Die verschollene Flotte: Standhaft - Jack Campbell - E-Book

Die verschollene Flotte: Standhaft E-Book

Jack Campbell

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Beschreibung

Admiral Geary und die Crew der Dauntless haben gerade eine Eskortmission zur Erde abgeschlossen, da verschwinden plötzlich zwei von Gearys Offizieren. Die Suche nach den vermissten Männern führt ihn an den schlimmstmöglichen Ort: einen Mond, der wegen eines tödlichen Virus unter strengster Quarantäne steht. Jedes Schiff, das trotzdem dort landet, muss für immer bleiben oder wird zerstört. Für die Männer scheint es keine Hoffnung auf Rettung zu geben ...

Die verschollene Flotte - spannungsgeladene Space Opera des Bestseller-Autors Jack Campbell um einen Offizier, der zu den eindrucksvollsten Figuren der modernen Science-Fiction zählt. Für alle Fans von Honor Harrington und Battlestar Galactica!

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Die Allianz-Flotte

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Danksagung

Über den Autor

Alle Titel des Autors bei beTHRILLED

Impressum

 

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Über dieses Buch

Admiral Geary und die Crew der Dauntless haben gerade eine Eskortmission zur Erde abgeschlossen, da verschwinden plötzlich zwei von Gearys Offizieren. Die Suche nach den vermissten Männern führt ihn an den schlimmstmöglichen Ort: einen Mond, der wegen eines tödlichen Virus unter strengster Quarantäne steht. Jedes Schiff, das trotzdem dort landet, muss für immer bleiben oder wird zerstört. Für die Männer scheint es keine Hoffnung auf Rettung zu geben …

JACK CAMPBELL

DIE VERSCHOLLENE FLOTTE

STANDHAFT

Aus dem amerikanischen Englisch vonRalph Sander

 

Für meine Schwester Dianne,die personifizierte Standhaftigkeit.Und wie immer für S.

Die Allianz-Flotte

Admiral John Geary, Befehlshaber

Fettgedruckte Schiffsnamen kennzeichnen im Gefecht verlorene Schiffe, in Klammern wird das Sternensystem genannt, in dem das Schiff verloren wurde.

Zweite Schlachtschiffdivision

Gallant

Indomitable

Glorious

Magnificent

Dritte Schlachtschiffdivision

Dreadnaught

Orion (Sobek)

Dependable

Conqueror

Vierte Schlachtschiffdivision

Warspite

Vengeance

Revenge

Guardian

Fünfte Schlachtschiffdivision

Fearless

Resolution

Redoubtable

Siebte Schlachtschiffdivision

Colossus

Encroach

Amazon

Spartan

Achte Schlachtschiffdivision

Relentless

Reprisal

Superb

Splendid

Erste Schlachtkreuzerdivision

Inspire

Formidable

Brilliant (Honor)

Implacable

Zweite Schlachtkreuzerdivision

Leviathan

Dragon

Steadfast

Valiant

Vierte Schlachtkreuzerdivision

Dauntless (Flaggschiff)

Daring

Victorious

Intemperate

Fünfte Schlachtkreuzerdivision

Adroit

Sechste Schlachtkreuzerdivision

Illustrious

Incredible

Invincible (Pandora)

Fünfte Sturmtransporterdivision

Tsunami

Typhoon

Mistral

Haboob

Zweite Schnelle Hilfsschiffdivision

Witch

Jinn

Alchemist

Cyclops

Einunddreißig Schwere Kreuzer in sechs Divisionen

Erste Schwere Kreuzerdivision

Dritte Schwere Kreuzerdivision

Vierte Schwere Kreuzerdivision

Fünfte Schwere Kreuzerdivision

Achte Schwere Kreuzerdivision

Zehnte Schwere Kreuzerdivision

abzüglich

Emerald und Hoplon (Honor)

Fünfundfünfzig Leichte Kreuzer in zehn Geschwadern

Erstes Leichtes Kreuzergeschwader

Zweites Leichtes Kreuzergeschwader

Drittes Leichtes Kreuzergeschwader

Fünftes Leichtes Kreuzergeschwader

Sechstes Leichtes Kreuzergeschwader

Achtes Leichtes Kreuzergeschwader

Neuntes Leichtes Kreuzergeschwader

Zehntes Leichtes Kreuzergeschwader

Elftes Leichtes Kreuzergeschwader

Vierzehntes Leichtes Kreuzergeschwader

abzüglich

Balestra (Honor)

Hundertsechzig Zerstörer in achtzehn Geschwadern

Erstes Zerstörergeschwader

Zweites Zerstörergeschwader

Drittes Zerstörergeschwader

Viertes Zerstörergeschwader

Sechstes Zerstörergeschwader

Siebtes Zerstörergeschwader

Neuntes Zerstörergeschwader

Zehntes Zerstörergeschwader

Zwölftes Zerstörergeschwader

Vierzehntes Zerstörergeschwader

Sechzehntes Zerstörergeschwader

Siebzehntes Zerstörergeschwader

Zwanzigstes Zerstörergeschwader

Einundzwanzigstes Zerstörergeschwader

Dreiundzwanzigstes Zerstörergeschwader

Siebenundzwanzigstes Zerstörergeschwader

Achtundzwanzigstes Zerstörergeschwader

Zweiunddreißigstes Zerstörergeschwader

abzüglich

Zaginal (Kaliban)

Plumbatae, Rolo, Bangalore und Morningstar (Honor)

Muskat (Midway)

Marines-Streitmacht der Ersten Flotte

Major General Carabali, Befehlshaberin

3000 Marines auf Sturmtransportern und in mehreren Abteilungen, verteilt auf die Schlachtkreuzer und Schlachtschiffe

Eins

Admiral John »Black Jack« Geary war daran gewöhnt, aus Hunderten Kilometern Höhe auf Welten hinabzublicken oder ins All zu starren, durch das ein Mensch unendlich lang fallen konnte, ohne jemals irgendwo aufzuschlagen. Dennoch verspürte er leichten Schwindel, als er jetzt über die zerfallenen Überreste einer Mauer schaute, hinter der der Boden gut zehn Meter tief steil abfiel und mit Geröll übersät war. Dahinter erstreckte sich das mit Vegetation überzogene Land nach Norden bis hin zu den flachen Hügeln, die diese Region auf der Alten Erde prägten. Er erinnerte sich an ganz ähnliche Landschaften auf seiner Heimatwelt Glenlyon, die er seit einem Jahrhundert nicht mehr gesehen hatte.

Geary kniff die Augen zusammen, da ihm der Wind ins Gesicht wehte, der die Gerüche der Pflanzen, der Tiere und der Fabriken der Menschen zu ihm trug. Es war nicht wie auf einem Raumschiff, wo die Luft trotz noch so guter Filter immer nach überfüllten Räumen, koffeinhaltigen Getränken und heißen Schaltkreisen roch.

»Nicht viel übrig, nicht wahr?«, merkte Captain Tanya Desjani an, die das Fundament der Mauer betrachtete.

»Es ist ja auch tausende von Jahren alt«, erwiderte Gary Main, der Verwalter der historischen Besitztümer. Der Mann wirkte, als wäre er so wie die Mauer ebenfalls ein Teil der Landschaft, was vielleicht damit zusammenhing, dass Angehörige seiner Familie seit Generationen als Bewahrer der Mauer gedient hatten. »Das eigentliche Wunder besteht darin, dass überhaupt noch etwas übrig ist, insbesondere nach dem Jahrhundert des Eises im letzten Jahrtausend. Der Golfstrom sorgt dafür, dass unsere Insel Wärme erhält, deshalb wurde es hier sehr kalt, als diese Meeresströmung viel von ihrer Kraft verlor. Der Rest der Welt erwärmte sich, aber hier wurde es immer kälter. Allerdings war England schon immer ein bisschen anders, wenn man es mit dem Rest dieses Planeten verglich. Seit damals ist es überall auf der Welt kühler geworden, nur hier sind die Temperaturen wieder angestiegen.«

Geary verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Ich muss gestehen, es ist ein seltsames Gefühl, auf einem Planeten zu stehen, auf dem die Menschheit schon so lange existiert, dass die Leute etwas aus dem letzten Jahrtausend berichten können.«

»Und dabei betrifft das nur die jüngste Vergangenheit, wenn man es mit dieser Mauer vergleicht«, erläuterte Main.

»Der Hadrianswall«, sagte Desjani nachdenklich. »Ich schätze, wenn die Leute sich auch noch in Tausenden von Jahren an einen erinnern sollen, dann ist es nicht verkehrt, eine riesige Mauer in die Landschaft zu setzen und sie nach sich selbst zu benennen. Ich weiß noch, wie ich mit dem Admiral über das Römische Reich sprach und fand, dass es eigentlich doch ziemlich klein gewesen ist, weil es ja nur einen Teil einer Planetenoberfläche bedeckte. Aber wenn ich jetzt hier stehe, wird mir klar, dass es den Leuten, die in diesem Reich unterwegs waren, ziemlich groß vorgekommen sein muss.«

Main nickte und strich mit einer Hand über die Steine, die noch von der Mauer übrig waren. »Als das hier errichtet wurde, war der Wall ungefähr sechs Meter hoch. Im Abstand von je einer römischen Meile standen Kastelle, dazwischen befanden sich zahlreiche Wachtürme. Das Ganze war ein beeindruckendes Bauwerk.«

»Unsere Marines hätten in ihrer Gefechtsrüstung mit einem Satz über den Wall springen können«, erklärte Tanya. »Aber wenn man allein auf seine Muskelkraft angewiesen ist, dürfte es schon schwierig sein, diesen Wall zu überwinden. Vor allem, wenn man dabei noch von oben beschossen wird. Wie wurde der Wall bezwungen?«

»Gar nicht. Das Römische Reich zerfiel einfach. Als das Imperium zusammenzuschrumpfen begann, wurden die Legionen nach Hause geholt und der Zerfall des Walls setzte ein.«

Geary betrachtete das sich über die Landschaft erstreckende Bauwerk mit seinem Kontrast von weißem Stein zu grüner Vegetation. Dabei dachte er an die gewaltige Demobilisierung, die innerhalb der Allianz eingesetzt hatte, nachdem der Krieg gegen die Syndikatwelten beendet worden war. Die Legionen wurden nach Hause geholt, der Wall wurde aufgegeben. Es klang so harmlos, doch es bedeutete, dass eine einst als unverzichtbar angesehene Verteidigungsanlage mit einem Mal überflüssig geworden war. Männer und Frauen, die wichtige Funktionen ausgeübt hatten, stellten plötzlich einen Kostenfaktor dar, den man nicht länger benötigte. »Die Grenzen und ihre Horizonte schrumpften zusammen«, sagte er und dachte dabei nicht nur an das antike Reich, das diesen Wall erbaut hatte, sondern auch an die Situation in vielen Sternensystemen der Allianz.

