Die vier Millionen - O. Henry - E-Book

Die vier Millionen E-Book

O. Henry

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Beschreibung

Die vier Millionen Nach dem 1906 erschienen Buch 'The Four Million' von O. Henry. Der Titel des Buches bezieht sich auf die damalige Einwohnerzahl von New York. O. Henry reagierte damit auf einen Zeitungsartikel, der die Meinung vertrat, dass es in New York nur vierhundert Leute unter den vier Millionen Einwohnern gibt, die es wert sind, dass man sie kennt. Er taucht dabei tief in das Leben der anderen 3.999.600 ein, und zeichnet ein teils sarkastisches, aber auch oft erschütterndes Bild vom Leben im 'Big Apple' - bleibt dabei aber stets urkomisch. Je größer die Stadt, umso kleiner wird der individuelle Mensch, wenn er nicht zur absoluten Oberschicht gehört. Viele Hoffnung, die über die Ozeane mitgetragen wurden, endeten hier, nachdem Ellis Island einmal passiert war. Wer gerade genug zum Leben hat, schafft es dann nicht mehr weiter nach Westen, und einmal 'in a grove' (in der Rille) kommt man nicht mehr heraus. O. Henry ist einer der meistdiskutierten Autoren, auch unter den literaturbegeisterten Muttersprachlern selbst - was die Entschlüsselung oft verworrener und sibyllinischer Textpassagen angeht - was wohl nie vollkommen gelöst werden wird, weshalb auch Übersetzungen in andere Sprachen bisher gescheut wurden. Der Übersetzer, der selbst lange in New York gelebt hat, stellte sich nun dieser Aufgabe; durchaus eine Fundgrube für die Diskussionen in den Foren. Mit zahlreichen Anmerkungen, ohne die ein Nicht-New Yorker, besonders nach über einhundert, inzwischen vergangenen Jahren, nicht zurechtkommen würde. Dazu manche, die Lesbarkeit erhöhende, freie Veränderungen im Text, ohne wesentlichen Einfluss auf den Inhalt.

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INHALT

Vorwort des Übersetzers

Tobins Handlinien

Das Geschenk der Weisen

Ein Kosmopolit im Café

Zwischen den Runden

Das Dachbodenzimmer

Ein Liebesdienst

Das Coming-Out von Maggie

Der Müßiggänger

Der Polizist und die Hymne

Eine Anpassung der Natur

Erinnerungen eines gelben Hundes

Der Liebestrank von Ikey Schoenstein

Amor und der Mammon

Frühling à la Carte

Die grüne Tür

Auf dem Sitz eines Droschkenfahrers

Eine unvollendete Geschichte

Der Prinz, Amor und die Uhr

Die Schwestern des goldenen Bands

Romanze eines vielbeschäftigten Brokers

Nach zwanzig Jahren

Verloren in der Kleiderparade

Durch Kurier

Das möblierte Zimmer

Das kurze Début von Tildy

Zusätzlich bebildert mit Fotografien, die nicht im Original enthalten sind.

New York im Jahre 1900

VORWORT DES ÜBERSETZERS

'The Four Million' enthält die zweite Sammlung von Kurzgeschichten von O. Henry, mit fünfundzwanzig Geschichten von unterschiedlicher Länge, unter ihnen einige seiner besten Arbeiten.

Der Titel des Buches bezieht sich auf die damalige Einwohnerzahl von New York. O. Henry reagierte damit auf einen Zeitungsartikel, der die Meinung vertrat, dass es in New York nur vierhundert Leute unter den vier Millionen Einwohnern gibt, die es wert sind, dass man sie kennt.

Er taucht dabei tief in das Leben der anderen 3.999.600 ein, und zeichnet ein teils urkomisches, zugleich aber auch oft sehr trauriges Bild.

Die Übersetzung musste angepasst und mit Anmerkungen ergänzt werden, um das Buch lesbarer, vor allem aber verständlicher zu machen. Hier galt es zu abzuwägen, O. Henry so 'rüberzubringen' wie es seine Absicht war (auch im Stil der Jahre kurz nach 1900) oder den Inhalt der Kurzgeschichten flüssiger zu gestalten und gegebenenfalls auch zu verändern, besonders da, wo er beim besten Willen nicht mehr verständlich ist. Das mag dem einen Recht sein, dem anderen nicht.

Möge sich der eine oder andere gerne einem literarischen Ratespiel von O. Henry stellen, was die Handlung oft zur Nebensache macht. Aber selbst Letztere werden wohl kaum ihre volle Befriedigung finden, bei Texten, die, auch besonders heute, in literarischen Kreisen in den USA, England oder anderswo, intensiv und kontrovers diskutiert werden, und man sich dabei fragt, was bestimmte Wörter, Sätze oder Passagen eigentlich bedeuten sollen, und man dann die Lösung oft nur darin findet – wenn überhaupt – es irgendwie in den Gesamtzusammenhang zu stellen – wie gesagt, literarisch gebildete und diskussionsbegeisterte Muttersprachler!

Wer will, kann auf das englische Originalwerk zurückgreifen, von dem zahlreiche Nachdrucke zu haben sind.

Sehr geholfen hat dem Übersetzer, dass er selbst einige Zeit in New York und anderswo in den USA gelebt hat, zwar Jahrzehnte später, aber manches hat sich nicht verändert, im 'Big Apple', mit seinem ganz eigenen Pulsschlag und gemischt mit Menschen vieler Nationen, die zwar erst später, meist in ethnischen Kontingenten, zusammengerückt waren und dort die oft bezirklich eingeteilte 'Urbevölkerung' bilden, nachdem man Manhattan von einigen, dort verstreut lebenden Indianern, für Plunder im Wert von 60 Gulden abgekauft hatte.

