ich würde mir fast wünschen, dass endlich irgendwas pass–«

»Sprechen Sie das nicht aus!«

»Entschuldigung, Kommodor. Es ist nur so, dass es keine langweiligere Aufgabe gibt, als Wache zu halten«, entgegnete Kapitan Diaz. »Vor allem, wenn man sich so weit von jeglichen Planeten und Orbitaleinrichtungen entfernt aufhält.«

»Und es gibt nur wenige Dinge, die gefährlicher sind, als sich zu langweilen oder sich ablenken zu lassen, wenn man Wache hält«, hielt Kommodor Marphissa ihm in energischem Tonfall vor. »Ganz zu schweigen davon, gedankenlose Wünsche auszusprechen und damit unser Glück aufs Spiel zu setzen.«

»Als Nächstes wollte ich ja betonen, wie wichtig es ist, wachsam zu bleiben«, fügte Diaz lauter hinzu, damit die Spezialisten auf der Brücke des Schweren Kreuzers Manticore ihn auch hörten. »Wenn man als Wachposten nicht aufmerksam ist, kann sich der Feind an einen heranschleichen und einem ein Messer in den Rücken jagen.«

»Oder man wird von seinem Vorgesetzten beim Mittagsschlaf erwischt«, sagte Marphissa. »In dem Fall würde man sich wünschen, stattdessen vom Feind getötet worden zu sein.«

»Das ist die Denkweise des Syndikats«, stimmte Diaz ihr zu, wandte allerdings ein: »Aber wir haben uns gegen das Syndikat erhoben.«

»Und deshalb haben wir jetzt auch Wachdienst«, ergänzte Marphissa. »Das Syndikat wünscht, dieses Sternensystem wieder unter seine Kontrolle zu bringen.« Ihr Blick wanderte zu dem Display vor ihrem Kommandosessel. Das riesige Hypernet-Portal, das dem Midway-Sternensystem seine so wichtige Rolle verlieh, hing nur zehn Lichtminuten von ihnen entfernt im All. Die gewaltige Konstruktion wirkte vor dem Hintergrund des endlosen Alls klein und unbedeutend. Es war eine Eigenart des Weltalls, selbst die riesigsten Konstruktionen der Menschen winzig erscheinen zu lassen.

Die nächsten Schiffe waren fast eine Lichtstunde von ihnen entfernt. Ein kastenförmiger Frachter trottete auf seinem Kurs in Richtung des inneren Sternensystems entlang. Präsidentin Iceni, die Einzige, von der Marphissa Befehle akzeptieren würde, hielt sich vier Lichtstunden weit von ihnen entfernt auf einem Planeten auf, dessen Abstand zum Stern nur ein paar Lichtminuten betrug. Marphissas Kriegsschiffe waren auf sich allein gestellt, was auch für Marphissa selbst galt.

»Was glauben Sie, wie lange es noch dauern wird, bis sie wieder angreifen?«, wollte Diaz wissen.

Marphissa rutschte gereizt auf ihrem Platz hin und her. Wie oft hatten sie sich darüber schon unterhalten? »Vielleicht in einer Woche, vielleicht in einem Monat. Aber vielleicht auch in der nächsten Minute. Mit Gewissheit können wir nur sagen, dass das Syndikat zurückkehren wird, und dann wird es mit einer Flotte hier auftauchen, die groß genug ist, dass wir um unser Leben kämpfen müssen.«

»Der Schlachtkreuzer sollte bis dahin einsatzbereit sein.«

»Er muss jetzt einsatzbereit sein, zusammen mit unserem Schlachtschiff«, knurrte Marphissa und redete so leise weiter, dass nur Diaz sie hören konnte. Manche Dinge waren nun einmal nicht für die Ohren der Spezialisten bestimmt. »Wenn das Syndikat mit auch nur einem Schlachtschiff herkommt, sitzen wir hier auf dem Präsentierteller mit unseren Kreuzern und Jägern …«

Ein Alarm gellte los, jeder auf der Brücke zuckte zusammen und war sofort in höchster Alarmbereitschaft. Alle blickten auf ihre Displays, auf denen nahe dem Hypernet-Portal ein neues Symbol zum Leben erwachte. Vor zehn Minuten war etwas aus dem Portal ins System gekommen, doch das Licht dieses hundertachtzig Millionen Kilometer entfernten Ereignisses traf erst jetzt ein. Jegliche Langeweile und Gereiztheit an Bord von Marphissas Schiff waren sofort verflogen, Aufregung und Angst flammten stattdessen auf, während sie darauf wartete, dass die Gefechtssysteme der Manticore den Neuankömmling identifizierten.

»Wir erhalten eine Syndikatskennung«, meldete der Senior-Wachspezialist, was Kapitan Diaz zu einem Fluch veranlasste.

Früher hatte Marphissa diejenigen beneidet, die eine Flotte befehligten, waren sie doch ihrer Meinung nach von den Pflichten und Verantwortungen befreit, mit denen sich andere Leute ständig herumplagen mussten. Aber längst hatte sie feststellen müssen, dass die Last des Kommandos zusammen mit der Tatsache, niemanden um einen Ratschlag bitten zu können, so schwer auf einem Befehlshaber lag wie das gesamte Gewicht eines Neutronensterns und dabei so beharrlich war wie die Anziehungskraft eines Schwarzen Lochs.

Und Marphissa war diejenige, die alle Entscheidungen treffen musste. Es würde noch fast vier Stunden dauern, ehe Präsidentin Iceni überhaupt erst etwas davon zu sehen bekam, dass ein Schiff des Syndikats in diesem Sternensystem eingetroffen war.

Es gab Augenblicke, in denen Präsidentin Gwen Iceni mit Bedauern feststellen musste, dass sich nicht jedes Problem lösen ließ, indem sie befahl, irgendjemanden zu töten.

Dies hier war ein solcher Augenblick.

Dabei wollte sie im Moment unbedingt irgendwen umbringen.

»Wir wissen, dass wir jeden Moment mit dem nächsten Angriff des Syndikats rechnen müssen«, sagte sie zu General Artur Drakon in einem Tonfall, den sie für bemerkenswert beherrscht hielt. Die Art, wie sein Blick daraufhin noch abweisender wurde, ließ sie jedoch vermuten, dass sie ihre Selbstbeherrschung überschätzt hatte. »Unbekannte Kräfte arbeiten in diesem Sternensystem gegen uns, auch wenn wir die Menge dadurch beruhigt haben, dass wir ihnen bei ihren eigenen Angelegenheiten gewisse Mitspracherechte eingeräumt haben. Supreme CEO Haris bei Ulindi könnte einen erneuten Angriff versuchen. Und natürlich haben wir keine Ahnung, wann die Enigmas wieder hier auftauchen, um uns alle auszulöschen. Habe ich irgendein Problem vergessen, mit dem wir konfrontiert sind?«

Er sah ihr trotzig in die Augen, auch wenn er unübersehbar ein schlechtes Gewissen hatte. »Wir können uns gegenseitig nicht restlos vertrauen«, sagte Drakon, ließ eine Pause folgen und fügte dann in einem noch düstereren Tonfall hinzu: »Und wir können auch unseren nächsten Untergebenen nicht bedingungslos vertrauen.«

»Dann sind Sie also mit mir einer Meinung, dass wir schon zuvor mehr als genug Grund zur Sorge hatten.« Gwen lehnte sich zurück und seufzte schwer. »Warum vertraue ich Ihnen überhaupt, General Drakon?«

»Weil Sie es müssen. Das war schon immer der Grund.«

»Nein. Ich hätte auch versuchen können, Sie zu töten. Wo ist diese Frau übrigens jetzt?«

»Colonel Morgan? In ihrem Quartier.«

»In ihrem Quartier«, sie wiederholte seine Worte, dass sie wie ein Vorwurf klangen. »Nachdem sie ihre Position als Ihre engste Beraterin missbraucht hat, um Sie zu hintergehen, ist das die einzige Maßnahme, die Sie ergreifen werden?«

Drakon fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und wandte den Blick zur Seite. »Darüber habe ich noch nicht entschieden. Ich sagte Ihnen doch, es gibt Komplikationen …«

Seine Ausführungen nahmen ein jähes Ende, da ein Alarm oberster Priorität einging. Iceni nahm die Mitteilung entgegen und hoffte, dass Drakon ihr überraschtes Zucken übersehen hatte. »Was gibt es?«, fuhr sie das Bild ihres persönlichen Beraters/Leibwächters/Attentäters Mehmet Togo an, das über ihrem Schreibtisch auftauchte.

»Am Hypernet-Portal ist ein Schiff eingetroffen …«, begann er mit so gelassener Stimme und Miene, als könnte nichts ihn aus der Ruhe bringen oder ihn verärgern.

»Ein Schiff? Warum ist das so wichtig?«

»Es ist ein Schiff des Syndikats.«

Iceni verspürte einen eisigen Schauer, der im Widerspruch zu der Verärgerung stand, die durch die Sache mit Drakon und Morgan ausgelöst worden war. »Nur eines? Schickt das Syndikat diesmal ein Schlachtschiff ganz ohne Eskorte, um uns anzugreifen?«

»Es ist ein Kurierschiff«, fuhr Togo fort. »Es teilt mit, dass es einen Passagier an Bord hat. CEO Jason Boyens. Das Schiff ist unterwegs zu diesem Planeten. Es hat sich zwar als Schiff unter offizieller Kontrolle des Syndikats identifiziert, behauptet aber dennoch, eigenständig zu operieren.«

»Boyens? Allein?« Sie sah zu Drakon, der wieder die Augenbrauen zusammenzog.

