Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 451 - Michaela Hansen - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 451 E-Book

Michaela Hansen

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Beschreibung

Der geheimnisvolle Spiegel - Er brachte Unglück ins Schloss

Mamsell Sophie ist entsetzt, als Komtess Kristin sie eines Tages bittet, mit ihr zusammen das Turmzimmer aufzuräumen. Solange die alte Sophie im Schloss lebt, hat niemand dieses Zimmer betreten dürfen, und alle haben sich daran gehalten.
Doch nun will die zwanzigjährige Kristin von Sassendorf endlich wissen, was es mit dem verbotenen Zimmer auf sich hat. Vielleicht, so hofft sie, findet sie sogar das ein oder andere wertvolle Möbelstück oder Gemälde.
Ein bisschen enttäuscht ist Kristin zunächst, dass sich in den verstaubten Kisten und Kartons nichts Besonderes befindet. Aber irgendein Geheimnis muss es schließlich hier geben ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Der geheimnisvolle Spiegel

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Massonstock / iStockphoto

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8152-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der geheimnisvolle Spiegel

Er brachte Unglück ins Schloss

Mamsell Sophie ist entsetzt, als Komtess Kristin sie eines Tages bittet, mit ihr zusammen das Turmzimmer aufzuräumen. Solange die alte Sophie im Schloss lebt, hat niemand dieses Zimmer betreten dürfen, und alle haben sich daran gehalten.

Doch nun will die zwanzigjährige Kristin von Sassendorf endlich wissen, was es mit dem verbotenen Zimmer auf sich hat. Vielleicht, so hofft sie, findet sie sogar das ein oder andere wertvolle Möbelstück oder Gemälde.

Ein bisschen enttäuscht ist Kristin zunächst, dass sich in den verstaubten Kisten und Kartons nichts Besonderes befindet. Aber irgendein Geheimnis muss es schließlich hier geben …

„Um Gottes willen, Komtess, hängen Sie den Spiegel nicht im Salon auf!“ Mamsell Sophie, eine adrette, runde Person um die Sechzig mit wippenden grauen Löckchen und einer Brille, die ihr immer vorn auf die Nasenspitze rutschte, sah das junge Mädchen erschrocken an.

Kristin Komtess von Sassendorf warf die goldblonden Locken zurück und lachte. Prüfend hielt sie den Spiegel an die Wand.

„Was hast du denn nur, Sophie? Er passt wundervoll hierher. Sieh doch nur!“

Mamsell Sophie, in einem blau-weiß geblümten Musselinkleid, kam kopfschüttelnd näher. Noch immer sah sie mit ängstlichem Blick zu dem Spiegel hin.

„Er bringt Unglück“, meinte sie dann.

„Was für ein Blödsinn! Wie kommst du denn darauf, Sophie? Ich bin froh, dass ich dieses schöne alte Stück oben im Turmzimmer gefunden habe. Sieh doch nur diese wundervolle venezianische Arbeit!“ Kristin blickte in den Spiegel und schnitt übermütig eine Grimasse.

Sophie atmete schwer.

„Ihr Großvater hat ihn damals in das Turmzimmer gestellt nach diesem schrecklichen Mord. Seit jener Zeit ist der Spiegel nicht geheuer. Irgendetwas stimmt nicht damit. Er bringt Unglück, ich bleibe dabei.“

Kristin stellte den Spiegel an die Wand. Sie sah Sophie lächelnd an.

„Ich weiß, dass er in dem Zimmer hing, wo mein Großvetter seine Frau getötet hat, weil sie mit einem anderen durchbrennen wollte. Aber was hat der Spiegel damit zu tun? Es ist wirklich absurd, Sophie, sich einzureden, dass dieses schöne Stück Unglück bringt. Schau ihn dir doch an, sieh hinein! Es ist ein ganz normaler Spiegel.“

Sophie bekreuzigte sich.

„Nie im Leben sehe ich in den Spiegel“, meinte sie. „Ihr Großvater hätte ihn bestimmt zerschlagen, wenn er nicht so ängstlich gewesen wäre. Vielleicht wäre dann das Unglück erst recht nach Schloss Sassendorf gekommen. Jedenfalls hat er ihn aus den Wohnräumen verbannt. Und jetzt wollen Sie ihn aufhängen?“

„Ja, Sophie, weil er sehr wertvoll ist und mir zudem sehr gut gefällt“, erwiderte Kristin.

