Die Wachsfigur - Friedrich Laun - E-Book

Die Wachsfigur E-Book

Friedrich Laun

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Beschreibung

Unter dem vorliegenden Titel "Die Wachsfigur" sind ausgewählte Schauergeschichten und Dichtungen des bekannten romantischen Schriftstellers Friedrich Laun versammelt. Da der literarische Genuss des unterschwelligen Grauens damals wie heute die Gemüter der Leser erfreut, soll diese Ausgabe der leicht bearbeiteten Geschichten Friedrich Launs dazu beitragen, ein Stück schwarz-romantischer Kultur dem heutigen Bewunderer dieser Epoche wieder zugänglich zu machen.

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Seitenzahl: 290

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Ähnliche


Inhalt.

Die Wachsfigur.

Die Gestalt auf dem Grabmal

Blendwerke.

Das Meerfräulein.

Der Mönch.

Der rote Faden.

Die Fräulein vom See.

Die Wachsfigur.

Seit einer Stunde war das Kränzchen ziemlich beisammen.1 Aber der Frohsinn schien für diesmal ausgeblieben. Diese Bemerkung hatten schon einige laut gemacht.

„Da habt ihr’s,“ rief Hilarie, „daß der hagere melancholische Mann, der heute fehlt, bei unseren Versammlungen kaum zu entbehren ist. Nur denken darf ich mir ihn, und sein oft so bittersüßes Gesicht, sein vornehmes Zurückweisen eines mutwilligen Scherzes, seine pathetischen Widerlegungen witziger Einfälle, nur denken, und meine Laune verbessert sich sogleich.“

„Sollte die frische Farbe seiner wohlgebildeten Züge nicht auch etwas dabei tun?“ drohte Theodore.

„Vielleicht gäbe ich das ebenfalls zu, könnte ich nicht dadurch meinem Ludwig unnötige Grillen in den Kopf setzen!“ erwiderte sie mit Anmut. „Übrigens habe ich nichts gewollt mit dieser Bemerkung, als euch aufmerksam machen auf die unerkannte Wohltat, welche unserem Kränzchen der Himmel durch diesen melancholischen Herrn erwiesen hat.“

„Wer nichts von Guido hörte, als das,“ so fiel hier Konstantin, der Wirtin Bruder, ein, „der könnte ihn wahrlich für eine bloß lächerliche Person halten. Das aber ist er keineswegs. Vielmehr ist er ein Mann von Verstand und Herz. Nur hätte er bei einem entschiedenen Hang zur Einseitigkeit das Mannigfache des bunten – wenigstens der europäischen – Welt sehen müssen, um nicht bisweilen an einer Modetorheit zu scheitern. So spukt denn auch jetzt in ihm der von manchem fälschlich sogenannte Geist des achtzehnten Jahrhunderts, ein Ding, das alles leugnet, was es nicht durchschauen kann, das alles besser wissen will, als die Stimme des Gemüts und der Erfahrung, und das mit den Greueln der jetzigen Revolution in Frankreich, welche hauptsächlich von seinem Ungeschick herrühren, untergehen dürfte, wie es solches auch gewiß verdient. – Er wird davon zurückkommen, seine Jugend und innere Gediegenheit verbürgen das.“

„Wie gerufen!“ rief Hilarie, als Guido hier noch eintrat. „Beide Ohren müssen Ihnen stark geklungen haben.“

„Daß ich nicht wüßte!“ erwiderte er lächelnd.

„O, Sie leugnen es nur, wie Sie alles leugnen. Gestehen Sie’s lieber, daß Ihr linkes Ohr Ihnen keine Ruhe gelassen hat, bis Sie hierher eilten, um dadurch dem Gespräch über Sie ein Ende zu machen.“

„Ich bin also so glücklich gewesen?“ fragte Guido.

„Glücklich und unglücklich, wie Sie’s nehmen. Ein Glück ist’s zum Beispiel allemal, wenn Theodore und ich von Ihnen sprechen. Allein Gespräche, die im linken Ohr des abwesenden Gegenstandes wiederklingen, sind wenigstens von sehr zweideutiger Art. Mit einem Wort, wir haben uns über Sie aufgehalten, aber doch so, daß wir Ihre Person sehr zu vermissen vorgaben.“

Guido fand sich mit einer Artigkeit ab. Doch, der sonst immer so reiche Fluß der Unterhaltung wollte noch nicht in Gang kommen. Die mannigfachsten Gegenstände wurden vergebens herbeigezogen; an keinem haftete die seltsame Sprödigkeit der Worte des Abends.

Endlich fing noch Julie, die Wirtin, zu Konstantin also an: „Ach, lieber Bruder, gut, daß mir’s einfällt, wer bewohnt denn jetzt den ersten Stock deines Hauses? Das muß ein gar vornehmer Herr sein! Wenigstens ist der Türsteher überaus reich mit Gold berändert.“

„Allerdings,“ antwortete der Gefragte, „widerfährt meinem armen Hause fast zu viel Ehre. Mehr als ein vornehmer Herr wohnt darin. Wenn nur auch der Zins gehörig abgetragen wird! – Er nannte hierauf einige der größten Fürsten, so daß man sich wundern mußte, wie er an der Berichtigung der Miete auch nur im Mindesten zweifeln konnte.“

„Daß,“ fuhr Julie fort, „der Stolz bei deinen Herren Abmietern zu Hause ist, das darf man schon aus dem Türhüter schließen. Denn diese steife Haltung, dies wahrhaft steinerne Gesicht, hat für mich etwas überaus Schauerliches. Sogar den Stock mit großem, silbernem Knopf hält der Mensch immer auf dieselbe Weise, so daß es kein Wunder ist, wenn, wie es geschieht, die Straßenkinder bei ihm sich sammeln und ihn angaffen. Gestern in der Abenddämmerung ging ich auch wieder vorbei, und als mein Blick auf die lange regungslose Gestalt fiel, da schüttelte mich die Furcht so zusammen, daß ich meine Schritte mehr als verdoppelte, um nur aus der gespenstischen Sphäre zu kommen.“

Konstantin lachte.

