Die verratene Heilige - Johanna Hoffmann - E-Book

Die verratene Heilige E-Book

Johanna Hoffmann

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Beschreibung

Das außergewöhnliche Leben der Landgräfin Elisabeth von Thüringen (1207–1231) beschreibt dieser handlungsstarke Roman. Als ungarische Königstochter kam sie mit vier Jahren auf die Wartburg bei Eisenach, einem Mittelpunkt höfischen Lebens mit üppigen Festmahlen, Ritterspielen, Minnesängern und Lustbarkeiten. Sie wurde dort zur Landgräfin erzogen und mit 15 Jahren mit Ludwig von Thüringen verheiratet. Trotzdem war die Ehe von großer Zuneigung und Liebe geprägt. In dieser Umgebung lebte die junge Landgräfin ein ungewöhnlich christliches Leben, das die höfische Gesellschaft infrage stellte und Konflikte heraufbeschwor. Landgraf Ludwig tolerierte ihre Frömmigkeit. Sie pflegte Kranke, speiste Hungernde und kümmerte sich um das Elend des einfachen Volkes. Nachdem ihr Mann während des sechsten Kreuzzuges verstorben war, unterstellte die dreifache Mutter sich in gutgläubiger Frömmigkeit dem machtlüsternen Einfluss des Magisters Konrad von Marburg, der ihre Gottesliebe für seine Zwecke ausnutzte. Durch die Vermittlung eines falschen, strengen Gottesbildes trieb er sie fast zur religiösen Ekstase. Der wirklichkeitsnahen literarischen Darstellung liegen historische Quellenforschungen zugrunde.

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JOHANNA HOFFMANN

DIE VERRATENE HEILIGE

 

Historischer Roman

Das Leben der Landgräfin

ELISABETH VON THÜRINGEN

1207 bis 1231

 

 

 

Laumann-Verlag

Dülmen

© 2016 by Laumann Druck & Verlag GmbH & Co. KG

Postfach 14 61 · D-48235 Dülmen/Westf.

Gesamtherstellung:

Laumann Druck & Verlag GmbH & Co. KG, 48249 Dülmen

ISBN 978-3-89960-438-2

Internet: www.laumann-verlag.de

E-Mail: [email protected]

 

 

 

 

I

 

Leise murmelnd plätscherte die Hörsel vor sich hin, fing mit spielerischer Welle ein Hälmchen, ein Stück Holz, trieb es vor sich her, ließ es am Ufer liegen und suchte sich etwas Neues. Die Lerchen stiegen so hoch in die Luft, daß man sie nicht mehr sehen konnte, aber ihr Gesang stürzte aus dem Blau des Frühlingshimmels herunter, so silbern wie die Wellen der Hörsel. Der Seidelbastblühte und duftete, die Bienen und Hummeln summten mit weichem Gebrumm um die Weidenkätzchen. Die Häuser des Dorfes lagen still in der Mittagssonne.

Bauern und Gesinde saßen um den Tisch und langten hungrig mit ihren Holzlöffeln in die dicke Hafergrütze. Niemand sprach, alle waren müde. Aber es war die Müdigkeit des Behagens nach getaner Arbeit.

Der Bauer leckte sich gründlich die letzten Essensreste zwischen den Zähnen heraus, die Knechte stemmten die Ellenbogen auf die Tischplatte und dösten vor sich hin. Die Mägde sammelten die Holzlöffel ein, um sie zusammen mit Topf und Schüssel am Brunnen abzuwaschen.

Aber noch war nicht so viel Zeit vergangen, wie man braucht, um in Ruhe ein Vaterunser zu beten, da kamen sie schon wieder hereingestürzt.

»Bauer, Bauer! Sechs Reiter!«

»Hm. Was mögen die wollen? Um uns was zu bringen, kommen die nicht!« brummte der Bauer. Er kannte die

Herren.

Als draußen vor der Tür Hufschlag laut wurde, erhob er sich und trat auf die Schwelle, gerade rechtzeitig, um die zwei großen Wolfshunde zurückzupfeifen, die den fremden Pferden zwischen die Beine fahren wollten.

»He, du! Kannst du deine Köter nicht besser erziehen?«

»Grüß Gott, ihr Herren, die Köter wissen halt, wer zum Hof gehört und wer hier nichts zu suchen hat.«

Schon wollte der Anführer zornig werden, als ihn ein Blick auf das freundlich lächelnde, einfältige Gesicht stutzen ließ. War das nun Frechheit oder bäuerliche Dummheit? Da er nicht gleich zu Anfang Streit haben wollte, nahm er's für eine täppische Ausdrucksweise. Er winkte. Der Bläser stieß in die Fanfare, daß die Hühner gackernd auseinanderstoben und die Hunde erneut zu jaulen und zu kläffen begannen.

»Unser Herr Landgraf Ludwig von Thüringen tut kund, daß er sich von heute ab in vier Wochen mit seiner Braut, dem hochedlen und erlauchten Fräulein Elisabeth, Tochter der königlichen Majestät von Ungarn und unserem Herrn seit Kindertagen angelobt, vermählen wird. Um Glanz und Freude seiner Hochzeit zu erhöhen, lädt er alle Bauern und Bürger gnädiglich ein, an solchem Fest zu Eisenach teilzunehmen. Alle Untertanen sollen aber auch gehalten sein, zu den Feierlichkeiten mit Bier und Fleisch, Eiern und Butter und Bienenwachs beizutragen.«

Der Sprecher verstummte einen Augenblick, dann fuhr er nüchtern fort: »Von dir bekommen wir also zwei Kälber, zwei Schafe, eine fette Sau, einen Scheffel Getreide und dazu Abgaben, die du selbst bestimmen kannst, im Werte von einer Silbermark«

Dem Bauern stand der Mund halb offen.

»Herr, wo soll ich das alles hernehmen? Es ist Frühling. Die Vorräte gehen zu Ende. Die eine Kuh ist noch trächtig, nur die andere hat gekalbt. Seid gnädig. Mindert die Abgaben. Ihr macht mich arm!«

»Hör einer den Burschen an! Bildest du dir ein, du bist was Besseres als die anderen Bettler? Wenn dich das Großmaul juckt, hat die Landstraße auch für dich noch Platz. Und nun rasch! Dort kommt schon der Wagen. Ich habe keine Lust, unnütz Zeit mit dir zu vertrödeln. Du siehst, dein Nachbar hat die Abgaben auch leisten können. Los! Hole das Zeug und lade es uns auf!«

Ein schwerer Leiterwagen rumpelte durch das Hoftor. Der Bauer wandte sich mit finsterem Gesicht ab. Fluchend und knurrend nahm er von seinem Saatgetreide, suchte eine fette Sau und zwei schlachtreife Hammel aus.

Mit Grimm im Herzen trieb er schließlich das Kuhkalb herzu. Er hatte es aufziehen wollen, um eine weitere Milchkuh im Stall zu haben. Nun zerrann die Hoffnung. Das Kalb blökte jämmerlich, als ahnte es, daß es zu einem Festbraten dienen solle.

»Na? Und das zweite Kalb? Willst du es unserem Gebieter vorenthalten?«

»Herr, seid gnädig. Ich sagte Euch doch, daß erst eine Kuh gekalbt hat. Wenn die andere rechtzeitig wirft, will

ich es schicken!«

»Darauf kann sich verlassen, wer will. Ich nicht. So geht eben die Kuh mit.«

»Herr, Herr! Nicht die Kuh! Sie gibt die beste Milch. Als Zugtier brauche ich sie auch. Im Namen Christi, seid barmherzig, Ihr bringt mich an den Bettelstab.«

»Schweig, und spare dir dein Geflenne!« Der Ritter stieg ab und ging auf den Bauern zu, hinter dem sich ängstlich einige Mädchen davonschleichen wollten. Mit harter Faust griff er sich die Jüngste von ihnen. »Gut, wenn kein Kalb vorhanden ist, diese junge, langbeinige Färse tut es auch!«

»Laßt die Hände von meiner Tochter!« Wie ein Dreschflegel fuhr die Bauernfaust auf den Arm des Ritters nieder.