Tanyas Blick verriet ihm, dass sie genau wusste, was er meinte. »Es heißt, dass dieser Wall über Jahrhunderte hinweg bewacht worden ist. Stellen Sie sich nur vor, wie viele Soldaten hier ihren Wachdienst verrichtet haben. Der eine oder andere könnte ein Vorfahr von Ihnen oder mir gewesen sein.«

»Viele Leute glauben, Arthur sei womöglich zu jener Zeit ein König gewesen«, sagte Verwalter Main, »und seine Ritter könnten nach dem Abzug der Römer eine Zeit lang die Kontrolle über diesen Wall gehabt haben.«

»Arthur?«, wiederholte Geary.

»Ein legendärer König, der vor langer Zeit geherrscht hat. Angeblich«, verriet Main, »ist er gar nicht gestorben, sondern liegt seitdem in einem tiefen Schlaf und wartet darauf, dass die Zeit kommt, in der sein Volk ihn braucht. Aber natürlich hat er sich nie blicken lassen.«

»Vielleicht wurde er ja nur nicht dringend genug gebraucht«, wandte Desjani ein. »Manchmal tauchen schlafende Helden aus der Vergangenheit nur dann auf, wenn es gar nicht ohne sie geht.«

Es kostete Geary Mühe, ihr keinen verärgerten Blick zuzuwerfen. Doch sein abrupter Stimmungswandel war so offensichtlich, dass einen Moment lang Schweigen herrschte.

Main räusperte sich. »Wenn ich Ihnen eine Frage stellen dürfte: Was glauben Sie, was unsere anderen Gäste davon halten?«

»Die Tänzer?«, fragte Geary. Das Shuttle der Aliens schwebte ein Stück von ihnen entfernt nur ein paar Zentimeter über dem Boden. »Sie sind erstaunliche Ingenieure, sie haben die Überreste gründlich untersucht. Wahrscheinlich sind sie davon beeindruckt.«

»Das lässt sich nur schwer sagen, Admiral, da sie Raumanzüge tragen.«

»Vermutlich würden Sie es auch nicht sagen können, wenn Sie ihre Gesichter sehen könnten«, warf Desjani ein. »Sie zeigen Gefühle nicht in der Art, wie wir das machen.«

»Oh, stimmt«, erwiderte Main mit bemerkenswerter Zurückhaltung. »Weil sie so … ähm …«

»… weil sie für uns so aussehen, als hätte sich eine riesige Spinne mit einem Wolf gepaart«, führte Desjani den Satz für ihn zu Ende. »Wir nehmen an, dass sie uns für genauso abscheulich halten wie umgekehrt.«

»Beurteilen Sie sie nicht nach dem Aussehen«, fügte Geary hinzu.

»Das würde ich niemals machen, Sir! Jeder hat mitbekommen, wie sie die Überreste dieses Toten zurückgebracht haben. Wie ist es ihm überhaupt gelungen, bis in ihr Territorium vorzudringen?«

»Ein fehlgeschlagenes Experiment in der Frühphase der interstellaren Reisen«, erläuterte Geary. »Er war im Sprungraum unterwegs, und aus irgendwelchen Gründen, über die wir nichts wissen, ist er schließlich in einem von den Tänzern bewohnten System aus dem Sprungraum geworfen worden.«

»Sein Schiff wurde aus dem Sprungraum geschleudert«, stellte Desjani mit rauer Stimme klar. »Aber er muss schon lange vorher tot gewesen sein. Gestorben im Sprungraum.«

»War das schlimm?«, wollte Main wissen.

»Schlimmer geht es kaum.« Sie atmete einmal tief durch, dann setzte sie ein Lächeln auf. »Aber die Tänzer haben seine sterblichen Überreste mit Respekt behandelt und nach Hause gebracht, sobald es ihnen möglich wurde.«

»Das habe ich so auch gehört«, pflichtete Main ihr bei. »Diese Tänzer haben ihn besser behandelt, als es mancher Mensch getan hätte, den ich kennenlernte, das können Sie mir glauben.« Nach einem Blick zur Sonne sah er auf seine Uhr. »Wenn Sie so weit sind, sollten wir weitergehen, Admiral, Captain.«

»Geben Sie uns noch ein paar Minuten«, entgegnete Desjani. »Ich muss mit dem Admiral noch etwas unter vier Augen besprechen.«

»Selbstverständlich. Ich werde da vorn auf Sie warten.«

Tanya drehte sich von der neugierigen Menge weg, die sich ein paar hundert Meter von ihnen entfernt aufhielt. Es waren allesamt Bürger der Alten Erde, die nicht nur von der erst kurz zuvor entdeckten fremden Spezies fasziniert waren, sondern auch von den Menschen, die von fernen Sternen zu ihnen gekommen waren, deren Vorfahren aber vor langer Zeit diese Welt hier verlassen hatten. Sie drehte ihr Handgelenk Geary zu, damit er sehen konnte, dass sie ihr persönliches Sicherheitsfeld aktiviert hatte. Andere konnten so weder ein Wort von dem hören, was sie sagte, noch war es möglich von ihren Lippen abzulesen oder ihren Gesichtsausdruck zu sehen, da der für Außenstehende verschwommen dargestellt wurde. »Wir müssen über etwas reden«, sagte sie.

Geary unterdrückte einen Seufzer. Er wusste, wenn sie das so sagte, ging es um ein Thema, über das sie reden wollte, während er genau daran nicht interessiert war. Er stand nahe der Mauer, aber er stützte sich nicht an ihr ab, weil ihm das so verkehrt vorkam, als würde er einen Stapel alter Bücher benutzen, um die Beine hochzulegen. »Hat es was mit dem Wall zu tun?«

»Es hat etwas mit all dem hier zu tun.« Sie wandte sich von der Landschaft ab und sah ihn an. »Morgen werden wir die Alte Erde verlassen, auf die Dauntless zurückkehren und die Heimreise antreten. Sie müssen wissen, was die Leute denken werden.«

»Ich habe so eine Ahnung«, erwiderte er.

»Nein, die haben Sie nicht. Sie haben hundert Jahre im Kälteschlaf verbracht. Sie leben jetzt seit einer Weile unter uns, aber Sie verstehen uns noch immer nicht so gut, wie Sie es sollten. Ich kenne dagegen die Menschen in der heutigen Allianz von Grund auf, weil ich eine von ihnen bin.« Tanyas Augen hatten sich verfinstert und jenen harten, ernsten Ausdruck angenommen, den er schon bei ihrer ersten Begegnung beobachtet hatte. »Ich wurde mitten in einem Krieg geboren, der schon seit einer Ewigkeit geführt wurde, und ich bin immer davon ausgegangen, dass auch lange nach meinem Tod Krieg herrschen würde. Meinen Namen verdanke ich einer Tante, die im Krieg gefallen ist. Ich sah meinen Bruder in diesem Krieg sterben, und ich war fest davon überzeugt, dass meine Kinder – sollte ich jemals welche haben – ebenfalls Opfer dieses Kriegs werden würden. Wir konnten nicht gewinnen, aber wir wollten auch nicht verlieren. Das Sterben ging immer weiter und weiter. Jeder in der Allianz ist so aufgewachsen, nur Sie nicht. Während wir aufwuchsen, erzählte man uns, Captain Black Jack Geary habe die Allianz gerettet, indem er den ersten Überraschungsangriff der Syndikatwelten abwehrte, mit dem der Krieg seinen Anfang nahm.«

»Tanya«, sagte er resignierend. »Ich weiß, dass …«

»Lassen Sie mich ausreden. Uns wurde auch beigebracht, dass Black Jack für alles Gute an der Allianz stand. Er war alles, was ein Bürger der Allianz jemals sein sollte und was ein Verteidiger der Allianz erstreben sollte. Nein, sagen Sie nichts! Ich weiß, Sie hören das nicht gern, aber Milliarden Menschen in der Allianz sehen Black Jack so und nicht anders. Für sie ist Black Jack so gewesen. Und den Rest der Legende hat man uns auch beigebracht – dass Black Jack im Licht der lebenden Sterne inmitten unserer Vorfahren war, dass er aber eines Tages von den Toten auferstehen würde, wenn er am dringendsten gebraucht wird, und dass er dann die Allianz retten würde. Und genau das haben Sie gemacht.«

»Aber ich war eigentlich nicht tot«, betonte er ungehalten.

