Die verlorenen Sterne: Enigma - Jack Campbell - E-Book

Die verlorenen Sterne: Enigma E-Book

Jack Campbell

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Beschreibung

Die Syndikatswelten sehen sich einer übermächtigen Bedrohung gegenüber. Die Flotte der außerirdischen Enigma bedroht alles Leben im Sternensystem. Um sie zu bekämpfen, steht General Artur Drakon eine schwere Entscheidung bevor: Soll er sich mit einer Offizierin verbünden, die eigentlich zu seinen Feinden zählt? Angesichts der Bedrohung geht er das Wagnis ein. Mit ungeahnten Folgen ...

»Jack Campbell schreibt die glaubwürdigsten Raumgefechte, die ich je gelesen habe.« David Sherman

Ein Muss für alle Fans von Battlestar Galactica sowie Leserinnen und Leser von David Weber und Mike Shepherd - Bestseller-Autor Jack Campbells spannende Reihe um unglaubliche Weltraumschlachten und tapfere Helden auf aussichtslosen Posten.

Die verlorenen Sterne: Der Ritter
Die verlorenen Sterne: Enigma
Die verlorenen Sterne: Die Revolte
Die verlorenen Sterne: Der Verräter

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.




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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Danksagung

Die Midway-Flotte

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

 

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Über dieses Buch

Die Syndikatswelten sehen sich einer übermächtigen Bedrohung gegenüber. Die Flotte der außerirdischen Enigma bedroht alles Leben im Sternensystem. Um sie zu bekämpfen, steht General Artur Drakon eine schwere Entscheidung bevor: Soll er sich mit einer Offizierin verbünden, die eigentlich zu seinen Feinden zählt? Angesichts der Bedrohung geht er das Wagnis ein. Mit ungeahnten Folgen …

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.

Jack Campbell

DIEVERLORNENSTERNE:ENIGMA

Aus dem amerikanischen Englisch vonRalph Sander

Danksagung

Ich danke meinem Agenten Joshua Blimes für seine beseelten Vorschläge und seinen Beistand. Anne Sowards für ihre Unterstützung und für das Lektorat. Mein Dank geht ebenfalls an Catherine Asaro, Robert Chase, J. G. (Huck) Huckenpöhler, Simcha Kuritzky, Michael LaViolette, Aly Parsons, Bud Sparhawk und Constance A. Warner für Ideen, Kommentare und Ratschläge. Außerdem danke ich Charles Petit für seine Vorschläge in Sachen Raumschlachten.

Die Midway-Flotte

Kommodor Asima Marphissa, Befehlshaberin(Alle Schiffe sind ehemalige Einheiten der mobilen Streitkräfte der Syndikatwelten.)

EIN SCHLACHTSCHIFF

Midway (noch nicht einsatzbereit)

VIER SCHWERE KREUZER

Manticore, Gryphon, Basilisk und Kraken

SECHS LEICHTE KREUZER

Falcon, Osprey, Hawk, Harrier, Kite und Eagle

ZWÖLF JÄGER

Sentry, Sentinel, Scout, Defender, Guardian, Pathfinder, Protector, Patrol, Guide, Vanguard, Picket und Watch

Dienstgrade in der Midway-Flotte (in absteigender Reihenfolge), festgelegt von Präsidentin Iceni

Kommodor

Kapitan Ersten Grades

Kapitan Zweiten Grades

Kapitan Dritten Grades

Kapitan-Leytenant

Leytenant

Leytenant Zweiten Grades

Schiffsoffizier

Eins

Dieser Tag hatte gar nicht so übel begonnen, doch inzwischen sah es so aus, als würde er einen der folgenden Tage nur noch tot erleben. Die wichtigsten Fragen, mit denen sich General Artur Drakon immer noch konfrontiert sah, lauteten: Wer würde den Abzug betätigen? Wann sollte es passieren? Und wie viele Leute würden außer ihm noch sterben müssen?

»Zweihundertzweiundzwanzig Alien-Schiffe«, meldete Colonel Bran Malin und bewahrte dabei bewundernswerte Ruhe. Über und hinter Malin zeigte das Hauptdisplay des planetaren Kommandozentrums das gesamte Midway-Sternensystem und jedes dort befindliche Schiff in einer deprimierenden Detailtreue. Die Kriegsschiffe der Enigma-Rasse waren noch viereinhalb Lichtstunden entfernt, nachdem sie am Sprungpunkt vom Stern Pele kommend im System eingetroffen waren. Pele war schon vor Jahrzehnten von den Aliens besetzt worden. »Selbst wenn die Syndikat-Flotte unter dem Kommando von CEO Boyens sich unseren Streitkräften anschließt, stehen unsere Chancen überwältigend schlecht.«

Unsere Streitkräfte. Drakon konzentrierte sich einen Moment lang auf die Darstellung eben dieser Streitkräfte und versuchte, sich seine finstere Stimmung nicht anmerken zu lassen. Viele Arbeiter standen an ihren Kontrollkonsolen des Kommandozentrums, allesamt vorgeblich auf ihre Tätigkeit konzentriert, doch jeder einzelne beobachtete zweifellos sehr aufmerksam seine Miene, um jeden Anflug von Panik oder auch nur Unschlüssigkeit sofort erkennen zu können.

Nicht weit entfernt im Orbit dieses Planeten hielt sich der größte Teil der großspurig so bezeichneten »Midway-Flotte« auf: zwei Schwere Kreuzer, vier Leichte Kreuzer und zwölf kleine Jäger. Eine jämmerliche Streitmacht, wenn man sie ins Verhältnis zum unlängst beendeten Krieg zwischen den Syndikatwelten und der Allianz setzte. Aber die Syndikatwelten hatten in der Schlussphase dieses Kriegs so schwere Verluste hinnehmen müssen, dass dies hier in einem Territorium, in dem früher einmal die Befehlshoheit der Syndikatwelten als selbstverständlich angesehen worden war, mittlerweile als eine Flotte von passabler Größe galt. Ungefähr eine Lichtstunde entfernt, am Raumdock im Orbit um einen Gasriesen, befanden sich noch ein Schlachtschiff und zwei weitere Schwere Kreuzer. Das hätte schon beeindruckender ausgesehen, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass dieses erst in jüngster Zeit gebaute und auf den Namen Midway getaufte Schlachtschiff (das vor Kurzem auf einer Kaperfahrt aus einer vom Syndikat kontrollierten Werft im Kane-Sternensystem gestohlen worden war) nicht über ein einziges funktionstüchtiges Waffensystem verfügte.

»Eigentlich sind das nicht unsere Streitkräfte«, korrigierte er Malin. »Der befehlshabende Kommodor untersteht dem Kommando von Präsidentin Iceni.« Sie mochte sich jetzt Präsidentin nennen, aber vor ein paar Monaten war Gwen Iceni noch eine CEO der Syndikatwelten gewesen, ganz so wie Drakon selbst. »Wir haben uns aus der Notwendigkeit heraus zusammengetan, uns von der Autorität der Syndikatwelten in diesem Sternensystem befreien zu müssen, bevor das Syndikat unsere Ermordung anordnen konnte. Aber Sie wissen, wie wenig wir es uns leisten können, einander zu vertrauen.«

»Präsidentin Iceni hat Sie nicht hintergangen«, betonte Colonel Malin.

»Noch nicht. Sie wissen, wie das Syndikat einen CEO bezeichnete, der anderen CEOs vertraute. Dumm – hintergangen – tot. Können Sie mit Gewissheit sagen, dass sie nicht versucht hat, mit Boyens Kontakt aufzunehmen und mit ihm etwas auszuhandeln?« Die von CEO Boyens befehligte Syndikat-Flotte bestand aus einem Schlachtschiff, sechs Schweren Kreuzern, vier Leichten Kreuzern und zehn Jägern. Die Midway-Flotte hatte kurz vor einem verzweifelten und wahrscheinlich hoffnungslosen Kampf gegen diese Streitmacht gestanden, da waren auf einmal die Enigmas genannten Aliens in erdrückender Übermacht im System eingetroffen und hatten alle Menschen in diesem Sternensystem bedroht.

»Mit absoluter Gewissheit, General. Wenn Sie und Präsidentin Iceni einander kaum vertrauen können, dann wird sich auch keiner von Ihnen darauf verlassen, dass CEO Boyens sich an irgendeine Abmachung halten würde«, beharrte Malin. »Selbst wenn Boyens fair spielen wollte, würden die Schlangen in seiner Flotte von ihm verlangen, dass er Sie und Iceni als die Rädelsführer dieser Revolte tötet.«

Er konnte den darin verborgenen Humor erkennen. »Ich kann dem Inneren Sicherheitsdienst des Syndikats also für die Gewissheit danken, dass Iceni mich nicht an Boyens ausliefern wird. Das ist das erste Mal, dass die Schlangen mir ein Gefühl von Sicherheit geben.«

»Ja, Sir. Aber Boyens und seine Flotte stellen momentan ein relativ unbedeutendes Problem dar. Es ist möglich, dass er einem Vorschlag von Ihnen und Präsidentin Iceni zustimmen wird, sich unseren Streitkräften anzuschließen, damit wir uns den Enigmas geschlossen stellen können.«

Drakon schüttelte den Kopf. »Nein, das wird er nicht machen. Für Boyens springt nichts dabei heraus, wenn er sich mit uns zusammenschließt. Er ist auf Befehl des Syndikats hergekommen, um uns zu besiegen und um das Sternensystem zurückzuerobern. Aber nachdem jetzt die Enigmas aufgetaucht sind, droht jedem menschlichen Lebewesen im Midway-System der Untergang. Warum sollte er in einem aussichtslosen Kampf sein Leben bei dem Versuch geben, uns zu retten?«

»Das wird er nicht machen«, antwortete Präsidentin Iceni, die in diesem Moment auf Drakon zuging. Jede Bewegung und auch ihr Tonfall waren so angelegt, dass sie Gelassenheit und Selbstbewusstsein in einem Maß ausstrahlte, das bei jedem Geringeren unter diesen Umständen lächerlich gewirkt hätte.