„Nein,“ entgegnete Julie ernst genug, „mir war es, ich versichere dich, gar nicht lächerlich!“

„Das wird’s aber werden, wenn ich sage, daß der goldbesäumte Türsteher wirklich nicht aus Fleisch und Blut, wie seine Kameraden und wir selber, sondern aus bloßem, totem Wachs besteht, und daß er, mit einem Wort, als das Pröbchen von einer Sammlung Figuren, welche den ersten Stock einnehmen, die Vorübergehenden anlocken soll. Daß du statt dessen abgeschreckt worden bist, liebe Schwester, das rührt eines Teils von allzu flüchtiger Betrachtung, anderen Teils aber von der in der Tat recht vorzüglichen Nachahmung der Menschengestalt her, welche dieser Figur, so wie den meisten der Sammlung nicht abzusprechen ist.“

„Warum läßt du mich denn aber auch kein Sterbenswörtchen von den Herrlichkeiten in deinem Hause hören?“

„Entweder, weil ich’s vergessen habe, oder auch vielleicht, weil ich in Verdacht kommen könnte, als wollte ich mir die Zweifel wegen Berichtigung des Mietzinses durch dich und meine übrigen Freunde, auf eine beruhigende Art lösen lassen. Und sie sind wirklich nicht aus der Luft gegriffen, während der drei Tage, daß die wächsernen Potentaten in Gesellschaft verschiedener Mordbrenner und Gelehrten in mein Haus gezogen sind, hat noch fast keine Seele nach ihnen gefragt, und mancher Umstand sagt mir, daß der Besitzer der Figuren darüber in nicht geringer Verlegenheit sein mag.“

„Ei,“ sprach hier Karl, „liegt doch die Unterhaltung heute ohnehin wie an Ketten, wer weiß, ob nicht die Wachsfiguren uns mit Stoff für den Rest des Abends versorgen könnten? Wie wäre es, wenn wir sogleich dem armen Herrn so vieler hohen Häupter et caetera einen kleinen Trost hinüberbrächten?“

Der Vorschlag fand Beifall bei der Mehrheit der Anwesenden. Da erhob auf einmal Hilarie ihre Stimme. „Gott bewahre mich,“ rief sie, „vor dem widerwärtigen Anblick einer solchen Gesellschaft. Erst vor wenigen Monaten habe ich eine ähnliche in Wien gesehen, und bin froh gewesen, die Erinnerung daran allmählich losgeworden zu sein. Mehrere Zimmer voll stummer geschminkter Leichen sind für mich ein wahrhaft grausender Anblick.“

„Im ersten Moment vielleicht“ – versetzte Guido, „wenn man aber erwägt…“

„Ei was erwägen,“ fiel Hilarie ein, „dazu kommt unser eins gar nicht, wenn einem das Herz klopft. – Ich verbitte mir alles Spotten. – Und gesetzt, ich bedächte hundertmal, bedächte, was für einen Schlag von Menschen ich da vor mir hätte, mein Auge würde sich doch beleidigt finden von der Zusammenstellung so himmelweit auseinanderstehender Personen und Stände.“

„Das aber, Beste,“ sprach Guido, „das zieht ja eben die Sache ins Komische, woran Ihre Grillen am leichtesten scheitern werden.“

„Ins Komische? Nichts weniger! Gerade durch dieses Ineinanderwerfen der Stände, Alter und Charaktere mußte mir ja wohl zunächst der Tod einfallen, der hierin auf die nämliche Weise verfährt. Ich muß unter Leichen zu sein glauben, weil im Leben solche Dinge gar nicht vorkommen können. Und je besser die menschliche Form dem Nachbildner gelungen ist, desto schlimmer nur für mich. Kommt doch sogar der Geruch des Wachses hinzu, mich in meinem sehr unbequemen Glauben zu bestärken.“

„Ich leugne nicht,“ sagte Ludwig, „daß mir in einem ähnlichen Kabinett meine Phantasie Streiche gespielt hat, die mich hinterher zum Erröten brachten. Beim Beobachten der dem Leben mehr nachgeäfften, als nachgebildeten Formen, fiel mir der Gedanke ein, wie, wenn es schadenfrohe Genien gäbe, die dann und wann plötzlich eine dieser Wachsfiguren mit einem auffallenden Schein des Lebens versähen, bestände er auch nur in einem Blick oder Laut, oder der geringsten Veränderung der Stellung. Ich versichere Sie, Guido, daß mir bei dieser Vorstellung eiskalt wurde, und ich ein paar noch übrige Zimmer lieber unbesehen ließ, um nur, wie unsere reizende Wirtin, aus der gespenstischen Sphäre zu kommen.“

„Aber, Sie hätten,“ fiel Guido ein, „Ihrer Phantasie durchaus den Weg vertreten müssen! – Darüber, glaube ich, sind wir insgesamt einverstanden, daß es keine Gespenster gibt.“

„Wenigstens,“ versetzte Konstantin, lächelnd, „zweifeln wir gewiß alle eher an ihrem Dasein, als daß wir darauf schwören möchten.“

„Gut,“ fuhr Guido fort, „doch auch schon bei aufrichtigem Zweifeln daran, hätte Freund Ludwig seine Phantasie durch ein längeres Ausharren am leichtesten und besten widerlegen können und sollen.“

„Als ob es nicht Zustände gebe, in denen die Phantasie sich zur Oberherrin aller anderen Kräfte aufwirft, vorübergehende, vielleicht krankhafte Zustände, die aber darum doch selbst bei dem Gesundesten zuweilen eintreten können!“ rief Konstantin aus.