„Es gibt doch so viele andere Spiegel im Schloss. Nehmen Sie doch den aus dem Zimmer Ihrer verstorbenen Mutter. Er ist mindestens genauso hübsch und würde gut hierher passen.“ Beschwörend sah Sophie die Komtess an. Die lachte wieder.

„Nein, ich will diesen Spiegel! Sag bitte Herbert Bescheid, dass er ihn aufhängt.“ Kristin deutete auf eine Stelle an der Wand über einer hübschen Biedermeierkommode.

Sophie seufzte tief und ging zur Tür.

„Ich will mit der ganzen Geschichte nichts zu tun haben. Ich habe Sie gewarnt!“

„Ja, das hast du, Sophie. Aber ich glaube nicht an diese alten Ammenmärchen.“ Kristin blickte zum Fenster hin, sah in das graue, stürmische Wetter hinaus. Es regnete.

„Es sind keine Ammenmärchen. Ich hoffe nur, dass Sie es nie bereuen, den Spiegel hierhergebracht zu haben“, erklärte Sophie. Sie hatte schon die Türklinke in der Hand, wollte eben hinausgehen, als etwas Hartes gegen die Fensterscheibe flog, die klirrend zerbrach.

Der Wind fegte in den Raum, blähte die weiße Gardine. Erschrocken blickte Kristin sich um. Sophie war kreidebleich geworden.

Kristin trat vorsichtig ans Fenster, um nicht die Scherben in den Teppich zu treten, und blickte hinaus. Ein toter Vogel lag auf dem Fensterbrett.

„Was war das, Komtess?“, flüsterte Sophie.

„Der Wind hat einen Vogel ans Fenster getrieben. Es ist aber auch ein Sturm heute! Und dieser Regen!“, sagte Kristin.

„Ist er tot?“ Sophie kam wieder näher. Sie hatte die Hand auf das Herz gelegt und zitterte. „Der Spiegel bringt Unglück, ich sage es Ihnen!“

„Aber, Sophie! Eine zerbrochene Fensterscheibe ist doch noch kein Unglück! Herbert soll sofort den Glaser kommen lassen. Der Schaden ist in einer Stunde wieder behoben. Warum bist du nur so ängstlich, Sophie?“ Verständnislos sah Kristin wieder die alte Mamsell an.

„Ein toter Vogel bringt immer Unheil“, behauptete Sophie da und floh zur Tür. „Wenn nur nicht schlimmere Dinge passieren“, flüsterte sie und verschwand.

Kristin betrachtete den toten Vogel. Plötzlich hatte auch sie ein ungutes Gefühl. Aber sie wehrte sich entschieden dagegen. Was Sophie erzählte, war purer Aberglaube. Kristin wollte sie überzeugen, dass ihre Befürchtungen sinnlos waren.

Jetzt wollte sie den Spiegel erst recht in ihrem Salon haben!

Nachdem sie Butler Herbert beauftragt hatte, den Schaden zu beseitigen und den Spiegel aufzuhängen, verließ sie den Raum.

Eigentlich hatte sie an diesem Spätnachmittag ausreiten wollen. Aber das Wetter war wirklich zu ungemütlich. So wollte Kristin einen langen Brief an ihren Verlobten Stefan Graf von Streelen schreiben, der auf einer Segeltour war. Sie kannte sein Hotel, und an diese Adresse wollte sie den Brief schicken.

Seit einem Monat erst war Kristin mit Stefan verlobt, und sie liebte ihn von ganzem Herzen. Ihr zuliebe hatte Stefan sogar seine Segeltour im Pazifik aufgeben wollen, die er schon lange geplant hatte. Aber Kristin wusste, wie sehr sich Stefan für diesen Sport begeisterte. So hatte sie ihm zugeredet, die Reise zu machen.

Seit dem Tod der Eltern lebte Kristin allein mit ihrem Personal in dem großen Barockschloss auf dem Hügel. Die Mutter war mit dreißig Jahren an einem Herzleiden gestorben, und der Vater hatte sie nur um ein paar Jahre überlebt.

Die jetzt zwanzigjährige Kristin hatte schlimme Jahre hinter sich, voller Einsamkeit und Verzweiflung. Aber dann war ihr Stefan begegnet, und nun sah die Zukunft wieder anders aus.