Aber Drakon musste zugeben, dass Iceni das sehr überzeugend rüberbrachte.

»CEO Boyens«, fuhr sie fort, »ist ein praktisch veranlagter Mensch. Für uns gibt es hier keine Hoffnung«, fügte sie dann auf eine sachliche Art hinzu, die im Widerspruch zu ihren Worten stand.

Drakon drehte sich zu ihr um. »Sie haben in der Vergangenheit schon mit den Enigmas gesprochen. Haben wir eine Chance, mit ihnen zu verhandeln?«

Iceni schüttelte den Kopf. Ihr Gesichtsausdruck war eher berechnend als ängstlich. Wie Drakon wusste auch sie, wie wichtig es ist, dass Führungspersönlichkeiten keine Furcht erkennen ließen. Furcht vermittelte Schwäche, und im System der Syndikatwelten wurden schwache CEOs zur Zielscheibe ihrer Untergebenen. Arbeiter konnten in Panik geraten, wenn ihre Vorgesetzten Angst zur Schau stellten. Senior-Untergebene konnten zu dem Schluss kommen, dass ein per Attentat herbeigeführter Wechsel auf der Führungsebene die eigenen Überlebenschancen verbessern würde. Oder die Arbeiter selbst probten den Aufstand, da sie die Lage für hoffnungslos hielten, und übten noch schnell Vergeltung für alles Leid, das ihre Führer ihnen angetan hatten.

»Die Enigmas«, fuhr Iceni fort, »reden nicht mit uns, sie sprechen zu uns. Und wenn sie sich dazu herablassen, das zu tun, dann stellen sie Forderungen und reagieren auf nichts anderes als auf Zustimmung. Es würde mich sehr wundern, wenn sie sich diesmal mit uns in Verbindung setzen sollten, bevor sie uns töten.«

»Ist das Black Jacks Schuld? Hat er die Enigmas so wie befürchtet gegen uns aufgebracht?«

»Das wäre möglich.« Ihr Blick wanderte zum Hauptdisplay, das in der Mitte des Kommandozentrums in der Luft schwebte. »Black Jack hat versprochen, dieses Sternensystem gegen die Enigmas zu beschützen.«

»Ich kann Black Jacks Flotte nirgends entdecken«, erwiderte Drakon mit rauer Stimme. »Ich glaube auch nicht, dass es die Enigmas beeindrucken wird, wenn wir ihnen von diesem Versprechen erzählen. Black Jack ist mit der Allianz-Flotte ins Enigma-Gebiet vorgedrungen, hat dort jeden gegen sich aufgebracht und ist sehr wahrscheinlich von den Aliens ausgelöscht worden. Jetzt kommen die her, um zu Ende zu führen, was sie schon vor Monaten hatten machen wollen.«

Er ersparte es sich, darauf hinzuweisen, dass anders als beim letzten Auftauchen der Enigmas keine Allianz-Flotte unter dem Kommando des legendären Admiral John »Black Jack« Geary zugegen war, um den Feind aufzuhalten. Bis vor einem Jahr hatte man Geary ein Jahrhundert lang für tot gehalten. Aber er war zurückgekehrt und hatte den Streitkräften der Syndikatwelten so massiv zugesetzt, dass ein Krieg sein Ende fand, von dem alle Beteiligten längst überzeugt gewesen waren, er würde bis in alle Ewigkeit andauern. Dabei hatte Geary auch noch jede Behauptung der Syndikatsregierung Lügen gestraft, sie stehe für das überlegene Regierungssystem. Der größte Teil der Kriegsschiffe der Syndikatwelten war von Geary ausgelöscht worden. Er hatte damit Flotten ausgelöscht, die bis dahin entscheidend dazu beigetragen hatten, dass das Syndikat die von ihm einverleibten Welten unter strikter Kontrolle gehalten hatte.

Doch dann war Geary mit seiner Flotte ins Gebiet der Enigmas gereist, wo er mehr über die erste intelligente außerirdische Spezies herausfinden wollte, der die Menschheit begegnet war. Kein Schiff des Syndikats, das zuvor etwas Ähnliches versucht hatte, war jemals zurückgekehrt.

»Die Situation …« Iceni unterbrach sich, ehe sie nachdenklich fortfuhr. »… ist schwierig.«

»Sehr schwierig«, stimmte Drakon ihr zu und wunderte sich, dass sich in einem solchen Moment ein Anflug von Ironie in seinen Tonfall einschlich. Verdammt, sie ist beeindruckend. »Alle meine Bodenstreitkräfte in diesem Sternensystem gehen derzeit auf volle Gefechtsbereitschaft, aber gegen die Enigmas können sie nichts ausrichten, wenn die Aliens uns vom Orbit aus bombardieren.«

»Alle meine mobilen Streitkräfte haben ebenfalls den Befehl erhalten, in Gefechtsbereitschaft zu gehen«, ließ Iceni ihn wissen. »Die, die am Gasriesen stationiert sind, haben die Ankunft der Enigmas eine Stunde vor uns beobachten können, und wir haben soeben ihre Statusmeldung erhalten. Sie sind alle einsatzbereit.«

»Zu schade, dass uns nicht genug Zeit geblieben ist, um das Schlachtschiff startklar zu machen.«

»Ja, das wäre wirklich von Nutzen gewesen«, fügte sie an und untertrieb dabei ganz massiv. »Abgesehen davon, dass wir versuchen können, uns die Enigmas mit einem Bluff vom Leib zu halten, besteht unsere einzige Alternative darin, uns mit den Syndikat-Streitkräften auf einen Waffenstillstand zu einigen.«

»Sie waren doch gerade eben noch mit mir einer Meinung, dass Boyens nicht an unserer Seite kämpfen wird«, sagte Drakon geradeheraus.

»Ich spreche ja auch von einem Waffenstillstand, nicht von einer Allianz. Unsere winzige Chance, uns mit einem Bluff aus der Affäre zu ziehen, würde etwas besser aussehen, wenn Boyens als ein Teil dieser Streitmacht erscheint und nicht als jemand, der uns ebenfalls angreifen will. Außerdem gibt es für Boyens einen Grund, warum er uns bei diesem Bluff unterstützen sollte. Seine Herren und Meister auf Prime wollen dieses Sternensystem zurückerobern. Wenn die Enigmas es einnehmen oder sogar zerstören, dann war seine Mission ein Fehlschlag.« Sie verzog einen Mundwinkel zu einem humorlosen Lächeln. »Wie wir beide aus schmerzlicher Erfahrung wissen, schert sich die Syndikatsregierung nicht darum, dass Boyens angesichts der Bedrohung durch die Enigma-Rasse seinen Auftrag überhaupt nicht erledigen konnte. Für sie hat er versagt, und er wird ungeachtet der Umstände für die Tatsache seines Scheiterns bestraft werden.«

Colonel Roh Morgan war während des Gesprächs zwischen Iceni und Drakon eingetroffen und salutierte nun vor Drakon. In Morgans Augen funkelte ein sonderbares Licht, so als freue sie sich schon auf einen verzweifelten Kampf. »Die Colonels Rogero, Gaiene und Kai melden, dass ihre Brigaden einsatzbereit sind und die Zivilisten im Auge behalten.«

Drakon nickte und verzog missmutig den Mund. »Ich nehme an, die Zivilisten sind nervös.«

»Es ist nicht so, als ob sie in irgendeine Richtung davonlaufen könnten«, erwiderte Morgan und machte noch einen Schritt auf Drakon zu, sodass sie sich fast berührten. Ihre Stimme war nicht lauter als ein Flüstern und dennoch gut zu verstehen, obwohl im Kommandozentrum ständiger Hintergrundlärm herrschte. »Die können nicht davonlaufen. Ich habe ein Shuttle der Spezialeinsatzkräfte bereitgestellt. Vollständige Tarnkonfiguration. Wir können innerhalb einer halben Stunde unbemerkt starten und Kurs auf einen der Schweren Kreuzer nehmen. Simulierte Kommunikation wird währenddessen alle anderen glauben lassen, dass Sie sich im Hauptquartier der Bodenstreitkräfte aufhalten.«

Er zog die Stirn in Falten, da ihn ihre Nähe einen Moment lang ebenso irritierte wie die Erinnerung an Morgans Körper nach einer durchzechten Nacht, von der er sich wünschte, sie wäre nie geschehen. Aber er benötigte nur einen Augenblick, dann hatte er diesen Gedanken abgeschüttelt, und er konnte sich auf ihre Bemerkung konzentrieren. »Ich soll den Rest im Stich lassen?«, fragte er genauso leise. Ein Blick auf die Anzeige des Displays an seinem Handgelenk bestätigte seinen Verdacht: Morgan hatte persönliche Störsender aktiviert, die jeden Menschen selbst in unmittelbarer Nähe daran hinderten, ihre Unterhaltung zu belauschen.

»Es tut mir leid, wenn wir Gaiene und Kai zurücklassen müssen«, antwortete Morgan ohne einen Hauch von Bedauern in ihrer Stimme. »Aber wir können niemanden mitnehmen, sonst wird sofort offensichtlich, was wir vorhaben.«

Rogero und Malin hatte sie natürlich gar nicht erst erwähnt, da keiner von ihnen Morgans Ansehen genoss. Drakon musterte die Frau. Er kannte den Rest ihres Plans, ohne ihn sich erst von ihr darlegen zu lassen. Immerhin hatte er sich in der Hierarchie des Syndikats nach oben gearbeitet und dabei alle Lektionen gelernt, die man beherrschen musste, wenn man aufsteigen wollte. Er und Morgan würden den Schweren Kreuzer kapern und Kurs auf den Sprungpunkt nehmen, um alle anderen in einem aussichtslosen Kampf sich selbst zu überlassen. Mit der Feuerkraft dieses Schweren Kreuzers konnte es ihnen gelingen, die Kontrolle über ein anderes, weitaus schwächeres Sternensystem zu übernehmen.