Der kniff nur die Augen zusammen und musterte den Bauern von oben herab.

»Euch dummem Volk soll es einer recht machen. Da schlägt man dir einen günstigen Handel vor, und statt zu danken, wagst du, die Hand gegen mich zu erheben.«

Es hörte sich fast freundlich an, aber das hochmütige, zornige Gesicht verhieß nichts Gutes. Ein kurzer Wink zu den Reitknechten:

»Haltet den Alten fest. Er könnte sich sonst Schaden tun, wenn er so blindwütig um sich schlägt.« Aus den Worten klang blanker Hohn. Die Knechte drehten dem Bauern die Arme auf den Rücken, daß er stöhnte, und drängten ihn an die Hauswand. Der Ritter packte das Mädchen derb um die Hüften und schob sie zur Scheune. Auf dem Hofplatz war es totenstill. Hatten eben noch die Lerchen gejubelt, die Hörsel silbern geplätschert? Aus der Scheune drang ein jammervoller Mädchenschrei, dann noch einer, und wieder herrschte lähmende Stille. Dem Bauern standen Schweißtropfen auf der Stirn. Wild vor Zorn wand er sich in den Fäusten der Reitknechte. Die Bäuerin hatte die gefalteten Hände vor den Mund gepreßt und biß sich die Knöchel wund. Das Gesinde starrte mit schreckweiten Augen auf den Bauern. Nach einer Weile öffnete sich das Scheunentor. Zufrieden grinsend trat der Ritter heraus, mit aufreizender Sorgfalt rückte er seine Kleidung zurecht.

»Wußte ich's doch. Du hast eine ganz tüchtige Färse. Der Tausch war nicht schlecht.« Der Bauer spie dem Ritter vor die Füße. Einer der Knechte stieß ihm dafür die Faust ins Gesicht.

»Aufsitzen!« kommandierte der Herr, und die Schar stob zum Hof hinaus. Schwerfällig rumpelte der Wagen hinterher. Langsam öffnete sich das Scheunentor zum zweiten Male. Mit zerzaustem Haar und verweinten Augen schlich das Mädchen heraus, schluchzte und wimmerte, daß ihre Schultern bebten, und warf sich vor dem Vater nieder. Der Bauer schwieg.

»Vater.«

Der Mann starrte vor sich hin.

»Vater!«

Er rührte sich nicht, schjen nicht zu hören.

»Vater!« schrie das Mädchen auf. »Sag doch was! Mach nicht so ein Gesicht. Ich habe Angst!«

Der Bauer schluckte. Er stand noch immer an der gleichen Stelle, an der ihn die Knechte festgehalten hatten.Müde winkte er ab.

»Ich weiß. Kannst ja nichts dafür. Schon gut.«

Mit schleppenden Schritten, als hingen Steine an seinen Füßen, ging er ins Haus. Die Lerchen jubelten noch immer.

 

 

II

 

Es war ein eigenartiger Rhythmus, den die graue Eselin mit ihren harten Hufen auf den felsigen Boden klopfte. Er klang eilfertig, und doch kam das Tier nur langsam voran. Der Reiter, ein großer, starker Mann mit energischen Gesichtszügen, trug das Gewand der Weltgeistlichen. Hals und Nacken waren sehnig und kraftvoll, auch nach Blick und Körperhaltung glich er mehr einem Krieger als einem Priester. Auf der trippelnden, nickenden Eselin nahm er sich fast lächerlich aus. Sie schien unter seiner Last zusammenzubrechen. Meister Konrad von Marburg ritt lieber auf einem Pferd, aber aus Gründen der Klugheit schien es ihm besser, seinen Einzug in Eisenach auf einer Eselin zu halten, wie einst Jesus Christus in Jerusalem. Der erste Eindruck wirkt am stärksten. Da Konrad den Wohnsitz der Thüringer Landgrafen als seinen zukünftigen Wirkungskreis ansah, sollten die Eisenacher gleich sehen, mit welch einem genügsamen Gottesdiener sie es zu tun hatten. Trotz der Langsamkeit freute er sich an dem gehorsamen Getrippel, denn die Demut, mit der das Tier den schweren Mann trug, galt ja ihm. Der Rosenkranz kroch wie eine glänzende, sich ringelnde Schlange durch die Finger des Reiters. Ganz von selbst glitten die Perlen weiter, wenn der Zeitraum für das Gebet abgelaufen war. Konrad merkte es selbst nicht mehr, so sehr war ihm dieses endlose Spiel mit Perlen und Gebeten zur Gewohnheit geworden. Zwei Mönche begleiteten ihn; sie trabten zu Fuß nebenher.

Gerhard, ein Jüngling noch, glich mehr einem Bauern als einem Dominikaner. Der andere, er hieß Johannes, konnte dreißig, er konnte aber auch fünfzig Jahre zählen; sein Alter war schwer zu schützen, denn selten gelang es, einen vollen Blick auf sein Gesicht zu werfen. Immer hielt er schief den Kopf gesenkt, als fürchtete er sich, gesehen zu werden oder selbst etwas zu sehen. Doch der Schein trog. Fortwährend schossen seine kurzen, stechenden Blicke umher. Ihnen entging nichts. Was Konrad wissen wollte, brachte Johannes heraus. Der Meister liebte ihn nicht, aber er brauchte ihn.

Anders war Gerhard. Seine einfache Geradheit war zu keinerlei Winkelzügen und Schleichwegen fähig. Seine bedingungslose Treue nötigte sogar Konrad so etwas wie Achtung ab. Dem Schiefkopf dagegen mißtraute der Meister, denn er wußte genau: Johannes wäre sofort bereit, ihm selbst in den Rücken zu fallen, wenn er davon für sich Vorteile gehabt hätte.

Auf Grund ihres verschiedenen Wesens hegten die beiden Mönche keine Sympathie füreinander. Konrad war das eben recht. «Divide et impera!« hieß sein Wahlspruch. Getrennt konnte man die beiden, die ihm am nächsten standen, besser beherrschen. So zog er bald den einen, bald den anderen an sich heran, pflanzte klug ein wenig Neid zwischen sie und band sie damit um so fester an sich. Auch heute schritten beide schweigend, voneinander kaum Notiz nehmend, bald neben, bald hinter Konrad her.

Der Meister beachtete sie nicht. Er wollte in Ruhe seinen Gedanken nachhängen. Als einem der jüngeren Söhne des Lehnsmannes von Marburg war ihm keine andere Wahl geblieben, als unter den Schutz der Kutte zu schlüpfen, wenn er es weiterbringen und nicht ewig Knecht bleiben wollte. Die Marburg war klein, und der Vater war zu arm, um allen Söhnen glänzende Stellen zu verschaffen. An Konrad aber fraß der Ehrgeiz. Er wollte mehr. Das ruhige Klosterleben lockte ihn nicht. Er liebte die Macht, und er haßte es, sich beugen zu müssen. Macht über Menschen! Das war der Reichtum, den er sich wünschte. Drei Jahrzehnte lag es nun zurück, daß er nach Avignon auszog, um theologische Vorlesungen zu hören. Zuerst hatten alle den jungen Studiosus belächelt, der mehr zum Krieger oder zum Bauern zu taugen schien als zum Diener Gottes. Einem der älteren Fratres aber war Konrad schon nach kurzer Zeit aufgefallen. Der sah nicht die unbedeutende Außenseite, er wußte um den Ehrgeiz und um die Machtgier, die der andere im Herzen trug – wie er selber, denn er hatte an den kühlen und scharf beobachtenden Augen den verwandten Geist erkannt. Das kettete sie bald fest aneinander, denn auch Konrad besaß den sicheren Instinkt eines Jagdhundes, wenn es sich um die Regungen einer Menschenseele handelte. Nicht umsonst hatte er damit gerechnet, daß Frater Ugolino seine ehrgeizigen Pläne wahr machen werde. Jetzt trug er bereits den Kardinalshut.