„Ja, wenn Sie eine körperliche Krankheit zur Ursache annehmen!“ sprach Guido. „Ei,“ versetzte der andere, „alle Schwäche ist Krankheit, und ob sie vom Körper oder der Seele herrühre, darüber sind oft die geschicktesten Ärzte ungewiß. So will ich Ihnen jetzt eine Geschichte erzählen, die ganz hierher paßt, eine Geschichte, deren Held ein Mann ist, der im Ganzen seiner Einbildungskraft Meister zu sein versteht. – Aber wo lebt der Starke, der nicht zuweilen durch sonderbares, ihm oft selbst unbewußtes Zusammentreffen einzelner Dinge, in eine höchst reizbare, und ihm ganz ungewöhnliche Stimmung versetzt werden könnte?

Mehrere von Ihnen, meine Freunde, erinnern sich wahrscheinlich meines letzten Ausfluges nach dem Süden von Deutschland und der Schweiz. Es war ein großer Genuß für mich, einen Gesellschafter dabeizuhaben, wie Bertram, und ich bin mit den mancherlei fröhlichen Begegnissen, die wir auf dieser Reise erlebten, nicht zurückhaltend gewesen. Ein einziges nur teilte ich bis jetzt niemand mit, das durchaus nicht zu den fröhlichen gehört. Vergebens frage ich mich selbst um die Ursache dieses oft nur durch absichtliche Sprünge in meinem Erzählen erreichbaren Stillschweigens. Wer weiß daher, ob nicht ein solches Verheimlichen ebenfalls Bestimmung war! – Lächeln Sie, lieber Guido, es irrt mich keineswegs. Soviel ist gewiß, ein schicklicherer Platz für jenes Ereignis hätte sich schwerlich denken lassen, als der ihm heute werden kann. –

Bei unserer Ankunft in München fanden wir im Gasthof auch eine Sammlung von Wachsfiguren für das Publikum aufgestellt. Die halbe Stunde, die bis zum Abendessen noch übrig war, schien mit Betrachtung derselben leidlich auszufüllen, und so entschlossen wir uns dazu. Das Kabinett war in seiner Art vorzüglich, nur in Hinsicht der Gewande allzu karg ausgestattet. Der Inhaber fühlte auch den Fehler, und schrieb ihn dem Unglück zu, daß er auf seiner letzten Reise unter – ich weiß nicht ob französische oder deutsche – Plünderer geraten sei, die damals, wie noch jetzt, manche Gegend unseres Vaterlandes unsicher machten. Seiner Angabe fehlte es indes schon darum an Wahrscheinlichkeit, weil ihm unter solchen Umständen schwerlich die Figuren selbst unzerschlagen geblieben wären.

Wir ließen ihn reden und verweilten vor den anziehendsten Gesichtern. Da die mehresten Gestalten der Geschichte entweder schon angehörten, oder auf ihren Platz in derselben noch warteten, so gab uns die Verschiedenheit der Schicksale und Charaktere, oft in dem schroffsten Gegensatze dicht beisammenstehend, reichhaltigen Stoff zu allerlei Bemerkungen. In der Mitte, zwischen dem Ruhm des älteren Brutus und der Schmach des Robespierre hatte man, zum Beispiel, die Galanterie in Person, einen König, den sein Zeitalter den Großen betitelt, aufgestellt, und so vielleicht des letzteren unfehlbare Vernichtung sinnreich aussprechen wollen. Vielleicht war es auch nur das Werk des Ungefährs, denn wenn man manche andere Gruppe ansah, so wurde man sehr zweifelhaft, ob Zufall oder Albernheit sie geordnet hatte.

Nach vielen der schreiendsten Kontraste zog ein Engelsgesicht unsere ganze Seele dergestalt an, daß wir zum Beobachten seiner schlechten Nachbarschaft gar nicht kommen konnten. Es war die Cenci, die tugendhafte, und doch des Vatermordes überführte und hingerichtete Beatrice Cenci; ganz ähnlich dem Gemälde, das wir früher in der Villa Aldobrandini zu Rom von ihr gesehen hatten. Die Gerechtigkeit hatte, aus diesen Zügen zu schließen, nie einen so heillosen Frevel begangen als ihre Hinrichtung.

Bertram geriet außer sich beim Nachdenken darüber. „Welch ein Mann wären Sie,“ sagte er zu dem Besitzer des Kabinetts, „wenn Sie in dieses Bild der lautersten Unschuld die entflohene Seele zurückzaubern könnten!“

„Dieser Wunsch ist schon von manchem geschehen!“ antwortete der Mann lächelnd. „Vor wenig Tagen war sogar einer hier, der, nachdem er ihn ebenfalls getan, sich ernstlich zu fürchten anfing, und äußerte, daß die Bilder frühzeitig verstorbener, hauptsächlich hingerichteter Personen zuweilen von ihren Seelen umschwebt und bei dem ausgesprochenen Wunsch ihrer Rückkehr auf Augenblicke mit Leben durchströmt würden.“ Hier wurde der Besitzer der Figuren zur anderen Seite gerufen.

„Seltsame Behauptung!“ rief Bertram. „Indessen,“ so sagte ich mit scheinbarem Ernst, „ist doch vielleicht etwas Wahres daran. Denn je länger ich dieses Fleisch betrachte, desto wärmer schmeichelt sich mein Auge es zu finden. Und meinst du nicht, daß trotz dem aufrichtigen Wunsch, das Bild belebt zu sehen, uns, wenn es geschähe, dennoch ein heftiges Grauen anwandeln könnte?"

„Wohl möglich!“ versetzte er.