Alle anderen im Midway-System würden sterben oder mit irgendeinem anderen Schicksal konfrontiert werden, das diejenigen erwartete, die in die Fänge der Enigmas gerieten. Niemand hatte bislang etwas darüber erfahren, was mit Menschen geschah, die sich in der Gewalt dieser Aliens befanden.

»Nein«, sagte Drakon und sah wieder auf das Lagedisplay, auf dem die Position der feindlichen Streitmacht dargestellt wurde.

Morgan seufzte missbilligend. »Also gut, wir können Malin mitnehmen.«

Sie hielt das wohl für ein gewaltiges Entgegenkommen ihrerseits, was durchaus nachvollziehbar war, da die beiden einander aus tiefstem Herzen hassten. Doch Drakon schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht.« Wie sollte er seinen Standpunkt erklären, damit Morgan es auch akzeptierte? Wo er doch nicht einmal selbst verstand, warum er sich weigerte zu tun, was jedem CEO als Verhalten während einer Krise eingeimpft worden war? »Ich weiß, die Regel in einer solchen Situation besagt, dass man den Wölfen so viele Untergebene wie nötig zum Fraß vorwirft. Aber ich lasse niemanden im Stich, und das wissen Sie auch. Deshalb wurde ich ja schließlich nach Midway strafversetzt.« Und deshalb werde ich hier vermutlich auch sterben.

Morgan beugte sich ein wenig vor, ihr Gesicht berührte nun seines, ihre Augen loderten. »Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Sie und ich das hier überleben. Wir können uns anderswo etablieren, und wenn wir irgendwann genügend Feuerkraft zur Verfügung haben, können wir hierher zurückkehren, um das Sternensystem wieder einzunehmen. Und dann rächen wir …«

»Ich bin nicht daran interessiert, Leute zu rächen, die ich ihrem Schicksal überlassen habe.«

»Sie haben es nicht zum CEO geschafft, weil Rücksichtnahme auf andere Leute Ihre oberste Priorität war, General. Das wissen Sie so gut wie ich.«

Beharrlich schüttelte Drakon den Kopf. »Ich weiß auch, wenn ich dieses System vor Präsidentin Iceni verlasse, dann sieht es so aus, als wäre ich schwächer als sie. Ich würde ihr zudem die Kontrolle über diesen Planeten und dieses Sternensystem überlassen.« Das war die Art von Logik, die sogar jemand wie Morgan akzeptieren konnte.

Sie hielt inne und blickte zu Iceni hinüber. »Vielleicht gehen Sie ja nicht als Erster weg. Vielleicht ist sie ja schon mit einem Fuß auf dem Weg nach draußen.«

Drakon folgte ihrem Blick und sah Iceni, die in eine Unterhaltung mit ihrem persönlichen Assistenten/Leibwächter/Attentäter Mehmet Togo vertieft war. Beide hatten sich ein paar Schritte entfernt. Drakon benötigte keinen Scanner, ihm war auch so klar, dass deren Unterhaltung ebenfalls von persönlichen Störsendern geschützt wurde.

»Iceni plant ihre eigene Flucht«, flüsterte Morgan. »Sehen Sie nur. Sie wird sich unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand zurückziehen und dann zu ihrem Shuttle eilen. Ich habe Scharfschützen postiert. Wir können sie aufhalten, bevor sie die Startrampe erreichen kann.«

Drakon zog die Brauen zusammen, betrachtete dabei aber weiter das Display anstelle von Iceni. »Nein.«

Seine energische Reaktion brachte ihm einen forschenden Blick von Morgan ein. »Wieso nicht? Gibt es irgendeinen … persönlichen Grund?«

»Natürlich nicht«, fuhr Drakon sie an. Er hatte Iceni in der letzten Zeit besser kennengelernt. Er hatte eine Menge über die vormalige CEO und jetzige Präsidentin herausgefunden und dabei festgestellt, dass er ihr (auf vermutlich völlig irrationaler Basis) mehr und mehr vertraute und er die Treffen mit ihr zunehmend genoss. Aber nichts davon hatte in diesem Moment irgendwelchen Einfluss auf seine Einstellung gegenüber Morgans Absichten. Davon war er fest überzeugt. »Wir brauchen Iceni. Wenn wir das hier irgendwie überleben sollten, benötigen wir ihre Kontrolle über die Kriegsschiffe.«

»Wenn die Enigmas hier fertig sind, wird es keine Kriegsschiffe mehr geben«, machte Morgan ihm klar. »Ausgenommen natürlich die gegnerischen.«

»Ziehen Sie die Scharfschützen sofort zurück. Ich will nicht, dass es zu irgendwelchen Unfällen kommt.«

»Aber Sie brauchen …«

»Ich brauche jemanden, der meine Befehle dann ausführt, wenn ich sie erteile, Colonel Morgan!«

Das war möglicherweise mehr gewesen, als von den persönlichen Störsendern überdeckt werden konnte. Niemand sah in seine und Morgans Richtung, weil alle hier im Kommandozentrum wussten, dass es grundsätzlich besser war, den Anschein zu erwecken, nichts von den Meinungsverschiedenheiten der Vorgesetzten mitzukriegen. Allerdings spürte er, wie sich diejenigen in ihrer unmittelbaren Nähe versteiften, als koste es sie große Mühe, den natürlichen Impuls zu unterdrücken, sich in Richtung der lauter werdenden Stimmen umzudrehen.

Colonel Malin, der normalerweise ein besonders gutes Gefühl für Drakons Launen hatte, schien völlig in seine Arbeit vertieft zu sein. So wenig er Morgan auch leiden konnte, wusste er doch, dass es besser war, wenn Drakon nicht mitbekam, wie er sich darüber freute, dass Morgan zusammengestaucht wurde.

Drakon atmete einmal tief durch, ehe er weiterredete. Er mied es, in Morgans vor Wut glühende Augen zu sehen, die ihn aus einem versteinerten Gesicht anstarrten. »Ich habe meine Gründe, so wie ich immer meine Gründe habe, wenn ich jemandem gegenüber ein Risiko eingehe.«

Er wusste, dass sie die Anspielung verstehen würde. Morgan selbst war nach einer verheerenden Mission ins Enigma-Gebiet als nur unter Vorbehalt diensttauglich beurteilt worden, weshalb jeder befehlshabende Offizier es abgelehnt hatte, sie seinem Kommando zu unterstellen, bis Drakon gekommen war und ihr eine Chance gegeben hatte.

Der Zorn ließ ihre Augen flackern, die Mundwinkel zuckten, dann machte sie einen abrupten Wechsel durch und strahlte gleich wieder leichte Belustigung aus. »Manchmal funktioniert das. Aber ich bin ja auch einmalig, General.«

Zum Glück, dachte Drakon. Könnte das Universum mehr als eine Roh Morgan aushalten? »Ziehen Sie die Scharfschützen zurück und arbeiten Sie mit Rogero, Kai und Gaiene daran, die Streitkräfte so zu verteilen, dass sie uns gegen eine Landung verteidigen können. Wir haben noch genug Zeit, um die Leute zu ihren Positionen zu schaffen. Dort sollen die sich eingraben. Vielleicht bleiben die Enigmas im Orbit und bombardieren uns auf Teufel komm raus. Aber wenn sie mit dem Planeten noch irgendetwas anfangen wollen, dann werden sie schon runterkommen und ihn uns abnehmen müssen. Ich werde sie dafür so teuer bezahlen lassen, dass sie noch lange an diesen Tag denken werden.«

Morgan grinste anzüglich und tippte auf die Handfeuerwaffe, die sie in einem Halfter an der Hüfte trug. »Wenn die herkommen, kann ich ihnen wenigstens in die Augen sehen, während ich sie abschieße.«

»Und während Sie von denen abgeschossen werden«, warf Malin ein.

»Das wurde schon versucht«, konterte sie in neckendem Tonfall. »Ohne Erfolg.«

Malin zeigte keine Reaktion auf die Anspielung auf einen Zwischenfall, der sich an Bord einer Orbitalplattform abgespielt hatte. Dabei hatte ein Schuss aus seiner Waffe sie nur knapp verfehlt, ehe ein Gegner getroffen wurde. Dieser Zwischenfall hatte für Drakon sehr nach einem versuchten Mord an Morgan ausgesehen, den dieser im Schutz eines Feuergefechts hatte begehen wollen. Aber Malin hatte darauf beharrt, dass sein Schuss nicht ihr gegolten hatte und dass er damit zudem einen gefährlichen Widersacher ausgeschaltet hatte.

Malin drehte sich kurz zu Morgan um, seine Miene verriet keine Regung. »Dann werden Sie ja vielleicht doch noch in einem von den Enigmas kontrollierten Sternensystem Ihr Leben verlieren.«

»Es klingt so, als würde Ihnen diese Vorstellung gefallen.«

»Das bilden Sie sich nur ein«, gab Malin zurück und wandte sich wieder seiner Konsole zu.