»Was zum Teufel will er denn von uns?«, brummte Drakon. Beide kannten Boyens noch von seinem langjährigen Dienst bei der alten Reserveflotte. Nachdem er sich auf den Weg zum Syndikat gemacht hatte, um eigentlich ein Ende der Feindseligkeiten zu vereinbaren, war er als Befehlshaber einer Flotte des alten Regimes nach Midway zurückgekehrt und hatte dieses Sternensystem angegriffen. Allein die Unterstützung durch Black Jacks gerade noch rechtzeitig eintreffende Allianz-Flotte hatte Boyens beim letzten Mal zum Rückzug gezwungen. Und jetzt war er erneut hergekommen, aber ganz ohne Kriegsschiffe.

»Was er auch diesmal von uns will, er hat auf jeden Fall sein Schicksal in unsere Hand gelegt.« Sie lehnte sich nach hinten, drängte den von Morgan und Drakon ausgelösten Ärger zurück und ließ sich Boyens’ plötzliches Wiederauftauchen durch den Kopf gehen. Sie filterte die Information auf den machiavellistischen Pfaden, die sich ihr durch die Erfahrungen mit dem Syndikatssystem über Jahre in den Verstand eingebrannt hatten.

»Wollen Sie ihn umbringen?«, fragte Drakon.

»Wollen Sie das?«

Er grinste boshaft. »Nicht sofort.«

»Einverstanden. Hören wir uns erst an, was er zu erzählen hat«, beschloss Iceni. Sie wollte jetzt lieber nicht weiter über Morgans Verrat reden, und hatte deshalb nichts dagegen einzuwenden, als Drakon sich zurückzog, um eigene Vorbereitungen zu treffen. Auch er musste sich auf die Neuigkeiten vorbereiten, die Boyens ihnen mitbringen würde.

Drakon war erst seit fünf Minuten zurück in seinem Hauptquartier, da stellte Iceni ihm eine Nachricht durch, die sie soeben von Boyens erhalten hatte. Colonel Bran Malin begab sich prompt zur Tür von Drakons privatem Büro. »Ich lasse Sie die Angelegenheit mit Präsidentin Iceni diskutieren, General.«

»Warten Sie.«

»General«, fuhr Malin fort. »Ich habe volles Verständnis dafür, dass Ihr Vertrauen in mich Schaden genommen hat, und ich kann nicht erwarten, weiterhin Zugang zu vertraulichen Themen zu haben, solange Ihre Bedenken mir gegenüber nicht ausgeräumt sind.«

»Sie haben völlig recht, dass ich Sie in der kommenden Zeit genauer im Auge behalten werde«, sagte Drakon. »Aber die jüngsten Enthüllungen über Sie und Morgan ändern nichts an der Tatsache, dass ich Ihre Ansichten und Erkenntnisse zu schätzen weiß. Hören wir uns also zusammen an, was Boyens zu sagen hat.«

Selbst Malin konnte sich ein sehr flüchtiges Lächeln nicht verkneifen, als er Drakons Worte vernahm. Dennoch erwiderte er nur: »Jawohl, Sir. Sie werden es nicht bereuen, Sir.«

Das Bild von CEO Boyens tauchte auf, der Mann machte einen selbstbewussten, aber auch bedauernden Eindruck. »Ich werde Sie nicht vor den Kopf stoßen«, begann er, »indem ich so tue, als wäre mir nicht klar, dass ich jetzt derjenige bin, der einen Deal aushandeln muss, um überleben zu können. Ich möchte, dass Sie erkennen, was ich für Sie tun kann. Als ich mich das letzte Mal in diesem Sternensystem aufgehalten habe, mag es so ausgesehen haben, dass ich den Befehl über die Syndikatsflotte hatte. Aber das war nicht der Fall. Mir saß fast unentwegt eine CEO-Schlange im Nacken, und das meine ich im wörtlichen Sinn. Der kleinste Fehltritt hätte meinen Tod zur Folge gehabt, und Sie wären der Gnade einer CEO-Schlange ausgeliefert gewesen, und nicht der eines Freundes, wie ich es für Sie bin.«

Ein Freund?, ging es Drakon durch den Kopf. Erwartet er, dass ich glaube, er ist jetzt mein Freund?

»Ich bin im Besitz von Informationen, die Sie benötigen«, redete Boyens weiter. »Ich hätte überall hingehen können, nachdem ich von Prime entkommen war, aber ich habe mich auf den Weg zu Ihnen gemacht. Geben Sie mir eine Chance, Ihnen zu zeigen, wie ich Ihnen helfen kann. Boyens, Ende.«

Drakon sah Malin an. »Und?«

Malin dachte über die Frage nach und neigte den Kopf leicht zur Seite. »Seine Geschichte klingt plausibel, General. Einen Senior-Agenten des Inneren Sicherheitsdiensts jeden der Schritte eines Militärbefehlshabers wie Boyens überwachen zu lassen, ist genau die Vorsichtsmaßnahme, zu der die gegenwärtige Syndikatsregierung greifen dürfte.«

»Weil die Boyens ebenfalls nicht trauen.«

»Richtig, Sir. Aber er könnte einige sehr wichtige Dinge wissen, wenn er irgendetwas über die Planungen des Syndikats erfahren hat.« Malin deutete mit einem Nicken auf die Stelle, an der sich Boyens’ Bild befunden hatte. »Er hat diese Nachricht anscheinend ausschließlich an Präsidentin Iceni adressiert.«

»Ist mir aufgefallen.« Iceni ließ ihn auf diese Weise wissen, dass sie nach wie vor Verbündete waren – trotz der jüngsten Enthüllungen über Drakons engste Berater. »Also gut. Wir haben diese Nachricht gesehen und darüber geredet. Reden wir jetzt über Sie.«

Drakon trommelte mit den Fingern der linken Hand auf den Schreibtisch, während er Malin betrachtete. Ihm war bislang kaum Zeit geblieben, sich gründlicher mit der Neuigkeit zu befassen, die das wahre Verhältnis zwischen Malin und Morgan anging, jenes immense Geheimnis, das Malin vor ihm und jedem anderen verschwiegen hatte. Aber wenn Roh Morgan meine Mutter wäre, würde ich das wohl auch niemanden wissen lassen wollen. »Lassen wir CEO Boyens außer Betracht. Kann ich Ihnen immer noch vertrauen?«

Malin kam anderen Leuten üblicherweise auf eine Weise zurückhaltend vor, dass sie ihn schon als kalt und abweisend wahrnahmen, doch diese Frage schien ihn jetzt von innen heraus vor Kälte erstarren zu lassen. »Ich … General, ich würde Sie nie hintergehen. Und das habe ich auch nie getan.«

»Gibt es noch weitere Geheimnisse, von denen ich erfahren sollte?«

»Nein, Sir.«

Die zahlreichen verborgenen Sensoren, die auf Malin gerichtet waren, sandten ihre Einschätzung auf die Oberfläche von Drakons Schreibtisch, wobei die Worte so polarisiert wurden, dass Malin sie nicht sehen konnte. Keine Täuschung feststellbar. Allerdings war Malin bestens dahingehend geschult, jene Sensoren zu täuschen, die Anzeichen für Unehrlichkeit registrierten. »Ich will einfach nur die Wahrheit hören, Colonel. Wem gilt Ihre Loyalität?«

Die Frage verdutzte Malin. »Ihnen, General. Ich bin zuallererst Ihnen gegenüber loyal.«

Keine Täuschung feststellbar. »Haben Sie mit Colonel Morgan auf irgendeine Weise zusammengearbeitet, von der mir nichts bekannt ist? Waren Sie mit irgendwelchen Projekten beschäftigt, die ich nicht selbst autorisiert habe?«

»Nein, Sir.«

Keine Täuschung feststellbar. »Jeder andere an meiner Stelle hätte Sie sofort erschossen. Das ist Ihnen doch klar, oder?«, fragte Drakon. »Sie gehören zu meinen engsten Assistenten, Sie wissen praktisch alles über meine Streitkräfte und meine Truppenstärke, und trotzdem haben Sie dieses Geheimnis verschwiegen. Für einen Mann, der mich in die Irre geführt hat, wissen Sie viel zu viel.«

»Das Gleiche lässt sich auch über Colonel Morgan sagen, Sir«, betonte Malin, der seine Worte mit solcher Vorsicht wählte, als würde er durch ein Minenfeld gehen.

