Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 456 - Julia Linde - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 456 E-Book

Julia Linde

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Beschreibung

Aber weinen darfst du nicht
Eine romantische Begegnung und das Leid eines Mädchens

Maria-Susanne Baroness von Stuttenkamp ist ein bezauberndes junges Mädchen ohne jeden Standesdünkel. Mit dem Tierarzt des Ortes verbindet sie seit Kindheitstagen eine enge Freundschaft, doch ihr Herz sehnt sich nach Liebe.
Als der verwegene Helmer Gußlech, Rennfahrer und Sohn eines reichen Werkbesitzers, in das hübsche Städtchen kommt und um ihre Gunst buhlt, gibt die Baroness seinem Werben bald nach. Sie versinkt im Rausch ihrer Gefühle und glaubt, der großen Liebe begegnet zu sein. Ein bitterer Irrtum, wie sie schon bald erkennen muss, doch da ist sie bereits mit dem Prahlhans und Frauenhelden verlobt ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Aber weinen darfst du nicht

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Pereslavtseva Katerina / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8157-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Aber weinen darfst du nicht

Eine romantische Begegnung und das Leid eines Mädchens

Maria-Susanne von Stuttenkamp ist ein bezauberndes junges Mädchen ohne jeden Standesdünkel. Mit dem Tierarzt des Ortes verbindet sie seit Kindheitstagen eine enge Freundschaft, doch ihr Herz sehnt sich nach Liebe.

Als der verwegene Helmer Gußlech, Rennfahrer und Sohn eines reichen Werkbesitzers, in das hübsche Städtchen kommt und um ihre Gunst buhlt, gibt die Baroness seinem Werben bald nach. Sie versinkt im Rausch ihrer Gefühle und glaubt, der großen Liebe begegnet zu sein. Ein bitterer Irrtum, wie sie schon bald erkennen muss, doch da ist sie bereits mit dem Prahlhans und Frauenhelden verlobt …

„Hallo, Doktor, kommen Sie endlich wieder einmal zu uns?“, rief Maria-Susanne von Stuttenkamp temperamentvoll und richtete sich auf, als sie den jungen Tierarzt sah.

„Ich freue mich, Sie zu sehen, Baroness“, sagte Dr. Wolfgang Treubusch lächelnd und öffnete das Gartentor. „Muss ich nicht hin und wieder nach Lilo, der Siamkatze Ihrer Frau Mutter, sehen, Baroness?“

„Natürlich sollen Sie das“, erwiderte Maria-Susanne.

Die Baroness stand vor dem Tierarzt und blickte nachdenklich zu ihm auf.

„Man weiß nie, woran man bei Ihnen ist“, murmelte sie und strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Lilo geht es dank Ihrer Aufmerksamkeit gut, Herr Doktor.“

Der Tierarzt lachte und stopfte sich dabei eine Pfeife.

„Irrtum. Dank Ihrer Pflege, Baroness, geht es dem verwöhnten Tier gut.“ Dr. Wolfgang Treubusch ergriff die Hände der Baroness, die in Gummihandschuhen steckten. „Im Ernst, Baroness, Sie übernehmen sich! Morgens geben Sie Unterricht in der Schule, mittags erledigen Sie Garten- und Hausarbeit. Sie sollten ein Dienstmädchen einstellen.“

„Mein lieber Doktor“, wehrte Maria-Susanne energisch ab, „ein Dienstmädchen ist heutzutage teuer. Was da alles anfällt: Krankenkasse, Steuer und ein möglichst hoher Lohn, das kann ich mir nicht erlauben.“

„Sie schaffen mehr, als Sie auf die Dauer verantworten können. Ich wollte eigentlich einmal mit Ihrer Frau Mutter darüber reden!“

„Um Gottes willen, nein!“

„Baroness“, sagte der Arzt ernst, „es ist nicht recht, dass Sie alles von ihr fernhalten. Wir leben in einer anderen Zeit, und ihre Mutter ist noch nicht so alt, dass sie es nicht begreifen könnte. Sie pflegt ihre Blumen, füttert den Goldfisch und verwöhnt ihre Katze, sie häkelt Spitzen und liest Gedichte ... Bitte, Baroness, ich habe nichts gegen Gedichte und lese selbst mitunter welche, aber das alles ist doch kein Lebensinhalt!“

„Was sollte meine Mutter Ihrer Meinung nach tun?“, fragte Maria-Susanne ein wenig gekränkt.