Es herrschte unter Eingeweihten kein Zweifel mehr darüber, daß er, wenn Innozenz einmal starb, der nächste Anwärter auf den Thron Petri sei. Da jedoch die Tiara auch für manchen anderen Kirchenfürsten ein lockendes Ziel war, brauchte Ugolino zuverlässige Stützen. Er erinnerte sich des jungen Priesters aus Avignon. In ihm glaubte er, ein brauchbares Werkzeug gefunden zu haben.

Bald schon erhielt Konrad aus dem Lateran die ersten Sonderaufträge. Bei jeder neuen Aufgabe bewies er Klugheit, Verschwiegenheit und bedingungslose Hingabe an die Ziele der Kirche. Sein großes Geschick, sich Menschen dienstbar zu machen, kam ihm dabei zu Hilfe. Was er war, wollte er auch ganz sein. Nur diejenigen Gottesdiener hatte er bisher zu den höchsten kirchlichen Würden aufsteigen sehen, die imstande waren, die Schlingen der geistlichen und weltlichen Intrigenspiele entweder mit starkem Arm zu zerreißen oder klug und gewandt dazwischen hindurchzuschlüpfen. Konrad hatte beides verstanden, und nun schien die Sonne ihm! Kardinal Ugolino, begünstigt durch das Geschick, aus adliger Familie zu stammen, wurde zum Zenit der Kirche emporgetragen. Er wußte aber sehr gut, daß er den höchsten Gipfel nur würde erreichen können, wenn er Helfer fand, die bereit waren, ihn um ihres eigenen Vorteils willen hinaufzuheben und auch dort zu halten. Konrad hatte diese Gedankengänge ohne Schwierigkeiten durchschaut, und er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, daß er sich den rechten Bundesgenossen gesucht hatte. Sein scharfer, durchdringender Geist, mit dem er so oft andere täuschte, ließ sich zu keiner Selbsttäuschung hinreißen. Die Klugheit war sein einziger Besitz.

Weder auf Reichtümer noch auf einflußreiche Verwandte konnte er sich stützen. Sein Äußeres war wenig dazu geeignet, ihm Freundschaft oder gar Frauenliebe einzubringen. Groß, vierschrötig, beinahe plump mit dem runden Schädel, auf dem sich eisgraues Haar borstig sträubte, glich er in keiner Weise dem Idealbild, das sich schöne Ritterfrauen von ihren Liebhabern machten. Nichts aber wirkte an ihm verweichlicht. Auch jetzt, da er an der Schwelle des Alters stand, hatte sich noch kein Fett auf seinem Fleisch angesammelt. Durch Wachen und Fasten, durch eine harte Lagerstatt auf bloßem, kaltem Fußboden hatte er sich abgehärtet und an eiserne Selbstzucht gewöhnt. Er konnte ohne Ermüdung zwanzig deutsche Meilen hintereinander reiten, dann sofort eine schwierige Beratung führen, und es gelang ihm dabei fast immer, seine Pläne gegen die der anderen durchzusetzen. Seine Amtsbrüder betrachteten ihn mit gemischten Gefühlen. Sie hatten ihn fürchten gelernt, entdeckten aber an ihm nie eine Blöße, die ihn verwundbar gemacht hätte.

Für sich selbst brauchte Konrad fast nichts. Nie trank er Wein, aß kaum Fleisch. Die bequemen Mönche verachtete er. Wenn die Kirche eine ecclesia triumphans sein wollte, dann mußte sie seiner Meinung nach zuallererst eine ecclesia militans sein: wollte sie triumphieren, so mußte ste kämpfen. Konrad war stolz, daß seinem Verstand ein so unermüdlicher Körper dienen mußte. Und doch haßte er diesen unverwüstlichen Leib, in dem noch immer die Begierden wie Lava aus feuerspeienden Bergen ausbrachen. Die Tragik seiner Natur war es, alle Dinge, die ihn im tiefsten lnnern anrührten, gleichzeitig lieben und hassen zu müssen. Er liebte die Frauen und haßte sie deswegen. Ihre Schönheit ließ ihn das Mönchsein verfluchen, das ihn wiederum befriedigte wegen der fast unbeschränkten Macht, die ein Priester genoß. Er liebte die Kirche, weil ihre Diener in Wahrheit Herrscher waren. Er haßte die Kirche, weil sie ihn in der Fülle seiner Kraft nicht Mann sein ließ. Er verachtete die saufenden, raufenden und hurenden Ritter, die lieber zur Jagd gingen als daß sie Lesen und Schreiben lernten, und er beneidete sie, weil sie trinken, lieben und sich schlagen konnten, sooft sie die Lust dazu ankam. Er aber durfte sich weder im Rausch betäuben - noch bei Frauenzimmern liegen, die ihn mit ihren katzenhaften Bewegungen in gefährliche Wirrnisse verstrickten, um ihn dann in den Abgrund der Sünden zu stürzen …

Tief in Gedanken versunken, hatte Konrad die Zügel aus den Händen gleiten lassen. Er merkte es nicht. Aber der Esel spürte es sofort und brachte es fertig, noch langsamer zu trotten als bisher.

Vor wenigen Wochen hatte ein Befehl aus Rom Konrad nach Thüringen gewiesen. Er sollte dort sämtliche Klöster visitieren und dem vergnüglichen Leben ein Ende bereiten, dem die Mönche frönten. So lautete die offizielle Sendung. Darüber hinaus erhielt er Anweisungen, die ihm nur mündlich unter vier Augen mitgegeben worden waren: Die Deutschen galten in Rom als schwierig. Dauernd befehdeten sie sich, und der kleinste Vorwand genügte ihnen, um aufeinander loszuschlagen. Die Kunst der Verhandlung war ihnen fremd. Zwistigkeiten wurden nie auf friedlichem Wege gelöst, sondern sie endeten nach vieler Plänkelei stets in einem wüsten Schlachten. Mochten sie sich befehden! Solange sie uneins waren, stellten die ständig wechselnden Mächtegruppen der Ritter, Grafen und Fürsten keine ernsthafte Gefahr für die Kirche dar, die groß und mächtig triumphierte. Noch immer krönte der Papst die deutschen Kaiser und schlug sie in Acht und Bann, wenn sie seinen Geboten trotzten.

Könige mußten sich vor ihm demütigen, und es war noch nicht lange her, daß Heinrich IV. als Büßender im Schnee vor den Toren von Canossa gestanden hatte.

Was aber war von Friedeich II., dem Staufer, zu halten, der seit kurzem die deutsche Kaiserkrone trug und sich zuvor schon in Sizilien einen festen Machtbereich geschaffen hatte? Ihm sagte man in Rom nach, er sei ein Freigeist, den selbst der Bannfluch nicht zu schrecken vermöge. Wenn es ihm gelänge, sich der lenkenden Hand des Heiligen Vaters zu entziehen und wesentliche Kräfte der deutschen Herren für die Zwecke der kaiserlichen Vormachtstellung zu binden und zu nutzen, so bedeutete eine solche Machtzusammenballung für Rom Gefahr.

Man mußte ihr zuvorkommen, man mußte rechtzeitig und geschickt Einfluß auf die mögliche Entwicklung nehmen und die Richtung weisen. Für einen so heiklen Auftrag war der kluge und verschlagene Konrad der rechte Sendling, und wenn er nun den Weg zur Wartburg nahm, so deshalb, weil der Landgraf von Thüringen, an Reichtum und Macht seine Standesgenossen überragend, der Freund des Kaisers war. Was auch immer Friedrich lI. unternahm, er konnte der Hilfe und Ergebenheit des nur um wenige Jahre jüngeren Landgrafen sicher sein, und der landgräfliche Hof bot damit günstigen Raum für einen Beauftragten des Laterans, sofern er nur mit List dabei zu Werke ging.