»Das ist richtig. Warum sollte ich nicht Sie beide erschießen?«

Malin sah ihn mit starrer Miene an. »Sie haben immer auf mich zählen können, Sir. Geben Sie mir eine beliebige Aufgabe, und ich werde sie erledigen.«

»Das ist allerdings wahr«, musste Drakon zugeben. »Und ich werde keinen Hehl daraus machen, dass diese Tatsache zu den Gründen gehört, die mich zu der Frage führen, ob ich es mir leisten kann, Ihnen noch länger zu vertrauen. Sie sind einfach zu gut darin, Dinge zu erledigen. Ich muss die Gewissheit haben, dass Sie nur auf meinen Befehl hin handeln.«

»Das tue ich, General. In diesem Moment liegt eine sehr wichtige Aufgabe vor Ihnen. Wenn Sie Morgan am Leben lassen, dann brauchen Sie mich, weil ich Sie vor ihr beschützen kann.«

»Sie können es mit Morgan nicht aufnehmen. Sollte sie versuchen mich umzubringen, werden Sie sie nicht aufhalten können.«

Malin beschrieb eine bescheidene Geste. »Nicht, wenn es um einen direkten Angriff ginge. Aber das würde sie nicht tun, General. Sie steht absolut loyal zu Ihnen, auch wenn diese Loyalität etwas befremdlich erscheinen mag. Morgan würde niemals versuchen, Ihnen körperlichen Schaden zuzufügen. Aber das schließt nicht aus, dass sie etwas anderes versuchen wird. Ich kann sie überwachen, kann aufpassen, ob sie etwas plant und ob irgendwelche nichtautorisierten Aktivitäten von ihr ausgehen. Ich kann jeden identifizieren, mit dem sie Kontakt aufnimmt, ganz gleich auf welche Weise.«

Drakon dachte über die Alternativen nach, schließlich nickte er. Solange er nicht mehr darüber wusste, was Morgan vor hatte, gab es niemanden, der besser als Malin in der Lage war, ihre Geheimnisse aufzudecken. »Tun Sie nichts, was mich bereuen lassen würde, dass ich Ihnen eine zweite Chance gegeben habe«, warnte er Malin, seine Worte genauso eiskalt wie die Augen seines Gegenübers. »Eine dritte Chance wird es nicht geben.«

»Verstanden, Sir. Vielen Dank, dass Sie mir die Gelegenheit geben, Ihnen meine ungebrochene Loyalität zu beweisen.« Malin salutierte, dann verließ er das Büro.

Drakon sah auf die geschlossene Tür, nachdem Malin gegangen war, und fragte sich, ob er womöglich mit dem einen Teufel einen Pakt geschlossen hatte, um die Pläne des anderen Teufels zu durchkreuzen. Aber Malin hatte sich in der Vergangenheit immer wieder als unschätzbar wertvoll erwiesen, und vom Geheimnis über seine leibliche Mutter abgesehen hatte es nie einen Anlass für Zweifel an seiner Loyalität und Zuverlässigkeit gegeben. In jeder Hinsicht war Malin ihm immer äußerst standhaft und unerschütterlich vorgekommen. Angesichts des Umstands, dass Roh Morgan seine Mutter war, musste man das als beeindruckende Leistung anerkennen.

Er rief Iceni. »Meine Empfehlung lautet, dass wir Boyens auffordern, die Lauterkeit seiner Absichten zu beweisen, indem er uns alles erzählt, was er über den bevorstehenden Syndikatsangriff weiß. Wann die Flotte eintrifft, wie sie sich zusammensetzt, wer sie befehligen wird. Einfach alles, das uns einen Vorteil verschaffen könnte, um sie zu schlagen.«

Iceni nickte, die Augen leicht geschlossen. »Sehe ich auch so. Ich werde Boyens mitteilen, dass er die Informationen zu seiner eigenen Sicherheit jetzt herausgeben soll, ehe wir mit ihm verhandeln. Kommodor Marphissa hatte die Falcon entsandt, um das Kurierschiff mit Boyens an Bord zum Planeten zu eskortieren. Wenn Boyens uns noch mal zu hintergehen versucht oder wenn er die Flucht antritt, dann wird er mit seinem Kurierschiff niemals schnell genug sein, um einem Leichten Kreuzer zu entwischen und der Zerstörung zu entkommen.«

»Das wird auch Boyens wissen«, sagte Drakon.

»Ich habe die Mitteilungen analysieren lassen, die wir von CEO Boyens bei seinem letzten Aufenthalt in diesem Sternensystem aufgezeichnet hatten«, fuhr Iceni fort. Neben ihr entstand ein Bild, das Boyens auf der Brücke eines Schlachtschiffs des Syndikats zeigte. Ein Ausschnitt wurde vergrößert, der sich auf eine Frau konzentrierte, die ein oder zwei Meter hinter ihm stand. »Bei jeder Übertragung hält sie sich immer an dieser Stelle der Brücke auf. Kennen Sie sie?«

Drakon musterte das breite, fröhliche Gesicht der Frau und versuchte, sich zu erinnern, ob er sie schon einmal irgendwo gesehen hatte. Plötzlich lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken, als ihm einfiel, wer das sein mochte. »Happy Hua? Ist sie das?«

»Sind Sie ihr schon mal begegnet?«

»Nein, ich habe nur ihren Namen gehört.« Wieder betrachtete er diese Frau. »Oder besser gesagt: Man hat mich vor ihr gewarnt. Sie hat mit ihren Spielchen schrecklich viele Leute getäuscht, die ihr allesamt zum Opfer gefallen sind, bevor ihr Ruf so langsam die Runde machte.«

»Hua ist heute eine CEO im Inneren Sicherheitsdienst«, sagte Iceni. »Sie ist sehr schnell auf der Karriereleiter nach oben gekommen, die sie sich aus den Leichen ihrer Opfer zurechtgebastelt hat. Leute, die ihr nettes Erscheinungsbild für ein Abbild innerer Güte hielten. Wenn es sich bei dem Wachhund, der Boyens im Nacken saß, um Hua handelte, neige ich dazu ihm zu glauben, dass seine Entscheidungsfreiheit ganz erheblich eingeschränkt war.«

»Wir wissen nur nicht, inwieweit sie eingeschränkt war«, gab Drakon zu bedenken. »Boyens könnte mit dem, was Hua von ihm verlangt hat, ja durchaus einverstanden gewesen sein. Außerdem haben wir keine Gewissheit, dass er tatsächlich vor dem Syndikat geflohen ist. Er kann auch als Doppelagent zu uns geschickt worden sein.«

»General Drakon, ich habe nicht die Absicht, diesem Mann zu vertrauen.« Iceni sah ihn ernst an. »Manchmal frage ich mich, ob man überhaupt auf irgendeinen Mann zählen kann.«

Er unterdrückte den Ärger, den ihre Worte auslösten, weil er wusste, dass dies eine Reaktion seines schlechten Gewissens war. »Ich habe nicht versucht, Ihnen irgendetwas zu verschweigen, Madam Präsidentin. Können Sie von sich das Gleiche sagen?«

Sie musste lachen. »Ach, General, Sie werden niemals dahinterkommen, wie viel ich Ihnen verschwiegen habe.«

Ihr Bild verschwand, und Drakon starrte ins Nichts.

Selbst ein Kurierschiff, das mit 0,2 Licht auf dem Weg ins Innere eines Systems war, benötigte immer noch zwanzig Stunden, um eine Strecke von einigen Milliarden Kilometern zurückzulegen, worauf sich die Entfernung vom Hypernet-Portal bis zu der Welt summierte, auf der sich Iceni und Drakon aufhielten. Aber immerhin überwand es die Entfernung recht zügig, sodass die Zeit zwischen dem Senden einer mit Lichtgeschwindigkeit reisenden Nachricht und dem Eingang der Antwort konstant schrumpfte.

Bei der zweiten Übermittlung machte Boyens keinen ganz so selbstbewussten Eindruck mehr. »Ich werde Ihnen sagen, was ich über den bevorstehenden Angriff des Syndikats weiß, um Ihnen meinen guten Willen zu demonstrieren«, sagte er in einem Tonfall, als hätte Iceni ihn gar nicht zur Herausgabe dieser Informationen aufgefordert. »Meiner Einschätzung nach bleibt Ihnen noch gut eine Woche, ehe die Flotte hier eintrifft. Es kann auch deutlich länger als eine Woche dauern, aber ich glaube nicht, dass sie den Weg in weniger als fünf Tagen zurücklegen können. Die Flotte soll wieder aus einem Schlachtschiff, zwei Schweren Kreuzern, sechs Leichten Kreuzern und zehn Jägern bestehen.« Er zögerte. »Hier kommen die wichtigsten Fakten. Ich bin mir sicher, dass das Kommando über die Flotte CEO Hua Boucher übertragen wird. Sie ist eine Schlange, und zwar eine besonders todbringende. Ich habe keine Ahnung, wie gut sie als Befehlshaberin von mobilen Streitkräften ist. Nach allem, was ich sehen konnte, hat sie zuvor keine Erfahrung sammeln können. Aber sie gilt als erbarmungslos. Nur in einer Hinsicht kann nichts passieren, da ich weiß, dass die Syndikatregierung ihr nicht erlauben wird, Midway zu bombardieren. Die Regierung braucht alle Einrichtungen hier in unversehrtem Zustand. Allerdings wird das Hua Boucher nicht davon abhalten, die Bevölkerung auf jede andere erdenkliche Weise umzubringen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommt. Das ist alles, was ich weiß, aber ich habe es Ihnen aus freien Stücken mitgeteilt! Es gibt noch andere Informationen, die Sie benötigen werden. Wenn wir zusammenarbeiten und wenn Sie bereit sind, sich auf einen Deal einzulassen, dann erhalten Sie alles, was Sie brauchen, und ich bekomme das, was ich haben will. Boyens, Ende.«

Eine Schlange als Befehlshaberin. Iceni rieb sich die Augen, dachte kurz nach und rief dann Togo. »Was wissen Sie über CEO Hua Boucher?«

Togos Miene blieb unverändert, lediglich seinen Augen war anzusehen, wie sich dahinter die Gedanken überschlugen. »Sie gehört zum Inneren Sicherheitsdienst. Sehr gefährliche Frau, Madam Präsidentin. Ich bin CEO Boucher einmal begegnet, als sie noch eine Executive war.«

»So?«

»Meine Trainingseinheit wurde einmal befragt, weil es in der Cafeteria der Einheit bei den Vorräten Lücken gab. Ich wurde als einziges Mitglied des Teams nicht verhaftet.«

Iceni zog interessiert eine Braue hoch. »Die anderen ließen sich von Huas fröhlichem Auftreten blenden?«

»Ja, sie stellte eine freundliche, einfühlsame Art zur Schau, Madam Präsidentin«, sagte Togo.