Sie wusste, dass sie nur mit ihm glücklich werden konnte. Als sie sich jetzt an den Sekretär setzte, flossen all ihre Sehnsucht und ihre zärtlichen Gedanken in den Brief …

♥♥♥

Die Sommersonne schien vom blauen Himmel, an dem nur noch vereinzelt ein paar weiße Wolken zu sehen waren. Kristin war sofort besserer Stimmung gewesen, als sie an diesem Morgen aufgestanden war.

Sie summte vor sich hin, als sie den Salon betrat, und überlegte gerade, ob sie gleich mit dem Fahrrad ins Dorf fahren sollte, um ein paar Einkäufe zu machen, als ihr Blick in den Spiegel fiel, der jetzt an der Wand hing.

Betroffen trat Kristin ein paar Schritte näher, dicht an das Spiegelglas heran. Und dann hatte sie plötzlich ein Gefühl, als ob ein eiskalter Hauch ihren Nacken streifte. Sie wagte kaum zu atmen, und ihr Herz klopfte wie verrückt. Sie blickte in den Spiegel, und sie sah sich nicht.

Der Spiegel gab ihr Bild nicht zurück! So etwas hatte Kristin noch nie erlebt. Schnell ging sie auf das Fenster zu, das blank im Sonnenlicht glänzte. Sie riss die Gardine zur Seite und spiegelte sich in dem blanken Glas, das noch am Spätnachmittag des vergangenen Tages neu eingesetzt worden war.

Dann trat sie wieder zum Spiegel. Aber auch diesmal blieb der Spiegel leer und tot, so, als wäre sie gar nicht im Raum.

Schnell verließ Kristin das Zimmer. Sophies Worte fielen ihr wieder ein, aber auch diesmal wehrte sie sich, an die Spukgeschichte der alten Mamsell zu glauben.

Als Kristin in diesem Moment das Stubenmädchen Mizzi gewahrte, das mit einem Staubtuch durch die Halle ging, rief sie: „Komm noch einmal mit in den Salon hinauf, Mizzi. Ich will dir einen hübschen Spiegel zeigen. Du musst sehr vorsichtig sein, wenn du Staub wischst. Es ist ein wertvolles Stück.“

„Ich bin immer sehr vorsichtig, wenn ich Staub wische“, antwortete Mizzi.

„Das ist auch gut so.“ Kristin lächelte ihr zu, und Mizzi folgte ihr die Treppe hinauf.

„Das ist der Spiegel“, erklärte Kristin und deutete darauf.

„Was ist daran Besonderes?“, fragte das Stubenmädchen und trat näher.

„Sieh nur hinein“, forderte Kristin sie auf.

Ein verwunderter Blick traf Kristin, dann trat Mizzi auf den Spiegel zu und zupfte an ihrem brünetten Lockenkopf.

Kristin erstarrte. Sie trat hinter Mizzi, die deutlich im Spiegel sichtbar war, doch wieder sah sich Kristin in dem Spiegel nicht. Ohne dass Mizzi es bemerkt hatte, wandte sich Kristin dem Tisch zu und zog unruhig die Bonbonniere zur Seite, die dort stand.

„Wünschen Sie noch etwas, Komtess?“, fragte Mizzi.

„Nein, vielen Dank“, antwortete Kristin und schickte das Mädchen hinaus. Dann sank sie auf einen Stuhl und blickte beklommen zum Spiegel hinüber.

An diesem Vormittag kam Kristin nicht mehr dazu, ins Dorf zu fahren. Denn kurz darauf läutete Jörg Baron von Neulitz an der Schlosstür. Kristin reichte dem Jugendfreund mit strahlendem Lächeln die Hand.

„Schön, dass du mich besuchst, Jörg“, meinte sie.

Der dunkelhaarige junge Mann mit den hellen Augen im kantigen gebräunten Gesicht erwiderte Kristins Lächeln nicht. Bedrückt sah er die Komtess an, sodass Kristin schließlich leicht die Stirn runzelte.

„Was ist denn los mit dir, Jörg? Du siehst aus, als hättest du Probleme. Lass uns doch auf die Terrasse hinausgehen.“ Unbekümmert hängte sie sich bei Jörg ein und führte ihn durch das Musikzimmer auf die Schlossterrasse hinaus. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick über die weiten Rasenflächen des Schlossparks. Rosenbüsche blühten, und ein süßer Duft erfüllte die Luft.