Zu den zahlreichen Anmerkungen gilt es noch, besonders auf das Folgende hinzuweisen: Es gibt viele, nur dem 'echten' New Yorker verständliche Begriffe, Lokalitäten, Personen etc. Spricht man von der 'Insel', dann meint man die Gefängnisinsel. Ihr damaliger Name war 'Blackwell Island', inzwischen heißt sie 'Roosevelt Island'. Mit vielem kann man als Nicht-Insider kaum etwas oder gar nichts anfangen.

Wenn der Autor den Bogen von den Kreuzzügen zu den 'Palisaden' spannt, dann meint er den Vorderen Orient bis rüber nach New Jersey, auf der anderen Seite des Hudson River und die Felsen, die sich hoch in New York State hinein erstrecken.

Wenn die New Yorker Katzen abends nach 'Mukden' ziehen, ist das an den Broadway angrenzende Chinatown gemeint: Da gehen sie aber nicht in den Kochtopf, sondern in den dort befindlichen Columbus Park. Die chinesische Stadt Mukden hatte einen großen Bekanntheitsgrad erlangt (diverse Konflikte); inzwischen heißt sie Shanyang.

In einem New Yorker 'Café' gibt es reichlich Alkohol (deshalb auch durchgehend mit 'Bar' ergänzt), und was ein 'Dago' oder, noch schlimmer, 'Guinea' ist, sollten Sie gar nicht erst wissen, erfahren es aber doch.

Die Handlung spielt am Anfang des 20. Jahrhunderts. Gas-Licht, Kutschen fahren noch neben Autos über die Straßen, Austern waren noch ein Armeleuteessen. Schauspieler, Theaterstücke, berühmte Personen waren damals ein Begriff, heute kennt sie fast keiner mehr.

3. Der Autor nimmt dazu gerne und häufig Bezug auf Bibelgleichnisse, griechische Mythologie und dergleichen, was zwar der heutigen Allgemeinbildung eher entspricht, aber eben noch obendrauf kommt.

4. Seine Wortspiele, können oft, ohne Anmerkungen, nicht in andere Sprachen übertragen werden. Sie sind selbst Muttersprachlern kaum verständlich und viel zu sibyllinisch. Man könnte ein eigenes Buch schreiben, über die verschiedenen, kursierenden Interpretationen.

5. Und letztendlich werden viele Geschichten etwas 'durchsichtig' daherkommen. Das liegt auch daran, dass Sie andere später abgekupfert haben und uns diese Versionen schon bekannt sind.

Zusammenfassend (und kein Wunder, dass hier bisher kein großer Enthusiasmus aufgekommen ist, eine Übersetzung anzugehen):

Seine Schreibweise stößt passagenweise an die Grenzen der Unverständlichkeit (und geht darüber hinaus), besonders heute, im Abstand von über 100 Jahren, und ist noch einmal schwerer für den Nicht-New Yorker. Das hat über die Jahre hinweg für Diskussionen gesorgt, mit den unterschiedlichsten Interpretationen. Für die übergeordnete Handlung ist es eigentlich egal. Dabei bewegen sich die Leser noch zwischen einem anderen Spagat. Den einen sind die Geschichten zu simpel und durchsichtig, den anderen zu sibyllinisch. O. Henry liest man aber anders, die Geschichten verstehen sich von selbst.

Trotzdem wurde das, so weit es ging, mit Kommentaren und Anmerkungen berücksichtigt. Fuß- oder Endnoten wären derer zu viele und zu umständlich gewesen. Die direkte Einfügung in den Text, trotz der Nachteile, war wohl die beste Lösung.

Was gäbe es in diesem Zusammenhang Besseres, als den 1908 verfassten Kommentar von Margaret Cannell von der University of Kansas zu zitieren, der unter dem Titel 'O. Henrys sprachliche Unkonventionalitäten' erschienen ist:

Zitat: […] Seine Geschichten enthalten die Redensarten von Texas, dem Zentralwesten und New York, sie bedienen sich des beruflichen Jargons des Apothekers, des Cowboys und des Kochs. O. Henry spielte mit Worten aus dem Lateinischen, Deutschen, Spanischen und Französischen. Er verpackt seine Verballhornungen in die Sprache von ungebildeten Charakteren, und macht sich einen Spaß mit Wortspielen, die sich aus der Manipulation von Wortformen ergeben. Er prägt neue Ausdrücke; einige davon sind einfach gestrickt, indem er Präfixe und Suffixe den gewöhnlichen Wörtern hinzufügt, andere sind mit Kombinationen von fantastischen neuen Silben verschachtelt.

Und er hat entdeckt, dass gebildete und veraltete Wörter noch verblüffender als diese selbst wirken, wenn sie in Kurzgeschichten eingebaut werden. O. Henrys Sprache ist genauso überraschend wie seine Handlungen und verdienen die Aufmerksamkeit von Studenten, wegen ihres großen Einflusses auf die heutigen Modeerscheinungen von umgangssprachlichen Ausdrücken und Exzentrizitäten in nicht ernst zu nehmender Prosa.

Es gibt nicht Unorthodoxes im diskreten Gebrauch ausländischer Phrasen. Die gesamte Literatur zeugt davon. Aber O. Henry lässt sie durch seine humorvollen Charaktere fallen, in sowohl diskreter als auch orthodoxer Weise, wenn er exotischen und hochtrabenden Worten schwelgt – verunstaltete, absichtlich verworrenen und aus ihren wahren Bedeutungen herausgedreht. Wenig verführerisch in ihrer geeigneten Form werden diese ausländischen Phrasen grotesk unter der Feder von O. Henry. Seine Genialität für die Perversion von abgedroschenen ausländischen Phrasen läuft Amok in lateinischen und französischen, und gelegentlich nimmt er sich die Freiheit mit dem behäbigeren Deutsch […]. Zitat Ende.