Das Eselehen freute sich, der straffen Hand ledig zu sein, und döste im Laufen vor sich hin. Plötzlich schreckte es auf. Ein Stein löste sich unter den Hufen und kollerte davon, das Tier trat fehl. Konrad, der mit angezogenen Knien, steif von dem langen Ritt, im Sattel hockte, wurde dabei durcheinandergeschüttelt. Jämmerlich schrie das Tier, denn sein Herr ließ ihm zornig und aufgestört die Rute um die langen Ohren und über den Hals fegen, so daß der Schmutz aus dem struppigen Fell stäubte. Konrad setzte sich wieder zurecht, und nun sah auch er, was den friedlichen Trott so jäh unterbrochen hatte: die Bettler kamen!

Eine graue, düstere Masse, eine Riesenschnecke, die sich bald zusammenzog, bald in die Länge streckte, kroch gen Eisenach. Was die Romfahrten der Kaiser, die Kreuzzüge und die Fehden des Adels an vernichtetem Menschenglück wieder ausspien, was die Armut aus den Hütten auf die Landstraße trieb, wer als Frau den Mann, als Kind die Eltern verlor und mittellos zurückblieb – alles das stieß zum Elendszug der Bettler. Wie Vogelschwärme fielen sie ein, wo es etwas zu holen gab, lagerten vor den Toren der Burgen und Klöster. Und jetzt zogen sie zur Wartburg. Unversehens war Konrad an einer Wegkreuzung mitten unter sie geraten. An der Spitze des Zuges ging, von den anderen getrennt, eine geschlossene Gruppe. Konrad erstaunte, denn diese Bettler entboten ihm nicht den demütigen Gruß, den zu empfangen er als Diener Gottes gewohnt war. Auch sahen sie nicht so stumpf und dreckig aus, als seien sie unter Not und Elend auf der Straße aufgewachsen. Ihre Kleider, wenngleich jetzt zerrissen und beschmutzt, verrieten die ehedem bessere Herkunft. Und da war noch etwas in ihren Gesichtern, das den Priester stutzen ließ.

Alle blickten ihn so gelassen, so gleichgültig an, als wäre er gar nicht vorhanden. Sie schienen sogar Genugtuung darüber zu empfinden, daß der Geistliche mit seinen zwei dienenden Brüdern ihretwegen bis ins Gebüsch hinein zurückgewichen war und nun nicht weiterkonnte.

Während die Frauen sich verachtungsvoll und keineswegs scheu oder demütig in einem Bogen vorbeischoben, schienen die Männer es geradezu darauf anzulegen, ihn absichtlich noch weiter in die Nesseln am Wegesrand hineinzudrücken. In Konrad regte sich der Zorn. Als jetzt gar ein Mann den Esel mit einem derben Schlag aufs Hinterteil gänzlich von der Straße herunterjagte, um Platz für ein junges Weib zu schaffen, das einen Säugling auf den Armen trug, konnte Konrad sich nicht mehr beherrschen.

»Was erdreistest du dich!« schrie er. Als er den Bettler näher ins Auge faßte, kam der ihm bekannt vor. Aber wo er ihn gesehen haben mochte, darauf konnte er sich im Augenblick nicht besinnen.

Der Mann hob ruhig die Hand: »Höre, Priester, der du sein willst ein Mann Gottes und doch nur bist ein Knecht des Teufels!« Plötzlich erkannte Konrad: Das war nicht die Art eines Straßenbettlers, hier sprach ein Gebildeter, ein Bürger. »Hildesheim!« durchfuhr es den Priester, als wenn ein Blitzschlag ihn unversehens getroffen hätte. Doch der andere fuhr bereits mit erhobener Stimme fort: »Wer denn in deutschen Landen kennt dich nicht, mächtiger Ketzermeister und Sendbote Roms.« Wie auf Vereinbarung waren währenddessen die übrigen Männer dicht hinter den Sprecher getreten, so, als wollten sie ihn schützen oder seinen Worten noch mehr Nachdruck verleihen. Nur die Frauen hielten sich abseits.

»Aber deine Macht hat Grenzen, sage ich dir! Jetzt und hier bist du hilfloser als irgendeiner von uns, den du noch kürzlich vor deine Gerichte zerren ließest. Auch deine beiden Begleiter können dich nicht schützen. Und der dort scheint es nicht einmal zu wollen.« Mit einem spöttischen Seitenblick wies er auf Johannes, der sich angstschlotternd hinter dem Esel verkrochen hatte. »Ihr habt sechs Fäuste, wir haben fast hundert. In Fetzen könnten wir euch reißen, wenn wir es wollten, wenn wir solche Christen wären wie ihr; gefährlicher als Wölfe, Kreaturen, denen der Feuerbrand vorausweht und denen das Todesröcheln ihrer Opfer folgt.« Der Sprecher schwieg.

Aber noch immer umstanden seine Gefährten die drei gleich einer undurchdringlichen Mauer, die keinen Durchschlupf offen ließ. Wohin Konrad auch blickte, er traf auf harte, trotzige Mienen, die deutlich zu sagen schienen: Sieh es ein, wir sind dir entkommen, und wir werden uns dir nicht beugen. Wo du gestern noch Wind sätest, wird vielleicht schon morgen Sturm aufkommen. Und dann wehe dir und deinesgleichen! Plötzlich wendete sich der Sprecher, gab seinen Männern ein Zeichen. Die Mauer wich. Wie ein Spuk sog der Bettlerstrom die kleine Gruppe in sich auf. Konrad und seine beiden Gesellen wagten aufzuatmen. Unablässig jedoch flutete die riesige Elendsmasse an ihnen vorüber, die ganze Breite des Weges beherrschend. Fast lautlos schoben sich Hunderte von Menschen dahin. Nur das weiche Aufklatschen der nackten, müden Füße im Straßenstaub war zu hören oder das Aufstampfen eines Krückstockes.

Der Abscheu würgte Konrad im Halse, und der saure, schweißige Geruch erregte Übelkeit. Aber es war vorerst nicht möglich, dem auszuweichen. Selbst diese niedrigsten unter den Armen besaßen noch so etwas wie eine Rangordnung. Nach den kräftigeren jungen Männern und Frauen, die arbeiten konnten und sich so auf ihrer Wanderschaft gelegentlich einen Laib Brot oder ein Stück billiges Wolltuch zu einem neuen Kittel verdienten, kamen die, die nur noch zum Betteln taugten, unter ihren Lumpen aber wenigstens noch ihr menschliches Aussehen bewahrt hatten. Was nach ihnen heranhinkte, auf einem Bein mühsam hüpfte, sich an Krücken schleppte oder im Staub kroch, das schien am Jüngsten Tag den Gräbern entwichen zu sein. Lauter, immer lauter gellten die Warnschellen, die die Aussätzigen läuten mußten. Sie, denen es bei Leibesstrafen verboten war, sich Gesunden zu nähern, hielten den gebotenen Abstand. Ihren Anblick ertrug Konrad nicht mehr. Angewidert, vom Grauen gepackt, zwang er seinen Esel rücksichtslos durch die Lücke auf die andere Straßenseite, wo ein breiter Wiesenrain die Flucht begünstigte. Kaum konnten ihm Gerhard und Johannes folgen. Mitleid empfand Konrad nicht. Nur Ekel. Dieser Haufe würde nun ebenfalls zur Wartburg ziehen, um heulend und bettelnd seinen Anteil am Hochzeitsfest des Landgrafen zu fordern: »Allmosen, Almosen!« Ludwig würde sich über die ungeladenen Gäste nicht freuen. Sollte ruhig die Flut der Bitterkeit und des Jammers sich über die Festfreude der hochmütigen Ritter ergießen und ihnen das Gelage vergällen! Hauptsache war, man kam noch vor dem Bettlergeschmeiß am Burgtor an.