Drakon widmete sich mit finsterer Miene dem Display, während Morgan loszog, um die erteilten Befehle auszuführen – und zwar hoffentlich alle. »Colonel Malin, sorgen Sie dafür, dass in der Nähe dieser Einrichtung niemand von unseren Leuten in irgendeiner Art von Alarmbereitschaft ist.«

»Ich werde es überprüfen, General. Falls ja, was soll ich mit ihnen machen?«

»Sorgen Sie dafür, dass die Alarmbereitschaft aufgehoben wird und dass sie zu ihren Einheiten zurückkehren.« Wäre Morgan als Assistentin doch nur nicht so wertvoll. Je wertvoller jemand war, umso schwieriger schien es, mit ihm zurechtzukommen. Drakon hatte etliche CEOs erlebt, die jeden zum Teufel geschickt hatten, der im Umgang schwierig gewesen war, um sich dann mit Leuten umgeben zu können, die keinerlei Probleme machten. Dann hatte er üblicherweise auch keinerlei Probleme gehabt – mit Ausnahme der Tatsache, dass der betreffende CEO letztlich mit Pauken und Trompeten untergegangen war, weil er sich mit unfähigen Leuten umgeben hatte. Solches Personal konnte die Initiative nicht ergreifen, wenn es nötig war. Sie besaßen keinerlei Fantasie, so wie es ihnen auch grundsätzlich an Verstand mangelte. Sowohl Malin als auch Morgan waren schwierige Untergebene, aber sie hatten ihn mehr als einmal aus Situationen herausgeholt, in denen unterwürfige, gehorsame Assistenten hoffnungslos überfordert gewesen wären. »Wie sieht es mit der Inneren Sicherheit aus? Haben die Bürger herausgefunden, was los ist?«

»Es spricht sich im Eiltempo herum, aber bislang sind die Bürger noch nicht in Panik.« Malin schaute nachdenklich drein. »Sir, das mag jetzt nach dem falschen Zeitpunkt aussehen, um auf die anstehenden Wahlen zu sprechen zu kommen, die Sie und Präsidentin Iceni für die unteren politischen Ebenen vorgesehen haben …«

»Das ist jetzt wirklich der falsche Zeitpunkt«, unterbrach ihn Drakon schroff.

»Aber, General, Sie sollten wissen, dass eine beträchtliche Menge Kandidaten sich mit den örtlichen Behörden in Verbindung gesetzt und angefragt haben, ob sie dabei behilflich sein können, die Bevölkerung zu beruhigen.«

Drakon sah ihn verwundert an. »Dafür wollen sie Verantwortung übernehmen? Obwohl sie noch gar nicht gewählt sind und vielleicht auch gar nicht gewählt werden?«

»Offenbar«, erwiderte Malin, »hatten viele von ihnen schon Führungspositionen inne, wenn es sich auch nur um nicht autorisierte Posten innerhalb des Untergrunds handelte. Die Gelegenheit, an echten Wahlen teilnehmen zu können, hat diese inoffiziellen Führer dazu veranlasst, an die Öffentlichkeit zu gehen.«

»Damit hätte ich rechnen sollen«, sagte Drakon. Wie »echt« diese Wahlen tatsächlich würden, das war nach wie vor ein Thema, über das er und Iceni diskutierten. Aber selbst das äußerste Maß an Wahlmanipulation, das sie in Erwägung zogen, war nicht einmal im Ansatz vergleichbar mit der Farce, als die die Wahlen unter der Kontrolle durch das Syndikat dahergekommen waren.

Doch es schien, dass das Angebot an die Bevölkerung, zunächst nur auf der unteren Ebene politisch aktiv zu werden, erste Früchte abwarf. Drakon ließ den Kopf nach vorn sinken und dachte nach. »Stellen Sie sicher, dass jeder im Auge behalten wird, der seine Hilfe anbietet. Wenn das hier vorüber ist, überprüfen Sie, wie erfolgreich diese Leute waren.« Es sprach zwar einiges dafür, dass sie alle tot wären, wenn das hier vorüber war, aber es konnte nie schaden, für die Zukunft zu planen, selbst wenn dieser Optimismus der eines Verrückten zu sein schien.

Aus dem Augenwinkel sah Drakon, wie Togo vor Iceni zurückwich. Sein sonst so ausdrucksloses Gesicht sah ungewöhnlich unglücklich aus. Aber so unglücklich er auch sein mochte, bestätigte Togo die erhaltenen Anweisungen doch mit einem Nicken. Dann verließ er das Kommandozentrum.

Iceni sah sich um, richtete den Blick auf Drakon und kam zügig auf ihn zu. Er bewunderte ihre Art zu gehen, und das nicht nur, weil Iceni sich auf eine Weise bewegte, die jedem Mann gefiel. Nein, sie wusste auch noch genau, welches Tempo das Richtige war: gerade eben schnell genug, um Eile und Kontrolle zu vermitteln, aber doch nicht so schnell, dass es den Eindruck von Angst oder Sorge darüber vermittelt hätte, die Situation könnte sie überfordern.

Sie blieb ein paar Schritte von ihm entfernt stehen und strahlte immer noch Selbstbewusstsein aus. Ihr Blick hatte jedoch etwas Fragendes. »Werden Sie im Kommandozentrum bleiben, General?«

»Ja. Und Sie? Werden Sie auch bleiben, oder planen Sie, Ihr Geschäftsmodell umzustrukturieren?« Es war ein alter Witz, vermutlich so alt wie die Syndikatwelten. So fragte man auf halbwegs höfliche Weise, ob jemand vorhatte, sich von seinen bisherigen Geschäftspartnern zu trennen.

Iceni wandte den Blick nicht von ihm ab. »Ich glaube, ich werde bleiben. Eine Umstrukturierung scheint mir im Augenblick nicht die gewinnträchtigste Option zu sein.«

»Und stattdessen bleiben Sie hier?«, fragte Drakon. »Was für ein seltsamer Geschäftsplan.«

»Ich führe hier kein Unternehmen«, sagte Iceni, ihr Tonfall wurde etwas härter. »Ich bin für … viele andere Dinge verantwortlich. Das hier ist der beste Ort, um die Ereignisse im Auge zu behalten und Befehle an Kommodor Marphissa durchzugeben, während unsere Kriegsschiffe dieses Sternensystem verteidigen.« Iceni drehte sich um und betrachtete das Display auf eine Weise, als wäre die dargestellte Situation vielleicht nicht gerade vorteilhaft, aber doch lösbar.

Drakon machte einen Schritt auf sie zu und sagte leise: »Vorsicht. Sie machen das sehr gut, aber wenn Sie in Anbetracht dieser Situation zu selbstsicher auftreten, werden die Arbeiter Sie noch für verrückt halten.«

»Sie sollen glauben, ich hätte noch eine Geheimwaffe in petto«, erwiderte sie genauso leise.

»Und? Haben Sie die?«

»Nein. Sie, General?«

Sagte sie die Wahrheit? »Nicht dass ich wüsste. Das einzig Vernünftige, was wir machen könnten, scheint keiner von uns tun zu wollen.«

Iceni sah ihn an. »Ich habe meine Gründe. Welchen Grund haben Sie?«

Er hielt kurz inne. »Wir haben eine Abmachung.«

Seine Antwort veranlasste sie zu einem flüchtigen spöttischen Lächeln. »Nicht mal Sie selbst glauben, dass das der Grund ist, aus dem Sie bleiben. Aber von mir aus können Sie behaupten, was Sie wollen. Haben Sie nicht dasselbe zu mir gesagt, bevor wir die hiesige Syndikatverwaltung gestürzt haben?«

»Etwas in dieser Art«, musste Drakon einräumen. »Selbst wenn ich jetzt losrennen würde, wäre ein Entkommen nicht so einfach und erst recht nicht garantiert. Ich möchte lieber nicht auf der Flucht sterben.«

»Nach allem, was ich über Sie gehört habe, ist das ein Grund, den ich Ihnen glauben kann«, sagte Iceni. »Ich nehme an, Sie wurden trotzdem dazu gedrängt die Flucht anzutreten.«

»Das nehmen Sie richtig an. Ich glaube, wir haben beide einige unserer Untergebenen enttäuscht, Gwen.« Mit dieser Äußerung machte er sich ihr gegenüber zwar schutzlos, aber das war jetzt auch egal. Wenn sie ihn hintergehen wollte, wusste sie längst genug über ihn, das sie als Munition dafür benutzen konnte.

Erneut lächelte sie flüchtig. »Es ist schon gut, wenn die Leute, die für uns arbeiten, gar nicht erst auf die Idee kommen, sie könnten uns sagen, was wir tun sollen, nicht wahr?« Sie wurde ernst und zeigte auf das Display. »Was glauben Sie wird das erste Ziel der Enigmas sein?«

»An deren Stelle würde ich Kurs auf das Hypernet-Portal nehmen. Sie müssen deswegen in Sorge sein, weil wir wissen, welche Schäden ein Hypernet-Portal anrichten kann, wenn es kollabiert.« Drakon nickte gemächlich. »Wissen Sie, eigentlich haben wir eine Geheimwaffe, auch wenn die vielleicht nicht mehr so geheim ist. Aber diese Waffe ist so gewaltig, dass wir hier vielleicht verlieren werden, dass wir aber sicherstellen können, sie nicht gewinnen zu lassen.«

»Ein Zusammenbruch des Hypernet-Portals?«, fragte Iceni so beiläufig, als hätte Drakon eine Bemerkung zum Wetter gemacht. Sie hob die Hand und tippte auf eine der Ketten an ihrem Handgelenk. »Ich kann den Befehl senden, wann immer ich das will.«

»Ich weiß.«

»Natürlich wissen Sie das. Ich weiß, dass Sie gründlich arbeiten. Von daher war mir klar, dass Sie sich mit diesem Punkt beschäftigt hatten, noch bevor wir überhaupt unsere Rebellion begonnen haben.« Sie ließ den Arm sinken. »Der Befehl wird das System abschalten, das einen geregelten Zusammenbruch des Portals sicherstellt, und einen Kollaps des Hypernetzugangs auslösen, der den maximalen Energieausstoß erzeugt. Ungefähr eine 0,7 auf der Nova-Skala. Das wurde mir so von den Technikern erklärt, die diese Arbeit erledigt haben.«

Bei einem Energieausstoß von 0,7 auf der Nova-Skala würde von Midway nicht mehr viel übrig bleiben. Die Planeten an sich würden das wohl überstehen, aber sie würden ihre Atmosphäre verlieren, und die Oberfläche würde vollständig verwüstet werden. Der Stern würde schwer in Mitleidenschaft gezogen und Asteroiden und Kometen zu Staub zerfallen oder in das Dunkel zwischen den Sternen geschleudert werden.

Kein Mensch würde das überleben.

Aber es würde auch nichts von dem überleben, was den Enigmas gehörte.