„Ich habe eine schlimme Nachricht für dich, Kristin“, sagte Jörg jetzt und blieb, mit dem Rücken an die steinerne Balustrade der Schlossterrasse gelehnt, stehen. „Mein Vater ist eben von Graf von Streelen zurückgekommen.“

Kristin, die ebenfalls stehen geblieben war, sah den Freund betroffen an.

„Eine schlimme Nachricht?“, wiederholte sie.

„Es geht um Stefan, wie du dir denken kannst. Ach, Kristin, ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll!“

Kristin wagte nicht, sich zu rühren. Sie hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

„Was ist mit Stefan?“, flüsterte sie.

„Er ist verunglückt. Höchstwahrscheinlich ist er …“ Jörg räusperte sich, strich sich verlegen über das Kinn.

„Tot?“ Kristin brachte das Wort kaum über die Lippen.

„Er hatte einen Unfall. Sein Boot ist gekentert. Es war ungewöhnlich stürmisches Wetter. Die hohen Wellen sind ja im Pazifik besonders gefährlich. Von einer Jacht aus ist das Unglück beobachtet worden. Aber man konnte nichts mehr für ihn tun.“

„Nein, das ist nicht wahr, das kann nicht wahr sein! Es muss sich um jemand anderen handeln!“, sagte Kristin, und ein Lächeln zitterte über ihre Lippen.

„Man hat Teile des Bootes gefunden. Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Noch sind Suchtrupps unterwegs. Aber nach so vielen Stunden glaubt niemand mehr daran, dass er noch lebt.“

Kristin sank auf einen gepolsterten Gartenstuhl, der auf der Terrasse stand. Ihr Gesicht war schneeweiß. Stumm starrte sie Jörg an, der jetzt zu ihr trat und ihr die Hand auf die Schulter legte.

„Du musst jetzt sehr stark sein, Kristin. Ich weiß, was für ein fürchterlicher Schock das für dich ist. Ich bleibe heute bei dir, ich lasse dich nicht allein.“

Kristin schien Jörgs Berührung gar nicht zu bemerken. Sie sah an dem Jugendfreund vorbei. Wie in Trance saß sie da, und Jörg bekam es mit der Angst zu tun.

„Es ist bestimmt alles ganz schnell gegangen“, sagte er.

„Stefan“, flüsterte Kristin, und ihr Blick kehrte aus weiter Ferne zurück.

„Ich weiß, wie sehr du ihn geliebt hast. Aber ganz bestimmt hätte er nicht gewollt, dass du jetzt so verzweifelt bist. Du musst versuchen, darüber hinwegzukommen.“

„Darüber hinwegkommen?“ Kristin lauschte dem Klang ihrer Worte nach. Sie zitterte plötzlich.

„Lass uns ein bisschen durch den Park gehen“, schlug Jörg vor.

„Ich will nicht durch den Park gehen. Ich kann das alles noch gar nicht fassen. Es muss alles eine Lüge sein, ein Irrtum. Stefan kommt zu mir zurück.“

Jörg seufzte tief. „Du musst dich damit abfinden, Kristin.“

„Nein! Nein, das werde ich niemals!“ Kristin sprang auf.

„Es ist doch alles Schicksal, Kristin. Ich bin bei dir, ich helfe, dir über den ersten Schock hinweg.“

Noch immer betrachtete Kristin ihn, als sähe sie ihn gar nicht.

„Lass mich allein, Jörg“, bat sie dann.

„Nein, Kristin, das kommt überhaupt nicht infrage! Du darfst jetzt nicht allein bleiben. Du brauchst jemanden, bei dem du dich ausweinen kannst.“

„Ich brauche Stefan und sonst niemanden. Ich weiß, dass er zu mir zurückkommt.“

Jörg umfasste Kristins Schultern, zwang das Mädchen, ihn anzusehen.

„Kristin, es ist fürchterlich, was sich ereignet hat. Aber es ist eine Tatsache.“

Kristins Gesicht war plötzlich eine undurchdringliche Maske.

„Noch gibt es keine offizielle Bestätigung“, sagte sie.