»Wieso sind Sie nicht darauf reingefallen? Sie müssen damals noch ziemlich jung und unerfahren gewesen sein.«

Togo hielt inne und machte den Eindruck, als sei er verärgert, was Iceni bei ihm nur äußerst selten einmal hatte bemerken können. »Ihr angenehmes Erscheinungsbild ließ mich Mut fassen, deshalb wagte ich es, ihr in die Augen zu sehen.«

Interessiert beugte sich Iceni vor. »Und was haben Sie da gesehen?«

»Gar nichts, Madam Präsidentin.« Togo hielt ihrem Blick stand, ihm war nun wieder keinerlei Gefühlsregung anzumerken. Auch seine Stimme klang völlig neutral. »In ihren Augen war nichts zu sehen. Es war, als würde ich einen Blick ins Weltall werfen, in dem es keine Sterne, kein Licht, kein Leben gibt. Ein Blick in völlige Kälte und Leere.«

»Verstehe.« Iceni lehnte sich zurück und musterte Togo. »Welche Schwachstellen hat sie?«

»Sie … sie ist sehr von sich überzeugt. Daran kann ich mich erinnern. Es machte ihr überhaupt nichts aus, dass ein Untergebener ihr so unvermittelt in die Augen sah.«

»Können Sie mir sonst noch etwas über sie sagen?«

Togo machte eine wegwerfende Geste. »Sie zeigt keinerlei Gnade und kümmert sich um keine Vereinbarung.«

Iceni lächelte. »Ich hatte mir schon gedacht, dass diese beiden Punkte aus den Gerüchten über sie tatsächlich zutreffen. Danke.«

Obwohl sie ihn damit aus ihrem Büro entlassen hatte, blieb er noch stehen. »Madam Präsidentin, mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, die General Drakons Stab betreffen.«

»Ja«, bestätigte sie und lächelte weiter. »Sie haben einige sehr wichtige Informationen übersehen, die Colonel Morgan betreffen.«

Togo zögerte, da ihre Aussage ihn verblüffte. »Mir wurde gesagt, dass Morgan unter Arrest gestellt wurde.«

»Diese Formulierung trifft so nicht zu. Sie bleibt weiterhin für Sie tabu. Haben Sie verstanden?«

»Sie stellt eine Bedrohung dar«, sagte Togo. Bildete sie sich den gelangweilten Unterton in seiner Stimme nur ein, als er diese Warnung zum vermutlich zwanzigsten Mal aussprach? »Sie zu eliminieren würde bedeuten, dass eine ernste Gefahr für Ihr Leben beseitigt ist. Es wäre zugleich eine äußerst deutliche Botschaft.«

»Es wäre die verkehrte Botschaft«, hielt sie dagegen und machte mit einer knappen Geste klar, dass das Thema damit abgeschlossen war. »Haben Sie inzwischen noch irgendwelche Anhaltspunkte finden können, von welcher Seite diese Versuche unternommen werden, Unruhe unter der Bevölkerung von Midway zu stiften?«

»Nein, Madam Präsidentin, aber ich werde die Verursacher ausfindig machen.«

Mit der folgenden Geste bedeutete sie Togo, dass er nun wirklich gehen sollte, und diesmal verließ er das Büro.

Iceni seufzte und wünschte, all ihre Probleme würden sich mit Morgans Tod beseitigen lassen. Aber sie hatte zu viele CEOs straucheln sehen, die der Meinung gewesen waren, sich mit Morden aus einer heiklen Situation retten zu können. Es war eine einfache Lösung, die aber nur selten das eigentliche Problem aus der Welt schaffte. Vielmehr rückten stattdessen nur neue Gegenspieler nach, die schneller auftauchten, als sie eliminiert werden konnten.

Außerdem hatte sie im Augenblick sowieso ein erheblich größeres und drängenderes Problem.

Iceni aktivierte das auf den Stern Midway ausgerichtete Display über dem Schreibtisch. Planeten und zahlreiche andere Objekte zogen langsam ihre Bahnen um den Stern. Leuchtende Symbole kennzeichneten die Kriegsschiffe, die ihr zur Verfügung standen, um das gesamte System zu verteidigen. Vier Schwere Kreuzer, sechs Leichte Kreuzer, zwölf Jäger.

Eine ernst zu nehmende Streitmacht in den Regionen, in denen die Autorität des Syndikats zusammengebrochen oder zumindest massiv geschwächt worden war. Aber nicht genug Feuerkraft, um sich gegen das Schlachtschiff zur Wehr zu setzen, mit dem CEO Boucher herkommen würde. Iceni traute Boyens zwar nicht, aber sie hatte keinen Zweifel daran, dass er in diesem Punkt die Wahrheit sagte.

Um dieses Sternensystem zu verteidigen, benötigte Iceni ihr eigenes Schlachtschiff, doch an der neu konstruierten Midway gab es noch viele Arbeiten zu erledigen, ehe sie ins Gefecht geschickt werden konnte. Der Schlachtkreuzer, den sie sich vor Kurzem bei Ulindi angeeignet und auf Pele umgetauft hatten, war der Einsatzbereitschaft deutlich näher. Es mussten nur noch die Schäden behoben werden, die das Schiff beim Kampf mit den Streitkräften des sogenannten Supreme CEO Haris abbekommen hatte. Vielleicht konnte die Pele tatsächlich eingesetzt werden, wenn CEO Hua Boucher hier eintraf; doch was sollte ein einzelner Schlachtkreuzer gegen ein Schlachtschiff ausrichten?

Ich habe keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen soll. Aber ich kenne jemanden, der dazu in der Lage sein dürfte.

Das ging nur die mobilen Streitkräfte etwas an, also war es nicht erforderlich, sich mit Drakon zu beratschlagen, auch wenn ihre Wut auf ihn ein wenig verraucht war. Iceni überprüfte ihr Erscheinungsbild, setzte sich gerade hin und setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf, was ihr leichtfiel. Sie war seit langer Zeit daran gewöhnt, das Bild zu vermitteln, dass sie das Sagen hatte und in der Lage war, mit allem klarzukommen, was man ihr vorsetzte. Dann betätigte sie eine Taste, um eine Nachricht zu senden.

»Kommodor Marphissa, eine weitere Flotte des Syndikats ist zu uns unterwegs, die von ihrer Schlagkraft her der letzten entsprechen dürfte. Mir wurde mitgeteilt, dass sie in frühestens fünf Tagen hier eintreffen kann, trotzdem sollten Sie sich darauf einstellen, dass sie bereits in vier Tagen auftauchen könnte. Wir haben Grund zu der Annahme, dass diese Flotte dem Kommando einer CEO-Schlange namens Hua Boucher unterstehen wird. Dieser Frau fehlt es an Erfahrung, mobile Streitkräfte zu befehligen. Dafür ist sie jedoch dem Syndikat extrem treu ergeben. Es mag sein, dass sie ihre Fähigkeiten überschätzt, aber sie wird sich nicht um Verluste in den Reihen ihrer Arbeiter kümmern. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie den Befehl hat, bei der Rückeroberung dieses Sternensystems die Schäden an den eigenen Kriegsschiffen auf ein Minimum zu beschränken. Und sie wird zweifellos die Anweisungen erhalten haben, uns nicht zu bombardieren. Sie haben Ihr Geschick als Befehlshaber bewiesen. Ich gebe Ihnen keine spezifischeren Befehle als den, den Sie bereits erhalten haben, nämlich dieses Sternensystem zu verteidigen. Wir müssen verhindern, dass diese Syndikatsschiffe ihre Mission erfolgreich abschließen, und zugleich den Bewohnern dieses Sternensystems den bestmöglichen Schutz bieten. Ich vertraue auf Ihr Können und auf Ihr Urteil, sich dieser Bedrohung genauso wirkungsvoll entgegenzustellen, wie Sie es in der Vergangenheit auch schon taten.«

An dieser Stelle wären bei einer traditionellen Mitteilung des Syndikats ein paar motivierende Drohungen gefolgt, die ausmalten, welche Konsequenzen ein Scheitern nach sich ziehen würde. Doch Iceni hatte diese Tradition genauso über Bord geworfen wie eine andere bewährte Routine aus der Zeit des Syndikats, nämlich einen Befehl bis ins kleinste Detail zu formulieren, was Marphissa wie zu erledigen hatte. Mikromanagement gehörte genauso zum Syndikatsdenken wie Paranoia, Korruption und Hinterlist. Ohne diese Dinge hatte sie viel bessere Resultate erzielt.