„Sieh,“ fuhr ich fort, „sieh, wie die Lippen eben beweglich werden.“

„Nun nein,“ antwortete er, „so gespenstergläubig bin ich darum noch nicht. Ja, auf diese Gefahr könnte ich das fromme Bild sogleich bei der Hand fassen.“

„Versuche es nicht, Lieber! Ein Druck von diesen wächsernen Fingern müßte – ich gestehe es – bis tief ins innerste Leben schauern.“

„Und doch nicht, versetzte er, wenn man das liebe Gesicht betrachtet, das nur gegen das Böse feindselig sein kann!“

Ein Augenblick war es, wo ich mich unwillkürlich nach einem Klang aus der Nachbarschaft umsah, und ein zweiter, wo der Fall meines Freundes auf den Fußboden mich gewaltsam nach ihm zurückriß. Der Fall hatte allgemeines Aufsehen gemacht; was in den Zimmern war, strömte herzu. Bertram war um sein Bewußtsein gekommen. Ich stand schon darum große Todesangst aus, weil ich meinen unzeitigen Scherz als eine Mitursache ansah. Denn die unten neben ihm liegende abgebrochene Hand der Cenci deutete im Voraus auf die Ursache hin.

Als er die Augen wieder geöffnet hatte, schloß er sie auch sogleich von neuem, verlangte hinweg, und tat sie auch nicht eher auf, als bis ich, sein Führer, die Tür des Wachskabinetts hinter uns zuklappte.

Den ganzen Abend wies er alles Gespräch über den Vorfall von sich, und trug mir auf, mit dem Inhaber der Figuren den Schadenersatz abzutun, damit ihm der Mann nur nicht wieder zu Gesicht käme.

Erst am folgenden Morgen erzählte er mir, wie er die Hand der Cenci ergriffen, und wirklich einen Druck von dem kalten Wachs zu empfinden geglaubt habe. Sein Glaube daran, fügte er hinzu, sei nun zwar wieder verschwunden, aber seine überreizte Phantasie habe der Vorspiegelung doch einen solchen Schein der Wahrheit gegeben, daß er gewiß Zeitlebens daran gedenken werde.“

„Hu!“ rief Hilarie, als Konstantin hiermit schloß, „nun dächte ich, müßten wir für alle Wachsfiguren gehorsamst danken. Personen wenigstens, die so weit von den ihrigen entfernt schlafen, wie ich, die können mit dieser Menge Stoff zu schaurigen Bildern und Träumen völlig zufrieden sein.“

„Behüte, schöne Freundin!“ sprach Guido lächelnd. „Da wären wir rechte Helden und Heldinnen, wenn wir uns durch eine solche Erzählung irre machen ließen, die Wachsfiguren selbst zu sehen. Denn so überreizt ist wohl heute unter uns keine einzige Phantasie, um ein ähnliches Begegnis befürchten zu dürfen.“

Sein Blick sagte deutlich genug, daß der Spott, zu dem sich dabei die Lippe verzog, auf Konstantin gemünzt war. Hilarie kämpfte zwar noch mächtig an gegen den Besuch der Wachsfiguren, als aber alles nichts half, so entschloß sie sich selber mitzugehen.

Julie holte erst wieder frisch Atem, wie sie nebst den übrigen vor ihres Bruders Haus stand, und dem von Lampen rings umgebenen Türsteher, der ihr das Vorübergehen schon ein paar Mal recht unbehaglich gemacht hatte, in das wächserne Angesicht sehen konnte. Ihr Lächeln aber über die Sache wurde nur allzu bald durch einen mächtigen Schreck verdrängt. Denn oben beim Eingang kam eine Gestalt gerade auf die Gesellschaft zu, dem Türsteher bis auf den fehlenden Stock in allem so gleich, daß sie auf den Gedanken geriet, der Wachsmann sei lebendig geworden, und zum Fenster hereingestiegen, um sie nun auch oben zu empfangen.

Hilarie stieß einen lauten Schrei aus. Der Besitzer der Figuren, wofür sich diese Doublette vom Portier bald zu erkennen gab, äußerte, daß ihm das Staunen und zum Teil Erschrecken der Gesellschaft schmeicheln müsse, weil er sein untenstehendes Ebenbild, so wie alle übrige Wachsfiguren, selbst verfertigt habe. Aber Konstantin meinte, dies heiße den Scherz zu weit treiben, und riet ihm an, wenigstens das Tressenkleid künftig abzulegen, weil sein Triumph der geschickten Nachbildung mit dem Erschrecken der Zuschauer allzu teuer erkauft sei.

Guido konnte sich des heftigsten Lachens über diese Vermahnung nicht enthalten, und zog, da die ganze übrige Gesellschaft letztere billigte, hiermit für die nächste Zeit gleichsam eine Scheidewand zwischen sich und die anderen.

Statt, gleich diesen, dem Besitzer des Kabinetts zu folgen, und dessen zuweilen sehr merkwürdig unrichtige Erklärungen historischer Personen mit anzuhören, eilte er voraus, diejenigen Figuren vorzugsweise hetrachtend, deren Physiognomie am meisten auffiel, so daß er allen übrigen, bald völlig aus dem Gesicht kam.

Hilaries Ängstlichkeit und Besorgnisse, wenn hinter ihr etwas sich regte, gaben viel Stoff zur Lust, an der sie endlich selbst mit Teil nahm. Nur hielt sie sich gemeiniglich in der übrigen Mitte, um nicht etwa, abgesondert von ihnen, ein schlimmeres Los als diese zu erfahren.

Endlich redete sie Konstantin also an: „Nicht wahr, das sind ganz andere, als jene boshaften Wachsfiguren in München? – „Freilich!“ fügte sie sogleich selbst hinzu: „Schon die prächtige Kleidung zeigt das, nicht wahr? Sprechen Sie doch!“

„Sie antworten ja auf Ihre Fragen selbst so richtig, daß es meiner dabei gar nicht bedarf,“ sagte er lächelnd.