»Unbedeutend. Als wir Sie fanden, war die Energieversorgung Ihrer Rettungskapsel auf einen so niedrigen Stand gesunken, dass sie nur noch ein paar Wochen durchgehalten hätte. Wir haben Sie aufgetaut, Sie haben die Syndiks besiegt und einen unendlichen Krieg beendet.« Mit einer Hand strich sie leicht über die rauen Steine der Mauer. Trotz ihrer ernsten Worte hatte diese Berührung etwas Sanftes. »Obwohl ein Sieg errungen wurde, der den Syndikatwelten den Zerfall bescherte, droht der Allianz das gleiche Schicksal, weil ein Jahrhundert Krieg einfach zu viel gekostet und alle Beteiligten zermürbt hat. Das ist die Zeit, in der Sie zur Erde reisen.«

»Tanya.« Sie wusste, ihm würde diese Unterhaltung nicht gefallen, weil er ein weiteres Mal daran erinnert wurde, dass viele Leute ihn für eine mythische Figur hielten. Einen Moment lang fragte er sich, ob wohl einer seiner Vorfahren vor sehr langer Zeit an genau dieser Stelle gestanden und über die Mauer gespäht hatte, um vorrückende Angreifer im Auge zu behalten, und ob er dabei die Last der Verantwortung gespürt hatte, alle anderen beschützen zu müssen. »Wir sind zur Alten Erde gekommen, weil wir die Tänzer eskortierten. Hätten die Aliens nicht darauf bestanden, so wären wir jetzt auch nicht hier.«

»Wir beide wissen das, und einigen Mitgliedern des Großen Rats ist es auch bekannt«, sagte Desjani. »Aber ich garantiere Ihnen, dass jeder andere in der Allianz glaubt, Sie hätten sich dafür entschieden, unser aller Heimat zu besuchen, jenen Ort, an dem unsere ältesten Vorfahren gelebt haben, um den Rat dieser Vorfahren einzuholen. Um zu erfahren, wie Sie die Allianz retten können, von der mehr und mehr Bürger glauben, dass es für sie längst keine Rettung mehr gibt.«

Er starrte sie an und konnte nur hoffen, dass Tanyas Sicherheitsmaßnahmen jeden Beobachter tatsächlich daran hinderten, seinen Gesichtsausdruck zu sehen. »Das kann nicht wahr sein.«

»Oh doch, die Leute glauben das«, beharrte sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Das ist etwas, das Sie wissen sollten.«

»Na, großartig.« Er blickte über die Reste des Walls hinweg nach Norden, von wo damals die Feinde gekommen waren. »Warum ich?«

»Fragen Sie das unsere Vorfahren. Aber wenn Sie meine Meinung wissen wollen«, redete sie weiter und stellte sich so neben ihn, dass sie in die gleiche Richtung blickte, »dann würde ich antworten: Weil Sie das schaffen können.«

»Ich bin nur ein einzelner Mann!«

»Ich habe ja nicht gesagt, dass Sie es ganz allein machen sollen.«

»Und unsere Vorfahren haben kein Wort zu mir gesagt!«

»Sie wissen«, fuhr Tanya in einem selbstverständlichen Ton fort, als würde sie Allgemeinwissen wiederholen, »dass unsere Vorfahren selten zu uns kommen und uns etwas Konkretes sagen. Sie geben Hinweise, sie machen Andeutungen, sie äußern Mutmaßungen, und zwar gegenüber denjenigen, die ihnen zuhören wollen. Und wenn wir ihnen irgendetwas bedeuten, dann werden sie diese Dinge Ihnen anbieten, wenn Sie Ihnen nur zuhören.«

»Den Vorfahren hier auf der Alten Erde«, entgegnete Geary so geduldig, wie er nur konnte, »ist nicht ein Leben lang eingeredet worden, wie großartig ich bin. Warum sollte Black Jack auf sie in irgendeiner Weise beeindruckend wirken?«

»Weil sie ebenfalls unsere Vorfahren sind! Und sie wissen sehr wohl, wer Black Jack ist! Erinnern Sie sich an dieses andere Bauwerk, das man uns gezeigt hat? Diese … ähm … Lange Mauer?«

»Die Große Mauer?«

»Ja, richtig.« Sie deutete in Richtung Norden. »Also, dieser Wall, den Hadrian erbaut hat, ist eine richtige Befestigung, der Feinde fernhalten sollte. Aber die Große Mauer drüben in Asien eignete sich nicht dafür. Die Leute da haben uns ja erklärt, dass sie so verdammt lang ist, dass man niemals eine Armee hätte aufstellen können, die groß genug gewesen wäre, um sie auf ganzer Länge zu bewachen. Die haben viel Geld, Zeit und Arbeit in dieses Bauwerk gesteckt, aber wenn ein Feind sie überwinden wollte, musste er nur eine Stelle finden, die nicht bewacht wurde, eine Leiter dagegen lehnen und rüberklettern, um dann von der Innenseite das nächstgelegene Tor zu öffnen.«

»Ja«, stimmte Geary ihr zu. »Nicht gerade sehr sinnvoll, nicht wahr?«

»Jedenfalls nicht als Befestigung.« Mit einer Geste deutete sie nach Osten. »Diese Pyramiden. Erinnern Sie sich daran? Überlegen Sie, wie viel Zeit und Geld und Arbeit dort investiert wurde. Und diese riesigen Köpfe in der Felswand in der Nähe von Kansas. Vier Vorfahren, deren Gesichter man in den Stein gehauen hat. Welchen Sinn ergibt so was?«

Er sah sie fragend an. »Hat das alles irgendwas mit mir zu tun?«

»Ja, Sir, Admiral.« Desjani lächelte, doch ihr Blick war unverändert ernst. »Diese Große Mauer hat etwas über die Menschen ausgesagt, die sie erbaut haben. Sie haben der Welt gezeigt, dass sie so etwas schaffen können. Sie haben die Welt wissen lassen, dass sie sich auf dieser Seite der Mauer befinden, während alle übrigen auf der anderen Seite sind. Diese Pyramiden müssen die Menschen damals auch wirklich beeindruckt haben. Und diese vier Vorfahren in der Felswand? Da ging es nicht bloß darum, sie zu ehren, sondern auch ihr Volk, ihre Heimat und ihren Glauben zu ehren. Das waren alles Symbole. Symbole, die dazu beitrugen, die Menschen zu definieren, von denen sie geschaffen wurden.«

Geary nickte betont langsam. »Okay. Und weiter?«

»Was ist das Symbol für die Allianz?«

»Es gibt keines. Jedenfalls nichts in dieser Art. Es gibt zu viele Gesellschaften, Regierungen, Glaubensrichtungen …«

»Falsch.« Sie zeigte auf ihn.

Geary verspürte wieder dies beängstigende Gefühl, das ihn manchmal zu überwältigen drohte. »Tanya, das ist …«

»Es ist die Wahrheit. Und es stimmt, was ich gesagt habe: Sie verstehen uns noch immer nicht.« Ihre Gesichtszüge nahmen einen traurigen Ausdruck an. »Wir haben vor langer Zeit damit aufgehört, unseren Politikern zu glauben. Und damit haben wir auch den Glauben an unsere Regierungen verloren. Was ist die Allianz aber anderes als eine große Ansammlung von Regierungen? Die Allianz kann nicht stärker sein als die Regierungen zusammen. Wir haben versucht, an die Ehre zu glauben, aber Sie haben uns vor Augen geführt, wie wir dadurch die wahre Bedeutung dieses Begriffs verdreht haben. Wir haben versucht, an unsere Flotte und an unsere Bodenstreitkräfte zu glauben, aber wie Sie selbst wissen, haben die alle versagt. Wir haben wie die Verrückten gekämpft, wir haben getötet und sind getötet worden, aber das hat zu nichts geführt. Bis zu dem Moment, als Sie aufgetaucht sind. Der Mann, der für alles stand, was die Allianz sein sollte, so wie man es uns gesagt hatte.«

Tanya tippte auf einen Mauerstein. »Black Jack ist nicht nur dieser Wall, er ist nicht nur der Mann, der persönlich die Allianz vor den Feinden von außen beschützt hat, er ist auch die Große Mauer und die Pyramiden und die vier Vorfahren. Er verkörpert die Allianz. Er ist die eine Sache, von der die Bürger glauben, dass sie für die Allianz steht. Darum ist er der Einzige, der uns retten kann.«

Er musste wieder ihrem Blick ausweichen und betrachtete stattdessen die Landschaft. Dabei sah er die Bilder jener Schlachten, die er bereits geschlagen hatte, und er sah die Männer und Frauen, die dabei gestorben waren. »Senator Sakai hat etwas in dieser Art gesagt, allerdings war seine Haltung wesentlich pessimistischer.« Während des Kriegs gegen die Syndikatwelten hatte die Allianz-Regierung die Mythen rund um Black Jack geschaffen, um das Volk zu einer Zeit zu inspirieren und zu einen, als das Vorbild eines solchen Helden dringend benötigt wurde. Und jetzt sollte der Mann, um den herum diese Mythen gebildet worden waren, ausgerechnet die Allianz retten, der er die Mythen überhaupt erst verdankte. »Vorfahren, steht mir bei.«

»Genau darüber haben wir doch eben geredet, oder nicht?«

Unwillkürlich musste Geary lächeln, während er sich zu ihr umdrehte. »Ich wäre nie darauf gekommen, wie die Menschen denken, die im Krieg geboren wurden. Was würde ich bloß ohne Sie tun?«

»Ohne mich wären Sie verloren«, antwortete Desjani. »Sie wären hoffnungslos verloren. Merken Sie sich das gut.«

»Falls ich es jemals vergessen sollte, weiß ich, dass Sie mich daran erinnern werden.«

»Vielleicht. Aber vielleicht werde ich dann auch einfach wieder nur ich selbst sein.« Mit ihrer Geste schloss sie die Menschenmenge ein, die in respektvoller Entfernung zu ihnen wartete. »Für diese Leute bin ich die Befehlshaberin des beeindruckendsten Kriegsschiffs, das sie je gesehen haben. Ich bin die Frau, die die sogenannten Kriegsschiffe des sogenannten Schildes von Sol ausgelöscht hat, die sich in diesem Sternensystem eingenistet hatten und nach außen so taten, als würden sie es vor minderwertigen Formen menschlichen Lebens beschützen, wie Sie und ich es angeblich sind.«