»Es gibt noch etwas anzumerken«, fuhr Iceni fort. »Ich werde Kapitan Kontos den Befehl erteilen, das Kommando über die Pele zu übernehmen und alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit das Schiff innerhalb der nächsten Tage gefechtsbereit gemacht wird. Ich schicke die Falcon zurück zu Ihnen, und zwar mit Captain Bradamont an Bord. Setzen Sie Captain Bradamont da ein, wo sie für Sie den größten Nutzen hat. Sie bleiben an Bord der Manticore als Flaggschiff unserer Flotte. Ich will Sie auf keinen Fall zusammen mit Kontos auf der Pele haben, denn ich kann es mir nicht leisten, Sie beide zu verlieren, wenn es zum Schlimmsten kommt. Viel Glück, Kommodor. Für das Volk. Iceni, Ende.«

Leise seufzend begab sie sich an die Nachricht für Kapitan Kontos, der den Befehl erhielt, die Midway zu verlassen und auf die Pele zu wechseln. Sie verzog den Mund, ehe sie die dritte Mitteilung verschickte, die an Kapitan Freya Mercia ging und den Befehl enthielt, das Kommando über das Schlachtschiff Midway zu übernehmen. Damit blieb nur noch die Aufgabe übrig, Drakon Kopien aller drei Befehle zuzusenden und ihn darauf hinzuweisen, dass Captain Bradamont so bald wie möglich von der Falcon geholt werden musste.

Mehr als das konnte sie nicht unternehmen, um Midway auf den neuesten Angriff durch das Syndikat vorzubereiten. Niemand, der bei Verstand war, würde auf die Idee kommen, detaillierte Vorgaben zu Abläufen zu machen, die sich in einer Entfernung von vier Lichtstunden abspielten. Allerdings hatte Iceni Leute gekannt, die das durchaus für praktikabel hielten und es auch von ihr erwartet hatten. Hier würde jetzt alles von Marphissa, Kontos, Captain Bradamont und von den Arbeitern, die sich bemühten, die Pele gefechtsbereit zu machen, abhängen. Zweimal war es Admiral Gearys Flotte gewesen, die das Midway-Sternensystem gerettet hatte. Das war an sich schon äußerst bemerkenswert, da der hundert Jahre währende und erst vor Kurzem beendete Krieg über Generationen hinweg Hass zwischen den Syndikatwelten und der Allianz gesät hatte. Aber Midway gehörte nicht länger zu den Syndikatwelten, und Black Jack Geary war kein typischer Allianz-Offizier. Jetzt würde vielleicht die von Black Jack zur Beraterin und Verbindungsoffizierin bestimmte Captain Bradamont den Kriegsschiffen von Midway helfen, das Sternensystem ein drittes Mal vor dem Untergang zu bewahren.

Mit finsterer Miene blickte Iceni auf ihren Kalender. Sie wusste, die nächsten Tage würden quälend langsam vergehen, da alle nur darauf warteten, dass etwas geschah. Zumindest versprach die Aussicht darauf, CEO Jason Boyens zu verhören, ein wenig Abwechslung, die die Zeit etwas schneller vergehen lassen würde.

Zwei

Drakon traf sich mit Colonel Rogero, als er ins Hauptquartier der Bodenstreitkräfte zurückkehrte. »Haben Sie sich von Captain Bradamont verabschiedet?«

Rogero nickte sichtlich betrübt. »Mir wäre es lieber, in einen harten Kampf zu ziehen, anstatt ihr zusehen zu müssen, wie gerade sie genau das tut.«

»Ihnen ist aber auch klar, dass das Gleiche für den Captain gilt, wenn sie zusehen müsste, wie Sie sich auf den Weg ins Gefecht machen. Kommen Sie, ich habe eben Colonel Gaiene und Colonel Kai etwas mitgeteilt, das ich Ihnen auch unter vier Augen sagen muss.« Drakon gab sich alle Mühe, mit ruhiger Stimme zu reden. »Mit sofortiger Wirkung befolgen Sie keine Befehle mehr von Colonel Morgan, selbst wenn sie darauf beharrt, die Befehle kämen von mir.«

Drakon musste Rogero zugutehalten, dass der sich bei diesen Worten nichts anmerken ließ. »Verstehe, General. Darf ich fragen, wieso …«

»Nein. Colonel Morgan ist einem besonderen abgetrennten Dienst zugeteilt worden, deshalb werden Sie sie auch nicht zu Gesicht bekommen. Aber sollte sie Kontakt mit Ihnen aufnehmen, dann befolgen Sie den Befehl, den Sie soeben von mir erhalten haben.«

Rogero nickte. »Jawohl, Sir. Angesichts der … veränderten Vorgehensweise, die Ihr Befehl zur Folge hat … darf ich fragen, ob das auch Auswirkungen auf den Status von Colonel Malin hat?«

Ehe Drakon darauf antworten konnte, musste er erst einmal gründlich nachdenken. Seit ein paar Jahren waren Morgan und Malin seine rechte und linke Hand gewesen. Eine Hand zu verlieren war schon schlimm genug, und es war zu schwierig, als dass er Rogero das Ganze jetzt hätte erklären können. Sich nun auch noch der anderen Hand zu berauben würde ihm womöglich mehr Schmerzen bereiten als jeder hypothetische Plan, an dem Malin unter Umständen arbeitete. »Nein, außer in einer Hinsicht. Sollte Colonel Malin Ihnen Befehle erteilen, von denen er behauptet, dass sie von mir kommen, dann hören Sie auf Ihren Instinkt. Wenn Ihnen diese Befehle irgendwie seltsam erscheinen, dann fragen Sie unmittelbar bei mir nach, bevor Sie sie ausführen.«

»Verstanden, General.«

»Gut«, sagte Drakon, der genau wusste, dass hinter Rogeros regloser Miene Dutzende Fragen darauf drängten, gestellt zu werden. Aber er war noch nicht bereit, diese Fragen anzuhören oder gar zu beantworten, also wechselte er das Thema. »Wie geht es Ihrer Brigade?« Er hatte sich schon einige Male danach erkundigt, daher musste Rogero klar sein, dass Drakon nichts über Statistiken zur Bereitschaft hören wollte, sondern an der persönlichen Befindlichkeit der Soldaten interessiert war.

»Keine nennenswerten Probleme«, antwortete Rogero. »Aber als ich heute Morgen mit meinen Senior-Spezialisten gesprochen habe, berichteten sie davon, dass ihnen ein Anstieg der Anzahl seltsamer Gerüchte aufgefallen ist, von denen sie glauben, dass sie unseren Bodenstreitkräften bewusst zugespielt werden.«

»Seltsame Gerüchte?«, hakte Drakon nach. »Irgendetwas Neues?«

»Nur in den Details.« Mit nachdenklicher Miene schaute er in Richtung der Stadt. »Sie lassen sich grob in drei Kategorien einteilen. Eine Gruppe von Gerüchten besagt, dass Sie und Präsidentin Iceni gar nicht souverän handeln, sondern nur tun, was Ihnen befohlen wird, um die Kontrolle über dieses Sternensystem zu behalten. Sie beide sind demnach CEOs des Syndikats geblieben, nur dass Sie sich nicht mehr so nennen. Das stößt auf wenig Interesse, weil unsere Leute Sie nach Ihrem Handeln beurteilen und weil sie nicht vergessen haben, dass Präsidentin Iceni die Arbeitslager abgeschafft hat. Die zweite Gruppe behauptet, Sie und die Präsidentin hätten vor, dieses Sternensystem und all seine Bewohner zu verraten, indem Sie das System als Ausgangsbasis benutzen, um Ihr eigenes Nachfolge-Imperium zu gründen. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass eine größere Anzahl Soldaten sich darüber Sorgen macht, als mir recht ist. Die dritte Kategorie umfasst alle möglichen Varianten der Behauptung, dass Präsidentin Iceni ein Attentat auf Sie plant und unsere Bodenstreitkräfte auslöschen will, um sich ihren Platz als alleinige Herrscherin über dieses Sternensystem zu sichern.«

Drakon musste unwillkürlich lachen. »Und wie soll Iceni das bewerkstelligen? Mit einer planetaren Miliz?«

»Nein, Sir. Das ist ja genau das Tückische an diesen Gerüchten. Sie behaupten, dass ein Teil unserer Bodenstreitkräfte, womöglich ganze Einheiten, vielleicht aber auch nur die Offiziere den Rest verraten und sich auf Icenis Seite schlagen werden.« Rogero verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Auf diese Weise fördern die Gerüchte Misstrauen gegenüber Präsidentin Iceni und gegenüber den eigenen Kameraden.«

»Sehr geschickt«, musste Drakon zugeben. »Ich glaube zwar definitiv nicht, dass Präsidentin Iceni so etwas plant, aber es sind perfide formulierte Gerüchte, die Angst und Argwohn erzeugen.«

Rogero atmete tief durch, dann sah er Drakon an. »Sind Sie sich wirklich sicher, dass die Präsidentin nicht versucht, Sie umzubringen? Es gab verschiedene Anschläge, die gegen Sie und gegen mich gerichtet waren.«

»Ich weiß.« Jetzt lächelte Drakon ohne einen Anflug von Humor. »Aber wenn Präsidentin Iceni mich tatsächlich töten wollte, dann würden wir darüber keine Gerüchte mitbekommen. Ich wäre dann einfach tot, nachdem sie den Befehl gegeben hätte. Sie ist tatsächlich so gut darin. Außerdem weiß ich, dass ich Ihnen vertrauen kann. Wenn Soldaten in Ihrer Brigade an einer solchen Verschwörung beteiligt wären, dann würden Sie das auf Anhieb feststellen.«

»Vielen Dank, General«, erwiderte Rogero. »Sie wissen, Sie können auch Colonel Gaiene vertrauen. Er nimmt zwar nicht ganz so genau Notiz von den Ereignissen in seiner Brigade, wie er das eigentlich tun sollte, aber das macht sein XO allemal für ihn wett.«

»Und Colonel Kai ist immer schon loyal gewesen«, stellte Drakon fest.