„Nun, dann möchte ich wohl wissen,“ flüsterte sie heimlicher als zuvor, „ob man hier eine Hand anfassen könne, ohne etwas befürchten zu dürfen?“

„Ich stehe für nichts!“ sprach Konstantin geheimnisvoll.

„Also doch möglich?“

Er zuckte die Achseln.

„O das ist mir höchst fatal. Denn Sie glauben gar nicht, wie es mich dazu treibt und ängstigt, wie es mich in allen Fingern nach so einer Wachshand zuckt!“

„Denken Sie doch nur an den Apfel, den die böse Schlange der Eva reichte!“ rief er plötzlich in ein lautes Lachen ausbrechend.

„Sie Häßlicher!“ sagte Hilarie unwillig, als er hierauf die ganze Sache der Gesellschaft mitteilte, die darüber in eine überaus lustige Laune geriet.

Aber obschon der Besitzer des Kabinetts dem furchtsamen Fräulein versicherte, daß sie jede der Figuren ganz getrost bei der Hand nehmen könne, und ihr auch mit gutem Beispiel voranging, so wagte sie doch nicht ihrer Neigung nachzgeben. Höchstens sah man sie dann und wann mit großer Behutsamkeit und Furcht, als ob es einer Elektrisiermaschine gelte, nach dem Kleid einer Figur greifen, welches immer sehr possierlich herauskam, und den Beobachtern vielleicht mehr Vergnügen als die Hauptsache gewährte.

Guido war ihnen inzwischen so ganz in Vergessenheit geraten, daß sie ordentlich staunten, wie sie ihn im letzten Zimmer stehen sahen. Er bemerkte ihr Eintreten gar nicht, so tief verloren war er in das Anschauen einer wieblichen Figur, einer, der Haltung und Ordnung des Anzugs nach, vornehmen Dame, einem Gesicht voller Seele und Anmut.

Hilarie näherte sich ihm leise und sah über seine Schulter herein. Höchst erschrocken fuhr er zusammen.

„Nun, nun,“ rief sie, „ich bin es ja. Aber mein Gott, was ficht Sie denn an; Sie sind ja eben bleich wie der Tod geworden?“

Statt aller Antwort aber eilte er von ihr hinweg zu Konstantin, und sprach leise mit diesem, ihn vor das Frauenbild führend.

„Unfehlbar wollt ihr mich zu fürchten machen!“ rief Hilarie, als beide die Figur höchst aufmerksam betrachteten.

Dieser Vorsatz würde gewiß schon gelungen sein, wenn er dagewesen wäre. Denn so schnell als möglich eilte sie zu den übrigen zurück.

Konstantin teilte noch lange Guidos ausschließende Aufmerksamkeit auf jene Gestalt, doch zeigte sein Kopfschütteln, als er das Gesicht betastet hatte, daß er in Beurteilung derselben mit Guido nicht einverstanden war.

Nur mit Mühe hatte die Neugier der anderen sich der Nachfrage nach Guidos Seltsamkeit enthalten. Vielleicht trug hierzu der Umstand, bei, daß man fürchtete, der allzeitfertige Zweifler wolle, so wenig er auch im Allgemeinen zum Scherz aufgelegt war, dem Glauben an irgendein übernatürliches Einwirken durch falsche Vorspiegelung von dergleichen nur eine Falle legen, um dann desto schadenfroher über ihn herzufallen.

Endlich aber, als man schon wieder in Julies Behausung saß und die allgemeine Spannung sich in einem anhaltenden, unerfreulichen Stillschweigen deutlich genug ausgesprochen hatte, da konnte Hilarie doch ihre Neugier nicht mehr im Zaume halten. „Erzählen Sie, Guido,“ sagte sie, „auf der Stelle und ohne alle Umschweife, was hatte es mit Ihnen und jener Figur für Bewandtnis? Sie müssen sprechen! Lüge oder Wahrheit, was Sie wollen, nur sprechen Sie, damit wir anderen auch einmal wieder zur Sprache kommen. Denn nichts ist doch häßlicher und unerträglicher, als wenn eine Gesellschaft bloß darum, weil sie stille Wachsfiguren gesehen hat, nun selber zu einem stummen und schauerlichen Wachsfigurenkabinett werden will.“

„Ja, ich will reden,“ sagte hierauf Guido, und das mit so bangem, wunderlichem Ton, daß die Anwesenden den Gedanken an Verstellung sogleich aufgaben. „Ich muß sogar reden; hauptsächlich unseres Konstantins halber. – Unfehlbar hat man mir vorhin angemerkt, daß ich seines Freundes Begebenheit in München, trotz des so wahrhaften Augenzeugen, in Zweifel zog. Jetzt denke ich ganz anders darüber, nachdem mir selbst etwas ziemlich Gleiches begegnet ist. – Die höchstreizenden Züge der Gestalt, bei der Sie mich wiederfanden, erregten mein Interesse dermaßen, daß ich von ihrem Anschauen gar nicht ablassen konnte. Und – sollte man’s denken! – je länger ich sie vor mir hatte, desto fester ward der Glaube in mir, es sitze keine Wachsfigur, sondern ein wirkliches Wesen da. Mein Auge sah deutlich die Regungen des schönen Lebens. Gleichwohl befiel mich eine Scheu, die Gestalt näher zu betrachten, oder anzufassen. Da rief ich denn Konstantin zu mir, welcher lächelnd das Gesicht untersuchte und mich darauf selber dazu veranlaßte. Ja, in dem Augenblick, als ich es nun anfühlte, war es unstreitig von Wachs. Aber noch immer frage ich mich, ob es eine Minute früher nicht anders damit gewesen sei? Nimmermehr hätte ich meiner Phantasie solch eine ungewöhnliche Ausschweifung zugetraut!“