»Pech für den Schild von Sol, dass wir primitive Menschen von den fernen Sternen viel besser kämpfen können.«

Tanya grinste ihn an. »Reine Blutlinien, ein Haufen Orden und ein paar schöne Schiffe sind eben kein Ersatz für Intelligenz, Feuerkraft und Erfahrung. Jedenfalls finden die Leute hier im Sol-System, dass ich etwas ziemlich Bemerkenswertes geleistet habe. Wenn wir allerdings zurück in der Allianz sind, wird wieder jeder in mir nichts weiter als die Gefährtin von Black Jack sehen.«

Das weckte seinen Ärger, der ihn die eben noch empfundene Ohnmacht vergessen ließ. »Sie sind nicht meine Gefährtin. Sie sind Captain Tanya Desjani, befehlshabende Offizierin des Allianz-Schlachtkreuzers Dauntless. Nur so sollten Sie von jedem wahrgenommen werden.«

Tanya lachte. »Sie sind wirklich süß, wenn Sie Wahnvorstellungen haben.« Trotz ihrer warmen Kleidung ließ ein kräftiger Windstoß sie schaudern. »Die Einheimischen finden, es ist hier wärmer geworden? Ich glaube, unser Wachdienst auf diesem Wall hat lange genug gedauert. Ich bin schon richtig verwöhnt, weil ich so viel Zeit in klimatisierten Raumschiffen verbringe. Was sollen wir uns noch gleich als Letztes ansehen?«

»Stonehenge. Eine religiöse Stätte.«

»Ah, gut.« Sie lächelte wieder. »Ich muss meine Aufwartung machen, bevor wir die Alte Erde verlassen.«

»Ich glaube, die Erbauer von Stonehenge haben andere Dinge angebetet, als wir das tun«, wandte Geary ein.

»Sie haben es anders genannt«, widersprach sie. »Das heißt nicht, dass ihnen im Gegensatz zu uns andere Dinge wichtig waren oder dass sie nicht genauso wie wir versucht haben, die Unendlichkeit zu erfassen.«

»Kann schon sein.« Er holte tief Luft, schaute noch einmal gen Norden und verzog den Mund. »Diese alte Welt hat viele Narben von den Kriegen der Menschen und von anderen Formen der Zerstörung davongetragen. Haben wir daraus irgendetwas gelernt? Oder werden wir die gleichen Fehler ständig wiederholen?«

»Wir werden unser Bestes versuchen, Admiral. Aber die Kriege sind noch nicht vorbei. Noch lange nicht.«

Als das Shuttle von einem Feld nahe dem Wall abhob, stellte Geary überrascht fest, dass das Schiff der Tänzer zielstrebig in Richtung Himmel losflog und auf diesem Kurs blieb. Er holte sein Komm hervor und rief die Dauntless: »General Charban? Können Sie herausfinden, was die Tänzer vorhaben? Sie sollten uns eigentlich folgen.«

»Und das tun sie nicht«, gab Charban zurück, der keine Mühe hatte, den Grund für Gearys Anfrage zu erraten. Das Verhalten der Tänzer konnte letztlich nur von diesen Aliens selbst verstanden werden, während Menschen Probleme damit hatten, ihr Verhalten zu deuten oder gar zu verstehen. »Ich werde sehen, was ich herausfinden kann.«

Einige Minuten später war das Shuttle längst unterwegs zu seinem nächsten Ziel, als sich Charban erneut bei ihm meldete: »Die Tänzer sagen uns nicht mehr als: Gehen unser Schiff. Also kehren sie zu einem ihrer Schiffe zurück.«

»Sie verstehen die besser als jeder andere«, fuhr Geary fort. »Sind sie unzufrieden oder gelangweilt oder was? Irgendeine Idee?«

»Wohin sind Sie als Nächstes unterwegs?«

»Zu einem Ort namens Stonehenge. Eine antike religiöse Stätte.«

»Religiös?«, wiederholte Charban. »Das könnte der Grund sein. Die Tänzer haben noch nie reagiert, wenn wir mit ihnen über Glauben reden wollten. Vielleicht sind sie der Meinung, dass das Privatangelegenheit ist oder dass man daraus ein Geheimnis machen muss. Lassen Sie mich nachsehen, was wir ihnen geschickt hatten … Ah, ja, genau. Wir haben ihnen mitgeteilt, dass Stonehenge ein Ort ist, an dem Menschen zu etwas gesprochen haben, das größer ist als sie selbst. Das war die bestmögliche Umschreibung für eine religiöse Stätte.«

»Vielen Dank, General. Geben Sie Bescheid, wenn die Tänzer sich in irgendeiner Weise äußern. Wir sehen uns morgen.«

Auf den ersten Blick wirkten die Steinblöcke bei Stonehenge gar nicht so beeindruckend, wenn man an die Dimensionen gewöhnt war, in denen moderne Ingenieure arbeiteten. Aber wenn man sich vor Augen hielt, dass dieser Ort mit bloßen Händen, Muskelkraft und primitiven Werkzeugen geschaffen worden war, war diese Stätte gleich umso bemerkenswerter. Und als Geary das Shuttle verließ, das in der Nähe des Monuments aufgesetzt hatte, verspürte er noch intensiver als zuvor beim Hadrianswall ein Gefühl für die vielen Jahrtausende, die es diese Stätte bereits gab.

»Das ist wirklich alt«, meinte Tanya. »Sehen Sie nur die Flamme da drüben.« Sie ging zu einer Feuergrube an einer Seite des Steinkreises und kniete sich hin.

Geary blieb auf Abstand, um ihr Privatsphäre zu gewähren. Er sah sich um und bemerkte, dass sich ihm einige Einheimischen näherten, die auf ihre Ankunft gewartet hatten. Sie ließen die gleiche seltsame Mischung aus Zurückhaltung und Offenheit erkennen, mit der viele Menschen auf der Alten Erde ihnen begegneten.

Hinter ihnen befand sich … »Was ist das?«, fragte er die Frau, die ihm am nächsten war. Ihr Gewand trug das Wappen derjenigen auf dieser Insel, die sich als Bewahrer der Vergangenheit verstanden.

Sie sah über ihre Schulter, dann zuckte sie mit den Schultern. »Eine andere Art von Monument, Admiral. Vielleicht in gewisser Weise ein Monument für die Dinge, die von jenen Menschen verehrt wurden, die zwar in unserer Vergangenheit, für die Erbauer von Stonehenge dagegen in der fernen Zukunft gelebt haben.«

Geary kniff die Augen ein wenig zusammen. »Sie sehen aus wie Gefechtsfahrzeuge.«

»Das sind sie auch. Oder besser gesagt: Das waren sie.« Die Verwalterin seufzte. »Es gab eine Zeit, da wurden Kriegsmaschinen gebaut, die komplett von Robotern gesteuert wurden und die ganz ohne Zutun von Menschen ihren Auftrag erledigten.«

»Vollautomatische Waffen? Was haben sich die Menschen dabei gedacht?«

»Sie dachten, sie könnten die Kontrolle an die Waffen abtreten und sie trotzdem behalten«, erwiderte sie schnippisch. Doch gleich darauf schlug sie den Tonfall eines Erzählers an, der das Nachfolgende schon unzählige Male zum Besten gegeben hatte. »Die zerstörten Maschinen, die Sie dort sehen, waren Caliburn-Gefechtspanzer. Sie gehörten zu den Royal Hussars der Queen. Es gelang jemandem, sich Zugang zu ihrer Programmierung zu verschaffen und sie zu verändern, woraufhin die schwersten und zerstörerischsten Panzerfahrzeuge aller Zeiten aus ihrer Garnison ausbrachen und sich auf den Weg hierher machten, um diese antike Stätte zu zerstören. Ein Großteil der automatischen Ausrüstung, die sie davon hätte abhalten müssen, war von Computerviren und -würmern befallen, die die gleichen Leute in die Programme eingeschleust hatten. Zum Glück waren Menschen mit Panzerabwehrwaffen in der Lage, die Fahrzeuge zu zerstören, allerdings war die Zahl der dabei Gefallenen groß. Die letzten Caliburns, die die Spitze des Angriffs gebildet hatten, konnten erst gestoppt werden, als sie ihr Ziel schon fast erreicht hatten.«

Sie zeigte auf die zerschmetterten Monster aus Metall und Keramik. »Man ließ sie hier zurück, um an den Heldenmut derjenigen zu erinnern, von denen sie aufgehalten wurden. Und sie sollen auch mahnen, dass wir unsere Sicherheit niemals wieder jemandem anvertrauen, der zu Loyalität, Moral oder Weisheit nicht fähig ist.« Ihr Tonfall änderte sich abermals, so als hätte sie den immer gleichen Vortrag beendet. »Benutzen Sie solche Waffen nicht, wenn Sie zwischen den Sternen Krieg führen?«

»Nein«, erwiderte Geary. »Von Zeit zu Zeit macht irgendjemand zwar einen entsprechenden Vorschlag, und ein paar Mal wurde mit Testeinheiten experimentiert, aber die Resultate neigen immer wieder in die Richtung dessen, was sich hier ereignet hat. So unberechenbar Menschen auch sein können, sind sie trotzdem immer noch viel zuverlässiger und vertrauenswürdiger als etwas, das innerhalb von Sekunden umprogrammiert werden kann oder das einen Fehler in der Programmierung für einen realen Befehl hält.«

Er wusste, er sollte sich auf das antike Monument konzentrieren, aber aus einem unerfindlichen Grund zogen die Wracks der Panzerfahrzeuge seine Aufmerksamkeit auf sich, selbst als er und Tanya eine kurze Führung absolvierten. Die Sonne strebte schon dem Horizont entgegen, und die hoch aufragenden Steine warfen lange Schatten. Es schien, als seien erst wenige Minuten vergangen, als man sie bereits wieder feierlich zu ihrem Shuttle begleitete. »Können wir in niedriger Höhe darüber hinwegfliegen?«, fragte Geary, als das Shuttle abhob.