Rogero reagierte amüsiert. »Auf Kai können Sie immer zählen, Sir. Wenn der Sie verraten wollte, müsste er schnell und verwegen handeln. Aber wann ist Kai jemals schnell und verwegen gewesen?«

Jetzt musste auch Drakon lachen. »Er ist vielmehr wie ein Felsblock, der sich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen lässt. Versuchen Sie, den Gerüchten entgegenzuwirken, halten Sie mich in der Sache weiter auf dem Laufenden, und setzen Sie Ihre Senior-Spezialisten darauf an, die Gerüchte zu ihren Quellen zurückzuverfolgen. Ich würde mich wirklich gerne mal mit denjenigen Leuten unterhalten, die diese Gerüchte streuen.«

»Ja, Sir. Das würde ich auch gern tun.«

»Und noch etwas, Donal. Wenn es jemanden gibt, der es mit dieser Syndikatsstreitmacht aufnehmen kann, dann sind das Captain Bradamont und diese Kommodor.«

Es war Rogero anzusehen, wie gezwungen sein Lächeln war. »Ja, Sir. Niemand sonst.«

Als der Alarm diesmal über die Brücke der Manticore schallte, betraf die Warnung nichts so Harmloses wie ein Kurierschiff.

»Ein Schlachtschiff«, meldete der Senior-Wachspezialist. »Drei Schwere Kreuzer, fünf Leichte Kreuzer, zehn Jäger. Alle senden die Identifikation des Syndikats. Angeordnet sind sie in der standardmäßigen Kastenformation Eins.«

Kommodor Marphissa nickte und nahm den Blick nicht vom Display. Die standardmäßige Kastenformation Eins war – wie es schon die Bezeichnung eindeutig beschrieb – eine von den mobilen Streitkräften des Syndikats häufig benutzte Anordnung. Das Schlachtschiff befand sich dabei im Mittelpunkt eines Kastens, dessen Konturen von den kleineren Einheiten gebildet wurden, wobei die drei Schweren Kreuzer zusammen mit einem Leichten Kreuzer die vier vorderen Ecken des Kastens besetzten, während die vier verbleibenden Leichten Kreuzer die rückwärtigen vier Ecken bildeten. Die kleinen entbehrlichen Jäger waren im Bereich dazwischen gleichmäßig verteilt. »Ist es das gleiche Schlachtschiff wie beim letzten Mal?«

»Ja, Kommodor«, erwiderte der Wachspezialist. »Das Schiff hat den Identifizierungscode BB-57E. Die gleiche Einheit wie bei der letzten Syndikatsflotte.«

Kapitan Diaz warf dem Spezialisten einen missbilligenden Blick zu. »Nur weil das Schiff diesen Code sendet, heißt das nicht automatisch, dass es sich um den tatsächlichen Code dieses Schiffs handelt.«

»Ja, Kapitan«, pflichtete der Spezialist ihm bei und machte wegen seines Fehlers einen betretenen Eindruck. Seit der Revolte gegen das Syndikat hatte sich auf den Kriegsschiffen viel verändert, dennoch war niemand dazu in der Lage, die Erfahrungen zu vergessen, die man unter dem alten System gemacht hatte. Selbst wenn man aus einem noch so guten Grund die Frage des Vorgesetzten nicht exakt zu beantworten vermocht hatte, waren oftmals heftige Beschimpfungen oder auch Schlimmeres die Folge gewesen.

Aber da Marphissa allzu oft solchen Beschimpfungen ausgesetzt gewesen war, hatte sie sich vorgenommen, derartige Reaktionen ihrerseits auf wirklich gravierende Fehlleistungen zu beschränken. Deshalb verzog sie jetzt auch nur den Mund und fragte sich, welche Überraschungen die Syndikatsflotte diesmal für sie vorgesehen haben mochte. »Zumindest sieht es so aus, als ob CEO Boyens weitestgehend korrekte Informationen geliefert hätte. Wollen wir doch mal sehen, wer das Kommando über diese Flotte hat.«

Kapitan Diaz schaute zu ihr. »Sollen wir …«

»Keine Manöver, Kapitan. Noch nicht. Die sind zehn Lichtminuten von uns entfernt. Ich will sehen, was sie machen, bevor ich entscheide, was wir tun werden.«

Captain Honore Bradamont kam zügig zu ihnen auf die Brücke. »Sind sie das?«

Der Anblick eines Allianz-Offiziers auf der Brücke eines ehemaligen Syndikat-Kriegsschiffs war immer noch befremdlich genug. Noch eigenartiger aber war, dass die Spezialisten und Offiziere der Brücke auf Bradamonts Eintreffen mit erleichtertem Lächeln reagierten. Bradamont war zwar eine Offizierin der verhassten Allianz, aber sie hatte auch zu Black Jacks Flotte gehört und in letzter Zeit bei Operationen von Marphissas Kriegsschiffen einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen dieser Einsätze geleistet. Die Crew der Manticore sah sie nicht länger als feindliche Offizierin, sondern als eine von ihnen an.

»Das sind sie«, bestätigte Marphissa und lächelte Bradamont ebenfalls kurz an. »Und sie haben ein Schlachtschiff.«

»Verdammt.« Bradamont stellte sich neben Marphissas Platz und warf einen Blick auf deren Display. »Wo ist die Pele?«

»Immer noch zwanzig Lichtminuten entfernt.« Der Schlachtkreuzer flog seit mehreren Stunden zielstrebig auf das Hypernet-Portal zu, begleitet von den Schweren Kreuzern Basilisk und Gryphon. Weit hinter ihnen trottete der Gasriese auf seinem Orbit um den Stern, ganz in seiner Nähe hing die wichtigste Schiffswerft Midways im All. Nachdem die Pele, die Schweren Kreuzer und das Schlachtschiff Midway die Werft verlassen hatten, wirkte sie mit einem Mal einsam und verlassen.

Anders als der Schlachtkreuzer entfernte sich die Midway langsam von den anderen Kriegsschiffen. Ihr voraussichtlicher Kurs beschrieb einen ausholenden Bogen durchs All, der sie schließlich in den Orbit um die primäre Welt einschwenken lassen würde, auf der die meisten Menschen in diesem Sternensystem lebten und arbeiteten. Angesichts der trägen Beschleunigung würde die Midway eine Woche benötigen, ehe sie den Planeten erreichte.

Bradamont beugte sich zu Marphissa vor, bis sie dicht an deren Ohr war. »Ist die Pele tatsächlich so gefechtsbereit, wie sie aussieht? Ihre Schilde und Waffen machen einen hervorragenden Eindruck.«

»Kontos würde die Einsatzbereitschaft dieses Schiffs nicht vorgaukeln«, sagte Marphissa. »Jedenfalls nicht uns gegenüber. Ich habe viele Executives und CEOs gekannt, die so etwas taten, um sich vorübergehend beliebt zu machen, aber Kontos gehörte nicht dazu. Er war und ist für so etwas zu ehrlich.« Wieder lächelte sie, diesmal mit einem bitteren Gesichtsausdruck. »Unter dem Syndikat hätte er kein weiteres Jahr mehr überstanden. CEOs gegenüber die Wahrheit zu sagen ist eine Angewohnheit mit tödlichen Folgen.«

»Er ist nicht ganz so ehrlich, was den Status der Midway angeht«, stellte Bradamont fest und zeigte auf die Darstellung des Schlachtschiffs auf Marphissas Display. »Man könnte meinen, dass das Schiff vor Kurzem schwere Schäden am Antrieb erlitten hat, obwohl der Antrieb in Wahrheit volle Leistung erbringt.«

»Beeindruckende Tarnung, nicht wahr?«, gab Marphissa zurück. »Es sieht so aus, als wäre von den Antriebseinheiten über die Hälfte ausgefallen. Aber damit täuscht er den Feind, nicht seine Vorgesetzten. Ich habe damit kein Problem. Wenn die Midway wie ein flügellahmer Vogel erscheint, dürfte die Syndikatsflotte das Schiff erst einmal links liegen lassen, um es sich vorzunehmen, nachdem man die Kontrolle über das Sternensystem zurückerlangt hat.«

»Oder sie kommen auf dumme Gedanken, weil das Schiff ein leichtes Ziel abgibt. Werden Sie diese Formation beibehalten?«, wollte Bradamont wissen, wobei sie diese gewichtige Frage bewusst diplomatisch formulierte. Marphissa hatte ihre eigenen Kriegsschiffe auch in der standardmäßigen Kastenformation Eins angeordnet, wobei sich jedoch die beiden Schweren Kreuzer Manticore und Kraken im Zentrum befanden, während die Leichten Kreuzer Falcon, Osprey, Hawk, Harrier, Kite und Eagle sechs der acht Ecken des Kastens belegten. Die zwölf Jäger verteilten sich auf die restlichen zwei Ecken und das Innenleben der Kastenformation.

»Im Augenblick ja«, bestätigte Marphissa. »Mir ist schon klar, dass dies nicht die ideale Formation ist, um sich der Syndikatsflotte in den Weg zu stellen. Aber deren Befehlshaber soll glauben, dass ich noch immer die gleiche Doktrin wie er selbst befolge.«

»Gute Idee«, stimmte Bradamont ihr zu. »Je länger die davon ausgehen, dass Sie auf berechenbare Weise kämpfen, umso besser für uns.«

»Kommodor«, meldete sich der Komm-Spezialist zu Wort. »Wir empfangen eine Mitteilung von der Syndikatsflotte. Sie ist an den Befehlshaber unserer Streitmacht gerichtet.«

»Geben Sie sie mir rüber«, befahl Marphissa.