„Das weiß ich auch nicht. Aber ich musste Ihnen das einmal sagen. Sie bearbeiten den Vorgarten und den Gemüsegarten, kochen, flicken und pflegen die Mutter. Und das alles mit Hilfe einer Stundenfrau. Dabei nimmt Ihr Beruf als Lehrerin Sie schon genug in Anspruch. Ist jemandem damit gedient, wenn Sie eines Tages zusammenbrechen?“

„Lieber Doktor, so leicht breche ich nicht zusammen. Sie wissen, dass mein Bruder Ingo noch einige Jahre das Internat besuchen muss. Das Stipendium aus dem Familienfonds reichte gerade für die Schule, aber nicht für Taschengeld und Kleidung. Ich hatte das Glück, während meiner Schulausbildung noch den Vater zu haben. Ingo soll es nicht schlechter haben, nur weil er unser Nachkömmling ist und ...“

Sie wurde unterbrochen. Die Baronin erschien auf dem Balkon und winkte dem jungen Tierarzt zu.

„Ach, Doktor, wie nett, dass Sie gekommen sind! Maria-Susanne, du siehst wieder unmöglich aus! Sicher, der Mensch braucht ein Steckenpferd, aber muss es ausgerechnet diese schmutzige Gartenarbeit sein? Nehmen Sie den Tee mit uns, Doktor?“

Wolfgang Treubusch nickte zur Hausherrin hoch, und die Baronin zog sich vom Balkon zurück.

„Mama kann die Zeit nicht vergessen, in der die Gäste in unserem Haus noch ein und aus gingen“, sagte Maria-Susanne. „Ich glaube, es ist ihr manchmal zu still bei uns.“

„Der Langeweile könnte sie schnell abhelfen. Es gäbe auch für sie genug zu tun.“

„Nun fangen Sie wieder an! Könnten Sie sich Mama im Ernst mit einem Staublappen vorstellen?“

„Sie sollten aufhören, Ihre Mutter zu vergöttern, Baroness. Den Schaden tragen letzten Endes Sie.“

„Ich liebe Mama so, wie sie ist.“

„Das glaube ich Ihnen, aber diese Liebe kann zur Schwäche werden.“

„Ist Liebe nicht immer eine Schwäche? Ich verehre und liebe meine Mutter sehr. Ihr zeitloses Dahinleben bewundere ich, ohne ihr nacheifern zu wollen. Es muss für die Frauen früherer Zeiten wundervoll gewesen sein, so geliebt, vergöttert und von allem Niedrigen ferngehalten zu werden. Ich glaube nicht, dass heute noch ein Mann imstande wäre, so zu lieben, wie mein Vater meine Mutter geliebt hat.“

„Ich habe noch nie darüber nachgedacht“, sagte der junge Tierarzt höflich und öffnete vor Maria-Susanne die schwere Haustür.

„Ein Mann von heute hat überhaupt nicht die Zeit, darüber nachzudenken.“

„Sie sprechen, als hätten Sie böse Erfahrungen gesammelt“, scherzte Wolfgang Treubusch spöttisch.

„Das gerade nicht. Aber das, was ich in meinem Beruf als Lehrerin erlebe, gibt meiner Ansicht nur recht.“

„Darf ich Näheres über Ihre Ansicht erfahren?“

Sie gingen jetzt nebeneinander die Treppe hinauf, die von einem breiten, mit Sandsteinplatten ausgelegten Hausflur ins obere Stockwerk führte.

Wolfgang Treubusch schaute auf Maria-Susannes weiches, schönes Profil und ihr schulterlanges honigblondes Haar, das von einem breiten Samtband aus der Stirn gehalten wurde.

„Jetzt nicht, Doktor!“, antwortete sie auf seine letzte Frage. „Mama liebt es nicht, wenn ich solche Gespräche führe. Sie meint, sie führten zu nichts. Entweder möge man einen Mann nicht, dann kritisiere man gerade genug an ihm herum, oder man liebe ihn, und dann sei man zu einer Kritik nicht mehr fähig ...“

„Womit ich Ihrer Frau Mutter unbedingt recht geben muss.“

„Wirklich? Dann muss ich Ihnen sagen, dass ich als vernünftige Frau keinen Menschen, also auch nicht einen Mann, rückhaltlos anerkennen würde. Ehe ich ihn liebte, würde ich sein Wesen studieren. Und missfiele mir auch nur eine Kleinigkeit, so würde ich mein Herz zwingen, ihn nicht zu lieben. Ich glaube, dass man das kraft der Vernunft kann.“

„Der Herr erhalte Ihnen Ihren Glauben“, murmelte Wolfgang Treubusch.