O. Henry ist ein Pseudonym von William Sydney Porter, der am 11. September 1862 in Greensboro, North Carolina als Sohn eines Arztes geboren wurde. Er war in verschiedenen Berufen tätig – Schäfer, Verkäufer, Cowboy, Babysitter und schließlich Bankangestellter. Hier sah er erstmals Geld auf einem größeren Haufen, was er zugleich zur Unterschlagung nutzte.

Für schuldig befunden, verschwand er in Honduras. Dort schrieb er ein Buch, wo er den Begriff 'Bananenrepublik' für ein fiktives Land in dieser Region prägte (heute auch – gelegentlich – zu Recht für unser näheres Umfeld gebraucht). Die Krankheit seiner Frau ließ ihn zurückkommen, wo er dann eine langjährige Haftstrafe im Staatsgefängnis von Ohio antreten musste.

Am 24. Juli 1901 wurde er aus der Haft entlassen, wollte aber nicht in einer Apotheke tätig werden. Stattdessen trat er eine Stelle als Journalist der 'Houston Post' in Texas an und begann seine schriftstellerische Tätigkeit.

Bald danach gehörte er zu den bestbezahlten Schriftstellern in den USA und schrieb mehr als 300 Kurzgeschichten und zahlreiche Bücher. Intensiv studierte er das Leben in New York. Sein besonderer Witz wurde von den Lesern geliebt.

Gerne wird auch über die Entstehung seines Pseudonyms schwadroniert, wobei er selbst für Verwirrung gesorgt hat. Einmal soll es eine Katze namens 'Henry' gewesen sein, verbunden mit dem Ausruf 'O(h), Henry', wenn sie wieder mal was angestellt hatte. Ein anderes Mal soll er den Namen Ossian Henry in einem Apothekerhandbuch gefunden haben, während er sich im Gefängnis zum Apothekergehilfen weiterbildete. Oder, im gleichen Gefängnis, soll es der richtige Name eines Wärters gewesen sein (ausgeschrieben Orrin Henry), den er mit seinem Pseudonym verewigt hat.

Eine andere Version erzählt, dass er Proben seiner Arbeit verschicken wollte, und dafür einen Autorennamen suchte. Auf einer Liste für einen Ball blieb sein Freund beim Namen Henry hängen, den man vom Vornamen zum Nachnamen machte. Den Vornamen wollte man abkürzen und einfach halten. Das 'O', meinte man, sei am einfachsten zu schreiben und war auch schon in Oliver Henry enthalten, einem seiner vorherigen Pseudonyme, wie S.H. Peters, James L. Bliss, T.B. Dowd und Howard Clark.

Oder diese (ernst gemeinte) Hypothese hier: Der Autor verbüßte eine Strafe in Staatsgefängnis von Ohio, Ohio Penetentary, aus dem er die Buchstaben entnommen haben soll.

1887 heiratete er Athos Estel, die bereits sehr krank war. Sie hatten einen Sohn, der im Jahre 1888, Stunden nach seiner Geburt, starb, und eine Tochter Margaret, die im Jahre 1889 geboren wurde.

Seine Frau verstarb 1897. Er selbst hatte bereits im Alter von drei Jahren seine Mutter verloren.

1901 wurde er wegen guter Führung entlassen, und seine Tochter zog wieder zu ihm. Sie hatte nie erfahren, wo er in den vorangegangenen drei Jahren gewesen war. 1907 heiratete er erneut, 1909 verließ ihn seine Frau. Er war zum Trinker geworden und starb 1910 an den Folgen. Dass er aber in der New Yorker Gosse gelandet sein soll, ist wohl zu hart ausgedrückt. Das Buch zeigt auch, dass die Gosse, wie wir es heute sehen würden, für viele der damals in New York Lebenden, das normale Zuhause war.

William Sydney Porter mit Frau Estel und Tochter Margaret, frühe 1890er Jahre

Immigranten auf Ellis Island, N.Y., Anfang 20. Jahrhundert

Coney Island, New York, Vergnügungspark ca. 1905

TOBINS HANDLINIEN

Wir zwei, Tobin und ich, gingen eines Tages runter nach Coney Island. Wir hatten beide zusammen vier Dollar, und Tobin brauchte unbedingt etwas Abwechslung.

Der Grund war Katie Mahorner, seine Geliebte aus der irischen Grafschaft Sligo. Sie war verloren gegangen, seit beide sich vor drei Monaten nach Amerika aufgemacht hatten, Katie mit zweihundert Dollar ihrer eigenen Ersparnisse und Toby mit einhundert Dollar aus dem Verkauf seines geerbten Anwesens, eine schöne Hütte und Schweine in dem Sumpfgebiet von Shannough [auch Shannagh].

Seit dem Brief, den Tobin erhalten hatte, worin sie ihm sagte, dass sie zu ihm kommen wollte, hatte man nie mehr etwas von Katie Mahorner gesehen oder gehört. Tobin hatte Anzeigen in den Zeitungen aufgegeben, aber man konnte nichts von dem irischen Mädchen finden.

Also gingen Tobin und ich nach Coney Island, und wir dachten, dass eine Fahrt auf der Rutschbahn und der Geruch von Popcorn, das Herz in seiner Brust höherschlagen lassen würde.

Aber Tobin war ein hartherziger Mann, und die Traurigkeit steckte ihm in der Haut.

Er knirschte mit seinen Zähnen, als er die heulenden Ballons sah, er verfluchte die bewegten Bilder. Obwohl er trank, wenn immer man ihm etwas angeboten hatte, verschmähte er das Kaspertheater und die Blechfotografen, als sie zu ihm kamen. Deshalb brachte ich ihn auf die Seite einer Promenade, wo die Attraktionen nicht so hektisch waren.

An einem kleinen, sechs auf acht Fuß großen Stand hielt er an, mit einem etwas menschlicheren Ausdruck in seinem Gesicht.