In dem vor ihr auf dem Display aufgehenden Fenster tauchte das Gesicht einer Frau auf, deren breiter Mund und volle Wangen in einem Dauerzustand sanfter Freude erstarrt zu sein schienen. Sie hätte als die personifizierte liebe, fröhliche Großmutter durchgehen können, wäre da nicht der makellos geschneiderte Anzug gewesen, der sie als CEO der Syndikatwelten auswies.

»Happy Hua«, murmelte Kapitan Diaz entsetzt. »Das ist sie wirklich, nicht wahr?«

»Das nenne ich eine gelungene Täuschung«, meinte Marphissa. »Obwohl ich schon einiges über sie hörte, kann ich noch immer nicht so ganz daran glauben, dass jemand so freundlich aussehen kann und gleichzeitig das erbarmungsloseste Miststück des gesamten Inneren Sicherheitsdienstes sein soll.«

Hua begann zu reden. Ihre Stimme an sich klang zwar angenehm, konnte aber nicht über die unverblümte Wortwahl hinwegtäuschen. »An den Befehlshaber der rebellischen mobilen Streitkräfte in diesem Sternensystem. Ihnen bleiben nur zwei Möglichkeiten: Wenn Sie kapitulieren und mir die Befehlsgewalt über Ihre mobilen Streitkräfte überlassen, wird Ihnen die Gelegenheit gegeben, Ihren Nutzen für die Syndikatwelten erneut unter Beweis zu stellen. Die einzige Alternative für Sie lautet zu sterben. Ich erwarte eine sofortige Antwort. Für das Volk. Boucher, Ende.« Wie bei allen Mitteilungen von CEOs des Syndikats wurde das »für das Volk« derart runtergerasselt, dass deutlich wurde, dass es sich nur um eine Phrase ohne jede Bedeutung handelte.

»Das war ungeschickt«, schnaubte Bradamont. »Sie hätte versuchen sollen, Sie zu täuschen, um erst einmal näher zu kommen. Dann hätte sie Ihnen das Ultimatum immer noch vor die Füße werfen können.«

»Sie ist eine Schlange«, sagte Diaz. »Sie ist es nicht gewöhnt, mit ihren Opfern zu verhandeln. Ich vermute, dieses Angebot, zu kapitulieren und am Leben gelassen zu werden, wird immer noch von einigen Leuten geglaubt. Doch niemand, der sich tatsächlich etwas hat zuschulden kommen lassen, wird dumm genug sein, auf das Angebot einzugehen.«

Marphissa nickte. »Mit dem Angebot kriegt man nur die Unschuldigen, die davon überzeugt sind, dass ihre Unschuld sie beschützt. Diese CEO hat mir sofort gedroht, Honore, weil ihr gar nicht klar ist, wie schwierig es für ihr Schlachtschiff sein wird, unsere Schiffe zu erwischen, wenn wir erst mal vor ihnen davonfliegen. Wenn man keine Erfahrung damit hat, ein Gefecht im All zu führen, kann man sich kaum vorstellen, wie immens riesig das Schlachtfeld hier draußen ist. Ich möchte wetten, Boucher denkt in planetaren Dimensionen. Solange sie uns sehen kann, können wir auf keinen Fall so schrecklich weit von ihrem Schiff entfernt sein.« Sie dachte kurz nach. »Komm, stellen Sie eine Verbindung zu jedem Schiff in der Syndikatsflotte her.«

»Schon bereit, Kommodor. Taste zwei.«

»Und bereiten Sie eine Kopie von der Aufzeichnung vor, die die Zerstörung des Leichten Kreuzers zeigt, den das Syndikat beim letzten Mal hergeschickt hat. Ich meine den Leichten Kreuzer, der zu uns überlaufen wollte.«

»Sofort, Kommodor. Noch einen Moment. Fertig. Anhang Alpha.«

Marphissa gab Bradamont ein Zeichen, sich von ihrem Platz zu entfernen, sodass die Allianzoffizierin bei der aufzuzeichnenden Mitteilung nicht im Bild auftauchte. Dann atmete sie tief durch und begann die Aufnahme.

»An die Besatzungen der mobilen Streitkräfte, die noch immer der Kontrolle durch das Syndikat unterstehen. Hier spricht Kommodor Asima Marphissa vom freien und unabhängigen Sternensystem Midway. Wir sind nicht länger Sklaven des Syndikats. Wir sind eigenständig. Jede Schlange in diesem Sternensystem wurde getötet, damit wir nicht länger den Launen des Inneren Sicherheitsdienstes ausgesetzt sind und auch nicht mehr um die Sicherheit unserer Familien und der uns nahestehenden Menschen fürchten müssen. Wir sind frei, und das können Sie auch erreichen! Dienen Sie nicht weiter denjenigen, von denen Sie wie Vieh behandelt werden! Erheben Sie sich und töten Sie die Schlangen in Ihren Reihen, und dann schließen Sie sich uns an. Oder kehren Sie nach Hause zurück, um den Menschen die Freiheit zu verschaffen, für die wir gekämpft haben. Aber hüten Sie sich vor den Tricks der Schlangen. Die werden Sie ohne Vorwarnung und ohne Grund umbringen, so wie sie es auch mit der glücklosen Crew des Leichten Kreuzers gemacht haben, der zur letzten Flotte gehörte, die dieses Sternensystem aufsuchte. Schließen Sie sich uns an, wenn Sie jeden Menschen gleichermaßen wertschätzen und respektieren, ob Arbeiter oder Supervisor. Für das Volk!«, schloss sie und betonte jedes Wort, um ihm zusätzliche Wirkung zu verleihen. »Marphissa, Ende.«

Sie betätigte die Anhangskontrolle und übermittelte ein Bild, das den Leichten Kreuzer zeigte, wie er von seiner eigenen überladenen Antriebseinheit zerrissen wurde. Wussten die Besatzungen der anderen Syndikatsschiffe, dass der Leichte Kreuzer zerstört worden war, um die Crew daran zu hindern, die Kontrolle über das Schiff zu übernehmen? Spätestens jetzt würden sie es erfahren.

»Auf diesen Schiffen muss es von Schlangen wimmeln«, murmelte Diaz. »Wie stehen die Chancen, dass irgendeine dieser Besatzungen eine Meuterei zu einem erfolgreichen Abschluss bringt?«

»Wahrscheinlich gleich null«, musste Marphissa einräumen. »Aber die Schlangen an Bord werden jetzt alle Hände voll damit zu tun haben, die eigenen Besatzungen nicht aus den Augen zu lassen. Und damit wird ihnen weniger Zeit zur Verfügung stehen, sich um das zu kümmern, was wir hier tun. Die Schlangen werden gezwungen sein, jede einzelne Handlung ihrer Besatzungsmitglieder infrage zu stellen und gesondert zu kontrollieren. Dass verzögert ihre eigenen Aktionen und verhindert schnelle Reaktionen auf das, was wir unternehmen. Sie haben das selbst mitgemacht, so wie ich auch. Sie wissen, wie das ist.«

»Erinnern Sie mich bloß nicht daran! Es gab Zeiten, da hatte ich Angst, ich könnte falsch atmen.«

Es würde zehn Minuten dauern, ehe die trotzige Antwort die Syndikatsflotte erreichte, aber nur drei Minuten später meldete der Ablaufspezialist Bewegungen in der Flotte. »Die mobilen Streitkräfte des Syndikats beschleunigen und gehen auf Abfangkurs zu unserer Formation, Kommodor.«

»Standardmäßiges Beschleunigungsprofil für eine Schlachtschiff-Formation«, merkte Diaz an. »Happy Hua geht genau nach Vorschrift vor.«

Wieder nickte Marphissa, ihren Blick auf das Display gerichtet.

»Was meinen Sie dazu?«, wandte sie sich an Bradamont.

»Wenn diese CEO tatsächlich keine Erfahrung mit Weltraumgefechten hat«, antwortete Bradamont, »würde ich diese Formation nicht mit der von Kapitan Kontos zusammenführen, wenn der mit der Pele nahe genug ist. Ich würde Kontos unabhängig agieren lassen. Diese CEO wird viel größere Schwierigkeiten haben, die Situation zu erfassen und eine Entscheidung zu treffen, wenn sie statt mit einer gleich mit zwei angreifenden Formationen konfrontiert wird.«

»Sie wird die automatischen Systeme einsetzen, meinen Sie nicht?«, warf Diaz ein. »Hua Boucher wird weder den Supervisoren noch den Arbeitern ihrer Crews vertrauen, aber sie wird sich auf die Software verlassen. Leute, die so weit oben stehen, glauben immer der eigenen Propaganda, dass automatische Systeme die perfekte Lösung sind.«

Marphissa biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. »Ja, Kapitan, da haben Sie recht. Und Sie ebenfalls, Captain Bradamont.«

»Was taugen ihre automatischen Systeme denn?«, fragte sie.