„Und Ihnen Ihre gutmütige Ironie, Doktor! Ich führe Sie jetzt zu Mama, mich entschuldigen Sie bitte kurz, damit ich mich umziehen kann. Wenn Sie mir noch einen Gefallen tun mögen, dann entzünden Sie bitte die kleine Flamme unter dem Teekessel.“

„Mit Vergnügen, Baroness!“

„Es amüsiert mich manchmal, mit welcher Vorliebe Sie meinen Titel gebrauchen. Dabei haben wir uns als Kinder sogar einmal geduzt. Und jetzt sagen Sie Baroness ... Nun, bei Ihnen mag ich es sogar. Es ist immer etwas feierlich. Ansonsten mache ich keinen Gebrauch davon. Für die Kinder meiner Klasse bin ich einfach das ‚Fräulein‘, und auch ihre Eltern nennen mich so. Bis nachher!“

Sie neigte anmutig den Kopf und öffnete die Tür ihres Zimmers.

♥♥♥

Wolfgang Treubusch betrat nach höflichem Anklopfen den Raum der Hausherrin. Die Baronin streckte ihm die Hand entgegen, als er vor ihr stand.

„Nett, dass Sie einer alten Frau Gesellschaft leisten wollen!“, sagte sie.

Er beugte sich über die feingliederige Damenhand und hauchte einen Kuss der Verehrung darauf.

Die Baronin ging mit ihren leichten graziösen Schritten vor ihm her und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich niederzulassen.

„Sicher werden Sie wieder den Tee vorbereiten! Gedeckt ist ja schon! Ich habe nie einen Herrn kennengelernt, der das so verstand wie Sie! Man merkt, dass Sie Tee sehr lieben. In Ihren Vorbereitungen liegt fast eine Zeremonie. Woher haben Sie das nur?“

„Ich habe es in Japan gelernt. Dort gilt der als Barbar, der bei der Teebereitung nur eine einzige regelwidrige oder hastige Bewegung macht. In dieser Beziehung können wir von diesem Volk etwas lernen.“

„Wie recht Sie haben, Doktor! Meine Tochter zieht sich um, nicht wahr? Inzwischen erzählen Sie mir etwas aus Ihrer Praxis. Manchmal beneide ich Sie um die Abwechslung Ihres Lebens.“

Wolfgang Treubusch hantierte liebevoll an der Teemaschine.

„Ich könnte ohne meinen Beruf auch nicht leben“, antwortete er höflich.

Maria-Susanne trat ein und warf dem Tierarzt einen dankbaren Blick zu.

„Wie gut es wieder duftet!“, rief sie. „Könnte man Sie nicht als Teebereiter engagieren?“

„Ich fürchte, Baroness, dass ich zu teuer sein würde. Bedenken Sie, dass ich im Stundenlohn bezahlt würde und dieses Teezeremoniell sehr in die Länge ziehen könnte!“

Er ließ sich von ihr die Schalen anreichen, um sie zu füllen.

„Es würde mich kaum stören“, gab sie zurück.

Dr. Treubusch hielt die hübsche Teeschale in seinen großen Händen. Mit gemütvoller Zufriedenheit sah er sich um.

Alles in diesem Raum labte ein schönheitsdurstiges Auge: die hübschen, stilechten Möbel; die niedliche Sesselgarnitur mit den Bezügen, die zwar etwas verschlissen waren, aber noch immer dieses köstliche Rosenmuster zeigten; der Tisch mit der handgewebten Leinendecke und dem zierlichen Gedeck und der kleine Beitisch mit dem blanken Teekessel aus Kupfer.

Nicht zuletzt ruhte sein Auge auf den beiden Frauen. Zuerst auf der älteren, die in ihrem dunklen, schlicht geschnittenen Kleid, das hochgeschlossen am Hals eine wertvolle Spitze zeigte, mit dem fast weißen, noch immer krausen Haar und dem feinen Gesicht, das noch die Spuren einstiger Schönheit zeigte, ungemein seriös wirkte.

Die junge Baroness sah in dem leichten weißen Wollkleid zart und mädchenhaft aus. Sie hielt die Augen auf die Teeschale gesenkt, und ihre langen, leicht gebogenen Wimpern malten dunkle Schatten auf den porzellanklaren Teint ihrer Wangen.

„So schön und friedlich es hier auch ist, ich muss bald weiter“, sagte Wolfgang Treubusch.

„Sie haben ja kaum Ihren Tee getrunken! Und dann nehmen Sie doch von dem Gebäck. Es ist nach einem Rezept von Maria-Susanne. Backen ist eine Lieblingsbeschäftigung meiner Tochter.“

Der Tierarzt lächelte Maria-Susanne zu. Für einen kurzen Augenblick fanden sich ihre Blicke im geheimen Einverständnis, und sie bot ihm den Teller mit dem Backwerk an.