»In der Bude hier«, sagte er, »werde ich etwas abgelenkt werden. Ich lasse mir in die Hand schauen, durch diese wunderbare Handleserin vom Nil, und werde sehen, was dabei herauskommt.«

Tobin glaubte an Zeichen und das Übernatürliche in der Natur. Er hatte ungewöhnliche Überzeugungen im Kopf, was schwarze Katzen, Glückszahlen und die Wettervorhersagen in den Zeitungen anbelangte.

Wir gingen in den verzauberten Hühnerstall, der mit geheimnisvollem roten Stoff und Bildern von Händen versehen war, auf denen sich die Linien wie auf einem Eisenbahnknotenpunkt kreuzten. Das Schild über der Tür sagte, dass hier die Madame Zozo, die ägyptische Handleserin residiert.

Innen saß dann eine fette Frau in einem roten Trägerkleid, auf dem Verzierungen und Biester aufgestickt waren. Tobin gab ihr zehn Cents und streckte seine Hand aus. Sie nahm Tobins Hand, die der Bruder vom Huf eines Zugpferdes hätte sein können. Sie untersuchte sie, und fragte, ob er für eine Weissagung oder ein Hufeisen gekommen ist.

»Mann«, sagte diese Madame Zozo, »die Linien deiner Fügung zeigen – «

»Das ist überhaupt nicht mein Fuß«, sagte Tobin und unterbrach sie. »Natürlich ist dies keine Schönheit, aber Sie halten meine Hand.«

»Die Linie zeigt, dass du bis zu diesem Punkt in deinem Leben nicht ohne Unglück gekommen bist. Und es wird noch Weiteres kommen. Der Berg der Venus – oder ist das eine Verletzung von einem Stein? – zeigt, dass du verliebt warst. Es gibt Sorgen in deinem Leben, für die eine Geliebte verantwortlich ist.«

»Sie spricht von Katie Mahorner«, flüsterte mir Tobin, auf die Seite gedreht zu.

»Ich sehe ziemlich viel Sorgen und Kummer wegen jemanden«, sagte die Hellseherin, die du nicht vergessen kannst. Ich sehe die Schicksalslinien, die auf die Buchstaben K und M in ihrem Namen deuten.«

»Psst!«, sagte Tobin zu mir, »hast du das gehört?«

»Sei auf der Hut«, fuhr die Handleserin fort, »vor einem dunklen Mann und einer blonden Frau. Sie bringen dir beide Ärger. Du wirst bald eine Reise auf dem Wasser machen und einen finanziellen Verlust erleiden.«

»Ich sehe aber eine Linie, die dir Glück bringt. Es wird ein Mann in dein Leben kommen, der Glück bringt. Du wirst ihn an seiner krummen Nase erkennen, wenn du ihn siehst.«

»Kann man seinen Namen sehen?«, fragte Tobin. Es wäre nützlich für die Begrüßung, wenn er vorbeikommt, um das Glück dazulassen.«

»Seinen Namen«, sagte die Handleserin, »kann man aus den Handlinien nicht erkennen, aber sie zeigen, dass es ein sehr langer ist und der Buchstabe 'o' sollte darin enthalten sein. Mehr kann ich nicht sagen. Guten Abend. Lasst die Tür auf.«

»Ist das nicht wunderbar, wie sie das alles weiß«, sagte Tobin, als wir zum Pier hinliefen.

Als wir uns dort durch das Tor quetschten, steckte ein Nigger seine brennende Zigarre an Tobins Ohr, und schon war der Ärger da. Tobin haute ihm ins Genick, die Frauen kreischten, und geistesgegenwärtig zog ich den kleinen Mann aus dem Weg, bevor die Polizei kam. Tobin ist immer in einer schlechten Stimmung, wenn er sich vergnügt.

Auf dem Boot, das uns zurückbrachte, rief ein Mann: »Zu wem soll die gut aussehende Kellnerin kommen?« Tobin wollte sich 'schuldig bekennen', und etwas Dampf ablassen, aber als er in seine Taschen fühlte, fand er sich sogleich wegen Mangels an Beweisen entlassen. Jemand hatte sein Geld während des Tumults entwendet. Deshalb saßen wir trocken, ohne etwas zu trinken, auf dem Stuhl und hörten den Italo-Kanaken zu, die auf dem Deck herumgeigten. Wenn überhaupt möglich, war Tobi niedergeschlagener und weniger zuträglich, wegen seines Unglücks, als am Anfang, als wir loszogen.

Auf einer Bank an der Reling saß eine Frau, die passend für ein rot lackiertes Automobil angezogen war, mit Haaren, die so hell waren, wie eine ungerauchte Meerschaumpfeife. Im Vorbeigehen tritt ihr Tobin unabsichtlich gegen den Fuß. Höflich gegenüber Ladys, wenn er besoffen ist, versuchte er seinem Hut eine Drehung zu geben. Dabei hat er ihn aber heruntergehauen, und der Wind hat ihn über Bord geweht.

Tobin kam zurück und setzte sich hin. Ich fing an, ihn zu beobachten, den die Missgeschicke des Mannes nahmen zu. Dermaßen vom Pech verfolgt, war er in der Lage den bestangezogen Mann, den er sah, zu vermöbeln und das Kommando über das Boot zu übernehmen.

Plötzlich ergriff Tobin meinen Arm und sagte aufgeregt: »John«, sagte er, »weißt du, was wir gerade machen? Wir machen eine Reise auf dem Wasser.«

»Ja, genau hier und in diesem Moment«, sagte ich. »Beherrsche dich. Das Boot legt in zehn Minuten an.«

»Schau sie dir an«, sagte er, »die blonde Lady auf der Bank. Und hast du den Nigger vergessen, der mein Ohr verbrannt hat? Und ist nicht auch das Geld verschwunden, das ich hatte – ein Dollar fünfundsechzig war das, nicht wahr?«

Ich dachte, dass er mehr tat, als nur seine Katastrophen aufzuzählen, nur um mit einer guten Entschuldigung gewalttätig zu werden, wie es manche Männer machen, und ich versuchte ihm begreiflich zu machen, dass diese Dinge nur Kinderkram sind.