»Meinen Sie, die werden uns das abnehmen, wenn wir ihnen mit dem Hypernet-Portal drohen?«, wollte Drakon wissen. »Nach dem Motto: ›Verschwindet sofort, oder wir löschen hier alles aus.‹«

»Ich bin mir sicher, sie werden uns glauben, dass wir fähig sind, eine solche Drohung in die Tat umzusetzen«, erklärte Iceni. »Schließlich sind wir Menschen, und Menschen greifen zu solchen Maßnahmen, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Aber die Enigmas könnten durchaus in der Lage sein, uns an der Ausführung unserer Drohung zu hindern. Gehen wir nach den Informationen, die wir von der Allianz erhalten haben, sind sie dazu vielleicht in der Lage. Die Allianz geht davon aus, dass es sich bei den Portalen ursprünglich um Enigma-Technologie handelt, die uns mit Absicht zugespielt wurde. Das würde bedeuten, dass die Enigmas viel mehr über diese Portale wissen als wir. Wir haben zwar herausgefunden, wie man die Aliens daran hindert, die Portale so zu zerstören, dass sie alles Leben in einem von Menschen bevölkerten System auslöschen. Aber sie könnten sich doch immer noch irgendein Hintertürchen offen gehalten haben, um uns davon abzuhalten, dass wir das Gleiche mit ihnen machen.«

Es war irgendwie eigenartig, überlegte Drakon. Das hier war eine Krisensituation. Er hatte die Enigma-Flotte auf seinem Bildschirm, ebenso die Flotte des Syndikats und auch die Icenis Befehl unterstehenden mobilen Streitkräfte. Doch die beiden gegnerischen Flotten waren noch Lichtstunden voneinander entfernt. Was er jetzt sah, waren die Bilder von vor viereinhalb Stunden. Es war ganz egal, was die Enigmas in diesem Moment unternahmen, es würden immer noch Tage vergehen, bis es zur ersten echten Begegnung zwischen den Streitkräften kam. »Es kann nicht schaden, es bei den Enigmas mit einem Bluff zu versuchen.« Sofern Iceni tatsächlich einen Bluff beabsichtigte. Sie mochte aber ebenso gut den kaltblütigen Plan zur Vernichtung beider Seiten für den Fall hegen, dass die Enigmas unmittelbar vor einer Auslöschung der Menschen in diesem Sternensystem standen.

»Was glauben Sie, wie weit wir CEO Boyens vertrauen können?«, fragte sie.

»Wir beide kennen Boyens.« Drakon hielt eine Hand hoch, Zeigefinger und Daumen waren nicht mal einen Zentimeter voneinander entfernt. »Meiner Meinung nach können wir ihm bestenfalls so weit vertrauen.«

»Er hat auch ein paar gute Eigenschaften.«

»Und diese Eigenschaften nutzt er momentan, um die Wogen des Wandels aufzuhalten, die sich ihren Weg durch das vom Syndikat kontrollierte Territorium bahnen. Das Einzige, was ihn interessiert, ist zu überleben, den Kopf über Wasser zu halten und dabei möglichst noch mit den höchsten Ehren ausgezeichnet zu werden.«

Iceni legte den Kopf ein wenig schräg, während sie überlegte. »Das lässt uns zumindest den Spielraum, an seinen Selbsterhalt zu appellieren.«

»Stimmt«, pflichtete Drakon ihr bei. »Was sollen wir ihm anbieten?«

»Wir werden dieses Sternensystem seiner Kontrolle unterwerfen, keinen Widerstand leisten und keine Einrichtungen beschädigen, wenn er uns hilft, die Enigmas zurückzuschlagen.«

»Das wird er uns niemals abnehmen. Boyens weiß, dass wir eine solche Zusage nicht einhalten würden«, hielt Drakon dagegen. »Allerdings ist es das beste Angebot von unserer Seite, das er sich erhoffen kann, solange die Enigmas hier sind. Versuchen wir es einfach.«

Sie gab einen aufgebrachten Laut von sich. »Wir brauchen mehr Druck. Wenn doch nur unser Schlachtschiff einsatzbereit wäre. Wäre doch bloß das Schlachtschiff, das wir bei Tama in Besitz genommen haben, schon fast fertiggestellt gewesen!«

»Die Freien Taroaner waren gar nicht glücklich darüber, dass wir das Schiff behalten haben«, merkte Drakon an. »Und auch nicht, dass wir die Orbitaldocks bei Taroa erst dem Syndikat abgenommen und dann unseren Anspruch darauf angemeldet haben.«

»Damit werden sie leben müssen, auch wenn sie sich alle Zeit der Welt lassen, um die Materialien und die Arbeiter zur Verfügung zu stellen, die wir für die Fertigstellung benötigen.«

Colonel Malin meldete sich verhalten zu Wort. »Madam Präsidentin, wenn Sie gestatten. Was wäre, wenn wir den Freien Taroanern das Schlachtschiff und einen großen Teil der Orbitaldocks überlassen?«

Iceni hatte den Gesichtsausdruck eines Menschen, der soeben etwas gehört hatte, was er unmöglich verstehen konnte. »Warum sollten wir so etwas machen?«

»Wir benötigen Verbündete. Wir haben zwar Black Jack«, erklärte er, »aber der ist weit weg, weshalb wir in einer Krisensituation nicht auf seine Unterstützung zählen können. Taroa ist nicht weit von hier entfernt.«

»Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, über welche Feuerkraft ein Schlachtschiff verfügt? Welche militärische Kapazität Sie aus der Hand geben wollen?«

Malin lächelte schwach. »Ich habe die Bombardements von Schlachtschiffen der Allianz miterlebt, Madam Präsidentin. Aber das Schlachtschiff bei Taroa verfügt derzeit über keinerlei militärische Kapazität, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Die Schiffshülle ist nicht fertiggestellt, es ist nicht mal in der Lage, aus eigener Kraft das Dock zu verlassen. Ich habe auch nicht gesagt, dass wir das Schiff ohne Gegenleistung hergeben sollen. Die Freien Taroaner sind uns bereits dankbar für die militärische Unterstützung, die unsere Bodenstreitkräfte bei der Niederschlagung des Syndikats auf ihrer Welt geleistet hat. Allerdings streiten sie derzeit über den Wortlaut der Vereinbarungen zur gegenseitigen Verteidigung.«

Drakon sah Malin mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Taroaner mit jedem Wortlaut einverstanden sein werden, wenn sie dafür das Schlachtschiff erhalten.«

»Und dann würden sie auch nicht länger ihre Hinhaltetaktik anwenden, sondern jede Anstrengung unternehmen, um das Schlachtschiff so bald wie möglich fertigzustellen und kampfbereit zu machen«, stimmte Malin ihm zu.

Iceni musterte sie beide mit gesenkten Lidern. »Ein interessanter Vorschlag. Wir binden Taroa enger an uns, indem wir ihr Verlangen nach diesem Schlachtschiff stillen. Taroa investiert die notwendigen Ressourcen, damit das Schiff fertiggestellt werden kann, und damit sparen wir Geld und Arbeit. Wir gewinnen einen Verbündeten ganz in der Nähe, der uns noch dankbarer ist und der sich dazu verpflichtet, uns mit seinem Schlachtschiff zu unterstützen, das so früher fertiggestellt sein wird, als wenn wir das selbst versuchen. Ein sehr interessanter Vorschlag, Colonel. Und was ist, wenn Taroa beschließt, uns zu verraten?«

Malin lächelte. »Wir haben derzeit vollständigen Zugriff auf das Schiff, und wir werden auch Zugriff darauf haben, während es fertiggestellt wird. Es gibt sehr viele Sicherheitsvorkehrungen, die man heimlich im Schiff und in den Systemen installieren kann, mit denen sich sicherstellen lässt, dass jeder Versuch scheitert, das Schiff gegen uns einzusetzen.«

Die gedämpfte Unterhaltung wurde gestört, als auf einmal ein dezenter Alarm ertönte, der vom Systembildschirm ausging. »Vom Planeten startet soeben ein Shuttle«, meldete einer der Offiziere an den Konsolen. Auf dem Display tauchte ein Symbol auf, begleitet von einem eleganten Bogen, der den mutmaßlichen Kurs in den Orbit darstellte. »Das ist kein angemeldeter Start. Alle Einrichtungen sind darauf hingewiesen worden, dass während des Alarmzustands keine Starts zu erfolgen haben, die nicht von hier autorisiert worden sind.«

»Wer befindet sich an Bord dieses Shuttles?«, wollte Iceni wissen.

»Es wird ein routinemäßiger Frachttransport gemeldet, normale Crew, keine Passagiere«, antwortete ein anderer Operator.

»Ein routinemäßiger Transport? Und das, wo alle routinemäßigen Transporte abgesagt worden sind?« Ehe Iceni noch eine weitere Frage stellen konnte, tauchte auf einmal Togo an ihrer Seite auf.

»Ein regionaler Gouverneur ist augenblicklich unauffindbar«, sagte Togo ohne jegliche Gefühlsregung. »Das Gleiche gilt für seine Geliebte. Eine industrielle Executive und ihr Freund lassen sich mithilfe der planetaren Überwachungssysteme ebenfalls nicht aufspüren.«

»Gouverneur Beadal?«, fragte Iceni in frostigem Tonfall.