Konrad hatte einen Seitenpfad eingeschlagen, der steil emporführte. Hier war es ruhig. Nur aus weiter Ferne vernahm man noch hie und da das Geklingel der Warnschellen.

Während der Magister wie ein schwerer, grauer Klotz auf dem Esel vor ihnen herschwankte, warf Gerhard einen verstohlenen Blick auf den neben ihm schreitenden Johannes. Den schien das Abenteuer bereits nicht mehr zu belasten. Sein spitziges Gesicht hatte wieder Farbe bekommen. Frech grinste er herüber. Gerhard aber stand noch ganz im Bann des Geschehens und wußte es sich nicht zu deuten. «Was war das? Was wollten die Bettler von uns?« flüsterte er dem anderen zu. Johannes ließ ihn erst ein Weilchen zappeln. Dann vergrößerte er unmerklich den Abstand zu dem ihnen Voranreitenden und begann mit halber Stimme zu berichten: »Mußt es ja doch einmal erfahren, du ahnungsloses Wickelkind. Also spitz die Ohren! Vor einigen Monaten trug man dem Meister Kunde zu von einer starken Gemeinde der Albigenser, die sich in Hildesheim gesammelt haben sollte. Wir untersuchten die Sache, Namen auf Namen wanderten in unsere Liste, viele, viele Bürger waren darunter. Ha! Die sollten zittern, wenn das Gericht begann! Der Magister suchte den Abt des Klosters auf und legte ihm die Liste vor. ›Welche von den hier Aufgeschriebenen kamen in der letzten Zeit zu dir und den anderen Brüdern zur Beichte?‹ Der Abt wurde blaß und senkte den Kopf. Er wußte, was diese Frage bedeutete.

›Ich bin ein alter, schon etwas vergeßlicher Mann‹, sagte er vorsichtig. ›Die Ihr hier aufgeführt habt, Meister Konrad sind achtbare Bürger mit Rang, Namen und Gewerbe. Ich kenne sie seit manchen Jahren. Sie waren in der letzten Zeit wohl alle hier.‹

›Daß sie hier waren, will ich gern glauben. Du sollst mir sagen, ob sie in der vorgeschriebenen Art gebeichtet und in Demut die Sakramente empfangen haben!‹ fiel Konrad ihm ins Wort. Dies ehrlich zu beantworten war schon schwerer.

›Bis auf diese drei kann ich von allen sagen, daß sie in der letzten Zeit gebeichtet und die Sakramente erhalten haben‹, versuchte der Abt auszuweichen.

›Und die anderen? Kommen sie nicht mehr zur heiligen Beichte? Gehören sie zu den Ketzern, von denen man mir berichtet hat?‹ schlug Konrad wieder zu.

Der Abt zuckte hilflos die Achseln.

›Es gibt ja noch mehr Priester in Hildesheim. Warum sollten sie nicht gelegentlich bei anderen beichten, auch wenn sie zu meiner Gemeinde gehören…‹

›Laß binnen zwei Stunden alle Priester hier zusammenrufen‹, befahl Konrad. ›Wir reden dann weiter!‹ Damit hat er den Greis stehenlassen. Hättest sehen sollen, wie der mit zitternder Hand sich die winzigen Schweißperlen von der Stirn wischte!«

Noch jetzt, in der Erinnerung, konnte sich Johannes ein hämisches Auflachen nicht verbeißen und verwunderte sich nur, daß der andere nicht mit einfiel, sondern mit seltsam brüchiger und erregter Stimme forderte: »Und dann? Erzähle! Was tatet ihr dann?«

Gemach, das Eigentliche kam ja erst noch. Und so erfuhr Gerhard Stück um Stück die Tragödie des Abtes Bernhard bis zum grauenvollen Ende: Geführt von Johannes, hatte sich Konrad zunächst die Häuser der Denunzierten angesehen, hatte sogleich berechnet, wieviel Reichtümer der Kirche zufließen mußten, wenn die Angeschuldigten sich als Ketzer erwiesen. Wesentlich besser gerüstet als am Vormittag, hatte er dann die Besprechung wieder aufgenommen.

Gleich seine erste Frage riß den tragenden Stein aus dem Gewölbe, auf dem Abt Bernhard seine Verteidigung aufgebaut hatte.

»Sagtest du nicht, in der letzten Zeit seien fast alle noch zur Beichte gekommen? Was heißt das, ›letzte Zeit‹?«

Ein trauriger Schatten überflog das von manchem Leid zerfurchte, gütige Gesicht des Alten. »Ich sagte Euch schon, Meister Konrad, ich bin betagt, und meine Gedanken verlassen mich hie und da.«

»Abt Bernhard!« Konrad bequemte sich nun zur offiziellen Anrede, aber was folgte, klang nicht höflicher, sondern um vieles schneidender. »Eure Gedanken müssen Euch in der Tat recht häufig verlassen! Ich weiß, daß außer acht von den hier Aufgezeichneten seit Jahresfrist keiner mehr zur Beichte kam! Ich will Euch auch sagen, wessen ich sie dringend verdächtige: Ich glaube, ja ich weiß es fast mit Bestimmtheit, sie sind Anhänger der Sekte von Albi geworden. Sie verweigern die Annahme der Sakramente, sie leugnen die Erlösergnade Gottes und behaupten, nur durch sein eigenes Verhalten und Wirken habe der Mensch es in der Hand, dermaleinst in ein besseres Jenseits einzugehen. Daran vermöchten Beichte und Sakramente nichts zu ändern. Ja, diese Verworfenen glauben sogar, des Menschen Seele sei der Wiedergeburt teilhaftig. Je nachdem, ob der Mensch gut oder schlecht gelebt habe, könne seine Seele bei solcher Wiedergeburt aufsteigen, bis sie dereinst die Gefilde der Seligen erreiche, oder aber absinken bis zur Hölle. Sie leugnen also, daß Seele und Leib sich am Tage des Jüngsten Gerichtes wieder vereinigen werden! Denn in welchen Leib soll die Seele zurückkehren, wenn sie deren viele durchwandert hat? Meintreu mir dienender Bruder Johannes, dem von Gott die große Gnade verliehen wurde, Ketzer schon am Gesicht zu erkennen, hat alle diese Menschen aufgesucht, und er weiß: Sie alle sind verdammt. Was habt Ihr hierzu zu sagen?« Bernhard erkannte, daß diese Worte Konrads das Ende bedeuteten. Müde hob er das gesenkte Haupt. Er hatte es geahnt, lange vorausgesehen, einmal würde auch ihn der unbarmherzige Inquisitor aufspüren. Konrad, der mit Erstaunen bemerkte, wie tief den Klostervorsteher seine Anklage erschüttert hatte, kannte jedoch das Haupt dieser Gemeinde noch nicht, dem es bisher gelungen war, den Spitzel zu entgehen – Abt Bernhard war es selber.

Das geistliche Gewand schützte ihn, weil es ihn und damit bisher auch seine Anhänger gedeckt hatte. So ernsthaft er versucht hatte, seine Glaubensbrüder Konrads Zugriff zu entziehen, so wenig war er nun gesonnen, sich feige in den Falten seiner Soutane zu verkriechen. Er wagte noch einen letzten Versuch:

»Gibt es nicht viele Vöglein in unseren Baumgärten und Wäldern, und singen sie nicht alle gleich lieblich und erfreuen unser Ohr, wenngleich ein jedes seine eigene Melodie anstimmt? Wird so nicht Gott auch seine Freude haben an wahrhaft guten und aufrechten Menschen, die ihn auf ihre Weise verehren?«

»Ihr sprecht wahr. Aber Ihr vergeßt eines: Die Singvögel, das sind die, so den rechten Glauben haben. Ihr Lied und Gebet dringen gleich der Musik an Gottes Ohr. die Abtrünnigen aber sind die finsteren Fledermäuse und Eulen, das unheimliche Nachtgetier, welches des Teufels ist und nicht zu Gottes Lob und Preis sein Lied anstimmt.«

Bernhard erkannte die Zwecklosigkeit jeder Widerrede.