„Ich möchte wissen, was nicht Ihre Lieblingsbeschäftigung ist“, sagte er, während er sich bediente.

„Ja, Doktor“, warf die Baronin ein, „schimpfen Sie einmal mit ihr! Sie kann es nicht lassen, alles selbst zu machen. Sie glauben nicht, wie viel Kummer ich deswegen habe! Schließlich taucht irgendwann einmal ein Freier auf ... Ihre Hände sind richtig verarbeitet. Zu meiner Zeit wäre es unmöglich gewesen, mit solchen Händen beim Tee zu erscheinen. Wie oft habe ich Maria-Susanne schon gesagt, dass sie für die groben Arbeiten noch jemanden einstellen soll.“

„Sie haben vollkommen recht, Baronin. Aber leider muss ich jetzt aufbrechen.“ Bedauernd hob Dr. Treubusch die Schultern.

Maria-Susanne erhob sich, um den Doktor hinauszubegleiten.

„Sie könnten wirklich ein Dienstmädchen brauchen, das auch hier schliefe!“, meinte der Tierarzt, als er mit Maria-Susanne ins Treppenhaus trat.

„Ich habe es schon überlegt, aber heutzutage macht keiner die Arbeit allein, die mit einem so großen Haus verbunden ist. Ich müsste das Mädchen halten und Frau Meuser als Stundenhilfe dazu. Beides zusammen aber übersteigt meinen Etat.“

„Das Haus ist zu groß für Sie und Ihre Mutter.“

„Natürlich ist es das, aber glauben Sie, Mama würde sich jemals davon trennen? Ich hätte längst eine schöne Neubauwohnung haben können, aber ich wage es nicht, Mama das zu sagen. Sie hält auch zwei Räume für meinen Bruder Ingo für notwendig, wenn er in den Ferien nach Hause kommt. Das Haus stellt finanziell wirklich viel zu hohe Anforderungen. Notwendige Reparaturen müssten gemacht werden. Ich bin schon froh, wenn ich die steuerlichen Pflichten erledigen kann.“

„Ihre Frau Mutter erhält eine Rente, nicht wahr?“

„Ja, aber sie ist für diese Erfordernisse zu bescheiden. Ich glaube, Mama weiß noch nicht einmal, dass die Wertpapiere, die immer noch in unserem Safe liegen, wertlos sind.“

„Sie haben es wahrhaftig nicht leicht, Baroness.“

„Bedauern Sie mich nicht. Schließlich liebe ich selbst dieses Haus. Es fiele mir schwer, mich davon zu trennen. Alle schönen Jugenderinnerungen hängen daran.“

„Das kann ich gut verstehen, denn auch wir sitzen schon seit vielen Generationen auf unserem Gut. Wenn ich meinen Onkel nicht hätte, der alles verwaltet, könnte ich den geliebten Beruf an den Nagel hängen. Arbeit gäbe es mehr als genug, und aufgeben werde ich das Gut auch nicht.“

„Sehen Sie! So ist man Gefangener seines Herzens, und im Grunde genommen wollen wir es gar nicht anders haben.“

Wolfgang Treubusch nickte nachdenklich und verabschiedete sich unter der Haustür.

♥♥♥

„Hallo, meine Schöne! Wo geht es hier hinauf zum Ehrenfriedhof?“

Maria-Susanne kniete in der frischen Erde eines Beetes und bettete liebevoll einige Stiefmütterchen in gerader Linie an den Steinen vorbei. Sie hatte das Kopftuch zum Schutz gegen die starken Sonnenstrahlen weit über die Stirn gezogen.

Nur einen kurzen Blick warf sie zu dem Frager hin.

„Gehen Sie immer geradeaus“, sagte sie, ohne sich zu erheben. „Es sind zu Fuß vielleicht zwanzig Minuten.“

„Besten Dank! Und einen schönen Tag noch, kleines Fräulein!“

Maria-Susanne widmete sich wieder ihrer Arbeit und wünschte, dass der Fremde weitergehen möge. Das tat er aber nicht.

„Wer wohnt in diesem schönen Haus?“, fragte er.

Sie gab ihm keine Antwort. Eine Zeit lang blieb er noch stehen, aber dann schien er zu merken, dass er nicht beachtet wurde, und ging langsam weiter.

Erst als der Fremde außer Sicht war, strich die Baroness das Tuch zurück und spähte über den Zaun dem Davonschreitenden nach.

Da es bald Zeit für die Schule wurde, ging Maria-Susanne nun ins Haus zurück und direkt in die Küche, wo Frau Meuser, die Aufwartefrau, das Gemüse für den Mittagstisch putzte.