»Ja, Madam Präsidentin. Vielleicht bekam er Wind von den Ermittlungen, die gegen ihn laufen, oder er will einfach nur den Enigmas entkommen, auch wenn alle Executives die Anweisung erhalten haben zu bleiben, wo sie sind. Die industrielle Executive ist Magira Fillis, Amt für Bauwesen.«

»Die wird niemand vermissen.« Iceni hatte den Blick auf die Flugbahn des Shuttles gerichtet, das darum bemüht war, die Atmosphäre zu verlassen. »Und das Versagen von Regionalgouverneur Beadal als Administrator gibt mir auch keinen Grund, über seine Korruptionsaffären und über die Verletzung meiner ausdrücklichen Anweisung hinwegzusehen. Aber ich verliere nur ungern ein Shuttle.«

Colonel Malin erwiderte: »Es ist keines von unseren Shuttles, es gehört zu einem der Handelsschiffe im Orbit. Das Schiff gehört zur Xavandi-Gruppe, aber der Executive, der den Befehl über den Frachter hat, behauptet, das Schiff sei inzwischen abtrünnig und handele auf eigene Faust.«

Icenis Blick bekam etwas von dem eines Jägers, der seine Beute erfasst hatte. »Die CEOs, die die Xavandi-Gruppe geleitet haben, konnte ich noch nie leiden. Es würde zu ihnen passen, dass eines ihrer Schiff gegen die Auflagen der Syndikatsregierung verstößt und dann so zu tun, als hätte es sich ihrer Kontrolle entzogen. Auf diese Weise können sie Profite einstreichen und sich bei Bedarf darauf zurückziehen, dass sie ja nicht gegen Regierungsvorschriften verstoßen. Es macht mir wirklich nichts aus, deren Shuttle zu verlieren. General?«

Drakon drehte sich zu ihr um und wunderte sich einen Moment lang über die Frage. Angenommen Iceni hatte recht, was den Frachter anging, dann unterschied die Xavandi-Gruppe sich nicht allzu sehr von vielen anderen Konglomeraten des Syndikats. Und die beiden Executives an Bord dieses Shuttles waren wie viele der übelsten Wiesel der Syndikatwelten, denen Drakon im Lauf der Jahre begegnet war. »Wenn Sie das Shuttle zerstören wollen, müssen Sie mich nicht erst fragen.«

»Wir haben vor ein paar Stunden eine Vereinbarung getroffen«, gab Iceni zurück, die in einem knappen, geschäftsmäßigen Tonfall mit ihm redete, während es darum ging, ein Shuttle zu zerstören und die Menschen an Bord zu töten. Sie hatte ihre Privatsphäre aktiviert, damit niemand außer Drakon sie hören konnte. »Es gibt kein Attentat, welcher Art auch immer, dem wir nicht beide zustimmen. Diesen Fall hier könnte man als ein Attentat auslegen, da weder der Gouverneur noch die Executive eine Chance bekommen werden, zu kapitulieren oder sich vor einem Gericht zu verantworten.«

Gerichtsverfahren waren im System des Syndikats nur eine Formalität gewesen, um einem vorbestimmten Urteil den Anstrich eines rechtmäßigen Prozesses zu geben. Manchmal wurde den Angeklagten ein Deal vorgeschlagen, doch das würde jetzt nicht passieren. »Colonel Malin hat mir bereits von den Aktivitäten von Regionalgouverneur Beadal berichtet«, sagte Drakon. »Einige seiner Spielchen hatten für Versorgungsprobleme bei einer meiner Einheiten gesorgt.« Von der industriellen Executive in Beadals Shuttle hatte er noch nie gehört, doch diese Wissenslücke würde er jetzt und hier nicht zugeben. Aber Fillis’ Wahl des Begleiters auf ihrer Reise sprach dafür, dass sie früher oder später ohnehin vor einem Erschießungskommando gelandet wäre, auch wenn sie jetzt nicht versucht hätte zu fliehen. »Uns wird dieses Shuttle nicht fehlen.«

»Ich bin froh, dass wir uns einig sind«, sagte Iceni und schaltete die Privatsphäre ab. »Muss ich einem der Kriegsschiffe im Orbit den Befehl geben, sich um das Shuttle zu kümmern?«

»Nein. Die Bodenstreitkräfte können das ohne Probleme erledigen. Colonel Malin, befehlen Sie der orbitalen Verteidigung, das Shuttle zu eliminieren.«

»Jawohl, Sir.« Malin gab drei Befehle ein: Zielerfassung. Bestätigen. Feuer.

Irgendwo auf dem Planeten richtete sich eine Partikelstrahl-Batterie auf das Shuttle aus. Bodengestützte Waffen konnten eine sehr große Feuerkraft besitzen, da ihnen ausreichend leistungsfähige Energiequellen zur Verfügung standen. Dennoch war ihre Reichweite aufgrund der physikalischen Gesetzmäßigkeiten äußerst begrenzt. Bei den gewaltigen Entfernungen im All mussten diese Strahlen immense Strecken zurücklegen, auf denen sie sich zu streuen begannen. Wenn sie dann auf ein Schiff trafen, das mehr als nur ein paar Lichtminuten entfernt war, konnten dessen Schilde den Treffer problemlos einstecken. Wenn aber jemand unerlaubt auf einem Planeten landen wollte oder wenn ein Bombardement begonnen wurde, konnten diese Waffen heftigste Gegenwehr leisten. Da sich Midway seit fast hundert Jahren mit der Bedrohung durch die Enigma-Rasse konfrontiert sah, waren die orbitalen Verteidigungseinrichtungen deutlich besser als in einem durchschnittlichen Sternensystem.

Das Frachtshuttle, das noch immer in den Orbit aufstieg, besaß nur schwache Schilde und keinerlei Panzerung, zudem befand es sich noch innerhalb der Atmosphäre, als die Partikelstrahl-Batterie das Feuer eröffnete. Etliche Speere aus geladenen Partikeln rissen das Shuttle in Stücke, die darauf in die Weiten des Ozeans des Planeten stürzten. Die Besatzung des Shuttles war auf der Stelle tot gewesen, ohne überhaupt begreifen zu können, was ihren Tod herbeigeführt hatte.

Aber jeder auf dem Planeten hatte den Start des Shuttles mitverfolgt und wusste, von welchem Schicksal es heimgesucht worden war.

»Das sollte der letzte Versuch gewesen sein, vor seiner Verantwortung davonzulaufen«, erklärte Iceni laut genug, um im gesamten Kommandozentrum gehört zu werden. »Ich will, dass jedes Schiff in diesem System davon in Kenntnis gesetzt wird, dass jegliche Veränderung des Orbits oder der Flugrichtung ohne die ausdrückliche Anweisung von Kommodor Marphissa zugleich das letzte Flugmanöver des betreffenden Schiffs darstellt.«

»Jawohl, Madam Präsidentin«, sagte der Senior-Ablaufspezialist und wandte sich ab, um diese Warnung sofort weiterzuleiten.

Etwas leiser wandte sich Iceni an Togo: »Stellen Sie sicher, dass die Ermittlungen gegen Gouverneur Beadal weitergeführt werden. Er ist zwar tot, aber ich will wissen, mit wem er alles bei seinen Betrügereien zusammengearbeitet hat.«

Drakon sah zu, wie Togo wegging. Unwillkürlich fragte er sich, ob die Geliebte und der Freund sich wohl der Risiken ihrer Flucht bewusst gewesen waren. Vermutlich ja, denn sie mussten sich Hals über Kopf in das Shuttle begeben haben, um nicht erwischt zu werden. Niemand, der die Zeit unter dem Diktat des Syndikats mitgemacht hatte, konnte so ignorant gewesen sein, nicht über die Gefahren einer Befehlsverweigerung Bescheid zu wissen. Wenn einem Executive der ausdrückliche Befehl erteilt worden war, dort zu bleiben, wo er sich befand, dann tat er das auch. Das Bestechungsgeld für den Shuttlepiloten und die übrige Crew musste ganz erheblich gewesen sein, um sie dazu zu bewegen, das Risiko eines unerlaubten Starts einzugehen. Von dem Geld, das ihnen ihr Wagemut eingebracht hatte, konnte sich nun keiner mehr etwas kaufen.

»Nachdem wir diese Ablenkung hinter uns gebracht haben, können wir uns ja jetzt wieder den wichtigen Dingen widmen«, meinte Iceni. »Komm, geben Sie mir einen eng gebündelten Strahl, der auf die Flugbahn der Enigma-Streitmacht gerichtet ist. Ich möchte nicht, dass CEO Boyens die Nachricht abfangen kann und damit erfährt, was wir den Enigmas zu sagen haben.«

»Madam CEO …«, begann einer der Spezialisten aus langjähriger Gewohnheit, korrigierte sich aber hastig: »Madam Präsidentin. Der Funkstrahl muss auf einen Punkt gerichtet werden, an dem die Enigmas erst in einigen Stunden eintreffen. Wenn die Enigmas aber in der Zwischenzeit ihre Vektoren deutlich ändern, wird die Nachricht sie nicht erreichen. Wir können einen etwas breiter gefächerten Strahl benutzen, bei dem die Chancen deutlich besser stehen, von der Enigma-Flotte aufgefangen zu werden. Die Kommunikation wäre aber immer noch eng genug gebündelt, dass sie von der Flotte am Hypernet-Portal nicht abgefangen werden kann.«

Iceni warf dem Spezialisten einen ernsten Blick zu, während Drakon zuschaute, um mitzubekommen, wie sie mit dieser Situation umging. Für viele CEOs zählte ausschließlich Gehorsam. Verbesserungsvorschläge als Reaktion auf einen CEO-Befehl wurden oft als Kritik am ursprünglichen Befehl ausgelegt. Nach allem, was Drakon bislang zu sehen bekommen hatte, zeigte die Präsidentin Bereitschaft, ihren Untergebenen ein recht hohes Maß an eigenständigem Denken und Handeln zuzugestehen. Die von ihr zum Kommandanten der Flotte beförderte Kommodor Marphissa war ein Beispiel dafür. Aber lag das im Fall Marphissas nur daran, dass sie aus dem Rang einer Executive aufgestiegen war, oder wurde sie von Iceni etwa bevorzugt behandelt?

