Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 465 - Sabine Stephan - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 465 E-Book

Sabine Stephan

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Beschreibung

So selbstlos kann nur Liebe sein
Auf dem Heimweg von einem Ball kam es zur Tragödie

Glücklich und verliebt sind Silvester von Geersen und Gracia von Wilmersberg auf dem Heimweg von einem Ball. Es ist eine zauberhafte Nacht, wie geschaffen für Verliebte, doch als Silvester seinen Wagen anhält, um Gracia das zu sagen, worauf sie schon lange wartet, geschieht etwas Entsetzliches: Auf der Gegenfahrbahn stoßen zwei Autos zusammen. Unter Einsatz ihres Lebens rettet Gracia aus einem der brennenden Fahrzeuge ein Kind. Als sie die Kleine in ihren Armen hält, ahnt sie nicht, dass sie wegen dieses fremden Kindes einmal alles verlieren wird, was sie liebt - Silvester und ihre Heimat ...

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Inhalt

Cover

Impressum

So selbstlos kann nur Liebe sein

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: ORLIO / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8437-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

So selbstlos kann nur Liebe sein

Auf dem Heimweg von einem Ball kam es zur Tragödie

Glücklich und verliebt sind Silvester von Geersen und Gracia von Wilmersberg auf dem Heimweg von einem Ball. Es ist eine zauberhafte Nacht, wie geschaffen für Verliebte, doch als Silvester seinen Wagen anhält, um Gracia das zu sagen, worauf sie schon lange wartet, geschieht etwas Entsetzliches: Auf der Gegenfahrbahn stoßen zwei Autos zusammen. Unter Einsatz ihres Lebens rettet Gracia aus einem der brennenden Fahrzeuge ein Kind. Als sie die Kleine in ihren Armen hält, ahnt sie nicht, dass sie wegen dieses fremden Kindes einmal alles verlieren wird, was sie liebt – Silvester und ihre Heimat …

Silvester von Geersen nahm den Fuß vom Gaspedal. Langsam ließ er den schweren Wagen, in dem man von der Winterkälte nichts spürte, ausrollen. Dann wandte er sich dem Mädchen zu, das schweigsam neben ihm gesessen hatte.

»Gracia …«

Nun sah sie ihn an. Sie hatte es gewusst und darauf gewartet. Auf dem Ball hatte er sie bevorzugt und ihr zärtliche Worte ins Ohr geflüstert. Eigentlich verstand sie es nicht ganz. Ihr Kleid war nicht so kostbar wie die der anderen Mädchen. Nicht einmal Schmuck hatte sie, denn die Familienerbstücke hatten die Wilmersbergs längst veräußern müssen, um das Gut vor dem Ruin zu retten.

Sie hatte ihres Vaters Stimme noch im Ohr. »Wenn Geersen dich heiraten würde, wären wir gerettet, kleine Gracia«, hatte er gesagt.

»Gracia …«

»Ja, Silvester?«

Seine Hand legte sich auf ihre Schulter. Ganz sanft zog er sie zu sich heran.

In diesem Augenblick geschah das Unglück. Weder der Graf noch das Mädchen hatten auf die Straße geachtet. Wer hätte auch mitten in der Nacht hier noch entlangfahren sollen?

Die Fahrer der beiden Autos, die in unmittelbarer Nähe von Graf Silvesters Wagen zusammenprallten, mochten Ähnliches gedacht haben.

Gracia erstarrte. Sie hörte das schreckliche Krachen und sah unmittelbar darauf auch schon das Feuer.

Gracia von Wilmersberg war ein beherztes Mädchen. Sie sprang aus dem Wagen und eilte, ohne sich zu besinnen, auf die verunglückten Autos zu. Silvester, der zunächst um seinen Wagen herumgehen musste, hatte den weiteren Weg.

»Zurück, Gracia!«, schrie er. »Es kann jeden Augenblick eine Explosion geben. Bist du von allen guten Geistern verlassen? Das brennt doch schon lichterloh.«

Es war ein gespenstischer Anblick. Gracia schien die Rufe des Grafen nicht zu hören. Sie achtete nicht auf das lange Kleid, das sie behinderte und eine zusätzliche Gefahr bildete, weil es besonders leicht Feuer fangen konnte.

»Gracia – lass den Unsinn!«, keuchte der Graf.

Doch das mutige Mädchen riss die hintere Tür des einen Wagens auf und zog das Kind, das sie darin gesehen hatte, an sich.

Nun hatte der Graf sie erreicht und fasste sie hart am Arm.