»Hör zu«, sagte Tobin, du hast kein Ohr für das Geschenk der Prophezeiung und die Wunder der Beseelten. Was hat denn die Kartenleger-Lady aus meiner Hand gelesen? Das ist jetzt alles wahr geworden, direkt vor deinen Augen.«

»'Pass auf', sagte sie, 'auf einen dunklen Mann und eine blonde Frau; sie bringen dir Ärger'. Hast du den Nigger vergessen, obwohl er was von hinten mit meiner Faust gekriegt hat? Kannst du mir eine Frau mit helleren Haaren zeigen als die blonde Lady, wegen der mein Hut ins Wasser gefallen ist?«

»Und wo sind der Dollar und die fünfundsechzig Cents hin, die ich in meiner Weste hatte, als wir den Schießstand verlassen haben?«

So wie Tobin es vorbrachte, schien es die Kunst der Vorhersage zu bestätigen, obwohl es für mich so aussah, dass diese Vorfälle jedem auf Coney Island passieren konnten, ohne die Folgen einer Handleserei zu sein.

Tobin stand auf und lief auf dem Deck herum. Aus seinen kleinen, roten Augen heraus, sah er sich jeden der Passagiere genau an.

Ich fragte nach dem Sinn seines Herumlaufens – man weiß nie, was Tobin im Sinn hat, bis er es ausführt.

»Das kannst du gerne wissen«, sagte er. »Ich versuche, die Errettung zu finden, die mir durch die Linien in meiner Hand versprochen wurden. Ich schaue nach dem krummnasigen Mann, der mir Glück bringen soll. Das wird uns retten. John, hast du jemals in deinem Leben so einen Haufen von Teufelsbraten gesehen, die hier herumlaufen und alle geradere Nasen haben?«

»Wir waren auf dem Neun-Uhr-dreißig-Boot. Nachdem es angelegt hatte, gingen wir durch die 21. Straße in die Stadt, Tobin ohne seinen Hut auf dem Kopf.

An einer Straßenecke stand ein Mann unter einer Gaslaterne und schaute über die Hochstraße auf den Mond. Es war ein sehr großer Mann, gut angezogen, mit einer Zigarre zwischen seinen Zähnen. Ich sah, dass seine Nase zwei Krümmungen hatte, von der Wurzel bis zum Ende, wie die Windungen einer Schlange. Tobin sah ihn zur gleichen Zeit. Ich hörte ihn schnaufen, wie ein Pferd, wenn man ihm den Sattel abnimmt. Er ging direkt auf den Mann zu, und ich folgte ihm.

»Ich wünsche Ihnen einen Guten Abend«, sagte Tobin zu dem Mann. Der Mann nahm die Zigarre aus dem Mund und erwiderte die Komplimente in einem umgänglichen Ton.

»Würden Sie uns ihren Namen nennen«, fragte Tobin, »und lassen sie uns sehen, wie lang er ist. Es könnte notwendig werden, ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Mein Name«, sagte der Mann höflich, »ist Friedenhausmann – Maximus G. Friedenhausmann.«

»Das ist die richtige Länge«, sagte Tobin. »Schreiben Sie ihn mit einem 'o', irgendwo in seiner Ausdehnung?«

»Nein, das tue ich nicht«, sagte der Mann.

»Könnten Sie ihn mit einem 'o' schreiben?«, fragte Tobin.

»Wenn sich etwas gegen ausländische Wortfügungen haben«, sagte der Mann mit der Nase, könnten Sie sich damit beglücken, den Buchstaben 'o' in die vorletzte Silbe einzufügen, wie Friedenhousemann.«

»Das ist gut«, sagte Tobin. »Sie befinden sich in der Gesellschaft von John Malone und Daniel Tobin.«

»Das ist sehr zu schätzen«, sagte der Mann mit einer Verbeugung. »Und nun, da ich nicht annehmen kann, dass Sie einen Buchstabierwettbewerb an der Straßenecke veranstalten wollen, können sie mir einen vernünftigen Grund dafür geben, warum sie hier herumlaufen?«

»Wegen der zwei Zeichen«, antwortete Tobin und wollte es sofort erklären. »Sie haben sie, genau wie es mir die ägyptische Handleserin aus meiner Handfläche gelesen hat. Sie wurden ausgewählt, mir Glück zu bringen, um die Linien des Ärgers auszugleichen, die mich zu dem Nigger und der blonden Lady mit den sperrigen Füßen auf dem Boot geführt haben, neben dem finanziellen Verlust von einem Dollar fünfundsechzig. Alles hat sich bisher, genau wie vorhergesagt, erfüllt.«

»Der Mann hörte auf zu rauchen und sah mich verwundert an.

»Haben Sie irgendwelche Änderungen zu dieser Aussage anzubieten«, fragte er, »oder sind Sie auch einer von denen? Ich dachte, wegen ihres Aussehens, dass sie sein Aufseher sind.«

»Keine«, sagte ich, »ausgenommen, dass ein Hufeisen genauso einem anderen gleicht, wie das Glücksbild von Ihnen mit den Vorhersagen aus der Hand meines Freundes. Wenn dem nicht so ist, könnten sich die Linien in Dannys Hand irgendwie überkreuzt haben, ich weiß es nicht.«

»Es gibt also zwei von euch«, sagte der Mann mit der Nase, und er schaute sich dabei hoch und runter nach einem Polizisten um. »Ich habe eure Gesellschaft außerordentlich genossen. Gute Nacht.«

Als er das gesagt hatte, schob er sich wieder die Zigarre in den Mund und ging in schnellem Schritt über die Straße. Tobin blieb aber dicht an einer Seite von ihm, und ich auf der anderen.