»Ihr Vorschlag«, begann Iceni, während alle Spezialisten im Kommandozentrum wie gebannt auf ihre Erwiderung warteten, »ist gut. Ich weiß solche Unterstützung zu schätzen, wenn sie in angemessener Weise angeboten wird. Benutzen Sie diesen etwas breiteren Strahl.«

Augenblicke später konnte die Übertragung beginnen. Iceni aktivierte den Befehl und wandte sich mit knappen, präzisen Worten an die Invasoren. »An diejenigen, die ohne Autorisierung und ohne Zustimmung derjenigen, die die Befehlshoheit über dieses Sternensystem haben, in unser Territorium vorgedrungen sind: Hier spricht Präsidentin Iceni. Kehren Sie um. Dies ist nicht Ihr Sternensystem. Kehren Sie heim. Wenn Sie sich nicht zurückziehen, werden wir zu allen erforderlichen Mitteln greifen, um Sie auszulöschen. Mit dem in diesem System befindlichen Hypernet-Portal können wir alles zerstören, was hier existiert. Sie können uns daran nicht hindern. Kehren Sie jetzt um. Wenn wir Sie nicht mit anderen Mitteln schlagen können, werden wir notfalls uns selbst vernichten, um Sie zu vernichten. Kehren Sie jetzt um. Für das Volk. Iceni, Ende.«

»Ich weiß, dass sie in unserer Sprache mit uns kommunizieren. Aber wie viel verstehen die wirklich von solchen Erklärungen?«, grübelte Drakon.

»Ich weiß es nicht. Niemand weiß das. Aber es ist die Art, wie sie mit uns reden, wenn sie über Videoverbindungen Kontakt mit uns aufnehmen und dabei menschlich aussehende Avatare benutzen.« Iceni lachte leise. »Vielleicht hat Black Jack inzwischen mehr darüber herausgefunden, wie gut sie menschliche Konzepte verstehen können. Falls er nicht längst tot ist. So, und nun wollen wir mal CEO Boyens unser Angebot unterbreiten.«

Diesmal wurde der Strahl genau auf jene Flotte gerichtet, die sich nach wie vor in der Nähe des Hypernet-Portals aufhielt. »CEO Boyens, wie Sie sehen, haben wir es mit einem gemeinsamen Gegner zu tun. Sie müssen sich auf unsere Seite stellen, denn nur gemeinsam haben wir eine Chance, diesen Angriff auf ein von Menschen besiedeltes Sternensystem abzuwehren. Wenn Sie uns in dieser Angelegenheit unterstützen, wenn Sie Angriffe auf unsere Streitkräfte unterlassen, solange die Enigmas anwesend sind, und stattdessen vorgeben, Sie würden Ihre Aktionen mit unseren abstimmen, dann werden wir uns damit einverstanden erklären, Ihnen dieses Sternensystem zu überlassen, sobald wir die Enigmas zum Rückzug überredet haben. Wenn Sie uns nicht unterstützen, dann wird Ihre Mission hier in Midway gescheitert sein. Arbeiten Sie zum beiderseitigen Nutzen mit uns zusammen. Für das Volk. Iceni, Ende.«

Als die Übertragung beendet war, zuckte sie mit den Schultern. »Ich bezweifle zwar, dass er sich damit einverstanden erklären wird, aber wir haben ihn zumindest gefragt.«

Die Stimmung im Kommandozentrum hatte ein neues Maß an Anspannung erreicht. Drakon sah zu Colonel Malin, der sich zu den Spezialisten in seiner unmittelbaren Nähe umgedreht hatte. Ja, natürlich. Sie haben soeben mitangehört, wie Iceni angeboten hat, dieses Sternensystem an die Syndikatwelten zurückzugeben. Das ließ sich nicht vermeiden, aber wir können unseren Arbeitern klar machen, dass das nur eine Finte ist. Immerhin würden diese Leute sehr wahrscheinlich lieber zusammen mit den Enigmas untergehen, anstatt die Rückkehr der Schlangen mitzumachen.

»Wenn Boyens uns das abkauft«, sagte Drakon laut genug, damit die umstehenden Spezialisten ihn hören konnten, die klammheimlich auf jedes Wort lauschten, »werden wir alles so arrangieren, dass die Enigmas nicht auf unsere Leute, sondern auf Boyens losgehen. Wenn wir die Enigmas eliminiert haben, wenden wir uns dem Rest der Syndikat-Flotte zu und reiben sie komplett auf.«

Iceni ließ sich ihre Verwunderung nicht anmerken, dass er so offen über ihre wahrscheinliche Vorgehensweise redete (sofern der unwahrscheinliche Fall eintrat, dass sie überhaupt etwas gegen die Enigmas würden ausrichten können), dennoch warf sie ihm einen fragenden Blick zu, ehe sie beim Anblick der anwesenden Arbeitern begriff, was er meinte. »Ja, selbstverständlich«, stimmte sie ihm zu. »Wenn CEO Boyens verzweifelt genug ist, auf unser Angebot einzugehen, zerstören wir ihn, sobald er auch nur einen Moment lang unaufmerksam ist. Die Schlangen des ISD werden niemals wieder über das Schicksal der Menschen in diesem System bestimmen.«

Ihre improvisierte Unterhaltung musste zumindest einige Leute im Kommandozentrum beruhigt haben, denn das leise Murmeln ließ keine Anzeichen wachsender Angst erkennen, die in den Reihen der Arbeiter zu baldigen Unruhen hätte führen können.

»Ich habe das ungute Gefühl, dass sie uns vertrauen könnten«; merkte Iceni sehr leise und mit einem Anflug von Belustigung an, während sie voller Unglauben die Arbeiter betrachtete.

»Man sollte meinen, dass sie es eigentlich besser wissen müssten«, erklärte Drakon, der aus seinen eigenen Worten eine völlig unerwartete Verbitterung heraushörte.

Malin kam näher und warf leise ein: »Die Leute haben Sie agieren gesehen. Halten Sie sie nicht für dumm, sondern gehen Sie davon aus, dass ihr Handeln so wie bei jedem anderen in der Regel von Eigeninteresse bestimmt wird. Sie haben sie von den Schlangen befreit, Sie haben ihnen mehr Freiheiten gewährt, und Sie haben gezeigt, dass diese Leute Ihnen am Herzen liegen.«

»Haben wir das?«, fragte Iceni. »Ihr Offizier neigt zu seltsamen Gedankengängen, General.«

»Damit liegt er aber oft richtig«, sagte Drakon.

»Was auch der Grund dafür ist, dass Sie instinktiv für ihn Partei ergreifen?« Iceni bedachte Drakon mit einem herausfordernden Blick. »Es ist eine Angewohnheit von Ihnen, sich so gegenüber Ihren Executives und Ihren Arbeitern zu verhalten, nicht wahr, General?«

»Ich komme damit gut zurecht«, konterte Drakon und fragte sich, ob sie jetzt wohl noch mehr Kritik an seinem syndikatsuntypischen Verhalten äußern würde. Natürlich billigt sie meine Methoden nicht. So gut wie jeder andere CEO, dem ich je begegnete, denkt ganz genauso. Und es ärgert mich nach wie vor. Ich erziele bessere Resultate als jeder einzelne von denen, und trotzdem wagen sie es, meine Arbeitsweise zu kritisieren!

Doch welche Meinung Iceni auch wirklich haben mochte, es blieb hinter ihren Augen verborgen. Das beherrschte sie ebenfalls sehr gut. Stattdessen nickte sie nur. »Deshalb sind Sie ja auch in Midway gelandet, und deshalb wären Sie um ein Haar von den Schlangen hingerichtet worden, General. Mancher würde sich über diese Art von Management wundern.«

»Ich bin kein Manager«, sagte Drakon energischer als beabsichtigt. »Ich bin ein Anführer.«

»Und seine Truppen werden ihm folgen, wohin er auch geht«, ergänzte Malin.

Iceni sah Malin an und verzog den Mund minimal zu einem sehr schwachen Lächeln, ihr Blick war abwägend. Es war die Art Blick, die in den Syndikatwelten jeder unterhalb des Dienstgrads eines CEO fürchtete. So drückte sich jene Art von Beurteilung des Wertes eines Individuums aus, die zu einer Beförderung führen konnte. In den meisten Fällen leitete sie jedoch eine Degradierung oder sogar eine Verurteilung zum Arbeitslager ein. »Ich bin nicht Ihr General, Colonel Malin. Und ich bin nicht annähernd so nachsichtig, was Widerspenstigkeit bei meinen Untergebenen betrifft, wie der General. Das gilt nicht einmal für diejenigen, die wertvolle Vorschläge machen. Denken Sie immer daran, wenn Sie mit mir reden.«

Malin versteifte sich. »Ich habe verstanden und werde mich daran halten, Madam Präsidentin.«

»Gut.« Iceni wandte sich um und ging fort. Dabei hob sie die Hand, in der sie ihre Komm-Einheit hielt, und begann leise zu reden. Ihre persönliche Privatsphäre sorgte dabei einmal mehr dafür, dass niemand in ihrer unmittelbaren Umgebung imstande war mitzuhören.

Drakon sah ihr nach. Der einzige Trumpf, den Iceni gegenüber Boyens in der Hand hat, ist der, mich ans Messer liefern zu können. Aber ohne mich wird sie es nicht schaffen, die Kontrolle über diesen Planeten und das Sternensystem zu behalten. Das weiß sie auch, und vielleicht gefällt ihr das ja nicht. So wie ich ist sie in einem System aufgewachsen, in dem man dazu angehalten wurde, sich nur auf sich selbst, aber auf niemanden sonst zu verlassen. Selbst wenn sie mich nicht hintergehen will, muss Iceni doch in diesem Moment über die Optionen nachdenken, die ihr ein Überleben sichern. Was wird sie tun, wenn sie nur noch zwischen mir und sich selbst wählen kann?

Welche Pläne Iceni auch immer schmieden mochte, es konnte noch Stunden dauern, ehe die zum Tragen kamen – sofern sie überhaupt etwas plante. Seine Verteidigungsmaßnahmen gegen sie mussten immer berücksichtigen, dass er Gwen Iceni genauso brauchte wie sie ihn und dass sie in allen Dingen sehr gut war, wenn sie ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte.