»Weg hier!« Er zwang sie, mit ihm auf die Seite und in den Schutz eines dicken Eichenstammes zu springen. In derselben Sekunde gab es eine Explosion, die ihn, das Mädchen und das Kind zu Boden schleuderte.

Es dauerte eine Weile, ehe sie den Schock überwunden hatten. Dann half Silvester Gracia auf die Beine.

Im Widerschein der hoch auflodernden Flammen starrten sie einander an. Gracia wagte keinen weiteren Blick auf die ineinander verkeilten Wagen. Der Gedanke, dass darin Menschen endgültig den Tod gefunden hatten, verursachte ihr Übelkeit.

Ihr Kleid war zerrissen und schmutzig. Sie presste das Kind fest an sich, das nun leise zu weinen begann.

»Du hast der Kleinen das Leben gerettet, Gracia«, brachte Silvester endlich hervor. »Aber um ein Haar wärst du mit verbrannt. Ist dir das überhaupt klar?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Silvester. Ich habe nicht darüber nachgedacht. Und – und es ist mir ja auch nichts passiert.«

Graf Silvester nahm ihre schmutzige, kleine Hand und drückte seine Lippen darauf.

»Du bist ein wundervolles Mädchen, Gracia. Ich liebe dich. Das wollte ich dir sagen, ehe das hier geschah.«

Gracia rang sich ein Lächeln ab. Der Schreck ließ sie jetzt zittern, und Silvester nahm ihr das kleine Mädchen ab, das bisher kein Wort gesagt hatte und nur leise weinte.

»Gehen wir zu meinem Wagen«, erklärte er. »Wir müssen die Polizei alarmieren. Hier können wir nichts mehr tun.«

♥♥♥

Wenig später erreichten sie Gut Wilmersberg, wo Nanna, die Haushälterin, in der kalten Halle auf Gracia gewartet hatte.

Nanna hielt sich nicht mit unnötigen Fragen auf. Sie schlug nicht einmal die Hände über dem Kopf zusammen, sondern nahm das kleine, verstörte Mädchen auf die Arme und trug es nach oben, um es ins Bett zu bringen. Tröstend und beruhigend sprach sie auf das Kind ein.

Graf Silvester ging ins Arbeitszimmer des Barons und telefonierte mit dem Polizeiposten. Nach und nach breitete sich die Unruhe in dem alten Gutshause aus. Der Baron erschien in einem Morgenrock aus Kamelhaar, und der Graf berichtete knapp und sachlich von dem Unglücksfall.

»Einer von beiden muss betrunken gewesen sein oder was weiß ich«, schloss er seinen Bericht. »Gracia hat ein Kind gerettet – ein kleines Mädchen. Sie hat ihr Leben aufs Spiel gesetzt dabei. Ich habe sie bewundert, Baron. Aber ich habe auch schreckliche Angst um sie ausgestanden. Sie wissen, was mir Ihre Tochter bedeutet.«

Der Baron nickte. »Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck. Angst kennt sie nicht.«

Der jüngere sah dem Baron fest ins Gesicht.

»Ich liebe Ihre Tochter, Baron – und seit heute Nacht weiß ich, dass es keine andere Frau für mich geben wird als sie.«

Baron René von Wilmersberg schüttelte dem Grafen die Hand. »Gracia soll selbstverständlich nach ihrem eigenen Herzen entscheiden, Graf. Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, und weder meine Frau noch ich würden unserer Tochter in dieser Hinsicht Vorschriften machen. Sprechen Sie selber mit ihr. Ich wünsche Ihnen viel Glück dazu.«

»Danke, Baron – ich habe da keine Sorge.«

Vom Geld sprachen sie nicht in dieser nächtlichen Stunde. Aber der Baron dachte daran, und Graf Silvester war bereits dazu entschlossen, das Gut seines Schwiegervaters zu sanieren.

Die Grafen von Geersen besaßen Millionen. Es sollte nicht heißen, dass er kleinlich sei. Außerdem war das Geld auf Gut Wilmersberg, das erstklassigen Boden hatte, tadellos angelegt.

Die Verschuldung war ein unseliges Erbe aus großväterlichen Zeiten. Damals hatte ein Wilmersberg ein allzu aufwendiges Leben geführt. Es hieß, dass seine schöne und lebenshungrige Frau ihn dazu verleitet habe.

Jedenfalls war es weder dem Sohn noch dem Enkel gelungen, die Vermögensverhältnisse wieder ins Lot zu bringen, der Krieg hatte alle Pläne zunichte gemacht.