„Da haben wir’s!“ rief Hilarie zischend. „Nun sind wir hierin ganz gleich geworden. Ärgerlich ist’s indessen doch. Denn wenn selbst so ruchlose Zweifler zur Erkenntnis kommen, dann hat man ja gar keinen Schutz mehr gegen seinen eigenen Gespensterglauben.“

„Sagen Sie mir, Konstantin,“ so sprach Guido, ihn beim Fortgehen am Arme fassend, „konnte sich denn Bertram späterhin überzeugen, daß das Bild der Cenci in jenem Augenblick nicht wirklich lebendig geworden war, konnte er sich überzeugen, das er’s dabei bloß mit seiner Phantasie zu tun gehabt habe?“

„Allerdings!“ war die Antwort. „Wie oft hat er nicht in der Folge darüber recht herzlich lachen können!“

„Wollte Gott,“ rief Guido, „ich wäre schon, auch so weit.“

„Sie glauben also noch immer an etwas Übernatürliches?“

„Leider, ja. – So seltsam und widersinnig und gegen alle meine Grundsätze es ist, ich muß daran glauben, wenigstens in manchem Moment. – Als ich das liebliche Gesicht anstaunte, so überraschte mich ganz plötzlich der Gedanke an Pygmalion und sein Glück bei Erfüllung des lange genährten Wunsches. Und drauf fing auch die Figur vor mir sich allmählich zu beleben an.“

„Aber, lieber Guido, da haben Sie ja mit einem Male den ganzen Gang einer gereizten Einbildungskraft. Morgen werden Sie sich gewiß die Sache gerade so denken, wie ich.“

„Ich zweifle noch. Übrigens, Konstantin, habe ich eine große Bitte an Sie. Begleiten Sie mich doch zu dem Besitzer der Wachsfiguren. Die bewußte gehörte zu denen, welche darin eine Ausnahme von den meisten übrigen machten, daß kein Zettel mit der Auskunft über das Urbild davor lag. Ich vergaß in der Betäubung beim Fortgehen nach dem Namen zu fragen. Ich muß aber durchaus wissen, wer das Original ist.“

„Warum denn das, lieber Guido? Ich setze nur den Fall, daß das Original schon verstorben wäre, würde Ihnen eine gewisse Bemerkung, deren ich bei Erzählung des Vorganges in München mit gedachte, auf die übrigens gar kein Wert zu setzen ist, würde Sie Ihnen aber in Ihrer jetzigen Stimmung nicht neuen Stoff zu Nährung unglücklicher Grillen geben?“

„Sie meinen,“ versetzte Guido, „die Behauptung, daß vor dem gewöhnlichen Alter Verstorbene, vorzüglich wenn ihr Tod ein gewaltsamer gewesen, zuweilen zurückkehrten, um ihre Bildnisse zu beleben. Sie haben auch wohl nicht Unrecht mit dem zu besorgenden Eindruck auf mich in diesem Fall. Aber alles wird doch nicht zusammentreffen, um zu meiner Angst beizutragen! Übrigens ist noch ein ganz besonderer Grund da, an dem Tode des Urbildes zu zweifeln. Er besteht in dem Kostüm. Ich erinnere mich, daß der Besitzer der Wachsfiguren sich viel damit wußte, keine der dargestellten Personen in einer anderen, als der zu ihrer Zeit gebräuchlichen Kleidung gezeigt zu haben. Der Anzug jener Figur aber gehörte ganz in unsere Tage, und das Frische, Kräftige ihres Gesichts schien von nichts so sehr, als von einem natürlichen Tode entfernt zu sein. An einen unnatürlichen aber, eine – Hinrichtung, mir graut schon vor dem Wort in diesem Zusammenhang! ist bei so reinen jugendlichen Zügen gar nicht zu denken.“

„Ei,“ fiel hier Konstantin ihm in die Rede, „so denken Sie doch nur an das Bild der Cenci, das Sie gewiß, wenigstens in Kopie, gesehen haben.“

Guido schien von der Bemerkung erschüttert, doch nicht so sehr, um dadurch zu Aufgebung seines Vorhabens bewogen zu werden.

„Ich muß wissen wer sie ist!“ sagte er, und Konstantin begleitete ihn zu den Wachsfiguren.

Der Besitzer, bei ihrer Ankunft eben in Begriff stehend, die Ausstellung zu schließen, ging mit den Schaulustigen noch einmal zurück. „Sogleich soll die Erleuchtung besorgt sein!“ sagte er. Doch Guido verhinderte ihn am Anzünden der ausgelöschten Lichter mit der Versicherung, daß es ihnen bloß auf das letzte Zimmer ankomme.

Als sie hierher gelangt waren, fragte der Wißbegierige: „Wer ist diese Dame?“

„Alle die,“ antwortete der Mann, „vor denen kein Zettel liegt, sind bloße Ideale.“

„Die anderen, ja!“ versetzte der Fragende erhitzt. „Von dieser Figur aber machen Sie mir das nicht weiß. Hier ist Charakter und Leben und Individuelles, was ich in der Flachheit aller der sogenannten Ideale dabei vermisse.“

„Der Herr sind Kenner!“ sprach der Besitzer. „Doch kann ich nicht dienen mit dem Namen der Person.“

„Verkaufen Sie welche von Ihren Figuren?“

„O ja.“

Guido erkundigte sich nach dem Preis, befriedigte, ohne alles Abdingen, sogleich die Forderung und machte nur das unverzügliche Fortschaffen des Bildes in seine Wohnung noch aus.

„Du stehst mir mit deinem Leben für allen Schaden daran!“ sagte er zu dem Bedienten, dem der Transport anvertraut wurde.