Er richtete sich auf und ließ die Maske fallen.

»Gut denn, so vernimm, Konrad von Marburg, die ganze Wahrheit, denn es ist eines Mannes unwürdig, nicht für seinen Glauben einzutreten, ihn zu verleugnen. Ja, auch ich hänge den Albigensern an. Ja, ich glaube an ihre Lehren, denn wenn ich sehe… «

»Schweige!« gebot Konrad herrisch, überrumpelt durch dies unerwartete Geständnis. Er hatte in Bernhard tatsächlich bisher nur den vergeßlichen Greis vermutet, unter dessen mangelnder Aufsicht es seinen Schäflein leicht geworden war, sich der Kirche zu entziehen. Das Erstaunen über diese Wandlung mischte sich mit dem Ärger, daß es dem alten Mann gelungen war, sowohl ihn als auch seine Spitzel so lange zu täuschen.

»Nein, Meister Konrad, ich schweige nicht, und Ihr werdet mich anhören!« fuhr die ruhige, feste Stimme unbeirrt fort. »Wenn ich sehe, wie die Fürsten huren, stehlen, das Volk bedrücken und den Bauern ausrauben, dann kann ich mir nicht denken, daß Beichte, Buße und Absolution für dieses Gewürm genügen, um ihren sündigen Lebenswandel auszulöschen und gleich den Gemordeten, Beraubten und Unterdrückten vor Gottes Antlitz Gnade zu finden. Wäre das der Fall, dann wäre Gottes Allgüte nichts weiter als eine Ungerechtigkeit.«

»Aus dir spricht der Teufel! Wir sind stark genug, unbotmäßige Priester und schlechte Fürsten selbst zu ermahnen oder zu bestrafen. Das ist seit jeher meines Amtes in Deutschland. Deine Überheblichkeit und Gotteslästerung aber verdienen die härteste Buße.«

Er gab zwei jungen Priestern, die ihn liebedienerisch umschwänzelten, einen Wink. »Führt diesen Ketzer vorläufig in seine Zelle! Ihr bürgt mir mit dem Heil eurer Seelen dafür, daß der Unwürdige nicht entkomme. Wir wollen weiter beraten. Versammelt auf morgen alle Angeschuldigten an diesen Platz, damit sie feierlich abschwören und Buße tun oder ihre gerechte Strafe empfangen.«

Mochten nun die Angeklagten gute Freunde haben oder Gott sie selbst hatte warnen lassen – die Häscher jedenfalls fanden niemanden mehr zu Hause. So blieb als einziger Abt Bernhard übrig. Da er sich weigerte, seinem Glauben abzuschwören, forderte Konrad von den weltlichen Gerichten seine Bestrafung, nicht ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen: » …aber ohne Blutvergießen!«

Die Henkersknechte wußten, was diese milde Formel in Wahrheit besagte, und ergänzten ihre Holzvorräte. Unglücklicherweise aber war das Holz noch zu naß, als sie den Befehl bekamen, den Scheiterhaufen zu errichten. Statt inmitten heller, heißer Flammen, die seiner Qual schnell und barmherzig ein Ende gemacht hätten, starb der Greis eines entsetzlichen langsamen Todes zwischen beizenden Qualmwolken. Man hatte ihm, was Konrad als besondere Gnade verkündete, nur die Füße an den Pfahl geschnürt, die Hände aber freigelassen, damit er sie zum Gebet falten könne, falls er doch in letzter Minute noch Reue empfände und Gott bußfertig um Vergebung anflehen wolle.

Als der Scheiterhaufen entzündet wurde, starrte Konrad von Marburg wie gebannt auf sein Opfer. Immer wieder, wie zum Hohn, ließ er dem Gepeinigten durch den Rauch das Kreuz mit dem Heiland entgegenstrecken.

Aber als der Todeskampf einsetzte und der Greis stöhnend und schon fast erstickt zusammenbrach, hatte Konrad nicht den Triumph erlebt, den Ketzer reuig zu sehen. Wohl hatte er ihn verbrennen können, doch als Sieger fühlte er sich nicht. Es war ihm nicht gelungen, einen Widerruf zu erzwingen, und zum ersten Male überkam ihn das Gefühl, daß auch seine Macht nicht ohne Grenzen sei. Es war ein Schmerz, so leise, daß der Verstand es kaum wahrnehmen konnte, sondern ihn nur als eine leichte Unruhe verspürte. Aber das Erlebnis bohrte und schabte in Konrads Seele. Er vermied es, sich näher damit zu beschäftigen, denn nichts haßte er so sehr, wie im Zwiespalt mit sich selbst zu liegen.

»So also schickten wir ihn zur Hölle, und wir werden seinesgleichen ausrotten, wo immer wir sie treffen!« beendete Johannes seinen Bericht, und der Triumph loderte aus seinen Augen.

Nur schwer vermochte Gerhard der Bedrückung Herr zu werden. Mit welch einem Untier in Menschengestalt hat ihn der gemeinsame Dienst zusammengekoppelt! Schließlich brach es aus ihm heraus: »Du bist kein Mensch, sondern ein Werwolf, ein Vampir, der nur leben kann, wenn er das Blut anderer trinkt! Gewiß, der Meister ist streng, muß Strenge walten lassen um der wahren Lehre willen, du aber bist sein böser Geist und treibst ihm aus Mordgier die Opfer zu!«

Johannes horchte auf. »O heilige Einfalt«, erwiderte er spottend, »du unterschätzt den Meister. Oder –?« Er kniff das blinde Auge zu und richtete das andere prüfend auf Gerhard, indem er boshaft bemerkte: »Wenn man dich so hört, könnte man fast glauben, du selbst…«

»Dummes Geschwätz!« brummte der andere. »Such dir deine Ketzer, wo du willst, sonst reden wir ein anderes Wörtchen miteinander, du jämmerlicher Krüppel. Hierzulande sind die Bergpfade so steil und die Wälder so verschwiegen, daß schon mancher in die Irre ging und kein Hahn mehr nach ihm krähte.« Gerhard reckte seinen breiten Rücken und ballte spielerisch die Fäuste. Ihn sich zum Feind zu machen war nicht ratsam. Eilfertig lenkte Johannes ein: »Laß gut sein, Bruder. Schau dort vorn, wir sind am Ziel!«

Tatsächlich, der Pfad wurde breiter, und das wuchtige Außentor der Wartburg trat ins Blickfeld. Die beiden setzten sich in Trab und eilten dem Mann auf dem Esel nach, ergriffen rechts und links die Zügel des Grautiers, auf daß sich der Einzug des Magisters Konrad mit einiger

Würde vollziehe. Trotzdem verlief die Begrüßung von seiten des Burgvogts knapp und nüchtern. Geistliche liebte Herr Gottfried nicht sonderlich und schon gar nicht die asketischen Eiferer vom Schlage dieses hageren Pfaffen. Den Gast abzuweisen stand zwar nicht in seiner Befugnis, aber er gönnte ihm nur wenige Worte, befahl dem Stallknecht, den Esel zu versorgen, und gab einem Knappen Auftrag, dem Reiter den Weg zur Unterkunft zu weisen.

Unauffällig wie Schatten folgten die Mönche ihrem Herrn. Kaum hatten sie das Zimmer betreten, als Konrad auf einen Strohsack in der Ecke wies: »Legt euch dorthin, schlaft!« Er wollte ungestört sein. Noch war er mit seinen Gedanken nicht zu Ende. Die Fackel im eisernen Halter streute Funken auf den Fußboden. Geistesabwesend zertrat er die Glut mit den Sandalen.

In Eisenach wurde jetzt der Unrat von den Straßen gefegt und zu den Säuen in den Hof hinterm Hause geworfen. Hier oben auf der Burg und unten in der Stadt scheuerte man die Fußböden, bestreute sie mit frischen Blättern und Blumen. Überall wurde gebacken und gebraten.