Die Pilotin sah ihn erschrocken an, dennoch nickte sie. »Das könnte mir zwar Ärger einbringen, aber ich werde sagen, Sie hätten darauf bestanden«, erwiderte sie grinsend.

»Warum hat Sie meine Bitte so überrascht?«

»Weil die meisten Besucher davon lieber nichts sehen wollen. Denen wäre es lieber, wenn dieser hässliche Haufen aus Rost und hochentwickelter Töpferware weggeschafft würde. Aber das ist genauso eine historische Stätte wie diese riesigen Steine, also haben sie sie am Hals. Ich persönlich finde es gut, dass die Wracks dort liegen.«

»Wie kommt das?«, wollte Tanya wissen.

»Das hat mit etwas zu tun, das mein Dad zu mir gesagt hat, als er das erste Mal mit mir hierher kam«, erklärte die Pilotin und bediente aufmerksam die Kontrollen, um langsam eine Kurve über die archaischen Panzerfahrzeuge zu fliegen. »Ich sah mir diese alten, toten Ungeheuer an und sagte zu ihm: Es ist gut, dass sie sie noch aufhalten konnten. Mein Dad schaute bloß mir in die Augen und erwiderte: Nein, es ist gut, dass sie sie aufhalten mussten, sonst hätten sie vermutlich immer größere Nachfolger gebaut, bevor ihnen diese Lektion erteilt wurde.«

»Sie haben einen klugen Dad«, meinte Tanya.

»Oh ja.« Die Pilotin grinste sie an. »Er wollte, dass ich Anwältin werde, so wie er. Aber er hat es akzeptiert, dass ich Pilotin geworden bin. Ich stellte ihn vor die Wahl, dass ich entweder hier Pilotin werde oder aber den Weg zu den Sternen einschlage. Die da draußen im All sind alle verrückt, meinte er. Allerdings sehen Sie beide meiner Meinung nach nicht allzu verrückt aus.«

»Sie kennen uns ja auch nicht näher«, gab Geary zurück.

An der Burg wartete das nächste Empfangskomitee auf sie. »Hier werden Sie Ihre letzte Nacht auf der Erde verbringen«, sagte die Pilotin, als sie sich von ihnen verabschiedete, und lachte über ihre eigene Bemerkung, die Geary für irgendeine Art von Witz hielt.

Dann ließ er die nächste Runde an Vorstellungen und Begrüßungen über sich ergehen. Die Namen und Titel der verschiedenen offiziellen Vertreter zogen an ihm vorüber und gesellten sich zu den unzähligen anderen, die er auf seiner rasanten Besuchsreise rund um die Alte Erde kennengelernt und längst wieder vergessen hatte. In der Allianz gab es in den meisten Sternensystemen nur eine Exekutive für alle Planeten und Orbitaleinrichtungen, aber hier schien es alle hundert Kilometer eine andere Regierung mit eigenen Vertretern und eigenen Titeln zu geben.

»Das ist eine echte Burg«, staunte Desjani.

»Ja, Lady Desjani«, erwiderte einer der Vertreter.

»Ich bin keine Lady, ich bin Captain.«

»Ähm … ja … Captain. Der älteste Teil dieser Anlage datiert aus dem achten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung. Haben Sie je eine Burg gesehen?«

»Ich kenne einige falsche Burgen«, sagte sie. »Sie wissen schon, Gebäude, die eigentlich nicht allzu alt sind, aber die aussehen wie Burgen. Wie es sie in Freizeitparks und Ferienanlagen für Leute mit viel Geld gibt. Ein paar davon gibt es auch auf Kosatka, wo ich aufgewachsen bin. Zum Beispiel eines bei …« Sie verstummte mitten im Satz.

»Tanya?«

»Erinnerungen«, murmelte sie. »Mein Bruder und ich … als wir noch Kinder waren. Keine Sorge, es ist alles in Ordnung.«

Ihr jüngerer Bruder, im Krieg gefallen. Um das Thema zu wechseln und die Einheimischen abzulenken, die Tanya unauffällig neugierig betrachteten, griff Geary das Alter der Anlage auf. »Das achte Jahrhundert, sagten Sie? War das die Zeit der Römer?«

»Es war nach den Römern«, erwiderte ein Mann. »Es war das dunkle Zeitalter, wie wir es nennen.«

»Das dunkle Zeitalter?«, fragte Desjani mit aufgesetzter Fröhlichkeit. »Kein Wunder, dass die Menschen Burgen brauchten.«

»Ja. Nach dem Zerfall des Römischen Reichs gab es zahlreiche Kriege, barbarische Invasionen, allgemeine Gesetzlosigkeit und viel Leid. Verheerende Verwüstungen, unzählige Tote«, zählte der Mann auf und ließ es so klingen, als hätte er diese Zeit persönlich erlebt.

»Einen solchen Zusammenbruch von Regierung und Gesellschaft kann man sich nur schwer vorstellen«, fügte eine Frau hinzu.

»Wenn man so etwas mit eigenen Augen gesehen hat, schon«, erwiderte Desjani.

Erneut machte sich betretenes Schweigen breit, und Geary fragte sich, warum Tanya an diesem Abend einen so extrem undiplomatischen Eindruck machte. »Die Syndikatwelten«, erläuterte er. »Sie zerfallen derzeit. Wir haben dort Revolutionen mitangesehen, den Zusammenbruch örtlicher Verwaltungen und Bürgerkriege erlebt.«

Eine weitere lange Pause wurde von dem Mann beendet, der als Erster etwas gesagt hatte: »Helfen Sie ihnen?«

»Das … können wir nicht«, antwortete Geary. »In der Mehrzahl der Fälle können wir das nicht. Dafür sind die Syndikatwelten zu groß. Selbst wenn die Allianz durch den Krieg nicht ausgeblutet wäre …«

»Den Krieg, den die Syndiks begonnen haben«, warf Desjani schroff ein.

»… hätten wir dafür nicht die erforderlichen Ressourcen. Wir tun, was wir können, aber im Verhältnis zu den Dimensionen des Problems ist das sehr wenig.«

Es gefiel ihnen nicht, das aus seinem Mund zu hören. Geary war auf der Alten Erde schon anderswo auf diese Situation gestoßen, auf diese Unfähigkeit zu begreifen, wie gewaltig die Entfernungen zwischen den besiedelten Systemen waren, wobei die Menschheit sich ja eigentlich nur in einem winzigen Bereich eines einzelnen Arms der Galaxis ausgebreitet hatte. Er wollte ihnen aber weder das genau erklären noch von den ungeheuren Kosten berichten, die durch den Krieg aufgelaufen waren. Wegen dieser Kosten stritten sich die verschiedenen Sternensysteme innerhalb der Allianz selbst über kleinere gemeinsame Engagements, mit denen man Ziele zu erreichen vermochte, die für alle von Nutzen waren. In einer Zeit allgegenwärtiger Investitionseinschnitte oder sogar -stopps war kaum jemand bereit, Geld zu geben, mit dem ausgerechnet dem ehemaligen Feind geholfen würde.

Aber es gab immer noch ein Argument, mit dem er sein Publikum auf seine Seite holen oder zumindest dafür sorgen konnte, dass den anderen die Argumente ausgingen. »Außerdem waren die Syndikatwelten ein autoritäres Gebilde. Die Herrschaft wurde durch Gewaltandrohung aufrechterhalten. Jetzt streben einige Sternensysteme nach Freiheit und Autonomie. Wir werden der Syndik-Regierung nicht dabei helfen, ihre eigenen Leute unter dem Vorwand zu terrorisieren, die öffentliche Ordnung bewahren zu wollen. Wir haben bei der Verteidigung einzelner Sternensysteme geholfen, die sich von den Syndikatwelten losgesagt haben.« Genau genommen war Midway das einzige Sternensystem, bei dessen Verteidigung sie unterstützend eingegriffen hatten, aber auf ein Sternensystem passte die Formulierung »einzelne« auch.

»Und wir haben sie gegen die Enigmas verteidigt«, ergänzte Desjani, die immer noch trotzig klang. »Wir haben die Enigmas daran gehindert, ein von Menschen bewohntes Sternensystem zu übernehmen.«

Eine der Frauen lächelte freundlich. »Sie müssen uns mehr über diese verschiedenen Aliens erzählen. Kommen Sie doch bitte mit nach drinnen. Wir haben ein Abendessen für Sie vorbereitet.«

Dankbar dafür, dass wenigstens noch jemand versuchte, die Unterhaltung auf weniger heikle Themen zu lenken, erwiderte Geary das Lächeln.

Die Frau führte Geary und Desjani zu ihren Plätzen in einem Saal, dessen Wände mit Schilden und Bannern behängt waren. Deren Farben waren allerdings so leuchtend und kraftvoll genug, dass sie nicht als antike Artefakte durchgehen konnten, sondern leicht als Reproduktionen jüngeren Datums zu entlarven waren. »Ich bin übrigens Lady Vitali.«

»Vitali?«, wiederholte Tanya. »Wir haben einen Captain Vitali in unserer Flotte. Er befehligt den Schlachtkreuzer Daring.«

»Er könnte ein Verwandter sein«, überlegte Lady Vitali. »Unsere Familie blickt auf eine lange Seefahrertradition zurück. Sorgt er für viel Unruhe? Macht er von Zeit zu Zeit großen Ärger?«

»Nein«, antwortete Geary.