»Was!«, sagte er, als er an dem Bürgersteig auf der anderen Seite haltmachte und seinen Hut zurückschob. »Verfolgt ihr mich etwa? Ich sage euch«, rief er sehr laut, »ich bin stolz euch kennengelernt zu haben. Aber nun habe ich den Wunsch, euch loszuwerden. Ich bin auf dem Heimweg.«

»Machen Sie das«, sagte Tobin und lehnte sich gegen seinen Arm. »Gehen Sie nach Hause. Ich werde vor der Tür sitzen, bis Sie am Morgen herauskommen. Ich hänge von Ihnen ab, den Fluch des Niggers und der blonden Frau und den Verlust von eins sechsundfünfzig auszugleichen.«

»Das ist eine seltsame Halluzination«, sagte der Mann, als er sich zu mir hindrehte, immer noch in der Hoffnung, einen 'vernünftigeren Irren' anzusprechen.

»Wäre es nicht besser gewesen, Sie hätten ihn wieder ins Heim gebracht?«

»Hören Sie zu, Mann«, sagte ich zu ihm, »Daniel Tobin ist so vernünftig, wie er es immer war. Vielleicht ist er ein wenig verwirrt, weil er einiges getrunken hat, aber nicht genug, um seinen Verstand auszuschalten. Er folgt nur dem richtigen Pfad seines Aberglaubens und der Vorhersagen, die ich Ihnen erklären will.«

Daraufhin habe ich ihm den Sachverhalt über die Handleserin mitgeteilt und wie der Finger der Vermutung auf ihn zeigt, das gute Instrument des Glücks zu sein.

»Nun verstehen Sie auch meine Rolle in diesem Tumult«, schloss ich. »Ich bin der Freund meines Freundes Tobin, so wie ich es sehe. Es ist leicht, ein Freund der Erfolgreichen zu sein, denn es zahlt sich aus. Es ist aber auch nicht so hart, ein Freund der Armen zu sein, denn Sie werden von Dank erfüllt und man macht ein Bild von Ihnen vor einer Mietskaserne, mit einem Kohleneimer in der einen und einem Waisenkind in der anderen Hand.«

»Es ist aber eine Strapaze für die Kunst der Freundschaft, ein richtiger Freund für einen Idioten zu sein. Und das ist es, was ich mache«, sagte ich, »denn meiner Ansicht nach, kann man kein Schicksal aus meiner Hand lesen, das dort nicht durch den Stiel einer Spitzhacke eingekerbt worden ist. Und obwohl sie die krummste Nase in New York City haben, glaube ich dennoch nicht, dass alle Wahrsager, die im Geschäft sind, Glück aus ihnen melken könnten. Aber die Linien in Dannys Hand zeigten deutlich auf Sie, und ich werde ihm dabei helfen, es mit ihnen zu versuchen, bis er eingesehen hat, dass sie leer sind.«

Der Mann fing ganz plötzlich an zu lachen. Er lehnte sich gegen eine Ecke am Haus und lachte ziemlich laut weiter. Dann schlug er mir und Tobin auf den Rücken und nahm uns beide am Arm.

»Das war mein Fehler«, sagte er, »wie konnte ich etwas so Edles und Wunderbares erahnen, das zu mir um die Ecke kommt?«

»Ich bin nahe an den Punkt herangekommen, an dem man mich für unwürdig hält. Ganz in der Nähe«, sagte er, »gibt es ein Kaffeehaus, gemütlich und geeignet für die Beschäftigung mit eigentümlichen Veranlagungen. Lasst uns dorthin gehen und etwas trinken, während wir über die Unerreichbarkeit des Kategorischen diskutieren.«

Als er dies gesagt hatte, führte er mich und Tobin ins Hinterzimmer eines Salons, bestellte die Drinks und legte das Geld auf den Tisch. Er schaute mich und Tobin an, wie zwei Brüder von ihm, und wir rauchten Zigarren.

»Ihr müsst wissen, sagte der Mann des Schicksals, das mein Lebenslauf einer ist, den man literarisch nennen würde. Ich gehe nachts herum und suche nach Eigentümlichkeiten bei den vielen Leuten und die Wahrheit im Himmel über uns.«

»Als ihr zu mir kamt, dachte ich gerade über die Hochstraße nach, im Vergleich mit den wesentlichen Gestirnen am Nachthimmel. Die schnellen Überfahrten dort oben, sind Poesie und Kunst; der Mond nur ein schwerfälliger, trockener Körper, der sich mit gleichbleibender Routine bewegt. Aber das sind private Meinungen, denn im Geschäft der Literatur sind die Gegebenheiten verkehrt herum. Ich hoffe, dass ich ein Buch schreiben kann, um die seltsamen Dinge zu erklären, die ich im Leben entdeckt habe.«

»Sie wollen mich in ein Buch bringen«, sagte Tobin empört, »Sie wollen mich in ein Buch bringen?«

»Das will ich nicht«, sagte der Mann, »denn der Einband könnte Sie nicht halten. Noch nicht jedenfalls. Das Beste, was ich machen kann, ist mich zu amüsieren, denn die Zeit ist noch nicht reif, die Beschränkungen in den Druck-Erzeugnissen zu zerstören. Sie würden aber gedruckt fantastisch aussehen. Ich muss ganz alleine den Becher des Vergnügens leeren. Aber ich danke Euch, Jungs, ich bin wirklich dankerfüllt.«

»Das Geschwätz von Ihnen«, sagte Tobin, der durch seinen Schnurrbart pustete und mit der Faust auf den Tisch schlug, »ist eine Schande für meine Geduld.«

»Man hat mir Glück aus ihrer verbogenen Nase versprochen, aber Sie zeigen die Früchte eines Schaumschlägers. Mit ihrem Getöse über Bücher erinnern Sie mich an den Wind, der durch die Ritze bläst. Natürlich könnte ich nun denken, dass meine Handfläche gelogen hat, aber die Bewahrheitung des Niggers und der blonden Lady und – «

»Still!«, sagte der lange Mann, »würden Sie sich von einer Physiognomie ablenken lassen? Meine Nase wird das tun, was sie kann, innerhalb ihrer Grenzen. Lasst uns diese Gläser wieder auffüllen lassen, es ist gut, wenn man Eigentümlichkeiten gut befeuchtet, denn sie sind in einer nüchternen, moralischen Atmosphäre der Zersetzung ausgeliefert.«

Meiner Meinung nach revanchierte sich der Mann, denn er bezahlte freudig für alles, während die Kraft von mir und Toby durch die Vorhersagen aufgebraucht war.