»Es ist nicht so, als wären sie wirklich schlecht, auch wenn sie weit von jeder Perfektion entfernt sind. Es ist vielmehr so, dass wir mit den Systemen ebenfalls vertraut sind. Wir haben ältere Versionen der Software, mit der CEO Boucher arbeitet, daher wissen wir ziemlich genau, welche Vorgaben sie von ihren automatischen Systemen bekommt.«

»Ein Schlachtschiff auszuschalten wird mit der Ihnen zur Verfügung stehenden Feuerkraft immens schwierig werden«, warnte Bradamont. »Was wir zuvor besprochen haben, ist immer noch der beste Weg, den Sie gehen können. Berauben Sie sie der Eskortschiffe, indem Sie sie durch wiederholte Angriffe zerstören, aber lassen Sie das Schlachtschiff zunächst in Ruhe und nehmen Sie es sich anschließend mit massivem Beschuss vor. Wenn die Syndikatsschiffe die Flucht anzutreten versuchen, werden sie es vermutlich auch schaffen, zu entkommen. Sollten sie aber den Kampf wählen, dann können Sie ihnen letztlich genug Schäden zufügen, um sie auszuschalten. Doch Sie werden wahrscheinlich einen hohen Preis zahlen müssen. Und wenn Sie zu früh zu nahe an den Gegner herangehen, wird die Feuerkraft dieses Schlachtschiffs Ihre Schiffe in Stücke reißen.«

»Ich muss aggressiv auftreten«, beharrte Marphissa.

»Ja. Aber auch geduldig. Und das ist eine schwierige Mischung. Bei Syndik-Schlachtschiffen … ähm … ich wollte sagen: bei Syndikat-Schlachtschiffen von diesem Typ nimmt man am besten die Bugflanken unter Beschuss. Dort sind die Schilde und die Panzerung am schwächsten. Wenn Sie genau auf den Bug zuhalten, sind Sie zwar einem stärkeren Beschuss ausgesetzt, aber die Schilde weiter hinten halten viel mehr aus.«

Diaz warf Bradamont einen irritierten Blick zu, den Marphissa nur zu gut verstand. Die Allianz-Offizierin war durch entsprechende Erfahrung an dieses Wissen gelangt. Sie war gegen Syndikat-Kriegsschiffe vom Typ dieses Schlachtschiffs ins Feld gezogen, wie auch gegen die Art von Schwerem Kreuzer, auf dem sie sich jetzt aufhielt. Es schmerzte, daran erinnert zu werden, wie oft Bradamont gegen ihre Kameraden gekämpft und wie viele sie von ihnen getötet hatte, während genau diese Kameraden im Gegenzug alles versucht hatten, um die Allianzoffizierin zu töten. Und das lag nicht Jahre, sondern nur ein paar Monate zurück. »Das war das Syndikat«, sagte Marphissa leise. »Wir sind das nicht.«

Diaz biss sich auf die Lippe und nickte, während Bradamont den Blick abwandte, da sie das Unbehagen der beiden gut verstand. »Wer hat jetzt das Kommando über die Midway?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln.

»Kapitan Freya Mercia«, antwortete Marphissa. »Eine der Überlebenden der Reserveflotte, die wir zurückgebracht haben. Präsidentin Iceni war sehr beeindruckt von ihr.«

Bradamont vermied es abermals, Marphissa anzusehen. Auch dieses war kein unverfängliches Thema. Sie hatte den Allianz-Schlachtkreuzer Dragon befehligt, als die Reserveflotte der Syndikatwelten von Black Jacks Flotte aufgerieben worden war. »Ich bin ihr auch begegnet. Wenn sie nur halb so gut ist, wie es den Anschein hat, dann wird Kapitan Mercia eine gute Befehlshaberin über das Schiff sein.«

»Aber die Midway ist an diesem Kampf nicht beteiligt«, sagte Marphissa und betrachtete weiter ihr Display. »Ohne Waffen kann Kapitan Mercia nicht viel ausrichten, auch wenn sie noch so gut ist. Wir werden jetzt unsere Positionen verlassen und damit anfangen, CEO Boucher das Leben so schwer wie nur möglich zu machen.«

Allen gegenseitigen Feindseligkeiten zum Trotz hatten die Allianz und die Syndikatwelten die gleichen vereinfachten Konventionen für Richtungsangaben in den endlosen Weiten eines Weltalls beibehalten, in dem eigentlich keine vorgegebenen Richtungen existierten. Jedes Sternensystem besaß eine Ebene, auf der sich die Planeten um den Stern bewegten. Die Menschen hatten entschieden, eine Seite dieser Ebene als oben, die andere als unten zu bezeichnen. Alles, was zur Sonne wies, war an Steuerbord. Alles, was von der Sonne wegwies, lag damit an Backbord. Es handelte sich nicht um eine völlig präzise Einteilung, aber sie genügte, um einheitliche Reaktionen zu erzielen. Ansonsten hätte ein simpler Befehl wie »nach links abdrehen« zur Folge gehabt, dass Schiffe ihren Kurs in beliebige Richtungen geändert hätten.

Die Syndikatsflotte hatte ihre Drehung abgeschlossen, würde aber immer noch mehr als eineinhalb Stunden benötigen, um Marphissas Schiffe zu erreichen. Auch wenn das Schlachtschiff die größte Schlagkraft der feindlichen Flotte darstellte, hielt es den Verband durch seine extrem träge Beschleunigung ganz erheblich auf. Da sich diese Schiffe auf einem direkten Abfangkurs befanden und kontinuierlich annäherten, blieben sie ein Stück weit links und oberhalb von Marphissas Formation. Diese Relation zu Marphissas Schiffen würden sie beibehalten und dabei immer näher kommen, bis Marphissa ihren eigenen Schiffen befahl, die Position zu verändern.

Die Pele befand sich ein Stück weit hinter und ungefähr fünfzehn Grad relativ rechts von Marphissas Formation. Zumindest hatte sie sich vor zwanzig Minuten dort aufgehalten. Die Midway war dagegen inzwischen fast drei Lichtstunden entfernt, sie befand sich unterhalb und zwanzig Grad relativ rechts von Marphissas Kriegsschiffen.

»Wir lassen uns zur Pele zurückfallen, damit wir gemeinsam mit Kapitan Kontos simultan angreifen können. Ich will einen Vektor, der uns auf zwei Lichtminuten Abstand zur Pele bringt und einen Abstand von vier Lichtminuten zur Syndikatsflotte wahrt. Arbeiten Sie das aus«, befahl die Kommodor.

Diaz bedeutete den Spezialisten, die notwendigen Flugmanöver zu berechnen. Es war keine komplizierte Aufgabe, da sie von den automatischen Systemen dabei unterstützt wurden. Man gab die Variablen ein, sagte dem System, wohin man sich bewegen wollte, und nach nicht mal einer Sekunde wurde die Antwort angezeigt. Es war nichts weiter als Physik und komplexe Mathematik, angewandt auf die exakt bestimmbaren Fähigkeiten der Kriegsschiffe unter Marphissas Kommando. »Vier Lichtminuten?«, fragte er Marphissa.

»Damit kommen wir ihnen noch nicht zu nahe«, erklärte sie. »Ich will nur zu meinen eigenen Bedingungen in die Feuerreichweite dieses Schlachtschiffs geraten. Vier Lichtminuten lassen uns genug Zeit, um zu sehen, was die Syndikatsschiffe machen, und mit Gegenmaßnahmen darauf zu reagieren. Gleichzeitig sollte das nah genug sein, um CEO Boucher zu frustrieren, wenn sie die Lücke zu schließen versucht und dabei einfach nicht an uns herankommt.«

»So nah und doch so fern«, merkte Diaz grinsend an.

»Ganz genau. Sie ist eine Senior-Schlange. Sie ist daran gewöhnt, dass das gesamte Universum Verrenkungen macht, weil sie das Sagen hat. Niemand widersetzt sich ihren Befehlen, nicht wahr? Aber wir werden das machen.«

»Das Manöver ist vorbereitet, Kommodor«, meldete der Senior-Wachspezialist.

Marphissa kniff die Augen leicht zusammen, als sie auf ihrem Display den Plan begutachtete. Der zeigte, wie ihre Formation zu einem weiten Bogen nach rechts oben ansetzte, der sich zu einer flachen Kurve einpendelte, um dann mit dem vorausberechneten Kurs der Pele und der zwei begleitenden Schweren Kreuzer zusammenzutreffen. Neben den Linien fanden sich Zeitmarkierungen, die angaben, wann welches Manöver begonnen werden musste. Wer so wenig Erfahrung mit diesen Systemen hatte wie CEO Boucher konnte leicht dem Irrglauben erliegen, es anhand der vorgeschlagenen Lösungen ebenso gut mit denjenigen Kommandeuren aufnehmen zu können, die einen Großteil ihres Lebens im Weltall verbracht hatten.

»Das Manöver ist akzeptabel«, sagte Marphissa. Nichts Ausgefallenes und nichts, das Hua Grund zur Sorge sein könnte, was die Berechenbarkeit ihres Gegners anging. »Wir lassen CEO Boucher in dem Glauben, dass wir den Kampf mit solchen Manövern bestreiten werden.«

»Sie muss doch wissen, dass Sie mehr können als das da«, wandte Diaz ein. »Das Syndikat hat Sie hier und bei Indras kämpfen sehen.«

»Sofern die Berichte darüber überhaupt bei den richtigen Leuten gelandet und nicht in den Datenbanken untergegangen sind«, erwiderte sie. »Und sofern jemand, der sie gelesen hat, sich ernsthaft damit beschäftigt hat. Ich hoffe, dass CEO Boucher ignorant und arrogant genug ist, sich nicht weiter über mich und mein Können erkundigt zu haben.«

Von da an war Warten das Einzige, was noch zu tun blieb. Kriegsschiffe konnten immense Geschwindigkeiten erreichen, wenn man planetare Maßstäbe anlegte.

Die Pele