»Dann ist er womöglich doch nicht mit uns verwandt. Erzählen Sie mir von den Enigmas!«

So wie überall auf der Alten Erde hörten ihm die Einheimischen interessiert zu, wenn er – inzwischen sicher schon zum zehnten Mal während dieses doch eigentlich kurzen Besuchs – das Wenige berichtete, was sie über die Enigmas hatten herausfinden können. Das führte zu einer Diskussion über die Tänzer und dann über die dritte Alien-Spezies, die auf nichts anderes als Eroberung und Mord ausgerichteten Kiks.

»Sie haben zwischen den Sternen viel gesehen. Hat Ihnen Ihr Aufenthalt auf der Erde gefallen?«, wollte Lady Vitali von Desjani wissen.

Tanya hielt inne, als versuche sie zu gewährleisten, dass ihre Antwort nicht provozierend und unangemessen ausfiel, dann sagte sie: »Es ist so, als würde man einen Ort betreten, der bis dahin nur als Legende existierte. Ich hätte nie gedacht, einmal persönlich diese Welt zu besuchen.«

»Was hat Sie am meisten beeindruckt?«

»Die Statue von dieser Frau … Jeanne. Als ich sie ansah, hatte ich das Gefühl, sie könnte eine Vorfahrin von mir gewesen sein.«

»Jeanne d’Arc? Oh, Sie könnten sich zweifellos schlechtere Vorfahren aussuchen. Ich denke immer gern, dass Nelson einer meiner Urahnen war. Zum Glück für uns – und vermutlich auch für die beiden – haben sie mit zu großem zeitlichen Abstand zueinander gelebt, weshalb es nie zu einem Kampf zwischen ihnen kommen konnte.« Lady Vitali wurde ernster. »Wir reden uns gern ein, dass wir die Kriege hinter uns gelassen haben, aber in Wahrheit haben wir den Krieg nur mit Bürokratie erstickt.«

»Vielleicht kann die Menschheit nicht auf mehr hoffen«, meinte Geary.

»Nein, das glaube ich nicht. Wir frustrieren die Zornigen, die früher oder später zu den Sternen aufbrechen, um dort ihre Absichten zu verwirklichen. Wir machen es ihnen schwer, einen Krieg anzuzetteln, aber wir machen es ihnen leicht, diese Welt zu verlassen. Wir tun nichts anderes, als die Aggressionen zu den Sternen zu exportieren.«

»Werden wir deshalb von einigen von Ihnen so angesehen, als wären wir nur ein paar Barbaren, die Ihre Welt besuchen?«, wollte Desjani wissen.

»Natürlich. Wir bewundern, was Sie mit Ihrem Schiff getan haben, um diese Trottel zum Teufel zu jagen, die sich als Schild von Sol bezeichnet haben. Aber wir sind darüber auch … besorgt. Wir wollen nicht, dass jener Krieg zu uns kommt, an den Sie so gewöhnt sind.«

»Wir reisen morgen ab«, sagte Geary. Zurück zu der offiziell nicht mehr als Krieg geltenden Aggression der Syndikatwelten, zurück zu den vielen verborgenen Gefahren in der Allianz und zurück zu den Bedrohungen, die von den Enigmas und den Kiks ausgehen.

»Sie sind unsere Kinder«, sagte ein alter Mann mit schroffer Stimme. »Wir haben Sie zu den Sternen geschickt. Dann waren Sie sich selbst überlassen, während wir die Erde und die anderen Planeten ringsum mit Krieg überzogen haben. Wir hatten gehofft, Sie würden etwas von der Weisheit lernen, an der es uns mangelte. Wir hatten gehofft, Sie würden eines Tages mit dem Geheimnis des Friedens zurückkehren. Aber wie sollten Sie auch besser sein als Ihre Mütter und Väter? Sie sind schließlich unsere Kinder«, wiederholte er und trank von seinem Wein.

»Wenn wir Weisheit suchen, wenden wir uns an unsere Vorfahren«, erwiderte Tanya.

»Hier sind Sie an der falschen Stelle.« Der Mann stellte sein leeres Weinglas weg. »Wir sind nicht weise, wir sind nur müde. Vielleicht werden Sie ja irgendwo da draußen die Antwort finden. Vielleicht kennen die Tänzer das Geheimnis.«

Als Geary sich die verheerenden Anlagen ins Gedächtnis rief, mit denen die Tänzer ihr Gebiet verteidigt hatten, hielt er diese Möglichkeit für sehr unwahrscheinlich. Dennoch nickte er höflich. »Es wäre denkbar. Wir werden weiter Ausschau halten und vielleicht irgendwann die Antwort finden.«

»Und dabei werden wir weiter alles in Stücke schießen, das sich der Suche der Menschheit nach Frieden in den Weg stellt«, raunte Tanya so leise, dass niemand außer Geary sie hören konnte.

Er war sich nicht sicher, wie viele Stunden vergangen waren, bis er und Tanya sich von ihren Gastgebern verabschieden und in ihre Quartiere zurückziehen konnten. Es war auf jeden Fall so spät, dass sie am Himmel über der Alten Erde die legendären Sternenbilder sehen konnten.

Sie hatten beabsichtigt, diese eine Nacht ganz für sich allein zu haben, denn nachdem alle offiziellen Verpflichtungen erledigt waren, konnten sie wenigstens für ein paar Stunden ein ganz normales Ehepaar sein, und nicht bloß Admiral und Captain. An Bord der Dauntless war jede Form der Vertrautheit dann wieder tabu. Zwei Suiten waren für sie reserviert worden, aber Tanya begleitete ihn in sein Quartier. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, lächelte Tanya ihn an. »Komm zu mir, mein Admiral.«

Wie so viele ihrer Pläne sollte sich jedoch auch dieser nicht verwirklichen lassen. Kaum hatten sich ihre Lippen berührt, klopfte es leise, aber beharrlich an die Tür.

»Das muss jetzt aber schon etwas sehr Wichtiges sein«, knurrte Tanya.

Geary stimmte dem in Gedanken völlig zu, als er die Tür aufriss.

Lady Vitali stand im Korridor. Als sie ihr vor ein paar Minuten eine gute Nacht gewünscht hatten, war sie ihnen ziemlich beschwipst vorgekommen. Jetzt war ihr davon nichts mehr anzumerken. »Ich muss mich für das jähe Ende unserer Gastfreundschaft entschuldigen. Zu den anderen Erfindungen, die von der Erde ins Universum hinausgetragen wurden, zählen auch Attentäter. Einige, auf die diese Beschreibung zutrifft, sind in diesem Moment auf dem Weg hierher.«

Nachdem Geary in Gefechtssituationen schon mit so vielen Überraschungen konfrontiert worden war, brauchte sein Verstand keine Sekunde, um sofort bei der Sache zu sein. »Attentäter? Sind wir das Ziel?«

»Ich glaube schon. Oder besser gesagt, die Quelle, von der ich die Information habe, glaubt das. Und ich vertraue wiederum der Quelle. Bedauerlicherweise hat die Nachricht mich erst gerade eben erreicht. Ich habe Freunde alarmiert, die ein Shuttle besitzen. Sie werden herkommen und Sie in den Orbit zu Ihrem Schiff bringen. Das Shuttle wird innerhalb der nächsten fünfzehn Minuten hier eintreffen.«

Gearys Instinkt, sofort in Aktion zu treten, wurde von plötzlichem Misstrauen gehemmt. »Verstehen Sie das nicht falsch, aber warum sollten wir Ihnen vertrauen?«

»Weil mir gesagt wurde, wenn Sie von meiner Vertrauenswürdigkeit überzeugt werden müssen, soll ich den Namen Anna Cresida erwähnen.«

Tanya sah sie an und nickte. Anna Cresida war der Nachname einer im Krieg gefallenen engen Freundin kombiniert mit einem falschen Vornamen – zusammen war es ein Codewort, auf das sich die Senioroffiziere der Dauntless geeinigt hatten, um die Echtheit wichtiger Informationen zu bestätigen, sollte sich während des Aufenthalts auf der Alten Erde eine gefährliche Situation ergeben.

»Wer hat Ihnen diesen Namen genannt?«, wollte Geary wissen.

»Das ist eine lange Geschichte, aber die Zeit ist knapp, Admiral. Außerdem werden Sie wohl keine noch so glaubwürdige Schilderung als zutreffend akzeptieren, wenn der Name für Sie nicht Beleg genug ist.«

»Sie hat recht«, warf Desjani ein. »Ich habe soeben mit der Dauntless gesprochen. Von ihrer Position im Orbit aus braucht ein Shuttle bis hierher fünfundvierzig Minuten. Wenn die Zeit wirklich ein so entscheidender Faktor ist, Admiral, empfehle ich, dass wir das Angebot unserer Gastgeberin annehmen. Wir beide verstehen es, im All Gefechte auszutragen, aber ich möchte nicht hier am Boden einem Attentäter gegenüberstehen müssen.«

»Also gut«, lenkte Geary ein. Er wusste, Tanyas Instinkte lagen in solchen Angelegenheiten regelmäßig richtig, und wenn sie Lady Vitali vertrauen wollte, dann bedeutete das schon einiges.

Lady Vitalis finstere Miene hellte sich ein wenig auf, als sie Desjani ansah. »Ich beneide Sie wirklich um das Kommando über ein derartiges Schiff wie Ihren Schlachtkreuzer, Captain.«

»Nach allem, was ich gerade eben erlebt habe«, gab sie zurück, während sie die wenigen mitgebrachten Habseligkeiten in den Reisetaschen verstaute, »könnten Sie sich für ein solches Kommando qualifiziert haben.«

»Das ist die erste diplomatische Bemerkung, die Sie heute von sich gegeben haben. Ich wusste, Sie sind dazu in der Lage.«

»Wer hat diese Attentäter geschickt?«, ging Geary dazwischen.