Aber Toby blieb verärgert und trank still vor sich hin, während sich das Rote in seinen Augen zeigte.

Nach einer Weile gingen wir hinaus, denn es war schon elf Uhr, und wir standen eine Weile auf dem Bürgersteig. Und dann sagt der Mann, dass er nach Hause gehen muss, und lädt mich und Toby ein, mit ihm in diese Richtung zu gehen.

Wir kamen an einer Seitenstraße an, zwei Häuserblocks weiter, wo sich Reihen von Backsteinhäusern erstreckten, mit hohen Treppen und eisernen Zäunen. Der Mann hielt vor einem von ihnen an und schaute auf die oberen Fenster, die er dunkel vorfand.

»Das hier ist mein bescheidenes Zuhause«, sagte er, »und ich sehe, dass meine Frau sich schon zum Schlafen zurückgezogen hat. Deshalb werde ich bei meiner Gastfreundschaft etwas improvisieren müssen. Ich möchte, dass wir in den Raum im Untergeschoss gehen, wo wir etwas Essen bekommen und eine angenehme Erfrischung teilen können. Es gibt noch von dem herrlichen Geflügel und Käse und ein oder zwei Flaschen Bier. Ihr seid willkommen, einzutreten und zu essen, denn ich bin bei Euch für etwas Ablenkung in der Schuld.«

Der Appetit und das Gewissen von mir und Tobin entsprachen dem Vorschlag, obwohl es sehr auf Dannys Aberglauben lastete, zu denken, dass ein paar Drinks und eine kalte Platte das Glück repräsentieren sollten, dass ihm aus seiner Handfläche versprochen wurde.

»Geht die Treppen hinunter«, sagte der Mann mit der krummen Nase. »Ich werde durch die Tür da oben gehen und Euch dann hereinlassen. Ich werde das neue Mädchen fragen, das wir in der Küche haben«, sagte er, »Euch eine Kanne Kaffee zu trinken zu geben, bevor Ihr geht. Dieser ausgezeichnete Kaffee wird Euch von Katie Mahorner, einem irischen Mädchen gemacht, die hier vor drei Monaten angekommen ist.«

»Kommt herein«, sagte der Mann, »ich werde sie zu Euch schicken.«

Brooklyn Bridge, New York, 1899

DAS GESCHENK DER WEISEN

Ein Dollar und siebenundachtzig Cents. Das war alles. Und sechzig Cents davon waren in Pennys. Pennys, von denen jeweils immer ein oder zwei gespart wurden, indem der Lebensmittelhändler und der Gemüsemann und der Metzger stets hart bedrängt wurden, bis ihre Wangen glühten, in stiller Anklage einer unangemessenen Sparsamkeit, die solch scharfe Kalkulationen beinhaltete.

Dreimal zählte Della nach. Drei Dollar und siebenundachtzig Cents. Und am nächsten Tag war Weihnachten. Da gab es absolut nichts anderes zu tun, als sich auf die schäbige, kleine Couch fallen zu lassen und zu heulen, was Della auch machte. Das führt wiederum zu der moralischen Überlegung, dass das Leben aus Schluchzen, Schniefen und Lächeln besteht, wobei das Schniefen dominiert.

Während die Dame des Hauses schrittweise von der ersten Stufe auf die zweite absinkt, lasst uns einen Blick auf das Heim werfen. Ein möbliertes Apartment für 8 Dollar die Woche. Man konnte es sicher nicht als Bettlerbude beschreiben, aber das Wort stand schon bereit, auf der Suche nach zukünftigen Bewohnern aus dem Heer der Armen.

Unten in der Eingangshalle gab es einen Briefkasten, in den keine Briefe hineingingen, und eine elektrische Klingel, von der aus kein menschlicher Finger ein Klingeln auslösen konnte. Daran angebracht war eine Karte, die den Namen Mr. James Dillingham Young trug. Die Dillingahms hatten sich während einer früheren Erfolgsphase verleiten lassen, als der Besitzer der Karte noch 30 Dollar die Woche verdiente.

Nun, als sein Einkommen auf 20 Dollar geschrumpft war, schienen die Buchstaben im Namen Dillingham zu verblassen, so, als würden sie darüber nachdenken, sich auf ein bescheidenes 'D.' zu beschränken. Aber wenn immer Mr. James Dillingham Young nach Hause und in sein Apartment oben kam, wurde er 'Jim' genannt und von Mrs. James Dillingham Young umarmt, die ich Ihnen schon als Della vorgestellt hatte. Das ist alles sehr schön.

Della hörte auf zu heulen und kümmerte sich um ihre Wangen mit einem Puderlappen. Sie stand am Fenster und schaute stumpf auf eine graue Katze, die an einem grauen Zaun, im grauen Hinterhof, entlanglief.

Morgen ist Weihnachten, und sie hatte nur $1.87, mit denen sie Jim ein Geschenk kaufen konnte.

Sie hatte monatelang jeden Penny gespart, den sie konnte – und dann mit diesem Ergebnis. Mit 20 Dollar die Woche kommt man nicht weit. Die Ausgaben waren höher, als sie das kalkuliert hatte. Das waren sie immer. Nur $1,87 um ein Geschenk für Jim zu kaufen – ihrem Jim. Viele glückliche Stunden hatte sie damit zugebracht, etwas Schönes für ihn zu planen. Etwas Edles und Rares und aus Sterling Silber – etwas das ein wenig in die Nähe der Ehre kam, die Jim zustand.