Gracia kam noch einmal herunter. Sie trug jetzt ein einfaches Wollkleid. Ihre linke Hand war verbunden.

»Du hast dich verletzt?«, fragte Silvester erschrocken.

»Eine Brandwunde. Ich habe es gar nicht bemerkt. Schlimm ist es auch nicht, aber Nana hat mir unbedingt einen Verband machen müssen. Da hat es keinen Zweck, sich zu sträuben.« Gracia lächelte matt.

Der Baron umarmte sein Kind.

»Du bist sehr mutig gewesen, Gracia. Aber wenn ich daran denke, dass dir etwas hätte zustoßen können …«

Sie schwiegen eine Weile.

Der Graf raffte sich schließlich auf. »Ich muss zurück zur Unfallstelle. Die Polizei wird dort bald eintreffen. Wahrscheinlich werden sie dich morgen oder übermorgen vernehmen, Gracia. Was mögen das für Leute gewesen sein?«

Gracia erschauerte in Erinnerung an das entsetzliche Unglück.

»Ich habe nicht mehr hingesehen, Silvester. Ich könnte nicht mal sagen, wie viele Personen es waren. Das Kennzeichen des Autos, aus dem ich das Kind gerissen habe, war schweizerisch, glaube ich. Ich sah es undeutlich, als du mich zu dem Baum gezogen hast.«

»Leg dich jetzt zu Bett, Gracia. Ich spreche morgen wieder vor. Das Kind muss ja auch irgendwie untergebracht werden. Wahrscheinlich hat es jetzt keine Eltern mehr. Tragische Geschichte.«

Der Gutsherr brachte den Grafen bis an die Tür. Dann küsste er seine Tochter auf die Stirn.

»Ich bin stolz auf dich, Gracia. Außerdem hat mir Silvester soeben gestanden, dass er dich liebt. Du hast nicht nur diesem fremden Mädchen das Leben gerettet – du wirst auch deinem Bruder das Gut erhalten.«

Gracia war die Kehle seltsam eng. Sie konnte nicht antworten.

»Jetzt will ich zu Mutter gehen«, fuhr der Baron lächelnd fort. »Sie ist natürlich auch aufgewacht und hat ein Recht darauf zu erfahren, was geschehen ist. Leg dich nieder und versuche zu schlafen, mein Liebling.«

♥♥♥

Gracia wartete, bis ihr Vater im ehelichen Schlafzimmer verschwunden war.

Sie fühlte keine Müdigkeit. Ihre Erregung war zu groß. Sie ging auf den Zehenspitzen zum Gastzimmer, wo Nanna neben dem Kind saß.

»Sie schläft«, flüsterte die Haushälterin. »Du solltest dich auch hinlegen.«

Doch Gracia setzte sich in den zweiten Sessel des Gastzimmers, der ein wenig abgeschabt, dafür aber sehr bequem war.

»Ich kann nicht schlafen«, gab sie leise zurück. »Jetzt spüre ich erst, dass ich mich sehr aufgeregt habe. Schau nur – das Kind ist entzückend.«

Nanna und Gracia betrachteten die Kleine. Ob es Verwandte gab, die dieses Kind aufnehmen würden?

»Hat sie etwas gesagt?«, fragte Gracia.

Nanna schüttelte den Kopf. »Kein Wörtchen, Gracia. Vielleicht versteht sie uns nicht. Sie kann doch eine Fremde sein. Und verschüchtert war das arme Dingelchen natürlich auch.«

Die alte Haushälterin stand etwas mühselig auf.

»Und ich geh jetzt ins Bett, Gracia. Um fünf muss ich wieder aus den Federn. Wir haben bald drei.«

»Geh nur, Nanna – ich bleibe noch ein bisschen hier. Ich könnte jetzt nicht schlafen.«

»Wie du willst, Kind.«

Nanna schlich aus dem Zimmer.

Gracia nahm den von Nanna verlassenen Platz dicht neben dem Bett des kleinen Mädchens ein. Sie kuschelte sich in den weichen Sessel, zog die Knie an und schlang die Arme darum.

Eigentlich gehört sie mir, dachte sie und blickte das schlafende Mädchen an. Wenn ich sie nicht aus dem Auto geholt hätte, wäre sie jetzt – ja – sie wäre tot …

Wir werden sie behalten, wenn sich niemand findet!, dachte sie plötzlich.

Dieser Gedanke überfiel Gracia von Wilmersberg wie ein Blitz. Sie lächelte. Silvester würde sie verstehen. Sie hatte ihr eigenes Leben für dieses Kind aufs Spiel gesetzt, dessen Namen sie nicht einmal kannte.