Auf dem Hauptdisplay hinter Malin waren überdeutlich all die externen Bedrohungen zu sehen, die einen verzweifelten internen Überlebenskampf zwischen ihm und Iceni auszulösen vermochten. Doch es würden immer noch Stunden vergehen, bis die an die Enigma-Flotte und an die von CEO Boyens befehligte Syndikat-Flotte geschickten Nachrichten eintrafen, da sie mit Lichtgeschwindigkeit kriechend die immensen Entfernungen des Weltalls zurücklegen mussten. Sollten sie zu Reaktionen oder Erwiderungen führen, so würde es fast noch einmal genauso lange dauern, ehe man sie sehen oder hören konnte. Das ließ einem Zeit, um Pläne auszuarbeiten und um sich darauf vorzubereiten, zur Tat zu schreiten. Zeit, um sich Gedanken über die Pläne des Partners zu machen und sich zu überlegen, wie man darauf reagieren sollte. Zeit für die Bürger, um zu begreifen, wie ernst die Lage in Wirklichkeit war. Zeit, dass sie mit Panik und Zorn reagieren konnten, ganz so wie das Syndikat-System es vom Pöbel erwartete. Oder um die Entschlossenheit und Zuverlässigkeit an den Tag zu legen, die er und Iceni bei den Arbeitern hervorzurufen hofften, indem sie ihnen zunehmende individuelle Verantwortung übertrugen. Zeit für Fehltritte und Missverständnisse unter mutmaßlichen Freunden und Verbündeten, die schwereren Schaden anrichteten als jede vorsätzliche Boshaftigkeit.

Freunde und Verbündete. Drakon schaute zu Iceni, die das Display betrachtete und für einen kurzen, unüberlegten Moment finstere Furcht erkennen ließ – jedoch nicht mit Blick auf die Enigma-Flotte oder die Syndikat-Flotte, sondern auf die Darstellung der Midway-Flotte. Auf jene Kriegsschiffe, auf denen Icenis Macht beruhte. »Colonel Malin«, wandte Drakon sich an seinen Untergebenen, »können Sie irgendwelche denkbaren Szenarien entwickeln, in denen die Kriegsschiffe der Midway-Flotte überleben werden, selbst wenn es dem Rest von uns irgendwie gelingt durchzukommen?«

Malin hielt sekundenlang inne, dann schüttelte er den Kopf. »Wenn nicht ein Wunder geschieht, wüsste ich nur eines, Sir: Sie müssten die Flucht zu einem unbewachten Sprungpunkt antreten. Dann kann niemand sie mehr aufhalten, auch wir nicht.«

»Und das wissen die Offiziere und Arbeiter auf diesen Schiffen sicher auch.«

»Ja, Sir. Und Kommodor Marphissa ebenfalls. Sie beherrscht ihr Fach so gut, dass sie weiß, welches Schicksal ihr gewiss ist, wenn ihre Schiffe sich nicht in Sicherheit bringen.«

»Also selbst wenn wir irgendwie überleben sollten, wird das diesen Kriegsschiffen nicht gelingen, wenn sie nicht die Flucht antreten. Wenn sie bleiben, sind sie zum Untergang verdammt.« Iceni würde den Schutzschild verlieren, der sie bislang vor dem Hammer von Drakons Bodenstreitkräften bewahrt hatte. Sie hätte dann nichts mehr in der Hand, um mit ihm oder Boyens zu verhandeln.

»Ja, aber wenn die Kriegsschiffe fliehen«, hielt Malin dagegen, »dann ist unser Schicksal besiegelt. Ohne die Schiffe haben wir keine Chance, die Enigmas mit einem Bluff zum Rückzug zu bewegen oder mit CEO Boyens zu verhandeln. Entweder sie ziehen in eine aussichtslose Schlacht, die ihnen nur den Tod bringen kann, oder aber sie bringen sich selbst in Sicherheit und garantieren damit unser Ende.«

Wäre Marphissa eine Syndikats-CEO gewesen, hätte Drakon gewusst, welche Reaktion er von ihr erwarten konnte. Eine aussichtslose Schlacht konnte keinen Profit bringen. Aber da Marphissa wusste, wie maßgeblich ihre Entscheidungen für Icenis Überleben waren, stellte sich die Frage, welchen Preis sie im Gegenzug für die fast sichere Opferung der Kriegsschiffe fordern mochte; die Kommodor, die im Syndikats-System aufgewachsen war.

Kein Wunder, dass Iceni die Darstellung ihrer Kriegsschiffe auf dem Display so eindringlich beobachtete und insgeheim schon mit dem Schlimmsten rechnete.

Ein durchdringender Pfeifton kündigte den Erhalt einer Nachricht von hoher Priorität an. »Kommodor Marphissa möchte Sie sprechen, Madam Präsidentin«, verkündete der Komm-Spezialist.

Zwei

»Madam Präsidentin«, sagte Kommodor Asima Marphissa in einem übertrieben formalen Tonfall, als würde sie eine Grabrede halten. »Sie müssen mir die Optionen nicht erklären, die uns zur Verfügung stehen.«

»Nein«, erwiderte Iceni und versuchte, weder ihren Worten noch ihrem Mienenspiel jene eisige Kälte anmerken zu lassen, die Besitz von ihrem Inneren genommen hatte, während sie darauf wartete, dass Marphissa entweder offenen Verrat an ihr beging oder einen hohen Preis für ihre weitere Loyalität forderte. Sie hatte das Kommandozentrum nicht verlassen, und sie wusste, dass Drakon nicht weit entfernt stand und sie beobachtete, auch wenn er von der Unterhaltung selbst nichts mitbekam.

Da sich Marphissas Flaggschiff (vormals der Schwere Kreuzer C-448 der Syndikatwelten, nun umgetauft in Manticore) im Orbit um den Planeten aufhielt, gab es bei der Übermittlung keine spürbare Verzögerung. Dennoch hielt Marphissa inne, als sei sie sich nicht sicher, ob sie weiterreden sollte.

Der erste massive Verrat ist immer der schwerste, dachte Iceni verbittert. Keine Sorge, Mädchen, das fällt dir mit der Zeit immer leichter. Doch die nächsten Worte der Kommodor waren ganz andere als die, die Iceni erwartet hatte.

»Ich bitte um Erlaubnis, mit der Flotte meine Position zu verlassen, damit wir uns den beiden Schweren Kreuzern bei der Einrichtung der mobilen Streitkräfte im Orbit um den Gasriesen anschließen können.«

»Welchem Zweck soll das dienen?«, wollte Iceni wissen, die sich nun bemühen musste, ihr Erstaunen zu überspielen. Wenn Marphissa mit ihren Schiffen Kurs auf den Gasriesen nahm, würden die sich deutlich näher an den Enigmas, aber nur unwesentlich näher an Boyens Flotte befinden.

»Um unser Sternensystem zu beschützen«, erklärte Marphissa. »Um das Volk zu verteidigen.«

Iceni schüttelte den Kopf verständnislos und ablehnend zugleich. Diese Frau ist im Syndikat-System in den Dienstgrad einer Executive aufgestiegen. Sie muss gelernt haben, wie man geschickt verhandelt, aber davon merke ich nichts. »Lassen Sie es mich einfacher formulieren, Kommodor. Ich frage Sie noch mal: Was wollen Sie?«

»Unsere Streitkräfte bündeln, Madam Präsidentin.«

»Selbst gebündelt bleiben Ihre Streitkräfte so unterlegen, dass Sie es mit keiner der beiden Bedrohungen in diesem Sternensystem aufnehmen können.« Wenn sie sich die beiden anderen Schweren Kreuzer aneignen will, muss sie ihnen nur befehlen, sich ihr auf dem Weg zu einem der Sprungpunkte anzuschließen. Warum stellt sie nicht einfach ihre Forderungen?

Aber Kommodor Marphissa nickte nur zustimmend. »Ja, Madam Präsidentin. Das ist korrekt. Wir können nicht darauf hoffen, eine der beiden Streitkräfte zu schlagen, weder die Enigmas noch CEO Boyens’ Flotte. Wenn wir jedoch unsere Schiffe zusammenschließen, dann stehen meine Chancen besser, ihnen einige schwere Treffer zuzufügen, bevor meine Kriegsschiffe zerstört werden. Wir werden kämpfen, so lange wir das können.«

Nun zögerte Iceni. Diese unerwartete Wendung hatte sie aus dem Konzept gebracht. Keine Forderungen, kein Todeskuss? Dafür das Angebot sich für die anderen zu opfern? Ist das nicht nur Gerede? Glaubst du wirklich an das, was du da sagst? »Kommodor«, entgegnete Iceni fest entschlossen, alles auszusprechen, was hier eine Rolle spielte. »Ihnen ist doch bewusst, dass ich Sie zu einem solchen Vorgehen nicht zwingen kann. Ihnen sind sicher auch die anderen denkbaren Optionen bewusst.«

Wieder nickte Marphissa. »Selbstverständlich sind mir die bewusst, Madam Präsidentin.«

»Und warum wollen Sie bleiben und kämpfen, Kommodor?«, hakte sie nach.

»Das tue ich für das Volk, Madam Präsidentin.«

»Was haben Sie gerade gesagt?«, fragte Iceni, die davon überzeugt war, dass sie nur den Rest von Marphissas Antwort gehört hatte.

»Ich bleibe zusammen mit dieser Flotte hier, um für das Volk zu kämpfen, Madam Präsidentin.«

Auch jetzt brauchte Iceni einige Zeit, ehe sie antworten konnte, da sie erst nach den richtigen Worten suchen musste. »Für das Volk? Sie wollen einen aussichtslosen Kampf für ein Volk austragen, das so oder so untergehen wird? Für ein Ideal?«

»Früher oder später ereilt der Tod jeden von uns, Madam Präsidentin. Ich möchte lieber für ein Ideal sterben als auf der Jagd nach irgendeinem Profit. Und ich möchte nicht mit dem Wissen leben, dass ich nicht alles gegeben habe, um diejenigen zu beschützen, die sich nicht selbst beschützen können. Ich weiß, Sie fragen mich das, weil Sie Gewissheit haben wollen, dass ich so wie Sie an die Sache glaube und dass ich auch bereit bin, für die zu sterben, die auf mich bauen.«