„Was wollte denn der?“, fragte Frau Meuser. Sie fühlte sich zum Haus gehörig und kümmerte sich grundsätzlich um alles.

Maria-Susanne wusch ihre Hände und legte das Kopftuch ab. Sie nahm ein Notizbuch und öffnete den Kühlschrank.

„Ich schreibe eben auf, was ich mitbringen muss“, sagte sie.

„Ist er zur Erholung hier?“

„Der Mann fragte nach dem Weg zum Ehrenfriedhof. Nehmen Sie für heute das Kalbfleisch. Es ist schon zwei Tage im Kühlschrank. Kochen Sie es aber.“

„Er wohnt im ‚Weißen Hirsch’.“ Frau Meuser schien sich für den Fremden mehr zu interessieren als für die Zubereitung des Mittagessens.

„Mag er wohnen, wo er will“, antwortete Maria-Susanne unwillig. „Denken Sie an den Fruchtsaft für meine Mutter!“

„Ja, pünktlich um elf Uhr!“

„Richtig! Und gegen ein Uhr essen wir zu Mittag. Ich habe heute früh Schluss.“

„Oh, dann kann ich um zwei Uhr fertig sein!“

„Ja. Bis gleich, Frau Meuser!“

Maria-Susanne eilte in ihr Zimmer. Sie zog sich schleunigst um und klopfte bei der Mutter an.

„Ich muss mich beeilen!“, rief die Tochter. „Ich bin um eins zurück. Auf Wiedersehen bis dahin!“

Die Sonne meinte es gut an diesem Morgen. Es ging nun mit großen Schritten auf den Sommer zu.

Maria-Susanne verließ das Haus und ging schnell die Straße hinunter, die ins Innere des Städtchens führte, wo die Schule lag, an der sie unterrichtete. Als sie einem Gespann auswich, sah sie den Fremden, der kurz vorher an ihrem Zaun gestanden hatte. Er musterte sie ungeniert und kümmerte sich auch nicht um den eiskalten Blick, den sie ihm zuwarf.

„Guten Morgen!“, grüßte er.

Maria-Susanne hob die Brauen und ging weiter. Der Fremde sah ihr aufmerksam nach. Sie fühlte seinen Blick wie eine körperliche Berührung, und dieses Gefühl schwand erst, als sie das Schulgebäude betreten hatte.

Der Unterricht war heute sehr anstrengend. Die Kinder, von dem herrlichen Sonnenschein verlockt, mochten sich nicht konzentrieren.

Nach der Schule wollte Maria-Susanne schnell nach Hause, aber auf dem Rückweg musste sie noch zu den Eltern einer Schülerin, die schon einige Tage ohne Entschuldigung fehlte.

♥♥♥

Als Baroness Maria-Susanne von Stuttenkamp vor dem Gasthaus „Zum Weißen Hirsch“ stand, fiel ihr ein, dass Frau Meuser gesagt hatte, der Herr von heute Morgen wohne hier.

Maria-Susanne ging durch das Lokal zur Küche hin, weil sie wusste, dass die Wirtin dort selbst die Speisen zubereitete.

Wie sie es vermutet hatte, stand das Töchterchen der Wirtsleute quietschvergnügt neben der Mutter und war eifrig mit einem Teig beschäftigt.

„Was hat denn das zu bedeuten?“, fragte Maria-Susanne ehrlich entsetzt.

Die Wirtin sah sie aus runden erstaunten Augen an.

„Stimmt etwas nicht, Fräulein?“

„Wenn Ihre Rose krank ist, kann sie doch nicht in der Küche helfen!“

„Warum soll Rose denn krank sein?“

„Welchen anderen Grund sollte es geben, dass sie dem Unterricht fernbleibt? Sie ist schon drei Tage nicht in der Schule gewesen!“

„Was?“ Die rundliche Wirtin erwischte das Kind, das eben davonhuschen wollte, gerade noch an den Zöpfen. „Hiergeblieben! Was hast du mir erzählt? Eine Lehrerin sei krank, und der Unterricht müsse für den Rest der Woche ausfallen. Stimmt das etwa nicht?“

„Mutter, ich … ich ... Die Sonne schien so schön, und du glaubst nicht, wie langweilig es in der Schule ist!“

Das Kind hatte kaum ausgesprochen, als die resolute Mutter es schon kurzerhand übers Knie legte. Maria-Susanne war die Szene peinlich. Sie gab sich Mühe, der Wirtin gut zuzureden.

„Sie wird einige Tage Strafarbeiten machen“, sagte sie. „Nicht wahr, Rose, du machst es nicht noch einmal?“