Dann rief sie sich selber zur Ordnung. Es war ein großer, schwerer Wagen gewesen. Das kleine Mädchen stammte vermutlich aus guten und gesicherten Verhältnissen. Sicher gab es Großeltern, eine Tante oder sonst Angehörige, die es aufnehmen und liebevoll umsorgen würden, damit es das Entsetzliche nach und nach vergaß. –

Aber wenn sich niemand finden sollte, behalte ich sie doch! Beinahe trotzig sagte es eine Stimme in ihrer jungen Brust, die jeder vernünftigen Überlegung zu widersprechen schien.

♥♥♥

Silvester von Geersen war erschöpft, als er Schloss Seeburg erreichte. Es war der Stammsitz der Grafen, die mehrere große Stahlwerke besaßen.

Seine Mutter, Gräfin Agnes, saß bereits am Frühstückstisch und betrachtete ihren Sohn missbilligend wegen der verspäteten Heimkehr, wegen seines Aussehens und vor allem, weil er nicht zur gewohnten Stunde mit ihr den Morgenkaffee einnahm.

Silvester setzte sich zu ihr und berichtete ausführlich, was sich ereignet hatte.

Selbstverständlich schlug die Stimmung der Gräfin sofort vollkommen um.

»Mein armer Junge! Was für ein Glück, dass es nicht dein Wagen war, gegen den der andere gefahren ist.«

Silvester sah seine Mutter überrascht an.

»Weißt du, dass ich noch gar nicht auf diesen Gedanken gekommen bin, Ma?«, rief er verwundert aus. »Ich hatte angehalten, weil ich – nun ja – ich wollte Gracia etwas sehr Wichtiges fragen. Dann hat sie eigentlich nicht nur dem fremden Kind, sondern auch uns beiden das Leben gerettet.«

Gräfin Agnes füllte ihm die Tasse neu.

»Warum du ausgerechnet diese Baroness Habenichts heiraten willst, begreife ich nicht, Silvester. Du wirst die Wilmersbergs finanziell unterstützen müssen, und wahrscheinlich ist die kleine Gracia gar nicht dazu erzogen, die unzähligen Repräsentationspflichten wahrzunehmen, die deine Stellung mit sich bringt. Nicht, dass ich was gegen die Wilmersbergs hätte – es ist eine gute alte Familie – aber sie sind verarmt. Seit zwei oder drei Generationen schon.«

»Es ist nicht die Schuld von Gracias Vater, wie du sehr wohl weißt, Ma. Und dann – ich liebe das Mädchen. Ich kann es dir nicht erklären – es ist eben so. Du hättest sie sehen sollen, wie sie das Kind aus dem brennenden Wagen zog. Ich habe sie zurückgerufen. Sie achtete gar nicht darauf.«

»Sicher war sie sich der Gefahr gar nicht bewusst, Silvester. Du machst eine Heldin aus ihr.«

»Ich wollte sie schon vorher fragen, ob sie meine Frau werden will, Ma«, erinnerte Silvester sanft.

»Nun, zu fragen brauchst du da wohl kaum. Für die Wilmersbergs ist es eine Existenzrettung. Da ist doch noch der jüngere Bruder von Gracia, wenn ich mich recht erinnere. Der zieht dabei sozusagen das große Los, denn sein Erbe bleibt ihm auf diese Art erhalten.«

»Du kannst sehr zynisch sein, Ma. Der Baron hat die Entscheidung allein Gracia überlassen.«

»Weil er sich auf den gesunden Menschenverstand seiner Tochter verlassen kann, mein Sohn. Na, gut und schön – ich werde mich damit abfinden müssen. Aber ein Mädchen von Welt wäre mir lieber gewesen, Silvester. Du hast doch noch Zeit, dich ein bisschen umzusehen.«

Gräfin Agnes seufzte, dann wechselte sie das Thema. »Ich bin gespannt, was die Ermittlungen über diesen Unfall ergeben werden, Junge. Zwei Wagen aus dem Ausland … Es wird nicht leicht sein, die Identität der Insassen zu klären. Du sagst, es sei alles verbrannt?«

Silvester nickte. »Fünf Personen – drei in dem einen Wagen, zwei in dem, aus dem Gracia das kleine Mädchen rettete. Das waren vermutlich die Eltern des Kindes.«