Seit Tagen waren die Jäger des Landgrafen unterwegs, der Landgraf oft mitten unter ihnen, um das Wild für die Festtafel zu erlegen. Wochenlang hatten Lehnsleute und Bauern Getreide, Schlachtvieh, Honig, Früchte, Leinen und Wolle auf die Burg schleppen müssen, um alles zum Fest zu rüsten.

Dieses Fest! Konrad bereitete es seit Tagen schon Unruhe. Er kannte Ludwig, und er hatte auch mancherlei schon über Elisabeth erzählen hören. Sie waren ohne Zweifel beide fügsame Kinder der alleinseligmachenden Kirche; Elisabeth sollte sogar sehr fromm sein. Würde aber Ludwig, der Freund des Kaisers, als verheirateter Mann und Gatte einer Königstochter nicht andere Bausmachtpläne hegen, als die Kirche es wünschte? Vor allem, wenn er Vater von Söhnen werden sollte! Konrad verzog den Mund, man hatte ihm die vierzehnjährige Elisabeth als außerordentlich zart, ja zerbrechlich geschildert.

Es war also nicht anzunehmen, daß sie sofort Kinder empfangen könne und werde. Aber trotzdem galt es, auf der Hut zu sein. Man durfte keinesfalls die beiden Gatten sich zu fest miteinander verbinden lassen. Man mußte auch darauf achten, daß die Spannungen zwischen dem Landgrafen und seinem Lehnsadel erhalten blieben. Da war zum Glück auch noch Heinrich Raspel- Zwei sich im Alter so nahestehende Brüder an einem Fürstenhof bürgten stets dafür, daß sich zwei Parteien herausbildeten. Heinrich Raspe war ehrgeizig. Man mußte ihn nur klug ins Spiel bringen. Recht betrachtet, war das Ganze ein Schachspiel. Schwarz und Weiß standen sich auf dem Brett gegenüber. Man mußte sie nur kunstvoll Zug um Zug gegeneinander bewegen, damit - das war selbstverständlich – am Ende Schwarz den Sieg davontrug. Denn dem schwarzen König, dem einstigen Confrater in Avignon und jetzigen Kardinal Ugolino, war man verpflichtet, und der Lohn würde nicht ausbleiben, wenn der Kardinal aus dem nächsten Konklave als Vater der Christenheit hervorging. Heinrich Raspe versprach ein wendiger Springer auf dem Feld der Schwarzen zu werden. Wie aber stand es um die Gegenpartei? Zweifellos verfügte auch sie über starke Kräfte. Da war vor allem Friedrich II., seit Jahresfrist Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und König von Sizilien. Mit seinen Herrschaftsgebieten hielt er den Kirchenstaat von Norden und Süden in der Zange, so lange wenigstens, als ihm die deutsche Ritterschaft ergeben war und nicht hinter seinem Rücken einen anderen Kaiser wählte. Der Landgraf von Thüringen aber war des Kaisers getreuer Freund, und an diesem Punkt blieb der Verlauf der Partie vorerst völlig offen. Man mußte prüfen, wie Ludwig und vielleicht auch sein junges Weib im Dienst der Kirche zum Zuge kommen konnten, und schon bald mußte man sich darüber die notwendige Klarheit verschaffen.

In einem Winkel der Zelle lagen Kienspäne. Konrad holte einen hervor und steckte ihn in den Halter über dem Tisch. Aus einem Steintopf ließ er sich kaltes Wasser über Nacken und Kopf laufen; langsam trank er einige Schlucke und streckte sich dann auf seinem Lager aus. Er schlief nicht, aber er verstand im Wachen alles Denken auszuschalten und sich so in kurzer Zeit völlig zu entspannen. Kaum die Hälfte einer Stunde brauchte er als Ruhepause. Dann war er wieder munter. Die Abendkühle strömte erfrischend durch die Fensteröffnung.

Konrad erhob sich, setzte den Span in Brand und begann in seinem etwas schwerfälligen Latein aufzuschreiben, was er mit dem Landgrafen über die Besetzung geistlicher Ämter in Thüringen besprechen wollte. Das war der erste Prüfstein. Hörnerklang und Waffenlärm erschollen im Burghof. Die Jäger kehrten zurück. Konrad beendete seine Niederschrift. Er beugte sich über den Strohsack, auf dem seine Begleiter ruhten. Gerhard lag gelöst, er schlief den Schlaf des Gerechten. Anders Johannes. Seltsam verknäult, den Kopf nach oben gewendet, als müßte er auch jetzt noch auf etwas lauschen, schlummerte er nur oberflächlich und war sofort wach, als Konrad sich zu ihm herunterneigte: »Johannes, bestelle dem Landgrafen, ich sei bereit, mit ihm zu sprechen.«

Schnell und geräuschlos erhob sich der Mönch. Er wußte ebensogut wie Konrad, daß der Landgraf soeben erst von der Jagd heimgekehrt war. Zwar hatte er schon oft erlebt, wie fügsam die Menschen in Meister Konrads Händen wurden. Wie aber würde der Fürst auf die späte Störung antworten?

Ludwig schlief schon wie ein Bär. Eine anstrengende Hatz lag hinter ihm. Der Teufel hätte ihn forttragen können, er hätte es nicht bemerkt. Noch viel weniger vernahm er die respektvollen Worte seines Knappen, der ihm meldete, ein Mönch wünsche ihn zu sprechen. Erst nach wiederholten Versuchen des Jungen fuhr der Schläfer hoch.

»Warum störst du mich? Ist etwas geschehen?«

»Landgräfliche Gnaden, Meister Konrad schickt nach Euch. Er sei jetzt bereit, einiges mit Euch zu verhandeln.«

»Reitet dich der Satan? Deswegen weckst du mich aus dem ersten Schlaf!« Der Zorn machte den Landgrafen nun vollends wach.

»Verzeiht dem Knappen. Er wollte Euch nicht wecken. Ich befahl es, denn Meister Konrad läßt Euch rufen«, sagte da eine sanfte, ölig klingende Männerstimme.

»Mich rufen lassen?! Wenn hier Befehle erteilt werden, dann erteile ich sie meinem Knappen selbst. Merke dir das, wenn du auf der Burgwohnen bleiben willst, solange dein Herr hier weilt.« Das klang scharf und endgültig. Aber die demütige Stimme ließ sich nicht abweisen. »Bedenkt, Landgräfliche Gnaden, wer nicht zu jeder Stunde bereit ist, den wird Gott nicht erhören, so er ihn in der Not anruft.«

Mit einer kurzen Handbewegung schnitt Ludwig jedes weitere Wort ab. Hatte bis jetzt der müde Jäger grob gepoltert, so sprach nun kalt und höflich der Herrscher:

»Die Stunde ist unpassend für geistliche Gespräche. Richte deinem Herrn aus, wenn ihn die Schlaflosigkeit plagt, so möge er sich des Weinkellers erinnern, das wird ihm helfen.«

Der Mönch ärgerte sich weidlich über den Hohn. In ihm stritten Hochachtung vor dem Fürsten, der es wagte, sich einer Aufforderung Meister Konrads zu entziehen, und Zorn, fortgejagt worden zu sein. Solches war ihm noch nicht vorgekommen! Ihm, Johannes, der die Gabe besaß, die Ketzer schon am Gesicht zu erkennen! Ihm, den alle fürchteten, weil er die Irrgläubigen dem Gericht seines Herrn auslieferte!

Da Konrad von seinen Begleitern stets die wortwörtliche Wiedergabe aller Gespräche verlangte, die in seinem Namen geführt wurden, berichtete der getreue Johannes auch dies, als er das Ergebnis der Unterredung meldete. Konrad wurde bleich vor Wut. Am liebsten hätte er sofort die Burg verlassen. Aber er hätte Aufsehen erregt und damit seiner Sendung nichts genutzt. Er war Diener der Kirche. Sie befahl. Konrad schwieg. Aber Johannes wußte: Diese Nacht blieb dem Landgrafen unvergessen. Er kannte seinen Herrn. Noch ein zweites Mal mußte er sich in dieser Nacht auf den Weg machen. Diesmal, um der Fürstin Elisabeth melden zu lassen, daß Meister Konrad für sie bereit sei, falls sie es wünsche. Auch sie schlief fest. Aber als ihre Frauen sie weckten, nahm sie die seltsame Aufforderung nicht als Störung ihrer Nachtruhe, sondern als Gnade.