„Sorgen Sie nicht,“ antwortete sein Herr, „der weiß damit umzugehen.“ Zugleich fragte er ihn, sichtbar erfreut über den großmütigen Käufer, ob er nicht noch etwas aus der Sammlung sich aussuchen wolle.

„Nein!“ war die Antwort. Doch bot Guido ein Goldstück für die echte Nachricht von dem Original der gekauften Figur.

„Aber ganz unter uns,“ sagte nach einigem Zögern der Mann, „es ist eine Dame aus Frankreich.“

„Und ihr Name? Warum ein solches Zaudern damit?“ fiel Guido mißvergnügt ein.

„Weil man in jetzigen, schlimmen Zeiten jedes Wort abzuwägen hat. Indessen“ – dabei näherte sich seine Hand dem Goldstück; Guido bemerkte es, und es fiel hinein – „indes bei Ihnen, meine Herren, verläßt mich alle Besorgnis. Sie hieß Marie von Münzerberg.“

„Hieß?“ fragte Guido erbleicht zurückweichend. „Lebt sie etwa nicht mehr?“ Der Verkäufer zuckte die Achseln. „Ungefähr eine Woche, nachdem ich mit ihrem Abbild fertig war, das ihr Bräutigam bei mir bestellt hatte, ist sie, leider! auf einmal verschwunden, und man sagt sich eine Geschichte ins Ohr, eine Geschichte, bei der gewiß jedem ein Schauer anwandelt, der die Dame jemals gesehen hat.“

„Welche Geschichte?“

„Man sagt, sie sei hingerichtet worden. – Aber, mein Herr, was widerfährt Ihnen? Sollte sie vielleicht eine Verwandte von Ihnen gewesen sein?“

„Nein!“ sprach der Erschütterte, sich fassend. „Der unselige Sinn ihres Gewesen hat mich nur so ergriffen. Und Schuld wäre es, was dieser Engelsgestalt das Leben raubte?“

„Schuld und Unschuld, wer will das in jenem Lande jetzt unterscheiden? Die Heimlichkeit der Hinrichtung spricht für das Fräulein von Münzerberg. Unfehlbar wäre sie unter dem allgemeinen Mordeisen gefallen. Allein sie hatte viele Freunde, und so soll einmal bei Nacht in einem schwarz ausgeschlagenen Zimmer, von lauter schwarzgekleideten Männern mit umflorten Gesichtern, Gericht über sie gehalten, und sie dann zu der einen, ein Scharfrichter zu einer anderen Tür eingelassen worden sein. Man soll sie auf einen Schemel in der Mitte niedergesetzt und der Scharfrichter ihr auf Befehl der schwarzen Männer, nach einigen Weigerungen, den Kopf abgeschlagen haben.“

„Das klingt gar märchenhaft!“ rief Konstantin aus. „Auch erinnere ich mich einmal etwas Ähnliches, ich glaube vom Scharfrichter zu Landau, gelesen zu haben, den man bei Nacht abgeholt, in einen Wagen zu steigen gezwungen und mit verbundenen Augen fortgefahren, dann Treppe auf, Treppe nieder, bis in ein Zimmer geführt hat, wo es gerade so aussah und zuging, wie Sie sagten.“

„Eben aus eines Scharfrichters Munde,“ erwiderte der Besitzer des Kabinetts, kommt diese Erzählung des Vorfalls her. Vermutlich ist es die nämliche Geschichte.“

„Schwerlich!“ versetzte Konstantin. „Ich müßte mich sehr irren, oder die, von der ich gelesen, hat sich schon weit früher ereignet.“

Auf dem Heimweg sprach man mehr über die Geschichte. Konstantin zog sie schon darum in Zweifel, weil der heimliche Mord viel sicherer ohne alle Umstände, als mit so lächerlichen, gravitätischen Formen vorzunehmen gewesen sei.

„Es ist ein Märchen, ein bloßes Märchen,“ sagte Guido, wiederauflebend, „das mit einem Louisd’or zur Genüge bezahlt und die Unruhe nicht wert ist, die es mir verursachte.“

Guidos Freunde zeigten ein großes Befremden, als von ihm, der den ganzen Winter mit ihnen zuzubringen gedacht hatte, am folgenden Morgen auf einmal Abschiedskarten einliefen. Besonders fiel die Sache Konstantin auf, der auch sogleich in seines Freundes Wohnung eilte. Allein dieser war schon mit dem Frühesten abgereist.

Konstantin enthielt sich zwar der Erzählung vom Kauf des Wachsbildes und den Mitteilungen über dessen Original; doch machte er einst, als wieder im Kränzchen die Rede auf den Abwesenden und dessen so plötzlich mitten im Zweifel an allem Unbegreiflichen entstandene Geisterseherei geriert, darüber folgende Bemerkung: „Wie wichtig oft die geringsten Kleinigkeiten werden! An sich war unser Besuch der Wachsfiguren etwas höchst Gleichgültiges. Und doch bin ich überzeugt, daß die dort erlebte Begebenheit in Guidos ganzem künftigem Leben und Wirken anklingen und sich geltend machen wird!“

Einen Monat später kam folgender Brief an Konstantin:

„Ihnen, mein Freund, hätte ich vor allen eine Erklärung meines plötzlichen Verschwindens zurücklassen sollen. Ich mache mir Vorwürfe, daß es nicht geschehen ist. Ach, wie viele, wie bittere Vorwürfe mache ich mir nicht überhaupt!