»Ich habe keine Ahnung«, gestand Lady Vitali. »Meine Quelle ist zwar sehr gut, aber auch sie konnte die Herkunft des Geldes nicht bestimmen, das an die Attentäter gezahlt wurde. Allerdings kann ich Ihnen so viel sagen, Admiral: Dieses Geld stammt von keiner Welt, die vom Licht Sols beschienen wird.«

»Sind diese Leute, die zum Schild von Sol gehören, aus einem anderen System?«, fragte Desjani.

»Womöglich. Diejenigen, die dem Tod durch Ihre Attacke entkommen sind, wussten nicht, warum ihr gefallener, aber nicht betrauerter Senioroffizier so versessen darauf war, Sie anzugreifen. Den Senioroffizier selbst können wir leider auch nicht fragen, weil die verfügbare Technologie uns nicht in die Lage versetzt, Körper und Gehirne wieder zusammenzusetzen, die in ihre Atome zerrissen wurden. Vielleicht sollten Sie beim nächsten Mal Ihre Gegner nicht ganz so gründlich auslöschen, Captain.«

»Ich werde es mir merken.« Desjani hängte sich ihre Reisetasche um, die andere hielt sie Geary hin.

Er nahm die Tasche an sich und sah Lady Vitali an. »Wie haben Sie es geschafft, das alles so schnell in die Wege zu leiten, wenn es bei Ihnen so bürokratisch zugeht, wie Sie gesagt haben?«

Wieder lächelte die Frau ihn breit an. »Sie würden sich wundern, was man mit der richtigen Kombination aus Erfindungsreichtum, Drohungen und Versprechen alles erreichen kann, Admiral. Aber andererseits … Vielleicht würden Sie sich auch gar nicht wundern, wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was wir über Sie gehört haben. Wenn ich etwas über den Ursprung der Bedrohung herausfinde, werde ich Ihnen eine Nachricht zukommen lassen. Allerdings dürfte es eine Weile dauern, bis die Sie erreicht, wenn ich bedenke, welche Entfernungen zwischen Ihrer Heimat und unserer zu bewältigen sind – ganz zu schweigen davon, dass kein routinemäßiger Funkverkehr stattfindet.«

»Ich verstehe. Vielen Dank. Wir stehen tief in Ihrer Schuld.«

»Ach, Unsinn. Falls Sie wirklich meinen, Sie schulden mir etwas, dann sagen Sie mir das nächste Mal, wenn ich bei Ihnen in der Nähe bin, wo ich das beste Bier bekomme.«

Als sie nach ihrem Weg durch schmale Korridore im schwachen Schein der Lampe in Lady Vitalis Hand an einen Seitenausgang aus der Burg gelangten, fragte sich Geary, wie viele Menschen in den vergangenen Jahrhunderten wohl schon gezwungen gewesen waren, die Burg auf diesem Weg zu verlassen – zu jener Zeit natürlich noch im flackernden Licht einer Fackel anstelle einer modernen Lampe. Da hatte die Flucht noch auf einem Pferd unternommen werden müssen, während jetzt ein Shuttle auf sie wartete. Für einen Moment fühlte er sich so sehr in der Zeit versetzt, dass es ihn nicht gewundert hätte, vor der Burg tatsächlich auf zwei für sie gesattelte Pferde zu stoßen.

Als sie sich draußen in der Nähe des Landebereichs befanden, sich hinter ihnen die Burgmauer in alle Richtungen erstreckte und alles andere von der Schwärze der Nacht verschluckt wurde, war mit einem Mal das Glanzvolle dieses Abends vergessen, und einmal mehr meldete sich die Besorgnis. Konnten sie Lady Vitali tatsächlich vertrauen? Oder war das Ganze nur ein Plan, um sie auf offenes Gelände zu locken, wo sie für bereits in Lauerstellung gegangene Attentäter leichte Ziele abgaben?

Geary hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende geführt, da löste sich ein noch schwärzerer Schatten aus dem Nachthimmel und landete so leise, dass Tarntechnologie von militärischem Niveau im Spiel sein musste. »Bekommen Sie keine Probleme?«, wollte er von Lady Vitali wissen.

»Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich habe noch ein paar andere Freunde, die anwesend sein werden, um unsere ungebetenen Gäste zu empfangen. Aber wir wollen nicht, dass Sie bei so etwas ins Kreuzfeuer geraten. Und jetzt gehen Sie schon. Und gute Heimreise.« Lady Vitali winkte ihnen zu, während die Einstiegsrampe hochklappte und ihnen den Blick auf ihre Gastgeberin und auf die Alte Erde nahm.

»Lady Vitali hat einige interessante Freunde«, sagte Geary zu Tanya, als sie beide sich anschnallten, während das Shuttle bereits im Steilflug aufstieg.

»Und mindestens einer von denen befindet sich an Bord der Dauntless«, entgegnete sie und überprüfte ihre Komm-Einheit. »Nur so kann sie von dem Codenamen Anna Cresida erfahren haben. Mein Schiff verfolgt übrigens unsere Flugbahn. Die Tarntechnologie der Alten Erde hinkt unserer gleich ein paar Generationen hinterher. Die Daten zeigen an, dass wir uns auf dem richtigen Vektor zur Dauntless befinden.«

»Gut. Man hatte uns gewarnt, dass die eine oder andere Regierung oder Behörde auf der Alten Erde versuchen könnte, uns in ihre inneren Angelegenheiten zu verstricken. Glauben Sie, das könnte ein Schachzug sein, um uns anderen Regierungen im Sol-System gegenüber misstrauisch zu machen?«

»Nein«, sagte sie entschieden. »Wenn das der Fall wäre, hätte sie uns nicht gesagt, dass das Geld für die Attentäter aus einem anderen System gezahlt worden sein muss. Außerdem hielt irgendwer an Bord der Dauntless diese Frau immerhin für vertrauenswürdig genug, um ihr unser Codewort zu nennen. Ich glaube, dass wir beide noch gerade eben einem fatalen Zusammentreffen mit unseren Vorfahren entgangen sind.« Sie hielt kurz inne und lachte plötzlich laut los. »Jetzt verstehe ich das erst, was der alte Mann damit meinte, dass wir ihre Kinder sind. Jeder in der Allianz hält die Alte Erde und das Sol-System für etwas unglaublich Besonderes, für einen Ort der Stille und Ruhe und Weisheit, die weit über unsere eigene hinausgeht. Aber der Mann hatte recht. Sie sind nicht anders als wir. Die Gewalt und Politik und blanke Dummheit, mit der wir überall zu kämpfen haben, gibt es hier auch. Das ist alles schon immer hier gewesen. Als die Menschheit die Alte Erde verließ, um zu den Sternen zu reisen, da haben wir diese Schwächen und Fehler nur mit uns genommen.« Sie hielt kurz inne und betrachtete ihre Komm-Einheit. »Die Dauntless teilt mit, dass wir von unserem Vektor abweichen.«

»Und worauf nehmen wir stattdessen Kurs?«, wollte Geary wissen. »Wohin führt dieser veränderte Vektor?«

»Ich habe keine Ahnung.« Sie sah ihm in die Augen. »Die Mitteilung von der Dauntless brach mitten im Satz ab. Unser Komm wird gestört.«

Zwei

Geary schaute finster drein, während er die Komm-Taste neben seinem Platz betätigte. »Keine Reaktion vom Piloten.«

»Mir gegenüber auch nicht«, bestätigte Tanya, nachdem sie es ein paar Mal versucht hatte. »Was glauben Sie, was sie vorhaben?«

»Haben Sie nicht gesagt, dass die Dauntless unsere Flugbahn verfolgt?«

»Ja, das habe ich.« Sie lächelte mürrisch. »So wie ich meine Crew kenne, und ich kenne sie besser als jeder andere, beschleunigt mein Schlachtkreuzer in diesem Augenblick, um dieses Shuttle abzufangen.«

Das Shuttle machte einen Satz und drehte dann nach rechts oben ab. »Ausweichmanöver«, kommentierte Geary und überprüfte noch einmal seine Komm-Einheit. »Diejenigen automatisierten Routinen meiner Einheit, die Blockaden verhindern sollen, haben etwas entdeckt.«

Desjani sah auf ihr Display. »Meine auch. Sie hat eine Möglichkeit entdeckt, um die Störung zu umgehen und den Weg zu etwas herzustellen. Nur ist dieses Etwas nicht die Dauntless. Verdammt, das ist eine interne Verbindung.«

»Zum Kontrolldeck des Shuttles?«, fragte Geary.

»Vermutlich. Könnten wir einen Kontakt herstellen, wären wir wohl in der Lage, auf ihre Kontrollen zuzugreifen. Aber dummerweise passen unsere Einheiten nicht zu Systemen hier auf der Erde. Das hilft uns nicht weiter.«

Das Shuttle rollte nach links.

Tanya sah Geary verdutzt an. »Wenn sie versuchen, der Dauntless auszuweichen, warum tauchen sie nicht einfach in die Atmosphäre ein?«

»Sie meinen, da draußen …«

Ein Bildschirm gleich neben Geary erwachte zum Leben, das Gesicht einer Frau auf dem Platz des Flugingenieurs auf dem Kontrolldeck tauchte dort auf. »Ich weiß nicht, was genau Sie da drinnen versuchen, aber ich möchte Sie bitten, damit aufzuhören. Die von Ihnen kommenden Signale bringen unsere Systeme durcheinander.«

»Dann blockieren Sie nicht länger unser Komm«, verlangte Desjani, bevor Geary etwas sagen konnte.