„Natürlich nicht, wie sollte das auch möglich sein! Wenn man ihn findet … Aber das ist unwahrscheinlich. Außerdem wimmelt es dort von Haien.“

Kristin sah ihn so entsetzt an, dass Jörg verlegen schwieg. Wie hatte ihm das nur herausrutschen können!

„Er ist nicht tot“, sagte Kristin.

„Kristin, du weißt, dass ich immer dein Freund war. Glaubst du, ich würde mit solchen Dingen scherzen? Mein Vater kam ganz erschüttert von den Streelens zurück, und dann hat er mich gebeten, zu dir zu fahren. Es hatte wohl niemand sonst den Mut, dir die Wahrheit zu sagen.“

Kristin starrte Jörg wieder an, dann drehte sie sich plötzlich um und ging ins Schloss, ging durch das Musikzimmer, durch die Halle, die Treppe hinauf, bis sie in ihrem Schlafzimmer angekommen war.

Sie verschloss die Tür hinter sich und warf sich auf das Bett. Lange lag sie da und blickte zur Zimmerdecke empor, aber die erlösenden Tränen wollten nicht kommen. Es war Kristin, als wäre sie plötzlich gestorben, obwohl sie noch lebte.

Und dann dachte sie wieder an den Spiegel, an das, was Sophie gesagt hatte …

♥♥♥

Halb bewusstlos klammerte sich Graf Stefan an das Wrackteil seines Bootes. Aus einer Stirnwunde lief ihm Blut über die Wange. Er merkte es gar nicht.

Die hohen Wellen hatten ihn weit hinausgetrieben. Hier draußen war es ruhiger, aber auch das notierte Stefan nur im Unterbewusstsein. Er spürte, wie seine Kräfte nachließen, wie er schwächer und schwächer wurde. Er würde sterben hier draußen auf dem Meer, einsam und unauffindbar.

Die Sonne brannte vom Himmel. Das Meer reflektierte die Strahlen. Stefan schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er, etwa fünfzig Meter entfernt, eine spitze dreieckige Flosse aus dem Wasser ragen. Glühendheiß durchzuckte es ihn: Haie!

Plötzlich war nur noch Angst in ihm, eine Angst, die sich zur Panik steigerte, eine Angst, wie er sie noch nie zuvor empfunden hatte. Todesangst.

Mit seinen aufgerissenen Händen umklammerte er das Wrackteil. Noch einmal nahm er all seine Kraft zusammen, aber gleichgleichzeitig spürte er, wie sinnlos das war. Die Haie würden das Blut riechen, sie würden näher und näher kommen …

Stefan wollte schreien, aber der Schrei blieb ihm in der Kehle stecken. Er sah zum Himmel empor, sah die heiße Sonne, die ihn blendete. Er musste aufgeben. Es hatte keinen Sinn, sich zu wehren. Seine Stunde war gekommen!

Er wartete darauf, im nächsten Moment die messerscharfen Zähne der Raubfische im Fleisch zu spüren. Doch nichts geschah.

Als er jetzt wieder die Augen aufschlug, bemerkte er ein Rudel Delphine, die im Kreis um ihn herumschwammen. Ihre spitzen, listig-fröhlichen Gesichter tauchten manchmal aus dem Wasser auf.

Stefans Kopf sank auf das nasse Holz zurück. Verzweifelt umklammerten seine Hände wieder die Planken. Wenn Delphine in der Nähe waren, kamen die Haie nicht heran, das war eine altbekannte Tatsache.

Im ersten Moment war er erleichtert. Aber dann sagte er sich, dass ja doch alles umsonst war. Er würde verdursten hier auf dem Meer. Die Kräfte würden ihn verlassen, er musste ertrinken. Es gab für ihn keinen Ausweg!

Mit einem Mal war es ihm, als würden die Holzplanken unter ihm einen kleinen Stoß bekommen. Er trieb in eine ganz bestimmte Richtung ab, von den Delphinen sanft geschoben …

Stefan versuchte, sich zu orientieren, musste die Augen aber wieder vor dem grellen Sonnenlicht schließen. Sein Kopf schmerzte, seine Hände … Und wie der Durst ihn quälte! Grauenhaft war es, im Wasser zu sein und nicht trinken zu können!

Die Zunge schien ihm am Gaumen zu kleben, und immer noch spürte er am Holz die leisen drängenden Stöße der Delphine …