Sie werden Sich erinnern, wie wir an jenem Abend auseinandergingen. Sie werden sich denken, daß damals zuerst die Frage in mir entstehen mußte: Ist sie aber auch wirklich ein Märchen die Geschichte, womit man mich abfand, und daß meine Bejahung dieser oft wiederholten Frage zuweilen wie eine halbe Verneinung aussehen mochte? Das aber werden Sie nicht denken, daß die gekaufte Figur bei mir nicht angelangt war, daß ich, unruhig darüber, zurückeilt, und den Verkäufer aus dem Bett klopfe, daß der mit der Ehrlichkeit seines noch abwesenden Bedienten meine Behauptung widerlegen will, und daß, wie sich bald darauf findet, dieser ehrliche Mann wirklich über alle Berge ist.

Trotz meinem unablässigen und wegen der dadurch verursachten Störung manches fremden Schlafes, bis zur Unverschämtheit gehenden Suchens die ganze Nacht hindurch, konnte ich weder von ihm noch von dem Wachsbild die geringste Spur erlangen.

Jetzt endlich, meinen Sie, sei die Sache aus gewesen, ich hätte, wie das im Leben zu gehen pflegt, einen geringen Verlust gehabt und solchen verschmerzen müssen und sollen. Aber vom Sollen war überhaupt in mir keine Rede mehr. Es stürmte, wie nie, in meiner Brust, und wenn sie Wahnsinn ist, die Ahnung, daß ich das Original der Wachsfigur irgendwo antreffen und mir zueignen müsse, so schreibt ein Wahnsinniger diesen Brief an Sie. Denn es blieb mir kaum Zeit die Abschiedskarten herauszusuchen, so drängte mich’s hinaus in eine fremde Welt. Veränderte Umgebungen taten mir durchaus Not, das fühlte ich, das fühle ich noch jetzt in den verständigeren Momenten. Nur traurig, daß diese Stimmung sich eben bloß auf Augenblicke beschränkt und die ganze übrige Zeit meinem seltsamen Streben gewidmet ist!

Was doch ein einziger Abend aus dem Menschen zu machen vermag! Erklären Sie mir den Umstand. Erklären Sie mir die plötzliche Entstehung einer inneren Gewalt, die mich hier und dorthin drängt und treibt, eines mit einem Male ausgebrochenen Vulkans, der vielleicht nicht eher aufhört, Flammen zu werfen, als bis mein armes Dasein in Asche liegt.

Und nun noch eins. Wenn Sie mir verziehen haben, so machen Sie auch, daß unsere Freunde es tun. Julie können Sie alles mitteilen, was Sie wissen. Zu seiner Zeit sollt ihr insgesamt wieder von mir hören. Zu seiner Zeit, sage ich und weiß doch nicht, ob die darunter verstandene jemals kommen werde!

Die Unordnung dieser Zeilen mag Ihnen ein schwacher Abriß von meinem Zustande sein. Sie fängt damit an, daß der Ort fehlt, wo ich sie schreibe. Das aber geschah absichtlich; ich scheute mich allzukindisch zu erscheinen. Falsche Scham! Nachdem Sie so viel von dem Kinde wissen, kommt ein Mehr oder Weniger in keine Betrachtung. – Der Zweifel, ob das vorhin erwähnte Märchen wirklich Märchen sei, hat mich bis hierher, nach Landau, getrieben. Sie wollten doch etwas Ähnliches, wie jene Hinrichtung, von dem hiesigen Scharfrichter gelesen haben; nur scheine die Geschichte aus früherer Zeit herzurühren. Dieser Beisatz hielt mich indessen nicht zurück, hierher zu reisen und den Scharfrichter zu befragen. Der Mann wußte kein Wort. Ich war nur froh, daß er auch nicht wußte, wie weit ich gereist bin, um mir diese Auskunft von ihm zu erholen.

Hier muß geschlossen werden. Der Postillon, der schon beim Anfang dieses Briefes mit Klatschen und Blasen mein Einsteigen zu beschleunigen suchte, hat bereits die ganze Nachbarschaft an die Fenster geblasen und geklatscht. Herzliches Lebewohl!“

Julie erstaunte, als Konstantin diese Nachrichten überbrachte. „Wer hätte das von diesem Guido sich versehen!“ rief sie aus. „Ein so plötzlicher Übergang in eine ganz andere Natur hat doch in Wahrheit viel Unnatürliches!“

„Wie man’s nimmt,“ erwiderte Konstantin. „Guido besaß immer mehr Tiefe, als die Bildung, die man ihm aufgedrungen, gestattete. Sein melancholisches Wesen zeugte stets von innerem Unfrieden. Unglückliche Ereignisse kannte er nicht an sich, daher rührte dieser Unfriede gewiß von den engen Ansichten der Welt und der ihm vorgespiegelten Leere der Menschennatur her, die seine Lehrer ihm beigebracht hatten. Unter diesen Umständen ist eine plötzliche Empörung seiner inneren Kraft, selbst bei einem ganz geringen Anstoß von außen, leicht denkbar. Die Folgen des Paroxismus sind freilich noch nicht vorauszusehen. Doch wollen wir hoffen, daß er ihn zum Heil, nicht zum Untergang führen werde.“

Den ganzen Winter sehnten sich Konstantin und dessen vertrautere Freunde vergebens nach Briefen von Guido. Außer Julie war jedoch niemand etwas von den näheren Umständen und dem letzten Schreiben mitgeteilt worden. Hilarie, die inzwischen Ludwig geheiratet hatte, sagte unter anderen einst in der Gesellschaft bei Julie: „Sollte ich nur ein einziges Mal dem hageren, melancholischen Mann den Leviten lesen können über sein dummes Verschwinden! Für so eine hochaufgeklärte Person schickte sich schon die Behauptung von dem Lebendigwerden der Wachsfigur nicht, geschweige gar das Verschwinden.“

„Sst!“ fiel Konstantin ein, „wissen Sie wohl, daß man von Dingen, vor denen man sich fürchtet, still sein muß, wenn die Furcht einem nicht zu Kopfe wachsen soll?“