War es doch Gott selbst, der sie durch den Mund seines Dieners rufen ließ! »Ich will die Gelegenheit nutzen, einmal bei Meister Konrad zu beichten. Pater Berthold aus Reinhardsbrunn, der sonst meine Sünden entgegennimmt, ist stets so milde und freundlich. Selten findet er an mir zu tadeln; die Bußen, die er mir auferlegt, sind sehr leicht zu erfüllen. Ich fürchte, ich könnte dabei überheblich werden und selbst wähnen, ich sei ohne Fehl und Tadel … Am Vorabend meiner Hochzeit will ich meine Seele vor einem so frommen und strengen Priester, wie es der Meister Konrad ist ausbreiten. Er wird mir sagen, wo ich gefehlt habe. Und so kann ich morgen rein und geläutert in den heiligen Stand der Ehe treten.«

Sie streifte ein einfaches Gewand über und lief durch den Burghof in die Kapelle. Vor dem Altar sank sie in die Knie.

»In nomine patris et filii et spiritus sancti. Amen. Knie nieder!«

Konrad sagte die gebräuchliche Formel gedankenlos herunter. Zu spät bemerkte er, daß Elisabeth bereits zu seinen Füßen lag. Ein Grund, sich abermals zu ärgern. Während ihn der Bräutigam höflich zum Teufel schickte, warf sich die Braut aus freien Stücken vor ihm in den Staub. Welch ein seltsames Mädchen! Elisabeth hob den Kopf und erschrak. Zwei harte blaue Augen fraßen sich in ihr Herz, als wollten sie dort jeden Winkel erkennen. Sie konnte nicht standhalten und senkte den Blick. Sie wollte ihre Demut durch einen Handkuß beweisen, aber nun hielt sie irgend etwas davor zurück, die große Hand mit den Adern und Sehnen zu berühren, die so unbewegt an der massigen Gestalt herunterhing und ihr nicht ein winziges Stückehen entgegenkam. So fiel der Handkuß nur sehr flüchtig aus.

›Hoffärtig und heuchlerisch wie alle Frauen‹, dachte Konrad, und ihre nächsten Worte schienen ihm dies noch zu bestätigen.

»Ich bin eine große Sünderin. Vergebt mir.«

»Du solltest wissen, daß nicht ich dir vergeben kann, sondern nur Gott. Er bedient sich meiner, um durch meinen Mund zu sprechen. Nun beichte deine Sünden, doch verfalle nicht in die Sünde der Heuchelei.« Das junge Mädchen schwieg lange, und Konrad hatte Muße, sie zu betrachten. Je länger er sie ansah, desto mehr wünschte er, diese Begegnung möge nicht die einzige bleiben. Wie sie da kniete, klein und zart, mit einer Neigung des Hauptes, deren rührende Schüchternheit eine Augenweide war, befiel den Mann eine seltsame Erregung. Gegen die lauten, schamlosen Weiber konnte man sich mit strengen Worten wehren, konnte ihnen vorhalten, daß man Mönch sei. Gegen diese mit Anmut gepaarte Unterwerfung aber war kein Schelten möglich.

Was hätte er sagen sollen? Daß er ihr nichts vorwerfen konnte, machte ihn hilflos, zornig auf sich selbst, und seine Hilflosigkeit drängte ihn zu brutaler Gegenwehr.

»Du schweigst!« grollte er. «Verfalle nicht in die Sünde der Überheblichkeit, weil du dich sündenfrei glaubst!«

Wie sollte man es ihm nur recht machen? Elisabeth wurde immer ängstlicher. Meister Konrad war wirklich sehr streng, aber er tat ihr unrecht. Sie schüttelte unmerklich das Haupt.

»Nein, meine Sünde ist groß. Ich lebe in Glanz und Reichtum, bin unsagbar glücklich. Ich liebe meinen zukünftigen Gatten von ganzen Herzen, und er liebt mich.«

Konrad horchte auf. Das Geständnis kam so unerwartet, so eindeutig, daß er seine Verwirrung nur mit Mühe verbergen konnte.

»Ist das nicht eine große Sünde gegenüber den Menschen, die in Armut und Elend leben?« beendete die noch kindlich helle Stimme ihre Selbstanklagen. Hier war nun schon eher die Möglichkeit zu priesterlicher Vermahnung geboten.

»Deine Sünde ist die Sünde aller Reichen. Dafür erwartet sie einst das Fegefeuer. Statt sich mit ihrem eigenen Besitz zu begnügen, entziehen sie den Klöstern noch Land, um sich zu bereichern.«

In Elisabeths Antlitz schoß die Röte. Sie spürte genau: das zielte auf Ludwig. Sie erschrak so heftig, daß sie sich kaum darüber wunderte, woher Konrad das wissen könne.

»Was aber soll ich tun?« fragte sie beschämt.

»Alle Dinge, die du sinnlich geliebt und begehrt hast, mußt du verachten und hassen. Wenn du damit angefangen hast, wird alles, was dir ehedem süß und lieblich erschien, unerträglich und bitter für dich sein. Und alles andere, was du früher verachtet hast, wird dir zu großer Süßigkeit und überschwenglicher Freude werden! Sei demütig gegen Gott! Liebe deine Nächsten! Diene Gott, und liebe Gott mehr als die Menschen und den Reichtum! Bedenke, daß es auch eine Sünde ist, sein Herz zu sehr an die Menschen zu hängen. Und vor allem, meide die Sünden des Fleisches!«

Es war Elisabeth, als zerrte eine grobe Hand an ihrem Herzen, das so zögernd in dem ihr fremdartigen Thüringen heimisch geworden war. Nun sollte sie sich dieses Glückes nicht freuen dürfen, damit ihre Seele sich nicht zu fest mit dem irdischen Leben verband, sondern seine Heimstatt nur in Gott suchte. Das tat weh, So weh, daß sie erschauerte.

Was Konrad von ihr verlangte, hätte keinem anderen Menschen am Thüringer Hofe Kopfzerbrechen gemacht. Ein Lippenbekenntnis, ein Kerzenopfer – damit wäre die Sache erledigt gewesen. Elisabeths hilflose Seele jedoch ward in das Netz unlösbarer Gewissensqual verstrickt.

Wie sollte sie Ludwig, den sie mehr als sich selber liebte, nun weniger lieben können? Sie wollte Gott dienen mit aller Hingabe. Aber man kann der Liebe nicht befehlen, zu schwinden oder zu wachsen, man muß sie hinnehmen. In dieser Stunde erkannte Elisabeth, in ihrem Herzen würde für immer Ludwig noch über Gott stehen. Sie sah, daß sie ein ganzes Leben lang werde sündigen müssen, denn sie kannte keine andere Wahl.

»Wollt Ihr mich leiten, ehrwürdiger Vater?« fragte sie zaghaft; dies schien ihr jetzt der einzige Ausweg. Die Worte verschwebten kaum hörbar in der dunklen, stillen Kapelle.

»Helft mir, meine Sünden zu überwinden. Zeigt mir den Weg, wie ich ein Gott wohlgefälliges Leben führen kann. Allein bin ich zu schwach. Ich bedarf Eurer Stütze.«

In Konrad wuchs der unbezähmbare Wunsch, die Seele dieses eigenartigen Mädchens nach seinem Willen zu formen und zu biegen. Die Vierzehnjährige würde in seinen Händen wie weiches Wachs sein. Noch steckte sie im Alter kindlichen Überschwanges und religiöser Schwärmerei.