Zwischen den Fenstern im Raum hing ein Wandspiegel. Vielleicht haben Sie schon einmal einen Wandspiegel in einem $8 Apartment gesehen. Eine sehr dünne Person könnte ihr Ebenbild in einer schnellen Bildfolge von länglichen Streifen beobachten, und so ein ziemlich akkurates Bild seines Aussehens bekommen. Della, die sehr schlank war, hatte diese Kunst beherrschen gelernt. Plötzlich drehte sie sich vom Fenster weg und stand vor diesem Spiegel. Ihr Augen leuchteten hell, aber ihr Gesicht hatte innerhalb von zwanzig Sekunden seine Farbe verloren. Schnell zog sie ihr Haar herunter und ließ es auf die volle Länge herunterfallen.

Es gab zwei Besitztümer bei den James Dillington Youngs, auf die sie beide mächtig stolz waren. Eines davon war Jims goldene Uhr, die einst seinem Vater und Großvater gehörten. Das andere war Dellas Haar.

Hätte die Königin von Saba im Apartment gegenüber dem Lüftungsschacht gewohnt, würde Della ihr Haar aus dem Fenster heraushängen lassen, um zu versuchen, die Juwelen und Geschenke Ihrer Majestät im Wert ihres Aussehens sinken zu lassen.

Wenn König Salomon der Hausmeister wäre, mit all seinen Schätzen, die im Keller aufgestapelt sind, hätte Jim, jedes Mal, wenn er vorbeiging, seine Uhr herausgezogen, nur um ihn zu sehen, wie er sich vor Neid an seinem Bart zieht.

Dellas wundervolles Haar fiel um sie herum und kräuselte sich und glitzerte, wie eine Kaskade von braunem Wasser. Es reichte bis unter ihre Knie und war fast wie ein Kleid für sie. Dann steckte sie es wieder hoch, nervös und schnell. Einmal hielt sie für eine Weile inne und stand da, während ein oder zwei Tränen auf den ausgetretenen roten Teppich fielen. Rasch zog sie ihre braune Jacke an, und auch ihren alten braunen Hut. Mit wehendem Rock und mit einem hellen Funkeln in ihren Augen, schwebte sie aus der Tür heraus und die Stufen hinab, raus zur Straße.

Wo sie anhielt, stand ein Schild mit der Aufschrift 'Mme. Sofronie – Haarartikel aller Art'. Della rannte ein Stockwerk hoch, fasste sich, und schnaufte. Die Madame, groß, zu weiß, kühl, entsprach kaum der 'Sofronie' [sie erschien Della, trotz des exotischen Namens, wohl eher der reinweißen Rasse aus New York zu entstammen].

»Würden Sie mein Haar kaufen?«, sagte Della.

»Ich kaufe Haar«, sagte die Madame. »Nehmen Sie ihren Hut ab, und lassen sie es mich sehen.«

Herunter kam die braune Kaskade. »Zwanzig Dollar«, sagte Madame, und hob die Haarpracht mit geübter Hand an.

»Geben Sie es mir, schnell«, sagte Della.

Nun, die nächsten zwei Stunden vergingen wie auf rosa Flügeln. Vergessen Sie diese unpassende Metapher. Sie durchwühlte die Läden nach einem Geschenk für Jim.

Schließlich fand sie es. Es war mit Sicherheit für Jim gemacht, und für keinen anderen. In keinem Geschäft gab es etwas Vergleichbares, denn sie hatte sie alle von innen nach außen gedreht.

Es war eine Uhrenkette aus Platin und zurückhaltend in der Ausführung, die ihren Wert allein durch das Material ausdrückte, und nicht durch aufdringliche Verzierungen – wie es bei allen guten Dingen der Fall sein sollte.

Sie war es sogar wert, an der 'Der Uhr' getragen zu werden.

In dem Augenblick, wo sie diese sah, wusste sie, dass sie Jims war. Sie war wie er. Zurückhaltung und Wert – die Beschreibung passte auf beide. Einundzwanzig Dollar hatten Sie ihr dafür abgenommen, und sie rannte mit ihren 87 Cents zurück nach Hause.

Mit dieser Kette an seiner Uhr würde er in jeder Firma richtig auf die Zeit bedacht sein. So großartig seine Uhr auch war, schaute er manchmal nur heimlich darauf, wegen des alten Lederbands, dass er anstelle einer Kette benutzte.

Als Della zu Hause ankam, ließ ihr Rausch ein wenig nach und machte Platz für Besonnenheit und Vernunft.

Sie holte ihre Lockenstäbe heraus, zündete das Gas zum Erwärmen an, und machte sich an die Arbeit, die Verwüstungen zu beseitigen, die sie durch ihre Großzügigkeit, verbunden mit Liebe, angerichtet hatte. Das ist stets eine gewaltige Aufgabe, meine lieben Freunde – eine Mammutaufgabe.

Innerhalb von vierzig Minuten war ihr Kopf von winzigen, lose liegenden Locken bedeckt, die sie so aussehen ließen, wie einen schwänzenden Schuljungen. Sie schaute sich ihr Bild im Spiegel an, lange, sorgfältig und kritisch.

»Wenn Jim mich nicht umbringt«, sagte sie zu sich selbst, »noch bevor er einen zweiten Blick auf mich geworfen hat, wird er sagen, dass ich wie ein Chormädchen auf Coney Island aussehe. Aber was hätte ich tun können – oh! – was hätte ich tun können mit einem Dollar und siebenundachtzig Cents?«

Um sieben Uhr war der Kaffee fertig und die Bratpfanne war auf dem hinteren Teil des Herds, heiß und bereit, um die Koteletts darin zu braten.