»Grässlich! Irgendwie war die Zeit, als man noch mit Kutschen fuhr, besser, Junge.« Gräfin Agnes zog unwillkürlich die Schultern in die Höhe. »Und jetzt solltest du endlich aus dem Smoking heraus, dich baden, rasieren und dich umziehen, falls du nicht erst mal schlafen willst.«

»Ich habe zu viel zu tun, um mich jetzt ins Bett legen zu können, Ma. Wahrscheinlich werden die Leute von der Polizei noch anrufen oder herkommen. Gracia und ich sind die einzigen Zeugen.«

»Möglicherweise kann das Kind etwas aussagen«, überlegte die Gräfin halblaut. »Wie alt ist das Mädchen denn?«

Silvester zog die Brauen hoch. »Keine Ahnung. Ich habe mir das kleine Ding gar nicht richtig angeguckt.«

»Sie werden das Kind sicher genau befragen. Und daraus wird sich wahrscheinlich wenigstens die Identität der Eltern ergeben.«

»Du hast recht, Ma.« Wieder einmal hatte Graf Silvester Gelegenheit, den scharfen Verstand seiner Mutter zu bewundern. Oft genug schon war sie es gewesen, die ihm in geschäftlichen Dingen einen brauchbaren Rat erteilt hatte. Man konnte sich auf ihr Urteil verlassen, und Silvester tat das im Allgemeinen gern und rückhaltlos.

Dass sie mit seiner Wahl Gracia von Wilmersberg nicht einverstanden war, bedrückte ihn deshalb mehr, als er zugab.

♥♥♥

Nanna hatte aus einem alten Schrank ein paar Kinderkleider von Gracia hervorgezaubert. Das kleine Mädchen, das zu seinen dunklen Locken leuchtend blaue Augen hatte, ließ sich artig baden und ankleiden.

»Wer bist du?«, fragte es plötzlich. Es waren die ersten Worte, die über die rosigen Kinderlippen kamen seit dem Unfall.

»Ich bin die Nanna«, entgegnete die alte Haushälterin liebevoll. »Und du?«

Nanna war erleichtert, dass das Kind wenigstens Deutsch sprechen konnte. Der Akzent ließ auf den Süden schließen. Nanna machte sich darüber keine Gedanken.

»Iris.«

»Das ist ein wunderschöner Name, Iris. Es gibt Blumen, die so heißen. Weißt du das schon?«

»Hm – blaue. Caroline mag sie und Fred auch.«

In diesem Augenblick kam Gracia herein, die inzwischen gefrühstückt hatte. Ihr Herz schlug rascher, als sie die Unterhaltung zwischen Nanna und dem Kind hörte.

»Guten Morgen. Iris heißt du also.«

Das Kind nickte und sah seine Lebensretterin aufmerksam an.

»Ich heiße Gracia«, fuhr Gracia freundlich fort. »Hast du gut geschlafen?«

»Ja. Ich bin auf einmal hier aufgewacht. Da sind so hübsche Blümchen an der Wand.« Der kleine Finger wies auf die Tapete.

»Siehst du, die habe ich auch gern. Und jetzt wollen wir erst mal frühstücken. Kakao?«

»Hm.«

Nanna hatte gerade den zweiten Lackschuh des Kindes zugeknöpft. Gute, teure Kinderschuhe, schweizerisches Fabrikat.

Am Frühstückstisch wartete Gracias Mutter mit der Morgenzeitung. Nanna kümmerte sich um den Kakao.

»Gib ihr schön die Hand, mach einen Knicks, Iris. Du darfst Tante Sophie zu ihr sagen.«

Iris tat, wie ihr geheißen. Aber es kam kein Wort über die Kinderlippen.

Gracia setzte sich und bestrich ein Brötchen mit Butter und Honig.

»Wer sind eigentlich Caroline und Fred?«, erkundigte sie sich wie beiläufig.

»Sie sind eben Caroline und Fred«, erwiderte Iris in einem Tonfall, der verriet, dass man das wissen müsse.

»Waren sie … Ich meine, waren sie mit dir im Auto?«

»Natürlich. Und wo sind sie jetzt?« Offenbar konnte sich das Kind an den Unfall nicht genau erinnern.

»Ich weiß es nicht, Iris«, flüsterte Gracia mit erstickter Stimme. »Kannst du mir nicht sagen, wie du noch heißt? Man hat doch zwei Namen. Ich, zum Beispiel, heiße Gracia von Wilmersberg …«

Die kleine Stirn wurde kraus. Offensichtlich dachte Iris angestrengt nach.

»Weiß ich nicht«, meinte sie dann.