»Ihr Komm?« Die Frau machte einen äußerst verwirrten Eindruck, während sie ihre Anzeigen überprüfte. »Oh. Unser Tarnsystem hat Ihre Signale automatisch blockiert, sobald es sie bemerkt hatte.«

»Dann heben Sie die Blockade eben manuell wieder auf«, sagte Geary.

»Wenn Sie Signale aussenden, gefährden Sie unsere Tarnung!«, warnte die Frau ihn, und schaute dann zu einer Seite, als würde jemand sie ansprechen. Dann blickte sie wieder Geary an. »Ihr Schiff korrigiert ständig seine Flugbahn, um seinen Abfangkurs beizubehalten. Sie müssen trotz unserer Blockade immer noch irgendein Signal senden, das unsere Position mitteilt.«

»Mein Schiff benötigt kein Signal unsererseits, um die Position dieses Shuttles zu verfolgen«, gab Desjani zurück. »Sie können ihm nicht ausweichen, deshalb rate ich Ihnen dringend, diese Manöver einzustellen.«

Wieder sah die Frau sie verständnislos an. »Ihrem Schiff ausweichen? Das versuchen wir doch gar nicht.«

Tanya warf der Frau einen mürrischen Blick zu. »Und wem versuchen Sie dann auszuweichen?«

»Das wissen wir nicht so genau. Aber unsere Flugkontrolle am Boden meldet, dass mindestens zwei andere getarnte Schiffe auf dem Weg zu uns sind. Wir sind bemüht, uns von ihnen fernzuhalten, bis wir Ihr Schiff erreicht haben. Das ist allerdings ziemlich schwierig, solange wir nur eine ungefähre Vorstellung davon haben, wo sich diese anderen Schiffe befinden. Und es wird dadurch noch komplizierter, dass Ihre Systeme unsere stören.«

»Wenn das stimmt«, sagte Desjani in einem unüberhörbar skeptischen Tonfall, »dann hören Sie auf, unsere Signale zu blockieren, damit mein Schiff Ihnen die Positionen und Vektoren der anderen Schiffe übermitteln kann.«

»Die exakten Positionen und Vektoren«, ergänzte Geary.

»Sie sind in der Lage …?« Die Ingenieurin unterbrach sich und redete hastig mit dem Piloten. Sicherheitssysteme sorgten dafür, dass man sie weder hören noch von ihren Lippen ablesen konnte.

Dennoch genügte es Geary, ihren Gesichtsausdruck sehen zu können, der von fragend zu beharrlich wechselte. »Sie macht gerade den Piloten zur Schnecke.«

»Gut«, meinte Desjani. »Das muss man mit Piloten von Zeit zu Zeit machen, damit sie nicht zu übermütig werden.«

Die Frau wandte sich wieder Geary zu. »Ich hebe jetzt die Blockade Ihres Komms auf und öffne die Verriegelung für die Luke zum Kontrolldeck. Kommen Sie bitte nach vorn, damit wir die Positionsdaten sehen können, die Ihr Schiff liefert.«

Tanya löste ihren Gurt und betätigte den Öffnungsmechanismus. Sie sah zu, wie die Luke aufging und gab Geary ein Zeichen, er solle zurückbleiben. »Alles in Ordnung. Das sieht sicher aus. Kommen Sie, Admiral. Diese Shuttle-Besatzung mag zwar mit offenen Karten spielen, trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl.«

Das Flugdeck ähnelte in groben Zügen dem eines Allianz-Shuttles. Auf diese grundlegende Architektur musste man sich wohl schon festgelegt haben, noch bevor die Menschen zu den Sternen aufgebrochen waren, vermutete er und fasste nach einem Griff, um Halt zu finden, während sich Tanya neben den Piloten setzte. »Ich habe wieder Komm«, verkündete sie. »Dauntless, senden Sie mir ein Bild von der Umgebung dieses Shuttles.«

Sie tippte auf ihre Einheit, gleich darauf schaltete sich das 3-D-Display ein, das über ihrem Kopf schwebte.

»Da sind drei Schiffe der Gorms!«, entrüstete sich die Flugingenieurin. »Und sie sind näher als gedacht.«

»Sie wissen nicht, wer das ist?«, erkundigte sich Geary.

»Nein. Wer auch immer die sind, sie müssen schon hier oben auf uns gewartet haben. Wir sind gesnookert, Matt, wir sitzen fest«, sagte sie zum Piloten.

»Die haben nach jedem Ausschau gehalten, der von da unten Kurs auf das Kriegsschiff genommen hat«, stimmte der Pilot ihr zu. »Schon gut, dass sie uns genauso schlecht ausfindig machen können wie wir sie.«

»Aber Ihr Schiff kann sie und uns problemlos sehen?«, wollte die Ingenieurin von Desjani wissen. »Wie können Sie das?«

»Glauben Sie wirklich, ich würde Ihnen das beantworten?«, erwiderte Desjani.

»Nein, aber die Frage war es wert, gestellt zu werden, nicht wahr?«

Der Pilot hatte sich mit dem Display befasst und ließ das Shuttle nun ein wenig drehen und aufsteigen, um dem anderen getarnten Schiff auszuweichen, das sich in unmittelbarer Nähe befand und Kurs auf sie genommen hatte. Das zweite Schiff befand sich in einem höheren Orbit und entfernte sich bei seiner Suche langsam von ihnen. Das dritte Schiff flog etwas tiefer, stieg aber in diesem Moment leicht auf und hielt auf ihren Vektor zu. Hinzu kamen Scharen von anderen Raumfahrzeugen, Satelliten, Shuttles und Schiffe, die ohne Tarnvorrichtung unterwegs waren und nichts von den vier getarnten Schiffen ahnten, die mitten zwischen ihnen Verstecken und Fangen spielten.

»Marsianer«, erklärte die Flugingenieurin und zeigte auf den Verfolger, der ihnen am nächsten war.

»Ganz sicher?«, hakte der Pilot nach.

»Absolut sicher. Die Signatur dieses Vogels da ist marsianisch. Ich kann nur nicht sagen, ob die beiden anderen auch Reds sind.«

»Warum haben Leute vom Mars es auf uns abgesehen?«, fragte Geary.

»Auftragskiller«, antwortete der Pilot. »Wenn man Geld genug hat, um einen Auftrag erledigen zu lassen, ohne dass einem Fragen gestellt werden, dann ist der Mars genau der richtige Ort. Der einzige Unterschied zwischen den drei primären Regierungen der Reds besteht darin, wie viel sie dafür verlangen, dass sie mal kurz wegsehen, und wie viel Kontrolle sie wirklich über ihr Land haben. Apropos wegsehen: Sie haben weder mich noch Flatterohr gesehen und auch mit keinem von uns gesprochen, okay?«

»Wenn Sie uns auf der Dauntless absetzen, haben wir Sie offiziell nie zu Gesicht bekommen«, versicherte Geary ihm. »Flatterohr?«

»Die Flugingenieurin.«

»Oh.« Er verfolgte aufmerksam die Flugmanöver der drei anderen getarnten Schiffe. »Wenn Ihre Bodenkontrolle doch Hinweise auf diese drei da draußen hat, warum versucht man nicht von dort aus, eine Zielerfassung vorzunehmen?«

»Zielerfassung?« Der Pilot und die Flugingenieurin schüttelten gleichzeitig den Kopf, dann redete er weiter: »Sie meinen eine Konfrontation mit Waffen? Auf der Erde und im Erdorbit sind keine Antiorbitalwaffen erlaubt. Und selbst wenn sie vorhanden wären, sind unsere Verhaltensmaßregeln immer noch Gandhi pur.«

»Was?«, fragte Desjani.

»Wir schießen nicht«, stellte die Flugingenieurin klar. »Nicht, wenn man zu einer Erdbasis gehört oder der Kontrolle durch die Erde untersteht. Die drei Schiffe, die uns verfolgen, könnten das Feuer auf uns eröffnen, wenn sich ihnen eine gute Gelegenheit bietet. Aber das geschieht dann nur, weil sie Reds sind und weil selbst dann, wenn sie zu einhundert Prozent offizielles Eigentum irgendeiner Marsregierung sind, sich nichts finden lassen wird, um genau das zu beweisen.«

»Sie können nicht auf sie schießen?«, fragte Tanya, als könnte sie die Worte nicht begreifen, die sie eben gehört hatte.

»Nicht solange wir uns im Erdorbit befinden«, antwortete der Pilot und lenkte das Shuttle zwischen zwei unbeteiligten Schiffen hindurch, die gerade vorbeiflogen. »Wenn wir uns jenseits von Luna befinden, können wir das Feuer erwidern, aber auch erst, nachdem wir zweimal getroffen wurden. Der erste Treffer könnte ein Irrtum gewesen sein, daher warten wir auf einen zweiten Treffer, denn der ist der Beleg für eine Absicht hinter dieser Handlung. Wenn dann noch etwas von uns übrig ist, können wir zurückschießen.«

»Das ist ja verrückt.«

»Das mag Ihnen so vorkommen«, sagte die Flugingenieurin. »Aber offiziell bedeutet es, dass Frieden herrscht und dass es auch dabei bleibt. Außerdem befinden sich jenseits von Luna unsere Schiffe. Sollte uns etwas zustoßen und sollte dann eines von deren Schiffen in einen Unfall verwickelt werden, dann wäre das sehr bedauerlich.«

»Hey«, warf der Pilot ein, »passen Sie auf, was Sie sagen.«

»Ich mache ihnen nur klar, wie die Dinge hier laufen«, protestierte die Frau. »Die beiden sollten darüber Bescheid wissen.«

»Warum sind die Schiffe des Schilds von Sol denn nicht in bedauerliche Unfälle verwickelt worden, bevor wir hier eintrafen?«, wunderte sich Geary.